1 Vorlesung Experimentalphysik I am 31.1. und 1.2.2000 J. Ihringer 5.5.3 Die mittlere freie Weglänge Der Weg, den die Teilchen eines Gases zwischen zwei Stößen zurücklegen, heißt mittlere freie Weglänge. Wird die freie Weglänge von der Größenordnung der Ausdehnung des Gefäßes, dann stoßen die Teilchen eines realen Gases nahezu nur noch an die Gefäßwände, aber nicht mehr untereinander. Damit ändert sich der Transport von Teilchen und Wärme. Das Gas fließt z. B. nicht mehr als kontinuierlicher Strom, der durch Druck beschleunigt oder abgesaugt werden kann, sondern es fliegen nur noch einzelne Teilchen. Um diese abzupumpen genügt es nicht mehr, eine Pumpe mit tieferem Druck bereitzustellen, sondern man kann nur noch die einzelnen, zufällig bis zur Pumpe gelangende Teilchen dort abfangen. Deshalb sollten die Durchmesser der Leitungen mindestens in der Größenordnung der freien Weglänge sein, damit die Teilchen ungehindert bis zur Pumpe gelangen, die dann quasi als Teilchenfalle arbeitet. Wenn sich die Teilchen kaum mehr treffen, dann wird Wärme zwischen zwei Körpern nicht mehr durch viele zwischenmolekulare Stöße übertragen, sondern nur noch dann, wenn ein Teilchen unmittelbar vom einen Körper zum anderen fliegt. Der Wärmetransport im Gas wird deshalb bei Drucken von etwa 10 −3 mbar vernachlässigbar klein. Die mittlere freie Weglänge ist groß für kleine Teilchen und kleine Dichten. x= Mittlere freie Weglänge als Funktion des Radius r der Teilchen und der Dichte n 1 4πr 2 n Tabelle 1 Die mittlere freie Weglänge Druck [mbar] 1013 0,13 Freie Weglänge [cm] 3 ⋅10 −5 0,15 1,3 ⋅ 10 −6 1,4 ⋅10 4 Anzahl der Stöße [1/s] 2 ⋅ 1010 3⋅ 10 5 3 Tabelle 2 Freie Weglängen und Anzahl der Stöße pro Sekunde zwischen den Teilchen in Abhängigkeit vom Druck Die Herleitung der freien Weglänge und der Anzahl der Stöße pro Zeit zwischen den Nachbarn steht in http://www.uni-tuebingen.de/uni/pki/skripten/V5_5A_Weglaenge.DOC. 5.5.4 Transportphänomene Diffusion, innere Reibung und Wärmeleitung sind mit dem Transport von Teilchen oder von Energie verknüpft. Der Fluss, das ist Geschwindigkeit des Transports, ist in allen drei Fällen proportional zu einem räumlichen Unterschied: Bei der Diffusion zum Unterschied in der Konzentration, bei der Viskosität zum Unterschied in den Geschwindigkeiten der Teilchen und bei der Wärmeleitung zum Unterschied in den Temperaturen. Ein Maß für die räumliche Änderung einer Größe ist deren Ableitung nach den Ortskoordinaten. Man nennt man diese Ableitung den Gradienten der entsprechenden Größe. 2 Diffusion Innere Reibung Wärmeleitung Bewegte Fläche A T + dT z T A dv dz dn dx Beschleunigtes Teilchen dT dx x Feststehende Fläche Transportgleichung: „Ficksches Gesetz“: dN dn = D⋅ A⋅ dt dx dN ist prodt portional zum Konzentrationsdn gradienten dx Der Teilchenfluß D~v~ T m Die Diffusionskonstante ist proportional zur mittleren Geschwindigkeit v der Teilchen und groß für: • Leichte Teilchen • Hohe Temperaturen dp dv =η ⋅ A⋅ dt dz dp dt auf alle Teilchen in einer Fläche (orange) ist proportional zum dv Geschwindigkeitsgradienten dz senkrecht zur Fläche Der Impulsübertrag pro Zeit η~ 1 ⋅ T ⋅m r2 Die Zähigkeit ist • unabhängig vom Druck und groß für: • Kleine Teilchen • Schwere Teilchen • Hohe Temperaturen dQ dT = λ ⋅ A⋅ dt dx dQ ist dT proportional zum Temperaturgradienten dT dx Der Wärmefluß λ~ 1 T ⋅ 2 m r Die Wärmeleitung ist • unabhängig vom Druck und groß für: • Kleine Teilchen • Leichte Teilchen • Hohe Temperaturen