Deutscher Schwerhörigenbund e.V. Bundesverband der Schwerhörigen und Ertaubten Referat „Hörgeschädigte Senioren und Patienten“ Dipl.-Ing. Rolf Erdmann Linzer Str. 4, 30519 Hannover Tel./Fax: 0511/83 86 523 E-Mail: [email protected] Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Patientenrechtegesetz) Stellungnahme des Deutschen Schwerhörigenbundes e.V. Vorbemerkungen Der Deutsche Schwerhörigenbund e.V. (im Folgenden kurz: DSB) verfolgt seit vielen Jahren das Ziel, dass die Bedürfnisse kranker Menschen, die zusätzlich hörgeschädigt sind, in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen angemessen berücksichtigt werden. Dies ist bisher aus verschiedenen Gründen keineswegs gewährleistet. - Weder die Ärzte, noch Betreiber von Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen und deren Pflegepersonal verfügen über ausreichende Kenntnisse hinsichtlich der Situation und der Bedürfnisse pflegebedürftiger Menschen mit Behinderungen und speziell von Patienten mit zusätzlicher Hörbeeinträchtigung im Krankenhaus. - Die Kommunikationsprobleme hörgeschädigter Patienten werden nicht erkannt, was zu mangelhaften Informationen dieser Patientengruppe über ihre Krankheit und deren Therapie führt. - Auch können sich durch Kommunikationsprobleme im ärztlichen Gespräch fehlerhafte Informationen bei Anamnese und Therapie-Entscheidungen ergeben. In einer Untersuchung des britischen Royal national Institute for Deaf People (RNID) aus dem Jahre 2000 wurde festgestellt, dass nahezu jeder 5. Patient mit Hörbehinderung die Arztpraxis verließ, ohne zu wissen, was ihm fehlt und welche Therapie vorgenommen wird. Bei dieser Studie, deren Ergebnisse auf Deutschland übertragbar sind, waren über 2.600 schwerhörige und ertaubte Menschen befragt worden. Nach Kenntnis des DSB gibt es eine vergleichbare Untersuchung in Deutschland leider nicht. Auch wird die Zahl von Patienten mit zusätzlicher Hörschädigung sehr unterschätzt. Ein großer Teil der Patienten im Krankenhäusern und bei Ärzten sind 60 Jahre und älter. Bei Menschen über 60 Jahren ist ein Anteil von 35% hörbeeinträchtigt, bei Menschen über 70 Jahren beträgt dieser Anteil bereits 54%1. Nach neuesten Angaben soll dieser Anteil bei über 80jährigen Menschen sogar 90% betragen2. Man kann somit davon ausgehen, dass ein nicht zu unterschätzender Anteil von Patienten in Krankenhäusern und bei niedergelassenen Ärzten schwerhörig oder ertaubt sind. Konkrete Zahlen oder Schätzwerte über die Zahl hörgeschädigter Patienten liegen dem DSB leider nicht vor, wir halten einem Anteil 20 bis 30% aller Patienten für realistisch. In der UN-Behindertenrechtskonvention, die in Deutschland Gesetzeskraft hat, ist mehreren Artikeln die Barrierefreiheit angesprochen. Besonders in Artikel 25 Gesundheit wird das Recht von Menschen mit Behinderungen hervorgehoben, dass für sie das Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung 1 Quelle: Studie von Wolfgang SOHN (Universität Witten): Zahl der Hörgeschädigten in Deutschland, Bericht von 1999 2 Quelle: Studie der Fakultät für Medizin und Gesundheit von der Universität Wisconsin, Madison, veröffentlicht in: Hearit.org vom 01.08.11 DSB-Bundesgeschäftsstelle Geschäftsführer Jens Steffens Breite Straße 3, 13187 Berlin Telefon: (030) 47 54 11 14 Telefax: (030) 47 54 11 16 E-Mail: [email protected] Internet: www.schwerhoerigen-netz.de Bankverbindung Vorstand Mitglied im Dr. Harald Seidler (Präsident) PARITÄTISCHEN Renate Welter (Vizepräsidentin) Wohlfahrtsverband Andreas Kammerbauer (Vizepräsident) Bank für Sozialwirtschaft BLZ 100 205 00 Konto: 3 133 400 IBAN: DE19100205000003133400 Eingetragen beim Amtsgericht BIC: BFSWDE33BER Berlin-Charlottenburg, VR 25501 Mitglied in der BAG Selbsthilfe e.V. Stellungnahme des DSB