Kunsttherapie – und die Diagnostik der Störungen des Kindes

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Kunsttherapie – und die Diagnostik der
Störungen des Kindes-, Jugend- und
jungen Erwachsenalters
Karl-Heinz Menzen
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Früh abgelehnte, unerwünschte Kinder
Frühe Schlaf-, Ess- und Ausscheidungsstörungen
Sog. Schreibabys
Verlassene Kinder, Trennungs-/Scheidungskinder
Autistische Kinder und Jugendliche
Entwicklungsverzögerte Kinder
Mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche
Kinder mit umschriebenen Entwicklungsstörungen
Psychisch hospitalisierte Kinder und Jugendliche
Mutistische Kinder
Traumatisierte Kinder und Jugendliche
Kindliche und jugendliche Belastungsstörungen
Emotionale, körperlich sich auswirkende Störungen (1)
Emotionale, körperlich sich auswirkende Störungen (2)
Emotionale, körperlich sich auswirkende Störungen (3)
Tics bei Kindern und Jugendlichen
Aufmerksamkeits-/hyperaktiv gestörte Kinder/Jug. (ADHS)
Affektive Störungen u. suizidale Handlungen bei Jugendlichen
Störungen des kindlichen u. jugendlichen Sozialverhaltens
Kindlich/jugendlich schizotypische Persönlichkeitsstörung
Borderline-Störung bei Kindern und Jugendlichen
Psychisch wirksamer Substanzenmißbrauch bei Kindern u. Jug.
Unfall-/hirnverletzte Kinder und Jugendliche
Psychiatrisch auffällige Kinder und Jugendliche
Mehrfach behinderte junge Erwachsene
Von Verwahrlosung bedrohte Erwachsene –
Gemeinwesenarbeit ‚auf kunsttherapeutisch‘
Das Skript fusst auf dem Buch von K.-H. Menzen (2013): KT in der Sozialen Arbeit.
Verlag Modernes Lernen (Beispiele, KT-Methoden und –Interventionen siehe dort)
Die Bilder der psychosozialen Verstörung werden im Folgenden schematisch
dargestellt (Schema 1-25).
Persönlichkeitsstile und –störungen in einem
bedürfnisorientierten Polaritätenraum
Hypochondrisch
zwangshaft auf sich focussiert
depressiv
Schema 1
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Früh abgelehnte, unerwünschte Kinder (ICD-10 V F93.0-9)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: Schlecht ausgebildetes Immunsystem mit neurobiologischen Langzeitfolgewirkungen (New Yorker Ak. d. Wiss., 1996). Neurosequentielle Störung (Bruce Perry). I. d. R. Stresshormonmangel (nach Cortisolanstieg u. -verbrauch) mit Gereiztheit-Müdigkeit-Verweigerung-Aggressivität.
Disability/Einschränkung: Die taktil-kinästhetische u. propriozeptive Schwäche,
die sich auf das gesamte Entwicklungsverhalten auswirkt, sucht die neurosequentielle Störung zu recherchieren
Handicap/Behinderung: Störung von Beziehung, Hautkontakt und narzißtischem Selbstwert. In der weiteren Folge Stresshormon- u. Vitalstoffmangel,
Anforderungsabwehr, Impulsdurchbrüche
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: überstarke Rückzugstendenzen aus Abwehr gegen
Anforderung
Kontextuale Faktoren: Psycho-soziale Ausschlüsse verhindern soziale
Entwicklung.
Psycho-soziale Konsequenzen: Das Kind wird in späteren Jahren seine unregulierten Affekte immer wieder neu auf hohem Niveau zu initiieren/zu
organisieren versuchen
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Eine milieutherapeutische Berücksichtigung in den kunsttherapeutischen
Gruppenangeboten konstelliert die systemischen Bezüge neu. Sorgsam genaue
Rückmeldungen vermitteln ggfs. dem Kind seine Stärken und Schwächen.
(Lit.: S. Wesely, Milieutherapie Bruno Bettelheims, 1986; B. Perry/M. Szalawitz, 2006))
Im Focus:
Früh abgelehnte, unerwünschte
Kinder
Wir wollen uns in eine Situation versetzen, in der wir Dinge wie die Anderen um uns herum
tun müssen, ohne jemals gelernt zu haben, was die da tun. Wir werden wohl
experimentieren. In kleinen Schritten versuchen herauszufinden, was erwünscht, gestattet,
mit Lob oder Ablehnung bedacht wird. In einer solchen Situation sind Kinder, die seit
frühestem Lebensalter, ja schon da, wo sie einer Reflexion nicht mächtig waren, da auf dem
Wickeltisch, da in dem kleinen Bettchen lagen, ohne Rückmeldung auskommen mussten.
Wie kann so etwas geschehen. Bruce Perry und Maja Szalawitz beschreiben es in ihrem Buch
„Der Junge, der wie ein Hund gehalten wurde“ (2006). Dieser Junge gelangte nach dem Tod
seiner engsten Bezugspersonen in die Hände seines Onkels, eines Hundezüchters, wurde
fortan gehalten wie ein Hund. Erst in der Kinderpsychiatrie, wo der schon Heranwachsende
einkotend, beissend und knurrend landete, lernte er, regelmässig hochgenommen zu
werden – er lernte Rhythmik. In dieser Klinik lernte er, dass jemand regelmässig nach ihm
schaute. Ihm regelmässig zu essen gab, usw. Perry und Szalawitz (2008) entwickeln aus
dieser buchstäblich grundlegenden Erfahrung ihre Methode, die der neurosequentiellen
Entwicklung. Diese heisst: Was wir im Leben in den wichtigen Phasen unserer Entwicklung
nicht lernen, müssen wir nachholen – oder wir werden nach so konkret ausfallender früher
Ablehnung und Erfahrung von Unerwünschtheit zu Kindern, die entwicklungsgestört sind, die
zuweilen sehr viel später eines Milieus bedürfen, das ihre ursprüngliche Störung erkennt und
ihnen Hilfestellungen gibt, das noch nicht Erlernte nachzuholen – in dem obigen Fall:
Rhythmik.
Wie lernen wir Rhythmik? Was muss die künstlerisch geschulte, grundständig Ausgebildete
wissen, wenn sie mit entsprechenden Kindern und ihren Müttern zusammenarbeitet?
Welche Rhythmen des Lebens erfahren wir von früh auf? Antwort: Ein- und Ausatmen, Essen
und Ausscheiden, Schlafen und Wachen, Anfang und Ende des Spielens usw., – wir sehen, es
sind sehr existentielle Dinge, die unser psychovegetatives Nervensystem ohne
Nachzudenken lernt. Also werden wir auf die Strukturen des Essens, Schlafens, Spiels, von
Sport und Erholung neben den ersten kleinen Anforderungen achten, mit denen das Kind
konfrontiert wird. Und wir werden solche zu lernende Tagesstruktur den Müttern und
Vätern, die einbezogen werden, abfragen. Mit den Kindern werden wir spielen, auf die
rituellen Anfänge, Höhepunkte und Enden der Rollenspiele achten, in unseren
kunsttherapeutischen Angeboten immer die Zeitsequenzen im Auge behalten, die das kleine
Kind verfolgen, durchhalten kann.
Und wo wird die Kunsttherapeutin dieses tun? Da wo sie ihre Anstellung erhalten hat: In
dem Mutter-Kind-Zentrum, in dem Frauenhaus, dort, wo über lange Zeiten gestresste
Mütter mit ihren sekundärsymptomatisch geschädigten Kindern eine Bleibe finden, wo die
kunsttherapeutisch nunmehr Angestellte sich fragt: Was ist das eigentliche Problem dieser
Kinder, die ich in meiner Kleingruppe jetzt zu betreuen habe? Wie muss das Milieu meines
alltäglichen Gruppenangebots aussehen, dass das Kind wie die von mir zeitweise
einbezogene gestresste Mutter davon für ihr späteres Leben ausserhalb profitieren?
