Kognitive Änderungen im Alter: Diagnostik, Prävention, Intervention Und: Was läuft hierzu an der Universität Vechta? Elke Kalbe Auch das Gehirn altert! frontaler Hypometabolimus elderly vs. young Atrophie Säuglingsalter mittleres Alter hohes Alter Verlust von Neuronen und Synapsen 1 Kognitiver Leistungswandel im Alter kristalline Leistungen + • Allgemeinwissen • Wortschatz • prozedurales Gedächtnis (Routinen) • soziale Intelligenz Leistung fluide Leistungen • Episodisches/ Arbeitsgedächtnis • Tempo • Aufmerksamkeit • Exekutivfunktionen, z.B. kognitive Flexibilität 30 60 Alter in Jahren 90 Vorstufen einer Demenz? Normal Demenz ? DeKosky und Marek Scheff (2003) (1990) 2 Mild Cognitive Impairment (MCI) DSM V: „minor cognitive disorder“ „major cognitive disorder“ ? Petersen (2001, 2003): 10-15% Konversionen/ Jahr bis zu 90% im Langzeit-Follow-up Mitchell & Shiri-Feshki (2009): Meta-Analyse, 41 Kohortenstudien 5-10% Konversionen/ Jahr MCI: Subtypen (Petersen et al., 2004) Beschwerden über kognitive Funktionseinbußen Kognitive Leistungen nicht altersgemäß Kognitiver Abbau (schleichend) Alltagsaktivitäten nicht eingeschränkt Keine Demenz „MCI“ ja nein Gedächtnisstörung? „Amnestic MCI“ ja Ausschließlich Gedächtnisstörung? „Amnestic MCI Single Domain“ „Nonamnestic MCI“ nein „Amnestic MCI Multiple Domain“ ja Isolierte Störung einer kognitiven Domäne (nicht Gedächtnis) nein „Nonamnestic MCI Single Domain“ „Nonamnestic MCI Multiple Domain“ Mögliche Entwicklung zur: Mögliche Entwicklung zur: Mögliche Entwicklung zur: Mögliche Entwicklung zur: Alzheimer Demenz Depression Alzheimer Demenz Vaskulären Demenz Depression Frontotemporalen Demenz Lewy-Body-Demenz Vaskulären Demenz Progressiven Aphasie 3 MCI: Subtypen (Petersen et al., 1999) Beschwerden über Gedächtnisdefizite Objektivierbare Gedächtnisdefizite Beginn schleichend Keine Demenz Alltagsaktivitäten nicht eingeschränkt „MCI“ Demenz DSM-IV-Kriterien der Demenz A. Multiple kognitive Defizite Gedächtnis probleme Aphasie Apraxie + Agnosie Exekutive Störung … B. Alltags-Beeinträchtigungen 4 Differentialdiagnosen Primär degenerative Demenzen Auguste D. • Alzheimer Demenz (AD): ca. 50-70% • Lewy-Body-Demenz (LBD) • Frontotemporale Lobärdegeneration - Frontotemporale Demenz (FTD) - Semantische Demenz (SD) Alois Alzheimer - Progressive nicht flüssige Aphasie (PA) Vaskuläre Demenzen Sekundäre Demenzen, z.B. bei: • Intoxikationen • Infektionen • Hirntumoren Relevanz? • Individuum & Angehörige: Verlust von Selbständigkeit & Lebensqualität (Pflege!) • Gesellschaft: Strukturen & Kosten 2002 Doblhammer-Reiter (2008) Deutschland: ca. 800.000 bis 1,2 Mio. Erkrankte bis 2050 ca. Verdreifachung Zukunftsforum Demenz (2002) Kosten weltweit für Demenzkranke 2009: 422 Milliarden US $ (Wimo et al., 2010) Diagnostik zu einem möglichst frühen Zeitpunkt! 