Patientenrechtegesetz Seite 2 von 6 aufgrund der Behinderung erreichbar sein muss. Die volle Anwendung der der Rechte aus der UNBehindertenrechtskonvention ist auch im Gesundheitswesen zu gewährleisten. Die UNBehindertenrechtskonvention sollte daher konkret im Patientenrechtegesetz erwähnt werden. Die nachfolgenden Anmerkungen haben wir in der Reihenfolge des vorliegenden Referentenentwurfes geordnet. Bei allen nachfolgend aufgeführten Maßnahmen und Vorschlägen hält es der DSB für erforderlich, dass er als zuständiger anerkannter Behindertenverband bei deren Planung und Durchführung einbezogen wird, damit die Belange dieser Patientengruppe fachkompetent vertreten und im Endergebnis angemessen berücksichtigt werden. Der DSB hält die Berücksichtigung folgender Punkte für zwingend erforderlich: Artikel 1 Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs Zu § 630 c Mitwirkung der Vertragsparteien; Informationspflichten Sachverhalt Zitat aus Abs. (2): „Der Behandelnde ist verpflichtet, dem Patienten zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf in verständlicher Weise sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen.“ Vorschlag des DSB Unter dem Begriff „in verständlicher Weise“ wird allgemein eine vom Laien verständliche Sprache ohne Verwendung ärztlicher Fachausdrücke verstanden. Es wird kaum daran gedacht, dass darunter auch das rein akustische Sprachverstehen bei bestehender Hörschädigung zu verstehen ist. Durch Maßnahmen wie - Nutzung von technischen Kommunikationshilfen, z.B. FM-Anlagen oder Induktionsanlagen, - Einsatz von Dolmetscherdiensten, z.B. Schriftdolmetscher oder Gebärdensprachdolmetscher, - Verwendung vorgefertigter Fragen zum Ankreuzen von Stichworten, - Erlernen des richtigen Umgangs mit Menschen mit Hörbehinderung im Gespräch, - Übergabe von schriftlichen Informationen, - Hilfestellung durch Fingeralphabet, - Rückfragen, was verstanden wurde wird Nicht- oder Falschverstehen von Diagnose und Therapie vermieden. Wir empfehlen daher, den Verständnis-Begriff entsprechend zu erweitern. Zusätzlich sind Angaben über die Beantragung der genannten Hilfen und den zuständigen Kostenträger erforderlich. Die Notwendigkeit der Verständlichkeit im obigen Sinne hat sich auf alle Kommunikationssituationen im Krankenhaus oder der Arztpraxis zu erstrecken. Zu § 630 f Dokumentation der Behandlung Sachverhalt In diesem Paragraphen wird Einrichtung und Nutzung einer Patientenakte festgelegt. Nach Erfahrung des DSB hat es sich als sinnvoll erwiesen, wenn bereits beim ersten Blick auf die Patientenakte ersichtlich ist, dass der Patient hörgeschädigt ist, welche Kommunikationsform und welche Hörhilfen er verwendet. Stellungnahme des DSB Patientenrechtegesetz Seite 3 von 6 Vorschlag des DSB Im Fragenkatalog für die Patientenakte müssen Fragen nach dem Hörstatus, den notwendigen Hilfsmitteln (z.B. Hörgeräte, Cochlea Implantate, Zusatzhilfen), versorgtes Ohr, und bevorzugte Kommunikationsform enthalten sein und dokumentiert werden. Damit jede Person über die Schwerhörigkeit informiert ist und hörgeschädigtengerecht kommuniziert, sind folgende Eintragungen auf dem Deckel der Patientenakte sinnvoll: Angaben über die Art der Hörschädigung • • • • • • resthörig = rh an Taubheit grenzend schwerhörig = tgsh hochgradig schwerhörig = hsh schwerhörig = sh spätertaubt = et gehörlos = gl Angaben über die Art der Hörhilfe (welches Ohr) • • • • Hinter-dem-Ohr-Gerät = HdO Hörbrille = HB Im-Ohr-Gerät =IO Cochlea Implantat = CI Angaben über die gewünschte Kommunikationsform • • • • • Lautsprache mit Mundabsehen (langsam und deutlich sprechen) Lautsprachbegleitende Gebärden (LBG) Deutsche Gebärdensprache (DGS) Hilfestellung durch Fingeralphabet Aufschreiben Der DSB empfiehlt die Nutzung dieser Abkürzungen. Für eine Aufnahme in das Gesetz wird der Text als zu lang angesehen. Vielleicht besteht die Möglichkeit, ihn in der Begründung aufzuführen? Zu § 630 g Einsichtnahme in die Patientenakte Sachverhalt In diesem Paragraphen wird das Recht auf Einsichtnahme in die Patientenakte geregelt. Zitat aus Abs. (1): „Der Patient kann jederzeit Einsicht in die ihn betreffende Patientenakte verlangen, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder die Rechte Dritter entgegenstehen.