In: Hradil, Stefan: Soziale Ungleichheit in Deutschland. Opladen 2001, S.64-94 Zusammenfassung von: 3.2 Neuere Theorien sozialer Ungleichheit Daniela Crescenzi Ältere Theorien sind zu abstrakt, neuere hingegen konkreter und die Ansprüche bescheidener, sie versuchen nur bestimmte Ausschnitte sozialer Ungleichheit zu erklären. Ursachen der sozialen Ungleichheit werden grösstenteils auf ökonomische Begebenheiten wie z.b. berufliche Stellung zurückgeführt. Theorien sind nur durch den historischen Hintergrund verständlich: Karl Marx Klassentheorie mit Kapitalbildungsprozesse und Industrialisierung Max Webers Typologie mit Wilhelminischem Deutschland Funktionalistische Schichtungstheorie mit Hintergrund der US-am. Leistungsgesellschaft neue sozio-ökonomische Theorien der 70er durch die neue Ausdifferenzierung der Erwerbstätigkeiten, Dienstleistungen etc. Neuere marxistische Klassentheorien Mittelklasse spielt bei Marx keine wesentliche Rolle. Neu wird ausdifferenziert eine neue „Klasse“ eingeführt. Wright geht davon aus, dass Klassenverhältnisse auf Ausbeutung (Produktionsbesitz, Organisationsmacht, Qualifikation) beruhen und stellt ein Klassenmodell mit 12 Klassen unterschieden in Ausbeuter und Ausgebeutete und Besitz bzw. Nichtbesitz der Produktionsmittel, auf. Wright hat die Grundannahmen von Marx Differenziert, Pluralisiert und Individualisiert, dafür fehlen bei ihm Erklärungen über Ausbeutungs- und Bereicherungsprozesse, welche von Marx beschrieben sind. Regulationstheorie und Post-Fordismus-Theorie Regulationstheorie ist eine marxistisch ausgerichtete Erklärungsrichtung. Also nicht ausschliesslich ökonomische Gegebenheiten sind Ursachen der soz. Ungleichheit, sondern Veränderungen im politischem und sozialem Handeln. Die Regulationstheorie unterscheidet zwei historische Phasen: Fordismus & „Post-Fordismus“ Fordismus ist gekennzeichnet durch den ständigen Produktivitätsvfortschritt (Ausbau sozialer Sicherheitssysteme, Massenkonsum ständige Lohnerhöhung) auch Taylorismus genannt Massenarbeitslosigkeit, öffentliche Verschuldung, ökologische Zerstörung, wachsende Armut, Verelendung der Dritten Welt signalisiert ein Scheitern des Fordismus. Regulationstheoretiker sehen die kapitalistische Gesellschaft in einer globalen Neustrukturierung (Produktions- und Kommunikationsformen, Flexibilisierung, Deregulierung, Senkung der Lohnkosten, Ausdifferenzierung etc.) Postfordismus-Theorie ist die konkrete Ausformung dieser Regulationstheorie. Es wird versucht strukturund handlungstheoretisch zugleich zu argumentieren. Neuere nichtmarxistische Klassentheorien Beschränken sich nicht auf ökonomische Ursachen zu begründen. Ein Zusammenschluss von Marx und Max Weber indem sie auch schichtungssoziologische und ökonomische Marktstellungen einbeziehen. Geiger unterscheidet Bevölkerungsteile und lagetypische Mentalitäten. Ralf Dahrendorf stellte die nichtmarxistische Klassentheorie im Zusammenhang mit einer allgemeinen soziologischen Konflikttheorie. Herrschaftsstrukturen sind nicht allein mit Produktionsmittelbesitz erklärbar sondern müssen pluralistisch angesehen werden. Ungleichheit entsteht nach Dahrendorf durch NORMEN!! Normen werden durch Sanktionen verschafft. Sanktionen sind Belohnungen für normgerechtes oder Bestrafungen für abweichendes Verhalten. (71f) Diese These ist aber erklärungsbedürftig, da er nichts über die Entstehung gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse aussagt. Arbeitsmarkttheorien Humankapitaltheorie: Qualifikationen der Arbeitenden: Bildung und Ausbildung als Form des Kapitals. Hierin zu investieren, haben sowohl Unternehmen als auch die einzelnen Arbeitenden Interesse (74). Offen