Editorial

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© 2012 Newsletter Lehrstuhl Soziologie, Sozialpolitik und Sozialarbeit Bd 11: 3-4
Editorial
Monica BUDOWSKI und Michael NOLLERT
Gesellschaften ohne soziale Differenzen sind kaum vorstellbar. Von daher überrascht
es nicht, dass soziale Differenzen eine wichtige Rolle in der Lehre und Forschung des
Bereichs Soziologie, Sozialpolitik und Soziarbeit spielen. Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass nicht alle Differenzen von gleicher Relevanz sind. So sind z.B. Hautfarbe,
Geschlecht oder Religion erst dann von soziologischem Interesse, wenn diese Differenzen Ausgangspunkt von ungleicher Behandlung und ungleichem Zugang von Ressourcen sind und somit zu soziale Ungleichheiten werden. Deshalb ist auch immer
damit zu rechnen, dass gewisse Gruppen in einer Gesellschaft versuchen, ihre Privilegien auf der Basis von Differenzen zu legitimieren, während – vice versa – benachteiligte Gruppen versuchen, ungleichheitsstiftende Differenzen zu eliminieren. Der vorliegende Newsletter dokumentiert das Spektrum von Differenzen, die derzeit Gegenstand von Forschungsprojekten sind, die unser Studienbereich bearbeitet.
In einem einführenden Beitrag weist Ivo Staub einerseits auf den Unterschied zwischen Differenzen im Sinne von Ungleichartigkeiten (horizontale Ungleichheiten)
und im Sinne von Ungleichwertigkeiten (vertikale Ungleichheiten) hin. Andererseits
illustriert er am Beispiel der Konzepte der sozialen Schliessung und Ausbeutung, wie
Gruppen auf der Grundlage von staatlich garantierten Differenzen ihre Privilegien
absichern. Michael Nollert setzt sich danach kritisch mit der Frage auseinander, ob
kulturelle Differenzen die soziale Kohäsion gefährden oder als gesellschaftliche Bereicherung wirken.
Robin Tillmann resümiert Resultate seiner Dissertation „Vers une société sans
classes“ in der er sich kritisch mit der These der Auflösung der Klassengesellschaft
auseinandersetzt. Anhand einer umfassenden Sozialstrukturanalyse der Schweizer
Gesellschaft im Zeitraum zwischen 1970 und 2008 – der ersten empirischen Untersuchung zur langfristigen Veränderung sozialer Klassen dieser Art für die Schweiz –
kann die Studie zeigen, dass die Klassenstrukturen zwar im Zeitverlauf fluktuieren
und sich verändern, jedoch ohne eindeutige Richtung, so dass nicht von einer systematischen Schwächung oder gar einer Auflösung von sozialen Klassen gesprochen
werden kann.
Stefan Kutzner betont in seinem Beitrag vorab die Differenzen, die soziale Ungleichheiten begründen, wobei er darauf hinweist, dass die Sozialpolitik zum einen
beansprucht, materielle Ungleichheiten zu verringern, und zum andern darauf hinwirken soll, dass sich die Bedeutung milieubedingter Habitusausprägungen bei der
Verteilung von Ressourcen verringert.
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MONICA BUDOWSKI UND MICHAEL NOLLERT
Marina Richter weist auf die wissenschaftlichen Herausforderungen des nicht zuletzt durch Migration bedingten Pluralitäts- und Komplexitätszuwachses moderner
Gesellschaften hin. Amir Sheikhzadegan folgt mit einem Überblick über die Multikulturalimus-Debatte und gelangt dabei zu ernüchternden Schlussfolgerungen.
Der Beitrag von Michele Amacker, Monica Budowski und Sebastian Schief dokumentiert die Ergebnisse eines Nationalfonds-Projekts, das auf prekäre Lebensverhältnisse in der Schweiz und Chile fokussiert. Gefragt wird, ob und wie sich Gelegenheitsstrukturen von Wohlfahrtsregimen in Haushaltsstrategien im Umgang mit Prekarität
widerspiegeln.
Ein weiterer Schwerpunkt im Bereich sind Geschlechterdifferenzen. Der Beitrag
von Ruedi Epple weist am Beispiel des Aufstiegs der antifeministischen Bewegung in
der Schweiz nach, dass jederzeit damit zu rechnen ist, dass sich horizontale Differenzen (wieder) in vertikale transformieren. Gleichstellung ist auch Thema des Beitrags
von Sebastian Schief. So zeigt sich, dass trotz Gleichstellungsartikel in der schweizerischen Bundesverfassung Frauen und Männer nach wie vor unterschiedliche Ausbildungsgänge wählen. So sind – und das betrifft nicht zuletzt auch unseren Bereich –
die Männer in den Sozial- und Pflegeberufen nach wie vor stark untervertreten.
Abschliessend möchten wir noch darauf hinweisen, dass unser Studienbereich
auch für die Publikationsreihe "Differenzen" verantwortlich ist. Nach zwei Bänden
mit Schwerpunkt "Soziale Ungerechtigkeiten" (2008) und "Soziale Ungleichheiten"
(2010) ist der dritte Band "Delinquenz und Bestrafung. Diskurse, Institutionen und
Strukturen" (Herausgeber: Monica Budowski, Michael Nollert, Chris Young) vor einigen Wochen beim Seismo-Verlag erschienen. Der vierte Band "Private Macht im
Wohlfahrtsstaat. Akteure und Institutionen" steht kurz vor der Publikation.
Wir wünschen eine interessante und inspirierende Lektüre.
Monica Budowski und Michael Nollert
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