Schema 2
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Frühe Schlaf-, Ess- und Ausscheidungsstörungen (ICD-10 V F98.0-3; F.30)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: Ein- und Durchschlafstörungen (Hypo-/Parasomnien),
Pavor nocturnus (Aufschreien, Weinen, Jammern), psychovegetative Spannungszustände, Nahrungs-Ablehnung
Disability/Einschränkung: sozial eingeschränktes, hilfebedürftiges Verhalten
von Mutter u. Kind
Handicap/Behinderung: schizotypisch-exentrisches Verhalten nach ungenügender Mutter-(Vater)-Kind-Bindung, körperlichen oder sexuellen Übergriffen,
kindlich erlebtem Mobbing
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: unsichere/ instabile Bindung im sozialen Kontext,
offenbar in Schlaf-, Ess- (Rumination/Auswürgen), Ausscheidungsstörungen
(Enuresis/Einnässen, Enkopresis/Einkoten)
Kontextuale Faktoren: erhebliche äussere Belastungen von Müttern und Vätern,
pränatale Entwicklungsprobleme der Mütter (essgestört, suizidal gefährdet);
Folge „Rumination“ (frühe Essstörung)
Psycho-soziale Konsequenzen: Bes. Mütter wie Kinder bedürfen sicherer und
stabiler Bindungs-Erfahrungen (Bilder) angesichts anhaltender Kindeswohlgefährdung (Lit.: Streeck-Fischer, 1997)
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Kunsttherapeutische Einzel- und Gruppenbetreuung der Mütter wie der Kinder
im Mutter-Kind-Haus (Krabbelgruppe); Übungen: Achtsamkeit/Körpergefühl/
Sicherer Ort (über innere Bilder Lit.: Egbert Baum, 2011)
Depression – und die verminderte Aktivität des Vorderhirns
sowie die Überaktivität der Amygdala
Gehirn & Geist
3, 2015, 57
• geringe
Aktivität
Schema 3
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Sog. Schreibabys und deren Mütter/Väter (ICD-10 V F.98)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: unbeantwortete oder verzögert beantwortete
physische oder psycho-soziale Bedürfnismuster des kleinen Kindes (ErregungSpannung-Aufmerksamkeit-Rückzug)
Disability/Einschränkung: die psychosozial anstehenden sich entwickelnden
Funktionen werden verzögert angeregt, verpassen die sinnesplastisch
erforderlichen Zeitstrukturen
Handicap/Behinderung: Zusammenbruch aller sozialen Interaktionen
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: Das Kind bleibt von den sozialen Interaktionen ausgeschlossen. Und auch die Mutter erhält keine Bestätigung ihres vielleicht
fürsorglichen Verhaltens.
Kontextuale Faktoren: Die sich im sozialen Kontext repräsentierende innere
Verfassung des Kindes bleibt unbeachtet, wird mitunter erst zeitverschoben
oder garnicht wahrgenommen.
Psycho-soziale Konsequenzen: Die Interaktionsangebote von Mutter oder Vater
bleiben auch seiten des Kindes unbeantwortet und bewirken zirkulär den
mütterlichen Rückzug (Papousek 1984). Die Soz.Päd.Fam.Helferin wird die
misslingende Interaktion zu verdeutlichen haben.
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Video-Home-Training, das die Bilder der Mutter-Kind-Interaktion in deren
Nichtentsprechungen analysiert und zu synchronisieren sucht (Literatur:
Claudia König, Video-Home-Training, 1996)
Schema 4
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Verlassene Kinder, Trennungs-/Scheidungskinder (ICD-10 V F.93.0-9)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: neurophysiologisch/vegetativ gespalten (übererregt
./. abgeschaltet)/ Nachweis biochemischer Dysbalance (Vitamine/Mineralien/
Folsäure: Albert Adam 2010)
Disability/Einschränkung: anaklitische Depression/Affektentzug (R. Spitz) mit
zuweilen traumatischen Folgeerscheinungen; zunächst schuldhaft-depressive,
dann verlassen-traurige Haltung
Handicap/Behinderung: dissoziative d.h. zerrissene, sich widersprechende
Verhaltensweisen ; empfänglich für kurzlebige stressüberdeckende stimmungaufhellende sog. coole Situationen
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: biophysiol./psycho-/sozioneurotische Schädigungen
(psychisch depressiv/aggressiv; psychovegetative Haut-, Magen-Darmerkrankungen) erschweren soziale Teilhabe
Kontextuale Faktoren: angesichts mangelnder Kontaktbereitschaft der
Erwachsenen umso verführender/verführbarer in den Peergroups
Psycho-soziale Konsequenzen: das entlastend-ausgleichende sog. Trianguläre
Objektbeziehungs-system steht nicht mehr zur Verfügung; Trennungsängste
mit psychosomatischen Beschwerden sind die Folge
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Einzel- und Gruppenbetreuung von Trennungs-/Scheidungskindern mit
bildnerischen Mitteln Literatur: K.-H. Menzen, Kids Problems, 1996, 131 f.;
H. Figdor, Scheidungskinder - Hilfe, 2000
Regulationsstörung im
Säuglingsalter
Eine Regulationsstörung im Säuglingsalter (früher
teilweise auch Dreimonatskoliken genannt) bezeichnet
die außergewöhnliche Schwierigkeit eines Säuglings, sein
Verhalten in einem, häufig aber in mehreren Interaktionsund regulativen Kontexten (Selbstberuhigung, Schreien,
Schlafen, Füttern, Aufmerksamkeit) angemessen zu
regulieren.
Säuglingen und Kleinkindern ist es nur möglich, ihr
Verhalten in der Interaktion zu regulieren, d. h. sie können
dies nur im direkten Austausch mit ihren Eltern. Aus diesem
Grund findet man Regulationsstörungen häufig zusammen
mit Belastungen oder Störungen der frühen Eltern-KindBeziehungen.
Schema 5
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Autistische Kinder und Jugendliche (ICD-10 V F.84.0, F.84.5)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: Eine genetische Schädigung der eindrucksgestaltlich
organisierenden synaptischen Veszikelproteine (SVP) verantwortet eine
informationelle Überflutung
Disability/Einschränkung: Wahrnehmungs-, Gefühls- und Verhaltensmuster
sind von Gestalt-Auflösungen geprägt
Handicap/Behinderung: Im sozialen Kontext zeigt sich ein repetitives, den
Kontext nicht interpretieren könnendes Verhalten, das sich musterartig
wiederholt
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: soziale Teilhabe nur im Rahmen starr strukturierter
Verhaltensabläufe
Kontextuale Faktoren: Die Einschränkung reziproker sozialer Beziehungen
verengt den kommunikativen Austausch, engt den Kontext ein, verantwortet
stereotype Selbstschädigungen
Psycho-soziale Konsequenzen: Zugunsten der nichtsprachlichen Kommunikation
ist die Form der sprachlichen Kommunikation behindert; bei situativer
Reizselektion Focussierung möglich.
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Angesichts der überflutenden Reizinformationsstörung ist nach angemessener
situativer Reiz-Selektion die serielle Arbeit mit Bildern gut möglich.
(Lit.: S. Schäfer, Mein Leben m. Autismus)
Schema 6
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Entwicklungsverzögerte Kinder (vgl. ICD-10 V F.80.0-F.89; F.98.9)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: gestörte sensumotorische Muster
Disability/Einschränkung: funktionelle Teilleistungs- und Wahrnehmungsstörungen (bes. visuell, akustisch, taktil, kinästhetisch, propriozeptiv, vestibulär, statuund handlungsmotorisch)
Handicap/Behinderung: Die gestörten Wahrnehmungs- und Handlungsmuster
(Dyspraxien) erschweren die soziale Anpassungs-, Kommunikations-,
Kooperationserfordernis in der Gruppe
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: Schon im Kindergarten fällt das Kind in der Gruppe
dadurch auf, dass es unkonzentriert, überreizt und aggressiv ist, wenig
empathisch und zuweilen Kontakt abwehrend
Kontextuale Faktoren: Da das Kind bes. in der Gruppe überfordert zu sein
scheint, sollten hier klare Absprachen, Regeln, Rituale gelten.
Psycho-soziale Konsequenzen: Die Sozial-/Heilpädagogin/Sozialarbeiterin sollte
Gruppenspiele wählen, die der Reizempfindlichkeit/-aufnahmemöglichkeit des
Kindes gerecht werden.
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Bewegungsorientiertes Malen nach Musik, sinnesorientierte Körper-Schattenrisse auf Boden oder Wand, kleine Rollengeschichten mit Tüchern helfen
(vgl. Lit.: G. Weiss, Kinderpsychodrama)
Schema 7
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche (ICD-10 V F.06-07; F.70-79; F.80-89)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: pränatal genetisch erworbene, z.T. chromosomal sich
auswirkende oder postnatal durch Impf-Schädigung zugefügte Beeinträchtigungen, die informationell und sekundär die weitere geistige, psychische und körperliche Entwicklung beeinflussen
Disability/Einschränkung: geistige Behinderung infolge z.B. Angelman- (betr.
Geist/Sprache), Prader-Willi- (betr. Wuchs/Verhalten), Fragiles-X- (betr. Geist),
Rett- (Sprache/Motorik) -Syndrom
Handicap/Behinderung: Angesichts wie beim Rett-Syndrom autistischer, sprachreduzierter, motorisch-apraktischer Störungen schwerwiegende soziale
Beeinträchtigung
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: Angesichts der Störungen der Informationsaufnahme
und deren motorischen Umsetzung (Rett-/Fragiles-X-, Chorea-H.-S.) ist soziale
Teilhabe kaum möglich.
Kontextuale Faktoren: Die Mehrfachbehinderung (geistig-motorisch-handlungsorientiert) erfordert wie beim autistischen Kind vergleichbare selektiv-intensive
Info-Gestalt-Vermittlung
Psycho-soziale Konsequenzen: Angesichts der schweren Behinderung sollte
gerade die weitere sozial-einschränkende Ausgrenung inklusionär verhindert
und für Assistenz gesorgt werden.