5 FDG PET normal vaskuläre Demenz normal Alzheimer Demenz frontotemporale Demenz normal Lewy-BodyDemenz normal MPIfnF Klinische Symptomatik versch. Demenztypen Beeinträchtigung: O keine, leicht, mittel, schwer, ( ) möglich Kalbe & Kessler (im Druck) 6 Klinische Symptomatik versch. Demenztypen Beeinträchtigung: O keine, leicht, mittel, schwer, ( ) möglich Kalbe & Kessler (im Druck) Neuropsychologische Demenzdiagnostik Erstellung eines Profils Verlaufsdiagnostik Differentialdiagnostik Frühdiagnostik/ Prädiktion zur Statusdiagnostik des Verlaufs überdurchschnittlich MCI LBD AD AD im Verlauf Durchschnitt 15% Kognition Al Af lta fek gs t fun kti on en unterdurchschnittlich Int ell ige nz Ge dä ch tni s Sp Ex ra ch ek e uti ve Vi Fu su ok nk on t. s tru Au k fm tio er n ks a Ge mk sc e it hw ind igk eit Leistungen 85% Nicht kognitive Domänen 7 Demenzdiagnostik Wunsch nach Statusbestimmung/ subjektive kognitive Defizite/ Verdacht durch Arzt Anamnese, Fremdanamnese Tests für spezifische Domänen Gedächtnis: WMS, IGD Sprache: AAT, ACL Exekutive Funkt. Trail Making, WCST, TVH Aufmerksamkeit: TAP Visuokonstruktion: Rey-Osterrieth-Figur, Kopie Persönlichkeit/ Verhalten: FPI, NPI Depression: GDS, Hamilton, Beck Testbatterien Demenz/ Altern CERAD, Demenztest, ADAS, MDRS, CAMDEX GDS, CDR, BCRS Alltagsaktivitäten NOSGER, IADL Elaborierte neuropsychologische Untersuchung: Profilbeschreibung, Diagnose/ Differentialdiagnose Demenzdiagnostik Wunsch nach Statusbestimmung/ subjektive kognitive Defizite/ Verdacht durch Arzt Anamnese, Fremdanamnese Problem 1: zeitaufwendig! häufig nicht realisierbar! 1995 in D: 0,03 Tests/ Demenzpatient Elaborierte neuropsychologische Untersuchung: Profilbeschreibung, Differentialdiagnose Problem 2: Mögliches Vorliegen der Demenz muss erkannt werden! 75% der Demenzen, 97% der MCI werden vom Hausarzt nicht erkannt (Callahan et al., 1999) 8 Screeningverfahren Subjektive Gedächtnisdefizite, Verdacht durch Arzt Anamnese, Fremdanamnese Kognitives Screening: Identifizierung möglicher Defizite Kognitiver Abbau? Altersadäquate Leistung Kognitive Defizite, Demenzverdacht Beratung, Beobachtung subjektiver Beschwerden. Evt. Wiederholungsuntersuchung nach 6 bzw. 12 Monaten Elaborierte neuropsychologische Untersuchung: Profilbeschreibung, Differentialdiagnose Mini Mental Status Test • zeitökonomisch + • einfache Durchführung + • gute Akzeptanz bei Patienten • unabhängig von soziodemographischen Faktoren • Gütekriterien erfüllen (+) • hohe Sensitivität und Spezifität (nach Shulman, 2000) • Überprüfung möglichst vieler kognitiver Domänen - 9 DemTect DemTect Sensitivität Spezifität Alzheimer Demenz Kontrollen (KG) 94% 90% Kessler et al. (2000) 92% 100% Perneczky (2004) 83% 70% Scheurich et al. (2005) Vaskuläre Demenz – KG 90% 95% Kalbe et al. (2002) Versch. Demenzen - KG 84% 72% Larner (2007) MCI – KG 86% 92% Kalbe et al. (2004) 67% 92% Perneczky (2004) 85% 86% Scheurich et al. (2005) • empfohlen von: - DGN-Richtlinien (2002) zur Diagnose und Therapie der AD und Demenz mit Lewy-Körperchen - Canadian Consensus Conference on the Diagnosis and Treatment of Dementia (2007) - S3 Leitlinien Demenz (2010) 10 PANDA 30 30 25 25 20 20 PANDA MMSE PANDA 15 10 15 10 5 5 0 0 CG PD CG vs. PDD: PD vs. PDD: CG vs. PD: CG PDD PD PDD Alle Vergleiche: p < 0.001 p < 0.001 p < 0.001 p = 0.981 Spezifität Sensitivität CG (Controls) PDD MMST: Cut-off 24/25 98% 55% PANDA 91% 86% Kalbe et al. (2008) 11 Und unsere ausländischen Mitbürger? • Die im Zuge des Anwerbeabkommens zwischen der Türkei und Deutschland in den 60er Jahren Eingereisten erreichen das Rentenalter. Migranten über 60 Jahre • 2001 • 2010 • 2030 665000 1,30 Millionen 2,86 Millionen Migranten: Aufgrund verschiedener Faktoren (Stress, Gesundheitsversorgung, Ernährung etc.) kann eine höhere Inzidenzrate der Demenz und ein früheres Erkrankungsalter angenommen werden. (2010) 12 Telefon-Screenings? Mail-Screenings/ Computerisierte Tests? 