Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Dr. Regina Oehler Wissenswert Wilder Wandel im Genom (3) Umsteuern – neue Ideen für die Medizin von Malte Jessl Mittwoch, 16. Dezember 2009, 08.30 Uhr, hr2-kultur Sprecherin: Zitator: 09-158 COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/ der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. Seite 2 Sprecherin: Die einen hoffen auf die Erfolge der Gentherapie, die anderen fürchten sich vor den Möglichkeiten der Gentests. Fest aber steht: Die Genetik ist aus der Medizin nicht mehr wegzudenken. Bei Krankheiten wie Krebs und Diabetes spielen auch die Gene eine tragende Rolle. Mediziner können sich heute nicht mehr darauf beschränken, nur Herztöne abzuhorchen und Gewebe zu durchleuchten – sie müssen auch die Gene unter die Lupe nehmen. O-Ton Joachim Klose: Der Mensch besitzt ungefähr so 20.000 Gene. Und in jeder Zelle kommen dann so 7 oder 8000 Gene vor. Also eine ungeheure Menge. Und diese Gene bilden eine lange Kette. Also, wenn man die ausziehen würde, dann wäre das 2 Meter lang. Aber natürlich, in der Zelle, die ja winzig klein ist, ist das enorm aufgeknäult, und da liegen jetzt die Gene drauf. Diese lange Kette, kann man vielleicht mal sagen, wird als DNA bezeichnet, Desoxyribonukleinsäure, das ist diese lange Kette von Genen. (MJE Klose 11, 00:22) Sprecherin: … sagt der Genetiker Joachim Klose von der Universitätsklinik Charité in Berlin. Aber er hat nicht nur die DNA im Visier. Denn gerade in den letzten Jahren befindet sich die Genetik in einem rasanten Wandel. Immer klarer wird: Der genetische Code ist nicht alles. Es gibt noch zusätzliche Informationen im Zellkern, die nicht in der DNA Seite 3 verschlüsselt sind. Eine ganzer Wissenschaftszweig ist daraus entstanden: die Epigenetik. O-Ton Joachim Klose: Also, die Gene, diese kleinen DNA-Moleküle, die würden völlig stumm und nutzlos da in der Zelle herumliegen, wenn jetzt nicht irgendetwas oben drauf käme, was diese Gene aktiviert und letztlich einen Stoffwechselprozess in Gang setzt, der dann eben zu den äußerem Merkmalen führt, wie Haarfarbe, Begabung und so weiter. Alles, was jetzt sozusagen auf die Genetik oben drauf kommt, das könnte man als Epigenetik bezeichnen. (MJE Klose 6, 00:31) Zitator: Die Gene auf der DNA sind in einem Code aus vier Buchstaben verschlüsselt: A, T, C und G, das steht für die chemischen Bausteine Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. Über diesem Code aber liegt noch ein zweiter Code, der epigenetische Code. O-Ton Joachim Klose: Was kommt jetzt oben drauf, damit diese DNA aktiv wird? Das eine ist, was man Methylierung nennt. Methylierung ist eine kleine chemische Gruppe, ich nenne es jetzt einfach mal Methylgruppe, die, wenn die sich auf die Gene draufsetzt, dann können die Gene nichts machen, dann sind die stumm. Wenn diese Methylierung aber weg geht, dann werden sie aktiv. (MJE Klose 7b, 00:24) Seite 4 Zitator: Außerdem steckt die DNA noch in einer Eiweißverpackung, dem Chromatin. Auch diese Verpackung kann Gene blockieren und wieder frei geben. Über diese Wege kann die Zelle Gene ausschalten und wieder anschalten. Es sind die Hebel, mit denen die Zelle ihr eigenes Erbgut steuert. Sprecherin: Epigenetik hilft Wissenschaftlern, das chemische Räderwerk in der Zelle zu verstehen. Aber auch Mediziner interessieren sich mehr und mehr für die Verpackung der DNA und angehängte Methylmoleküle. Denn erst mit Hilfe der Epigenetik konnte die Entstehung einiger rätselhafter Erbkrankheiten aufgeklärt werden. Da gibt es zum Beispiel die Chorea huntington, den Veitstanz. Eine spezielle Form dieser Krankheit wird prinzipiell nur vom Vater vererbt. Gibt die Mutter das Gen für diese Krankheit weiter, bleibt das Kind gesund. Ein und dasselbe Gen löst einmal die Krankheit aus – und einmal nicht. O-Ton Joachim Klose: Und das ist eine merkwürdige Beobachtung, weil man ja weiß, von Mendel, dass wir immer alle Gene vom Vater bekommen und alle Gene von der Mutter. Gut, die Gene unterscheiden sich ein bisschen, sonst wären wir ja alle Zwillinge, aber trotzdem bekommen wir alle Gene vom Vater und von der Mutter, und das Kind hat immer Halbe- Seite 