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Bei Garantie einer persönlichen Assistenz, die über eine kunsttherapeutische
Ausbildung verfügt, sind basal-ästhetische Angebote sinnvoll. (Menzen, 2009)
Schema 8
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Kinder mit umschriebenen Entwicklungsstörungen (ICD-10 V F.80.0 ff.)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: Teilleistungsstörungen/-schwächen (eh. MCD, MBD,
POS) mit z.T. unsicherer Ätiologie
Disability/Einschränkung: Sprech- (Poltern), expressive u. rezeptive Sprach(Aphasie), Artikula-tions- (Babysprache), Sprechfluss- (Stottern), Lese-Rechtschreibe- (LRS), Rechen- (Dys-/Akalkulie) Störungen
Handicap/Behinderung: Störung der verbalen, gestischen, körperhaften
Kommunikation, in der Folge gravierende Beziehungsstörungen mit Gleichaltrigen (Hänseleien, Mobbing)
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: Die soziale Teilhabe ist ebenso wie die schulische und/
oder vorberufliche Leistung beeinträchtigt; begleitend Beziehungs- und
emotionale Befindlichkeitsstörungen.
Kontextuale Faktoren: Da Sprachverstehen u. –produktion wie Artikulation,
Visuo- und Senso-motorik miteinander verschaltet sind, besteht ein Risiko für
eine dissoziale Symptomatik.
Psycho-soziale Konsequenzen: In allen Fällen ist sekundärsymptomatisch eine
Selbstwertstärkung angesagt.
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Übungsbehandlungen mit bildnerischen Mitteln im Falle sensomotorischer
Beeinträchtigung, selbstwert- und –bewusstseinsorientierte, nicht nur prozessorientierte bildnerische Ausdrucksübungen.
Schema 9
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Psychisch hospitalisierte Kinder und Jugendliche (ICD-10 V F.40-48)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: i.d.R. repetitiv-bewegungsauffälliges, körperhaft-selbstdestruktives, in den frühesten psychovegetativen Bedürfnissen auffälliges
Verhalten (Apathie - Ritzen)
Disability/Einschränkung: Der H., auch psychisches Deprivationssyndrom (lat.
deprivare -berauben), äussert sich nach fehlender oder inkonstanter Zuwendung
(„anaklitisches Syndrom“, griech. anaklisis – Zuneigung, R. Spitz) in einer Art
destruktiver Selbst-Zuwendung
Handicap/Behinderung: Die „Hospital- oder Heimschäden“ der Betroffenen
weisen in Apathie und Aggressivität auf grundlegende Versorgungs- und Bindungsstörungen frühester Provenienz
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: Da die sog. Selbst-Bilder (-Repräsentanzen) schlecht
ausgebildet sind, fallen auch die Fremd-Bilder, die sozialen Bezüge chaotischaggressiv aus.
Kontextuale Faktoren: Weniger autoritär-zwangshafte Sozial- und Gruppenstrukturen als kurz-lebige animatorische Peergruppen-Situationen geben dem
haltlosen Selbstbild Sicherheit
Psycho-soziale Konsequenzen: Angesichts der Stressbiografie, folglich Energiemangels des Gehirns (ATP) u. Reiz- u. Impulskontrollstörung, sind angesagt:
strukturierte erlebnispädagogische. Offerten
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Gruppen-Farb-Interaktionen mit hohem Erlebnisgehalt (Musik/Rap, Graffitos,
Performances).
Im Focus:
Psychisch hospitalisierte Kinder und
Jugendliche
Sie hat ihre Stelle in diesem Kinder- und Jugendheim angetreten. Offenbar ist der Alltag, das
alltägliche Prozedere sehr streng, wird strikt gehandhabt. An die frühen Zeiten muss sie sich
noch gewöhnen. Sie hat garnicht daran gedacht, dass die Kinder hier beschult werden. Nun
sitzen diese in der kleinen 5er Gruppe um sie herum. Mittagessen, Freizeit, jetzt diese
Gruppe, ja wie soll sie sie beschreiben: eine Gruppe gereizter, enttäuschter, gelangweilter,
alle Anforderung abwehrender, zuweilen impulsdurchbrüchiger Kids, die sich mal
verweigern, mal aggressiv-trotzig sind, dann kämpfend, bis sie nur noch depressiv
vorzufinden sind. Dann sind sie deutlicher erkennbar als die, die man gewöhnlich nicht in
ihnen sieht: Kinder mit burn-out-Syndrom, die ihre Realität nolens volens verkennen, müde
sind, erschöpft – bis dass eine Situation sie fürs Blödeln, fürs uncool-sein in den Augen der
Anderen anfällig macht. Dann sind sie für kurzlebige Stimmungen empfänglich, überdecken
ihren Stress, heben die Stimmung der Anderen, sind die Grössten auf der Welt. Albert Adam,
ehemaliger Leiter eines Offenburger Kinderheims, hat darauf aufmerksam gemacht. (vgl.
auch: Adam, Breithaupt-Peters 2010) Und das sind auch die Erfahrungen des hier
Schreibenden.
Als meine Gruppe von Künstlerstudenten in jenem Sommer die Gruppe der ca. 14-16
jährigen um sich hat, mit ihnen kunsttherapeutisch tätig sein will, sehen sie nur in
antriebsschwache, müde, unzufriedene, gelangweilte Gesichter. Da wissen sie/wusste ich
auch noch nicht, was hinter dem Profil des hier notwendig allgemein beschriebenen
Jugendlichen steckt: ein Stress-Hormon-Mangel, wie Adam auf einer Tagung seines Heims
2011 sagt, der zunächst als ein riesiger Anstieg des Stresshormons Cortisol infolge von riesigerscheinenden psychischen Belastungen daherkam, dann aber sich schnell verbrauchte – bis
zur Erschöpfung und zu besagtem Mangel jenes Hormons, das wir/sie doch für die alltägliche
Stressbewältigung brauchen. Die Gruppe der Jugendlichen, in diesem Wiener Heim, ist
durchaus mit anderen, die ich kenne, vergleichbar. Wir schlagen vor, das und jenes, keinen
Bock auf nichts. Was sollen wir tun? Einer meiner Studenten greift zu den Pigmentfarben,
die sie vorbereitet haben. Verteilt sie in Plastiksäckchen, rot-blau-grün-gelb-schwarz. Dann
geht es los. Ganz schnell ist die Entscheidung für einen Blödsinn gefallen: Sie streichen den
Donaukanal mit den Farben ein, jene dicken, schweren Basaltblöcke an den Rändern. Das ist
zwei Stunden später passiert. Farbig liegt der Kanal jetzt da. Und alle sind beglückt, machen
sich auf den Heimweg.
Wie schon paraphrasiert: An Überflutung von Reizen ist bei ihnen kein Mangel. Im Heim
angekommen, ist auch kein Halten mehr. Die Stimmung ist blendend, buchstäblich realitätsausblendend. Schnell wird eine Leinwand ausgerollt. Der Bluster auf kaum aushaltbare
Höchststärke getrimmt, der Overheadprojektor davorgestellt. Und dann tanzt Emmi, die sie,
die Jungs, die jetzt so brav erscheinen, an manchen Tagen für 50 Euro hinter einer Bude an
einen männlichen Touristen verhökern, am Ende das Geld teilen. Jetzt tanzt Emmi,
anzuschauen, wunderschön. Wirft ihre Schattenrisse auf die Leinwand. Die Jungs
hingerissen. War da nicht ein Gerede von „Energiemangel im Gehirn“? Sprachen wir nicht
von völlig erschöpften, müden, gereizten Heranwachsenden? – Ein Nachmittag mit
hospitalisierten Jugendlichen, und mit Kunsttherapie im schönen Wien. In einem Heim, das
auf die Kunsttherapeutin, die sich etwas einfallen lässt, wartet.
Schema 10
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Mutistische Kinder (ICD-10 V F.94.0)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: Bekannt bei ca. 1,5 % aller Kinder, weisen mutistische
Kinder Störungen der Sprechfunktionen bis zu deren Verstummen auf.
Disability/Einschränkung: Schon im Vorschulalter nach traumatischen
Belastungen die sprachliche Kommunikation total oder elektiv (ausgesuchter
Personenkreis) einstellend.
Handicap/Behinderung: Leise, kurz, wenig oder garnicht sprechend – so
signalisieren sie einen sozialen Rückzug vor der bedrohlich erlebten Belastung
(Übergriffe, Mißbrauch, Trennungserlebnisse)
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: Soziale Teilhabe ist zuweilen auf Einzelpersonen
beschränkt, was die Einzelförderung empfiehlt, genauer die Suche nach Auslöser
und Ablauf des Verhaltensschemas.
Kontextuale Faktoren: Personen im unmittelbaren Kontext sind oft als Ursache
der schwer wiegenden regressiven Verhaltensschemas anzusehen.
Psycho-soziale Konsequenzen: Es liegt nahe, den unmittelbar betroffenen
familiären und schulischen Personenkreis ins Gespräch einzubeziehen.