“ Vorschlag des DSB Die Verweigerung des Rechts des Patienten auf Einsichtnahme in seine Patientenakte aus „erheblichen therapeutischen Gründen“ wird vom DSB als eine schwammige, rechtlich unklare Formulierung angesehen. Nach unserer Auffassung darf eine solche Verweigerung nur in sehr engen Grenzen, etwa bei einer belegbaren Suizidgefährdung, erfolgen. Eine solche Verweigerung darf aus Sicht des DSB kein einzelner Arzt treffen, sondern mindestens zwei voneinander unabhängige Ärzte bzw. Einrichtungen mit entsprechender Kompetenz zur Beurteilung. Wegen des Eingriffs in ein wesentliches Patientenrecht lehnt der DSB die im Gesetzentwurf genannte Formulierung ab. Stellungnahme des DSB Patientenrechtegesetz Seite 4 von 6 Artikel 2 Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch Zu § 99 Bedarfsplan Sachverhalt In § 99 Absatz 1 Satz 4 wird geregelt, dass die auf Landesebene für die Wahrnehmung der Interessen der Patientinnen und Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen maßgeblichen Organisationen in die Aufstellung des Bedarfsplanes zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen einzubeziehen sind. Vorschlag des DSB Nach unserer Kenntnis haben die Patientenvertreter der Selbsthilfeverbände nur wenig wirkliche Einwirkungsmöglichkeiten. Es besteht zwar ein Rede- und Beratungsrecht, nicht aber ein echtes Stimmrecht und vor allem auch kein Verbandsklagerecht zur Klärung strittiger Fälle. Nach Auffassung des DSB hat die Patientenvertretung ohne umfassende Rechte der Patientenvertreter reine Alibifunktion. Es sollten daher aus Sicht des DSB die fehlenden Rechte in das neue Gesetz eingebaut werden. Zu § 135 a Verpflichtung zur Qualitätssicherung In § 135 a wird die Verpflichtung und Weiterentwicklung der Qualität geregelt. Vorschläge des DSB Zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität gehört nach Auffassung des DSB, dass die Mitarbeiter der Krankenhäuser in der Lage sind, hörgeschädigtengerecht zu kommunizieren. Entsprechende Schulungen müssen verpflichtend vorgeschrieben werden, möglichst unter Einbeziehung von fachkompetenten Personen aus dem DSB. Weiterhin sollte in jedem Krankenhaus oder Pflegeeinrichtung ein Beauftragter für Hörgeschädigte ernannt werden, dessen Aufgabe es u.a. ist, als Ansprechpartner bei Kommunikationsproblemen zu dienen. Ein solcher Beauftragter – das könnte ein Pflegeassistent oder Audiotherapeut sein – soll dem Personal wie auch den Patienten Hilfestellung geben und Probleme bewältigen helfen. Der Beauftragte für Hörgeschädigte muss - - die verschiedenen Kommunikationsformen der Hörgeschädigten (deutliche Sprache, lautsprachbegleitende Gebärden, Deutsche Gebärdensprache, Fingeralphabet, notfalls aufschreiben) beherrschen, spezielle Kenntnisse aufweisen, z.B. Informationen geben über technische Hilfen, spezielle Kuren und Rehabilitationsmaßnahmen für schwerhörige und ertaubte Menschen, Schwerbehindertenausweis sowie Hilfestellung zu deren Beantragung bieten. Hierdurch ist er in der Lage, sowohl bei Kommunikationsproblemen zwischen Patient und Pflegepersonal als auch bei erforderlichen Informationen und Anträgen Hilfestellung zu geben. Zur Durchführung dieses umfangreichen Tätigkeitsfeldes ist nach Auffassung des DSB eine besondere Ausbildung notwendig, an der Berater des DSB beteiligt sein sollten. Berlin, 06.02.12 /RE Stellungnahme des DSB Patientenrechtegesetz Seite 5 von 6 Anhang Zum besseren Verständnis der vorstehenden Anmerkungen und Empfehlungen des DSB sehen wir es als notwendig an, über einige Fakten und grundsätzliche Feststellungen hinsichtlich der Situation hörgeschädigter Menschen sowie daraus sich ergebende Folgerungen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zu informieren. 