5 Halbe. Und warum soll jetzt etwas vererbt werden, was nur vom Vater kommt, oder etwas, was nur von der Mutter kommt? Sprecherin: Und hier kommt die Epigenetik ins Spiel. Denn es gibt Gene, die normalerweise in den Spermienzellen des Vaters abgeschaltet sind, andere sind in den weiblichen Eizellen ausgeknipst. Genetiker sprechen dann von „Imprinting“. Schon in den Keimzellen wird bestimmten Genen ein Stempel aufgedrückt, der bestimmt, ob sie aktiv sind oder nicht. Läuft beim Imprinting etwas schief, können Krankheiten die Folge sein. Auch Erbkrankheiten stecken also nicht unbedingt in den Genen. Ob sie ausbrechen oder nicht, darüber entscheidet auch die Epigenetik. Mediziner können erst mit Hilfe der Epigenetik besser verstehen, wie viele Krankheiten eigentlich entstehen können. Und das gilt auch für Krebskrankheiten. Denn epigenetische Schalter sorgen auch dafür, dass die Vermehrung von Zellen bei erwachsenen Menschen heruntergefahren wird. Normalerweise. O-Ton Joachim Klose: Und jetzt kann es passieren, dass dieser Abschaltprozess, diese epigenetische Regulierung durch Umweltverhältnisse und vielleicht auch durch Genmutation, dass der plötzlich gestört ist, und dann werden diese Gene wieder angeschaltet, die jetzt gar nicht mehr angeschaltet sein sollen, nämlich die, die für Seite 6 Wachstum sorgen. Und wenn bei einem adulten Menschen plötzlich in der Leber Gene aktiv werden, die das Wachstum der Leberzellen fördern, dann hat man eben genau das, was man heute unter Krebs oder Tumoren versteht. (MJE Klose 9, 00:33) Sprecherin: Die epigenetische Markierung hält das Wachstum der Zellen im Zaum. Wird dieser Schalter umgelegt, vermehren sich Zellen unkontrolliert weiter. Das ist eine von vielen Arten, wie Krebs entstehen kann. Dieses Wissen hilft schon heute in der Medizin. Zum Beispiel bei der Krebsdiagnostik. :Der Molekulargenetiker Achim Plum von der Berliner Firma Epigenomics AG: O-Ton Achim Plum: Jede Zelle hat ihren individuellen Methylierungs- Fingerabdruck, eine Leberzelle hat also einen anderen als eine Gehirnzelle, und bei Krankheiten ist eben dieser Fingerabdruck auch verändert. Dieses Prinzip machen wir uns diagnostisch zu nutze. Das heißt, wir können mit unseren Technologien die Methylgruppen über das gesamte Genom zwischen einer Krebszelle und einer normalen Zelle vergleichen und dabei unterschiede identifizieren, die ganz charakteristisch für eine Tumorzelle sind. (MJE Plum 1, 00:26) Zitator: In jeder Zelle sind andere Gene bei der Arbeit – je nachdem, welche Aufgabe diese Zelle im Körper übernimmt. Die Gene, die nicht aktiv sind, sind mit Methylgruppen blockiert. Seite 7 Sprecherin: In Krebszellen sind ganz bestimmte Gene stumm geschaltet – und das ist auch am epigenetischen Fingerabdruck zu erkennen. O-Ton Achim Plum: Ich stelle mir das immer so vor, vereinfacht, so ein Tumor ist ja kein geordnetes Gebilde, sondern da geht vieles schief, das ist in relativ chaotisches System, und dabei gehen auch Zellen kaputt. Sie gehen in den Zelltod. Und dabei wird der Inhalt der Zellen in den Blutstrom entlassen, eben auch DNA. Das sind kleine Schnipsel, die da rumfliegen. Das an sich ist also ein hervorragender Indikator für die Anwesenheit eines Tumors, man findet Tumor-DNA im Blut, also muss da irgendwo ein Tumor sein. (MJE Plump 2b, 00:23) Sprecherin: Ein Arzt kann jetzt die Schnipsel der Tumor-DNA aus dem Blutstrom fischen – er erkennt sie an ihrem epigenetischen Fingerabdruck. Winzige Mengen an DNA können Mediziner so noch aufspüren, selbst das Erbgut von nicht mehr als drei Tumorzellen ist in einer Blutprobe noch zu erkennen. Der Vorteil an dieser Technik ist: Der Arzt kann den Tumor schon in einem sehr frühen Stadium entdecken. In einem Stadium, in dem zum Beispiel Darmkrebs noch gut zu heilen ist. Die Methode funktioniert nicht nur bei Krebs, auch andere Krankheiten verraten sich durch ihren epigenetischen Fingerabdruck. Seite 8 O-Ton Achim Plum: Wir wissen, dass die Methylierung sich durchaus auch verändert bei anderen Krankheiten wie Diabetes, eigentlich kann man es auf die simple Formel bringen: Immer dann, wenn sich das Genaktivitätsmuster einer Zelle ändert, wird man