Physik I Vorwort Die Vorlesung ”Physik I”, die ich im SS 07 für die Studenten des Dept. Elektrotechnik/ Informationstechnologie und Materialwissenschaften der ETH Zürich lese, dient der Einführung in die Mechanik und Elektrodynamik, betrachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung wird als Schwerpunkt berücksichtigt, dass die Physikroutine systematisch Konzepte der Mathematik benutzt. Das geschieht nicht nur um physikalische Inhalte korrekt zu vermitteln, sondern trägt auch der Tatsache Rechnung, dass die Natur selbst eine faszinierende ”mathematische Struktur” besitzt, die in vielen alltäglichen Erscheinungen zum Vorschein kommt. Die für das Studium der Physik notwendigen Werkzeuge aus der Mathematik werden parallel zu den physikalischen Konzepten eingeführt. Ich bedanke mich bei meiner Frau Hedi, die das Skript druck- und webreif bearbeitet hat. Wichtiger Bestandteil dieser Vorlesung sind die Übungsserien: sie und die Musterlösungen werden separat aufgeführt. Ich bedanke mich bei N. Saratz (Chef Übungen) und allen Assistenten für ihren Einsatz. Zürich, im März 2007, D. Pescia ([email protected]) http://www.microstructure.ethz.ch ii Inhaltsverzeichnis Vorwort ii 1 Newtonsche Mechanik 1.1 Newtonsche Bewegungsgleichungen in einer Dimension . . . . 1 2 2 Eindimensionale Mechanik: Beispiele 2.1 Radioaktiver Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Kräftefreie Bewegung . . . . . . . . . . . . . . 2.3 K 6= 0 aber konstant . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Eindimensionales, homogenes Kraftfeld . . . . 2.5 Der freie harmonische Oszillator . . . . . . . . 2.6 Erzwungene Schwingung . . . . . . . . . . . . 2.7 Gedämpfte Schwingung . . . . . . . . . . . . . 2.8 Resonanzphänomene . . . . . . . . . . . . . . 2.8.1 Elektrische Resonanzkreise . . . . . . . 2.8.2 Spektroskopien . . . . . . . . . . . . . 2.8.3 Resonanzen in der Teilchenphysik . . . 2.9 Allgemeine Lösung 1-dimensionaler Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1d Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden 3.1 Eigenmode zweier gekoppelter harmonischer Oszillatoren . . . 3.2 Eigenmode einer schwingenden Kette mit N-gekoppelten Oszillatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Übergang zum schwingenden Kontinuum: Die Wellengleichung 3.3.1 Die harmonische Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Die stehende Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Eigenfrequenzen eines schwingenden Seils . . . . . . . . 10 10 11 12 13 14 18 22 25 25 26 29 30 33 33 35 37 40 41 41 4 Mechanik im euklidischen Raum 43 4.1 Vektoralgebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 4.2 Bewegung eines Massenpunktes im Zentralfeld . . . . . . . . . 47 iii iv INHALTSVERZEICHNIS 4.3 Kepler-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 4.4 Rutherfordsche Streuformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 5 Elektrostatik 5.1 Die Grundgleichungen der Elektrostatik . . . . . . . . . 5.2 Das elektrische Feld von einfachen Ladungsverteilungen 5.3 Elektrostatik von Metallen . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Elektrostatik eines Isolators (= Dielektrikum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 65 68 75 81 Kapitel 1 Newtonsche Mechanik Eine der wichtigsten Erscheinungen der Natur ist die Bewegung. Bewegt sich ein Objekt über Abstände, die viel grösser als seine Ausdehnung sind, so kann dieses Objekt als Massenpunkt P betrachtet werden. P ist ein geometrischer Punkt. In der Newtonschen Mechanik ist die Masse m das einzige Merkmal, das Massenpunkte voneinander unterscheidet (Einheiten für die Masse: kg). Im Falle eines Massenpunktes kann dann seine endliche Ausdehnung für die Beschreibung der Bewegung vernachlässigt werden. Beispielsweise kann man für die Beschreibung der Umlaufbahn der Erde um die Sonne die Ausdehnung der Erde vernachlässigen – will man hingegen erklären, warum es Tag und Nacht gibt, muss man berücksichtigen, dass sich die Erde als Konsequenz ihrer endlichen Ausdehnung um ihre eigene Achse dreht. Die Lage eines Massenpunktes in einem dreidimensionalen Raum (euklidischer Raum E3 ) wird als die Linearkombination dreier Basisvektoren gegeben, welche an einem Punkt (dem Ursprung der Basisvektoren) verankert sind. Die Vektoren wählt man in der Regel orthogonal zueinander: es entsteht ein sog. kartesisches Koordinatensystem, in welchem der Ortsvektor ~r, der den Ursprung des Koordinatensystems mit dem geometrischen Punkt P verbindet, durch ~r(t) = x(t)~ex + y(t)~ey + z(t)~ez dargestellt wird. Die Koeffizienten vor den jeweiligen Basisvektoren sind die Koordinaten des Punktes entlang der vom Basisvektor spezifizierten Richtung und heissen Komponenten des Vektors ~r. Es sind drei Koordinaten notwendig, um die Lage eines Massenpunktes zu erfassen: Ein Massenpunkt P in E3 hat dementsprechend 3 Freiheitsgrade, d.h. seine Lage ist durch die Angabe von 3 Koordinaten eindeutig festgelegt. Um die Schreibweise zu vereinfachen, werden vom Vektor ~r nur die Komponenten in Form eines Zahlentrippels (x(t), y(t)z(t)) beibehalten. In der Mathematik bedeutet das eine eineindeutige Abbildung von E3 in den Vektorraum der Zahlentrippel. 1 KAPITEL 1. NEWTONSCHE MECHANIK 2 Die Koordinaten sind reelle Zahlen, welche von einem reellen Parameter t abhängen können. t ist in der Regel die Zeit, und durch die Zeitabhängigkeit der Koordinaten (die Basisvektoren sind, in diesem spezifischen Fall, zeitunhabhängig) beschreibt der Massenpunkt eine Bahn oder Trajektorie im Raum. Eine mögliche Einheit für die Zeit ist die Sekunde (sec). Eine mögliche Einheit für die Koordinaten ist das Meter m. Zweck der Newtonschen Mechanik ist, die Gesetze zur Bestimmung der Bahnkurve anzugeben. 1.1 Newtonsche Bewegungsgleichungen in einer Dimension Der direkteste Weg, die Bewegung von P zu erfassen, ist die Messung von ~r(t) über ein gewisses Zeitintervall. Dadurch lässt sich vielleicht ein Gesetz erkennen, mit dessen Hilfe man den weiteren Verlauf der Bewegung voraussagen kann. So haben Naturwissenschaftler bis und mit Galileo Galilei gearbeitet. Durch unzählige Beobachtungen hatte man ein sehr genaues Bild, z.B. der Dynamik der Planeten und der Sterne (fast genau so wie unseres) erlangt, und konnte damit schon Begriffe wie die jährliche Periodizität der Erdbewegung um die Sonne formulieren. Das Experiment von Galileo auf dem Turm von Pisa ist in diesem Sinne ein Merkmal in der Geschichte der Physik: Er lässt eine Kugel aus einer Höhe z0 fallen, misst ihre Lage z als Funktion der Zeit und schliesst auf ein t2 -Gesetz: z(t) = z0 − 12 gt2 . Galileo war danach im Stande, die Position der Kugel zu jeder Zeit anzugeben. Allerdings möchte man die Bewegung durch Gesetze formulieren, die möglichst einfach sind und es gestatten, eine möglichst grosse Anzahl von Phänomenen zu beschreiben oder vorherzusagen. Wir werden diesen zweiten, von Newton vorgeschlagenen Weg, zuerst am Beispiel von eindimensionalen Problemen formulieren. Eindimensionale Probleme sind dadurch charakterisiert, dass die Bewegung nur entlang einer Richtung stattfinden kann. Wir wählen die Basisvektoren so, dass ~ex entlang dieser Richtung liegt. Somit ist die Bewegung des Massenpunktes allein durch die Koordinate x entlang ~ex beschrieben. Die Koordinate x kann sich als Funktion der Zeit t ändern, d.h. x = x(t) ist eine Funktion der reellen Variablen t. Mathematisch gesehen, bedeutet das Studium der Bahn eines Massenpunktes in einer Dimension und die Formulierung seiner Bewegungsgleichung (BGL) die Untersuchung von reellen Funktionen einer Variablen. KAPITEL 1. NEWTONSCHE MECHANIK 3 Reelle Funktionen einer Variablen Eine reelle Funktion f einer Veränderlichen ist eine Abbildung einer Teilmenge D von R (Definitionsbereich) nach R: f : x ∈ D → y = f (x) ∈ R. Mit f (x) und g(x) sind auch das skalare Vielfache c · f (x), die Summe f (x) + g(x) und das Produkt f (x) · g(x) Funktionen. Mit diesen Operationen können wir aus f (x) = 1 und f (x) = x alle Polynome P P∞ P (x) = k ak xk konstruieren. Potenzreihen werden durch k=0 ak xk generiert, falls ein Intervall für x existiert, innerhalb welchem die Potenzreihe gegen einen endlichenWert . konvergiert. Eine weitere wichtige Operation ist der Quotient zweier Funktionen fg (x) = f (x) g(x) . Mit dieser Operation generiert man rationale Funktionen. Der Quotient ist nicht für Werte von x mit g(x) = 0 definiert. Die Zusammensetzung von Funtkionen, die auch zu . einer Funktion führt, ist durch die Gleichung f ◦ g(x) = f (g(x)) definiert. Dabei muss beachtet werden, dass g(x) im Definitionsbereich von f liegt. Eine wichtige Operation ist der Grenzwert von Funktionen. Im Definitionsbereich sei eine Zahl c vorgegeben, und eine Folge von Zahlen an konvergiere nach c, d.h. limn→∞ an = c (die Konvergenz einer Folge ist gegeben, falls bei jeder vorgegebenen Umgebung ǫ von c alle Zahlen mit k > n innerhalb ǫ fallen). Wir sagen, für x gegen c strebt f (x) gegen d und schreiben limx→c f (x) = d (lies Limes x gegen c von f (x) gleich d), wenn für jede gegen c konvergente Folge an aus D stets die Bildfolge f (an ) gegen d konvergiert. d heisst Grenzwert von f (x) für x → c. Ein für die Physik wichtiger Spezialfall sind stetige Funktionen. Eine reelle Funktion ist stetig in x, wenn limy→x f (y) = f (x). Wir erwarten, dass die Bahnkurven von stetigen Funktionen x(t) beschrieben sind. Für die Formulierung der Newtonschen BGL ist die Beobachtung wichtig, dass die Trajektorie sowohl von der Lage des Massenpunktes zu einer vorgegebenen Zeit (die wir als t = 0 wählen können) – der Anfangslage – abhängt, als auch von seinem Bewegungszustand zur Zeit 0. Ob der Massenpunkt in der Anfangslage still steht oder schon in Bewegung ist, macht einen grossen Unterschied. Den Bewegungszustand hat Newton mit der Geschwindigkeit des Massenpunktes beschrieben. Die Geschwindigkeit ist die . Ableitung der reellen Funktion x(t) nach der Variablen t, d.h. ẋ(t) = dx . Die dt Existenz von einer Schar von Bahnkurven, welche sich aus einem Punkt x(0) entwickeln können, hat Newton dazu veranlasst, alle möglichen Bahnkurven als allgemeine Lösung einer Differenzialgleichung für die Beschleunigung . 2 ẍ(t) = ddt2x zu suchen, woraus die eigentliche Bahn so zu wählen ist, dass die vorgegebenen Anfangsbedingungen x(t = 0) = x0 , ẋ(t = 0) = v0 erfüllt sind (2. Newtonsches Axiom): m · ẍ(t) = K(x, ẋ, t) Das ist die sogenannte Bewegungsgleichung (BGL). Mathematisch gesehen handelt es sich um eine (gewöhnliche) Differentialgleichung (DGL) 2. Ordnung. Es gibt dazu eine allgemeine Lösung, die von zwei Integrationskonstan- KAPITEL 1. NEWTONSCHE MECHANIK 4 ten (Integrationsparametern) abhängt und folglich eine Schar von möglichen Bahnen beschreibt. Die tatsächliche Bahn, welche die Anfangsbedingungen erfüllt, ist im Allgemeinen eindeutig bestimmt. Für die Festlegung der Bahn werden die Integrationskonstanten so gewählt, dass die Anfangsbedingungen erfüllt sind. Die Grösse an der rechten Seite ist die Kraft (Einheiten: 1N = 1Newton = 1kg sm2 ) und bestimmt, durch die DGL, die eigentliche Dynamik des Massenpunktes. Die zentrale Frage der Mechanik ist dann, die möglichen Kräfte zu finden, welche die Bewegung zu jeder Zeit t beeinflussen können. Falls diese Kräfte bekannt sind, lässt sich die Bahnkurve im Prinzip genau berechnen, solange wir es schaffen, die BGL zu integrieren. Für die Bestimmung der relevanten Kräfte gibt es leider kein fundamentales Prinzip oder Protokoll: es ist die Aufgabe der Experimentalphysik genügend Fakten auszuarbeiten, die zu einer Krafthypothese führen können, welche anschliessend durch weitere Beobachtungen bestätigt oder widerlegt wird. Differential- und Integralrechung Die Funktionen, die eine physikalische Bahnkurve beschreiben, müssen eine weitere Eigenschaft besitzen: sie müssen differenzierbar sein. Definition f heisst im Punkt x0 differenzierbar oder ableitbar, wenn der Grenzwert limx→x0 f (x) − f (x0 ) x − x0 existiert. Dieser Grenzwert heisst dann Ableitung von f an der Stelle x0 und wird mit f ′ (x) |x0 oder einfach f ′ (x0 ) bezeichnet. Andere Bezeichnungen für die Ableitung an einer df ). Die Existenz der Ableitung besagt, dass in der beliebigen Stelle x sind f˙(x) und dx Umgebung von x0 , die Werte einer differenzierbaren Funktion durch den Ausdruck f (x) = f (x0 ) + f ′ (x0 ) · (x − x0 ) sehr gut (exakt im Lim(x−x0 →0 ) approximiert werden können. Diese letzte Formel kann man auch als . f (x) − f (x0 ) = △f ≈ f ′ (x0 ) · △x schreiben, oder df = f ′ (x) · dx, mit df bekannt als totales Differenzial. Graphisch gesehen: Lokal kann die Funktion f (x) durch eine Gerade approximiert werden. f ′ (x0 ) ist dann die Steigung der Tangente am Graph von f (x). Durch diese Definition wird einer Funktion f eine neue Funktion zugeordnet, und zwar überall dort, wo die Ableitung definiert ist. Die Differenzierbarkeit einer Funktion an einer Stelle x impliziert die Stetigkeit der Funktion an dieser Stelle. Rechenregel: d [f (x) + g(x)] dx d [λf (x)] dx d [f (x) · g(x)] dx = f ′ (x) + g ′ (x) = λf ′ (x) = f ′ (x) · g(x) + f (x) · g ′ (x)(LeibnizP roduktregel) KAPITEL 1. NEWTONSCHE MECHANIK 5 Abbildung 1.1: Graphische Darstellung zur Berechnung der Ableitung d f (x) dx g(x) = d f [g(x)] = dx f ′ (x)g(x) − f (x)g ′ (x) g 2 (x) f ′ (g(x))g ′ (x)(Kettenregel) Wir beweisen die (Leibniz) Produktregel und die Kettenregel. Aus f (x) = f (x0 ) + f ′ (x0 )(x − x0 ) und g(x) = g(x0 ) + g ′ (x0 )(x − x0 ) folgt f (x) · g(x) = f (x0 )g(x0 ) + [f ′ (x0 )g(x0 ) + f (x0 )g ′ (x0 )](x − x0 ) (Terme in (x − x0 )2 werden vernachlässigt, da sie klein sind) Daraus lässt sich die Produktregel herauslesen. Es gilt weiter f [g(x)] = f [(g(x0 ) + g ′ (x0 )(x − x0 )] = f (g(x0 )) + f ′ (g(x0 )) · g ′ (x0 )(x − x0 ) woraus die Kettenregel abgelesen werden kann. Eine weitere Regel betrifft die Umkehrfunktion f −1 von f : f −1 (f (x)) = x. Die Umkehrabbildung ist nur dann definiert, wenn f injektiv ist. Nach der Kettenregel gilt d −1 f (f (x)) = 1 = (f −1 )′ (f (x)) · f ′ (x) dx Mit f(y) =x folgt (f −1 )′ (x) = 1 f ′ (f −1 (x)) Mit diesen Regeln kann man einige Ableitungen P konstruieren. Für die Funktionen, die als Potenzreihe aufgebaut wurden, gilt, aus f (x) = n an xn X f ′ (x) = nan xn−1 n d.h. man erhält die Ableitung durch ”gliedweise” Differentiation. Man kann auch höhere Ableitungen definieren, indem f ′ weiter differenziert wird. Somit entsteht f (2) (oder f ′′ ), die zweite Ableitung von f , wenn man die erste Ableitung f ′ einmal differenziert. Allgemein KAPITEL 1. NEWTONSCHE MECHANIK 6 n bezeichnet man auch f (n) als ddxnf die -n-te Ableitung. Die höheren Ableitungen einer Funktion (falls sie existieren) kann man benutzen um den Entwicklungssatz von Taylor zu formulieren. Dieser ist sehr wichtig in der Physik, da er erlaubt, physikalische Funktionen mit Polynomen zu approximieren. Polynome sind ihreseits wichtige Funktionen, die man relativ leicht manipulieren kann. Definition. Gegeben sei eine (n+1)-mal differenzierbare Funktion f (x). Das Polynom Tn = n X f (k) (x0 ) k! k=0 (x − x0 )k heisst Taylorpolynom n-ten Grades um den Entwicklungspunkt x0 . Das folgende Theorem ist als Entwicklungssatz von Taylor bekannt. Theorem: Zu jedem x gibt es eine Zwischenstelle y zwischen x und x0 so dass f (x) = Tn (x) + f (n+1) (y) (x − x0 )n+1 (n + 1)! In anderen Worten: Die (n+1)-differenzierbare Funktion f kann um einen Punkt x0 durch Tn (x) sehr gut approximiert werden, bis auf einen Restterm O[(x − x0 )]n+1 . Den Beweis überlassenn wir den Mathematikern. Es stellt sich unmittelbar die Frage, wie sich das Restglied (die Korrektur) verhält, wenn n wächst, d.h. wie genau kann man f (x) mit einem Polynom approximieren. Wir betrachten die Folge | f (x) − Tn (x) | im Intervall [a, b]. f n+1 (y)(x − x0 )n+1 | (n + 1)! f n+1 (y)(b − a)n+1 ≤ | | (n + 1)! maxf n+1 (b − a)n+1 ≤ | | (n + 1)! | f (x) − Tn (x) | = | f ist beliebig oft differenzierbar und alle Ableitungen sind stetig. Damit existiert ein endlicher Maximalwert von f n+1 (x) für jedes n. Der Ausdruck an der rechten Seite hängt nicht mehr von x ab. Da die von x unabhängige Folge nach 0 konvergiert für n → ∞ ergibt sich das Resultat, dass die Approximation von f (x) durch Polynome immer besser wird für wachsendes n, und zwar für alle x. Welches n reicht, um ein spezifisches Problem korrekt zu beschreiben, müssen wir von Fall zu Fall entscheiden. Oft wird einfach n = 1 benutzt, woraus die folgenden nützlichen Näherungsformeln entstehen: 1 1+x 1 1 + x2 ln(1 + x) sin(x) cos(x) √ 1+x exp(x) ≈ 1−x ≈ 1 − x2 ≈ x − x2 /2 ≈ ≈1+x 1 + x/2 ≈ ≈ x 1 − x2 /2 7 KAPITEL 1. NEWTONSCHE MECHANIK mit x ∈ [≈ −0.1, ≈ 0, 1]. Wir betrachten stetige Funktionen, die in einem Intervall J = [a, b] definiert sind und endlich bleiben. Wir definieren eine endliche Teilmenge Z = a0 = a, a1 , ...., an = b des Intervalls [a, b] als Zerlegung von J. Zu dieser Zerlegung ordnen wir die Menge f (a0 ), f (a1 ), ....., f (an ). Damit können wir eine Treppenfunktion T (f ) generieren, die f stückweise approximiert. Von dieser Treppenfunktion können wir die Summe n−1 . X f (ak )(ak+1 − ak ) SZ (f ) = k=0 konstruieren. SZ (f ) ist, nach Konstruktion, die Fläche, die zwischen T (f ) und der x-Achse liegt. Dabei rechnen wir Flächeninhalte unter der x-Achse negativ. Definition: falls der Limes der Riemannschen Summe limn→∞ n−1 X k=0 f (ak ) · (ak+1 − ak ) existiert, dann heisst die Funktion f (Riemann)-integrierbar und dieser Limes, den wir Rb mit a f (x)dx bezeichen, nennen wir das Integral von f im Intervall [a, b]. Das Integral ist X Abbildung 1.2: Graphische Darstellung zur Berechnung des Integrals dann die Fläche, die unter dem Graphen von f (x) im Intervall a, b liegt. Für die explizite Berechnung des Limes müssen wir jeweils die Zerlegung feiner machen. Damit reduziert sich der Abstand zwischen einzelnen Punkten der Zerlegung, aber deren Zahl erhöht sich. Die damit erzeugte Folge dürfte tatsächlich gegen einen endlichen, berechenbaren Wert konvergieren. Wir wollen uns überzeugen, dass integrierbare Funktionen tatsächlich existieren. Wir zerlegen das Intervall [0, 1] mit der Foge a0 = 0, a1 = 1/n, ...ak = k/n, ...n/n = 1 und R1 versuchen, das ”Integral” 0 x2 dx als Limes der Summe zu berechnen: n−1 X k=1 k2 1 · n2 n 8 KAPITEL 1. NEWTONSCHE MECHANIK Hier hilft uns die elementare Mathematik, welche solche Summen von Quadraten tatsächlich berechnen kann: diese Summe beträgt 1 1 1 1 (n − 1) · n · (2n − 1) = − + 6n3 3 2n 6n2 Der Limes dieser Folge ist 1/3, und das sollte der Flächeninhalt unterhalb des Graphs von x2 sein. Es lässt sich zeigen, dass jede stetige Funktion tatsächlich integrierbar ist. Die Definition von Integralen durch Treppenfunktionen ist anschaulich und streng, sowie es streng ist, den Limes durch explizite Berechnung von konvergierenden Folgen zu suchen. Die tatsächliche Berechnung von Integralen erfolgt aber durch den Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung. Theorem. Gegeben sei eine stetige Funktion im Intervall [a, b] und x0 , x seien beliebige Werte im Intervall. Dann ist Z x f (x)dx = F (x) − F (x0 ) (i) x0 (ii)F ′ (x) = f (x) Die Funktion F (x) welche (i) erfüllt, heisst Stammfunktion von f (x). Die Stammfunktion hat die wichtige Eigenschaft, dass ihre Ableitung am Punkt x im Intervall [a, b] mit f(x) übereinstimmt. Hat man eine Stammfunktion konstruiert, so ergeben sich alle anderen durch Addition einer beliebigen Konstanten. Von diesem Theorem geben wir eine Plausibilitätsbetrachtung. Wir betrachten den Summand f (ak )(ak+1 − ak ) für sehr kleine Intervalle ak+1 − ak und schreiben, im Sinne der Taylor Approximation . f (ak )(ak+1 − ak ) = F (ak+1 ) − F (ak ) Im Sinne des Taylor Entwicklungssatzes ist F (ak ) leicht zu identifizieren als die Funktion, für welche F ′ (x) |ak = f (x) |ak . Somit ergibt sich (ii). In der Summe über k von den Gliedern F (xk+1 ) − F (xk ), startend von ak=0 = x0 bis ak=n = x, fallen alle Terme in der Summe aus, ausser F (a0 ) und F (an ), die nicht kompensiert werden. R Somit ergibt sich die Behauptung (i). Die Stammfunktion von f (x) wird formell als f (x)dx bezeichnet. Integrale ohne Integrationsgrenzen bezeichnen also Integrale oder Stammfunktionen. Aus diesem Satz ergeben sich auch einige wichtige Rechenregeln. 