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Bei Akzeptanz der Regression und der Möglichkeit der nichtsprachlichen
Kommunikation empfiehlt sich die avokale, bildnerisch thematisch-freie
Aufarbeitung, die spielerisch die Ebenen wechselt. (Lit.: Menzen, 2009)
und
Im Focus:
Kunsttherapeutische Arbeit mit einem
mutistischen Jungen
Aufgewachsen in einem behüteten Elternhaus. Schon mit sieben Jahren auffällig. ‚Schon‘ –
oder erst? Seine Eltern gehen mit ihm in die Ambulanz. Die für Kinder, die noch nicht
sprechen. Da ist viel Wissen, aber auch, in diesem Fall, allzuviel Ratlosigkeit. Die Praktikantin
sieht zu. Damals liegt ihr Praktikum relativ kurz vor Ende des Studiums. Sie hat – wie an
manchen Hochschulen des Sozialwesens üblich – sich für eine Zusatzqualifikation namens
Kunsttherapie entschieden. Sie ahnt, hier könnte ein, da avokal – nicht averbal, wie viele der
Kunsttherapie nachsagen -, Ansatz für die Behandlung des Jungen sein. Doch der, Manuel,
und seine Mutter sind frustriert, sind bald in der Ambulanz nicht mehr zusehen.
Zwei Jahre später. Unsere eh. Praktikantin ist in ihrer vierjährigen Zusatzqualifikation weit
fortgeschritten. Braucht dringend als Nachweis noch ein Praktikum, das nunmehr
kunsttherapeutisch sein soll. Erinnert sich. Ruft mit Erlaubnis der Ambulanz die Familie an.
Erhält begeisterten Zuspruch. Und ist sehr bald mit Manuel allein.
So langsam lüften sich die Geheimnisse des Hintergrunds. Sie erlebt die Streitereien der
Eltern. Sie erlebt, wie belastend, offenbar traumatisierend dies für den Jungen ist. Immer
wenn der Streit auf dem Höhepunkt, hat er seine Methode – und die kennt, zumindest
generell, auch die Profession: Wo allzugrosse Belastung ist – im Mutismus steht diese an der
Spitze des Rankings -, zieht sich der Junge zurück. Er greift zu seinen kleinen Autos, die über
ihm, auf dem Bord über seinem Bett da stehen. Und dann spielt er völlig selbstvergessen,
spielt und spielt, bis alles wieder ruhig ist. Warum soll sie, unsere Praktikantin, diese
Methode nicht verlängern? Ich als Supervisor, rate ihr, sich ins Spielen einzuklinken. Und das
tut sie – mit dem Rat, ab und zu es mal per Zusammenstoss krachen zu lassen.
Tatsächlich gelingt der Coup: Nach den Autocrashs auf dem Papier, auf ihm fein liniert die
Strassen seines Ortes, malen beide die gerade erlebte Szene. So der Rat: wechsele die
Ebene, geh‘ vom Spiel in das Malen. Nutze das, was gerade da ist als Bild. Und dann malt er
sich, liegend im Krankenwagen. Das DRK-Auto holt ihn gerade ab. Und dann bringt er
tatsächlich Sätze aus sich heraus. Zögernd, zaudernd, unsere Praktikantin erfährt von seinem
Leiden. Das ist der Beginn, wo es mühsam, langsam, nach dreiviertel Jahren nicht unbedingt
immer vorzeigbar – aber aufwärts geht.
Schema 11
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Traumatisierte Kinder und Jugendliche (ICD-10 V F.60-69)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: Neuronale Reizüberflutung, die nicht verarbeitet
werden kann; nach physischer/psychischer Ablehnung, Übergriff, Mißbrauch,
Unfall-/Krankheits-/Kriegserfahrung
Disability/Einschränkung: Während die psychovegetativen Funktionen garantiert bleiben, werden die entsprechende Reizaufnahme, Erinnerung, Narrativ,
Handlungsaktivierung abgeschaltet
Handicap/Behinderung: Angesichts einer generalisierten Abwehr gegen alle im
Zusammenhang stehenden Reize (Trigger) werden Rückzugsverhalten oder aber
Aggressionen vermerkt.
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: Apathische Teilnahmslosigkeit wechselt mit aggressiven,
explosions-artigen Aus- und Impulsdurchbrüchen, die unerklärt bleiben (weil
biochemisch unabgeklärt)
Kontextuale Faktoren: Die Kontextfaktoren des Lebens bleiben so lange eine
Gefahr, wie die Ursache des überflutenden Ereignisses nicht geklärt und ihres
Einflusses beraubt ist.
Psycho-soziale Konsequenzen: Die Sicherheit und Stabilität des psycho-sozialen
Umfeldes ist zu garantieren.
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Das erschütterte Selbst-Bild muss in Stabilisierungsübungen körper- und bildhaft
erlebt werden. (Lit.: Luise Reddemann)
Zusammenfassung
Broca-Arreal
Areale, die in
traumatischen
Situationen
interagieren
oder aber ihre
Verbindung
einstellen.
rote Linie: Areale
bleiben aktiviert
• der Hippocampus fährt seine gedächtnisanimierende Tätigkeit herunter
• der Cinguläre Cortex storniert seine Gefühls-Handlungs (frontaler Cortex)-Vermittlung
• die Amygdala bleibt infolge ihrer Informationen in höchstem Masse erregt
• der Hypothalamus und die Hypophyse regulieren die Ausschüttung der Stresshormone
• das Broca-Arreal schaltet sich ab und legt kein „Narrativ“ (Erzähl-Kontext) an
Schema 12
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Kindliche und jugendliche Belastungsstörungen (ICD-10 V F.43)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: kaum zu ertragene, das psychovegetative System und
den kommunikativ geforderten Umgang herausfordernde Stressmuster
angesichts von Stresshormonmangel
Disability/Einschränkung: Störungen infolge intrafamiliärer Belastungen (Mangel
an Wärme, körperliche Mißhandlung, sexueller Mißbrauch) wie inadäquater
intrafamiliärer Kommunikation
Handicap/Behinderung: Störungen infolge einer abnormen unmittelbaren
Umgebung (Erziehung in einer Institution) und chronisch zwischenmenschlicher
Belastungen (Schule oder Arbeit)
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: Da die psychophysiologische wie psychische Belastungsgrenze über-schritten ist, werden Rückzugsmuster oder aber dissoziative
Abwehrreaktionen vermerkt.
Kontextuale Faktoren: Milieutherapeutisch hat die begleitende Maßnahme für
entspannungs-, stabilisierungsorientierte und stressfreie Situationen zu sorgen.
Psycho-soziale Konsequenzen: Stabilisierung angesichts belastender Lebensereignisse (Verlust einer Beziehung, negativ veränderte familiäre Beziehungen,
Herabsetzung der Selbstachtung)
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Kunsttherapeutisch angeregte Stabilisierungs- u. Stressbewältigungsübungen
(Themen: sicherer Ort, Tier als Helfer/ innere Helfer, inneres Team, innerer
Garten, etc.) (Lit.: Luise Reddemann)
Schema 13
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Emotionale, körperlich sich auswirkende Störungen (1) () ICD-10 V F.93.0-9)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: Trennungs-, Kontakt-, Fremden-, Schulängste, auch
mit Zwängen und sprunghaften (dissoziativen) Handlungen (z.B. Weglaufen),
auch somatoform (panisch-körperhaft: Kopf- u. Bauchschmerzen, Übelkeit,
Erbrechen)
Disability/Einschränkung: Zwar sind es nur ca. 3 % der ca. 17 % auffälligen
Jugendlichen, aber die phobischen, panischen, hypochondrischen Angstattacken
sind gravierend, schwer deutbar
Handicap/Behinderung: Verweigerung der staatlich einverlangten Schulpflicht
wird z.B. in ihrer dissoziativen Form, die Trennungsangst (Schulphobie) wird zu
wenig familiensystemisch erkannt
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: Trennungs- und Vermeidungsängste betreffen direkt das
soziale Gesamt (Familie, Schule), verlangen eine systemische Betrachtensweise
(Ausschluss: andere Erkrankung)
Kontextuale Faktoren: Durchaus begründete antisoziale Tendenzen stossen bei
gleichaltrigen Adoleszenten oft auf Akzeptanz, verstärken das Delinquenzrisiko
(Lit.: Petermann u.a., 1998)
Psycho-soziale Konsequenzen: Das beeinträchtigte, oft gruppenverstärkte
Vermeidungsverhalten erfordert seinerseits eine positive Verstärkung/
Attraktion des familialen, schulischen Netzwerkes
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Jugendkulturelle Projekte, die bes. das schulische Netzwerk/den Klassenverband
attraktiv machen; Familienskulptur mithilfe der kunsttherap. ausgeb. SPFHlerin
Schema 14
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Emotionale, körperlich sich auswirkende Störungen (2) (ICD-10 V F.50.0-8)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: Essstörungen (Anorexia, Bulimia Nervosa, Adipositas)
sind Körper-Schema-Störungen mit 14-18 Jahren, die Wahrnehmungs-/
Perzeptionsstörungen implizieren.
Disability/Einschränkung: Die affektive Instabilität generiert salutogenetisch
eine Identitäts-Suche, die sich im Vergleich zur Gleichaltrigengruppe m.E.
modisch-ästhetisch definiert.
Handicap/Behinderung: Die veränderte Perzeption (Geist & Gehirn 3, 2004, 22)
kreiert Veränderungen des Selbstwertgefühls, das gegen einen Kontrollverlust
die körperliche Selbstverfügung setzt.
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: Selbstinduziertes Erbrechen, Einnahme von Abführmitteln, körperliche Höchstleistung, aber auch endokrine Störungen isolieren
die Betreffenden zunehmend.
