ADHS/ADS bei Erwachsenen Gesundheit Wenn die Unruhe bleibt Bei Kindern und Jugendlichen wird ADHS/ADS mittler­weile gut erkannt und behandelt. Doch dass auch viele Erwachsene die Krankheit haben, wird vielfach übersehen. Interview Ulrike Heitze Wie verbreitet ist ADHS/ADS bei Er­ wachsenen? Dr. Steffen Aschen­ brenner: Schätzungs- weise 2,5 Prozent der Erwachsenen in Deutschland haben ADHS/ADS. Das sind rund zwei Millionen Menschen. Dr. Steffen Aschenbrenner ist leitender Psychologe am SRH Klinikum KarlsbadLangensteinbach. ADHS/ADS steht für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperak­tivitäts-Störung und ist eine psychische Störung. Foto: SRH Methylphenidat ist ein Arzneistoff mit stimulierender Wirkung. In Deutschland ist er zum Beispiel unter dem Namen Ritalin auf dem Markt. Atomoxetin ist ein ADHSMedi­kament, das nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt und keine Abhängigkeiten hervorruft. Im Handel wird es unter dem Namen Strattera verkauft. Sind das neu Er­ krankte? Nein, die Erkrankung beginnt stets im Kindesalter. Im klinischen Alltag unserer Forschungsambulanz am SRH Klinikum Karls­bad-Langensteinbach diagnostizieren wir viele Erwachsene aber zum allerersten Mal, da die Symptome in ihrer Kindheit nicht erkannt wurden. Studien zeigen, dass ADHS/ADS bei bis zu 60 Prozent der betroffenen Kinder bis ins Erwachsenenalter fortbesteht. Bleibt die Störung lebenslang? Ihre Intensität nimmt mit dem Alter ab. Bei etwa einem Drittel der Kinder bilden sich die Symptome vollständig zurück, bei einem weiteren Drittel reduzieren sie sich mit der Zeit deutlich. Das letzte Drittel leidet auch später unter handfesten Beschwerden und wird längerfristig auf eine Behandlung angewiesen sein. Wie macht sich ADHS/ADS im Alter bemerkbar? Das Beschwerdebild verändert sich im Laufe des Lebens. Bei Erwachsenen ist die motorische Hyperaktivität meist nicht mehr so ausgeprägt wie bei Kindern, dafür treten innere Unruhe und Getriebenheit in den Vordergrund. Konzentrations- und Planungsstörungen werden deutlicher. Typischerweise haben Betroffene auch Schwierigkeiten mit dem inneren Gleichgewicht. Schon Kleinigkeiten bringen sie auf die Palme. Ihre Gefühlslagen wechseln häufig und schnell. Viele ADHS-Patienten sind wunderbar spontan, sehr kontaktfreudig, gewinnend und hilfsbereit. Ihnen fällt aber manchmal schwer, einzuschätzen, wie ihr Verhalten auf Mitmenschen wirkt. Wie gut wird die Störung bei Erwachsenen erkannt? ADHS/ADS wird häufig übersehen, weil die Symptome mit anderen Störungen wie Depressionen, Suchterkrankungen oder sozialen Ängsten assoziiert werden. Eine Diagnose sollte man deshalb von auf ADHS/ADS spezialisierten Psychiatern oder Psychotherapeuten vornehmen lassen. Wie kommen Betroffene an die richtige Diagnostik? Leider ist das für viele Patienten noch schwierig. Die Wartezeiten für eine fachgemäße Diagnostik liegen oft bei über einem halben Jahr. Weil wir hier am SRH Klinikum Karlsbad aber in zahlreiche Forschungsprojekte eingebunden sind, können wir flexibel reagieren: Den meisten Betroffenen können wir eine Diagnostik innerhalb von zwei Monaten anbieten. Wie werden betroffene Erwachsene behandelt? Meist startet man mit Medikamenten. Seit 2011 ist in Deutschland auch für Erwachsene die Behandlung mit einer Stimulans, Methylphenidat, möglich. Zudem gibt es mit Atomoxetin eine Alternative. Eine begleitende psychotherapeutische Behandlung wird von vielen Betroffenen als sehr hilfreich erlebt. Dabei geht es im Sinne eines Coachings vor allem darum, ihren Alltag zu strukturieren. Zudem müssen viele Patienten lernen, mit ihren Gefühlen, Stimmungswechseln und sozialen Interaktionen besser umzugehen. Auch Sport und Achtsamkeitsübungen können helfen. Muss man sich behandeln lassen? Das kommt darauf an, wie stark sich die Betroffenen in welchem Lebensbereich eingeschränkt fühlen. Allein weil Symptome vorhanden sind, braucht sich niemand behandeln zu lassen. Nur bei deutlichen Einschränkungen ist eine Behandlung notwendig. Hier finden Betroffene Hilfe ADHS-Kompetenznetzwerk, www.zentrales-adhs-netz.de Forschungsambulanz des SRH Klinikums Karlsbad-Langensteinbach (Annett Bergt, [email protected]) www.klinikum-karlsbad.de 25