1. Z c Z b Z c f (x)dx f (x)dx = f (x)dx + a b a 2. Z a b f (x)dx = − Z a f (x)dx b 3. Z a b [f1 (x) + f2 (x)]dx = Z a b f1 (x)dx + Z a b f2 (x)dx 9 KAPITEL 1. NEWTONSCHE MECHANIK 4. Z a b λ · f (x)dx = λ Z b f (x)dx a 5. d dx Z x f (t)dt = f (x) a Substitutionsregel. Die Umkehrung der Kettenregel ergibt die folgende Integrationsformel, die durch Ableiten der rechten Seiten bewiesen werden kann. Gegeben f : [a, b] → [c, d], stetig und differenzierbar und g : [c, d] → R stetig mit Stammfunktion G(x). Dann Z g(f (x))f ′ (x)dx = G(f (x)) Für das bestimmte Integral bedeutet dies, Z a b g(f (x)f ′ (x))dx = G(f (b)) − G(f (a)) = Z f (b) g(t)dt f (a) Die Integrationsgrenzen müssen mitransformiert werden. Partielle Integration. Für stetig differenzierbare Funktionen f und g gilt Z Z f (x) · g ′ (x)dx = f · g − f ′ (x)g(x)dx Grund: Nach der Produktregel ist f g ′ + g ′ f = (f g)′ , und die Stammfunktion von (f g)′ ist f g. Für das bestimmte Integral bedeutet dies Z a b f (x)g ′ (x)dx = f g |ba − Z a b f (x)g ′ (x)dx Kapitel 2 Eindimensionale Mechanik: Beispiele 2.1 Radioaktiver Zerfall Die BGL sind gewöhnliche Differentialgleichungen (DGL). Damit ist eine Verknüpfung gemeint, die nicht nur die gesuchte Bahn enthält, sondern auch deren erste und zweite Ableitung. Zum Einstieg in die Welt der DGL betrachten wir den radioaktiven Zerfall. Das ist kein mechanischer Vorgang, aber ist durch eine sehr bekannte und wichtige DG beschrieben, nämlich y ′ = −y/λ, mit y = y(s). λ ist eine feste, charakteristische Zeit, s ist die Variable. Diese DGL besagt, dass die y ′ – die zeitliche Änderung der Funktion y – proportional zu y ist. Je mehr ”Atome” der radioaktiven Sorte y wir haben, desto grösser ist die Menge, welche radioaktiv zerfällt. Wir wollen die Lösung zur Anfangsbedingung y(t0) = y0 finden. Diese DGL ist vom Typ ” DGL mit getrennten Variablen”, d.h. y ′ = f (s, y) = g(s) · h(y). Solche DGL können wir folgenderweise integrieren: y ′ (s) = g(s) h(y(s)) Integrieren beider Seiten von t0 bis t ergibt Z t ′ Z y(t) Z y Z t y (s) 1 du g(s)ds ds = = du = t0 h(y(s)) y(t0 ) h(u) y0 h(u) t0 Dies ergibt eine implizite Bestimmungsgleichung für y(t), die nur eine Integration und Anfangsbedingungen involviert. In unserem Spezialfall ergibt dieses Verfahren Z y y0 Z t −1 1 du = du u t0 λ 10 KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 11 bei welchem die Lösung y(t) = y0 · e− (t−t0 ) λ ist. Dies ist die Lösung der ursprünglichen DGL, welche auch die Anfangsbedingungen erfüllt. Zur Berechnung der allgemeinen Lösung kann man formell auch folgenderweise vorgehen. Aus dy = h(y) · g(s) ds schreibt man dy = g(s) · ds h(y) Durch Integration beider Seiten findet man eine Stammfunktion H(y) = R dy R und alle Stammfunktionen G(s, A) = g(s)ds, die durch eine frei h(y) wählbare Konstante A parametrisiert sind. Schafft man es, die Gleichung H(y) = G(s, A) nach y aufzulösen, so findet man die allgemeine Lösung y(s, A) mit A der Integrationskonstanten. Interessante Anwendungen hat diese DGL und deren Lösung für die Altersbestimmung organischer Objekte. Zur Zeit des Todes (t0 ) hören organische Substanzen auf, C 12 – die stabile Version von Kohlenstoff – und das radioaktive Isotop C 14 aufzunehmen. Bis t0 sind beide Formen von C mit einer N 14 (t0 ) bekannten relativen Konzentration NC12 – die wir aus heutigen MessunC (t0 ) gen kennen – vorhanden. Misst man deren relative Konzentration zu einer späteren Zeit t (etwa die Gegenwart), dann erwarten wir NC 14 (t0 ) − t−t0 NC 14 (t) = ·e λ NC 12 (t) NC 12 (t0 ) Bei bekannter Halbwertszeit λ des radioaktiven Isotops C14 lässt sich aus der Messung der relativen Konzentration der beiden Arten Kohlenstoff t − t0 sehr genau festlegen (die Genauigkeit hängt davon ab, wie genau wir die Konzentration messen können). 2.2 Kräftefreie Bewegung Die einfachste Kraft ist K ≡ 0: die obige Gleichung besagt, dass die zweite Ableitung der Bahnkurve nach der Zeit 0 ist. Somit ist die allgemeinste Lösung der Newtonschen BGL ẍ = 0 x(t) = A + B · t KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 12 (verifizieren Sie das Resultat durch explizites zweimaliges Ableiten nach t des obigen Ausdrucks). A und B sind Integrationskonstanten, welche so festgelegt werden müssen, dass die Anfangsbedingungen x(t0 ) = x0 und ẋ(t0 ) = v0 erfüllt sind. Dies ergibt ein Gleichungssystem für A und B x0 = A + B · t0 v0 = B mit Lösung B = v0 und A = x0 − v0 · t0 . In Worten: Ohne Kraft bewegt sich ein Massenpunkt entlang einer Geraden mit konstantem Geschwindigkeit (1. Newtonsches Axiom). 2.3 K 6= 0 aber konstant Die BGL lautet ẍ = K m Integration auf beiden Seiten ergibt ẋ = K ·t+A m Erneute Integration ergibt x(t) = K · t2 + A · t + B 2·m mit den beiden Integrationskonstanten A, B. Diese Gleichung stellt die allgemeine Lösung dar. Die Anfangsbedingungen seien x(t0 ) = x0 und ẋ(t0 ) = v0 . Die Bahn zu diesen Anfangsbedingungen finden wir durch die Lösung des Gleichungssystems für A, B: K · t2 + A · t0 + B 2·m 0 K · t0 + A = m x0 = v0 Dies ergibt A = v0 − K · t0 m B = x0 − (v0 − K K · t0 ) · t0 − · t2 m 2·m 0 KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 13 Somit ist die gesuchte Bahn zu den vorgegebenen Anfangsbedingungen x(t) = K (t − t0 )2 + v0 (t − t0 ) + x0 2m Als Anwendung dieser Formel betrachten wir K = −mg (Galileo Experiment). Aus v0 = 0 ergibt sich das Galileo Gesetz | x(t) − x0 |= g 2 ·t 2 In Worten: Ohne Reibung und Luftwiderstand braucht eine Masse,qdie sich auf einer Höhe x0 oberhalb der Erdoberfläche befindet, eine Zeit 2 xg0 um den Boden zu erreichen. 2.4 Eindimensionales, homogenes Kraftfeld Wir betrachten ein Kraftfeld Kx (x, y, z) = 0 Ky (x, y, z) = 0 Kz (x, y, z) = −m · g welches im Euklidischen Raum definiert ist und uniform ”nach unten” zeigt. x, y, z sind Kartesische Koordinaten. In diesen Koordinaten gilt das Trennungspostulat von Newton: mẍ = Kx (x, y, z) = 0 mÿ = Ky (x, y, z) = 0 mz̈ = Kz (x, y, z) = −m · g Das bedeutet: die Beschleinigungen sind in den jeweiligen kartesischen Koordinaten nur von den entsprechenden Komponenten des Kraftvektors beeinflusst. In unserem Fall lautet die allgemeine Lösung: x(t) = Ax t + Bx y(t) = Ay t + By −g 2 t + Az · t + Bz z(t) = 2 mit den 6 Integrationskonstanten Ax , Bx , Ay , By , Az , Bz . Für einen Wurf aus einer Höhe z0 haben wir die Anfangsbedingugen x(t = 0) = y(t = 0) = 0 KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 14 ẏ(t = 0) = ż(t = 0) = 0 z(t = 0) = z0 ẋ(t = 0) = v0 ż(t = 0) = 0 Das dazugehörige Gleichungssystem für die Integrationskonstante ergibt die Lösung Ay Bz Az Ax = = = = By = Bx = 0 z0 0 v0 Somit ergibt sich die Bahn x(t) = v0 · t y(t) ≡ 0 −g 2 t + z0 z(t) = 2 Aus der ersten Gleichung folgt t = x(t) . v0 z(x) = Eingesetzt in der dritten ergibt −g 2 x + z0 2v02 Mathematisch gesehen ist dies die Gleichung einer nach unten geöffneten Parabel mit Ursprung (0, 0, z0 ). Je grösser die Anfangsgeschwindigkeit v0 ist, desto kleiner ist die Krümmung der Parabel, desto weiter fliegt die Masse entlang der x-Koordinate, bevor sie den Boden erreicht. 2.5 Der freie harmonische Oszillator Es stellt sich heraus, dass sich K(x) oft als das Negative der Ableitung nach x einer sogenannten potentiellen Energie darstellen lässt: K(x) = − dUdx(x) . U(x) wird als die potentielle Energie der Bewegung bezeichnet. Die Abbildung gibt den Verlauf der potentiellen Energie, welche zum Beispiel bei der chemischen Bindung zweier Atome aus der Quantenmechanik erwartet wird. Die Atome sind entlang einer Geraden angeordnet, die Koordinate x bezeichnet deren Abstand. Einen zur Abbildung ähnlichen Verlauf beobachtet man für das Paarpotential bei der chemischen Bindung aller Arten. Die potentielle KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 15 Abbildung 2.1: Graphische Darstellung von U(x) Energie ist durch ein Minimum x0 von U(x) charakterisiert, welches einen Gleichgewichtsabstand zwischen den Atomen darstellt. Die Bindungsenergie beträgt U(x0 ). Das bedeutet, dass das Angehen einer Bindung zu einer Energiesenkung gegenüber freien Bestandteile führt. Warum bei x0 zwei Atome ”gebunden” sind, kann auch ”mechanisch” erklärt werden: sollte ein Atom versuchen, die Gleichgewichtslage zu verlassen, spürt es eine rücktreibende , die es wieder zu x0 führt. Bei x0 selbst ist die auf die Bestandteile Kraft − dU dx wirkende Kraft genau Null: das Molekül ist im Grundzustand und, mechanisch gesehen, sind die Atome in Ruhe. Angeregte Zustände kann man erreichen, indem man (zum Beispiel durch Einstrahlung von Licht oder Wärmezufuhr) den Abstand der beiden Atome leicht verkleinert oder vergrössert. Daraus entsteht eine Bewegung, welche als Schwingung bekannt ist. Schwingungen sind wichtige angeregte Zustände von Molekülen und Festkörpern. Schwingungen sind ein sehr verbreiteter Bewegungstyp mechanischer Systeme. Atome in Molekülen und Festkörpern können zum Schwingen gebracht werden, und die spektroskopische Untersuchung solcher Schwingungzustände ist ausserordentlich nützlich, sowohl in der Physik als auch in der Chemie und Biologie. Die BGL für die Bewegung in einem solchen Kraftfeld ist mẍ(t) = − dU(x) dx In der Nähe des Minimums lässt sich U(x) folgendermassen approximieren: U(x) ≈ U(x0 ) + (x − x0 ) · U ′ (x0 ) + (x − x0 )2 ′′ U (x0 ) 2! Da U(x) bei x0 ein Minimum besitzt, ist U ′ (x0 ) = 0. Das erste nicht ver- KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 16 schwindende Glied ist das proportional zu (x − x0 )2 . Damit ist U(x) = U(x0 ) + (x − x0 )2 U ′′ (x0 ) 2 Diese Näherung, die nur für kleine Schwingungen gilt, heisst harmonische Approximation. In der harmonischen Näherung, lässt sich die BGL als mẍ = −U ′′ (x0 ) · (x − x0 ) ′′ . schreiben. Üblicherweise setzt man die Grösse U ′′ (x0 ) = k und U m(x0 ) = ω02 (Einheit: s12 ). Die Bedeutung von ω0 als charakteristische Frequenz der Bewegung wird bald klar. Somit ist die BGL (für die Variable u = x − x0 ), die die Abweichung von der Gleichgewichtskoordinate x0 beschreibt ü + ω02 u = 0 Diese DGl gehört zur Klasse der linearen DGL nter-Ordnung mit konstanten Koeffizienten: an y (n) + an−1 y (n−1) + ... + a1 y ′ + a0 y = g(x) Falls die ”Störfunktion” g(x) verschwindet, ist die DGL homogen. Die Lösung der homogenen DGL suchen wir durch den Ansatz y(t) = eλt . Das führt zu einer algebraischen Gleichung für λ: an λn + an−1 λn−1 + ... + a1 λ + a0 = 0 Die Nullstellen λi können komplex sein. Jede Nullstelle λi generiert eine Exponentialfunktion eλi ·t , welche die DGL löst. Falls alle Nullstellen verschieden sind, dann haben wir n linear unabhängige Lösungen für die DGL n-ter Ordnung gefunden. Sie bilden ein Fundamentalsystem von Lösungen: jede andere Lösung lässt sich als Linearkombination P λi ·t . Sollte g(x) 6= 0 sein, dann ist die der Grundlösungen darstellen: yhom (t) = i αi e DGl inhomogen. Die allgemeine Lösung der inhomogenen DGL ist die Superposition einer speziellen Lösung der inhom. DGL mit der allgemeinen Lösung der hom. DGL. Die zum freien harmonischen Oszillator gehörige charakteristische (algebraische) Gleichung ist λ2 + ω02 = 0, mit der allgemeinen Lösung u(t) = C1 cos(ω0 t) + C2 sin(ω0 t) = A · cos(ω0 t + ϕ), mit 1. ω0 : Eigen(kreis)frequenz 2. A: maximale Amplitude 3. ϕ: Phasenwinkel ω0 : Eigenfrequenz 4. ν = 2π 5. T = 1 ν = 2π : ω0 Schwingungsdauer (Periode) KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 17 Einige Spezialfälle verdienen besondere Beachtung. 1. Wir lenken den Oszillator anfangs um u0 aus, lassen ihn dann los und betrachten seine Schwingung. Die Anfangsbedingungen lauten offenbar u(0) = u0 , u̇(0) = 0. Die Lösung zu diesen Anfangsbedingungen ist deshalb u(t) = u0 cos ω0 t. Die Anfangselongation ist gleichzeitig die maximale Amplitude der Schwingung. 2. Wir stossen den Körper in seiner Ruhelage an und verleihen ihm die Geschwindigkeit v0 , u(0) = 0, v(0) = v0 . Dies führt zu u(t) = ωv00 sin ω0 t. Die maximale Amplitude der Schwingung ist somit A = ωv00 . Ein wichtiges Merkmal der Schwingung in der harmonischen Näherung ist die Unabhängigkeit von T von der Amplitude A, wie die explizite Lösung zeigt. Darüberhinaus erkennen wir eine weitere Grösse, die während der ganzen Bewegung den gleichen Wert annimt: es ist die totale Energie des Massenpunktes, die sich aus der kinetischen Energie 21 mu̇2 und der potentiellen Energie 12 ku2 zusammensetzt (wir wählen U(x0 )=0). Es gilt nämlich 1 mA2 ω02 sin2 (ω0 t + ϕ) 2 m 2 2 1 mω02 A2 cos2 (ω0 t + ϕ) = · ω0 · A + 2 2 Ekin + U(u) = Die totale Energie ist eine Erhaltungsgrösse der Bewegung. Bemerkungen. • Wir haben bereits bemerkt, dass die Kraft K(x) als Negative der Ableitung nach der Ortskoordinate einer potentiellen Energie abgeleitet pot (x) werden kann: K(x) = −dUdx . Bei vorgegebenem K(x) lässt sich eine potentielle Energie definieren, als Upot (x) = − Z K(x)dx wobei diese Definition klar macht, dass die potentielle Energie nur bis auf eine additive Konstante definiert ist. Die Einheit der potentielle . Energien sowie der totalen Energie ist N · m = Joule (gekürzt J). • Die Arbeit einer Kraft auf dem Weg zwischen den Ortskoordinaten x1 und x2 ist als Z . x2 A(x1 → x2 ) = K(x)dx x1 KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 18 definiert. Schreiben wir dx als ẋ(t)dt, lässt sich die Arbeit als ein Integral über die Zeit schreiben: . A(t1 → t2 ) = Z t2 t1 K(x(t))ẋdt . mit x(ti ) = xi . Der Integrand K(x) · ẋ hat die Einheiten J/sec = W att (gekürzt W ) und wird Leistung der Kraft zur Zeit t genannt. Die Bedeutung der Arbeit ist aus folgender Überlegung klar. A(x1 → x2 ) = Upot (x1 ) − Upot (x2 ) Etot (x2 ) − Etot (x1 ) = (Upot (x2 ) − Upot (x1 )) + (Ekin (x2 ) − Ekin (x2 )) = ∆Ekin + ∆Epot = ∆Ekin − A(x1 → x2 ) Falls die totale Energie erhalten bleibt, ist A(x1 → x2 ) = ∆Ekin In Worten: die Kraft leistet Arbeit, um die kinetische Energie zu ändern. 2.6 Erzwungene Schwingung Wir gehen nun zur Betrachtung von Schwingungen eines Systems über, auf das ein äusseres veränderliches Feld wirkt. Derartige Schwingungen heissen erzwungene Schwingungen im Gegensatz zu den im vorherigen Paragraphen untersuchten freien Schwingungen. Bei der Anwesenheit eines äusseren Feldes besitzt das System neben der eigenen potentiellen Energie 1/2k(x − x0 )2 ausserdem die potentielle Energie V (x, t), die von der Wirkung des äusseren Feldes herrührt. Wenn wir dieses Zusatzglied in einer Potenzreihe der kleinen Grösse x entwickeln, erhalten wir V (x, t) = V (x0 , t) + (x − x0 ) ∂V ∂x x=x0 Das erste Glied hängt nur von der Zeit ab und kommt bei der Aufstellung ∂U der BG nicht vor. Im zweiten Glied ist − ∂x die äussere Kraft, die auf x=x0 das System in der Gleichgewichtslage wirkt und eine vorgegebene Funktion der Zeit ist. Wir bezeichnen sie mit F (t). Die BGL lautet ü + ω02 · u = 1 F (t) m KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 19 wo wir wiederum die Frequenz ω0 der freien Schwingung eingeführt haben. Wir betrachten nun einen Fall von besonderem Interesse, bei dem die äussere Kraft ebenfalls eine einfache periodische Funktion der Zeit mit der Frequenz γ ist: F (t) = f · cos γt darstellt. Um eine spezielle Lösung zu suchen, führen wir den Ansatz usp = b cos γt durch, mit dem gleichen periodischen Faktor. Einsetzen in die DG ergibt die charakteristische Gleichung f =0 m bγ 2 − bω02 + deren Lösung b = f m(ω02 −γ 2 ) ist. Die allgemeine Lösung der inhom. DG ist A cos(ω0 t + ϕ) + f cos γt − γ2) m(ω02 Die freien Konstanten A und ϕ bestimmen sich aus den Anfangsbedingungen. Das bedeutet, dass das System unter der Wirkung äusserer periodischer Kräfte eine Bewegung ausführt, die sich aus zwei Schwingungen zusammensetzt. Aus einer Schwingung mit der Eigenfrequenz ω0 des Systems und aus einer Schwingung mit der Frequenz γ der äusseren Kraft. Der Verlauf der Amplitude der speziellen Lösung ist in der folgenden Skizze dargestellt: Die negative Amplitude für γ ≥ ω0 kann man auch als positive Amplitude einer um −π verschobenen cos γt darstellen, d.h. die Lösung lässt sich als A cos(ω0 t + ϕ) + | A cos(ω0 t + ϕ) + | darstellen. f | cos γt, γ < ω0 − γ 2) m(ω02 f | cos(γt − π), γ > ω0 − γ 2) m(ω02 KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 20 Die gegebene Lösung gilt nicht im Fall der sog. Resonanz, d.h. wenn die Frequenz der äusseren Kraft mit der Eigenfrequenz des Systems zusammenfällt. Um die allgemeine Lösung der BG in diesem Falle zu finden, versuchen wir eine spezielle Lösung mit dem Ansatz usp = b(cos γt − cos ω0 t) zu finden. Die Motivation für diesen Ansatz ist die Folgende: In der vorigen Lösung strebte der Nenner für γ → ω0 nach Null. Damit diese Divergenz auf irgendeine Weise kompensiert wird und eine wohldefinierte Lösung existiert, müssen wir dafür sorgen, dass auch der Zähler für γ → ω0 nach 0 strebt. Einsetzen in der DG (zuerst nehmen wir formell γ 6= ω0 ) ergibt −bγ 2 cos γt + bω02 cos ω0 t + bω02 (cos γt − cos ω0 t) = b(ω02 − γ 2 ) cos γt f = cos γt ⇒ m f b = 2 m(ω0 − γ 2 ) Die Funktion, die die Lösung im Fall der Resonanz darstellt, finden wir als Resultat von f γ=ω +ε lim [ (cos γt − cos ω0 t)] =0 γ→ω0 m(ω 2 − γ 2 ) 0 = lim[ ε→0 f cos((ω0 + ε)t) − cos ω0 t] m(2ω0 + ε)(−ε) Durch Benutzung der triginometrischen Identität cos(α + β) = cos α cos β − sin α sin β erhalten wir cos((ω0 + ε)t) − cos ω0 t = cos ω0 t · cos εt − sin ω0 t · sin εt − cos ω0 t kleines ε = cos ω0 t · 1 − sin(ω0 t) · εt − cos ω0 t und lim[ ε→0 f cos(ω0 + ε)t − cos ω0 t] m(2ω0 + ε)(−ε) = = f εt · sin ω0 t 2mω0 ε f t 2mω0 · sin ω0 t KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 21 Die allgemeine Lösung lautet dann f t · sin ω0 t 2mω0 u(t) = A · cos(ω0 t + ϕ) + Im Resonanzfall, steigt die Schwingungsamplitude linear mit der Zeit (solange sie nicht so gross wird, dass die gesamte dargelegte Theorie nicht mehr anwendbar ist!). Die Erscheinung der Resonanz hat viele Anwendungen in Abbildung 2.2: Verlauf der Schwingung im Resonanzfall der Physik und überhaupt in den Naturwissenschaften. Auf einige davon werden wir näher eingehen. Die Resonanz kann aber auch sehr gefährlich werden, z.B. für Maschinenteile wie Turbinenwellen, wenn die Eigenfrequenz der Welle gleich ihrer Umlauffrequenz wird. Beim Anfahren von Gasturbinen, bei denen die Betriebsfrequenz oberhalb der Eigenfrequenz liegt, muss deshalb möglichst schnell über die Resonanzstelle hinweg gefahren werden. Neben der Amplitude ist auch die von der äusseren Kraft zugeführte Energie eine Grösse, die oft den Resonanzprozess charakterisiert. Nach unseren Definitionen ist die in einer Periode τ = 2π/ω0 zugeführten Arbeit ւ A = Z u(t) u(0) ւ F dx = Z τ 0 F ւ (t) du dt dt Wir unterscheiden zwischen zwei Fällen: γ 6= ω0 und γ = ω0 . Im ersten Fall ist die zugefügte Energie (oder, anders ausgedrückt, die vom System absorbierte Energie) null: − Z τ 0 f · cosγt f γ · sinγt ∝ 2 m(ω0 − γ 2 ) Z 0 τ cosγt · sinγt = t = cosγt · sinγt = 0 ! KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 22 Nur im Resonanzfall ist das System imstande, Energie zu absorbieren, nämlich Z 0 τ f2 f2 Z τ t · cos2 ω0 t dt = ω0 · cosω0 t · t · cosω0 t dt = 2mω0 2m 0 f2 2 f2 τ2 τ2 ( − )= τ 2m 2 4 8m Diese Möglichkeit, nur bei der Resonanz einem System Energie zuzuführen, ist die Grundlage für die Absorption von Licht durch Materie, und findet zum Beispiel in der Spektroskopie eine wichtige Anwendung (die τ 2 -Abhängigkeit = der absorbierten Energie wird in der Tat nicht beobachtet: Man beobachtet eher eine τ Abhängigkeit, die dazu führt, dass die absorbierte Energie pro Zeiteinheit konstant ist. Wir werden sehen, wie die Einführung der Dämpfung zur nötigen Korrektur führt.) 