4 Thema aktuell Wenn sich alles dreht und der Boden schwankt Schwindel: Ein Symptom, viele Ursachen Etwa jeder Vierte verliert mindestens einmal im Leben ohne erkennbaren Auslöser das Gleichgewicht oder die Orien­tierung im Raum – er leidet ­unter Schwindel. Manche haben dann das Gefühl, dass der Boden unter ihnen schwankt (Schwank­ schwindel), bei anderen dreht sich alles um sie herum (Drehschwindel), bisweilen dominiert auch die Emp­ findung, wie in einem Aufzug nach unten oder oben gezogen zu wer­ den (Liftschwindel). Von Dr. Nicole Schaenzler S chwindel ist ein sehr heterogenes Krankheitssymptom. Er kann sich als Minuten bis Tage andauernder Attackenschwindel oder als Dauerschwindel zeigen, sich mild oder heftig (oft in Kombination mit Übelkeit, Erbrechen und/oder Schweißausbrüchen) äußern, in Ruhe oder bei körperlicher Betätigung auftreten, durch bestimmte (Kopf-)Bewegungen ausgelöst werden oder scheinbar ohne konkreten Anlass über den Betroffenen hereinbrechen. Manchmal gesellen sich weitere Symptome dazu, z. B. Hör- störungen, Ohrdruck und Ohrgeräusche, wenn ein Morbus Menière besteht, oder Kopfschmerzen bei einer Migräne. Bei älteren Menschen können die Schwindelbeschwerden auch Begleiterscheinung einer HerzKreislauf-Erkrankung oder Zeichen für eine neurodegenerative Erkrankung wie die Parkinson-Krankheit sein. Gelegentlich sind die Schwindelbeschwerden eher diffus, und Empfindungen wie Verschwommensehen oder Benommenheit stehen im Vordergrund. Mitunter ist der Schwindel gar nicht organisch bedingt, sondern Folge einer Gleichgewichtsstörung der Seele. So können z. B. auch eine Angsterkrankung oder eine Depression mit Schwindelbeschwerden einhergehen; dann sprechen die Mediziner von einem somatoformen Schwindel. Obwohl die Beschwerden so heftig sein können, dass der Betroffene zu keiner koordinierten Bewegung mehr fähig ist, ist Schwindel keine eigenständige Krankheit, sondern vielmehr ein Hinweis auf viele mögliche Ursachen. Zwar kommen auch leicht zu identifizierende Auslöser in Betracht, wie etwa die Einnahme von bestimmten Medikamenten oder ein zu niedriger bzw. zu hoher Blutdruck. Häufig liegt der Entstehungsort des Schwindels jedoch direkt im Gleichgewichtsorgan bzw. in einem geschädigten Gleichgewichtsnerv. In diesem Fall spricht der Arzt von einem peripheren Schwindel. Davon abzugrenzen ist der zentrale ­Schwindel, bei dem die Symptome ihren Ursprung im Gehirn haben. Gutartiger Lagerungs­ schwindel – häufigste krankhafte Schwindelform Die Unterscheidung zwischen peripher und zentral ausgelöstem Schwindel ist nicht zuletzt in Notfallsituationen wichtig, etwa wenn Patienten mit einer akuten Schwindelattacke in die Klinik eingewiesen werden; dann gilt es vor allem einen Schlaganfall auszuschließen. Aber auch Tumoren, Entzündungen in Hirnstamm und Kleinhirn oder eine Multiple Sklerose können einem zentralen Schwindel zugrunde liegen. Demgegenüber sind die Ursachen für einen peripheren Schwindel meist vergleichsweise harmlos und in der Regel gut zu behandeln. Ein typischer peripherer Schwindel ist z. B. der gutartige, anfallsartige Lagerungsschwindel (benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel, BPPV), der zugleich die häufigste krankhafte Schwindelform ist: Die Patienten wachen morgens früh auf, drehen sich im Bett um, und ganz plötzlich befällt sie ein heftiger Schwindel mit Übelkeit, der sich nach 30 Sekunden wieder legt. Auslöser sind kleine Kristalle, die sich im hinteren Bogengang des Gleichgewichtsorgans im Innenohr angesammelt haben und dort die Sinneszellen reizen. Immerhin sind die Erfolgsaussichten der Therapie sehr gut, weil sich die Kristalle durch eine einfache Technik, bei der Patienten in einem bestimmten Winkel gelagert und gedreht werden, wieder aus den Bogengängen hinausschleudern lassen: Sobald die Steinchen den falschen Ort verlassen haben, lassen die Beschwerden nach. Schwierige Ursachenforschung Psychogene Schwindelursachen wie der phobische Schwankschwindel werden ebenfalls oft diag­nostiziert. Aber auch Schwindelmigräne, Menière-Erkrankung, ein- und beidseitige Ausfälle der Gleichgewichtsorgane im Innenohr oder degenerative Hirnerkrankungen wie die Kleinhirnataxie können verantwortlich sein. Wahrnehmung der Körpervertikale (Spacecurl). Der Arzt kann die Körpersenkrechte des Patienten in allen Ebenen verstellen und damit bestimmen, ob eine falsche Wahrnehmung von »senkrecht« vorliegt. Eine solche Störung kann bei Gleichgewichtsstörungen im Gehirn bestehen und führt dann zu Fall­neigung und Sturzgefahr, die gezielt behandelt werden können. Topfit 1 / 2015 Thema aktuell Fotos: Klinikum der Universität München (Andreas Steeger) Video-Kopfimpulstest (EyeSeeCam) zum Nachweis einer Gleichgewichtsstörung im I­ nnenohr. Während der Patient einen Punkt fixiert, wird der Kopf wenige Grad nach links und rechts gedreht. Eine Videokamera zeichnet