Tabelle 3 Transport in Gasen. Die Vektoren der Flüsse sind jeweils orange eingezeichnet, die Fläche sei immer A. 3 5.5.4.1 Diffusion Bei der Diffusion strömen Teilchen aufgrund eines Konzentrationsunterschiedes vermehrt von einem Behälter, dem mit höherer Konzentration, zum andern. Wenn die Konzentrationen in beiden Behältern gleich sind, dann ist der Teilchenstrom in beiden Richtungen gleich. Man findet als wichtiges Ergebnis, daß leichte Teilchen schneller diffundieren, weil ihre mittlere Geschwindigkeit höher ist. Versuch 1 Diffusion am 2-dim. Mechanischen Modell mit der Kugelbewegung Versuch 2 Diffusion von Wasserstoff durch einen Tontopf in ein Luftvolumen. An einen mit Luft gefüllten Tonzylinder wird von außen Wasserstoff zugeführt. 1. Wasserstoff diffundiert schneller hinein als die Luft hinaus: Im Zylinder steigt der Druck an. 2. Nach kurzer Zeit gleicht sich der Druck aus, nachdem die dem eingedrungenen Wasserstoff entsprechende Luftmenge aus dem Behälter hinaus diffundiert ist. 3. Dann wird die Gaszufuhr außen entfernt: Der Wasserstoff diffundiert schneller aus dem Behälter hinaus als die Luft hinein: Es entsteht kurzzeitig ein Unterdruck, der sich ausgleicht, nachdem genügend viel Luft in den Behälter hinein diffundiert ist. 1. 2. 3. Abbildung 1 Zum Versuch: Diffusion von Wasserstoff durch einen Tonzylinder 5.5.4.2 Innere Reibung bei Gasen Die Reibungskraft im Gas ist meßbar wenn sich z. B. zwei Ebenen relativ zueinander bewegen. Analog zum Bild der laminaren Strömung nimmt man an, daß sich die an die Ebenen angrenzenden Teilchen mit der Geschwindigkeit der jeweiligen Ebene bewegen. Auf dem Weg von einer Ebene zur andern werden die Teilchen des Gases zunehmend beschleunigt. Die dazu benötigte Kraft erscheint als Reibungskraft in einem viskosen Medium. Die Viskosität des Gases ist unabhängig vom Druck solang die freie Weglänge kleiner als der Abstand der bewegten Teile ist. Die Viskosität nimmt mit steigender Temperatur zu. Gase mit kleinen Teilchen sind zäher als solche mit großen Teilchen. Die Herleitung steht in http://www.unituebingen.de/uni/pki/skripten/V5_5A_Viskositaet.DOC. 4 Versuch 3 Viskose Kupplung im Gas. Ab 0,05 mbar wird die Scheibe mitgenommen, dann erst werden die freien Weglängen vergleichbar zu den Gefäßdimensionen. Für höhere Drucke bleibt sie konstant. Versuch 4 Die Größe der Flamme eines Gasbrenners zeigt die mit der Temperatur zunehmende Viskosität des Gases. 5.5.4.3 Wärmeleitung in Gasen Die treibende Kraft bei der Wärmeleitung ist der räumliche Unterschied in der Temperatur. Beim Ansatz für die Viskosität war der Impulsdifferenz an unterschiedlichen Orten die Ursache für die Reibungskraft. Bei der Wärmeleitung ist die Differenz zwischen den inneren Energien an unterschiedlichen Orten die Ursache für den Wärmestrom. Analog zur Herleitung der Viskosität folgt die Wärmeleitung. Sie ist hoch für kleine, leichte Teilchen und vom Druck unabhängig, solange die freie Weglänge kleiner als der Abstand der Flächen mit unterschiedlicher Temperatur ist. Bei kleineren Drucken, d. h. größeren freien Weglängen, nimmt die Wärmeleitung ab. In der Vakuumtechnik nützt man diesen Effekt, um Drucke bis minimal 10-3 mbar zu messen. Versuch 5 Zwei mit Wasserstoff und Luft isolierte Thermosgefäße stehen in einem Wasserbad. In beiden Gefäßen befindet sich Äther. Wird das Wasserbad erwärmt, dann verdampft im H 2 isolierten Gefäß mehr, wie eine das aufsteigende Gas verbrennende Flamme zeigt.