2.7 Gedämpfte Schwingung Bis jetzt haben wir angenommen, dass die Bewegung der Masse im leeren Raum stattfindet, oder dass der Einfluss des Mediums auf die Bewegung vernachlässigbar ist. In Wirklichkeit setzt das Medium der Bewegung des Körpers einen Widerstand entgegen, der sie zu verlangsamen sucht (Reibung). Die Reibung modifiziert den Ablauf der Bewegung, wie wir im konkreten Fall des harmonischen Oszillators berechnen wollen. Man simuliert oft Reibung, indem man eine Reibungskraft in die BGL einführt. Eine solche Reibungskraft nimmt für den hier betrachteten Fall der eindimensionalen Schwingung die Form fD = −D · ẋ, D > 0 an. Das Minuszeichen bedeutet, dass die Kraft der Bewegung entgegenwirkt. Wenn wir diese Kraft auf der rechten Seite der BG hinzufügen, erhalten wir (zuerst sei F = 0) k = ω02 , mü = −ku − D u̇. Wir teilen durch m und führen die Bezeichnungen m D = 2λ ein. Dabei ist ω0 die Frequenz der freien Schwingungen des Systems m ohne Reibung. Die Grösse 2λ heisst Dämpfungskonstante. Auf diese Weise erhalten wir die Gleichung ü + 2λu̇ + ω02 u = 0 Nach den allgemeinen Regeln für die Lösung linearer DG mit konstanten Koeffizienten setzen wir den Ansatz x = er·t und finden die charakteristische q Gleichung r 2 + 2λr + ω02 = 0 mit den Lösungen r1,2 = −λ ± λ2 − ω02 . Die allgemeine Lösung der Gleichung ist u(t) = c1 er1 t + c2 er2 t KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 23 Hier müssen zwei Fälle unterschieden werden: Für λ < ω0 erhalten wir zwei komplex konjugierte Werte für r1,2 : q r1,2 = −λ ± i |λ2 − ω02 | Die allgemeine Lösung der DG ist u(t) = Ae−λt cos(ωD · t + ϕ) . q ωD = |λ2 − ω02 |. Die durch diese Formel dargestellte Bewegung ist eine sog. gedämpfte Schwingung. Man kann sie als harmonische Schwingung mit exponentiell abnehmender Amplitude ansehen. Die Schwingungsfrequenz ist kleiner als die Frequenz der freien Schwingung ohne Reibung. Wir nehmen jetzt an, dass λ > ω0 ist. Dann sind beide Werte von r reell und negativ. Die allgemeine Lösung lautet hier √ 2 2 √ 2 2 u(t) = c1 e−(λ− λ −ω0 )t + c2 e−(λ+ λ −ω0 )t Die Bewegung besteht aus einer asymptotischen (bei t → ∞) Annäherung an die Gleichgewichtslage ohne Schwingung. Diese Bewegung heisst aperiodisch. Im Automobilbau ist das die Aufgabe der Stossdämpfer, die durch starke Bodenunebenheiten entstehenden unangenehmen und auch gefährlichen Federschwingungen der Karrosserie sofern als möglich aperiodisch zu dämpfen. In beiden Fälle wird eine allfällige Anfangsabweichung aus der Ruhelage mit der Zeit abnehmen, bis die Masse wieder in die Ruhelage zurück ist. Dämpfung spielt natürlich auch bei erzwungenen Schwingungen eine grosse Rolle. Sie modifiziert den Verlauf des Resonanzvorganges, indem sie auch entfernt von der Resonanz zur Arbeitsübertragung zwischen äüssere Kraft und System führt. Dabei bremst sie das Wachstum der Amplitude im Resonanzfall zu einem endlichen, stationären Wert. Die DG lautet ü + 2λu̇ + ω02 u = f cos γt m Die allgemeine Lösung ist dann (ohne Herleitung) u(t) = A · e−λt cos(ωD t + ϕ) + b · cos(γt + δ) mit b = √ m f (ω02 −γ 2 )+4λ2 γ 2 und tan δ = 2λγ . γ 2 −ω02 Der erste Summand nimmt mit der Zeit exponentiell ab, sodass nach genügend langer Zeit nur noch der ”erzwungene” Term b · cos(γt + δ) übrig bleibt (aus diesem Grund eignen sich Experimente zur Visualisierung der speziellen Lösung!!) Die Phase wechselt 24 KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 0 0 0 0 Abbildung 2.3: Die Phase δ und die Amplitude b als Funktion von γ für zwei verschiedene Parameter λ nicht sprunghaft von 0 zu −π wie beim Fall λ = 0. Der Wechsel findet in einem engen Frequenzbereich der Breite 2λ in der Umgebung von ω0 statt. Am besten schätzen wir die Wirkung der dissipativen Kraft, indem wir die übertragene Arbeit im Fall λ 6= 0 betrachten. Die in einer Periode absorbierte Energie ist Aւ λ6=0 = −f · b · γ Z = −f · b · γ τ 0 Z cos γt · (sin γt · cos δ + cos γt · sin δ) = τ 0 t cos2 γt · sin δ = −f · b · γ cos2 γt sin δ | {z } 1 τ 2 f · b · γ · τ | sin δ| > 0 ! 2 Die entsprechende absorbierte Leistung ist ⇔ Aւ λ6=0 = Aւ . ւ f = L = γb| sin δ| τ 2 Dieses Resultat wollen wir in der Nähe der Resonanzfrequenz veranschaulichen (λ ≪ ω0 , γ ≈ ω0 ): f γb| sin δ| 2 tan δ 1 ·f ·γ · √ = 2 1 + tan2 δ 1 f 2λ ≃ 4m (ω0 − γ)2 + λ2 Lւ = Der letze Ausdruck enthält die Lorentzfunktion, die in der Figur abgebildet ist. Sie ist eine für Resonanzphänomene typische Funktion und kommt deshalb in der Physik oft vor. KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 25 Abbildung 2.4: Absorbierte Leistung Im eingeschwungenen Zustand bleibt die Energie eines Systems, das erzwungene Schwingungen ausführt, unverändert. Das System absorbiert allerdings ununterbrochen Energie (aus der Quelle der äusseren Kraft), die infolge der Reibung dissipiert. Bei der Resonanzfrequenz ist die aufgenommene Leistung maximal, die scharfe Resonanzlinie bekommt eine endliche Breite. In der Technik führt man oft zur Charakterisierung der Schärfe einer Resonanzlinie den sog. Q-Faktor als Q = Resonanzf requenz/Breite der Resonanzkurve ein. Da Resonanzerscheinungen eine sehr wichtige Rolle in der Natur spielen und fast in allen Gebieten der Physik vorkommen, wollen wir einige davon besprechen. 2.8 2.8.1 Resonanzphänomene Elektrische Resonanzkreise Ein einfacher elektrischer Resonanzkreis (oder Schwingungskreis) besteht aus einer Serienschaltung einer Kapazität C, einer Induktivität L und eines Widerstandes R, hier abgebildet. Die veränderliche Grösse im elektrischen Schwingkreis ist die transportierte Ladung q in Analogie zu x bei der me- KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 26 chanischen harmonischen Schwingung. Die Schwingungsgleichung für obigen elektrischen Kreis lautet 1 1 R · q − · V0 · cos ω0 t = 0 q̈ + · q̇ · L C ·L L Die Halbwertsbreite der Resonanzkurve beträgt in diesem Fall R/L. Vergleichen wir die beiden Differenzialgleichungen für u und q, so können wir eine rein formale Beziehung entsprechender Grössen finden, die in dieser Tabelle aufgezählt sind. Charakteristika Unabhängige Veränderliche Abhängige Variable Trägheit Dämpfung Resonanzfrequenz (Eigenfreq.) Schwingungsdauer (Periode) Q-Faktor 2.8.2 Mech. System t x m 2λ q k ω0 = m q τ = 2π m k ω0 2λ Elektr. System t q L R L q 1 ω0 = L·C √ τ = 2π L · C ω0 ·L R Spektroskopien Man kann die Wechselwirkung zwischen einem System mit atomarer Ausdehnung und elektromagnetischer Strahlung durch eine klassische erzwungene Schwingung simulieren, indem man die von aussen angelegte Störkraft mit dem elektrischen Feld der Strahlung identifiziert. Systeme mit atomarer Ausdehnung sind durch diskrete Energiewerte charakterisiert, d.h. dürfen nur bestimmte Energiewerte annehmen. Die ”Eigenfrequenz” ω0 stellt eine charakteristische Frequenz des Systems dar, und zwar ist sie ein Mass . für den Abstand zwischen zwei Energieniveaus, ω0 = (E1 − E0 )/h̄, wobei h h̄ = 2π = 1.054 · 10−34 kg · m2 /s das Plank’sche Wirkungsquantum ist. Nur bei der Resonanzfrequenz kann das System Energie absorbieren. Diese Absorption erfolgt durch den Übergang des Systems vom niedrigen Energieniveau E0 zum angeregten Zustand E1 . Durch diese Resonanzerscheinung entsteht die Möglichkeit, die Energieniveaus eines Systems zu bestimmen: das ist die Grundlage der Spektroskopie, da es ermöglicht, verschiedene Systeme anhand deren Absorpsionsspektren zu erkennen. Mögliche angeregte Zustände eines Moleküls sind Schwingungen, für welche ω0 mit der klassischen Schwingungsfrequenz übereinstimmt. Schwingungen führen zur Absorption im Infrarotbereich: man sprich von Infrarotspektroskopie. Ein typisches Absorptionsspektrum verursacht durch Schwingungen, ist in der Figur aufgezeichnet. KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 27 Die transmittierte Lichtintensität als Funktion der Wellenlänge des einfal- lendes Lichts zeigt ein deutliches Transmissionsminimum, entsprechend einer Energieaufnahme der Moleküle, also einer Anregung von Schwingungen. Solche Minima sind charakteristisch für die betreffende Substanz, und der Chemiker kann daraus die Natur und Art der zu untersuchenden Probe bestimmen. Absorption im Ultravioletten deutet auf elektronische Anregungen hin, wie der Übergang zwischen zwei Energieniveaus im Wasserstoffatom. Die ”Natriumflamme” ist ein typisches Beispiel einer elektronischen Anregung. Das Na-Atom besitzt in seiner elektonischen Struktur zwei benachbarte Niveaus, deren Abstand gelbem Licht entspricht. Auf ein Drahtnetz, das in der Flamme eines Bunsenbrenners steht, wird Kochsalz gestreut, und die Flamme leuchtet gelb, entsprechend der Wellenlänge des gelben Na-Lichtes 5890 Å. Durch das Erhitzen werden einige Atome in einen angeregten Zustand versetzt. Die angeregten Atome bleiben jedoch nur sehr kurze Zeit τ ≈ 10−8 sec in diesem angeregten Zustand und fallen wieder auf ihr Ausgangsniveau zurück. Dabei emittieren sie Licht mit der charakteristischen NaWellenlänge. Beleuchten wir die Flamme mit einer Natrium-Spektrallampe, die genau diese Wellenlänge emittiert, so beobachten wir an der bestrahlten Stelle der Flamme auf einem dahinter aufgestellten Schirm schwarze Zonen. KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 28 Durch das Einstrahlen der Resonanzfrequenz ω0 werden die Atome energe- tisch in den angeregten Zustand versetzt. Ein Teil des einfallenden Lichts wird für diesen Prozess benutzt, und verschwindet. Das durch spontane Emission reemittierte Licht geht in jeden Raumwinkel und fehlt daher zu einem hohen Prozentsatz in der Durchstrahlrichtung: ein Schatten entsteht. Aufgrund der endlichen Lebensdauer, besitzen die Niveaus eine gewisse Breite ∆E = h̄/τ : auch benachbarte Frequenzen können am Resonanzprozess teilnehmen. In der Tabelle sind die charakteristischen Absorptionsbereiche, mit den entsprechenden Anregungen, zusammengefasst. Spektralgebiet Ultra-violett (UV) Infrarot (IR) Mikrowellen Art der Anregung Schwingungen der Valenzelektronen Molekülvibrationen Molekülrotationen Die Absorptionsmaxima im UV einiger typischer organischer Substanzen KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 29 mit Mehrfachbindungen sind im Folgenden aufgezählt. Verbindung H2 C = CH2 HC ≡ CH HC ≡ N (CH3 )2 C = O 2.8.3 Wellenlänge des Absorptionsmaximums 1625Å 1775Å 1750Å 1870Å Resonanzen in der Teilchenphysik Schiesst man z.B. Neutronen auf Iridiumkerne oder π-Mesonen auf Protonen, so können für sehr kurze Zeiten sog. Resonanzen entstehen, kurzlebige Kombinationsteilchen, die kurz nach ihrer Bildung zerfallen. Das Auftreten einer Resonanz äussert sich in der Abhängigkeit der Wahrscheinlichkeit σ für eine bestimmte Reaktion von der Energie: Aus der Breite der Resonanzabsorption, welche gleich h̄/τ ist, liest man die Lebensdauer τ des Kombinationsteilchens ab. Das zeigt, dass Resonanzen auch in der Kern-und Teilchenphysik von Bedeutung sind: neue Teilchen zeigen sich oft nur als Resonanz in einem Streuexperiment. KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 2.9 30 Allgemeine Lösung 1-dimensionaler Probleme In einer Dimension ist die Newtonsche BGL exakt integrierbar, solange K(x) = − dU . Wir wollen die Integrierbarkeit beweisen. Aus mẍ = − dU dx dx folgt ẋ · mẍ = ẋ · (− dU ) dx d[ 21 mẋ2 ] dU = − dt dt d[ 21 mẋ2 + U(x)] = 0 dt 1 . mẋ2 + U(x) = E 2 Die so gewonnene Integrationskonstante E ist ein Integral der Bewegung, da sie mit der Zeit unverändert bleibt. Diese Konstante heisst totale Energie der Bewegung. Sie kann dazu benutzt werden, um die Bewegungen zu klassifizieren. Die resultierende DGL erster Ordnung lässt sich durch Trennung der Veränderlichen integrieren: 1 mẋ2 + U(x) = E 2 KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE dx = dt 31 s 2 [E − U(x)] m r Z m dx q + Konst. t = 2 E − U(x) Etwas Allgemeines lernen wir aus dieser Lösung: eine reelle (und somit physikalische) Lösung existiert nur im Gebiet, wo E > U(x) ist. Diese Gebiete kann man direkt ablesen, wenn man die potentielle Energie graphisch darstellt. Die Punkte, bei denen E = U(x) ist, sind Umkehrpunkte der Bahn, Abbildung 2.5: Graphische Darstellung von U(x) da in ihnen die Geschwindigkeit 0 wird, und sich somit das Vorzeichen ändern kann. Man unterscheidet zwischen endlichen Bahnen, die in einem endlichen Raumgebiet verlaufen können, und unendlichen Bahnen, wenn die Masse ins Unendliche laufen kann. Die eindimensionalen endlichen Bahnen sind Schwingungen: die Masse bewegt sich zwischen den Umkehrpunkten x1 (E) und x2 (E) periodisch, d.h. sie kehrt nach einer gewissen Zeit wieder an einen bestimmten Punkt zurück. Die Periode der Schwingung ist durch den Ausdruck r Z x (E) m 2 dx q T (E) = 2 · 2 x1 (E) E − U(x) gegeben. Wir diskutieren, als beispiel, den Fall von kleinen Schwingungen. Dann U ′′ (x0 ) U(x) = U(x0 ) + (x − x0 )2 2 und aus ′′ U(x0 ) + (xi − x0 )2 U 2(x0 ) = E folgt xi (E) = x0 ± setzt in den Ausdruck für T (E) ergibt dies T (E) = 2 · r r 2(E−U (x0 )) . U ′′ (x0 ) m Z x2 (E) dx q ′′ 2 x1 (E) E − U(x0 ) − (x − x0 )2 U 2(x0 ) Einge- KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE = 2· s m ′′ U (x0 ) = 2· s U ′′ (x0 ) = 2π s m Z q − 2(E−U (x0 )) U ′′ (x0 ) q −2(E−U (x0 )) U ′′ (x0 ) 32 dy q 2(E − U(x0 )/U ′′ − y 2 · [arcsin(1) − arcsin(−1)] m U ′′ (x0 ) Wie früher schon bewiesen, ist T von E unabängig. Dies ist aber nur in der harmonischen Näherung gültig. Für die Schwingung definiert man ei. ne Schwingungsfrequenz als ω = 2π . In der harmonischen Näherung ist T q ′′ ω = Um . Die Frequenz ist das fundamentale Charakteristikum von Schwingungen; sie hängt nicht von den Anfangsbedingungen der Bewegung ab, sondern ist vollständig durch die mechanische Eigenschaft des Systems bestimmt. Im Wesentlichen gibt sie Auskunft über die Krümmung (zweite Ableitung!) der potentiellen Energie in der Nähe der Ruhelage. Dieses Resultat ist von entscheidender Bedeutung für die Spektroskopie von Molekülen und Festkörpern: durch die spektroskopische Bestimmung der Schwingungsfrequenz lässt sich etwas über die potentielle Energie der Moleküle aussagen!! Kapitel 3 1d Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden Mit unserem mechanischen Modell können wir die Schwingungen einer Masse erfassen, die entlang einer Koordinate harmonische Oszillationen durchführt. Die rücktreibende Kraft bietet eine Feder mit der Federkonstante k = U ′′ (x0 ) (x0 : Gleichgewichstlage). Wir wollen jetzt mit dem gleichen Federmodell versuchen, die Bewegung mehrerer, durch Feder gekoppelter Massen zu erfassen. Wir beginnen mit einem einfachen Beispiel. 3.1 Eigenmode zweier gekoppelter harmonischer Oszillatoren Wir betrachten zwei identische Massen, die durch eine Feder mit der Federkonstante k gekoppelt sind. Jede Masse ist mit einer weiteren Feder (auch mit Federkonstante k) an einer festen Wand gebunden. Im Gleichgewicht besetzen die Massen Gitterpunkte mit Gitterkonstante a (in Molekülen ≈ 0.1 nm). Die Abweichungen der i-ten Masse aus der Ruhelage bezeichen wir mit ui (in Molekülen ≈ 0.01 nm). mü1 = −k · u1 − k · (u1 − u2 ) mü2 = −k · u2 − k · (u2 − u1 ) Es handelt sich, mathematisch gesehen, um ein lineares gekoppeltes Differentialgleichungssystem. Die Kopplung äussert sich mit der Tatsache, dass die Bewegung der 1. Masse durch die Lage der 2. Masse beeinflusst wird, und umgekehrt. Somit sind die beiden Massen nicht unabhängig. Wir suchen 33 KAPITEL 3. 1D SCHWINGUNGEN MIT MEHREREN FREIHEITSGRADEN34 nach der allgemeinen Lösung als die lineare Superposition von Fundamentallösungen, die Eigenmoden genannt werden. Dieses Superpositionsprinzip stammt aus der Tatsache, dass die DGL linear sind. Der Eigenmodenansatz lautet: ui = ai · eiωt d.h. wir suchen nach Lösungen, in deren beide Massen mit der gleichen, zu bestimmenden Frequenz ω oszillieren. Für die (komplexe) Amplitude ai versuchen wir, algebraische Gleichungen zu etablieren. Das geschieht durch Einsetzen des Eigenmodenansatzes in das DGL-System. Es resultiert ein homogenes Gleichungssystem für die unbekannten Amplituden a1 , a2 . In Matrixschreibweise: ! −mω 2 + 2k −k −k −mω 2 + 2k a1 a2 ! = 0 0 ! Eine triviale Lösung ist der Grundzustand u1 = u2 = 0. Endliche Amplituden erhält man, nur wenn die Determinante der Matrix verschwindet. Das ergibt die Determinantengleichung (oder charakteristische Gleichung) für die zu bestimmende Eigenfrequenz ω: (2k − mω 2 )2 − k 2 = 0 Nur eine endliche Anzahl Frequenzen bilden die Lösung der Determinantengleichung: d.h. nur bei ausgewählten Frequenzen können sich Eigenmoden entwickeln. In diesem Fall finden wir die zwei möglichen Eigenfrequenzen k m 3k = m ωα2 = ωβ2 Setzen wir ωα in das Gleichungssystem, erhalten wir die Lösung a1 = a2 . Diese Eigenmode (1, 1) besagt, dass beide Massen zu jeder Zeit die gleiche Auslenkung besitzen, und zwar gleiche Amplitude und gleiches Vorzeichen. Sie sind genau in Takt. Zu ωβ gehört der Eigenmode (1, −1): in dieser Eigenmode schwingen die Massen mit gleicher Amplitude aber entgegengesetzten Vorzeichen und sind um eine Phase π ausser Takt. Zusammenfassend: die gesuchten Eigenmoden sind iωα t 1 1 ! iωβ t 1 1̄ ! uα (t) = e uβ (t) = e KAPITEL 3. 