Kontextuale Faktoren: Zwischen sozialer Bewunderung und individueller
Verkennung des eigenen Zustands – das soziale Beziehungsgefüge ist
motivational krankheitsmitverursachend
Psycho-soziale Konsequenzen: Die salutogenetisch nicht unterzuminierende
Identitätssuche darf die Mortalitätsgefahr (5 %; Lit.: Möller-Laux-Deister) nicht
unterschätzen, sucht Kooperation.
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Bildnerisch-plastische u. –visuelle Selbst-Bild-Arbeit (bildnerische SchemaTherapie)
Magersüchtige
leiden unter
haptischen und
Körperempfindungsstörungen
Im Test:
Verzerrte
Wahrnehmung
nach Ertasten
von Reliefs
Die Frau fasziniert mich
und stösst mich gleichzeitig ab.
Sie ist furchtbar dick ...
Sie scheint sich trotz ihres Fettes
nicht unwohl zu fühlen“ Pat. 19 J.
Störung der zeichnerischen
Reproduktionen aufgrund
von Störungen des rechten
Parietallappens – und entsprechend Körperwahrnehmungsstörungen
Die entsprechenden
Hirnareale sind
gestört
Geist & Gehirn
3, 2004, 22
Schema 15
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Emotionale, körperlich sich auswirkende Störungen (3) (ICD V F.94/98; F.43.20-24)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: Selbstschädigendes und -verletzendes Verhalten
infolge früher Störungen, beispielsweise von Traumatisierung, akuter und
posttraumatischer Belastung
Disability/Einschränkung: Die Belastungsstörung PTBS geht i.d.R. mit einer
Anpassungsstörung einher (depressives, angstvolles, gefühlsbeeinträchtigtes
Sozialverhalten)
Handicap/Behinderung: Das selbstverletzendes Verhalten induziert gegen den
Stresshormon-Mangel (Cortisolverbrauch infolge ständiger Anforderung)
beruhigende Endorphine (Oxytozine)
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: Gefühl sozialen Ausschlusses mit Tendenz, die
Verletzung zu signalisieren
Kontextuale Faktoren: Belastendes Ereignis, individuelle Verletzbarkeit,
bestehende erschwerte Persönlichkeitserfahrungen und soziale Interaktion
Psycho-soziale Konsequenzen: Die Aufklärung über die Vulnerabilitäts-Auslöser
erarbeitet systemisch die Ursache, klärt die Auslösesituation und zielt auf ein
stabiles soziales Netzwerk
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Die künstlerischen Angebote sind zwar fähig zu stabilisieren und Selbstwertgefühle zu vermitteln; sie kommen aber nicht aus ohne starke Reizimpulse,
die die Betreffenden in Spannungsmomenten sich selbst setzen. Kunsttherapeutisch istes möglch, diese Impulse mit Bildern zu koppeln.
Schema 16
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Tics bei Kindern und Jugendlichen (ICD-10 V F.95)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung:plötzliche, sich wiederholende einfache/komplexe
motorische oder vokale Störungen (am bekanntesten: Tourette) bei 5-15 % aller
Kinder zwischen 7 und 18 Jahren
Disability/Einschränkung: motorische Tics: Blinzeln, Gesichtszucken, Hüpfen;
vokale Tics: Räuspern, Grunzen – gehäuft unter Spannung und spez. Familiärer
Belastung
Handicap/Behinderung: Die plötzlich einschiessenden, unter Spannung sich
verstärkenden sinnlosen Bewegungen oder Laute behindern die kindliche/
jugendliche Kommunikation.
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: In den sozialen Belastungssituationen eher auftretend,
sind sie oft mit gleichermassen zwanghaften Phänomenen gepaart.
Kontextuale Faktoren: Gesichert ist die familiäre Häufung von Tic-Erkrankungen,
Einschränkungen des Kindes und darauf antwortende Durchbrüche fallen auf.
Psycho-soziale Konsequenzen: Einerseits ist das Neurotransmitter-System
gestört, andererseits bedarf es der Entlastung im systemischen Zusammenhang.
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Stressmindernde, entspannende Einzel- und/oder Gruppen-Bildarbeit, die
zum einen die stressigen Spannungsmomente ins Bild setzt, zum anderen
diese stressmindernd-bildbetrachtend entspannt.
Schema 17
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Aufmerksamkeits- und hyperaktiv gestörte Kinder und Jugendliche (ADHS) (ICD-10 V F.90.1-8)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: genetisch-neurobiologisch (synapt. Veszikelproteine),
stresshormon-induzierte (Cortisolmangel) oder bindungsstörungs-verursachte
Verhaltensauffälligkeit
Disability/Einschränkung: Bei hoher Ablenkbarkeit steter Wechsel der Tätigkeit,
Ruhelosigkeit, Aufmerksamkeitsrichtungsstörungen
Handicap/Behinderung: Stimmungsschwankungen, Angstlosigkeit und Distanzstörung in sozialen Beziehungen sowie Überschreiten sozialer Regeln behindern
normale Interaktion
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: individuelle und soziale Teilhabe infolge von Reizüberflutung, Energiemangel des Gehirns (ATP), Impulskontrollverlust und Erfahrungsschema-Unsicherheit gestört
Kontextuale Faktoren: Angesichts biochemisch: molekularmedizinischer
Befunde (A. Adam 2011) und sozial: ggfs der elterlichen ADHS-Betroffenheit ist
eindeutige Interaktion erschwert
Psycho-soziale Konsequenzen: Die Abkoppelung aus sozialen Prozessen
erschwert den Bildungs- und Erziehungsprozess; erfordert den Aufbau angemessener Selbststeuerungsmechanismen.
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Kunsttherapeutische Gruppenangebote an die Kinder (wie parallel an die Eltern)
zeigen, dass ein focussiert konzentratives Verhalten zu erlernen möglich ist.
(Lit.: Brigitte Umbach-Woborny, 2003)
Schema 18
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Affektive Störungen und suizidale Handlungen bei Jugendlichen (ICD-10 V F.30-39)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: Störungen von Antrieb, Spontaneität, vegetativen
(Schlafbedürfnis, Appetit, Libido) und sozialen Funktionen, zuweilen auch des
formalen/inhaltlichen Denkens
Disability/Einschränkung: Veränderung der Stimmung oder der Affektivität bei
ca. 12 % entweder zur Depression – mit Suizidgefahr (1 % gefährdet) - oder zur
gehobenen Stimmung (bipolar) neigenden Heranwachsenden
Handicap/Behinderung: einerseits Phase von Hemmungs-/ImpulskontrollVerlust, gesteigerter sozialer Aktivität – andererseits von unersichtlicher
Traurigkeit, Inhaltslosigkeit, Todeswünschen
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: Angesichts des neuronal-präfrontalen Abbaus planerischexekutiver zugunsten emotionaler Hirnverschaltungen in der Adoleszenz spielen
Isolations- wie vermehrt aggrandisierende, d.h. stark machende Gruppierungstendenzen eine Rolle.
Kontextuale Faktoren: Individuell-erzieherische Massnahmen treten gegenüber
gruppenorientierten Massnahmen zurück. Bands, Gangs, Peergruppen-Einflüsse
/-Initiativen sind vorrangig.
Psycho-soziale Konsequenzen: Einbeziehung u. Umstrukturierung des Um-/
Erlebnisfeldes
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Therapeutische Einzelsettings sollten hinter gruppenorientierte
Erlebnisangebote zurücktreten.
Schema 19
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Störungen des kindlichen u. jugendlichen Sozialverhaltens (ICD-10 V F.91.0-9)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: Ungünstige persönlichkeitskonstituierende soziale,
familiäre, schulische und vorberufliche Faktoren wirken sich kumulativ sozialdestruktiv aus
Disability/Einschränkung: Nach dem Auftretensalter sind zu nennen: Tierquälerei (5-6 J.), Vandalismus (6-7 J.), Schulverweigerung (8-9 J.), Weglaufen
(10 J.), sexuelle Übergriffe (12 J.), - hohes Risiko bei männl. Jugendlichen
(Lit.: Hinshaw 1993/ Petermann et al. 1998, 260)
Handicap/Behinderung: Über 50% zeigen von frühester Kindheit bis zum
Erwachsenenalter stabile Störmuster; zeigen Schul-/Leistungs-/Eigentums-/
Drogenprobleme; werden oft straffällig
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: Da gehäuft in der Kombination von hoher psychischer
Belastung (ADHS) und neurotischer Delinquenz (wenig Impulskontrolle; Gewalt)
auftretend, gehäuft Dissozialität
Kontextuale Faktoren: Da sich als antisozial artikulierend, ist der Erwerb neuer
oder modifi-zierter Persönlichkeitsskills (Kommunik.-/soziale Skill-Training)
angebracht (Lit.: Luiselli 1991)
Psycho-soziale Konsequenzen: Externaliserendes Verhalten (Wut, Schuld, Ärger),
das die Inter-vention eher drängt, die fehlenden sozialen Skills im
Gruppenzusammenhang zu trainieren
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Erlebnispädagogische, sehr strukturiert angeleitete jugendkulturelle Ausdrucksmöglichkeiten mit bildner. Mitteln (z.B. Graffitis, Musikperformance-Tanz/RapProjekte, DJ-Fortbildung u.a.m.)
