Von Diversität und Ungleichheiten

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VON DIVERSITÄT UND UNGLEICHHEITEN EINE STANDORTBESTIMMUNG
THEORETISCHER KONZEPTE
PROF. DR. INGRID JUNGWIRTH
INHALT
1.  Diversität, Differenzen und Ungleichheiten
2.  Ein Modell von Diversitätsdimensionen: Fragen aus
der Perspektive sozialer Theorien
3.  Diversität und Ungleichheit als Figurationen
4.  Zusammenfassung
1. DIVERSITÄT, DIFFERENZEN UND
UNGLEICHHEITEN
§  Soziologie sozialer Ungleichheit
§  Differenzen: individuelle Unterschiede
§  Soziale Ungleichheiten: systematische Unterschiede im
Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen (Solga/Berger/
Powell 2009: 16 ff.)
§  Eindeutige Abgrenzung nicht immer möglich
Wordpress.org: „Rosa Parks Takes Action: December 1st 1955“.
DIVERSITÄT, DIFFERENZEN UND UNGLEICHHEITEN
§  Diversity/Gleichstellungspolitik
§  Diversity/Diversität im Sinne von Wertschätzung von
Unterschieden aufgrund der (sozialen) Herkunft
•  Gleichstellungspolitik und –recht: Prinzip der
Chancengleichheit unabhängig von der sozialen Herkunft
à Normatives Konzept als Orientierungsmaßstab
à Bezieht sich auf soziale Ungleichheit, nicht auf individuelle
Unterschiede
DIVERSITÄT, DIFFERENZEN UND UNGLEICHHEITEN
§  In Organisationen: funktionale Differenzen
§  als legitime Form von Ungleichheiten in hochdifferenzierten
Gesellschaften
§  „inequality regimes“ in Organisationen (Acker 2006:
443): „loosely interrelated practices, actions and meanings
that result and maintain class, gender and racial inequalities
within particular organizations“
§  Funktionale Differenzen und soziale Ungleichheiten
aufgrund der Herkunft stehen häufig in Wechselbeziehung
in Organisatonen: “Hierarchies are often gendered and
racialized” (ebd.: 450)
2. EIN MODELL VON DIVERSITÄTSDIMENSIONEN:
FRAGEN AUS DER PERSPEKTIVE
SOZIALER THEORIEN
§  Diversity/Diversität: als umfassendes und offenes
Konzept
§  Diversity Studies sollen demnach verschiedene disziplinäre
Perspektiven integrieren (z. B. Krell/Riedmüller/Sieben/Vinz
2007; Vertovec 2015)
§  Diversity als umfassendes Konzept für verschiedene
Formen sozialer Ungleichheit
§  Diversity wird in Zusammenhang mit Intersektionalität und
einer Mehrebenenanalyse thematisiert (z. B. Krell et al.
2007; Hanappi-Egger 2012; Faist 2015)
§  In der anwendungsorientierten Fachliteratur wird häufig auf ein
Modell von Diversitätsdimensionen zurückgegriffen, auf das
ich im Folgenden näher eingehen möchte
Wordpress.org: „Rosa Parks Takes Action: December 1st 1955“.
Abb. 1: Modell von Diversitätsdimensionen
Quelle: Edition
Stifterverband
(2012: 15)
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EIN MODELL VON DIVERSITÄTSDIMENSIONEN: FRAGEN AUS
DER PERSPEKTIVE SOZIALER THEORIEN
§  Aus der Perspektive der Soziologie sozialer Theorien
möchte ich mit Bezug zu diesem Modell folgende
Fragen aufwerfen
Ø  Worauf bezieht sich die geschichtete Anordnung der
Diversitätsdimensionen?
Ø  Manche Dimensionen gehören demnach zum inneren Kern
einer Person: ‚demographischen Kerndimensionen‘ – sind
andere dagegen äußerlich?
Ø  Offenbar steht ‚Kern‘ für den Körper und Unterschiede wie
Geschlecht und Ethnie oder Alter
EIN MODELL VON DIVERSITÄTSDIMENSIONEN: FRAGEN AUS
DER PERSPEKTIVE SOZIALER THEORIEN
Ø  Soziale Theorien: diese Art von Unterschieden, die sich
auf den Körper beziehen, werden nur aufgrund der
zugeschriebenen Bedeutung sozial relevant (West/
Zimmerman 1987; Bourdieu 1987; Berger/Luckmann
1966)
•  Infragestellung der Vorstellung von sex als ‚innerem Kern‘
und gender als ‚äußerer‘, gewissermaßen ‚nur‘
angelernter Hülle
•  ‚sex‘ ebenfalls von Objekt von sozialen und kulturellen
Konstruktionen (Butler 1993)
EIN MODELL VON DIVERSITÄTSDIMENSIONEN: FRAGEN AUS
DER PERSPEKTIVE SOZIALER THEORIEN
Ø  Soziale Ungleichheitstheorien: Habitus als
‚strukturierende und strukturierte Struktur‘, als
inkorporierte Struktur (Bourdieu 1987)
• 
• 
Habitus erlernt und gleichzeitig einverleibt
Objektive Strukturen werden so auch zu subjektiven
Strukturen
EIN MODELL VON DIVERSITÄTSDIMENSIONEN: FRAGEN AUS
DER PERSPEKTIVE SOZIALER THEORIEN
Ø  Inwiefern ist die Persönlichkeit ein innerer Kern? Ist die
Persönlichkeit nicht sozial hervorgebracht? Bzw. ist sie
außerhalb von sozialer Prozessen, durch die Bedeutungen
hervorgebracht werden?
•  Goffmans soziale Theorie/Dramaturgie (1959; 1980): die Persönlichkeit
ist das, was wir in mühevoller und alltäglicher Arbeit hervorbringen,
indem wir situationsabhängige und situationsangemessene Eindrücke
von unserem Selbst herstellen.