1D SCHWINGUNGEN MIT MEHREREN FREIHEITSGRADEN35 Somit lautet die allgemeine Lösung: u1 (t) u2 (t) ! = cα eiωα t + cβ eiωβ t cα eiωα t − cβ eiωβ t ! Eine moderne Anwendung dieser Anordung findet man in der Atomkraftmikroskopie (AFM). Für die Interpretation der Messungen in AFM benutzt man oft ein Modell, in welchen Oberflächenatome, die durch ”eine Feder” am Kristall gebunden sind, die Kraft einer naheliegenden Spitze als eine zusätzliche Feder spüren. Die Spitze selbst ist an einem schwingenden Balken festgebunden. Nur bei bestimmten Frequnzen ist es möglich, Schwingungen des gekoppelten Systems ”Atom-Spitze” anzuregen. Diese Resonanzfrequenzen liefern, nach nach unseren Überlegungen, unmittelbare Informationen über die an der Bindung beteiligten Kräfte. Diese Resonanzen werden sogar für den Transport der Atome von einer Stelle zur anderen benutzt. 3.2 Eigenmode einer schwingenden Kette mit N -gekoppelten Oszillatoren Wir betrachten eine lineare Kette von N Atomen der Masse m entlang der x-Koordinate. Die Atome sind paarweise mit einer Feder (Federkonstanten . k) gekoppelt. Wir bezeichnen als u(n) = xn −n·a die Abweichung der n−ten Masse aus der Ruhelage n · a, wobei a die Gitterkonstante ist. Die BG für Abbildung 3.1: die n − te Masse lesen wir aus der Figur ab: mü(n) = k[u(n − 1) + u(n + 1)] − 2ku(n) Da die Auslenkungen u(n ± 1) in der BGL für das n − te Atom auftreten, bilden alle BGL ein System von N gekoppelten DGL. Die Lösung hängt davon ab, welche Randbedingungen der Kette auferlegt werden. Man kann z.B. die KAPITEL 3. 1D SCHWINGUNGEN MIT MEHREREN FREIHEITSGRADEN36 Randatome festhalten oder frei geben. Wenn n eine kleine Zahl ist, hängen die Lösungen stark von diesen Randbedingungen ab (siehe Übungen). Bei einer makroskopischen Anzahl N muss der Einfluss der Randbedingungen auf die Schwingungsfrequenzen klein sein. Physikalisch kann man sich vorstellen, dass die Kette zu einem Kreis gebogen wird, wobei am N-ten Atom noch eine Feder angebracht ist, die es mit dem ersten Atom verbindet. Damit hat man den Rand eliminiert. Mathematisch bedeutet diese Biegung der Kette zu einem Kreis die Annahme periodischer (in der Fachliteratur auch Bornvon Karman) Randbedingungen: u(n) = u(n + N). Die Lösungen des DG Systems mit diesen Randbedingungen sind solche, die der Realität näher kommen sollten, weil sie Oberflächeneffekte auf die Festkörpereigenschaften eliminieren. Zur Lösung des DG Systems macht man den Eigenmoden-Ansatz u(n) = an · eiωt Die Amplitude an können wir durch folgende Überlegungen näher festlegen. Wie im vorigen Beispiel gezeigt, brechen einige Eigenmode die Translationssymmetrie des Systems, die dem Grundzustand einer in sich geschlossenen Kette von Gitterpunkten zugrunde liegt. Das bedeutet: ai 6= aj . Wir erwarten trotzdem, dass mindestens | ai |=| aj |, wobei wir | ai |= 1 setzen dürfen, o.E.d.A. Somit befinden sich die gesuchten Amplituden auf dem Einheitskreis in der komplexen Ebene. Wir parametrisieren die Amplituden nach dem (plausiblen) Ansatz an = eiq·n·a wobei q ein zu bestimmender reeller Parameter ist. Durch Einsetzen des Eigenmodenansatzes wird n eliminiert und resultiert die charakteristische Gleichung −mω 2 = k[e−iqa + eiqa − 2] = 2k[cos(qa) − 1] deren Lösung die möglichen Eigenfrequenzen q der schwingenden Kette ergibt, in Abhängigkeit des Parameters q: ω(q) = 2 k/m · sin(qa/2) Die Randbedingung bestimmt die möglichen Werte des Parameters q: eiq(n+N )a = eiqna , d.h. eiqN a = 1 oder qNa = p · 2π, p = 0, 1, 2, ....., N − 1. Die möglichen Schwingungszustände sind durch dicht nebeneinanderliegende q-Werte klassifiziert, jeder q-Wert trägt eine bestimmte Eigenfrequenz. Die gesuchten N linear unabhängigen Lösungen können durch die q-Werte im Intervall 0, 2π/a dargestellt werden. (gelegentlich benutzt man den Intervall [−π/a, π/a], um die Eigenfrequenzen darzustellen). Die Kopplung bewirkt, dass sich die Freq quenz k/m des ungekoppelten Oszillators zu einem Frequenzband verbreitet. Jeder Frequenz kann ein q-Wert zugeordnet werden. Die q-Abhängigkeit von ω nennt man Dispersionsrelation. Die Lösungen der BGL nennt man KAPITEL 3. 1D SCHWINGUNGEN MIT MEHREREN FREIHEITSGRADEN37 Abbildung 3.2: Eigenmode, die zu den Eigenfrequenzen ω(q) gehören. In der Quantenmechanik nennt man diese Eigenmode Phononen. Besteht die Kette aus Atomen mit unterschiedlichen alternierenden Massen, erwartet man mindestens zweiPhononenbänder, die evtl. durch eine Lücke getrennt sind. Verbindungen wie NaCl haben zum Beispiel zwei Phononenbänder: Das untere Band nennt man akustisches Phonon, das obere sind die optischen Phononen. Einen optischen und akustischen Zweig bekommt man auch, wenn die Kraftkonstanten alternierend sind. Diese Resultate lassen sich auf dreidimensionale Kristalle erweitern. In drei Dimensionen, wird q zu einem Vektor, der innerhalb eines Polyeders verteilt ist. Die Phononendispersionsrelationen können richtungsabhängig werden und einen komplizierteren Verlauf zeigen. 3.3 Übergang zum schwingenden Kontinuum: Die Wellengleichung Wir betrachten Phononen mit q ≈ 0. Für solche Phononen ist die charakteristische Länge λ über welche q · n · a ≈ O(2π) sehr gross (λ ∝ 2π/q). Das bedeutet: die Auslenkungen benachbarter Atome sind nur infinitesimal unterschiedlich, a kann als infinitesimal klein betrachtet werden und n · a können wir als kontinuierliche Variable betrachten. Die BGL für die skalare Funktion u(x, t) kann man folgendermassen aufstellen: m ∂2u = k[u(n − 1, t) + u(n + 1, t)] − 2ku(n, t) ∂t2 a2 ≈ k[u(n, t) − au′ (n) + u′′ (n) + u(n, t) 2 2 a + au′ (n) + u′′ (n)] − 2ku(n, t) 2 2 ∂ u = ka2 2 ∂x KAPITEL 3. 1D SCHWINGUNGEN MIT MEHREREN FREIHEITSGRADEN38 Abbildung 3.3: ∂2u ka2 ∂ 2 u = ∂t2 m ∂x2 Da wir mit einer Funktion mehrerer Variablen zu tun haben, müssen wir den Begriff der partiellen Ableitung einführen: ∂u . u(x + ∆x, t) − u(x, t) = lim ∂x ∆x→0 ∆x (und ähnlich für t). Somit werden bei der partiellen Ableitung nach einer Variablen die anderen Variablen als Konstanten betrachtet. Mit dieser Definition bekommt die BG für u(x, t) eine eindeutige Bedeutung. Die Material2 konstante ka wird als c2 bezeichnet. Ihre Bedeutung wird bald klar. Diese m Gleichung ist die eindimensionale Wellengleichung: sie ist die Bewegungsgleichung für die Auslenkung u an der Stelle x zur Zeit t. Es ist eine partielle lineare DGL 2-ter Ordnung: sie enthält sowohl die 2-te Ableitung nach der Zeit als auch die zweite Ableitung nach x. Theorem (D’ Alembert): die allgemeine Lösung der 1-dim. Wellengleichung ist u(x, t) = f (x − ct) + g(x + ct) KAPITEL 3. 1D SCHWINGUNGEN MIT MEHREREN FREIHEITSGRADEN39 Um diese Lösung darzustellen, stelle man sich eine lokale Störung f (x, t = 0) vor, die zum Beispiel ein Maximum bei x0 besitzt. Eine solche Störung kann zum Beispiel eine Verschiebung der Teilchen eines Mediums aus ihrer Ruhelage (Phononen, Seilwellen, Wasseroberflächenwellen) oder einer Dichteschwankung bei elastischen Wellen, Schallwellen und Erdbebenwellen bedeuten. Es kann aber ein elekromagnetisches Feld (Licht) bedeuten, das sich durch ein plötzliches Ein- und Ausschalten eines Stromes gebildet hat. Wenn diese Abbildung 3.4: Störung nach der Wellengleichung evolviert, ist die funktionelle Abhängigkeit zur Zeit t f (x − ct), siehe Figur, d.h. die Störung sieht genau gleich aus wie zur Zeit t = 0 aber ist am Ort xt = ct + x0 zentriert: die Wellengleichung hat die Störung fortgepflanzt, und zwar mit Beibehaltung der Form. Die Materialkonstante c ist die Fortpflanzungsgeschwindigkeit. Die Lösung f (x + ct) beschreibt eine Welle, die sich nach links entlang der x-Achse fortpflanzt. Die Materialkonstanten, die c bestimmen, hängen von der Wellenart q (ρ =m die Masse pro Längeneinheit). k · a ist ab. Bei Phononen ist c = ka ρ a ein Mass für die mittlere rücktreibende Kraft, die von einer Feder ausgeübt wird. Bei der schwingenden Seite (Seilwellen) erfolgt die Auslenkung u(x, t) senkrecht zur Koordinaten x und die rücktreibende Kraft ist die Zugkraft, mit welcher das Seil gespannt wird. Daraus ergibt sich, dass die Geschwindigkeit von Seilwellen proportional q zur Wurzel der Zugkraft ist. Bei Schallwellen und Erdbebenwellen ist c = E/ρ, E: Elastizitätsmodul. Auch Licht – d.h. elektromagnetische Felder – pflanzen sich nach der Wellengleichung fort, und zwar mit Lichtgeschwindigkeit. Wir beweisen die D’ Alembertsche Lösung durch explizites Einsetzen in KAPITEL 3. 1D SCHWINGUNGEN MIT MEHREREN FREIHEITSGRADEN40 die Wellengleichung. Als Beispiel betrachten wir die Lösung mit Argument . ∂ ≡ ∂α ). x − c · t = ξ ( ∂α ∂t ∂t f (x − c · t) = ∂t ∂ξ f (ξ) · (−c) = ∂ξ ∂ξ f (ξ) · (c) · (−c) = c2 · ∂ξ ∂ξ f (ξ) Anderseits gilt c2 ∂x ∂x f (x − c · t) = c2 ∂ξ ∂ξ f (ξ) Somit ist die linke Seite der Gleichung identisch mit der rechten und f (x−c·t) erfüllt die Wellengleichung. Entscheidend für diesen Beweis ist das Argument der Funktion: die Variablen x und t dürfen nicht in beliebige Zusammensetung vorkommen 3.3.1 Die harmonische Welle Die harmonische Welle f (x, t) = A · cos(q · x − ωt) erfüllt die WG, wenn ω = c · q. Diese ist die Dispersionsrelation, die wir für langwellige Phononen aus der exakten Lösung erwartet haben. Eine instantane Aufnahme einer harmonischen Welle erlaubt, die verschiedenen Parameter zu veranschauli. chen: λ = 2π/q ist der Abstand zweier Wellentäler (oder analoge Punkte der Abbildung 3.5: Harmonische Welle zu einer festen Zeit (links) und an einem bestimmten Ort (rechts) Welle) und heisst Wellenlänge. q ist die Wellenzahl und gibt gerade die Zahl der Wellentäler pro Längeneinheit an. Man betrachte jetzt den zeitlichen Ablauf an einem festen Ort, nach der Zeit T wiederholt sich in x dieselbe Phase der Welle, z.B. ein Wellental: T ist die Periode der Welle. ω = 2π/T ist dann die Frequenz, mit welcher sich dieselbe Phase pro Zeiteinheit wiederholt. Es gilt: λ = cT . KAPITEL 3. 1D SCHWINGUNGEN MIT MEHREREN FREIHEITSGRADEN41 3.3.2 Die stehende Welle Eine von links einfallende harmonische Seilwelle trifft auf eine feste Halterung (aber es kann sich auch um eine ebene Lichtwelle handeln, die an einem Spiegel reflektiert wird) bei x = 0. Die Gesamtwelle setzt sich aus der einfallenden und der reflektierten Welle zusammen, wobei die Randbedingung u(x = 0, t) = 0 ∀t erfüllt werden muss. Die gesuchte Lösung ist u(x, t) = A[cos(ωt − qx) − cos(ωt + qx)] = 2A sin qx sin ωt Wie die Figur zeigt, ist das keine normale laufende Welle mehr: Es gibt nämlich Schwingungsknoten, an denen die Welle immer verschwindet, und es gibt Schwingungszeiten an denen die Auslenkung überall verschwindet. Da die Schwingungsknoten eine feste Lage im Raum haben, spricht man von einer stehenden Welle. Die Schwingungsknoten sind durch die Gleichung sin qxn = 0 bestimmt, d.h. |xn | = nλ/2, n = 0, 1, 2, 3.... Abbildung 3.6: Stehende Welle (links) und Resonator (rechts) 3.3.3 Eigenfrequenzen eines schwingenden Seils Hält man das Seil auch noch im Abstand L fest, so tritt die zusätzliche Randbedingung sin qL = 0 auf, die nur für bestimmte q- Zahlen (d.h. für bestimmte Wellenlängen) erfüllbar ist: λn = 2L/n, n = 0, 1, 2, ... Dies bedeutet, dass die stehende Welle im Gebiet L nur bestimmte Frequenzen ωn = nπc L annehmen darf: die Eigenfrequenzen eines Seils. Stehende Wellen liegen fast allen Musikinstrumenten zugrunde: es ist damit möglich, bestimmte Noten zu selektieren. Wenn wir an Licht denken, das zwischen zwei Spiegeln reflektiert wird, so können wir uns genauso vorstellen, dass nur bestimmte Frequenzen und Wellenlängen zwischen den zwei Spiegeln existieren können. In diesem KAPITEL 3. 1D SCHWINGUNGEN MIT MEHREREN FREIHEITSGRADEN42 Fall spricht man von einem optischen Resonator. Ein solcher optischer Resonator ist eine fundamentale Komponente für die Erzeugung von Laserlicht, das sehr genau monochromatisch ist. Kapitel 4 Mechanik im euklidischen Raum Die Formulierung der Newtonschen BGL im dreidimensionalen Raum erfordert die Einführung des Vektorbegriffs und die Begriffe der Skalar- und Vektorfelder. 4.1 Vektoralgebra Verschiedene Grössen in der Physik, wie zum Beispiel die Grundgrössen Länge, Masse und Zeit, können im Rahmen der Newtonschen Mechanik durch eine einzige reelle Zahl spezifiziert werden. Diese Zahl kann dabei von dem Einheitensystem abhängen, in dem wir die Messung vornehmen. Solche Grössen bezeichnen wir als Skalare. Ein Skalar wird durch einen Buchstaben angegeben, z.B. für die Zeit t und für die Masse m. Andere Grössen in der Physik, wie die Ortsangabe oder die Geschwindigkeit bedürfen zu ihrer vollständigen Spezifikation der Angabe eines Betrages und einer Richtung. Solche Grössen nennen wir Vektoren und kennzeichnen sie durch einen Pfeil über den Buchstaben, um die Bedeutung der Richtungsangabe hervorzuheben. Den Betrag oder die Länge eines Vektors bezeichnen wir mit ~a mit |~a| oder a. Rechnenregel Die Rechnenregel der Vektoralgebra sind hier zusammengefasst: • −~a bezeichnet einen Vektor, der die gleiche Länge wie der Vektor ~a aufweist, aber in die entgegengesetzte Richtung zeigt • Vektoraddition und Kommutativität. Der Summenvektor ~a + ~b beginnt am Fusspunkt von ~a und reicht bis zur Spitze von ~b (~a + ~b entspricht der Diagonalen des von ~a und ~b aufgespannten Parallelogramms) : ~a + ~b = ~b + ~a • Assoziativität: (~a + ~b) + ~c = ~a + (~b + ~c). • ~a −~b = ~a +(−~b) (~a −~a = ~0 der Nullvektor, mit Betrag 0 und richtungslos: ~a +~0 = ~a). • p~a (p = reelleZahl) hat die gleiche Richtung wie ~a und |p~a| = |p| · |~a| 43 KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 44 • (p + q)~a = p~a + q~a, p(~a + ~b) = p~a + p~b, q(p~a) = p(q~a) = qp~a • Ein Einheitsvektor ist ein Vektor mit der Länge 1. Aus jedem Vektor ~a lässt sich durch Multiplikation mit dem Kehrwert seines Betrages ein Einheitsvektor ~ea in Richtung von ~a konstruieren. ~ea = a1 ~a. Einheitsvektoren werden in der Regel mit den Buchstaben ~e oder ~n bezeichnet. • Die Menge der Vektoren mit den o.g. Rechnenregel bildet ein Vektorraum. • Der Skalarprodukt zweier Vektoren ~a und ~b bezeichnet man den folgenden Skalar: ~a · ~b = ab cos ϑ wobei ϑ den Winkel zwischen den Vektoren ~a und ~b bezeichnet. • Zwei Vektoren ~a und ~b sind orthogonal (~a ⊥ ~b) zueinander, falls ~a · ~b = 0. √ • Wegen cos(0) = 1 gilt ~a · ~a = a2 ≥ 0 oder a = ~a · ~a • Für den Einheitsvektor haben wir ~e · ~e = 1 • Ein Vektorraum, in dem ein Skalarprodukt definiert ist, heisst Vektorraum mit Skalarprodukt. • Zwei Vektoren ~a und ~b mit der selben Richtung ~e sind linear abhängig (kolinear): es existieren zwei zahlen alpha und β so dass α~a + β~b = 0 • Zwei Vektoren ~a und ~b heissen linear unabhängig, falls die Gleichung α~a + β~b = 0 nur durch α = β = 0 erfüllt werden kann. • Ferner gilt die Definition: Die Dimension eines Vektorraumes ist gleich der maximalen Anzahl linear unabhängiger Vektoren • In einem d-dimensionalen Vektorraum bildet jede Menge von d linear unabhängigen Vektoren eine Basis, d.h. jeder beliebige Vektor dieses Raumes lässt sich als Linearkombination dieser d Vektoren beschreiben. • Einheitsvektoren ~ei , i = 1, 2, ..., d., die paarweise orthogonal zueinander sind, bilden ein Orthonormalsystem: ~ei · ~ej = δij mit dem Kronecker-Symbol 1 für i = j δij = 0 für i 6= j . • Für einen beliebigen Vektor ~a gilt ~a = d P aj ~ej Die aj sind die Komponenten des j=1 Vektors ~a bezüglich der Basis ~e1 , ..., ~ed . Beispielsweise bilden die kartesischen Basisvektoren ~ex , ~ey und ~ez ein vollständiges Orthonormalsystem des Euklidischen Raumes E3 • Für den dreidimensionalen euklidischen Raum können wirsomit explizit schreiben x ~r = x~ex + y~ey + z~ez oder (als Spaltenvektor) ~r = y und Zeilenvektor ~r = z (x, y, z) • Das Skalarprodukt lässt sich mit dem vollständigen Orthonormalsystem leicht auswerten. Es ist X ai b i ~a · ~b = i Somit ist der Betrag eines Vektors pP i a2i . KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 45 • Einem Produkt von zwei Vektoren können wir auch einen Vektor zuordnen. Das Vektorprodukt von zwei Vektoren ~a und ~b führt zu einem Vektor ~c = ~a × ~b • | ~c |=| ~a || ~b | · sin ϑ (ϑ ist der von ~a und ~b eingeschlossene Winkel). Der Betrag von ~c, also c, entspricht dem Flächeninhalt des von ~a und ~b aufgespannten Parallelogramms. • ~c steht senkrecht auf der von ~a und ~b aufgespannten Ebene. ~a, vecb und ~c bilden ein Rechtssystem. • antikommutativ: ~a × ~b = −~b × ~a • ~a × ~b = 0 bedeutet, dass die Vektoren parallel sind (oder ein Vekrot der Nullvektor ist). • distributiv: (~a + ~b) × ~c = ~a × ~c + ~b × ~c • nicht assoziativ ~a × (~b × ~c) 6= (~a × ~b) × ~c • bilinear (α~a) × ~b = ~a × (α~b) = α(~a × ~b) • ~e1 ~e2 ~e3 × × × ~e2 = ~e3 , ~e3 = ~e1 , ~e1 = ~e2 , aber zum Beispiel ~e2 × ~e1 = −~e3 und ~e1 × ~e1 = 0. Somit gilt: ~c = ~a × ~b = 3 X i,j=1 ai bj (~ei × ~ej ) = 3 X ck ~ek k=1 mit c 1 = a 2 b 3 − a 3 b 2 , c2 = a 3 b 1 − a 1 b 3 , c3 = a 1 b 2 − a 2 b 1 . • Das Kreuzprodukt lässt sich auch auswerten. ~e1 ~e2 ~e3 ~ ~a × b = a1 a2 a3 b1 b2 b3 leicht mit Hilfe der Determinantenschreibweise = (a2 b3 − a3 b2 )~e1 − (a1 b3 − a3 b1 )~e2 + (a1 b2 − a2 b1 )~e3 . • Der gemischer Produkt ~a · (~b × ~c) ist ein Skalar (Symbol (~a, ~b, ~c)) stellt das Volumen von dem durch ~a, ~b und ~c aufgespannetn Parallelogramm. Das zyklische Permutieren der Vektoren ändert den Wert des GP nicht, Vrtausche zweier Vektoren bewirkt Multiplikation mit −1. KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 46 Der Begriff des Feldes stellt ein fundamentales Konzept in der Physik dar. Man unterscheidet zwischen Skalarfeldern und Vektorfeldern, welche auf E3 definiert sind. Ein Skalarfeld Φ(~r) = Φ(x, y, z) ist eine skalarwertige Funktion dreier unabhängiger Variablen. p Als Beispiel betrachten wir die Funktion Φ(~r) = α/( x2 + y 2 + z 2 ). Graphisch stellt man solche Felder durch 2-dimensionale Schnitte dar, in denen die Flächen Φ(~r) = Konst (Äquipotentialfläche) als Höhenlinien erscheinen. Der Abstand der Linien entspricht dabei gleichen Wertunterschieden der Konstanten. Ein Vektorfeld ordnet jedem Punkt im ~ = K(~ ~ r ) zu. Als Beispiel betrachten wir das GraviRaum eine vektorwertige Funktion K ~ r ) = −M γ · 2 2~r 2 3/2 . tationsfeld eines Massenpunktes (zum Beispiel die Sonne): K(~ (x +y +z ) Graphisch lassen sich Vektorfelder mittels Feldlinien darstellen, wobei das Feld tangential zur Feldlinie verläuft. Die Dichte der Feldlinien ist dann ein Mass für die Stärke des Feldes. Abbildung 4.1: Graphische Darstellung von Feldern Für Skalarfelder kann man den Begriff der partiellen Ableitung einführen: Φ(x + ∆x, y, z) − Φ(x, y, z) ∂Φ . = lim ∆x→0 ∂x ∆x (und ähnlich für y, z). Damit lässt sich die räumliche Änderung der Skalarfelder beschreiben. Wir betrachten zwei Punkte ~r1 und ~r2 , die durch eine kleine Strecke d~r voneinander getrennt sind. Die Änderung dΦ = Φ(~r2 ) − Φ(~r1 ) ist gegeben durch die folgende Summe: dΦ ∂Φ ∂Φ ∂Φ dx + dy + dz ∂x ∂y ∂z ∂Φ ∂Φ ∂Φ = ( , , ) · (dx, dy, dz) ∂x ∂y ∂z . ~ = ∇Φ · d~r = ~ der Gradient von Φ und dΦ das totale Differenzial des Feldes Φ sind. Der wobei ∇Φ Gradient lässt sich deuten, indem man d~r in die Richtung wählt, so dass dΦ = 0 in ~ · dr~0 = 0 folgt, dass ∇Φ ~ senkrecht auf dr~0 dieser Richtung ist. Aus der Gleichung ∇Φ ~ senkrecht auf den steht. Andererseits definiert dΦ = 0 Flächen Φ = Konst., so dass ∇Φ Äquipotenzialflächen steht. Sein Betrag ist ein Mass für die Stärke der Änderung von Φ, wenn man senkrecht zu den Äquipotenzialflächen fortschreitet. KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 47 Abbildung 4.2: Konstruktion zur Berechnung von dΦ (links) und graphische Deutung des Gradienten (rechts) 4.2 Bewegung eines Massenpunktes im Zentralfeld Die Verallgemeinerung der BGL im dreidimensionalen Raum ist, aufgrund der mathematischen Begriffe, die wir bereits eingeführt haben, selbstverständlich. Setzt man kartesische Koordinaten voraus, dann ist ~r(t) = x(t)~ex + y(t)~ey + z(t)~ez ≡ x(t), y(t)z(t) eine vektorwertige Funktion der Zeit t. Für den Geschwindigkeitsvektor gilt die Vektorableitung . d~r ˙ = = ẋ(t)~ex + ẏ(t)~ey + ż(t)~ez ~r(t) dt . Die Beschleunigung ist ~¨r(t) = Newtonsche Axiom lautet: d2 ~ r dt2 = ẍ(t)~ex + ÿ(t)~ey + z̈(t)~ez und das 2. ~ r (t), ~r˙ (t), t) m~¨r (t) = m · K(~ An der rechten Seite ist ein Vektorfeld, das die eigentliche Dynamik des Massenpunktes bestimmt und sich oft als der negative Gradient eines potentiellen ~ r) = −∇U(~ ~ r ). skalaren Energiefeldes schreiben lässt: K(~ Wir betrachten jetzt als beispiel einen Massenpunkt in einem Zentralfeld. Ein Zentralkraftfeld wird√durch eines Potential definiert, welche nur vom . r =| ~r | abhängt: U = U( x2 + y 2 + z 2 ). Somit ist q dU ~r ~ ~ K(~r) = −∇U( x2 + y 2 + z 2 ) = − dr | ~r | KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 48 U(r) ist eine kugelsymmetrische Funktion, welche invariant gegenüber Rotationen um den Ursprung des Koordinatensystems ist. Entsprechend zeigt ~ r) entlang des Vektors ~r. Beispiel von Zentralfeldern ist die von der Sonne K(~ auf die Planeten ausgeübte Gravitationsfeld. Aber auch das Coulomb-Feld eines Protons auf dem herumkreisenden Elektron ist ein Zentralfeld. Die Tatsache, dass das Feld entlang ~r ist, liefert eine wichtige Vereinfachung des drei-dimensionalen Problems eines Teilchens im äusseren Kraftfeld. Wir bilden die Grösse m · ~r × ~r˙ Diese Grösse hat auf den ersten Blick keine unmittelbare Bedeutung, aber besitzt die wichtige Eigenschaft, dass sie eine Konstante (oder Integral) der Bewegung ist. Mit anderen Worten: dieses Vektorprodukt bleibt konstant, obwohl seine Bestandteile durchaus zeitabhängig sind. Der Beweis zeigt di~ –: rekt die Quelle dieser Erhaltungsgrösse –des Drehimpuls L Beweis: d~ ~ ≡0 L = m~r˙ × ~r˙ + m · ~r × ~¨r = 0 + ~r × K dt ~ zeigt da, nach unserer Voraussetzung, die Kraft zentralgerichtet ist. L während der ganzen Bewegung in eine feste Raumrichtung, die wir als die ~ = L0~ez als Vektorprodukt von ~r und ~r˙ konstruiert z-Achse wählen. Da L wurde, steht er senkrecht zu diesen beiden Vektoren. Daraus folgt: die Bahn eines Teilchens in einem zentralgerichteten Kraftfeld liegt vollständig in ~ senkrecht steht und die wir als die x − y Ebene einer Ebene, die auf L annehmen können. Den Vektor ~r dürfen wir als zwei-komponentigen Vektor annehmen, die dazugehörige BGL sind zwei-dimensional. Es ist zweckmässig, die Polarkoordinaten ρ und ϕ und die orthogonalen Einheitsvektoren ~eρ und ~eϕ einzuführen: x = x(ρ, ϕ) = ρ cos ϕ y y(ρ, ϕ) = ρ sin ϕ = Setzen wir ρ = Konst., dann wird durch Variieren von ϕ eine Kurve (keine Gerade!!!) beschrieben, die ϕ-Koordinatenlinie. Setzen wir ϕ = Konst., dann erhalten wir eine durch ρ parametrisierte Koordinatenlinie. (Die gleiche Operation zur Erzeugung von Koordinatenlinien in kartesischen Koordinaten führt zu Geraden, die parallel zur x-bzw. y-Achse laufen. Deswegen bezeichnet man Polarkoordinaten als ein Beispiel ”krummliniger” Koordinaten). Die BGL für die kartesische Kooridnianten x, y, lauten: m · ẍ = m · K(x2 + y 2 ) (x2 x + y 2)1/2 KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM m · ÿ = m · K(x2 + y 2 ) 49 y (x2 + y 2)1/2 Wir transformieren die rechte und linke Seiten der BGL in Polarkoordinaten x = cos ϕ (x2 + y 2 )1/2 y = sin ϕ (x2 + y 2 )1/2 ẍ = ¨(ρ · cos ϕ) = ρ̈ cos ϕ − 2ρ̇ϕ̇ sin ϕ − ρϕ̈ sin ϕ − ρϕ̇2 cos ϕ ÿ = ¨(ρ · sin ϕ) = ρ̈ sin ϕ + 2ρ̇ϕ̇ cos ϕ + ρϕ̈ cos ϕ − ρϕ̇2 sin ϕ Wir multiplizieren beide DGL mit cos ϕ und addieren sie, beziehungsweise multiplizieren mit sin ϕ und subtrahieren sie. Daraus folgt mρ̈ = ·mKρ (ρ) + mρϕ̇2 mρϕ̈ = −2mρ̇ϕ̇ Die Transformation zur Polarkoordinaten hat eine zusätzliche radialgerichtete Kraft eingeführt, die durch die Verwendung von nicht-kartesischen Basisvektoren entstanden ist. Diese zusätzliche radial gerichtete Kraft heisst Zentrifugalkraft. Sie beeinflusst die radiale Bewegung. Die BGL für ϕ̈ zeigt die Existenz einer weiteren effektiven Kraft, welche durch die Transformation zur Polarkoordinaten entstanden ist, und welche für die Änderung der Drehgeschwindigkeit ϕ̇ verantwortlich ist: die Coriolis-Kraft. Die BGL für ϕ ist äquivalent zu d (mρ2 ϕ̇) = 0 dt 2 ~ = ρ~eρ × m~e˙ρ = d.h. mρ ϕ̇ ist ein Integral der Bewegung. Der Vergleich mit L 2 ρ ϕ̇~ez zeigt, dass die erhaltene Grösse der Betrag des Drehimpulses ist. Diese Lösung für die zweite BGL hat eine einfache geometrische Deutung. Der Ausdruck 1/2ρ2 dϕ stellt die Fläche des Sektors dar, der von zwei unendlich dicht benachbarten Radiusvektoren und dem dazwischenliegenden Bahnelement gebildet wird. Wir bezeichnen diese Fläche mit df und schreiben den Drehimpuls der Masse als 2mf˙. Die Ableitung von f – die Flächengeschwindigkeit– ist eine Konstante: In gleichen Zeitintervallen überstreicht der Ortsvektor die gleiche Fläche (Flächensatz, 2. Satz von Kepler). Aus dieser Gleichung können wir darüberhinaus ϕ2 berechnen: somit ist es möglich, diese Variable in der Radialgleichung mit einem Parameter L zu ersetzen (”zu eliminieren”). Somit lautet die Radialgleichung mρ̈ = L2 + m · Kρ (ρ) mρ3 KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 50 ~ konnten wir das Problem der Bewegung Mit der Hilfe der Erhaltungsgrösse L in einem zentralsymmetrischen Feld zu einer eindimensionalen Gleichung für die einzige Variable ρ reduzieren! (1-dimensionale Probleme sind exakt lösbar!!). Wir wollen jetzt soweit wie möglich die radiale BGL integrieren. Wegen L2 d[L2 /2mρ2 + U(ρ)] . dUef f ′ mρ̈ = − U (ρ) = − =− mρ3 dρ dρ entwickelt sich die radiale Bewegung als würde sich die Masse m in einem effektiven radialen Kraftfeld befinden. Dieses Kraftfeld besteht aus der Zentrifugalkraft und der Gravitationskraft und lässt sich schreiben als die radiale Ableitung einer effektiven potentiellen Energie, die sich aus der Summe der Zentrifugal-Energie und der potentiellen Energie der Gravitation zusammensetzt. Daraus folgt Abbildung 4.3: Uef f als Funktion von ρ KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 51 1 2 . mρ̇ + Uef f (ρ) = E 2 ein weiteres Integral der Bewegung, die totale Energie und die DGL s ρ̇ = ± 2 (E − Uef f (ρ)) m Diese DGL kann sofort integriert werden, und zwar nach der Methode, die wir für eindimensionale Probleme eingeführt haben: t(ρ) = t(ρ0 ) ± Z dρ′ ρ ρ0 q 2 (E m − Uef f (ρ)) Falls die effektive potentielle Energien Uef f (ρ) ein lokales Minimum besitzt (siehe Abbildung), eröffnet sich die Möglichkeit von gebundenen Bahnen. Diese sind dadurch charakterisiert, dass die Teilchenbahn innerhalb eines endlichen Kreisrings verläuft. Die Diskussion der Bahnen basiert auf die Lösungen der Gleichung E − Uef f (ρ) = 0. An diesen kritischen Radien ist die radiale Geschwindigkeit genau 0. Das bedeutet nicht, dass die Masse m anhält, da die Drehgeschwindigkeit, gegeben durch L/(mρ2 ), endlich bleibt. Diese Punkte sind Wendepunkte der Bahn, wo ρ aufhört zu wachsen und beginnt kleiner zu werden. Man kann, je nach Wert von E, mindestens zwei Klassen von Bahnen unterscheiden. Wenn E > Uef f (∞) ist, dann existiert nur eine Lösung der Gleichung. ρmin ist dann ein minimaler Radius, den die Bahn annehmen kann. Es existiert kein maximaler Radius – die Masse kommt aus weiter Entfernung, kehrt bei ρmin um und verschwindet wieder ins Nichts: die Bewegung des Teilchens ist infinit. Diesen Bahnen folgen zum Beispiel die Kometen. Ist E > Uef f (∞) dann existiert ein minimaler (ρmin ) und ein maximaler (ρmax ) Radius: Die Bahn ist finit und verläuft vollständig in einem ringförmigen Gebiet. Das bedeutet aber nicht, dass die Bahn geschlossen ist (geschlossen bedeutet, dass die Bahn nach bestimmten Zeiten immer wieder an denselben Ort zurückkehrt). In der Tat werden geschlossene Bahnen dann und nur dann beobachtet, wenn U(ρ) = − αρ (Kepler Problem!) oder ∝ ρ2 ist. Bei beliebigen ρ-Abhängigkeiten sind geschlossene Bahnen äusserst selten; stattdessen hat man sog. Rosettenbahnen. Die Zentrifugalbarriere (L 6= 0) sorgt im Allgemeinen dafür, dass die Masse niemals zum Mittelpunkt des Feldes gelangt, auch dann nicht, wenn das Feld anziehend ist. 4.3 Kepler-Problem Wir kommen jetzt zur Begründung der Keplerschen Planetengesetze. Wir betrachten die Sonne als Zentrum eines zentralgerichteten Gravitationsfeldes. 52 KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM Abbildung 4.4: Rosettenbahn −γm·M . Eine Masse in diesem Gravitationsfeld hat die potentielle Energie = ρ α − ρ (M : Masse der Sonne, γ : Gravitationskonstante). Um etwas über die Geometrie der Bahnen zu sagen, lösen wir die DGL mit Lösung ϕ̇ 1 dϕ = = ±L q dρ ρ̇ ρ2 2m(E − (− αρ + ϕ(ρ) = ϕ(ρ0 ) ± L Z dρ′ ρ ρ0 L2 )) 2mρ2 q ρ2 2m(E − (− αρ + L2 )) 2mρ2 . Diese Gleichung enthält ein elementares Integral, mit Stammfunktion (u = ρ1 ) − 1 arctan L u − αm L2 q 2Em + 2αm u L2 L2 − u2 = − √ u−αm/L2 1 2Em/L2 +α2 m2 /L4 arctan 2 L 1 − [ √ u−αm/L ]2 2 2 2 4 2Em/L +α m /L 1 u − αm/L2 q = − arccos L 2Em/L2 + α2 m2 /L4 Wir setzen allfällige Konstanten zu Null und gehen von u nach ρ zurück, so erhalten wir die Bahngleichung ρ= L2 /(αm) 1 + cos ϕ · q 2EL2 /(α2 m) + 1 Geometrisch gesehen ist diese Gleichung die Polarkoordinatendarstellung von Kegelschnitten. Es ergibt sich die folgende Klassifizierung der Bahnen: KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM • für E = • −mα2 2L2 −mα2 2L2 53 = Uef f,min sind die Bahnen Kreise mit Radius L2 /(αm) < E < 0 sind die Bahnen Ellipsen • für E = 0 sind die Bahnen Parabeln • für E > 0 sind die Bahnen Hyperbeln Abbildung 4.5: Mögliche Bahnen im Gravitationsfeld Somit ist das erste Keplersche Gesetz bewiesen: ” Die Planeten bewegen sich auf Ellipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht”. Die weitere Untersuchung der obigen Resultaten zeigt, dass die grosse q Halbachse a und die a kleine Halbachse b der Ellipse −α respektiv b = L betragen. Für die 2E mα L Fläche F der Ellipse gilt F = πab. Andererseits integrieren von dF = 2m dt L ergibt F = 2m T , mit T die volle Umlaufzeit. Vergleich der beiden Ausdrücke für F ergibt 2π a3/2 T =q γ · M Für zwei verschiedene Ellipsenbahnen im gleichen Gravitationsfeld, die auch zu zwei verschiedenen Massen gehören dürfen, erhalten wir ( a1 T1 2 ) = ( )3 T2 a2 In Worten: Drittes Keplersches Gesetz: Die Quadrate der Umlaufzeiten verhalten sich wie die dritten Potenzen der grossen Halbachsen. KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 4.4 54 Rutherfordsche Streuformel Wir wollen uns jetzt mit den ungebundenen Bahnen in einer potentiellen beschäftigen. Diese sind nicht nur für die HimEnergie der Form U(r) = −α |~ r| melsmechanik von Bedeutung, sondern auch für die Streuung von geladenen Teilchen – zum Beispiel positive geladene Helium-Kerne, auch α-Teilchen genannt, an Atomkernen (die Elektronenhülle spielt dabei wegen der geringen Elektronenmasse nur eine geringe Rolle). Diese Streuung wurde von Rutherford benutzt, um die Punktteilchen-Natur der Kerne zu beweisen. Wechselwirken zwei geladene Teilchen mit Ladung q1 und q2 , so ist die Konstante 1 q2 α = −q , nach dem bekannten Coulomb-Gesetz. Schiesst man einen Strahl 4πǫ0 gleich schneller, parallel laufender Alphateilchen auf ein Target (bestehend aus Atomen), so werden diese von den Kernen der Atome des Targets abgelenkt, siehe Abbildung. Wir wollen diese Ablenkung quantitativ untersuchen. Für das hier betrachtete Potential verschwindet die Kraft im Unendlichen, daher gehen die ungebundenen Bahnen im grossen Abstand vom Streuzentrum asymptotisch in Geraden über. Läuft ein Massenpunkt von r = −∞ auf das Streu-Zentrum zu, so ändert sich sein Polarwinkel ϕ bis zum Erreichen des minimalen Abstands rmin um (siehe Abbildung) Z ∞ Ldr q ∆ϕ = rmin r 2 2m(E − V (r) − L2 ) 2mr 2 Da der Lösungszweig r(ϕ) für r → ∞ aus dem vorher durchlaufenen durch Spiegelung hervorgeht, erfährt der Polarwinkel nochmals dieselbe Verschiebung △ϕ. Beim Streuproblem erweist sich als zweckmässig, den Vorgang mit den Parametern v∞ und s zu beschreiben, statt E und L. v∞ ist die Geschwindigkeit im Unendlichen, s ist der senkrechte Abstand der Asymptoten vom Kraftzentrum - der Stossparameter –. Diese Umparametrisierung erfolgt dank den Gleichungen m 2 v E = 2 ∞ L = limr→−∞ | ~r × m~r˙ |= limr→−∞ mr ṙ sin ϕ = mv∞ s Somit ist ∆ϕ = Z sdr ∞ rmin r r2 1 − s2 r2 − 2U (r) 2 mv∞ Darüberhinaus sind wir nicht an ∆ϕ sondern an den Streuwinkel χ interessiert, mit χ = π − 2△ϕ (siehe Abbildung): Z ∞ χ sdr π r = − 2 2 2 rmin 2 r 1 − s − 2U (r) r2 2 mv∞ KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 55 Abbildung 4.6: Streuung in einem abstossenden (oben) und anziehenden (unten) Potential rmin ist durch die Gleichung E − Uef f (r) = 0 definiert. Parametrisiert mit s und v∞ ergibt diese Gleichung rmin v u u α2 α = − 2 + t 2 4 + s2 mv∞ m v∞ Die Stammfunktion des zu berechnenden definiten Integrals ist 2 −s2 mv∞ + αr g(r) = arctan q 4 + 2αs2 mv 2 r − s2 m2 v 4 r 2 s2 m2 v∞ ∞ ∞ Da g(rmin ) = −π/2 (unabhängig vom Vorzeichen von α) und g(∞) = arctan v2 αms erhalten wir schliesslich ∞ tan(χ/2) = −α 2 s · m · v∞ Je nach Vorzeichen von α ist der Streuwinkel negativ (attraktive Potentiale α > 0) oder positiv (repulsive Potentiale α < 0). Um den Kontakt zu den experimentellen Bedingungen bei der Streuung von Teilchen herzustellen, muss man berücksichtigen, dass die einfallenden KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 56 Teilchen in einem Strahl gebündelt sind. In der Regel ist der Strahl ”homogen”, d.h. vor der Streuung besitzen alle Teilchen nach Betrag und Richtung dieselbe Geschwindigkeit und durch jedes senkrecht zur Teilchenzahl verlaufende Flächenelement △F laufen in der Zeit △t dieselbe Anzahl △N von △N Teilchen hindurch. Die Grössen I = △F definiert den Fluss des Teilchen△T strahls. In einem homogenen Strahl ist I vom Stossparameter s unhabängig, d.h. in einem Streu-Experiment muss man damit rechnen, dass ein kontinuierlicher Bereich von Stossparametern gleichmässig im Teilchenstrahl vorkommt. Deswegen macht es keinen Sinn mehr von einem Stossparameter zu sprechen, sondern man muss ein kleins Intervall [s, s+ds] definieren, innerhalb welchem wir den Streuprozess analysieren. Als Wirkungsquerschnitt dσ für Abbildung 4.7: Zur Definition des Stossparameters und des Wirkunsgquerschnitt die Streuung in den Winkelbereich dχ um χ bezeichnen wir den Flächeninhalt derjenige Ringfläche (siehe Abbildung) durch die alle in das Winkelintervall [χ, χ + dχ] abgelenkten Teilchen hindurchtreten: dσ = 2πs(χ, m, v∞ ) | ds |= 2πs(χ, m, v∞ ) | ∂s dχ ∂χ ∂s Je nachdem ob das Potential attraktiv oder repulsiv ist ∂χ positiv oder negativ, aber wir definieren dσ als eine positive Fläche, und nehmen deswegen den Absolut-Wert. Für die Streuung auf Raumwinkel dΩ = 2πsinχdχ bezogen, der sich zwischen den in der Abbildung gezeichneten Kegeln mit Öffnung χ KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 57 und χ + dχ erstreckt, erhalten wir den Zusammenhang s(χ, m, v∞ ) | ∂s/∂χ | dσ = dΩ sin χ dσ/dΩR wird differentieller Wirkungsquerschnitt bezeichnet. Das Integral σtot = (dσ/dΩ′)dΩ′ heisst totalen Wirkungsquerschnitt. Zwischen einfallen∆NΩ den Fluss I und Streu-Intensität IΩ = △Ω△t (△NΩ ist die Anzahl Teilchen, die während der Zeit △t durch den Raumwinkel ∆Ω gestreut werden), existiert eine wichtige Beziehung. Sollte bei der Streuung kein Teilchen verloren gehen, dann gilt die Gleichung I∆σ∆t = ∆N = ∆NΩ = IΩ ∆Ω∆t Daraus folgt der Zusammenhang IΩ dσ = dΩ I Durch Messung von IΩ /I als Funktion des Winkels χ kann man überprüfen, ob das angenommen Potential gerechtfertigt war. Die bei der Streuung an eisin χ nem Potential der Form −α erwartete dσ lässt sich aus s(χ) = mvα2 · 1−cos herr χ ∞ leiten und ergibt die berühmte Rutherfordsche Streuformel, die auch quantenmechanisch gilt: α 2 1 dσ = 4 2 dΩ 2mv∞ sin (χ/2) Rutherford hat durch den Vergleich zwischen der gestreuten Intensität und diesem Wirkungsquerschnitt vorgeschlagen, dass das Innere des Atoms im Wesentlichen leer ist und dass in dessen Zentrum ein geladener, punktförmiger Kern sitzt, der ein Coulomb-Feld erzeugt. Kapitel 5 Elektrostatik Bis jetzt haben wir jedem physikalischen Objekt eine Masse zugeordnet: das war das einzige physikalische Merkmal. Physikalische Objekte können aber auch geladen sein. Die Ladung ist der zentrale Begriff in der Elektrostatik und Magnetostatik. Es gibt zwei Arten von Ladungen, positive bzw. negative. Einfache Experimente belegen, dass sich gleichnamige Ladungen abstossen, während sich verschiedenartige Ladungen anziehen. Ein Beispiel von negativ geladenen Massenpunkten ist ein Elektron. Positiv geladene Teilchen sind zum Beispiel die Protonen, die zusammen mit den Elektronen die Bausteine der ganzen Materie sind. Die Ladung, die ein Elektron oder ein Proton trägt, beträgt 1.6 · 10−19C (C: Coulomb). Ferner stellt man fest, dass die Kraft zwischen zwei Ladungen q1 und q2 proportional zu ihrem Produkt ist und mit dem Quadrat des Abstandes der beiden Ladungen abnimmt. Diese zusätzliche Kraft der Natur, die zwischen Ladungen existiert, ist