Schema 20
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Kindlich/jugendlich schizotypische Persönlichkeitsstörung (ICD-10 V F.21)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: Eine Störung mit exzentrischem Verhalten und Anomalien des Denkens und der Stimmung bei Tendenz zu sozialem Rückzug (Ausbildung einer Sozialphobie), Grübeln, Körpergefühlsstörungen, dysmorphophoben,
sexuellen oder aggressiven Gedanken
Disability/Einschränkung: Ein magisches, fast paranoides Selbst- und Weltbild
grenzt sich von allen (sub-)kulturellen Bezügen aus, bringt sich unansprechbar
in eine sonderliche Position.
Handicap/Behinderung: Als Opfer von Vernachlässigung (Hospitalismus), körperlichen Übergriffen, sexuellem Mißbrauch, schulischem- oder peergruppenMobbing starke Isolationstendenzen
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: eher zurückgezogen-introvertiert, emotional zurückgenommen, cool …
Kontextuale Faktoren: Der unmittelbare Kontext, der familiäre Rahmen, die
schulische Umgebung, die Peergruppe werden als bedrohlich erfahren, erlebt.
Ein Rückzugsort wird gesucht.
Psycho-soziale Konsequenzen: Psychosozial ist ein Rückzug an den PC/das
Internet/in Foren wie „Second Life“ derzeit zu beobachten. 2,4 % der Jugendlichen gelten 9/2011 als internetsüchtig.
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Eine Begleitung der „neuen Krankheit“ (M. Dyckmanns/BMfGesu) muss sich auf
die Interaktion in und über den virtuellen Raum einlassen. (vgl. Second-LifeAngebot der Freiburger Diözese)
Schema 21
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Borderline-Störung bei Kindern und Jugendlichen (ICD-10 V F.60.3)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: Degeneration von Amygdala (Gefühlsanalyse) und
Hippocampus (Erinnerungsspeicher) (Lit.: Bohus, Heller, Kolk 2004) wie bei
PTBS-Patienten mit selbstverletzendem Verhalten
Disability/Einschränkung: emotional instabil-schwankend, in den Selbst- und
Fremdbildern unklar (Repräsentanzen), unbeständig beziehungs-motivational,
tendentiell selbstdestruktiv
Handicap/Behinderung: Durch intensive unangenehme Gefühle, wie Scham,
Ärger und Angst , gleichzeitig hoher Sensibilität, gefühls-defizitär und damit
individuell wie sozial beeinträchtigt
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: Die sowohl gegen sich selbst gerichteten Aggressionen
(z. B. SVV und Suizidversuche) als auch Fremdaggressionen (z. B. Wutausbrüche
oder Gewalt) bei verminderter serotonerger (= neurobiologisch ausgleichender)
Gesamtaktivität stören die soziale Interaktion.
Kontextuale Faktoren: Wenn nicht in sozialem Protestzusammenhang gratifiziert
und grenzüberschreitend, sind sie eher unsicher-vermeidend und ängstlich in
ihren Beziehungsmustern.
Psycho-soziale Konsequenzen: Eine hohe emotionale Sensibilität, auch eine
grosse Stimmungslabilität en (ausgeprägtes cholinerges System) machen den
Betroffenen beziehungsschwierig.
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Bild-, video- und rollenorientierte Geschichten sollen einen Zugang zu nicht
austarierten Emotionen wie Beziehungsverhältnissen vermitteln und müssen
nacherlebt und reflektiert werden. (Menzen, 1999; Müller, 2011)
Für Borderline-Patienten ist
Schematherapie konzipiert
Den Anstoß für die Elaboration des Moduskonzepts gab die Tatsache,
dass Dr. Young sich zunehmend auf die Behandlung von Patienten mit
Borderlinepersönlichkeitsstörungen konzentrierte, deren rasche Stimmungswechsel die Therapie häufig erschweren. Für sie werden z.B. fünf übliche Modi
postuliert: das verletzliche Kind, das ärgerliche Kind, der distanzierte Beschützer,
der Modus des strafenden Elternteils und der gesunde Erwachsenen Modus. Die
Struktur der Stunde wird dem vorherrschenden Modus angepasst, für jeden
Modus wurden spezielle Interventionstechniken erarbeitet und empfohlen, die
das Verständnis und die Zusammenarbeit erleichtern.
Im Focus:
Kunsttherapeutische Arbeit mit einem
Jungen mit Borderline-Syndrom
Er wird geboren, als seine Eltern mit dem Flugzeug auf dem Berliner Flughafen gelandet sind.
Da liegt jener Hoffnungsträger, der das Leiden der Eltern, des Vaters im Militärgefängnis der
Milizen, der Mutter im Kampf ums tägliche Brot, endlich beendet. Da liegt er, der so lang
erwünscht, jetzt über alles geliebt wird. Aber das wird sich bald ändern.
Die Migrationspolitik jener deutschen Großstadt sieht nämlich vor, dass sich die vier der
Flüchtlingsfamilie, es werden in wenigen Jahren elf Familienmitglieder sein, in einem
Blechcontainer, kaum zumutbar, zusammenquetschen muss. Das soll hier nicht diskutiert
sein. Aber der Umstand, dass Khalil sich kaum bewegen, kriechen, krabbeln darf. Nur ja nicht
laut sein, heisst die innerfamiläre Parole. Nur ja nicht auffallen. Und so geht ein Prozedere
los, das zwischen Gewähren und Strafen, in-den-Arm-Nehmen und Schlagen pendelt. Jussuf
wird, wie alle Borderliner davon ähnlich berichten, kaum wissen, ob man ihn mag oder nicht.
Das geht über Jahre.
Ich bekomme Zugang zu ihm, als seine Familie sich meldet. Erfahre schnell, was Sache ist.
Habe bald Kontakt zu ihm, weiss mich in der Unterstützung des Studierenden im Praktikum
sicher. Dieser geht wunderbar auf ihn ein. Bringt ihn dazu, trotz seiner Übermüdung,
spielerischen Langeweile, Schläfrigkeit, dennoch Coolness, zu einem Projekt zu bewegen.
Dieses ist künstlerisch-therapeutisch konzipiert. Khalil will Alladin, jenen Geist aus der
Flasche, an die Wand der Caritas-Bibliothek malen. Was nach Monaten von Verspätungen,
des Verschlafenseins, nicht-gehaltener Versprechen, dennoch gelingt.
Und dann ist da jener Tag, wo die Caritas-MitarbeiterInnen um ihn herum stehen. Er hat sich
an die Wand gemalt, sitzend, fast schon liegend in den Armen jenes grossen Geistes. Ist es
nicht das, was er uns, was er allen sagen will? Ihr müsst mich nur sehen in dem, was ich bin.
Einer, der gehalten werden will. Einer, der mal so mal so behandelt wurde. Einer der nie
lernen durfte, wer er wirklich ist. Wie sollen denn die sog. Selbstbilder in ihm entstanden
sein, wenn mal dies mal jenes belohnt, bestraft wurde? Er sagt uns im Bild: Schaut her, das
bin ich. Selbstverliebt ins Bild, so steht er da, so habe ich ihn im Bild festgehalten. Das
kunsttherapeutische Projekt, es hat es ihm möglich gemacht, sich endlich zu präsentieren –
seine sog. Selbst-Repräsentanz.
Schema 22
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Psychisch wirksamer Substanzenmißbrauch bei Kinder und Jugendlichen (ICD-10 V F.10-19)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: Alkohol, Opioide, Cannabinoide, Speed/Sedativa,
Kokain/Crack, Haluzinogene, Tabak, Lösungsmittel, multiple psychotrope
Substanzen wirken unterschiedlich.
Disability/Einschränkung: Euphorisierend, antriebssteigernd, enthemmend,
gleichgültig und interessenslos machend, mitunter verwahrlosend – wirken sie
funktional je unterschiedlich.
Handicap/Behinderung: Sozial eher stimulierend (Speed) oder aber sozial isolierend (LSD) – sie beziehen sich reaktiv wesentlich auf erfahrene Formen von
Beziehung und Sozialität.
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: Mitunter die einzige Form sozialer Teilhabe (Speed,
Marijuana, Ecstasy), können sie Zugänge eröffnen, aber auch verschliessen
(Lösungsmittel, LSD)
Kontextuale Faktoren: Schwierige, neurologisch erklärbare Adoleszenzphasen
(vgl. Synapsen-Reduktion ab 12. Lj.) eröffnen mittels der Droge zuweilen
individuell-kollektive Lösungsmuster.
Psycho-soziale Konsequenzen: In einer Gruppe per Droge integriert – oder aber
ausgeschlossen, Drogen können dissoziale Haltung demonstrieren oder als sozial
per Enthaltung manifestieren.
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Der Weg aus der schulischen/familialen Leistungs-/Anforderungs-/AnspannungsSituation kann in kunsttherapeutischen Projekten nachempfunden/-konstelliert,
je anders eingeübt werden. (Lit. Menzen 2009)
Im Focus:
Kunsttherapeutische Arbeit mit den inneren
Bildern einer Substanzen mißbrauchenden
Jugendlichen – Gegenübertragungen einer
Ausbildungsgruppe
Kunsttherapeuten wollen lernen – was die so gefährlichen Substanzen wie Heroin im Gehirn
auslösen? Was daran so anziehend macht? Wie es kommt, dass eine Jugendliche dem
verfallen kann? Also erzählen wir uns die Geschichte, die noch in meinem Kopf, dem eh.