bleibt hier: wieso qualifikationsgleiche Arbeitende in unterschiedlichen Branchen & Unternehmen häufig ungleich entlohnt werden (75). -1- In: Hradil, Stefan: Soziale Ungleichheit in Deutschland. Opladen 2001, S.64-94 Zusammenfassung von: 3.2 Neuere Theorien sozialer Ungleichheit Daniela Crescenzi Arbeitsmarktsegmentation: Konzept vom zweigeteilten Arbeitsmarkt eben segmentierte Arbeitsmärkte. >> berufsfachlichen Segment (Qualifikation der Arbeitskraft ist überall gebraucht) und >> betrieblichem Segment (typisch innerbetriebliche Karriere der Arbeitskraft, da nur spezifische Qualifikation) >> Jedermannsarbeitsmarkt (wenig qualifizierte jederzeit austauschbare Arbeitskräfte (Frauenberufe, Ausländer, Ungelernte..)) Mechanismen die zu diesen Segementbildungen führen: >> Entwicklung einer Wirtschaftsstruktur >> Strategien der Unternehmen (loyale und qualifizierte Stammbelegschaft heranzuziehen) >> Möglichkeiten der Existenzsicherung ausserhalb der Erwerbstätigkeit Alternativrollen Nebenerwerb. Theorien vom Ende der Arbeitsgesellschaft Erwerbsarbeit ist nicht mehr nur Lebenserhaltung, sondern entwickelt sich zum Selbstzweck, zum Lebenssinn der Menschen zum Zentrum gesellschaftlicher Beziehungen. Das war nicht immer so und ist erst zu Beginn der Neuzeit wieder verstärkt zu erkennen. (Antike und Mittelalter war Erwerbsarbeit ein Übel). Vor diesem Hintergrund erwartet André Gorz, dass eine Elite von ständig vollbeschäftigten Arbeitern entsteht und auf der anderen Seite eine Masse an Arbeitslosen und Unqualifizierten (78) Bevorzugte und Benachteiligte. nach Dahrendorf Besitzende und hochgebildete Bürger sind zu denen geworden, die noch arbeiten dürfen. An der Theorie vom „Ende der Arbeiterschaft“ bestehen Zweifel, da Arbeit (im Sinne Jedermannsarbeit) keineswegs ausgehen wird. 3.2.2 Neuere politische Theorien sozialer Ungleichheit Immer mehr forderte die Bevölkerung von staatlichen Stellen „Lebensqualität“. Wohlfahrtsstaatliche Instanzen erfüllten viele dieser Erwartungen und verbesserten so die Lebensbedingungen der Bevölkerung (80). Staatliche Stellen sollen keine Ungleichheit schaffen, sondern Disparitäten mildern. In neuerer Zeit hat sich eine Theorie herausgebildet, die die Entstehung der sozialen Ungleichheit in Bereich der Politik und Verwaltung richtet. Wohlfahrtsstaaten seien teuer und wirtschaftshemmend, ineffizient, demotivierend, freiheitsraubend. Die (Rational-Choice)Theorie kollektiven Handelns Gehen davon aus, dass Individuen rational handeln um den Nutzen zu maximieren. Handlungen bevorzugen, die ihren eigenen Zielen am meisten dienen. (81). Verbände, Gruppen etc bestimmen mit kollektiven Entscheidungen. Je grösser die Gruppe, umso weniger können die Mitglieder gleichermassen profitieren. Kleine Gruppen sind nach Olson Mancur viel durchsetzungsfähiger. Der Neo-Korporatismus Dieser Erklärungsansatz geht davon aus, dass wohlfahrtsstaatliche Stellen und grosse Interessenverbände mittlerweile zum gegenseitigen Nutzen zusammenwirken. Diese Erklärung besagt das Gegenteil von der Theorie des kollektiven Handelns: Neo-Korporatismus Grosse Gruppen setzen sich eher durch. „Versorgungsklassen“ Eine neue Art von Klasse entsteht. In Ergänzung an den Begriffen „Besitzklasse“ und „Erwerbsklasse“ von M. Weber steht „Versorgungsklasse“, diese hat die Bedeutung, dass die Gruppe gemeinsam äussere Lebenslagen gemeinsam haben: Wie zum Beispiel: Mutterschaft oder Rentner, Schüler Die „horizontale“ Disparität der Lebensbereiche Kapitalistisch demokratische Gesellschaften haben fundamentale Aufgaben zu lösen: >> Sicherung wirtschaftlicher Stabilität >> Vermeidung aussen- und innenpolitischer Krisen -2- In: Hradil, Stefan: Soziale Ungleichheit in Deutschland. Opladen 2001, S.64-94 Zusammenfassung von: 3.2 Neuere Theorien sozialer Ungleichheit Daniela Crescenzi >> Sicherung der Massenloyalität gegenüber der Regierung. Wenn die Regierung diese Aufgaben nicht lösen kann, dann wird sie nicht wieder gewählt. Deshalb wird Politik zur Krisenvermeidung. Die Disparitätenthese macht klar, warum und wie aus der Struktur demokratische organisierter Gesellschaften Strukturbedingungen staatlichen Handelns hervorgehen, die dazu führen, dass bestimmte Lebensbereiche besser bzw. weniger gut gefördert werden. Eine Theorie der „politischen Soziologie sozialer Ungleichheit“ Kreckel: Modell des ungleichheitsbegründenden Kräftefeldes (3 konzentrischer Kreise) Die drei abstrakten Kräfte (Verbände, neue soziale Bewegungen, Soziale strukturierte Bevölkerung) wirken jedoch nicht unmittelbar, sondern in Gestalt von Organisationen und Institutionen.(86) Kreckels Theorie verbindet sowohl Strukturbedingungen, als auch Handlungschance und Handlungsweisen von Akteure in Politik, Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Die Theorie benennt daher nicht einfach „Ursachen“ sondern macht deren Wirkungsweisen deutlich (88). Drei Typen moderner Wohlfahrtsstaaten -liberale (Schweiz, Australien, Kanada, Japan) Ungleichheit der Einkommen ist krass. -konservative (bewusste Bewahrung von Statusunterschied: Beamter und Angestellter, Arbeiter) Bsp. Frankreich, Österreich, Italien) -sozialdemokratische (Dänemark, Finnland, Niederlanden, Norwegen, Schweden) Ungleichheit der Einkommen ist relativ gering. 3.2.3 Neuere soziokulturelle Theorien sozialer Ungleichheit Die Habitus-Theorie Pierre Bourdieus Habitusthese: Ist soziolkulturell überzeugender und flexibler als Klassentheorie Ungleiche Verteilung von drei Ressourcen: ökonomisches Kapital, Bildungskapital, Soziales Kapital. Es entsteht neben einer vertikalen Klassenordnung eine horizontale zwischen Besitz, Bildung und sozialem Status. Habitusformen entstehen automatisch durch Denk-, Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster der Menschen die je nach Klassenordnung (vertikal/ horizontal) unterschiedliche Formen annimmt. Kritik: im Hinblick auf soziale Ungleichheiten sind Bourdieus Annahmen offenkundig überzogen: So unbewusst angeeignet, unausweichlich einstellungsprägend, zählebig, beharrend in allen Lebensbereichen verhaltensofrmend und für grosse Gruppen übereinstimmend sind klassenspezifische Habitusunterschiede nicht. (91) Ulrich Becks Individualisierungsthese Individualisierungsthese: Becks Gegenpol zu Bourdieus Habitusthese: Es bleibe dem einzelnen Gesellschaftsmitglied gar nichts anderes übrig als ihre Lebensführung selbst in die Hand zu nehmen. Dadurch, dass Klassengesellschaften mehr Wohlstand erreicht haben, seien die Ungleichheiten weniger spürbar (Beck) und die Subkulturelle Klassenbindungen und Klassenidentitäten lösen sich auf. Ein Prozess der Individualisierung setze ein. Die Chancen der Autonomie und die Gefahren der Anomie (Norm- und Orientierungslosigkeit) liegen hierbei nahe beieinander (92). Beck spricht von eine dreifachen Individualisierung: (93) >> Herauslösung aus dem historischen Sozialformen- und Bindungen >> Verlust von traditionalen Sicherheiten >> Neue Art der sozialen Einbindung Ulrich Becks Individualisierungsthese ist kontrovers diskutiert: Denn nach wie vor gibt es ungleiche Arbeitsbedingungen und Bildungschancen etc… Doch die Hoffnung auf Autonomie und Selbstverwirklichung trifft den Nerv vieler Menschen. Die Individualisierungsthese trifft auf gemischte Gefühle, mit denen heute viele Menschen dem Modernisierungsprozess entgegensehnen. -3-