die Coulomb Kraft. Die Coulomb Kraft ist demnach der Gravitationskraft sehr ähnlich, mit dem entscheidenden Unterschied, dass sie sowohl anziehend als auch abstossend sein kann. Für die Coulomb-Kraft der Ladung q ′ auf die Ladung q gilt ~ q′ →q (~r′ , ~r) = K 1 q ′ · q ~r − r~′ 4πε0 |~r − r~′ |2 |~r − r~′ | Nm2 1 = 9 × 109 2 , [q] = C 4πε0 C Eine der Eigenschaften der Coulomb Kraft, die wesentlich zur Vielfalt beiträgt, die wir in der Natur beobachten, ist ihr vektorieller Charakter. Aber genau diese Eigenschaft macht den Zugang zum Elektromagnetismus so kompliziert. In der Tat kann man oft in der Mechanik die Probleme durch Massenpunkte modellieren, die eben in einem Punkt lokalisiert waren. Der vektorielle Charakter der Gravitation äusserte sich als kugelsymmetrisches Kraftfeld, 58 59 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK dV ′ ρ(r′ ) ~r − ~r′ ~r′ ~r Abbildung 5.1: Figur zur Coulomb-Gesetz und zum Superpositionsprinzip das von diesem Massenpunkt produziert wird. Diese Kugelsymmetrie vereinfacht das Verständnis erheblich. Ladungen dagegen lassen sich auf einfache Weise in beliebige Geometrien makroskopisch aufstellen und die eigentliche Geometrie spielt bei vielen Anwendungen (siehe z.B. das Elektronenmikroskop oder die Antenne) eine sehr grosse Rolle: eine Ladung q, welche sich in der Nähe einer makroskopischen Ladungsverteilung aufhält, spürt – nach dem Superpositionsprinzip – die vektorielle Summe einer grossen Anzahl Kräfte, die aus den einzelnen Ladungen entstehen: Bei der Anwesenheit von N Ladungen q1 , ..., qN , wirkt auf die Ladung q die folgende Kraft: ~ ~r = K N X qi · (~r − ~ri ) q · 4πε0 i=1 | ~r − ~ri |3 Haben wir eine kontinuierliche Ladungsverteilung vorliegen, die im Volumen V eingeschlossen ist, so müssen wir von der Summation über die Punktladungen zu einer Integration über die räumliche Verteilung übergehen. Wir setzen an die Stelle der Punktladung qi das Ladungselement ρ(~r′ )dV ′ , mit dV ′ = dx′ dy ′dz ′ und ρ(~r′ ) die Ladungsdichte am Ort ~r′ . Somit ergibt sich ~ r) = K(~ q · 4πε0 Z V′ ρ(~r′ ) ~r − ~r′ dV ′ | ~r − ~r′ |3 Entsprechend kompliziert wird die Bewegung der Ladung q sein. Bei diesen Ausfhrungen haben wir stillschweigend angenommen, dass die Anwesenheit von q die Ladungsverteilung ρ(~r′ ) nicht beeinflusst. Dann lässt sich ~ r ) schreiben. E ~ ist das elektrische Feld der Ladunsgverteidie Kraft als q · E(~ lung ρ(~r′ ), und ist durch die formelle Gleichung . ~ r) = E(~ 1 · 4πε0 Z V ρ(~r′ ) ~r − ~r′ dV ′ | ~r − ~r′ |3 gegeben. Somit wird jedem Raumpunkt ein (vektorielles) Feld zugeordnet, das an verschiedenen Punkten im Raum verschiedene Werte und Richtungen KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 60 annimmt. Wenn wir die Bestandteile der Ladungsverteilung festhalten, so ist das Feld zeitunabhängig: es handelt sich um ein elektrostatisches Feld. Ist ~ r ) bekannt, lassen sich die Bewegungsgleichungen von q formulieren, in der E(~ Form der Newton BGL. Hinter der Annahme eines elektrostatischen Kraftfeldes steckt eine Vereinfachung: es wird angenommen, dass q selbst keine Kraft auf die Bestandteile der Ladungsverteilung ausübt. Diese Kraft führt, genau betrachtet, möglicherweise zu einer zeitabhängigen Umverteilung der Ladungen, die berücksichtigt werden sollte, um die genaue Bewegung von q zu finden. Das Kraftfeld-Konzept der Elektrostatik ist deswegen eine Vereinfachung der Realität, die nur dann gut ist, wenn q eine ’kleine Störung’ ist. Eine Ladung q, welche die Ladungsverteilung nicht beeinflusst, nennt man ~ ist eine Charakteristik der La”Probeladung”, und das elektrische Feld E dungsverteilung und ist von q unabhängig. Zusammenfassend, im Gegensatz zur Mechanik, dürfen wir nicht mehr die räumliche Ausdehnung der Ladung gegenüber den in unserem Problem relevanten Abständen vernachlässigen. Diese Komplikation erfordert die Einführung zusätzlicher mathematischer Begriffe aus der Vektoranalysis. Noch eine Bemerkung über das Wort ”klassisch”, das im Titel dieser Vorlesung vorkommt. In vielen Fällen lässt sich die Bewegung einer Ladung sehr gut durch die klassische Bewegungsgleichung der Mechanik beschreiben: die Quantenmechanik – genauer gesagt: die Quantenelektrodynamik – liefert im Allgemeinen kleine Korrekturen. Die klassische Elektrodynamik ist deswegen immer noch ein aktuelles Gebiet der Physik. Hinzu kommt, dass die Beschreibung der elektrischen und magnetischen Felder durch die Maxwell Gleichungen immer noch exakt ist. Der Gradient Der Begriff des Feldes stellt ein fundamentales Konzept in der Physik dar. Man unterscheidet zwischen Skalarfeldern und Vektorfeldern. Ein Skalarfeld Φ(~r) = Φ(x, y, z) ist eine skalarwertige Funktion dreier unabhängiger Variablen, wobei sich die Zahl drei auf die Dimension unseres Raumes bezieht. p Beispiel: Wir betrachten die Funktion Φ(~r) = α/( x2 + y 2 + z 2 ). Graphisch stellt man solche Felder durch 2-dimensionale Schnitte dar, in denen die Flächen Φ(~r) = Konst (Äquipotentialfläche) als Höhenlinien erscheinen. Der Abstand der Linien enstpricht dabei gleichen Wertunterschieden der Konstanten. ~ = K(~ ~ r ) zu. Ein Vektorfeld ordnet jedem Punkt im Raum eine vektorwertige Funktion K Beispiel: Das Gravitationsfeld eines Masssenpunktes ist gegeben durch ~ r ) = −m 2 2~r 2 3/2 . K(~ (x +y +z ) Graphisch lassen sich Vektorfelder mittels Feldlinien darstellen, wobei das Feld tangential zur Feldlinie verläuft. Die Dichte der Feldlinien ist dann ein Mass für die Stärke des Feldes. Für Skalarfelder kann man den Begriff der partiellen Ableitung einführen: Φ(x + ∆x, y, z) − Φ(x, y, z) ∂Φ . = lim ∆x→0 ∂x ∆x 61 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK Abbildung 5.2: Konstruktion zur Berechnung von dΦ (links) und graphische Deutung des Gradienten (rechts) (und ähnlich für y, z). Damit lässt sich die räumliche Änderung der Skalarfelder beschreiben. Wir betrachten zwei Punkte ~r1 und ~r2 , die durch eine kleine Strecke d~r voneinander getrennt sind. Die Änderung dΦ = Φ(~r2 ) − Φ(~r1 ) ist gegeben durch die folgende Summe: dΦ ∂Φ ∂Φ ∂Φ dx + dy + dz ∂x ∂y ∂z ∂Φ ∂Φ ∂Φ = ( , , ) · (dx, dy, dz) ∂x ∂y ∂z . ~ = ∇Φ · d~r = ~ der Gradient von Φ und dΦ das totale Differential des Feldes Φ sind. Der wobei ∇Φ Gradient lässt sich deuten, indem man d~r in die Richtung wählt, so dass dΦ = 0 in ~ · dr~0 = 0 folgt, dass ∇Φ ~ senkrecht auf dr~0 dieser Richtung ist. Aus der Gleichung ∇Φ ~ senkrecht auf den steht. Anderseits definiert dΦ = 0 Flächen Φ = Konst., so dass ∇Φ Äquipotentialflächen steht. Sein Betrag ist ein Mass für die Stärke der Änderung von Φ, wenn man senkrecht zu den Äquipotentialflächen fortschreitet. Die Divergenz Gegeben sei ein Vektorfeld ~a = ~a(~r ) . Die Operation div ~a erzeugt ein Skalarfeld div ~a = 3 X ∂ai ~ · ~a =∇ ∂x i i=1 Rechnungsbeispiele: 1. Durch Anwendung der Produktregel folgt für ϕ(~r ) und ~a (~r ): div (ϕ~a) = 3 3 3 X X ∂ ∂ϕ X ∂ai ai ϕ ϕai = + ∂xi ∂xi i=1 ∂xi i=1 i=1 ~ + ϕ∇ ~ · ~a . = ~a · grad ϕ + ϕ div ~a = ~a · ∇ϕ 2. Für ~a = const. folgt div ~a = 0. Ein konstantes Feld ist quellenfrei. 62 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 3. Die Divergenz von ~r entspricht der Raumdimension, div ~r = 3 X ∂xi i=1 ∂xi =3 . Ausgehend von X 3 3 X ∂ ∂2ϕ ∂ div grad ϕ = ϕ = ≡ △ϕ ∂xi ∂xi ∂x2i i=1 i=1 führen wir den Laplace-Operator ein: △= ∂2 ∂2 ∂2 + + = div grad . ∂x21 ∂x22 ∂x23 Um der Divergenz eine physikalische Interpretation zu geben, definieren wir eine weitere Grösse der Vektoranalysis, den Fluss eines Vektorfeldes. Wir betrachten eine Fläche S im Raum, in welchem das Vektorfeld ~a(~r) definiert ist. Auf der Fläche betrachten wir ~ Der Fluss von ~a durch die Fläche S ist definiert als das Flächenelement dS. Z Z ~ ~a(~r) · dS Φ= S In einem strömenden Gas mit der Dichte ρ(x, y, z) und mit einem Geschwindigkeitsfeld ~a ~ dS Abbildung 5.3: Zur Definition des Flusses eines Vektorfeldes ~v (x, y, z) ist ΦS (~a = ρ · ~v ) die gesamte Anzahl Teilchen pro Zeiteinheit, die durch die gesamte Fläche S hindurchströmt. Wir betrachten jetzt ein kleines Volumenelement dx · dy · dz = dV . und berechnen Φ(~a) durch die Wände von dV . Dazu werden wir die Summe der Flüsse durch alle sechs Seitenflächen bilden. Betrachten wir zum Beispiel die mit ’1’ bezeichnete Fläche in der Figur. Aus dieser Fläche ist der Fluss Φ1 = −ax (1) · dy · dz. Da wir mit einem infinitesimal kleinen Würfel zu tun haben, nehmen wir den Wert von ax im Mittelpunkt der Fläche - wir nennen ihn den Punkt (1). In ähnlicher Weise schreiben wir Φ2 = ax (2) · dy · dz. Nun sind im Allgemeinen ax (1) und ax (2) etwas verschieden. Da dx klein genug ist, können wir schreiben ax (2) = ax (1) + ∂ax/∂x · dx. Somit beträgt der Fluss durch die Flächen ’1’ und ’2’ [∂ax /∂x · dx · dy · dz]. Mit der selben Genauigkeit können wir den Gesamtfluss durch alle 6 Flächen des Quaders berechnen: Z Z ~ =∇ ~ · ~a · dV ~a · dS S(△V ) 63 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK Abbildung 5.4: Konstruktion zur Deutung der Divergenz eines Vektorfeldes ~a Damit ist die Divergenz eines Vektorfeldes im Punkt ~r der Fluss – die nach aussen fliessende Strömung- von ~a pro Volumeneinheit durch die Fläche eines infinitesimale Quaders um ~r. Diese physikalische Deutung lässt sich zu einem berühmten Satz der Vektoranalysis verallgemeinern (Gauss’sche Satz): Z Z Z Z Z ~ ~ dV ∇ · ~a = ~a · dS V S Beweis: Man teile das Volumen V in infinitesimal kleine Quader, für welche dieR Beziehung R a· zwischen Divergenz und Fluss gilt und summiere die linke und rechte Seite von S(△Vi ) ~ ~ ~ dS = ∇ · ~a(~ri ) · dVi über die kleine Quader mit Index i. Der Beitrag der gemeinsamen Seitenflächen zu den Flächenintegralen auf der linken Seite der Gleichung hebt sich wegen der entgegengesetzten Richtungen der entsprechenden Flächennormale aus. Es bleibt das Oberflächenintegral über die Einhüllende des Gesamtvolumens. Die Rotation Gegeben sei ein Vektorfeld ~a = ~a(~r ), dann erzeugt ~e1 ~e2 ~ × ~a = ∂/∂x1 ∂/∂x2 rot ~a = ∇ a1 a2 ~e3 ∂/∂x3 a3 ein Vektorfeld. Unter Benutzung des antisymmetrischen Tensors εijk lautet die Komponentenschreibweise rot ~a = 3 X i,j,k=1 εijk ∂ aj ~ek ∂xi Man achte hier auf die Reihenfolge der Indizes. Rechnungsbeispiele: . 64 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 1. Die Rotation des Produktes aus einem Skalar- und Vektorfeld ergibt nach Anwendung der Produktregel: X ∂ rot (ϕ~a) = εijk (ϕaj ) ~ek ∂xi i,j,k = X εijk i,j,k i,j,k = X ∂aj ∂ϕ aj ~ek + ~ek εijk ϕ ∂xi ∂xi ~ × ~a + ϕ∇ ~ × ~a grad ϕ × ~a + ϕ rot ~a = ∇ϕ . 2. rot [f (r)~r ] = (grad f ) × ~r + f rot ~r = 0 . Der erste Summand verschwindet, da gradf und ~r parallel sind; der zweite Summand verschwindet wegen rot ~r = 0. 3. Gradientenfelder sind wirbelfrei: rot grad ϕ = 0 . Das überprüft man komponentenweise. Für die 1. Komponente erhalten wir z.B. ∂ ∂ (rot grad ϕ)1 = (grad ϕ)3 − (grad ϕ)2 ∂x2 ∂x3 ∂2ϕ ∂2ϕ = − =0 . ∂x2 ∂x3 ∂x3 ∂x2 4. Wirbelfelder sind quellenfrei: div rot ~a = 0 . Um die Rotation physikalisch zu deuten, berechnen wir das Linienintegral (die Zirkulation von ~a um den geschlossenen Weg Γ) Z ΣΓ = ~a(~r)d~l Γ um eine kleine quadratische Schleife um ~r. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit betrachten wir jetzt eine Schleife Γ in der xy-Ebene. Nach der Figur ist ΣΓ = ax (1)dx + ay (2)dy − ax (3)dx − ay (4)dy Mit ax (3) = ax (1) + ∂ax /∂y · dy und ay (4) = ay (2) − ∂ay /∂x · dx finden wir ~ × ~a)z · dx · dy ΣΓ = (∇ Diese Gleichung lässt sich zu einer beliebig orientierten Schleife verallgemeinern: ~ × ~a) · dS ~ ΣΓ = (∇ n ~ und bestimmt eine eindeutige Beziehung zwischen der Rotation eines Vektorfeldes und ihrer Zirkulation (die Richtung der Normalen ist so zu wählen: man lege den Zeigefinger der rechten Hand in Schleifenrichtung, dann zeigt der Daumen entlang der ’richtigen’ Normalen). Die Verallgemeinerung dieser Gleichung auf beliebigen Schleifen Γ heisst Satz von Stokes: I Z ~ ~ × ~a) · dS ~ ~a · dl = (∇ Γ S Zum Beweis: man decke die Fläche S mit infinitesimal kleinen Schleifen. 65 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK Abbildung 5.5: Zur Deutung der Rotation eines Vektorfeldes 5.1 Die Grundgleichungen der Elektrostatik Gegeben sei eine vorgegebene kontinuierliche Ladungsverteilung ρ(~r), die in einem bestimmten Gebiet fest angeordnet sind. Formell ist der aus dem Superpositionsprinzip hergeleitete Ausdruck für das elektrische Feld eine exakte und vollständige Lösung des Problems, das elektrische Feld aus einer Ladungsverteilung zu berechnen. Es existieren aber äquivalente Formulierungen der Gesetze der Elektrostatik als partielle Differentialgleichungen, und für einige Probleme ist die Lösung solcher Gleichungen angemessener als die Berechnung des Integrals. 1. Gesetz der Elektrostatik Theorem: Aus ~ r) = E(~ folgt die Integralform 1 · 4πε0 Z V ~r − ~r′ dV ′ ρ(~r ) ′ 3 | ~r − ~r | Z ~ r ) · dS ~= 1 E(~ ǫ0 S(V ) ′ Z V ρ(~r)dV = q ǫ0 R ~ durch eine beliebige mit q = V ρ(~r)dV In Worten: der Fluss von E geschlossene Fläche ist proportional zur Gesamtladung innerhalb dieser Fläche. Die äquivalente DG (Differentialform) lautet: ~ = div E ρ(~r) ǫ0 66 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK R ~ ~ · dS ~ = R div EdV Die DG erhalten wir aus der Integralform aus S(V ) E V (Satz von Gauss) durch Gleichsetzen der Integranden. Das 1. Gesetz der Elektrostatik drückt die Tatsache aus, dass die Quellen des elektrischen Feldes die elektrische Ladungen sind. Da man explizit das Gauss Theorem für die Durchführung des Beweises benutzt, nennt man sie auch Gauss-Gesetz. Beweis der Integralform: Für den Beweis brauchen wir folgende wichtige Identitäten: Es gilt ~r − ~r′ 1 ~r = −∇ ′ 3 | ~r − ~r | | ~r − ~r′ | Diese Identität lässt sich komponentenweise durch direkte Durchführung der partiellen Ableitungen beweisen. Das Symbol ∇r bedeutet, dass die partiellen Ableitungen nach der Variablen ~r durchgeführt werden. Darüberhinaus gilt △ 1 =0 | ~r − ~r′ | falls ~r 6= ~r′ . Auch diese Gleichung lässt sich durch direkte Durchführung der partiellen Ableitungen beweisen. Es folgt: Z S(V ) Z Z ~r − ~r′ 1 ′ ′ ~ · dV ρ(~r ) dS 4πε0 V ′ | ~r − ~r′ |3 S Z Z 1 1 ~∇ ~r · dV ′ ρ(~r′ ) dS = − 4πε0 V ′ | ~r − ~r′ | S Z Z 1 1 = − · dV ′ ρ(~r′ ) dV △r 4πε0 V ′ | ~r − ~r′ | V ~ · dS ~ = E S ist irgendeine, die Ladungsverteilung umgebenden geschlossene Fläche. Diese ”fiktive” Fläche wollen wir Gauss-Fläche nennen, da wir für ihre Herleitung den Gausschen Satz benutzt haben. V ist das von S eingeschlossenen Volumen. Für die Berechnung des Integrals über die Variable ~r ∈ V von 1 △r |~r−~ setzen wir o.B.d.A ~r′ = 0 und schneiden wir eine kugelförmige Kar′ | vität K um den Nullpunkt, so dass Z V Z Z 1 1 1 = + dV △ dV △ dV △ | ~r | | ~r | | ~r | (V −K) K Das Integral über (V − K) ist Null, weil darin der Integrand indentisch Null ist. Im Ursprung divergiert der Integrand: Das Integral über K berechnen wir deshalb durch seine Transformation in ein Integral über die kugelfläche ∂K (Gausssche Satz). Es folgt: Z V △ 1 dV | ~r | = Z V ~ ·∇ ~ 1 dV ∇ | ~r | 67 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK Z ~ ~ 1 dS ∇ | ~r | ∂K = −4π = Zusammensetzung der Integrale ergibt die behauptete Integralform. 2. Gesetz der Elektrostatik Um das zweite Gesetz zu formulieren, merken wir dass Z 1 ~r − ~r′ ′ ~ dV = −∇r dV ′ ρ(~r′ ) ρ(~r ) ′ 3 ′ ′ ′ | ~r − ~r | | ~r − ~r | V V Z ′ ~ r ) kann als Gradient eines Potentials Φ(~r) geschrieben werde, mit ist, d.h. E(~ 1 Φ(~r) = 4πε0 Z V′ ρ(~r′ ) dV ′ ′ | ~r − ~r | Diese Tatsache drückt man in der DG ~ r) = 0 rotE(~ aus, welche besagt, dass ein Gradientenfeld rotationsfrei ist. Die Integralform ~ entlang folgt aus dem Satz von Stokes und besagt, dass die Zirkulation von E ~ ~ eines geschlossenen Weg genau 0 sein muss. Aus E = −∇Φ(~r) folgt, dass das ~ wegunabhängig ist und Linienintegral über E Φ(~r) − Φ(~r0 ) = − Z ~ r ~ r0 ~ r ′ ) · d~r′ E(~ beträgt. Man bezeichnet diese Potentialdifferenz als Spannung U(~r,~r0 ). Die Einheiten von U und von Φ sind das Volt (V ). Die zwei Gesetze der Elektrostatik können als Poissongleichung kombiniert werden. Die Poisson Gleichung erhält man aus ~ · ∇Φ ~ −∇ = ρ ǫ0 △Φ(~r) = − ρ(~r) ǫ0 oder bei expliziten Berechnung von ∆Φ aus dem Integralausdruck für Φ . Die Poisson Gleichung stellt eine partielle Differentialgleichung für die zweite räumliche Ableitung des elektrischen Potentials dar. Wie alle DG, hat diese DG nur im Zusammenhang mit vorgegebenen Randbedingungen - Φ 68 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK muss auf einer Fläche bekannt sein - eine Bedeutung. Die Poisson Gleichung ist Gegenstand beträchtlicher mathematischer und numerischer Studien (sog. Randwertprobleme der Elektrostatik). Die Poisson DG wird zum Beispiel in der Entwicklung sog. elektronenoptischer Systeme angewandt, die zum Beispiel für die Fokussierung von Elektronen entwickelt werden (Elektronenmikroskop). Zusammenfassung: Es gibt zwei Gesetze, die das elektrostatische Feld vollständig bestimmen. Sie besitzen Integral und DG Darstellungen. Aus diesen zwei Gesetzen werden alle Vorhersagen der Elektrostatik hergeleitet. Das Gausssche Gesetz allein kann kein Problem lösen, weil das andere Gesetz berücksichtigt werden muss. Daher müssen wir noch etwas anderes hinzufügen, wenn wir das Gausssche Gesetz zur Lösung eines bestimmten Problems verwenden wollen. Zum Beispiel, müssen wir uns zuerst eine Vorstellung von der Form des elektrischen Feldes machen – wobei wir von Symmetrieerwägungen ausgehen werden. Oder aber wir müssen irgendwie die spezifische Idee einführen, dass die Feldstärke der Gradient eines Potentials ist uns somit das elektrische Feld wirbelfrei ist. Eine alternative Formulierung ist die Poisson Gleichung. 