die Augenbewegungen auf. Inertialsensoren registrieren die Kopfbewegungen. Aus den Daten lässt sich die Funktion des Kopf-Auge-Reflexes berechnen. Es gibt jedoch auch Schwindelformen, die sich weniger eindeutig darstellen oder bei denen sich die Ursachen überschneiden bzw. gegenseitig ergänzen. Dann sind oft mehrere Fachdisziplinen involviert, um dem Schwindel auf die Spur zu kommen – eine Situation, die dazu führen kann, dass der Betroffene auch nach Monaten noch nicht die genauen Gründe für seinen Schwindel kennt und folglich auch nicht mit der adäquaten Therapie versorgt wird. Denn meist halten sich die Beschwerden nicht an die hergebrachten Fächergrenzen. So kann es passieren, dass sich z. B. der HNO-Arzt darauf beschränkt, eine Innenohr-Ursache des Schwindels auszuschließen, der Augenarzt kontrolliert, ob eine falsche Brille den Schwindel erklärt und der Neurologe einen Schlaganfall ausschließt. »Patienten, die zu uns in die interdisziplinäre Schwindelambulanz kommen, haben oft schon fünf, sechs verschiedene Ärzte aufgesucht und entsprechend viele Verdachtsdiagnosen gehört«, erläutert Prof. Klaus Jahn, Neurologe am Deutschen Schwindel- und Gleichgewichtszentrum Großhadern der Universität München mit seiner interdisziplinären Schwindelambulanz. »Interdisziplinär« bedeutet, dass sich Neurologen, HNO- und Augenärzte, Kardiologen und Psychologen gemeinsam auf die Suche nach den Ursachen des Schwindels begeben; hierfür steht ihnen die gesamte Palette der modernen diagnostischen Möglichkeiten zur Verfügung – bis hin zur Kernspintomographie oder der Video-Oku- lographie, die wichtige Informationen über die Funktion des Gleichgewichtsorgans und über eine eventuelle Beteiligung des Gehirns an der Schwindelsymptomatik liefert. Wie wird diagnostiziert? Auf der Suche nach der Ursache geben die Angaben des Patienten zur Krankengeschichte und die Ergebnisse der körperlichen Untersuchung bereits wichtige Hinweise. Mit gezielten Fragen, etwa nach Art, Dauer, Auslöser und Begleit­ beschwerden des Schwindels, kann bereits in 70 Prozent der Fälle eine Verdachtsdiagnose ermittelt werden. Zusätzliche Tests helfen, ein Defizit zu dokumentieren und die Verdachtsdiagnose zu bestätigen. So kann die Gleichgewichtsfunktion im Innenohr z.B. durch videodokumentierte Kopfdrehtests und Wasserspülung im Gehörgang geprüft werden. Zur Prüfung der Gleichgewichtsfunktion im Gehirn eignet sich die Aufzeichnung der Augen- und Kopfbewegungen mithilfe der Video-Okulographie. Auch 5 der phobische Schwankschwindel lässt sich durch Messung der Körperschwankungen beim Stehen objektivieren, weil Patienten mit Angstschwindel dann die Muskeln stark anspannen und ein bestimmtes Schwankmuster zeigen. Ist die Ursache bekannt, gibt es heute eine Reihe bewährter Therapiemaßnahmen, mit denen Schwindelpatienten effektiv geholfen werden kann, etwa mit Medikamenten und Physiotherapie und/oder mit einer Verhaltenstherapie. Aber auch Eigeninitiative ist gefragt. So bekommen z. B. Patienten mit einem benignen Lagerungsschwindel die Schwindelattacken gut in den Griff, wenn sie regelmäßig Lagerungsübungen durchführen. »Erfreulicherweise werden die meisten Patienten ihre Beschwerden wieder los. Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist allerdings eine korrekte Diagnose, die auch mit dem Patienten besprochen werden muss, um der Entwicklung eines sekundären, psychischen Schwindels vorzubeugen«, erklärt Prof. Jahn. Anlaufstelle in München: Schwindelambulanz der LMU Das Deutsche Schwindel- und Gleichgewichtszen­ trum der Ludwig-Maximilians-Universität am Campus Großhadern ist ein integriertes Forschungsund Behandlungszentrum für Schwindel, Gleichgewichts- und Augenbewegungsstörungen, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des IFB-Programms gefördert wird. Anlaufstelle für die Patienten ist die interdisziplinäre Schwindelambulanz: Hier werden alle Schwindelpatienten untersucht und behandelt, die bereits verschiedene Fachärzte konsultiert haben, dort jedoch an Grenzen gestoßen sind. Wer in der Schwindelambulanz einen Termin vereinbaren möchte, benötigt eine Überweisung durch einen Neurologen, HNO-Arzt oder Augenarzt. Nähere Infos: https://www.klinikum.uni-muenchen. de/Deutsches-Schwindelzentrum-IFB-LMU/de Fundierte Ausbildungen in München bei der SMS Internationale Gesellschaft für Chinesische Medizin e.V. Fortlaufende, wöchentliche Abend- / Wochenendkurse in Qigong und Taiji (Chinesische Bewegungstherapie) für Anfänger und Fortgeschrittene. Nächster Kursbeginn: 21.4.15 Sommerwoche im idyllischen Chiemgau: 16. bis 21.8.15 Chinesische Lebenspflege Qigong, chinesische Ernährungslehre, Tuina (Selbstmassage) Weitere Informationen / individuelle Beratung / alle Kursprogramme: Internationale Gesellschaft für Chinesische Medizin e. V. (SMS) Tel. 089-75 90 57 85 Fax 089-75 90 57 86 [email protected] www.tcm.edu Topfit 1 / 2015