DGB Region Osnabrück-Emsland Positionspapier: Zehn Entscheidungen für einen neuen Gesellschaftsvertrag! „Das ganze Leben in gesellschaftlicher Verantwortung!“ Beschlossen auf der Seniorenkonferenz des DGB am 01.10.2009 DGB Region Osnabrück Emsland August-Bebel-Platz 1 49074 Osnabrück Zehn Entscheidungen für einen neuen Gesellschaftsvertrag! Das ganze Leben in gesellschaftlicher Verantwortung! 1. Teilhabe und Zugang zum gesellschaftlichen Reichtum Alle in Deutschland lebenden Menschen haben ein Recht auf umfassende Teilhabe an und ungehinderten Zugang zu den sozialen, ökonomischen, ökologischen und kulturellen Ressourcen der Gesellschaft. Dies ist die grundlegende Ausrichtung eines neu zu verankernden Gesellschaftsvertrages. Die Einlösung dieses Rechtes ist Aufgabe und muss Ziel allen politischen Handelns – und aller gesellschaftlichen Strukturen in Deutschland sein. Die Verteilung gesellschaftlichen Reichtums ist als eine soziale Dienstleistung in gesellschaftlicher, also öffentlicher Verantwortung zu begreifen. Eine Verantwortung, an der jeder in Deutschland lebende Mensch teilhaben soll. 2. Anerkennung des Anderen ist die Wurzel von Teilhabe Angesichts der zunehmenden Ausdifferenzierung unserer Gesellschaft ist eine Politik erforderlich, die sich auf den Grundsatz der Anerkennung sozialer, kultureller und sprachlicher Vielfalt stützt. Vor diesem Hintergrund fordern wir die Schaffung der rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für die gleichberechtigte Teilhabe aller Generationen an allen gesellschaftlichen Ressourcen. Dies gilt insbesondere für solche Ungleichheiten, deren Ursachen sich in individueller Wirtschaftskraft, regionaler Disparität, Migration und Geschlechtszugehörigkeit begründen. 3. Ein neuer Generationenvertrag in gesellschaftlicher Verantwortung Ein Vertrag für eine ganze Gesellschaft, der alle Generationen gleichberechtigt integriert, für den die Verantwortung des Einzelnen ist, ihn solidarisch zu beleben und Verantwortung der Gemeinschaft bleibt, ihn tragfähig zu gestalten. Ein neuer Generationenvertrag kann nur durch einen Systemwechsel in der sozialstaatlichen Sicherung, durch eine Umverteilung von Belastungen zwischen den Generationen, durch eine kinderfreundliche Gestaltung der Arbeitswelt sowie den Ausbau einer bedarfsgerechten sozialen Infrastruktur in öffentlicher Verantwortung entstehen. Insbesondere ist die Privatisierung öffentlicher Verantwortung, die individuell orientierte Belastung bzw. Begrenzung von Teilhabe aufzuheben im Interesse eines neuen, gesellschaftlich tragfähigen Generationenvertrages. 4. Beschäftigungsgarantie fängt mit guter Ausbildung an Kein junger Mensch ist entbehrlich, seine Qualifizierung unverzichtbar. Daraus leitet sich die gesellschaftliche und politische Verpflichtung her, dass jeder Mensch unabhängig von seinen Lebensbedingungen ein Recht auf einen grundlegenden schulischen Abschluss, auf die Gewährung einer „zweiten Chance“ sowie auf eine darüber hinaus gehende Förderung seiner Fähigkeiten und Bestrebungen, auf eine berufsqualifizierende Ausbildung und auf eine anschließende erste Beschäftigung hat. Mit dem gesicherten Hineinwachsen in die Arbeitswelt wird gesellschaftlicher Reichtum fortgeschrieben, indem die Generationen voneinander lernen und Verantwortung weiter reichen können. Fair verteilte Arbeit gewährleistet auch den gesunden Ausstieg aus der Arbeitswelt. 5. Lebenslanger Zugang zu allen Bildungswegen Bedingungen für ein gelingendes Aufwachsen in dieser Gesellschaft sind qualifizierte Standards für die Erziehung, Bildung und Betreuung aller Kinder in Kindertageseinrichtungen sowie verlässliche Schulzeiten. Elternzeit, aber auch die der Großeltern bedarf anerkennender Entlastung, sich sozial, kulturell oder beruflich stetig weiter bilden zu können. Neben diesen Bedingungen müssen auch die Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit, der Gemeinwesenarbeit und der Kulturarbeit zur selbstverständlichen wahlfreien sozialen Infrastruktur gehören. Dies zielt über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Väter und Mütter hinaus ab auf eine qualifizierte Wahrnehmung und Erweiterung des Bildungsauftrages für alle Lern- und Handlungsfelder der formellen und informellen Bildung. Dem gelingenden Aufwachsen muss unabhängig von Status, Alter, Geschlecht oder Herkunft der Zugang zu allgemeinen Bildungsangeboten und spezifischen Qualifizierungen folgen. Bildung muss lebenslang und kostenfrei vorgehalten und zugänglich bleiben. 