5.2 Das elektrische Feld von einfachen Ladungsverteilungen a: Feld einer Punktladung q O.E.dA. sei die Punktladung am Ort (0, 0, 0). Das E-Feld kann nur eine radiale Komponente haben. Deswegen Z Z ~ · d~s E 4πr 2 · Er (r)! = = ⇐⇒ Er (r) = q q ǫ0 4πǫ0 · r 2 und φ(r) − φ(∞)(= 0) = − Z r ∞ Er (r)dr = q 4πǫ0 · r b: Feld einer geladenen Kugel Eines der schwierigen Probleme, auf die Newton stiess, als er die Gravitation untersuchte, bestand darin zu beweisen, dass eine feste Kugel von Materie mit endlichem Radius R das selbe Gravitationsfeld besitzt wie ein Massenpunkt gleicher Masse im Zentrum der Kugel. Newton hat seine Theorie der 69 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK Gravitation jahrelang nicht veröffentlicht, weil er nicht sicher war, ob dieses Theorem richtig ist. Durch die Integralform des Gaussschen Gesetzes lässt sich dieses Theorem ~ radial gesofort beweisen. Da es keine ausgezeichnete Richtung gibt, ist E richtet. Wir konstruieren eine fiktive Kugelfläche S mit Radius r > R, die konzentrisch zur festen Kugel verläuft. Die zu berechnende Feldstärke E(r) kommt als Unbekannte im Gaussschen Gesetz vor: Z S E(r)r 2sinϑdϑdϕ = Q/ε0 wobei Q die Gesamtladung der Kugel ist. Die Lösung dieser Gleichung ist E(r) = 4πεQ0 r2 , r ≥ R. Das Potential am Ort ~r hängt nur von r ab, d.h. die Äquipotentialflächen sind konzentrische Kugelflächen. Für r ≥ R kann Φ(r) aus der Gleichung Φ(r) − Φ(∞) = − Z r r=∞ dr Q 4πε0r 2 zu Φ(r) = 4πǫQ0 r bestimmt werden. Als Übung: Berechne das Feld einer geladenen Kugelschale. Die homogene Ladungsdichte ρ sei auf einer kugelförmigen Schicht der Dicke δ beim Radius R verteilt. c: Feld einer geladenen ebenen Schicht Wir betrachten eine dünne Platte in der x − y-Ebene, auf welcher die homogene Flächenladungsdichte σ (die totale Ladung Q auf der Fläche A dividiert ~ durch A) aufgebracht wurde. Die Symmetrie des Problems suggeriert, dass E orthogonal zur Platte steht. Darüberhinaus vermuten wir, dass aufgrund der ~ = E(z) ~ Translationssymmetrie in der x − y Ebene E ist. Die Feldstärke muss (ihrem Betrag nach) auf beiden Seiten gleich sein. Wir wählen als Gausssche Fläche eine rechteckige Schachtel, welche die Schicht schneidet, siehe Figur. Die beiden Seitenflächen parallel zur Schicht haben den gleichen Flächeninhalt A. Das Feld ist normal zu diesen beiden Flächen und parallel zu den anderen vier. Der Gesamtfluss ist die Unbekannte | E(z) | ·2A (der Beitrag von den anderen vier Flächen ist Null). Die Gesamtladung im Innern der Schachtel ist σ · A. Wegen dem Gauss Gesetz ist deshalb | E(z) |= σ/2ε0 , unabhängig von | z |. Die Äquipotentialflächen verlaufen parallel zur x − y Ebene, und es gilt Φ(z) − Φ(0) = − Z 0 |z| σ −|z|σ = 2ǫ0 2ǫ0 70 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK ~ E A Abbildung 5.6: Feld einer geladener Ebene d: Randbedingungen an Grenzflächen ~ an einerbeliebigenGrenzAls Nächstes untersuchen wir das Verhalten von E fläche S, welche die Flächeladungdichte σ(~y ) trägt. Wir legen zuerst um die Fläche S ein GaussschesKästchen mit dem Volumen △V . Die Kante senkrecht zu S habe die Länge △x, die wir als sehr klein wählen. Somit kann der Fluss durch die Seitenkanten des Kästchens vernachlässigt werden. Das ~ a · ~n und E ~ i · ~n (~n senkrecht zu S). Das Problem hat somit zwei Ukebannte: E 1. Gesetz liefert eine Gleichung zwischen diesen zwei unbekannten: ~a − E ~ i) = σ ~n · (E ǫ0 Die Normalkomponente des elektrischen Feldes verhält sich an der Grenzfläche unstetig, der Sprung beträgt ǫσ0 . Um das Verhalten der Tangential~ zu untersuchen, ziehen wir eine Stoksche-Kontur Γ um komponente von E die Fläche S, dessen Dicke so gering ist, dass das Linienintegral entlang der Kanten vernachlässigbar ist. ~t ist tangential zu S und definiert die Normale zur Fläche, die vom Kontour Γ definiert ist. Anwendung des Stokeschen 71 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK Gesetzes liefert die Gleichung ~a − E ~ i) (~t × ~n) · (E = 0, ∀~t ⇐⇒ ~a − E ~ i) = 0 ~n × (E Diese Gleichung drückt die Stetigkeit der Tangentialkomponente aus: Die ~ Tangentialkomponente des E-Feldes ändert sich nicht beim Durchgang durch eine geladene Grenzfläche. e: Der Plattenkondensator Unter einem Plattenkondensator versteht man ein System von zwei parallel zueinander angeordneten Platten mit dem Abstand d und der Fläche F . Die beiden Platten tragen homogen verteilt die entgegengesetzten Ladungen ±Q, mit der positiven Platte bei −d/2 und die negative bei d/2. Die Flächenladungsdichte beträgt dann σ = Q/F . Zur Vereinfachung des Problems werden die Streufelder am Rand vernachlässigt, d.h. es wird angenommen, dass die Platten parallel zur x − y Ebene unendlich ausgedehnt sind (F >> d). Somit ist das Feld im Inneren des Kondensators ǫσ0 , ausserhalb des Kondensators ist das elektrische Feld genau 0, und zwar auch in unmittelbarer Nähe einer der Platten. Die Potentialdifferenz zwischen der positiv und der negativ geledenen Platte (die Spannung) beträgt U = Φ(−d/2) − Φ(d/2) = − Z −d/2 d/2 dz σ Q σ =d· =d ǫ0 ǫ0 F · ǫ0 . Wir definieren die Kapazität C eines Kondensators durch C = Q . Diese U Grösse bestimmt die Ladung, die bei gegebener Spannung auf dem Kondensator passt. Für die Kapazität des Flächekondensators folgt C= F · ǫ0 d C hängt somit im Allgemeinen von der Geometrie des Objektes ab, auf welchem wir eine Ladung anbringen. Je grösser die Kapazität ist, desto mehr Ladung braucht man, um eine gegebene Spannung zu erzielen. Anders ausgedrückt: mit einer vorgegebenen Ladung lässt sich eine kleinere Spannung erreichen je grösser die Kapazität ist. Aus der Definition von C sehen wir, dass die Einheit der Kapazität C/V olt ist. Diese Einheit nennt man auch Farad. Wir können mit dieser neuen Einheit, ǫ0 anders ausdrücken: ǫ0 = (36π·109 )−1 Farad/m. Das ist sogar die Einheit, die am häufigsten verwendet wird. Ein 72 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK Plattenpaar mit einer Fläche von einem Quadratzentimeter und einem Abstand von 1 mm hat eine Kapazität von einem Pikofarad (10−12 ). Objekte mit Kapazitäten ∼ 10−19 Farad sind Gegenstand der heutigen Forschung, die mit ”Nanophysik” bezeichnet wird. Diese kleinsten Kapazitäten führen dazu, dass das Anbringen eines einzelnen Elektrons auf solche Nano-Objekte eine erhebliche Potentialerhöhung verursacht, so dass das Anbringen eines weiteren Elektrons praktisch blockiert ist: man spricht von ”Coulomb Blockade”. Bemerkung: Wir haben bis jetzt von Spannung und Kapazität zwischen zwei Ladungsträgern gesprochen. Allgemein spricht man auch von der Spannung und der Kapazität eines einzelnen Objekts. Man sagt, ein Linsenelement einer Elektronenkanone, eine Metallplatte oder eine Metallkugel seien auf eine bestimmte Spannung gelegt. Dabei ist Folgendes gemeint. Man hat die Ladung Q aus einem sehr grossen Objekt entfernt – die ”Erde” – deren Kapazität so gross ist, dass man praktisch Ladung entfernen kann, ohne ihr Potential zu verändern. Die Erde wird üblicherweise als ’unendlich’ entfernt betrachtet und deshalb auf Potential 0 gesetzt. Die entfernte Ladung wird auf ein massives Objekt gebracht: je nach Kapazität, nimmt dieses Objekt ein bestimmtes Potential an. Dieses Potential ist die Spannung. Diese Spannung entspricht der Arbeit, die geleistet werden muss, um eine Einheitsladung von der Erde bis zum Objekt zu befördern. Wir wollen ein konkretes Beispiel eines massiven Objekts betrachten, und zwar fragen wir uns, auf welchem Potential ist eine geladene Kugelschale von Radius R. Das elektrischen Feld ausserhalb der Kugelschale ist radialgerichtet und beträgt E = Q · (4πε0r 2 )−1 |~~rr| . Denken wir uns eine - einfachheitshalber - kugelförmige ”Erdschale” unendlich weit entfernt von unserer geladenen Kugelschale. Die Beförderung einer positive Einheitsladung von dieser Erde zur Kugeloberfläche erfordert die Arbeit Φ(R) − Φ(∞) = − Z R ∞ E(r)dr = Q 4πǫ0 R Die Oberfläche der Kugel ist daher auf einer Spannung 4πεQ0 R . Wie im Beispiel der Kondensatoren, ist diese Spannung proportional zu der Ladung Q. Die Kapazität ist 4πε0 R. Wie aus dieser Rechnung ersichtlich ist, skaliert die Kapazität eines Objektes mit den linearen Dimensionen dieses Objektes, und nicht mit dessen Fläche. f: Selbstenergie einer kontinuirlichen Ladungsverteilung 1 U(ρ) = 2 Z φ(~r) · ρ(~r)dV 73 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK ist die Arbeit, die für das Erzeugen der (lokalisierten) Ladungsverteilung ρ benötigt wurde. Dieser Ausdruck lässt sich mit P.I. umformen: Z V ψ(~r)∂j χ(~r) = Z ∂V ψ(~r)χ(~r)nj d~s − Z V χ(~r)∂j ψ(~r) Wir erhalten: ǫ0 Z dV φ · △φ 2Z ǫ0 ~ · ∇φ ~ dV ∇φ = 2 Z ǫ0 ~ 2 (~r) dV E = 2 U(ρ) = − g: Gleichgewicht in einem elektrostatischen Feld: die Stabilität der Atome Wir stellen uns eine Punktladung im Feld von anderen Ladungen vor. Die Bedingungen für ein mechanisches Gleichgewicht sind a) die Ladung ist an einem Ort P mit Feld 0 und b) wenn das GG stabil sein soll, ist es notwendig, dass es eine rücktreibende Kraft gibt, wenn wir die Ladung in irgendeine Richtung von P wegbewegen. Mit anderen Worten: das elektrische Feld muss an allen benachbarten Punkten nach innen gerichtet sein - auf den Punkt P zu. Wir werden zeigen, dass dies eine Verletzung des Gauss’schen Gesetzes ist, wenn in P keine Ladung vorhanden ist (ausser der Probeladung, die nicht an der Bildung des Feldes beteiligt ist). Stellen wir uns eine Gauss Fläche wie in der Figur vor. Da wir annehmen, dass das elektrische Feld in der P S Abbildung 5.7: Feldverteilung für Gleichgewichtslage Umgebung überall auf P gerichtet ist, ist der Fluss durch die Gauss Fläche bestimmt nicht null. Aber da wir vorausgesetzt haben, dass in P keine Ladung 74 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK ist, widerspricht eine solche Feldkonfiguration dem Gauss’schen Gesetz. Wir haben oft gesagt, dass die Stabilität der Atome - und somit die der Materie - aufgrund der Coulomb Kraft zwischen Elektronen und Protonen zustande kommt. Diese Überlegungen zeigen uns, dass die Materie auf keinen Fall das Resultat von Elektrostatik zwischen statischen Punktladungen ist. Die Stabilität der Atome wird nur durch die quantenmechanische Behandlung der Bewegung eines Elektrons im Coulomb Feld des Kerns erklärt. h: Das Feld eines Dipols Wir betrachten eine Ladung q am Ort d~ und eine Ladung −q im Nullpunkt. ~ Wir wollen das von diesem Ladungspaar verursachte E-Feld berechnen, und ~ ~ zwar im Limes d → 0 aber q · d → ~p. Eine solche Ladunsgverteilung bildet einen Dipol und der Vektor ~p ist das elektrische Dipolmoment. Für das elektrischen Potential eines Dipols finden wir: q 1 −q ( + ) 4πε0 | ~r | | ~r − d~ | 1 ~p · ~r = 4πε0 | ~r |3 φ(~r) = da 1 d~ · ~r 1 ∼ )= q = (1 + 2 ) r | ~r − d~ | r 2 + d2 − 2~r · d~ r 1 ~ = −∇φ(~ ~ r ) berechnen wir Aus E −1 ~ 1 + 1 ∇(~ ~ p · ~r)) (~p · ~r∇ 4πε0 | ~r |3 | ~r |3 3[~ p · ~r]~r − p~ | ~r |2 = | ~r |5 ~ = E Am Ort des Dipols selbst ist der Ausdruck für das Potential divergent, und ~ aufpassen. Die folgende Überdeshalb müssen wir mit der Berechnung von E ~ korrigiert werden muss. Wir betrachten legung zeigt, wie der Ausdruck von E eine Kugel mit Radius R und setzen einen Dipol p~ in den Ursprung der Kugel. O.E.d.A wählen wir p~ = p(0, 0, 1). Benutzen wir den obigen Ausdruck RRR ~ für die Berechnung von Kugel EdV für das elektrischen Feld eines Diplos dann erhalten wir (siehe Übungen) Z Z Z Kugel ~ EdV = (0, 0, 0) 75 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK Allerdings liefert ein P.I. (siehe übungen) − 1 4πε0 Z Z Z ~ ~p · ~r dV ∇ r |3 Kugel | ~ = (0, 0, − p ) 3ε0 Damit die beide Integrale identisch sind, muss der Ausdruck für das elektrische Feld eines Dipols modifiziert werden. Der exakte Ausdruck für das elektrische Feld ist ~ r) = E(~ 1 1 3[~p · (~r)](~r) − p~ | ~r |2 4π − · δ(~r)~p 5 4πε0 | ~r | 4πε0 3 die sog. Delta-Funktion δ(~r) ist eine spezielle Funktion der mathematischen R Physik, die exakt 0 für ~r 6= 0 ist, ∞ für ~r = 0 ist, aber mit dV δ(~r) = 1. Die hinzugefügte Delta-Funktion liefert nur am Ort des Dipols einen Feldbeitrag und errfüllt den Zweck, das geforderte Volumenintegral zu liefern. Die Delta -Funktion liefert ausserhalb des Dipols keinen Beitrag. Der erste Term beschreibt das elektrische Feld für ~r 6= 0. Graphisch sieht das elektrische Dipolfeld etwa wie in der Figur aus. q E r p Abbildung 5.8: Feld eines Dipols 5.3 Elektrostatik von Metallen Ein elektrischer Leiter (ein Metall) ist ein fester Körper, der für die chemische Bindung viele ’freie’ Elektronen benötigt. Die Elektronen können sich frei bewegen in einem positiven Hintergrund von Ionen, welche fest am Gitter gebunden sind. Man benutzt oft ein Jellium Modell, um freie Elektronen in einem Metall zu beschreiben. Elektronen können sich frei in der Materie bewegen, aber sie können die Oberfläche nicht verlassen: an der Oberfläche existiert eine Barriere – die sog. Austrittsarbeit (etwa 4-5 eV) – die es den 76 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK EPot 4-5 eV x Abbildung 5.9: Potentielle Energie eines Elektrons in einem Metall Elektronen schwer macht, die Oberfläche zu verlassen. Die Komponenten eines elektronenoptischen Ensembles, wie sie im Elektronenmikroskop oder Elektronenspektrometer verwendet wird, besteht aus einem Metall. Es ist deshalb wichtig zu lernen, was passiert wenn man Ladungen auf eine solche Komponente aufbringt. Setzt man ins Innere eines Metalls eine Extraladung, entsteht ein elektrisches Feld, welches die freie Elektronen in Bewegung setzt. Entweder muss der auf diese Weise hervorgerufene Strom beständig von äusseren Energiequellen in Gang gehalten werden, oder die Bewegung der Elektronen lässt nach, wenn sich die Quellen entladen, die das anfängliche Feld erzeugten. Bei ’elektrostatischen’ Situationen betrachten wir keine stetigen Stromquellen (das tun wir später in der Magnetostatik): daher bewegen sich die Elektronen nur so lange, bis sie sich so angeordnet haben, dass sie überall im Innern des Leiters das elektrische Feld null erzeugen (dies geschieht gewöhnlich in einem Bruchteil einer Sekunde.) Bliebe ein Feld übrig, so würde dieses Feld noch weitere Elektronen in Bewegung setzen; die einzige elektrostatische Lösung ist die, dass das Feld im Innern überall Null ist. Somit ist der Gradient des Potentials Null. Das bedeutet, dass sich V (x, y, z) von Punkt zu Punkt nicht ändert: Jeder Leiter ist ein Äquipotentialbereich und seine Oberfläche ist eine Äquipotentialfläche. Da das elektrische Feld in einer leitenden Substanz überall Null ist, ist ~ Null und nach dem Gauss’schen Gesetz muss die die Divergenz von E Ladungsdichte im Innern des Leiters ebenfalls Null sein. Wenn es in einem Leiter keine Ladungen gibt, wie kann er dann geladen werden? Was meinen wir damit, wenn wir sagen, ein Leiter sei ”geladen”? Wo sind die Ladungen? Die Antwort ist, dass sie auf der Oberfläche des Leiters sitzen, wo es starke Kräfte gibt, die sie zurückhalten - sie sind nicht völlig ”frei”. In der Festkörperphysik lässt sich zeigen, dass die überschüssige Ladung jedes Leiters im Mittel in einer oder zwei atomaren Schichten an der Oberfläche sitzt. Dieses Bild gilt auch, wenn wir eine bestimmte Anzahl Ladungen an einem bestimmten Ort der Oberfläche anbringen. Diese lokale Ladung kann nicht 77 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK so überleben: sofort verteilt sich die Ladung auf die gesamte Oberfläche, und zwar mit den Bedingungen i) das Feld im Innern des Metalls ist genau 0 und ii) seine Tangentialkomponente ist auch 0. Wenn es dort eine solche gäbe, würden sich die Elektronen entlang der Oberfläche bewegen; es gibt, parallel zur Oberfläche, keine Kräfte, die das verhindern. Mit Hilfe des Gauss’schen Gesetzes berechnet sich die Feldstärke unmittelbar ausserhalb eines Leiters mit der lokalen Oberflächenladungsdichte σ zu σ/ε0 , und das Feld ist senkrecht zur Oberfläche (schliesslich ist die Oberfläche eines Leiters eine Äquipotentialfläche). Faraday Käfig Betrachten wir jetzt unter dem gleichen Gesichtspunkt das Problem eines hohlen Behälters - ein Leiter mit einem Hohlraum. Es gibt kein Feld in dem Metall, aber wie steht es mit dem Hohlraum? Wir werden zeigen, dass keine Felder existieren, wenn der Hohlraum leer ist - unabhängig davon, welche Form der Leiter oder der Hohlraum hat (Faraday Käfig). Wir betrachten + + + + + + + + + - - ++ -? + M + + + ?+ + + + + + + + + S + + + + + Abbildung 5.10: Faraday Käfig eine Gauss’sche Fläche wie S, die den Hohlraum umschliesst, aber überall im Innern der leitenden Materie bleibt. Überall auf S ist das Feld Null; es gibt daher keinen Fluss durch S und die Gesamtladung im Innern von S ist Null. Aber im Allgemeinen können wir nur daraus schliessen, dass es auf der inneren Oberfläche des Leiters gleiche Mengen positiver und negativer Ladung gibt. Es könnte eine positive Oberflächenladung auf einem Teil und eine negative auf einem anderen Teil geben, wie es in der Figur angezeigt ist. Das Gauss’sche Gesetz schliesst das nicht aus. Was natürlich in Wirk- KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 78 lichkeit geschieht, ist, dass die umgekehrt gleichen Ladungen auf der inneren Oberfläche sich aufeinander zubewegen und dann vollständig kompensieren. Wir können zeigen, dass sie sich vollständig kompensieren müssen, wenn wir ~ immer Null ist. Nehdas Gesetz verwenden, nach dem Zirkulation von E men wir an, dass es Ladungen auf bestimmten Teilen der inneren Oberfläche gäbe. Wir wissen, dass es dann an anderer Stelle eine gleiche Anzahl entge~ bei den gengesetzter Ladungen geben muss. Nun müssten alle Linien von E positiven Ladungen beginnen und an den negativen Ladungen enden (da wir nur den Fall betrachten, in dem es keine freien Ladungen im Hohlraum gibt). Stellen wir uns nun eine Schleife M vor, die durch den Hohlraum entlang einer Kraftlinie von einer positiven zu einer negativen Ladung führt und dann über den Leiter zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt. Das Integral entlang einer solchen Kraftlinie von der positiven zur negativen Ladung wäre nicht ~ = 0. Wir erhielten daher Null. Das Integral durch das Metall ist Null, da E R ~ ~ ~ M Edl 6= 0. Aber das Linienintegral von E um eine geschlossene Schleife in einem elektrostatischen Feld muss immer Null sein. Daher kann es keine Felder innerhalb des leeren Hohlraums geben und auch keine Ladungen auf der inneren Oberfläche: das erklärt das Prinzip der Abschirmung durch einen Metallkäfig. Dieses Resultat kann für die Überprüfung des Gauss’schen Gesetzes – und schlielich von der Genauigkeit der r −2 -Abhängigkeit des Coulomb’schen Gesetzes – benutzt werden. Man hat ein Elektrometer in das Innere einer grossen Kugel gesetzt und beobachtet, ob Ablenkungen auftreten, wenn die Kugel auf Hochspannung gebracht wird. Man erhielt immer das Resultat null. Wenn man die Geometrie des Apparates und die Empfindlichkeit des Instrumentes kennt, ist es möglich, das kleinste nachweisbare Feld auszurechnen. Mit dieser Zahl kann man eine obere Grenze für die Abweichung des Exponenten von zwei angeben. Wenn wir schreiben, dass die Coulomb Kraft ∝ r −(2+ε) , dann hat man festgestellt, dass ε < 10−9 ist. Feld an einer Spitze Wenn wir einen Leiter aufladen, der keine Kugel ist, sondern eine Spitze hat, so ist das Feld in der Umgebung der Spitze viel stärker als in den anderen Bereichen. Eine relativ kleine Ladungsmenge an der Spitze kann eine grosse Flächendichte verursachen. Eine grosse Ladungsdichte bedeutet ein starkes Feld in der unmittelbaren äusseren Umgebung. Quantitativ: wir legen zwischen Spite und Schirm (Feldemission-Mikroskop) eine Spannung U. Diese Spannung bewirkt ein nahezu radialen elektrischen Feld E(r), dessen Betrag 79 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK wir mit Hilfe des Gauss-Gesetz (Integralform) zu E(r0 ) = U