Berater, grassiert. Um mich herum die Gruppe der Auszubildenden. Ich erzähle:
:
Wir sassen Tür an Tür, Psychologen und Sozialarbeiter in einer Caritasberatungsstelle einer
deutschen Grossstadt. Was unser Klientel anbetraf, so waren wir wohl auf ähnlichem
Niveau, Wissensstand. Nahmen teil an denselben Fortbildungen und Supervisionen. Ich
erinnere mich noch gut, wie sie zum erstenmal vor mir sass: klein, kompakt, lächelnd, und
sehr schwitzend. Wir müssen hier nicht dem Gang der Gespräche folgen, wollen aber kurz
zusammenfassen. Eine Lebensgeschichte, die schon früh ans Ende kommt. Buchstäblich
fünftes Rad am Wagen, das hat sie so auch mal gehört. Das vierte Kind der Familie, jener
Eltern, die sich eigentlich trennen wollen, jetzt nicht mehr können. Wir haben dich nicht
gewollt, - das ist noch das wenigste an belastenden Zusprüchen. Die Geschichte zieht sich
hin bis in die frühe Pubertät. Vater mag sie (wie sehr, ist schwer zu recherchieren), Mutter
lehnt sie ab. In diesem Hin und Her des Alltäglichen, sie erinnert sich noch genau an jenen
Abend, als der Vater an ihr Zimmerfenster von aussen klopft. Hat, von seinem Schaffnerjob
nachhause kommend, den Schlüssel wohlvergessen. Hat er? Sie im Bett sitzend, ist noch
geschockt von Hitchcocks ‚Vögel‘ im TV. Fährt zusammen. Sieht ihn an. Was geht zwischen
den beiden bloss vor?
Meine Ausbildungsgruppe, der ich dies erzähle, wird später genau auf dieses Bild reagieren.
Wird Bilder malen, die den Missbrauch andeuten. Reden wir nicht von SubstanzenMißbrauch? Nein, offenbar von sexuellem, meinen einige. Wie in der RealgeschichtsErzählung unklar, so auch in der Gruppe, werden wir ca. eine Stunde später feststellen, dann
wenn die Gruppe ihre stärksten Erinnerungsbilder aufs Papier gebracht, gemalt hat. Das ist
die Methode, um die eigenen Übertragungen auszuloten, auch: um herauszufinden, wie wir
in solchem Beratungszusammenhang unsere Hilfeangebote gesprächshalber einleiten.
Die Geschichte geht weiter mit einem Paukenschlag: Das Mädchen da im Bett lässt den Vater
nicht herein. Der dreht sich verbittert um, geht in den Schuppen nach nebenan, hängt sich
auf. Es folgen bittere Jahre mit der Mutter, den Brüdern. Eine Ausbildung bei einer
Kinderärztin. Und dort das, was sie am Tag des Begräbnisses mittels der Beruhigungsspritze,
die der anwesende Arzt ihr gab, lernen konnte: Beruhigung, Entspannung mit
Medikamenten. Diese entwendet sie im Vorzimmer der Ärztin, wo sie ihre erste
Ausbildungsstufe zur Kinderkrankenschwester absolviert. Zuerst nennt sie es ‚stiebitzen‘,
später ist es schwerer Diebstahl, bei der Menge, die sie mitgehen lässt. Und die sie zuhause
ausprobiert. Eine Jugendliche, die mit 16 entdeckt, wie man sich Gefühle per Medikament
induziert – mal aufgeregte, mal blockierte, mal deprimierende, mal stark erregende Gefühle.
Haben wir nicht alle unsere Gefühle im Kontakt mit unseren ersten und geliebten Personen
gelernt, Bezugspersonen nennt man sie. Jeder, jede in der Ausbildungsgruppe denkt an die
eigenen ersten starken Gefühle zurück, sucht sich in die Gefühlswelt dieses schon immer
verlassenen Mädchens einzuloggen. Lässt die bisher gemachten Bilder revue passieren.
Einige werden stark auf die Isolation dieses Mädchens reagieren. Welche reaktiven Bilder
bringen sie, die Auszubildenden hier ein? Vermischen diese mit den vorgeführten Bildern der
Anderen?
Die Diebstähle bleiben unbemerkt. Wir finden das Mädchen, nunmehr im ersten
Ausbildungsjahr, im Praktikum an einer psychiatrischen Klinik. Geschlossene Abteilung. Hier
hat sie Schlüsselgewalt – auch über die Medikamentenschränke. Wir ahnen schon, wie es
ausgeht. Sie fliegt auf. Wird entlassen. Vor ein Jugendgericht gestellt. Kommt auf
verordneten Entzug, 6 Wochen, in derselben geschlossenen Abteilung, wo sie vordem
arbeitete. Es gab keine andere Möglichkeit, - so wird argumentiert. Und sie braucht
inzwischen ihre Medikamente, ihre Drogen. In dieser geschlossenen Abteilung gerät sie –
natürlich gegen entsprechende Leistung – an mehrere Spritzen Heroin. Nach 6 Wochen steht
sie – abhängig – vor den Toren der Anstalt.
Völlig rat-, heimatlos, entschliesst sie sich, nach Berlin zu fahren. Landet abends im Bahnhof
Zoo. Ist die vielen Menschen nicht gewohnt. Fährt per U-Bahn weiter. Nollendorfplatz,
zweite Station, da steigt sie aus. Ab jetzt ist die Geschichte, so passiert, schwer zu ertragen.
In der angrenzenden Strasse landet sie in den Fängen eines Loddels, der verfrachtet sie in ein
Zimmer – und ab diesem Zeitpunkt beginnt ein Elend, das kaum beschreibbar ist. Für Miete,
Lebensunterhalt, Heroin und persönlichen Schutz wird sie neuneinhalb Jahre lang eine
Unmenge von Geld verdienen müssen, Heerscharen von Männern ertragen, sich demütigen
lassen müssen, - was ohne den Stoff, den sie spritzt, nicht ginge, geht.
Die zukünftigen Kunsttherapeutinnen um mich herum sind zunächst entsetzt, dann wie
paralysiert, ziehen sich, jede für sich, zurück. Schweigen. Das sind die Momente, über die wir
nach den ermalten Bildern, reden müssen. Denn sie werden sich, sogar schwerpunktmässig,
bald mit solchen Geschichten auseinandersetzen müssen. Werden sich gefragt haben
müssen, wie es ihnen bei einer solchen Geschichte geht? Welche Bilder ihnen kommen?
Welche Schritte kunsttherapeutisch nunmehr anzudenken sind.
Die Geschichte geht natürlich weiter. Erzählt von Selbstmordversuchen, 25 an der Zahl.
Erzählt von Psychiatrieaufenthalten. Von Beschulungsversuchen. Von einem Scheitern, das
kaum mehr aufzulisten ist. Aber dann – mitten in der sich fast inszenierenden Erzählung des
Mädchens, wie es sich vor der Beratung ritzt, um endlich die Dinge zu vergessen -, mitten in
dem Tohuwabohu kommt die erlösenden Meldung: Sie ist für die Altenhilfe-Ausbildung
akzeptiert. Und das, wiewohl sie ansonsten niemanden berührt, berühren kann, auch mich
nicht, macht ihr Spass. Sie wird bald die Ausbildung beenden, wird die Beratung verlassen
können,- eine Geschichte, die ein gutes Ende nimmt.
Schema 23
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Unfall-/Hirnverletzte Kinder und Jugendliche (ICD-10 V F.06)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: Verletzung der präfrontalen (Vorder-) und parietalen
(Scheitel-) Hirn-Areale nach Unfall
Disability/Einschränkung: Da das Vorderhirn für planerische Exekutivorgänge
mit jeweiliger gefühlsmässiger Einschätzung, das seitliche Scheitelhirn für visuokonstruktive, in Zusammen-hang bringende Einschätzungen vonnöten sind, sind
Raum-Zeit-Handlungsfähigkeiten betroffen.
Handicap/Behinderung: Die soziale Behinderung ist enorm, da die Handlungsvollzüge und –absichten meines Gegenübers nicht erschliessbar sind, mühsam
konstruiert werden müssen.
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: Die soziale Teilhabe ist ausgeschlossen. Stationäre Einzelund beginnende Gruppenbetreuung bei familialer Einbindung angesagt.
Kontextuale Faktoren: Die jedem Schritt folgende Einzelbetreuungsmassnahme
wie die Erfahrung von kollektiven Empfindungen, Gefühlen in der Gruppe
werden orientierend.
Psycho-soziale Konsequenzen: Da Einzelbetreuungsmassnahmen oft zu stark auf
das jeweilige Defizit verweisen, depressiv machen, sind motivierende Gruppenmassnahmen angebracht.
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Kunsttherapeutische Gruppenangebote (Malen, Werken) haben sich als ausserdentlich entlastend wie selbstwert-steigernd, heilsam erwiesen.
