Kunsttherapie – und die Diagnostik der Störungen des Kindes-, Jugend- und jungen Erwachsenalters Karl-Heinz Menzen 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8 5.9 5.10 5.11 5.12 5.13 5.14 5.15 5.16 5.17 5.18 5.19 5.20 5.21 5.22 5.23 5.24 5.25 5.26 Früh abgelehnte, unerwünschte Kinder Frühe Schlaf-, Ess- und Ausscheidungsstörungen Sog. Schreibabys Verlassene Kinder, Trennungs-/Scheidungskinder Autistische Kinder und Jugendliche Entwicklungsverzögerte Kinder Mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche Kinder mit umschriebenen Entwicklungsstörungen Psychisch hospitalisierte Kinder und Jugendliche Mutistische Kinder Traumatisierte Kinder und Jugendliche Kindliche und jugendliche Belastungsstörungen Emotionale, körperlich sich auswirkende Störungen (1) Emotionale, körperlich sich auswirkende Störungen (2) Emotionale, körperlich sich auswirkende Störungen (3) Tics bei Kindern und Jugendlichen Aufmerksamkeits-/hyperaktiv gestörte Kinder/Jug. (ADHS) Affektive Störungen u. suizidale Handlungen bei Jugendlichen Störungen des kindlichen u. jugendlichen Sozialverhaltens Kindlich/jugendlich schizotypische Persönlichkeitsstörung Borderline-Störung bei Kindern und Jugendlichen Psychisch wirksamer Substanzenmißbrauch bei Kindern u. Jug. Unfall-/hirnverletzte Kinder und Jugendliche Psychiatrisch auffällige Kinder und Jugendliche Mehrfach behinderte junge Erwachsene Von Verwahrlosung bedrohte Erwachsene – Gemeinwesenarbeit ‚auf kunsttherapeutisch‘ Das Skript fusst auf dem Buch von K.-H. Menzen (2013): KT in der Sozialen Arbeit. Verlag Modernes Lernen (Beispiele, KT-Methoden und –Interventionen siehe dort) Die Bilder der psychosozialen Verstörung werden im Folgenden schematisch dargestellt (Schema 1-25). Persönlichkeitsstile und –störungen in einem bedürfnisorientierten Polaritätenraum Hypochondrisch zwangshaft auf sich focussiert depressiv Schema 1 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Früh abgelehnte, unerwünschte Kinder (ICD-10 V F93.0-9) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: Schlecht ausgebildetes Immunsystem mit neurobiologischen Langzeitfolgewirkungen (New Yorker Ak. d. Wiss., 1996). Neurosequentielle Störung (Bruce Perry). I. d. R. Stresshormonmangel (nach Cortisolanstieg u. -verbrauch) mit Gereiztheit-Müdigkeit-Verweigerung-Aggressivität. Disability/Einschränkung: Die taktil-kinästhetische u. propriozeptive Schwäche, die sich auf das gesamte Entwicklungsverhalten auswirkt, sucht die neurosequentielle Störung zu recherchieren Handicap/Behinderung: Störung von Beziehung, Hautkontakt und narzißtischem Selbstwert. In der weiteren Folge Stresshormon- u. Vitalstoffmangel, Anforderungsabwehr, Impulsdurchbrüche Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: überstarke Rückzugstendenzen aus Abwehr gegen Anforderung Kontextuale Faktoren: Psycho-soziale Ausschlüsse verhindern soziale Entwicklung. Psycho-soziale Konsequenzen: Das Kind wird in späteren Jahren seine unregulierten Affekte immer wieder neu auf hohem Niveau zu initiieren/zu organisieren versuchen Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Eine milieutherapeutische Berücksichtigung in den kunsttherapeutischen Gruppenangeboten konstelliert die systemischen Bezüge neu. Sorgsam genaue Rückmeldungen vermitteln ggfs. dem Kind seine Stärken und Schwächen. (Lit.: S. Wesely, Milieutherapie Bruno Bettelheims, 1986; B. Perry/M. Szalawitz, 2006)) Im Focus: Früh abgelehnte, unerwünschte Kinder Wir wollen uns in eine Situation versetzen, in der wir Dinge wie die Anderen um uns herum tun müssen, ohne jemals gelernt zu haben, was die da tun. Wir werden wohl experimentieren. In kleinen Schritten versuchen herauszufinden, was erwünscht, gestattet, mit Lob oder Ablehnung bedacht wird. In einer solchen Situation sind Kinder, die seit frühestem Lebensalter, ja schon da, wo sie einer Reflexion nicht mächtig waren, da auf dem Wickeltisch, da in dem kleinen Bettchen lagen, ohne Rückmeldung auskommen mussten. Wie kann so etwas geschehen. Bruce Perry und Maja Szalawitz beschreiben es in ihrem Buch „Der Junge, der wie ein Hund gehalten wurde“ (2006). Dieser Junge gelangte nach dem Tod seiner engsten Bezugspersonen in die Hände seines Onkels, eines Hundezüchters, wurde fortan gehalten wie ein Hund. Erst in der Kinderpsychiatrie, wo der schon Heranwachsende einkotend, beissend und knurrend landete, lernte er, regelmässig hochgenommen zu werden – er lernte Rhythmik. In dieser Klinik lernte er, dass jemand regelmässig nach ihm schaute. Ihm regelmässig zu essen gab, usw. Perry und Szalawitz (2008) entwickeln aus dieser buchstäblich grundlegenden Erfahrung ihre Methode, die der neurosequentiellen Entwicklung. Diese heisst: Was wir im Leben in den wichtigen Phasen unserer Entwicklung nicht lernen, müssen wir nachholen – oder wir werden nach so konkret ausfallender früher Ablehnung und Erfahrung von Unerwünschtheit zu Kindern, die entwicklungsgestört sind, die zuweilen sehr viel später eines Milieus bedürfen, das ihre ursprüngliche Störung erkennt und ihnen Hilfestellungen gibt, das noch nicht Erlernte nachzuholen – in dem obigen Fall: Rhythmik. Wie lernen wir Rhythmik? Was muss die künstlerisch geschulte, grundständig Ausgebildete wissen, wenn sie mit entsprechenden Kindern und ihren Müttern zusammenarbeitet? Welche Rhythmen des Lebens erfahren wir von früh auf? Antwort: Ein- und Ausatmen, Essen und Ausscheiden, Schlafen und Wachen, Anfang und Ende des Spielens usw., – wir sehen, es sind sehr existentielle Dinge, die unser psychovegetatives Nervensystem ohne Nachzudenken lernt. Also werden wir auf die Strukturen des Essens, Schlafens, Spiels, von Sport und Erholung neben den ersten kleinen Anforderungen achten, mit denen das Kind konfrontiert wird. Und wir werden solche zu lernende Tagesstruktur den Müttern und Vätern, die einbezogen werden, abfragen. Mit den Kindern werden wir spielen, auf die rituellen Anfänge, Höhepunkte und Enden der Rollenspiele achten, in unseren kunsttherapeutischen Angeboten immer die Zeitsequenzen im Auge behalten, die das kleine Kind verfolgen, durchhalten kann. Und wo wird die Kunsttherapeutin dieses tun? Da wo sie ihre Anstellung erhalten hat: In dem Mutter-Kind-Zentrum, in dem Frauenhaus, dort, wo über lange Zeiten gestresste Mütter mit ihren sekundärsymptomatisch geschädigten Kindern eine Bleibe finden, wo die kunsttherapeutisch nunmehr Angestellte sich fragt: Was ist das eigentliche Problem dieser Kinder, die ich in meiner Kleingruppe jetzt zu betreuen habe? Wie muss das Milieu meines alltäglichen Gruppenangebots aussehen, dass das Kind wie die von mir zeitweise einbezogene gestresste Mutter davon für ihr späteres Leben ausserhalb profitieren? Schema 2 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Frühe Schlaf-, Ess- und Ausscheidungsstörungen (ICD-10 V F98.0-3; F.30) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: Ein- und Durchschlafstörungen (Hypo-/Parasomnien), Pavor nocturnus (Aufschreien, Weinen, Jammern), psychovegetative Spannungszustände, Nahrungs-Ablehnung Disability/Einschränkung: sozial eingeschränktes, hilfebedürftiges Verhalten von Mutter u. Kind Handicap/Behinderung: schizotypisch-exentrisches Verhalten nach ungenügender Mutter-(Vater)-Kind-Bindung, körperlichen oder sexuellen Übergriffen, kindlich erlebtem Mobbing Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: unsichere/ instabile Bindung im sozialen Kontext, offenbar in Schlaf-, Ess- (Rumination/Auswürgen), Ausscheidungsstörungen (Enuresis/Einnässen, Enkopresis/Einkoten) Kontextuale Faktoren: erhebliche äussere Belastungen von Müttern und Vätern, pränatale Entwicklungsprobleme der Mütter (essgestört, suizidal gefährdet); Folge „Rumination“ (frühe Essstörung) Psycho-soziale Konsequenzen: Bes. Mütter wie Kinder bedürfen sicherer und stabiler Bindungs-Erfahrungen (Bilder) angesichts anhaltender Kindeswohlgefährdung (Lit.: Streeck-Fischer, 1997) Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Kunsttherapeutische Einzel- und Gruppenbetreuung der Mütter wie der Kinder im Mutter-Kind-Haus (Krabbelgruppe); Übungen: Achtsamkeit/Körpergefühl/ Sicherer Ort (über innere Bilder Lit.: Egbert Baum, 2011) Depression – und die verminderte Aktivität des Vorderhirns sowie die Überaktivität der Amygdala Gehirn & Geist 3, 2015, 57 • geringe Aktivität Schema 3 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Sog. Schreibabys und deren Mütter/Väter (ICD-10 V F.98) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: unbeantwortete oder verzögert beantwortete physische oder psycho-soziale Bedürfnismuster des kleinen Kindes (ErregungSpannung-Aufmerksamkeit-Rückzug) Disability/Einschränkung: die psychosozial anstehenden sich entwickelnden Funktionen werden verzögert angeregt, verpassen die sinnesplastisch erforderlichen Zeitstrukturen Handicap/Behinderung: Zusammenbruch aller sozialen Interaktionen Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: Das Kind bleibt von den sozialen Interaktionen ausgeschlossen. Und auch die Mutter erhält keine Bestätigung ihres vielleicht fürsorglichen Verhaltens. Kontextuale Faktoren: Die sich im sozialen Kontext repräsentierende innere Verfassung des Kindes bleibt unbeachtet, wird mitunter erst zeitverschoben oder garnicht wahrgenommen. Psycho-soziale Konsequenzen: Die Interaktionsangebote von Mutter oder Vater bleiben auch seiten des Kindes unbeantwortet und bewirken zirkulär den mütterlichen Rückzug (Papousek 1984). Die Soz.Päd.Fam.Helferin wird die misslingende Interaktion zu verdeutlichen haben. Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Video-Home-Training, das die Bilder der Mutter-Kind-Interaktion in deren Nichtentsprechungen analysiert und zu synchronisieren sucht (Literatur: Claudia König, Video-Home-Training, 1996) Schema 4 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Verlassene Kinder, Trennungs-/Scheidungskinder (ICD-10 V F.93.0-9) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: neurophysiologisch/vegetativ gespalten (übererregt ./. abgeschaltet)/ Nachweis biochemischer Dysbalance (Vitamine/Mineralien/ Folsäure: Albert Adam 2010) Disability/Einschränkung: anaklitische Depression/Affektentzug (R. Spitz) mit zuweilen traumatischen Folgeerscheinungen; zunächst schuldhaft-depressive, dann verlassen-traurige Haltung Handicap/Behinderung: dissoziative d.h. zerrissene, sich widersprechende Verhaltensweisen ; empfänglich für kurzlebige stressüberdeckende stimmungaufhellende sog. coole Situationen Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: biophysiol./psycho-/sozioneurotische Schädigungen (psychisch depressiv/aggressiv; psychovegetative Haut-, Magen-Darmerkrankungen) erschweren soziale Teilhabe Kontextuale Faktoren: angesichts mangelnder Kontaktbereitschaft der Erwachsenen umso verführender/verführbarer in den Peergroups Psycho-soziale Konsequenzen: das entlastend-ausgleichende sog. Trianguläre Objektbeziehungs-system steht nicht mehr zur Verfügung; Trennungsängste mit psychosomatischen Beschwerden sind die Folge Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Einzel- und Gruppenbetreuung von Trennungs-/Scheidungskindern mit bildnerischen Mitteln Literatur: K.-H. Menzen, Kids Problems, 1996, 131 f.; H. Figdor, Scheidungskinder - Hilfe, 2000 Regulationsstörung im Säuglingsalter Eine Regulationsstörung im Säuglingsalter (früher teilweise auch Dreimonatskoliken genannt) bezeichnet die außergewöhnliche Schwierigkeit eines Säuglings, sein Verhalten in einem, häufig aber in mehreren Interaktionsund regulativen Kontexten (Selbstberuhigung, Schreien, Schlafen, Füttern, Aufmerksamkeit) angemessen zu regulieren. Säuglingen und Kleinkindern ist es nur möglich, ihr Verhalten in der Interaktion zu regulieren, d. h. sie können dies nur im direkten Austausch mit ihren Eltern. Aus diesem Grund findet man Regulationsstörungen häufig zusammen mit Belastungen oder Störungen der frühen Eltern-KindBeziehungen. Schema 5 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Autistische Kinder und Jugendliche (ICD-10 V F.84.0, F.84.5) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: Eine genetische Schädigung der eindrucksgestaltlich organisierenden synaptischen Veszikelproteine (SVP) verantwortet eine informationelle Überflutung Disability/Einschränkung: Wahrnehmungs-, Gefühls- und Verhaltensmuster sind von Gestalt-Auflösungen geprägt Handicap/Behinderung: Im sozialen Kontext zeigt sich ein repetitives, den Kontext nicht interpretieren könnendes Verhalten, das sich musterartig wiederholt Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: soziale Teilhabe nur im Rahmen starr strukturierter Verhaltensabläufe Kontextuale Faktoren: Die Einschränkung reziproker sozialer Beziehungen verengt den kommunikativen Austausch, engt den Kontext ein, verantwortet stereotype Selbstschädigungen Psycho-soziale Konsequenzen: Zugunsten der nichtsprachlichen Kommunikation ist die Form der sprachlichen Kommunikation behindert; bei situativer Reizselektion Focussierung möglich. Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Angesichts der überflutenden Reizinformationsstörung ist nach angemessener situativer Reiz-Selektion die serielle Arbeit mit Bildern gut möglich. (Lit.: S. Schäfer, Mein Leben m. Autismus) Schema 6 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Entwicklungsverzögerte Kinder (vgl. ICD-10 V F.80.0-F.89; F.98.9) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: gestörte sensumotorische Muster Disability/Einschränkung: funktionelle Teilleistungs- und Wahrnehmungsstörungen (bes. visuell, akustisch, taktil, kinästhetisch, propriozeptiv, vestibulär, statuund handlungsmotorisch) Handicap/Behinderung: Die gestörten Wahrnehmungs- und Handlungsmuster (Dyspraxien) erschweren die soziale Anpassungs-, Kommunikations-, Kooperationserfordernis in der Gruppe Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: Schon im Kindergarten fällt das Kind in der Gruppe dadurch auf, dass es unkonzentriert, überreizt und aggressiv ist, wenig empathisch und zuweilen Kontakt abwehrend Kontextuale Faktoren: Da das Kind bes. in der Gruppe überfordert zu sein scheint, sollten hier klare Absprachen, Regeln, Rituale gelten. Psycho-soziale Konsequenzen: Die Sozial-/Heilpädagogin/Sozialarbeiterin sollte Gruppenspiele wählen, die der Reizempfindlichkeit/-aufnahmemöglichkeit des Kindes gerecht werden. Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Bewegungsorientiertes Malen nach Musik, sinnesorientierte Körper-Schattenrisse auf Boden oder Wand, kleine Rollengeschichten mit Tüchern helfen (vgl. Lit.: G. Weiss, Kinderpsychodrama) Schema 7 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche (ICD-10 V F.06-07; F.70-79; F.80-89) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: pränatal genetisch erworbene, z.T. chromosomal sich auswirkende oder postnatal durch Impf-Schädigung zugefügte Beeinträchtigungen, die informationell und sekundär die weitere geistige, psychische und körperliche Entwicklung beeinflussen Disability/Einschränkung: geistige Behinderung infolge z.B. Angelman- (betr. Geist/Sprache), Prader-Willi- (betr. Wuchs/Verhalten), Fragiles-X- (betr. Geist), Rett- (Sprache/Motorik) -Syndrom Handicap/Behinderung: Angesichts wie beim Rett-Syndrom autistischer, sprachreduzierter, motorisch-apraktischer Störungen schwerwiegende soziale Beeinträchtigung Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: Angesichts der Störungen der Informationsaufnahme und deren motorischen Umsetzung (Rett-/Fragiles-X-, Chorea-H.-S.) ist soziale Teilhabe kaum möglich. Kontextuale Faktoren: Die Mehrfachbehinderung (geistig-motorisch-handlungsorientiert) erfordert wie beim autistischen Kind vergleichbare selektiv-intensive Info-Gestalt-Vermittlung Psycho-soziale Konsequenzen: Angesichts der schweren Behinderung sollte gerade die weitere sozial-einschränkende Ausgrenung inklusionär verhindert und für Assistenz gesorgt werden. Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Bei Garantie einer persönlichen Assistenz, die über eine kunsttherapeutische Ausbildung verfügt, sind basal-ästhetische Angebote sinnvoll. (Menzen, 2009) Schema 8 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Kinder mit umschriebenen Entwicklungsstörungen (ICD-10 V F.80.0 ff.) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: Teilleistungsstörungen/-schwächen (eh. MCD, MBD, POS) mit z.T. unsicherer Ätiologie Disability/Einschränkung: Sprech- (Poltern), expressive u. rezeptive Sprach(Aphasie), Artikula-tions- (Babysprache), Sprechfluss- (Stottern), Lese-Rechtschreibe- (LRS), Rechen- (Dys-/Akalkulie) Störungen Handicap/Behinderung: Störung der verbalen, gestischen, körperhaften Kommunikation, in der Folge gravierende Beziehungsstörungen mit Gleichaltrigen (Hänseleien, Mobbing) Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: Die soziale Teilhabe ist ebenso wie die schulische und/ oder vorberufliche Leistung beeinträchtigt; begleitend Beziehungs- und emotionale Befindlichkeitsstörungen. Kontextuale Faktoren: Da Sprachverstehen u. –produktion wie Artikulation, Visuo- und Senso-motorik miteinander verschaltet sind, besteht ein Risiko für eine dissoziale Symptomatik. Psycho-soziale Konsequenzen: In allen Fällen ist sekundärsymptomatisch eine Selbstwertstärkung angesagt. Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Übungsbehandlungen mit bildnerischen Mitteln im Falle sensomotorischer Beeinträchtigung, selbstwert- und –bewusstseinsorientierte, nicht nur prozessorientierte bildnerische Ausdrucksübungen. Schema 9 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Psychisch hospitalisierte Kinder und Jugendliche (ICD-10 V F.40-48) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: i.d.R. repetitiv-bewegungsauffälliges, körperhaft-selbstdestruktives, in den frühesten psychovegetativen Bedürfnissen auffälliges Verhalten (Apathie - Ritzen) Disability/Einschränkung: Der H., auch psychisches Deprivationssyndrom (lat. deprivare -berauben), äussert sich nach fehlender oder inkonstanter Zuwendung („anaklitisches Syndrom“, griech. anaklisis – Zuneigung, R. Spitz) in einer Art destruktiver Selbst-Zuwendung Handicap/Behinderung: Die „Hospital- oder Heimschäden“ der Betroffenen weisen in Apathie und Aggressivität auf grundlegende Versorgungs- und Bindungsstörungen frühester Provenienz Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: Da die sog. Selbst-Bilder (-Repräsentanzen) schlecht ausgebildet sind, fallen auch die Fremd-Bilder, die sozialen Bezüge chaotischaggressiv aus. Kontextuale Faktoren: Weniger autoritär-zwangshafte Sozial- und Gruppenstrukturen als kurz-lebige animatorische Peergruppen-Situationen geben dem haltlosen Selbstbild Sicherheit Psycho-soziale Konsequenzen: Angesichts der Stressbiografie, folglich Energiemangels des Gehirns (ATP) u. Reiz- u. Impulskontrollstörung, sind angesagt: strukturierte erlebnispädagogische. Offerten Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Gruppen-Farb-Interaktionen mit hohem Erlebnisgehalt (Musik/Rap, Graffitos, Performances). Im Focus: Psychisch hospitalisierte Kinder und Jugendliche Sie hat ihre Stelle in diesem Kinder- und Jugendheim angetreten. Offenbar ist der Alltag, das alltägliche Prozedere sehr streng, wird strikt gehandhabt. An die frühen Zeiten muss sie sich noch gewöhnen. Sie hat garnicht daran gedacht, dass die Kinder hier beschult werden. Nun sitzen diese in der kleinen 5er Gruppe um sie herum. Mittagessen, Freizeit, jetzt diese Gruppe, ja wie soll sie sie beschreiben: eine Gruppe gereizter, enttäuschter, gelangweilter, alle Anforderung abwehrender, zuweilen impulsdurchbrüchiger Kids, die sich mal verweigern, mal aggressiv-trotzig sind, dann kämpfend, bis sie nur noch depressiv vorzufinden sind. Dann sind sie deutlicher erkennbar als die, die man gewöhnlich nicht in ihnen sieht: Kinder mit burn-out-Syndrom, die ihre Realität nolens volens verkennen, müde sind, erschöpft – bis dass eine Situation sie fürs Blödeln, fürs uncool-sein in den Augen der Anderen anfällig macht. Dann sind sie für kurzlebige Stimmungen empfänglich, überdecken ihren Stress, heben die Stimmung der Anderen, sind die Grössten auf der Welt. Albert Adam, ehemaliger Leiter eines Offenburger Kinderheims, hat darauf aufmerksam gemacht. (vgl. auch: Adam, Breithaupt-Peters 2010) Und das sind auch die Erfahrungen des hier Schreibenden. Als meine Gruppe von Künstlerstudenten in jenem Sommer die Gruppe der ca. 14-16 jährigen um sich hat, mit ihnen kunsttherapeutisch tätig sein will, sehen sie nur in antriebsschwache, müde, unzufriedene, gelangweilte Gesichter. Da wissen sie/wusste ich auch noch nicht, was hinter dem Profil des hier notwendig allgemein beschriebenen Jugendlichen steckt: ein Stress-Hormon-Mangel, wie Adam auf einer Tagung seines Heims 2011 sagt, der zunächst als ein riesiger Anstieg des Stresshormons Cortisol infolge von riesigerscheinenden psychischen Belastungen daherkam, dann aber sich schnell verbrauchte – bis zur Erschöpfung und zu besagtem Mangel jenes Hormons, das wir/sie doch für die alltägliche Stressbewältigung brauchen. Die Gruppe der Jugendlichen, in diesem Wiener Heim, ist durchaus mit anderen, die ich kenne, vergleichbar. Wir schlagen vor, das und jenes, keinen Bock auf nichts. Was sollen wir tun? Einer meiner Studenten greift zu den Pigmentfarben, die sie vorbereitet haben. Verteilt sie in Plastiksäckchen, rot-blau-grün-gelb-schwarz. Dann geht es los. Ganz schnell ist die Entscheidung für einen Blödsinn gefallen: Sie streichen den Donaukanal mit den Farben ein, jene dicken, schweren Basaltblöcke an den Rändern. Das ist zwei Stunden später passiert. Farbig liegt der Kanal jetzt da. Und alle sind beglückt, machen sich auf den Heimweg. Wie schon paraphrasiert: An Überflutung von Reizen ist bei ihnen kein Mangel. Im Heim angekommen, ist auch kein Halten mehr. Die Stimmung ist blendend, buchstäblich realitätsausblendend. Schnell wird eine Leinwand ausgerollt. Der Bluster auf kaum aushaltbare Höchststärke getrimmt, der Overheadprojektor davorgestellt. Und dann tanzt Emmi, die sie, die Jungs, die jetzt so brav erscheinen, an manchen Tagen für 50 Euro hinter einer Bude an einen männlichen Touristen verhökern, am Ende das Geld teilen. Jetzt tanzt Emmi, anzuschauen, wunderschön. Wirft ihre Schattenrisse auf die Leinwand. Die Jungs hingerissen. War da nicht ein Gerede von „Energiemangel im Gehirn“? Sprachen wir nicht von völlig erschöpften, müden, gereizten Heranwachsenden? – Ein Nachmittag mit hospitalisierten Jugendlichen, und mit Kunsttherapie im schönen Wien. In einem Heim, das auf die Kunsttherapeutin, die sich etwas einfallen lässt, wartet. Schema 10 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Mutistische Kinder (ICD-10 V F.94.0) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: Bekannt bei ca. 1,5 % aller Kinder, weisen mutistische Kinder Störungen der Sprechfunktionen bis zu deren Verstummen auf. Disability/Einschränkung: Schon im Vorschulalter nach traumatischen Belastungen die sprachliche Kommunikation total oder elektiv (ausgesuchter Personenkreis) einstellend. Handicap/Behinderung: Leise, kurz, wenig oder garnicht sprechend – so signalisieren sie einen sozialen Rückzug vor der bedrohlich erlebten Belastung (Übergriffe, Mißbrauch, Trennungserlebnisse) Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: Soziale Teilhabe ist zuweilen auf Einzelpersonen beschränkt, was die Einzelförderung empfiehlt, genauer die Suche nach Auslöser und Ablauf des Verhaltensschemas. Kontextuale Faktoren: Personen im unmittelbaren Kontext sind oft als Ursache der schwer wiegenden regressiven Verhaltensschemas anzusehen. Psycho-soziale Konsequenzen: Es liegt nahe, den unmittelbar betroffenen familiären und schulischen Personenkreis ins Gespräch einzubeziehen. Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Bei Akzeptanz der Regression und der Möglichkeit der nichtsprachlichen Kommunikation empfiehlt sich die avokale, bildnerisch thematisch-freie Aufarbeitung, die spielerisch die Ebenen wechselt. (Lit.: Menzen, 2009) und Im Focus: Kunsttherapeutische Arbeit mit einem mutistischen Jungen Aufgewachsen in einem behüteten Elternhaus. Schon mit sieben Jahren auffällig. ‚Schon‘ – oder erst? Seine Eltern gehen mit ihm in die Ambulanz. Die für Kinder, die noch nicht sprechen. Da ist viel Wissen, aber auch, in diesem Fall, allzuviel Ratlosigkeit. Die Praktikantin sieht zu. Damals liegt ihr Praktikum relativ kurz vor Ende des Studiums. Sie hat – wie an manchen Hochschulen des Sozialwesens üblich – sich für eine Zusatzqualifikation namens Kunsttherapie entschieden. Sie ahnt, hier könnte ein, da avokal – nicht averbal, wie viele der Kunsttherapie nachsagen -, Ansatz für die Behandlung des Jungen sein. Doch der, Manuel, und seine Mutter sind frustriert, sind bald in der Ambulanz nicht mehr zusehen. Zwei Jahre später. Unsere eh. Praktikantin ist in ihrer vierjährigen Zusatzqualifikation weit fortgeschritten. Braucht dringend als Nachweis noch ein Praktikum, das nunmehr kunsttherapeutisch sein soll. Erinnert sich. Ruft mit Erlaubnis der Ambulanz die Familie an. Erhält begeisterten Zuspruch. Und ist sehr bald mit Manuel allein. So langsam lüften sich die Geheimnisse des Hintergrunds. Sie erlebt die Streitereien der Eltern. Sie erlebt, wie belastend, offenbar traumatisierend dies für den Jungen ist. Immer wenn der Streit auf dem Höhepunkt, hat er seine Methode – und die kennt, zumindest generell, auch die Profession: Wo allzugrosse Belastung ist – im Mutismus steht diese an der Spitze des Rankings -, zieht sich der Junge zurück. Er greift zu seinen kleinen Autos, die über ihm, auf dem Bord über seinem Bett da stehen. Und dann spielt er völlig selbstvergessen, spielt und spielt, bis alles wieder ruhig ist. Warum soll sie, unsere Praktikantin, diese Methode nicht verlängern? Ich als Supervisor, rate ihr, sich ins Spielen einzuklinken. Und das tut sie – mit dem Rat, ab und zu es mal per Zusammenstoss krachen zu lassen. Tatsächlich gelingt der Coup: Nach den Autocrashs auf dem Papier, auf ihm fein liniert die Strassen seines Ortes, malen beide die gerade erlebte Szene. So der Rat: wechsele die Ebene, geh‘ vom Spiel in das Malen. Nutze das, was gerade da ist als Bild. Und dann malt er sich, liegend im Krankenwagen. Das DRK-Auto holt ihn gerade ab. Und dann bringt er tatsächlich Sätze aus sich heraus. Zögernd, zaudernd, unsere Praktikantin erfährt von seinem Leiden. Das ist der Beginn, wo es mühsam, langsam, nach dreiviertel Jahren nicht unbedingt immer vorzeigbar – aber aufwärts geht. Schema 11 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Traumatisierte Kinder und Jugendliche (ICD-10 V F.60-69) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: Neuronale Reizüberflutung, die nicht verarbeitet werden kann; nach physischer/psychischer Ablehnung, Übergriff, Mißbrauch, Unfall-/Krankheits-/Kriegserfahrung Disability/Einschränkung: Während die psychovegetativen Funktionen garantiert bleiben, werden die entsprechende Reizaufnahme, Erinnerung, Narrativ, Handlungsaktivierung abgeschaltet Handicap/Behinderung: Angesichts einer generalisierten Abwehr gegen alle im Zusammenhang stehenden Reize (Trigger) werden Rückzugsverhalten oder aber Aggressionen vermerkt. Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: Apathische Teilnahmslosigkeit wechselt mit aggressiven, explosions-artigen Aus- und Impulsdurchbrüchen, die unerklärt bleiben (weil biochemisch unabgeklärt) Kontextuale Faktoren: Die Kontextfaktoren des Lebens bleiben so lange eine Gefahr, wie die Ursache des überflutenden Ereignisses nicht geklärt und ihres Einflusses beraubt ist. Psycho-soziale Konsequenzen: Die Sicherheit und Stabilität des psycho-sozialen Umfeldes ist zu garantieren. Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Das erschütterte Selbst-Bild muss in Stabilisierungsübungen körper- und bildhaft erlebt werden. (Lit.: Luise Reddemann) Zusammenfassung Broca-Arreal Areale, die in traumatischen Situationen interagieren oder aber ihre Verbindung einstellen. rote Linie: Areale bleiben aktiviert • der Hippocampus fährt seine gedächtnisanimierende Tätigkeit herunter • der Cinguläre Cortex storniert seine Gefühls-Handlungs (frontaler Cortex)-Vermittlung • die Amygdala bleibt infolge ihrer Informationen in höchstem Masse erregt • der Hypothalamus und die Hypophyse regulieren die Ausschüttung der Stresshormone • das Broca-Arreal schaltet sich ab und legt kein „Narrativ“ (Erzähl-Kontext) an Schema 12 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Kindliche und jugendliche Belastungsstörungen (ICD-10 V F.43) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: kaum zu ertragene, das psychovegetative System und den kommunikativ geforderten Umgang herausfordernde Stressmuster angesichts von Stresshormonmangel Disability/Einschränkung: Störungen infolge intrafamiliärer Belastungen (Mangel an Wärme, körperliche Mißhandlung, sexueller Mißbrauch) wie inadäquater intrafamiliärer Kommunikation Handicap/Behinderung: Störungen infolge einer abnormen unmittelbaren Umgebung (Erziehung in einer Institution) und chronisch zwischenmenschlicher Belastungen (Schule oder Arbeit) Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: Da die psychophysiologische wie psychische Belastungsgrenze über-schritten ist, werden Rückzugsmuster oder aber dissoziative Abwehrreaktionen vermerkt. Kontextuale Faktoren: Milieutherapeutisch hat die begleitende Maßnahme für entspannungs-, stabilisierungsorientierte und stressfreie Situationen zu sorgen. Psycho-soziale Konsequenzen: Stabilisierung angesichts belastender Lebensereignisse (Verlust einer Beziehung, negativ veränderte familiäre Beziehungen, Herabsetzung der Selbstachtung) Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Kunsttherapeutisch angeregte Stabilisierungs- u. Stressbewältigungsübungen (Themen: sicherer Ort, Tier als Helfer/ innere Helfer, inneres Team, innerer Garten, etc.) (Lit.: Luise Reddemann) Schema 13 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Emotionale, körperlich sich auswirkende Störungen (1) () ICD-10 V F.93.0-9) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: Trennungs-, Kontakt-, Fremden-, Schulängste, auch mit Zwängen und sprunghaften (dissoziativen) Handlungen (z.B. Weglaufen), auch somatoform (panisch-körperhaft: Kopf- u. Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen) Disability/Einschränkung: Zwar sind es nur ca. 3 % der ca. 17 % auffälligen Jugendlichen, aber die phobischen, panischen, hypochondrischen Angstattacken sind gravierend, schwer deutbar Handicap/Behinderung: Verweigerung der staatlich einverlangten Schulpflicht wird z.B. in ihrer dissoziativen Form, die Trennungsangst (Schulphobie) wird zu wenig familiensystemisch erkannt Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: Trennungs- und Vermeidungsängste betreffen direkt das soziale Gesamt (Familie, Schule), verlangen eine systemische Betrachtensweise (Ausschluss: andere Erkrankung) Kontextuale Faktoren: Durchaus begründete antisoziale Tendenzen stossen bei gleichaltrigen Adoleszenten oft auf Akzeptanz, verstärken das Delinquenzrisiko (Lit.: Petermann u.a., 1998) Psycho-soziale Konsequenzen: Das beeinträchtigte, oft gruppenverstärkte Vermeidungsverhalten erfordert seinerseits eine positive Verstärkung/ Attraktion des familialen, schulischen Netzwerkes Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Jugendkulturelle Projekte, die bes. das schulische Netzwerk/den Klassenverband attraktiv machen; Familienskulptur mithilfe der kunsttherap. ausgeb. SPFHlerin Schema 14 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Emotionale, körperlich sich auswirkende Störungen (2) (ICD-10 V F.50.0-8) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: Essstörungen (Anorexia, Bulimia Nervosa, Adipositas) sind Körper-Schema-Störungen mit 14-18 Jahren, die Wahrnehmungs-/ Perzeptionsstörungen implizieren. Disability/Einschränkung: Die affektive Instabilität generiert salutogenetisch eine Identitäts-Suche, die sich im Vergleich zur Gleichaltrigengruppe m.E. modisch-ästhetisch definiert. Handicap/Behinderung: Die veränderte Perzeption (Geist & Gehirn 3, 2004, 22) kreiert Veränderungen des Selbstwertgefühls, das gegen einen Kontrollverlust die körperliche Selbstverfügung setzt. Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: Selbstinduziertes Erbrechen, Einnahme von Abführmitteln, körperliche Höchstleistung, aber auch endokrine Störungen isolieren die Betreffenden zunehmend. Kontextuale Faktoren: Zwischen sozialer Bewunderung und individueller Verkennung des eigenen Zustands – das soziale Beziehungsgefüge ist motivational krankheitsmitverursachend Psycho-soziale Konsequenzen: Die salutogenetisch nicht unterzuminierende Identitätssuche darf die Mortalitätsgefahr (5 %; Lit.: Möller-Laux-Deister) nicht unterschätzen, sucht Kooperation. Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Bildnerisch-plastische u. –visuelle Selbst-Bild-Arbeit (bildnerische SchemaTherapie) Magersüchtige leiden unter haptischen und Körperempfindungsstörungen Im Test: Verzerrte Wahrnehmung nach Ertasten von Reliefs Die Frau fasziniert mich und stösst mich gleichzeitig ab. Sie ist furchtbar dick ... Sie scheint sich trotz ihres Fettes nicht unwohl zu fühlen“ Pat. 19 J. Störung der zeichnerischen Reproduktionen aufgrund von Störungen des rechten Parietallappens – und entsprechend Körperwahrnehmungsstörungen Die entsprechenden Hirnareale sind gestört Geist & Gehirn 3, 2004, 22 Schema 15 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Emotionale, körperlich sich auswirkende Störungen (3) (ICD V F.94/98; F.43.20-24) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: Selbstschädigendes und -verletzendes Verhalten infolge früher Störungen, beispielsweise von Traumatisierung, akuter und posttraumatischer Belastung Disability/Einschränkung: Die Belastungsstörung PTBS geht i.d.R. mit einer Anpassungsstörung einher (depressives, angstvolles, gefühlsbeeinträchtigtes Sozialverhalten) Handicap/Behinderung: Das selbstverletzendes Verhalten induziert gegen den Stresshormon-Mangel (Cortisolverbrauch infolge ständiger Anforderung) beruhigende Endorphine (Oxytozine) Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: Gefühl sozialen Ausschlusses mit Tendenz, die Verletzung zu signalisieren Kontextuale Faktoren: Belastendes Ereignis, individuelle Verletzbarkeit, bestehende erschwerte Persönlichkeitserfahrungen und soziale Interaktion Psycho-soziale Konsequenzen: Die Aufklärung über die Vulnerabilitäts-Auslöser erarbeitet systemisch die Ursache, klärt die Auslösesituation und zielt auf ein stabiles soziales Netzwerk Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Die künstlerischen Angebote sind zwar fähig zu stabilisieren und Selbstwertgefühle zu vermitteln; sie kommen aber nicht aus ohne starke Reizimpulse, die die Betreffenden in Spannungsmomenten sich selbst setzen. Kunsttherapeutisch istes möglch, diese Impulse mit Bildern zu koppeln. Schema 16 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Tics bei Kindern und Jugendlichen (ICD-10 V F.95) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung:plötzliche, sich wiederholende einfache/komplexe motorische oder vokale Störungen (am bekanntesten: Tourette) bei 5-15 % aller Kinder zwischen 7 und 18 Jahren Disability/Einschränkung: motorische Tics: Blinzeln, Gesichtszucken, Hüpfen; vokale Tics: Räuspern, Grunzen – gehäuft unter Spannung und spez. Familiärer Belastung Handicap/Behinderung: Die plötzlich einschiessenden, unter Spannung sich verstärkenden sinnlosen Bewegungen oder Laute behindern die kindliche/ jugendliche Kommunikation. Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: In den sozialen Belastungssituationen eher auftretend, sind sie oft mit gleichermassen zwanghaften Phänomenen gepaart. Kontextuale Faktoren: Gesichert ist die familiäre Häufung von Tic-Erkrankungen, Einschränkungen des Kindes und darauf antwortende Durchbrüche fallen auf. Psycho-soziale Konsequenzen: Einerseits ist das Neurotransmitter-System gestört, andererseits bedarf es der Entlastung im systemischen Zusammenhang. Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Stressmindernde, entspannende Einzel- und/oder Gruppen-Bildarbeit, die zum einen die stressigen Spannungsmomente ins Bild setzt, zum anderen diese stressmindernd-bildbetrachtend entspannt. Schema 17 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Aufmerksamkeits- und hyperaktiv gestörte Kinder und Jugendliche (ADHS) (ICD-10 V F.90.1-8) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: genetisch-neurobiologisch (synapt. Veszikelproteine), stresshormon-induzierte (Cortisolmangel) oder bindungsstörungs-verursachte Verhaltensauffälligkeit Disability/Einschränkung: Bei hoher Ablenkbarkeit steter Wechsel der Tätigkeit, Ruhelosigkeit, Aufmerksamkeitsrichtungsstörungen Handicap/Behinderung: Stimmungsschwankungen, Angstlosigkeit und Distanzstörung in sozialen Beziehungen sowie Überschreiten sozialer Regeln behindern normale Interaktion Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: individuelle und soziale Teilhabe infolge von Reizüberflutung, Energiemangel des Gehirns (ATP), Impulskontrollverlust und Erfahrungsschema-Unsicherheit gestört Kontextuale Faktoren: Angesichts biochemisch: molekularmedizinischer Befunde (A. Adam 2011) und sozial: ggfs der elterlichen ADHS-Betroffenheit ist eindeutige Interaktion erschwert Psycho-soziale Konsequenzen: Die Abkoppelung aus sozialen Prozessen erschwert den Bildungs- und Erziehungsprozess; erfordert den Aufbau angemessener Selbststeuerungsmechanismen. Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Kunsttherapeutische Gruppenangebote an die Kinder (wie parallel an die Eltern) zeigen, dass ein focussiert konzentratives Verhalten zu erlernen möglich ist. (Lit.: Brigitte Umbach-Woborny, 2003) Schema 18 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Affektive Störungen und suizidale Handlungen bei Jugendlichen (ICD-10 V F.30-39) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: Störungen von Antrieb, Spontaneität, vegetativen (Schlafbedürfnis, Appetit, Libido) und sozialen Funktionen, zuweilen auch des formalen/inhaltlichen Denkens Disability/Einschränkung: Veränderung der Stimmung oder der Affektivität bei ca. 12 % entweder zur Depression – mit Suizidgefahr (1 % gefährdet) - oder zur gehobenen Stimmung (bipolar) neigenden Heranwachsenden Handicap/Behinderung: einerseits Phase von Hemmungs-/ImpulskontrollVerlust, gesteigerter sozialer Aktivität – andererseits von unersichtlicher Traurigkeit, Inhaltslosigkeit, Todeswünschen Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: Angesichts des neuronal-präfrontalen Abbaus planerischexekutiver zugunsten emotionaler Hirnverschaltungen in der Adoleszenz spielen Isolations- wie vermehrt aggrandisierende, d.h. stark machende Gruppierungstendenzen eine Rolle. Kontextuale Faktoren: Individuell-erzieherische Massnahmen treten gegenüber gruppenorientierten Massnahmen zurück. Bands, Gangs, Peergruppen-Einflüsse /-Initiativen sind vorrangig. Psycho-soziale Konsequenzen: Einbeziehung u. Umstrukturierung des Um-/ Erlebnisfeldes Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Therapeutische Einzelsettings sollten hinter gruppenorientierte Erlebnisangebote zurücktreten. Schema 19 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Störungen des kindlichen u. jugendlichen Sozialverhaltens (ICD-10 V F.91.0-9) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: Ungünstige persönlichkeitskonstituierende soziale, familiäre, schulische und vorberufliche Faktoren wirken sich kumulativ sozialdestruktiv aus Disability/Einschränkung: Nach dem Auftretensalter sind zu nennen: Tierquälerei (5-6 J.), Vandalismus (6-7 J.), Schulverweigerung (8-9 J.), Weglaufen (10 J.), sexuelle Übergriffe (12 J.), - hohes Risiko bei männl. Jugendlichen (Lit.: Hinshaw 1993/ Petermann et al. 1998, 260) Handicap/Behinderung: Über 50% zeigen von frühester Kindheit bis zum Erwachsenenalter stabile Störmuster; zeigen Schul-/Leistungs-/Eigentums-/ Drogenprobleme; werden oft straffällig Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: Da gehäuft in der Kombination von hoher psychischer Belastung (ADHS) und neurotischer Delinquenz (wenig Impulskontrolle; Gewalt) auftretend, gehäuft Dissozialität Kontextuale Faktoren: Da sich als antisozial artikulierend, ist der Erwerb neuer oder modifi-zierter Persönlichkeitsskills (Kommunik.