r0 bestimmen, wobei r0 den Krtümmungsradius der Spitze ist. Bei einem Wert r0 = 1nm und U = 4V erreichen wir in der Nähe der Spitze eine sehr grosV se Feldstärke von etwa 4 · 107 cm . Nachteile: Wenn das elektrische Feld zu stark ist, wird an einem Luftmolekül ein Elektron weggerissen und durch das Feld beschleunigt. Wenn das Feld sehr stark ist, kann die Ladung, ehe sie auf ein anderes Atom trifft, genügend beschleunigt werden, um ein Elektron aus diesem Atom herauszuschlagen. Daraus resultiert, dass mehr und mehr freie Ladungen erzeugt werden. Ihre Bewegung führt zu einer Entladung oder einem Funken. Wenn man einen Körper auf hohes Potential laden will und nicht möchte, dass er sich in Form von Funken in die Luft entlädt, so muss die Oberfläche absolut glatt sein, damit es keine Stelle gibt, an der das Feld abnormal stark ist. Die starken Felder an Spitzen haben aber auch interessant positive Entwicklungen erlaubt. Das Feldemissionenmikroskop von E. Müller ist eine davon. Das Feldemissionsmikroskop ist folgendermassen gebaut: eine sehr feine Nadel, deren Spitze einen Durchmesser von ungefähr 1000 Angström hat (oder weniger!!) wird in die Mitte einer Glaskugel gebracht, deren Inneres luftleer gepumpt wird. Die innere Oberfläche der Kugel wird mit einer dünnen leitenden Schicht eines fluoreszierenden Materials versehen und man legt eine Spannung zwischen der fluoreszierenden Schicht und der Nadel an. Betrachten wir zunächst, was passiert wenn die Nadel relativ zur fluoreszierenden Schicht negativ geladen ist. Die Feldlinien sind an der scharfen Spitze sehr stark konzentriert. Die elektrische Feldstärke kann bis zu 40 Millionen Volt pro Zentimeter betragen. In so intensiven Feldern werden Elektronen aus der Oberfläche der Nadel abgezogen und entlang der Potentialdifferenz zwischen der Nadel und der fluoreszierenden Schicht beschleunigt. Wenn sie dort ankommen, bewirken sie, dass Licht emittiert wird, genau wie in einer Fernsehbildröhre. Die Elektronen, die an einem vorgegebenen Punkt auf der fluoreszierenden Fläche ankommen, sind in ausgezeichneter Näherung diejenigen, die das andere Ende der radialen Feldlinie verlassen, denn die Elektronen bewegen sich entlang der Feldlinie, die von der Spitze zur Oberfläche verläuft. Daher sehen wir auf der Oberfläche eine Art Abbildung der Nadelspitze. Genauer gesagt sehen wir ein Bild des Emissionsvermögens der Nadeloberfläche - es stellt die Leichtigkeit dar, mit der Elektronen die Oberfläche einer Metallspitze verlassen können. Wenn das Auflösungsvermögen hoch genug wäre, könnte man hoffen, die Orte der einzelnen Atome auf der Nadelspitze zu sehen. Bei Elektronen ist dieses Auflösungsvermögen nicht erreichbar. Erstens gibt es eine quantenmechanische Beugung der Elektrowel- KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 80 le, die das Bild verwischt. Zweitens haben sie aufgrund ihrer Bewegung im Innern des Metalls eine kleine seitwärts gerichtete Anfangsgeschwindigkeit, wenn sie die Nadel verlassen. Diese zufällige Seitwärtskomponente trägt dazu bei, dass das Bild verwischt wird. Das Zusammenwirken dieser beiden Effekte begrenzt das Auflösungsvermögen auf ungefähr 2.5 nm. Wenn wir jedoch die Polarität umkehren und eine kleine Menge Heliumgas in die Glaskugel bringen, so ist ein sehr viel grösseres Auflösungsvermögen möglich. Wenn ein Heliumatom mit der Spitze der Nadel zusammenstösst, so entreisst das dort herrschende intensive Feld dem Heliumatom ein Elektron, so dass das Heliumatom positiv geladen übrigbleibt. Das Heliumion wird dann auswärts entlang einer Feldlinie beschleunigt, die zu der fluoreszierenden Schicht führt. Da das Heliumion viel schwerer als das Elektron ist, ist der Effekt der thermischen Geschwindigkeiten kleiner als im Fall des Elektrons. Anstelle eines verwischten Bildes erhält man eine sehr viel deutlichere Abbildung des Punktes. Mit dem Feldemissionsmikroskop für positive Ionen war es möglich, eine 106 -fache Vergrösserung zu erreichen - und damit einzelne Atome zu sehen. Die Figur ist ein Beispiel für die Resultate, die mit einem Feldemissionsmikroskop erzielt wurden. as Feldemissionsmikroskop hat es zum ersten Mal möglich gemacht, dass Menschen Atome sehen konnten. Wenn man bedenkt, wie einfach dieses Instrument ist, so ist das eine beachtliche Leistung. Field Ion Microscope at Oak Ridge National laboratory, Tennessee (USA). In this field ion micrograph of a nickel-molybdenum (Ni4Mo) intermetallic compound (left), each dot is a single atom. In this computer reconstruction of the sharp end of a needlelike field ion specimen (center), concentric rings appear because of the intersection of the atomic terraces with the surface of the specimen. Right: This field evaporation sequence shows the gradual removal of eight of the last nine atoms on the central atomic terrace of a nickel-zirconium (Ni7Zr2) intermetallic catalyst. One atom is evaporated from the central terrace between each pair of frames. KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 5.4 81 Elektrostatik eines Isolators (= Dielektrikum) In der Natur treten nicht nur Metalle auf, sondern auch Isolatoren. In Metallen sind einige Elektronen (typischerweise 1 Elektron pro Baustein) im Inneren frei beweglich. Isolatoren (sowohl als Festkörper als auch als Flüssigkeiten) sind Materialien, bei welchen alle Elektronen an Atome gebunden sind. Damit ist gemeint, es gibt eine Energiebarriere, die überwunden werden muss, um Elektronen in Bewegung zu setzen. Diese Energiebarriere ist eine Konsequenz der chemischen Bindung. Bringt man eine Ladung auf einen Isolator, so bleibt diese Ladung an Ort und Stelle lokalisiert. Wir wollen jetzt untersuchen, was in einem Isolator passiert, wenn man ein elektrisches Feld einschaltet. Um das Problem zu vereinfachen, betrachten wir ein Elektron, das gebunden um ein Proton ’herumkreist’. Wir vermuten Folgendes: wenn sich ein Atom in einem elektrischen Feld befindet, dann zerrt das Feld die Elektronen in eine Richtung und den Kern in die andere. Obwohl die Atome hinsichtlich der elektrischen Kräfte, die uns experimentell in der Regel zur Verfügung stehen, sehr steif sind, findet eine kleine Gesamtverschiebung der Ladungsschwerpunkte statt. Diese kleine Verschiebung wollen wir jetzt abschätzen. Dafür brauchen wir eine konkrete Beschreibung eines gebundenen Elektrons. Wir wissen, dass die korrekte Beschreibung nur durch die Quantenmechanik möglich ist. In einfachen Fälle lässt sich aber ein gebundenes Elektron durch ein Modell beschreiben, das wir kennen. Wir verteilen das Elektron als ’Wolke’ um das Proton. Der Schwerpunkt dieser Wolke liegt am Ort des Protons, um die Ladungsneutralität des Atoms zu ermöglichen. Da es sich um ein gebundenes Elektron handelt, wird jede Verschiebung der Elektronenwolke von einer rücktreibenden Kraft erschwert. Wir setzen diese Kraft proportional zur Verschiebung x. Dann können wir ein gebundenes Elektron mit der uns wohl bekannten Gleichung mẍ + mω 2 x = 0 beschreiben. Durch Gleichsetzung von h̄ · ω mit der Bindungsenergie des Elektrons erhält die Proportionalitätskonstante ω eine genaue physikalische Bedeutung. Der genaue Wert der Bindungsenergie lässt sich allerdings nur anhand der Quantenmechanik berechnen: deshalb ist das, was wir hier brauchen, um ein Atom zu beschreiben, ein Modell mit einem zu bestimmenden Parameter ω. Wir tauchen jetzt unser Atom in ein konstantes elektrisches Feld E und berechnen, wie sich der Elektronenschwerpunkt verschiebt: genau für eine solche Rechnung ist dieses Modell brauchbar (das lässt sich zeigen, wenn man unser Resultat mit der quantenmechanischen Berechnung vergleicht!!). Wir müssen die Gleichung mẍ + mω 2 x = q · E lösen. Die einfachste Lösung ist selbstverständlich die Konstante δ = qE/mω 2 , welche die Verschiebung 82 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK des Schwerpunktes unter der Wirkung eines konstanten Feldes angibt (man denke an eine Masse, die an einer Feder hängt und unter der Wirkung der Gravitation steht). Die Verschiebung ist proportional zu E und zu q. Als Resultat dieser Verschiebung bildet sich eine räumliche Ladungsinhomogenität entlang der von E vorgegebenen Richtung im Inneren des Isolators, der selbst ein elektrisches Feld erzeugt. Diese Ladungsinhomogenität nennt man elektrischen Dipolmoment . 2 . ~ ~ p~ = q · ~δ = q 2 E/mω = α · ε0 E wobei die Materialkonstante α die Polarisierbarkeit des Atoms darstellt. Die Anwesenheit atomarer Dipolmomente p~i am Ort i wird, in einem KontinuumLimes, durch die Einführung eines Polarisationsdichtevektors P~ (~r) berücksichtigt, mit ~pi = P~ (~r) · dV . Somit schreibt sich das gesamte Potential einer Ladungsverteilung, welche auch Dipole enthält, als Φ(~r) = 1 4πǫ0 Z dV ′ h P~ (~r′ ) · (~r − ~r′ ) i ρ(~r′ ) + | ~r − ~r′ | | ~r − ~r′ |3 Den zweiten Term können wir durch eine Identität der Vektoranalysis umformen: ~ ′ P~ (~r′ ) ∇ 1 1 1 ~ ′ P~ (~r′ ) + P~ (~r′ ) · ∇ ~′ = ∇ | ~r − ~r′ | | ~r − ~r′ | | ~r − ~r′ | Nehmen wir an, dass P~ in einem endlichen Raum lokalisiert ist. Dann können wir den Gaussschen Satz benutzen, um das Integral über die Divergenz auszuwerten. Sein Beitrag verschwindet. Somit ist das Potential einer Ladunsgverteilung mit P~ (~r) 6= 0 Φ(~r) = 1 4πǫ0 Z dV ′ h ρ(~ ~′ r′) − ∇ · P~ (~r′ ) i | ~r − ~r′ | Das ist der Ausdruck für das Potential einer effektiven Ladungsverteilung ~ · P~ ): das 1. Gesetz der Elektrostatik erhält einen zusätzlichen Term (ρ(~r) − ∇ . ~ ~ ρpol = −∇ · P . ~ ·E ~ = 1 [ρ − ∇ ~ · P~ ] ∇ ǫ0 Diese extra effektiven Polarisationsladungen müssen bei der Lösung elektrostatischer Probleme zur Ermittlung elektrischer Felder berücksichtigt werden: u.a. sind sie selbstverstndlich an der Aufstellung der Randbedingungen beteiligt. 83 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK Der Plattenkondensator mit Dielektrikum Wir führen die Suche nach Polarisationsladungen in der einfachen Geometrie eines Plattenkondensators, welcher mit einem homogenen Dielektrikum P~ (~r) = P~0 = ρ0 ~p gefüllt wird (ρ0 : Dichte des Isolators). Für p~ kann man das ~ einsetzen (E ~ ist dann das elektrische Feld am induzierte Dipolmoment ǫ0 ·α· E Ort des Dipols). Später werden wir permanente Dipolmomente untersuchen: die Resultate dieses Abschnittes sind aber von der Art von p~ unabhängig. ~ · P~ = ∂Pz . Für Pz (z) setzen wir Pz = P0 im InneIn dieser Geometrie ist ∇ ∂z ren der Platte und Pz = 0 ausserhalb, siehe Figur. Somit ist die Divergenz P d P0 z d Abbildung 5.11: Pz fällt innerhalb der Dicke δ von P0 auf 0. von P~ an den Rändern des Dielektrikums konzentriert, und zwar beträgt sie P0 bei −d/2 und − Pδ0 bei d/2. Die dazugehörige effektive Polarisationslaδ dung ist demnach in dünnen Schichten am Rand des Isolators konzentriert, und zwar besteht eine effektive positive Ladungdichte Pδ0 bei d/2 und eine negative bei −d/2. Wir sind jetzt bereit, durch die Einführung einer geeigneten Gaussschen Schachtel, die elektrischen Felder zu berechnen. Die Sym~ entlang z ist. Wir haben auch eine metrie des Problems suggeriert, dass E vollständige Idee, wo und wie viele Ladungen sich befinden. Auf den Kondensatorplatten haben wir die Ladungsdichte ±σf rei , unmittelbar daneben die Polarisiationsdichten ρpol = ∓ Pδ0 . Anwendung des Gaussschen Gesetzes auf die Fläche S1 liefert eine Gleichung für E0 : E0 = σf rei /ε0 . Anwendung auf die Fläche S2 liefert eine Bestimmungsgleichung für E: E · A = (σ · A − ρpol · A · δ)/ε0 Für den Fall P0 = ρ0 ǫ0 · α · E erhalten wir E= E0 1 + ρ0 · α 84 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK S2 S1 Metall +++++++++++++++++++++++++ E0 -----------------------------E Isolator +++++++++++++++++++++++++ -----------------------------Metall Abbildung 5.12: Konstruktion der Gausschen Flächen Die Materialkonstante ρ0 · α heisst elektrische Suszeptibilität χ. Die Konstante κ = 1 + χ heisst Dielektrizitätskonstante. Die Spannung zwischen den Kondensatorplatten ist U = Uf rei /κ. Somit ist die Kapazität C = Cf rei · κ. Wird ein Plattenkondensator von einem Dielektrikum bei konstanter Plattenladung ausgefüllt, sinkt die Spannung. Die Gleichung κ = 1 + ρ0 α setzt eine makroskopische Grösse (die Dielekq2 trizitätskonstante) mit atomaren Eigenschaften (α = ε0 ·m·ω 2 ) in Verbindung. Damit können wir Messungen der Dielektrizitätskonstante benutzen, um etwas über atomare Eigenschaften der Materie zu erfahren. Unsere Formel ist natürlich nur eine sehr grobe Näherung, weil wir ein Modell gewählt haben, das quantenmechanische Komplikationen unberücksichtigt lässt. Beispielsweise haben wir angenommen, dass ein Atom nur eine Resonanzfrequenz hat, während es in Wirklichkeit viele hat. Um die Polarisierbarkeit der Atome ordentlich zu berechnen, müssen wir die vollständige Quantentheorie anwenden. Die oben angeführten klassischen Ideen liefern uns aber eine vernünftige Abschätzung. Sehen wir, ob wir die Grössenordnung der Dielektrizitätskonstanten von einigen Substanzen bestimmen können. Versuchen wir es mit Wasserstoff. Die Bindungsenergie - d.h. die Energie, die notwendig ist, um das Wasserstoffatom zu ionisieren - beträgt bekanntlich 13.6 eV. Daher folgt: ω = 2·1016 Hz. Wenn wir nun diesen Wert für die Berechnung von κ benutzen, erhalten wir κ = 1.00022 (in einem Gas bei Normaldruck und -Temperatur (1 Atm, 0 C) befinden sich 2, 69 · 1019 Atome/cm3 ). Der Messwert der Dielektrizitätskonstanten für Wasserstoffgas beträgt 1.00026. Eine weniger allgemeine Version der Maxwell Gleichungen für die Elektrostatik lässt sich aus der Beobachtung herleiten, dass der Effekt der Polarisationsladungen durch Division der freien Ladungsdichte durch κ · ε0 statt durch ε0 simuliert werden 85 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK ~ ·E ~ = ρf rei /(κ · ε0 ). kann (in einigen einfachen Fällen): ∇ Moleküle mit einem permanenten Dipolmoment. Als Nächstes betrachten wir ein Molekül, das ein permanentes Dipolmoment aufweist - so wie das Wassermolekül. Die Ladungstrennung ist eine Folge der - O H + H H2O + Abbildung 5.13: Ladungsverteilung in einem H2 O Molekül chemischen Bindung und nicht eines angelegten elektrischen Feldes. In einem Wassermolekül finden wir beispielsweise eine negative Nettoladung auf dem Sauerstoffatom und eine positive Nettoladung auf jedem der beiden Wasserstoffatome, die nicht symmetrisch, sondern wie in der Figur angeordnet sind. Obwohl die gesamte Ladung des ganzen Moleküls Null ist, hat diese eine Ladungsverteilung mit einem kleinen Überschuss an negativer Ladung auf der einen Seite und einem kleinen Überschuss an positiver Ladung auf der anderen. Diese Anordnung bildet einen Dipol: die Ladungstrennung findet statt, obwohl kein E Feld vorhanden ist. In Abwesenheit eines elektrischen Feldes zeigen die einzelnen Dipole statistisch in alle Richtungen, so dass das Gesamtmoment pro Einheitsvolumen Null ist. Wird aber ein elektrisches Feld angelegt, so geschieht zweierlei: Erstens wird aufgrund der Kräfte, die auf die Elektronen wirken, ein zusätzliches Dipolmoment induziert. Dabei erhalten wir genau dieselbe Art von Elektronenpolarisation, wie wir sie bei einem nicht-polaren Molekül festgestellt haben. In einer sehr genauen Untersuchung müsste dieser Effekt natürlich berücksichtigt werden; wir werden ihn aber im Augenblick vernachlässigen. Zweitens hat das elektrische Feld die Tendenz, die einzelnen Dipole auszurichten und erzeugt so ein Gesamtmoment pro Einheitsvolumen. Wären alle Dipole eines Gases ausgerichtet, so gäbe es eine sehr starke Polarisation, aber das kommt in Gasen nicht vor. Bei gewöhnlichen Temperaturen und elektrischen Feldern verhindern die Zusammenstösse der Moleküle, verursacht durch ihre Wärmebewegung, dass sie sich stark ausrichten. Es gibt aber eine gewisse Gesamtausrichtung und daher auch eine gewisse Polarisation. Die auftretende Polarisation kann mit den Methoden 86 KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK der statistischen Mechanik berechnet werden. Um diese Methoden zu verwenden, müssen wir die Energie eines Dipols in einem elektrischen Feld kennen. Betrachten wir einen Dipol mit dem Moment p~ in einem elektrischen Feld, siehe Figur. Die Energie der positiven Ladung ist q · Φ(1) und die Energie E +q (1) d -q (2) Abbildung 5.14: Energie eines Dipols im elektrischen Feld der negativen Ladung −q · Φ(2). Die Energie des Dipols ist daher Epot = q · Φ(1) − q · Φ(2) ~ = q · d~ · ∇Φ ~ = −~p · E Wir bezeichnen den thermischen Mittelwert von p~ bei einer bestimmten Tem~ Feld entlang z angelegt ist, erwarten wir peratur mit < p~ >. Da das E< p~ >= (0, 0, p0· < cos ϑ >). Für Wasser ist p0 = 6 · 10−30 C · m. ϑ ist ~ einen der Winkel zwischen p~ und der z-Richtung. Die W-keit, dass ~p mit E Winkel ϑ aufspannt, hängt von der Temperatur ab: nach W.Gibbs ist diese W-keit (kB Boltzmannschekonstante, kB = 1.38 · 10−23 Joule/K) ∝e −Epot (ϑ) kB ·T Somit ist < pz > = p 0 · R sin ϑdϑdϕ cos ϑep·E·cosϑ/kB T R sin ϑdϑdϕep·E·cosϑ/kB T Für normale Temperaturen und Felder ist der Exponent klein: durch die Taylor-Entwicklung der Exponentialfunktion erhalten wir schlussendlich < Pz >= ρ0 · p20 · E 3 · kB · T KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK Somit ist die Polarisationsdichte proportional der Feldstärke E: χ = ρ ·p2 87 ρ0 ·p20 3·ǫ0 ·kB ·T und κ = 1 + 3·ǫ00·kB0·T . Auch hängt die Polarisation erwartungsgemäss von der reziproken Temperatur ab, weil bei höheren Temperaturen wegen der Zusammenstösse weniger Ausrichtung möglich ist. Diese T −1 Abhängigkeit nennt man das Curie Gesetz. Eine interessante Anwendung von festen Dielektrika mit einem permanenten Dipolmoment ist die Piezoelektrizität. Dieser Effekt benutzt die Tatsache, dass in gewissen Materialien (sog. Ferroelektrika) die permanente Dipole vollständig ausgerichtet sind. Eine mechanische Spannung, der ein Kristall unterworfen ist, ändert dessen elektrischen Polarisation. Umgekehrt verursacht auch ein an den Kristall angelegtes elektrisches Feld in ihm eine mechanische Verzerrung. Ein schematisches Beispiel eines piezoelektrischen Kristalls ist in der Figur gegeben. Der nicht beanspruchte Kristall hat eine dreizählige Symme- Abbildung 5.15: Piezoelektrizität trieachse. Die Pfeile bedeuten Dipolmomente. Die Summe der drei Dipolmomente eines jeden Schnittpunktes ist Null. Wird der Kristall einem elektrischen Feld ausgesetzt, so entsteht in der angegebenen Richtung eine Polarisation. Die Polarisation verursacht eine mechanische Dehnung: Es gilt typischerweise △l/l = E · η (△l/l = prozentuelle elastische Dehnung; η ≈ 10−7 − 10−9 cm/V = piezoelektrische Koeffizient). Piezokristalle sind in der modernen Forschung und Technologie sehr nützlich: sie werden zum Beispiel in Rastertunnelmikroskopen benutzt, um kleine und kontrollierte Bewegungen durchzuführen.