6. Die Ausgaben folgen den Aufgaben Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Reichtums ist die Verteilung von Ressourcen Ergebnis politischer Willensbildungsprozesse. Diese Willensbildung muss wieder öffentlich und nach transparenten Grundsätzen erfolgen. Politik hat nicht nur die Aufgabe, gesetzliche Aufträge zu formulieren, sondern ebenso die Pflicht, die erforderlichen Voraussetzungen für die Umsetzung der gesetzlichen Aufträge und die Befriedigung berechtigter Ansprüche durch die Bereitstellung der entsprechenden Ressourcen zu schaffen. Eine gerechte Teilhabe am sozialen Leben zu regeln bedarf des Grundsatzes, dass die Ausgaben den Aufgaben zu folgen haben und nicht umgekehrt. Dass die Aufgaben, ihre fachliche Steuerung und zu benennende Qualitätsstandards, nur im Rahmen bereit gestellter Mittel verwirklicht werden können, muss zwischen den verschiedenen Gesetzgebungsebenen beachtet werden. 7. SGB: Umsetzungsdefizite abbauen und Weiterentwicklung vorantreiben Vor- und Fürsorge, Hilfen und Unterstützung erfahren nicht Kunden, sondern Menschen. Die Pflichten des Einzelnen verlangen nach öffentlicher Verpflichtung, soziale Sicherung aktiv vorzuhalten. Die wirkungsvolle Umsetzung von Strukturen, Verfahren und Leistungen des SGB und deren am Bedarf orientierte Weiterentwicklung bedürfen der verbindlichen Mitwirkung aller Akteure. Insbesondere ist es eine Schwächung des SGB, wie Hilfen, Leistungen und Handlungen mit der Orientierung von „Fördern und Fordern“ unüberschaubar segmentiert und sanktionierend ausgesteuert wurden. Tatsächlich bedarf es einer verstärkten Orientierung von Hilfen, Leistungen und Handlungen am tatsächlichen Bedarf und der Nachfrage sowie in der Qualifizierung auf Verbundhilfen in fachlicher Betreuung. Örtliche oder regionale Besonderheiten (z. B. soziale und medizinische Dienstleistung) sind dazu qualifiziert auszugleichen durch eine aktive übergeordnete Verantwortlichkeit im Sinne der chancengleichen Teilhabe für alle. Die Sozialgesetzgebung muss sich zu einer übergreifenden, allgemein wirkenden Grundsicherung entwickeln, die Hilfen in besonderen Lebenssituationen vorhält und auch individuell anbietet. Die bessere Förderung der infrastrukturellen Bedingungen der Teilhabe hat Vorrang vor der Erweiterung der individuellen finanziellen Transferleistungen, schränkt aber die Subjektleistungen (Hilfen in besonderen Lebenssituationen) keinesfalls ein. Hier muss im Gegenteil eine Sicherung von Teilhabe an gesellschaftlichem Leben qualifiziert und nachhaltig flexibel gesichert werden. 8. Fachlich regulierter Wettbewerb qualifiziert Daseinsvorsorge Gesellschaftlich notwendige Aufgaben und Bedarfe der allgemeinen und spezifischen Daseinsvorsorge, der Inhalt eines Generationenvertrages, haben aus qualitativer Planung, Entscheidung, Auswertung (Evaluation) und Wirksamkeitsprüfung (Controlling) hervorzugehen. Die dafür notwendigen Strukturen haben sich in öffentlicher Verantwortung zu etablieren und sind, unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips (also der Vorrangigkeit freier Träger), in ihrer konkreten Kompetenz fachlich zu orientierende Steuerungsinstrumente. Ein politisch gewollter Wettbewerb hat sich somit an fachlich gesetzten Qualitäts- und Wirkungsstandards zu orientieren. Qualität vor Einsparungen und Generationengerechtigkeit statt elitärer Statussicherung! Unbedingt ist ein fachlich orientierter Wettbewerb jeglicher Privatisierung von Aufgaben oder Verantwortung vorzuziehen. 9. Leistungen bürgerfreundlich zu gestalten ist möglich Die bürgerfreundliche Gestaltung der Leistungen zur Daseinsvorsorge und sozialen Fürsorge ist die gemeinsame Aufgabe von Gesetzgeber, fachlicher Steuerungsstruktur (Kostenträger) und Leistungserbringer. Eine qualifizierte Beteiligung und Mitbestimmung der Versicherten und Leistungsbezieher bleibt wesentlicher Teil der Leistungen zur Daseinsvorsorge. An die Stelle des formalen Gesetzesvollzuges und bürokratischer Routinen soll eine Leistungsorganisation treten, die sich am Bedarf und am Ergebnis orientiert und dabei die fachlichen Eckwerte qualitätssichernder Standards durchsetzt. Bürgerfreundlich sind Vor- und Fürsorge, Leistungen und Hilfen dann, wenn niedrigschwellige Zugänge eröffnet werden und verlässliche Hilfen verbindlich und kontinuierlich aus einer Hand sowie individuelle und kollektive Mitwirkungschancen vorhanden sind. 10. Fachlichkeit und Fachkräftegebot sind Bedingung Einen Generationenvertrag auszugestalten bedarf der kollektiven Kompetenzen aller gesellschaftlichen Akteure für eine aktiv gestaltbare Sozialpolitik. Kernpunkt einer modernen und zukunftsfähigen Sozialpolitik ist die Professionalität der Akteure und die Anerkennung ihres fachlichen Eigensinns. Fachlichkeit setzt auf qualifizierte Ausbildung, eine kontinuierliche Fort- und Weiterbildung sowie eine den gestiegenen Anforderungen entsprechende Bezahlung der Fachkräfte voraus. (Pflege ist keine Hilfstätigkeit) Eine wesentliche Voraussetzung für die Weiterentwicklung der Sozialen Arbeit, also der sozialpolitischen Wirksamkeit ist, dass das Fachkräftegebot auf allen Ebenen und für alle Handlungsfelder der Sozialpolitik umgesetzt wird.