-/soziale Skill-Training) angebracht (Lit.: Luiselli 1991) Psycho-soziale Konsequenzen: Externaliserendes Verhalten (Wut, Schuld, Ärger), das die Inter-vention eher drängt, die fehlenden sozialen Skills im Gruppenzusammenhang zu trainieren Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Erlebnispädagogische, sehr strukturiert angeleitete jugendkulturelle Ausdrucksmöglichkeiten mit bildner. Mitteln (z.B. Graffitis, Musikperformance-Tanz/RapProjekte, DJ-Fortbildung u.a.m.) Schema 20 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Kindlich/jugendlich schizotypische Persönlichkeitsstörung (ICD-10 V F.21) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: Eine Störung mit exzentrischem Verhalten und Anomalien des Denkens und der Stimmung bei Tendenz zu sozialem Rückzug (Ausbildung einer Sozialphobie), Grübeln, Körpergefühlsstörungen, dysmorphophoben, sexuellen oder aggressiven Gedanken Disability/Einschränkung: Ein magisches, fast paranoides Selbst- und Weltbild grenzt sich von allen (sub-)kulturellen Bezügen aus, bringt sich unansprechbar in eine sonderliche Position. Handicap/Behinderung: Als Opfer von Vernachlässigung (Hospitalismus), körperlichen Übergriffen, sexuellem Mißbrauch, schulischem- oder peergruppenMobbing starke Isolationstendenzen Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: eher zurückgezogen-introvertiert, emotional zurückgenommen, cool … Kontextuale Faktoren: Der unmittelbare Kontext, der familiäre Rahmen, die schulische Umgebung, die Peergruppe werden als bedrohlich erfahren, erlebt. Ein Rückzugsort wird gesucht. Psycho-soziale Konsequenzen: Psychosozial ist ein Rückzug an den PC/das Internet/in Foren wie „Second Life“ derzeit zu beobachten. 2,4 % der Jugendlichen gelten 9/2011 als internetsüchtig. Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Eine Begleitung der „neuen Krankheit“ (M. Dyckmanns/BMfGesu) muss sich auf die Interaktion in und über den virtuellen Raum einlassen. (vgl. Second-LifeAngebot der Freiburger Diözese) Schema 21 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Borderline-Störung bei Kindern und Jugendlichen (ICD-10 V F.60.3) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: Degeneration von Amygdala (Gefühlsanalyse) und Hippocampus (Erinnerungsspeicher) (Lit.: Bohus, Heller, Kolk 2004) wie bei PTBS-Patienten mit selbstverletzendem Verhalten Disability/Einschränkung: emotional instabil-schwankend, in den Selbst- und Fremdbildern unklar (Repräsentanzen), unbeständig beziehungs-motivational, tendentiell selbstdestruktiv Handicap/Behinderung: Durch intensive unangenehme Gefühle, wie Scham, Ärger und Angst , gleichzeitig hoher Sensibilität, gefühls-defizitär und damit individuell wie sozial beeinträchtigt Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: Die sowohl gegen sich selbst gerichteten Aggressionen (z. B. SVV und Suizidversuche) als auch Fremdaggressionen (z. B. Wutausbrüche oder Gewalt) bei verminderter serotonerger (= neurobiologisch ausgleichender) Gesamtaktivität stören die soziale Interaktion. Kontextuale Faktoren: Wenn nicht in sozialem Protestzusammenhang gratifiziert und grenzüberschreitend, sind sie eher unsicher-vermeidend und ängstlich in ihren Beziehungsmustern. Psycho-soziale Konsequenzen: Eine hohe emotionale Sensibilität, auch eine grosse Stimmungslabilität en (ausgeprägtes cholinerges System) machen den Betroffenen beziehungsschwierig. Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Bild-, video- und rollenorientierte Geschichten sollen einen Zugang zu nicht austarierten Emotionen wie Beziehungsverhältnissen vermitteln und müssen nacherlebt und reflektiert werden. (Menzen, 1999; Müller, 2011) Für Borderline-Patienten ist Schematherapie konzipiert Den Anstoß für die Elaboration des Moduskonzepts gab die Tatsache, dass Dr. Young sich zunehmend auf die Behandlung von Patienten mit Borderlinepersönlichkeitsstörungen konzentrierte, deren rasche Stimmungswechsel die Therapie häufig erschweren. Für sie werden z.B. fünf übliche Modi postuliert: das verletzliche Kind, das ärgerliche Kind, der distanzierte Beschützer, der Modus des strafenden Elternteils und der gesunde Erwachsenen Modus. Die Struktur der Stunde wird dem vorherrschenden Modus angepasst, für jeden Modus wurden spezielle Interventionstechniken erarbeitet und empfohlen, die das Verständnis und die Zusammenarbeit erleichtern. Im Focus: Kunsttherapeutische Arbeit mit einem Jungen mit Borderline-Syndrom Er wird geboren, als seine Eltern mit dem Flugzeug auf dem Berliner Flughafen gelandet sind. Da liegt jener Hoffnungsträger, der das Leiden der Eltern, des Vaters im Militärgefängnis der Milizen, der Mutter im Kampf ums tägliche Brot, endlich beendet. Da liegt er, der so lang erwünscht, jetzt über alles geliebt wird. Aber das wird sich bald ändern. Die Migrationspolitik jener deutschen Großstadt sieht nämlich vor, dass sich die vier der Flüchtlingsfamilie, es werden in wenigen Jahren elf Familienmitglieder sein, in einem Blechcontainer, kaum zumutbar, zusammenquetschen muss. Das soll hier nicht diskutiert sein. Aber der Umstand, dass Khalil sich kaum bewegen, kriechen, krabbeln darf. Nur ja nicht laut sein, heisst die innerfamiläre Parole. Nur ja nicht auffallen. Und so geht ein Prozedere los, das zwischen Gewähren und Strafen, in-den-Arm-Nehmen und Schlagen pendelt. Jussuf wird, wie alle Borderliner davon ähnlich berichten, kaum wissen, ob man ihn mag oder nicht. Das geht über Jahre. Ich bekomme Zugang zu ihm, als seine Familie sich meldet. Erfahre schnell, was Sache ist. Habe bald Kontakt zu ihm, weiss mich in der Unterstützung des Studierenden im Praktikum sicher. Dieser geht wunderbar auf ihn ein. Bringt ihn dazu, trotz seiner Übermüdung, spielerischen Langeweile, Schläfrigkeit, dennoch Coolness, zu einem Projekt zu bewegen. Dieses ist künstlerisch-therapeutisch konzipiert. Khalil will Alladin, jenen Geist aus der Flasche, an die Wand der Caritas-Bibliothek malen. Was nach Monaten von Verspätungen, des Verschlafenseins, nicht-gehaltener Versprechen, dennoch gelingt. Und dann ist da jener Tag, wo die Caritas-MitarbeiterInnen um ihn herum stehen. Er hat sich an die Wand gemalt, sitzend, fast schon liegend in den Armen jenes grossen Geistes. Ist es nicht das, was er uns, was er allen sagen will? Ihr müsst mich nur sehen in dem, was ich bin. Einer, der gehalten werden will. Einer, der mal so mal so behandelt wurde. Einer der nie lernen durfte, wer er wirklich ist. Wie sollen denn die sog. Selbstbilder in ihm entstanden sein, wenn mal dies mal jenes belohnt, bestraft wurde? Er sagt uns im Bild: Schaut her, das bin ich. Selbstverliebt ins Bild, so steht er da, so habe ich ihn im Bild festgehalten. Das kunsttherapeutische Projekt, es hat es ihm möglich gemacht, sich endlich zu präsentieren – seine sog. Selbst-Repräsentanz. Schema 22 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Psychisch wirksamer Substanzenmißbrauch bei Kinder und Jugendlichen (ICD-10 V F.10-19) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: Alkohol, Opioide, Cannabinoide, Speed/Sedativa, Kokain/Crack, Haluzinogene, Tabak, Lösungsmittel, multiple psychotrope Substanzen wirken unterschiedlich. Disability/Einschränkung: Euphorisierend, antriebssteigernd, enthemmend, gleichgültig und interessenslos machend, mitunter verwahrlosend – wirken sie funktional je unterschiedlich. Handicap/Behinderung: Sozial eher stimulierend (Speed) oder aber sozial isolierend (LSD) – sie beziehen sich reaktiv wesentlich auf erfahrene Formen von Beziehung und Sozialität. Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: Mitunter die einzige Form sozialer Teilhabe (Speed, Marijuana, Ecstasy), können sie Zugänge eröffnen, aber auch verschliessen (Lösungsmittel, LSD) Kontextuale Faktoren: Schwierige, neurologisch erklärbare Adoleszenzphasen (vgl. Synapsen-Reduktion ab 12. Lj.) eröffnen mittels der Droge zuweilen individuell-kollektive Lösungsmuster. Psycho-soziale Konsequenzen: In einer Gruppe per Droge integriert – oder aber ausgeschlossen, Drogen können dissoziale Haltung demonstrieren oder als sozial per Enthaltung manifestieren. Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Der Weg aus der schulischen/familialen Leistungs-/Anforderungs-/AnspannungsSituation kann in kunsttherapeutischen Projekten nachempfunden/-konstelliert, je anders eingeübt werden. (Lit. Menzen 2009) Im Focus: Kunsttherapeutische Arbeit mit den inneren Bildern einer Substanzen mißbrauchenden Jugendlichen – Gegenübertragungen einer Ausbildungsgruppe Kunsttherapeuten wollen lernen – was die so gefährlichen Substanzen wie Heroin im Gehirn auslösen? Was daran so anziehend macht? Wie es kommt, dass eine Jugendliche dem verfallen kann? Also erzählen wir uns die Geschichte, die noch in meinem Kopf, dem eh. Berater, grassiert. Um mich herum die Gruppe der Auszubildenden. Ich erzähle: : Wir sassen Tür an Tür, Psychologen und Sozialarbeiter in einer Caritasberatungsstelle einer deutschen Grossstadt. Was unser Klientel anbetraf, so waren wir wohl auf ähnlichem Niveau, Wissensstand. Nahmen teil an denselben Fortbildungen und Supervisionen. Ich erinnere mich noch gut, wie sie zum erstenmal vor mir sass: klein, kompakt, lächelnd, und sehr schwitzend. Wir müssen hier nicht dem Gang der Gespräche folgen, wollen aber kurz zusammenfassen. Eine Lebensgeschichte, die schon früh ans Ende kommt. Buchstäblich fünftes Rad am Wagen, das hat sie so auch mal gehört. Das vierte Kind der Familie, jener Eltern, die sich eigentlich trennen wollen, jetzt nicht mehr können. Wir haben dich nicht gewollt, - das ist noch das wenigste an belastenden Zusprüchen. Die Geschichte zieht sich hin bis in die frühe Pubertät. Vater mag sie (wie sehr, ist schwer zu recherchieren), Mutter lehnt sie ab. In diesem Hin und Her des Alltäglichen, sie erinnert sich noch genau an jenen Abend, als der Vater an ihr Zimmerfenster von aussen klopft. Hat, von seinem Schaffnerjob nachhause kommend, den Schlüssel wohlvergessen. Hat er? Sie im Bett sitzend, ist noch geschockt von Hitchcocks ‚Vögel‘ im TV. Fährt zusammen. Sieht ihn an. Was geht zwischen den beiden bloss vor? Meine Ausbildungsgruppe, der ich dies erzähle, wird später genau auf dieses Bild reagieren. Wird Bilder malen, die den Missbrauch andeuten. Reden wir nicht von SubstanzenMißbrauch? Nein, offenbar von sexuellem, meinen einige. Wie in der RealgeschichtsErzählung unklar, so auch in der Gruppe, werden wir ca. eine Stunde später feststellen, dann wenn die Gruppe ihre stärksten Erinnerungsbilder aufs Papier gebracht, gemalt hat. Das ist die Methode, um die eigenen Übertragungen auszuloten, auch: um herauszufinden, wie wir in solchem Beratungszusammenhang unsere Hilfeangebote gesprächshalber einleiten. Die Geschichte geht weiter mit einem Paukenschlag: Das Mädchen da im Bett lässt den Vater nicht herein. Der dreht sich verbittert um, geht in den Schuppen nach nebenan, hängt sich auf. Es folgen bittere Jahre mit der Mutter, den Brüdern. Eine Ausbildung bei einer Kinderärztin. Und dort das, was sie am Tag des Begräbnisses mittels der Beruhigungsspritze, die der anwesende Arzt ihr gab, lernen konnte: Beruhigung, Entspannung mit Medikamenten. Diese entwendet sie im Vorzimmer der Ärztin, wo sie ihre erste Ausbildungsstufe zur Kinderkrankenschwester absolviert. Zuerst nennt sie es ‚stiebitzen‘, später ist es schwerer Diebstahl, bei der Menge, die sie mitgehen lässt. Und die sie zuhause ausprobiert. Eine Jugendliche, die mit 16 entdeckt, wie man sich Gefühle per Medikament induziert – mal aufgeregte, mal blockierte, mal deprimierende, mal stark erregende Gefühle. Haben wir nicht alle unsere Gefühle im Kontakt mit unseren ersten und geliebten Personen gelernt, Bezugspersonen nennt man sie. Jeder, jede in der Ausbildungsgruppe denkt an die eigenen ersten starken Gefühle zurück, sucht sich in die Gefühlswelt dieses schon immer verlassenen Mädchens einzuloggen. Lässt die bisher gemachten Bilder revue passieren. Einige werden stark auf die Isolation dieses Mädchens reagieren. Welche reaktiven Bilder bringen sie, die Auszubildenden hier ein? Vermischen diese mit den vorgeführten Bildern der Anderen? Die Diebstähle bleiben unbemerkt. Wir finden das Mädchen, nunmehr im ersten Ausbildungsjahr, im Praktikum an einer psychiatrischen Klinik. Geschlossene Abteilung. Hier hat sie Schlüsselgewalt – auch über die Medikamentenschränke. Wir ahnen schon, wie es ausgeht. Sie fliegt auf. Wird entlassen. Vor ein Jugendgericht gestellt. Kommt auf verordneten Entzug, 6 Wochen, in derselben geschlossenen Abteilung, wo sie vordem arbeitete. Es gab keine andere Möglichkeit, - so wird argumentiert. Und sie braucht inzwischen ihre Medikamente, ihre Drogen. In dieser geschlossenen Abteilung gerät sie – natürlich gegen entsprechende Leistung – an mehrere Spritzen Heroin. Nach 6 Wochen steht sie – abhängig – vor den Toren der Anstalt. Völlig rat-, heimatlos, entschliesst sie sich, nach Berlin zu fahren. Landet abends im Bahnhof Zoo. Ist die vielen Menschen nicht gewohnt. Fährt per U-Bahn weiter. Nollendorfplatz, zweite Station, da steigt sie aus. Ab jetzt ist die Geschichte, so passiert, schwer zu ertragen. In der angrenzenden Strasse landet sie in den Fängen eines Loddels, der verfrachtet sie in ein Zimmer – und ab diesem Zeitpunkt beginnt ein Elend, das kaum beschreibbar ist. Für Miete, Lebensunterhalt, Heroin und persönlichen Schutz wird sie neuneinhalb Jahre lang eine Unmenge von Geld verdienen müssen, Heerscharen von Männern ertragen, sich demütigen lassen müssen, - was ohne den Stoff, den sie spritzt, nicht ginge, geht. Die zukünftigen Kunsttherapeutinnen um mich herum sind zunächst entsetzt, dann wie paralysiert, ziehen sich, jede für sich, zurück. Schweigen. Das sind die Momente, über die wir nach den ermalten Bildern, reden müssen. Denn sie werden sich, sogar schwerpunktmässig, bald mit solchen Geschichten auseinandersetzen müssen. Werden sich gefragt haben müssen, wie es ihnen bei einer solchen Geschichte geht? Welche Bilder ihnen kommen? Welche Schritte kunsttherapeutisch nunmehr anzudenken sind. Die Geschichte geht natürlich weiter. Erzählt von Selbstmordversuchen, 25 an der Zahl. Erzählt von Psychiatrieaufenthalten. Von Beschulungsversuchen. Von einem Scheitern, das kaum mehr aufzulisten ist. Aber dann – mitten in der sich fast inszenierenden Erzählung des Mädchens, wie es sich vor der Beratung ritzt, um endlich die Dinge zu vergessen -, mitten in dem Tohuwabohu kommt die erlösenden Meldung: Sie ist für die Altenhilfe-Ausbildung akzeptiert. Und das, wiewohl sie ansonsten niemanden berührt, berühren kann, auch mich nicht, macht ihr Spass. Sie wird bald die Ausbildung beenden, wird die Beratung verlassen können,- eine Geschichte, die ein gutes Ende nimmt. Schema 23 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Unfall-/Hirnverletzte Kinder und Jugendliche (ICD-10 V F.06) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: Verletzung der präfrontalen (Vorder-) und parietalen (Scheitel-) Hirn-Areale nach Unfall Disability/Einschränkung: Da das Vorderhirn für planerische Exekutivorgänge mit jeweiliger gefühlsmässiger Einschätzung, das seitliche Scheitelhirn für visuokonstruktive, in Zusammen-hang bringende Einschätzungen vonnöten sind, sind Raum-Zeit-Handlungsfähigkeiten betroffen. Handicap/Behinderung: Die soziale Behinderung ist enorm, da die Handlungsvollzüge und –absichten meines Gegenübers nicht erschliessbar sind, mühsam konstruiert werden müssen. Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: Die soziale Teilhabe ist ausgeschlossen. Stationäre Einzelund beginnende Gruppenbetreuung bei familialer Einbindung angesagt. Kontextuale Faktoren: Die jedem Schritt folgende Einzelbetreuungsmassnahme wie die Erfahrung von kollektiven Empfindungen, Gefühlen in der Gruppe werden orientierend. Psycho-soziale Konsequenzen: Da Einzelbetreuungsmassnahmen oft zu stark auf das jeweilige Defizit verweisen, depressiv machen, sind motivierende Gruppenmassnahmen angebracht. Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Kunsttherapeutische Gruppenangebote (Malen, Werken) haben sich als ausserdentlich entlastend wie selbstwert-steigernd, heilsam erwiesen. (Lit.: Menzen 2008/9: Rinninsland 2010) Schema 24 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Psychiatrisch auffällige Kinder und Jugendliche (ICD-10 V F.20-29) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: Eine genetische Disposition und aktuelle Belastungssituationen wir-ken zusammen. Geschätzt: 5-10 % alles schizophrenen Erkrankungen beginnen vor dem 19.LJ. Disability/Einschränkung: Ängste, Depressionen, somatoforme Störungen überwiegen; affektive Psychosen sind selten, aber Schizophrenien nehmen zwischen dem 12. u.30. LJ stetig zu. Handicap/Behinderung: 10 % aller Schizophrenien sind vor dem 18. LJ manifest. Psychomotor. Unruhe u. Stereotypen sowie Apathie (weniger schizophrone Subtypen) diagnostisch vordergründig Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: Dysthymien (psych. Verstimmungen) u. beginnende Persönlichkeitsstörungen sind angesichts drogeninduzierter Symptome sozial oft akzeptiert in der Peergruppe. Kontextuale Faktoren: Einerseits ein zunehmend belastender familiärer, andererseits entlasten-der subkultureller, drogenakzeptierender Kontext bilden den Hintergrund. (Menzen 1999) Psycho-soziale Konsequenzen: Familiale, schulische Bemühungen zeigen die Belastungssitutionen, auch die Gefahr der Drogeninduzierung. Sicherheit ist aus Sicht der Kinder das Wichtigste. Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme In den letzten 2 Jahrzehnten haben sich viele künstlerisch-therapeutischen Projekte um psychia-trisch auffällige Jugendliche mit grossem Erfolg v.a. künstlerisch bemüht. (Christian Müller, 2011) Schema 25 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Mehrfach behinderte junge Erwachsene (ICD-10 V F.70-79) Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: Formen der geistigen wie körperlichen Behinderung, die sich entwick-lungsgemäss, vor allem psychisch auswirken. Disability/Einschränkung: Angesichts gravierender geistiger, körperlicher, seelischer Funktions-störungen werden zunehmend selektive Arbeits-/Produktionsplätze organisiert (Atelier/Theater) Handicap/Behinderung: Da die sozialen Handicaps entsprechend der Einschränkungen bestehen, geraten die verbliebenen nicht-betroffenen ins Interesse der Arbeitsgesellschaft Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: Die soziale Teilhabe ist nicht nur gewährleistet, sondern garantiert, wo die nicht-behinderten Kompetenzen/Skills gefördert werden (Theater/Restaurant/Atelier/Hotel) Kontextuale Faktoren: Die Selbstverständlichkeit einer auf Inklusion (nicht Exklusion) bedachten Gesellschaft garantiert einen stabilen Kontext. Psycho-soziale Konsequenzen: Die Erfahrungen mit so geschulten/geförderten Menschen mit Behinderung (Theater Thikwa Berlin/Künstlerisches Atelier Reutlingen) zeitigt große Erfolge. Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Künstlerische Ateliers, die sich wie ca. 100 ihrer Art auf der Grundlage von Bildund/oder Theater-Produktionen einen Platz auf dem zweiten, z.T. ersten Arbeitsmarkt erkämpft haben. Schema 26 Betroffene Begleitete/ Klienten/ Patienten/ Von Verwahrlosung bedrohte junge Erwachsene Beeinträchtigungen Impairment/Schädigung: Verwahrlosung als Folge von früher emotionaler Vernachlässigung, schwerer sexueller und/oder gewalthafter Übergriffe, elterlichem Affektentzug (Trennung, Tod) mit ggfs. anschliessender Hospitalisierung Disability/Einschränkung: Nicht nur geistige, seelische und körperliche, sondern auch soziale Störungen (Selbst-/Fremdbild) bilden den Hintergrund für ein Vernachlässigungssyndrom. Handicap/Behinderung: Die Vernachlässigung von äusserlicher Erscheinungsweise und sozialer Einfühlung isolieren und grenzen aus. Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung Partizipation/Teilhabe: Die soziale Teilhabe ist nicht mehr garantiert. Eine Sozialassistenz ist dringend vonnöten. Wenn Kinder beteiligt sind, kann SPFH ansatzweise Partizipation aufbauen. Kontextuale Faktoren: Die Wiedereingliederung in den sozialen Kontext ist sozialarbeiterisch und therapeutisch vorrangig. Psycho-soziale Konsequenzen: Die psychosozialen Reaktionen müssen grundlegend rekonstruiert, mit den Betroffenen wieder aufgebaut werden. Salutogenetisches Angebot ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme Kunsttherapeutische Projekte – wie das von Anne Schmees/Wien – zeigen, dass soziale Verwahrlosung bildnerisch nach massgabe der Schema-Therapie aufgearbeitet, nacherlebt, rückgebildet werden kann (Menzen, 2009) Im Focus: Kunsttherapie mit drei von Verwahrlosung und PsychiatrieEinlieferung bedrohten erwachsenen Frauen Drei Frauen, drei Schwestern, in ihrer Nachbarschaft. A.S. ist Künstlerin und verdient sich nebenbei Geld, indem sie sozialarbeiterisch tätig wird. Das kann sie aufgrund ihres früheren Studienabschlusses. Sie hat diese Frauen richtig gern. Die sind lustig, sprechen sie sogar an, wenn sie vorbeikommt, lachen mir ihr. Natürlich gäbe es da auch etwas zu bemängeln. Es stinkt entsetzlich im Vorraum der Wohnung, man muss förmlich die Luft anhalten, wenn man an der Tür vorbeigeht. Dennoch, sie mag die drei. Als A.S. erfährt, dass die drei Schwestern in die Psychiatrie eingeliefert werden sollen, schaltet sie sich ein. Sie geht aufs Amt und erfährt nach Prüfung ihres persönlichen, hier auch beruflichen Interesses und Hintergrunds, dass eine Zwangseinlieferung wegen schwerer Beeinträchtigung der Öffentlichkeit vorgesehen ist. Sie könnte sich gut vorstellen, mit den Frauen zu arbeiten. An deren öffentlichen Präsenz dahingehend zu arbeiten, dass sie deren Binnenleben neu strukturiert. Es kommt in der Folge mit den drei Frauen, ihr und dem Amt zu einem zeitlich befristeten Vertrag, von dem hier zu berichten es wert ist. Es beginnt nicht mit Aufräumen – sondern mit einem Sich-Umschauen: Sie sitzen am Tisch und zeichnen, so recht und schlecht sie können, ihre unmittelbare Umgebung. Was sehe ich? Das fast herunterfallende Wandregal da drüben, den überquellenden Wohnzimmerschrank daneben, usw. Es entstehen Zeichnungen, kleine Skizzen. Die werden auf dem gemeinsamen Tisch, an dem die vier jetzt sitzen, hin und her geschoben, gelobt, verrissen, auf die Schippe genommen. Und daraus entstehen ernsthafte Anmerkungen, Gesprächsschnipsel, die sie ans Überlegen bringen: Müssten wir das Regal, den Schrank nicht mal …? Da kommt etwas in Fahrt. Da ist noch nichts entschieden. Aber als A.S. beim nächstenmal aufkreuzt, sind beide,Regal und Schrank aufgeräumt. Das wird bestaunt und mit einem Käffchen gefeiert. Muss man tatsächlich nur hingucken? Die Drei haben offenbar den Ernst ihrer Situation erkannt. In der Kurzfassung dieses Berichts klingt die Story leicht märchenhaft, - aber es geht voran. Aufräum-Projekte entstehen. Immer nach demselben Muster. Anschauen, Zeichnen, Verändern. A.S. ist in kunsttherapeutischer Weiterbildung bei mir, dem Schreibenden, an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien. Sie berichtet in unseren allfälligen ganztägigen Supervisionen, wie die drei Betroffenen so langsam ihrer Verwahrlosungstendenzen gewahr werden. Und sie berichtet, wie das Zeichnen hilft, wie die kleinen Skizzen ohne Anspruch auf Vollkommenheit den Blick schulen, hinsehen lassen. Wenig später sehen wir, die Supervisionsgruppe, die ersten Bilder. Sind erstaunt, wie genau die Ecken, ehemals vollgestellten Winkel, nunmehr einsehbar sind. Wenig später sehen wir Skizzen vom Einkauf auf dem Wiener Naschmarkt. Erleben die mit Früchten und Gemüsen aufgestellten, geordneten Regale. Alles wird zeichnerisch protokolliert. Nach Hause getragen und sorgsam eingeordnet. Nach einem halben Jahr ist die Welt der drei Frauen verändert. Der kunsttherapeutische Einsatz, der Blick mit den Augen der Zeichnerinnen, er hat sich gelohnt. Das Ordnungsamt nimmt die Verfügung zurück. © Das Manuskript ist nur für den privaten Gebrauch bestimmt und darf nicht weiterkopiert und verbreitet werden (Der Autor)