auch Methylierungsmusterveränderungen finden. (MJE Plum 3, 00:18) Sprecherin: Dieses Wissen können sich Ärzte jetzt auf zweierlei Arten zu Nutze machen. Der epigenetische Fingerabdruck ist ein wichtiges Hilfsmittel in der Diagnostik – und eines Tages vielleicht auch in der Therapie. Denn der epigenetische Fingerabdruck kann sich durch Umwelteinflüsse ändern und ist damit auch ein Angriffspunkt für Medikamente. O-Ton Joachim Klose: Ich glaube, dass diese epigenetischen Regulierungen, die in den Griff zu kriegen, und die zu stoppen, wenn eben auch nachteilige Umwelteinflüsse sich auf die nächste Generation vererben, dass das ein ganz wichtiger Zweig in der Medizin werden wird in Zukunft, wenn man diese Regulationsmechanismen viel besser verstehen wird. Sprecherin: … sagt Joachim Klose. In Zukunft können Mediziner vielleicht die epigenetischen Schalter gezielt betätigen und so unser Erbgut umsteuern. Ein kleiner Schritt in diese Richtung ist bereits gelungen: Bereits heute gibt es Wirkstoffe, die verhindern, dass epigenetische Markierungen bei einer Zellteilung weitergegeben werden. Seite 9 Zitator: Wenn sich eine Zelle teilt, verdoppelt sich zunächst der DNAStrang im Zellkern. Stück für Stück wird nach Vorbild der alten DNA ein neuer Strang zusammengebaut. Dieser neue Strang ist für kurze Zeit erst einmal völlig nackt – ohne angehängte Methylgruppen. O-Ton Achim Plum: Und dann gibt es eben ein Enzym, dass die DNA entlang wandert, immer da, wo auf dem einen Strang, der von der Mutterzelle kommt eine Methylgruppe ist, wird auf dem anderen Strang auch eine Methylgruppe angehängt, so dass das Methylmuster wirklich vererbt wird. Und diese Enzyme kann man hemmen, das führt dann dazu, dass mit jeder Zellteilung die Methylierung ausverdünnt wird, und irgendwann ganz verschwindet. Und das macht man sich tatsächlich bei einigen Krebsmedikamenten mittlerweile zu Nutze, die auch schon auf dem Markt sind, und die vor allem bei Blutkrebserkrankungen Einsatz finden. Der Nachteil dieser Methode ist, dass tatsächlich die gesamte Methylierung der Zellen herausverdünnt wird, es ist also sozusagen die Vorschlaghammermethode, es ist kein gezielter Eingriff an einem Gen. (MJE Plum 4, 00:41) Sprecherin: Diese Medikamente räumen einfach alle epigenetischen Markierungen ab – ohne wenn und aber. Inzwischen arbeiten Wissenschaftler aber schon an Medikamenten, die feinfühliger vorgehen. Das Ziel ist es, an den Schaltern ganz bestimmter Gene zu drehen. Zum Beispiel an den Genen, die Seite 10 für die Zellteilung verantwortlich sind und damit über das Wachsen oder Nicht-Wachsen eines Tumors entscheiden. Aber bis es so weit ist, müssen die Forscher noch einige Hürden nehmen. Denn im Moment versteht man noch nicht einmal, was genau passiert, wenn eine Zelle ein Gen stumm schaltet. O-Ton Joachim Plum: Die zweite Frage ist dann: Wie kann man das rückgängig machen, und zwar an einem Gen. Da gibt es erste Ansätze zu, wie man Methylierung erzeugen kann an einem bestimmten Locus. Aber so richtig gut verstanden ist es noch nicht, da muss noch mehr Arbeit reinfließen, und man muss natürlich dann auch Wege finden, das zu beeinflussen, die auch therapeutisch umsetzbar sind. (MJE Plum 5, 00:20) Sprecherin: Mittlerweile drängen immer mehr Firmen auf den Markt, die Epigenetik medizinisch nutzen wollen. Nicht nur in Deutschland, vor allem auch in den USA. Was hält die Zukunft der epigenetischen Medizin bereit? In erster Linie wird sich etwas in der Krebsdiagnostik bewegen. O-Ton Achim Plum: Ich denke, dass vor allem die Diagnostik noch mehr Entwicklungen sehen wird, das Schöne bei diesem Prinzip ist, dass man es relativ leicht dann auf andere Tumorerkrankungen dann übertragen kann, Tumordiagnostik ist nach wie vor eine große Hürde, auch in einer effizienten Therapie, je früher man einen Tumor findet, desto besser kann Seite 11 man ihn therapieren, Darmkrebs ist in lokalisierten Stadien zu 90 Prozent heilbar, in späten Stadien dann nur noch zu zehn Prozent, das heißt, da ist ein enormer Hebel, und man kann sozusagen durch bessere Krebsdiagnostik wahrscheinlich mehr Menschenleben retten als durch jede Krebstherapie. (MJE Plum 6, 00:32)