13 Einflussfaktoren: Risiken & Prävention „Risikokalkulatoren“ Faktoren, um eine Demenz 20 Jahre später vorherzusagen Kivipelto et al. 2006, Lancet Neurology Risiko einer Demenz Alter Geschlecht Bildung systolischer Blutdruck Body-Mass-Index gesamtes Cholesterin sportliche Aktivität APOE ε4 niedrig: 0,13 % (score=0) ≤ 47Jahre Frau ≥ 10 Jahre ≤ 140 mm Hg ≤ 30 kg/m² ≤ 6,5 mmol/l aktiv – hoch: 49% (score=18) ≥ 53 Jahre Mann ≤ 6 Jahre ≥ 140 mm Hg ≥ 30 kg/m² > 6,5 mmol/l inaktiv ε4 14 Modulatoren kognitiver Leistungsfähigkeit Bildung Alter Sozioökonomischer Status Kognitives Training Geistige Aktivität KOGNITION Physische Aktivität Genetische Faktoren (ApoE) Ernährung Soziale Aktivität Kognitives Training & Gehirn • Strukturelle Änderungen 3 Monate Training: Zunahme der grauen Substanz • Transmitter-Änderungen Boyke et al. (2008) • MCI-Patienten: nach Training mehr Interkonnektivität Diffusion Tensor Imaging (DTI) Hampstead et al. (2010) 15 Kognitives Training bei AD-Patienten Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (2009): Von 33 Studien 29 Studien methodisch mangelhaft Nutzen derzeit nicht belegbar, aber „vereinzelt deutliche Hinweise auf Effizienz“ Meta-Analyse Sitzer et al. (2006): • 17 kontrollierte, randomisierte Studie • Training effizient, mittlere Effektstärke: Cohen´s d: 0.47 • Domänen: - Lernen und Gedächtnis - exekutive Funktionen - ADL - kognitive Beschwerden - Depression Kognitives Training bei Demenzpatienten „cognitive intervention …could aid prevention and treatment of AD“ 16 Kognitives Training bei MCI- Patienten 15 Studien n: 1-193, meist <30 Effekte bei 44% d. objektiven Gedächtnismaße nur 5 Studien randomisiert, kontrolliert Empfehlung: - gute Studiendesigns - ausreichend großes n - standardisierte Trainings Kognitives Training bei gesunden Älteren „ACTIVE“-Studie • steigert trainierte kognitive Funktionen • steigert Alltagsaktivitäten • Effekte langfristig (≥ ≥ 5 Jahre) Willis et al. (2006) 17 Status quo: 2008 Expertenmeeting Empfehlung & Forderung: • Kognitives Training vielversprechend • Wissenschaftliche Überprüfung der Effizienz - standardisierter Trainingsprogramme - bei spezifischen Populationen Randomisierte kontrollierte Studien Prätest Neuropsychologie Training oder Kontrolltraining/ Wartezeit Posttest Neuropsychologie Prä- Posttest-Vergleiche KORDIAL 18 NEUROvitalis Baller, Kalbe, Kaesberg & Kessler (2010) • Gruppen mit 3 bis 8 Teilnehmern • sechs Wochen mit 12 Übungseinheiten á 90 Minuten (2 Mal/ Woche) Zielgruppen: • Gesunde ab 50 J. • Menschen mit leichten kognitiven Störungen • Patienten mit leicht ausgeprägter Demenz • Neurologische Patienten Schwierigkeits-Stufe 2 Schwierigkeits-Stufe 1 NEUROvitalis Elemente Theorie Gruppenübungen Aktivierungsspiele Einzelübungen Hausaufgaben Alterssensitive Funktionen Gedächtnis Aufmerksamkeit Exekutive Funktionen 2 Schwierigkeitsstufen Psychoedukation 1. Geistige Leistungsfähigkeit: Beeinträchtigungen und Trainingsmöglichkeiten 2. Die Bedeutung der Aufmerksamkeit 3. Wie funktioniert das Gedächtnis? 