(Lit.: Menzen 2008/9: Rinninsland 2010)
Schema 24
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Psychiatrisch auffällige Kinder und Jugendliche (ICD-10 V F.20-29)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: Eine genetische Disposition und aktuelle Belastungssituationen wir-ken zusammen. Geschätzt: 5-10 % alles schizophrenen Erkrankungen beginnen vor dem 19.LJ.
Disability/Einschränkung: Ängste, Depressionen, somatoforme Störungen überwiegen; affektive Psychosen sind selten, aber Schizophrenien nehmen zwischen
dem 12. u.30. LJ stetig zu.
Handicap/Behinderung: 10 % aller Schizophrenien sind vor dem 18. LJ manifest.
Psychomotor. Unruhe u. Stereotypen sowie Apathie (weniger schizophrone
Subtypen) diagnostisch vordergründig
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: Dysthymien (psych. Verstimmungen) u. beginnende
Persönlichkeitsstörungen sind angesichts drogeninduzierter Symptome sozial
oft akzeptiert in der Peergruppe.
Kontextuale Faktoren: Einerseits ein zunehmend belastender familiärer,
andererseits entlasten-der subkultureller, drogenakzeptierender Kontext bilden
den Hintergrund. (Menzen 1999)
Psycho-soziale Konsequenzen: Familiale, schulische Bemühungen zeigen die
Belastungssitutionen, auch die Gefahr der Drogeninduzierung. Sicherheit ist
aus Sicht der Kinder das Wichtigste.
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
In den letzten 2 Jahrzehnten haben sich viele künstlerisch-therapeutischen
Projekte um psychia-trisch auffällige Jugendliche mit grossem Erfolg v.a.
künstlerisch bemüht. (Christian Müller, 2011)
Schema 25
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Mehrfach behinderte junge Erwachsene (ICD-10 V F.70-79)
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: Formen der geistigen wie körperlichen Behinderung,
die sich entwick-lungsgemäss, vor allem psychisch auswirken.
Disability/Einschränkung: Angesichts gravierender geistiger, körperlicher,
seelischer Funktions-störungen werden zunehmend selektive Arbeits-/Produktionsplätze organisiert (Atelier/Theater)
Handicap/Behinderung: Da die sozialen Handicaps entsprechend der Einschränkungen bestehen, geraten die verbliebenen nicht-betroffenen ins Interesse der
Arbeitsgesellschaft
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: Die soziale Teilhabe ist nicht nur gewährleistet, sondern
garantiert, wo die nicht-behinderten Kompetenzen/Skills gefördert werden
(Theater/Restaurant/Atelier/Hotel)
Kontextuale Faktoren: Die Selbstverständlichkeit einer auf Inklusion (nicht
Exklusion) bedachten Gesellschaft garantiert einen stabilen Kontext.
Psycho-soziale Konsequenzen: Die Erfahrungen mit so geschulten/geförderten
Menschen mit Behinderung (Theater Thikwa Berlin/Künstlerisches Atelier
Reutlingen) zeitigt große Erfolge.
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Künstlerische Ateliers, die sich wie ca. 100 ihrer Art auf der Grundlage von Bildund/oder Theater-Produktionen einen Platz auf dem zweiten, z.T. ersten
Arbeitsmarkt erkämpft haben.
Schema 26
Betroffene
Begleitete/ Klienten/ Patienten/
Von Verwahrlosung bedrohte junge Erwachsene
Beeinträchtigungen
Impairment/Schädigung: Verwahrlosung als Folge von früher emotionaler Vernachlässigung, schwerer sexueller und/oder gewalthafter Übergriffe, elterlichem Affektentzug (Trennung, Tod) mit ggfs. anschliessender Hospitalisierung
Disability/Einschränkung: Nicht nur geistige, seelische und körperliche, sondern
auch soziale Störungen (Selbst-/Fremdbild) bilden den Hintergrund für ein
Vernachlässigungssyndrom.
Handicap/Behinderung: Die Vernachlässigung von äusserlicher Erscheinungsweise und sozialer Einfühlung isolieren und grenzen aus.
Psycho-soziale Dynamik der Beeinträchtigung
Partizipation/Teilhabe: Die soziale Teilhabe ist nicht mehr garantiert. Eine
Sozialassistenz ist dringend vonnöten. Wenn Kinder beteiligt sind, kann SPFH
ansatzweise Partizipation aufbauen.
Kontextuale Faktoren: Die Wiedereingliederung in den sozialen Kontext ist
sozialarbeiterisch und therapeutisch vorrangig.
Psycho-soziale Konsequenzen: Die psychosozialen Reaktionen müssen
grundlegend rekonstruiert, mit den Betroffenen wieder aufgebaut werden.
Salutogenetisches Angebot
ggfs. künstlerisch-therapeutische Massnahme
Kunsttherapeutische Projekte – wie das von Anne Schmees/Wien – zeigen, dass
soziale Verwahrlosung bildnerisch nach massgabe der Schema-Therapie aufgearbeitet, nacherlebt, rückgebildet werden kann (Menzen, 2009)
Im Focus:
Kunsttherapie mit drei von
Verwahrlosung und PsychiatrieEinlieferung bedrohten erwachsenen
Frauen
Drei Frauen, drei Schwestern, in ihrer Nachbarschaft. A.S. ist Künstlerin und verdient sich
nebenbei Geld, indem sie sozialarbeiterisch tätig wird. Das kann sie aufgrund ihres früheren
Studienabschlusses. Sie hat diese Frauen richtig gern. Die sind lustig, sprechen sie sogar an,
wenn sie vorbeikommt, lachen mir ihr. Natürlich gäbe es da auch etwas zu bemängeln. Es
stinkt entsetzlich im Vorraum der Wohnung, man muss förmlich die Luft anhalten, wenn
man an der Tür vorbeigeht. Dennoch, sie mag die drei.
Als A.S. erfährt, dass die drei Schwestern in die Psychiatrie eingeliefert werden sollen,
schaltet sie sich ein. Sie geht aufs Amt und erfährt nach Prüfung ihres persönlichen, hier
auch beruflichen Interesses und Hintergrunds, dass eine Zwangseinlieferung wegen
schwerer Beeinträchtigung der Öffentlichkeit vorgesehen ist. Sie könnte sich gut vorstellen,
mit den Frauen zu arbeiten. An deren öffentlichen Präsenz dahingehend zu arbeiten, dass sie
deren Binnenleben neu strukturiert. Es kommt in der Folge mit den drei Frauen, ihr und dem
Amt zu einem zeitlich befristeten Vertrag, von dem hier zu berichten es wert ist.
Es beginnt nicht mit Aufräumen – sondern mit einem Sich-Umschauen: Sie sitzen am Tisch
und zeichnen, so recht und schlecht sie können, ihre unmittelbare Umgebung. Was sehe ich?
Das fast herunterfallende Wandregal da drüben, den überquellenden Wohnzimmerschrank
daneben, usw. Es entstehen Zeichnungen, kleine Skizzen. Die werden auf dem gemeinsamen
Tisch, an dem die vier jetzt sitzen, hin und her geschoben, gelobt, verrissen, auf die Schippe
genommen.
Und daraus entstehen ernsthafte Anmerkungen, Gesprächsschnipsel, die sie ans Überlegen
bringen: Müssten wir das Regal, den Schrank nicht mal …? Da kommt etwas in Fahrt. Da ist
noch nichts entschieden. Aber als A.S. beim nächstenmal aufkreuzt, sind beide,Regal und
Schrank aufgeräumt. Das wird bestaunt und mit einem Käffchen gefeiert. Muss man
tatsächlich nur hingucken? Die Drei haben offenbar den Ernst ihrer Situation erkannt. In der
Kurzfassung dieses Berichts klingt die Story leicht märchenhaft, - aber es geht voran.
Aufräum-Projekte entstehen. Immer nach demselben Muster. Anschauen, Zeichnen,
Verändern.
A.S. ist in kunsttherapeutischer Weiterbildung bei mir, dem Schreibenden, an der
Hochschule für Angewandte Kunst in Wien. Sie berichtet in unseren allfälligen ganztägigen
Supervisionen, wie die drei Betroffenen so langsam ihrer Verwahrlosungstendenzen gewahr
werden. Und sie berichtet, wie das Zeichnen hilft, wie die kleinen Skizzen ohne Anspruch auf
Vollkommenheit den Blick schulen, hinsehen lassen.
Wenig später sehen wir, die Supervisionsgruppe, die ersten Bilder. Sind erstaunt, wie genau
die Ecken, ehemals vollgestellten Winkel, nunmehr einsehbar sind. Wenig später sehen wir
Skizzen vom Einkauf auf dem Wiener Naschmarkt. Erleben die mit Früchten und Gemüsen
aufgestellten, geordneten Regale. Alles wird zeichnerisch protokolliert. Nach Hause getragen
und sorgsam eingeordnet. Nach einem halben Jahr ist die Welt der drei Frauen verändert.
Der kunsttherapeutische Einsatz, der Blick mit den Augen der Zeichnerinnen, er hat sich
gelohnt. Das Ordnungsamt nimmt die Verfügung zurück.
© Das Manuskript ist nur für den privaten Gebrauch
bestimmt und darf nicht weiterkopiert und verbreitet
werden (Der Autor)
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