Ø  Inwiefern ist die Qualifikation, die berufliche Kompetenz und
andere Kompetenzen, die in der Arbeitswelt oder in
Bildungsinstitutionen erworben werden, nur auf einer äußeren
Schicht (externe demographische Dimensionen) verortet?
•  Empirische Studien zu Frauen in MINT-Fächern:
Ausgrenzungserfahrungen aufgrund von Verhalten bzw. aufgrund der
Zuschreibung von Geschlecht, das als abweichend im technischen Feld
wahrgenommen wird (Cockburn 1988; Wolffram/Derboven/Winker 2009;
Jungwirth/Wolffram (Hrsg.) 2016)
EIN MODELL VON DIVERSITÄTSDIMENSIONEN: FRAGEN AUS
DER PERSPEKTIVE SOZIALER THEORIEN
à Unterschiedliche Theorietraditionen: Verhältnis zwischen
Körper und Sozialem komplexer
à Meine These ist, dass diese Art von Diversitätsmodellen
theoretisch unterkomplex sind
-  Vorstellung vom Individuum als getrennt von Gesellschaft und
gesellschaftlichen Bezügen
-  Stattdessen: soziale Akteurinnen und Akteure
à Meine These ist, dass diese Modelle nur unzureichend Macht
einbeziehen:
-  Verhältnisse zwischen den sozialen Akteurinnen und Akteuren als
Machtverhältnisse
3. DIVERSITÄT UND UNGLEICHHEIT ALS
FIGURATIONEN
§  Das dargestellte Modell von den
Diversitätsdimensionen scheint die Kennzeichen
eines „Grundschema[s] eines egozentrischen
Gesellschaftsbildes“ (Elias 2004: 10) zu erfüllen
§  Damit geht das Konzept eines „homo clausus“ einher
(ebd.: 156): die Idee, dass die Gesellschaft außerhalb
des Individuums und umgekehrt das Individuum
außerhalb der Gesellschaft existiere
§  Individuum wird als Zustand statt als Prozess
begriffen (ebd.)
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Abb. 2: Elias‘ ‚Grundschema des egozentrischen
Gesellschaftsbildes‘
Quelle: Elias (2004): S. 10
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DIVERSITÄT UND UNGLEICHHEIT
ALS FIGURATIONEN
§  Dem stellt Elias das Konzept der „Figuration interdependenter
Individuen“ (2004: 10)
§  Demnach sind wir als Einzelne immer gleichzeitig Teil von
mehreren größeren Zusammenhängen und als solche in
Relationen zueinander: „Verflechtungsmodell“ (ebd.: 173 ff.)
§  Diese Relationen (‚Valenzen‘) sind Machtbeziehungen:
„fluktuierende Machtbalancen“ (ebd.: 174)
§  Wir stehen als soziale Akteurinnen und Akteure in sozialen
Beziehungen zu anderen, woraus Figurationen als
„Verflechtungen von Handlungen Einzelner“ und daraus
wiederum „Verflechtungsstrukturen“ entstehen (ebd.)
à Prozesscharakter sozialer Strukturen
à Konzept vom Individuum als soziale Akteurin und sozialer
Akteur, die durch ihre Verhältnisse zu anderen definiert sind
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Abb. 2: Elias‘ Konzept der Figuration als ‚interdependente
Individuen‘
Quelle: Elias (2004): S. 11
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DIVERSITÄT UND UNGLEICHHEIT
ALS FIGURATIONEN
Diversität und Ungleichheit in Organisationen im
Anschluss an Elias‘ theoretischen Ansatz
Ø Individuum als soziale Akteurin und Akteur, die in
vielfachen Austauschbeziehungen zu anderen sind
Ø Fokus wäre auf dem Prozesscharakter dieser
Handlungsverflechtungen
Ø Gleichzeitig sind diese Beziehungen
Machtbeziehungen aufgrund unserer Zugehörigkeit
zu bestimmten sozialen Gruppen und Funktionen
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4. ZUSAMMENFASSUNG
§  Zielsetzung meines Vortrags war es, sich mit der
Konzeption von Diversität in der Diversitätsforschung näher
zu befassen
§  Meine These ist, dass das Konzept von Diversität
insbesondere ein normatives Ideal ist, das auf der
analytischen Ebene durch Theorien und theoretische
Ansätze sozialer Ungleichheit ergänzt werden sollte
§  Ich habe vorgeschlagen, diversitätsbezogene Prozesse in
Organisationen als soziale Prozesse zu analysieren:
Elias‘ Konzept der Figurationen kann dafür eine Grundlage
bilden, mit dem wir der Komplexität von Ungleichheit in
Organisationen gerecht werden
§  Demgegenüber ist ein Modell von Diversität und
Diversitätsdimensionen, das auf einem ‚egozentrischen
Gesellschaftsmodell‘ basiert, problematisch
ZUSAMMENFASSUNG
Fragen? Kommentare? Ideen?
KONTAKT
[email protected]
www.hochschule-rhein-waal. de/en/academicstudies/specialty-fields/society-and-economics/
genderstudies.html
QUELLEN BILDER
§  Crosswaterjob: „Consulting Days Recruiting-Event am
25./26. November in Köln: Angehende Berater lernen
an zwei Tagen sieben Consulting-Unternehmen
kennen“ (4.10.2010). Erhältlich unter: <http://
crosswater-job-guide.com/archives/10863>
[09.01.2014]
§  Wordpress.org: „Rosa Parks Takes Action: December
1st 1955“. (1.12.2010). Erhältlich unter: <http://
throughalensdarkly.wordpress.com/2010/12/01/rosaparks-takes-action/> [09-01-2014]
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