4. Das Arbeitsgedächtnis 5. Gedächtnis und Sprache 6. Gedächtnisstrategien I 7. Gedächtnisstrategien II 8. Gedächtnis für Namen und Gesichter 9. Merken von Terminen und Erledigungen 10. Verstehen und Merken von Texten 11. Planen und Problemlösen 12. Schutzfaktoren für den Erhalt der geistigen Leistungsfähigkeit 19 Vergleich Prä- versus Posttest Domäne Test Kognitives Gesamtniveau MMST Gedächtnis KG untrainiert (n = 18) KG HT (n = 22) MCI HT (n=24) KG NV (n = 24) * 0,8 DemTect Gesamt * DemTect Wortliste direkt 0,5 *** 0,9 DemTect Wortliste verzögert MCI NV (n = 23) * 0,7 ** ** 0,8 AD NV (n = 26) * 0,4 ** 0,7 0,6 DemTect Digit Span Memo, direkt * 0,4 Exekutive Funktionen/ Aufmerksamkeit ** 0,7 * Memo, verzögert Rey-Figur, verzögert * 0,5 Wortflüssigkeit: FAS * 0,4 0,6 ** 0,6 *** 0,5 ** 0,9 0,4 DemTect Transkodieren * TMT B ** 0,4 Viusokonstruktion Rey-Figur Kopie Verarbeitungsgeschwindigkeit TMT A * p<.05, **p<.01, ***p<.001 * 0,6 Effektstärke Cohen´s d IPAD/ PC-Entwicklungen Aktuell in Planung: - NEUROvitalis-PC - Kognitives Training („Apps“) für verschiedene Zielgruppen 20 Testothek Tests und Fragebögen zur Erfassung kognitiver und affektiver Funktionen bei älteren Menschen Testausleihe! Wissenschaftliche Projekte Lehre Überprüfung der Effizienz kognitiver - Kennenlernen wichtiger Testverfahren inklusive Trainingsprogramme bei - gesunden Menschen ab 50 Jahren Durchführung und Interpretation - Patienten mit leichten kognitiven - Empirisches Arbeiten im Rahmen Beeinträchtigungen von Abschlussarbeiten - Patienten mit leicht ausgeprägter Demenz - Parkinsonpatienten Kontakt CeNDI Universität Vechta Driverstr. 23 Raum R 127 49377 Vechta Seniorentag Tel.: 04441 15 732 Fax: 04441 15 621 e-mail: [email protected] www.uni-vechta.de/cendi Dipl.-Psych. Annette Mayer Jennifer Liesk BA Geront Johanna Henschel Stephanie Kaesberg MSc Psy Prof. Dr. Elke Kalbe 21 Kontakt CeNDI Universität Vechta Driverstr. 23 Raum R 127 49377 Vechta Tel.: 04441 15 732 Fax: 04441 15 621 e-mail: [email protected] www.uni-vechta.de/cendi Forschungskooperationen Institut für Neurowissenschaft und Medizin (INM-3) Start: 1.4.2011 MCI & Demenz bei Parkinsonpatienten (n = 700) Subprojekt „Kognitive Reserve“ 22 Zusammenfassung • Auch das Gehirn altert. Dies verursacht, dass auch im normalen Alterungsprozess gewisse kognitive Funktionen nachlassen. • Die Grenzen zu MCI und Demenz sind fließend. • Eine Diagnostik möglicher kognitiver Störungen sollte möglichst früh erfolgen. • Es gibt viele Risikofaktoren für kognitive Störungen im Alter und Demenz. Einige davon sind beeinflussbar. • Kognitives Training stellt eine sinnvolle Maßnahme zur Förderung individueller Ressourcen dar. • Schauen Sie mal im CeNDI vorbei! Dank an Köln/ Jülich Josef Kessler Steffi Kaesberg Gereon R. Fink Vechta Annette Mayer Jennifer Liesk Johanna Henschel Patrick Trotzke Bonn Gisa Baller 23