1. Anzahl pflegebedürftiger Patienten, die zusätzlich hörgeschädigt sind Kurzfassung für schnelle Leser: Etwa 30 bis 50% aller Pflegepatienten in Pflegeeinrichtungen, mind. 390.000 Personen, sind zusätzlich hörgeschädigt. Pflegebedürftige, aber auch kranke Menschen sind in der Regel 60 Jahre und älter. Bei diesem Personenkreis ist ein hoher Anteil zwischen 30 bis 50 % schwerhörig oder ertaubt. In konkreten Zahlen: Nach einer sehr vorsichtigen Schätzung sind mindestens 390.000 als pflegebedürftig anerkannte Menschen in Deutschland zusätzlich hörgeschädigt. 2. Wesen und Auswirkungen von Hörschädigung Kurzfassung für schnelle Leser: Schwerhörigkeit wird sehr unterschätzt - Nicht die Hörschädigung an sich, sondern deren Auswirkungen sind das eigentliche Problem und führen im Alter zur Isolation. Das Thema Hörschädigung findet in unserer Gesellschaft sehr geringes Interesse. Trotz der UNBehindertenrechtskonvention sind Kommunikationsbarrieren nahezu überall vorhanden. Barrierefreiheit, Teilhabe und Selbstbestimmung schreiten nur sehr langsam voran. Diese Fehlentwicklung führt zu erheblichen Versäumnissen und Benachteiligungen gegenüber hörgeschädigten Menschen in vielen Bereichen. Die Belange der über 13 Millionen schwerhörigen, etwa 200.000 ertaubten und ca. 80.000 gehörlosen Menschen werden als geringfügig angesehen. Hörschäden sind unsichtbar und daher für Guthörende schwer vorstellbar. Wer seine Augen schließt, kann nachempfinden, was Blindheit bedeutet. Wer sich jedoch die Ohren zuhält, hört mit der Knochenleitung weiter Ertaubung und Schwerhörigkeit ist somit nicht nachvollziehbar. Dies macht es Guthörenden oft so schwer, das rechte Verständnis für Hörgeschädigte und ihre Probleme aufzubringen. Vielfach wird angenommen, dass bei Schwerhörigkeit alles leiser gehört wird. Das trifft nur bei der seltenen Mittelohrschwerhörigkeit zu. Bei der am häufigsten auftretenden Innenohrschwerhörigkeit können verschiedene Frequenzen kaum oder gar nicht wahrgenommen werden. Wegen der fehlenden hohen Töne klingt alles anders, oft bruchstückartig. Die Auswirkungen einer Hörschädigung im täglichen Leben und im Beruf sind vor allem stark abhängig vom Lebensalter bei Eintritt der Hörschädigung. Frühschwerhörige sind es nicht anders gewohnt, als schlecht zu hören, sie haben meist nur geringfügige Probleme mit Annahme der Behinderung und Bewältigung der Kommunikationsprobleme. Ebenso geht es gehörlosen Menschen, die ebenfalls von Kindheit an betroffen sind und daher unbefangen mit der eigenen Behinderung umgehen. Dagegen erleben Menschen, die als berufstätige Erwachsene oder als Senioren schwerhörig werden oder ertauben, einen krassen, oft äußerst schmerzhaften Bruch in der Lebensplanung. Die bisher verwendete Kommunikation funktioniert nur noch unvollkommen oder gar nicht mehr. Das führt zu Verunsicherung und sehr großen Ängsten vor sozialen Kontakten. Nicht die Hörstörung ist selbst das große Problem, sondern die Kommunikationsstörung mit der Umwelt, die zu Isolation, Verlust von Partnern oder Freunden, sozialen Beziehungsstörungen mit psychischen Auswirkungen und oft auch physischen Erkrankungen führt. Bei fortschreitender Verschlechterung des Hörvermögens verändern sich oft Persönlichkeit und Selbstwertgefühl von Menschen, die im Alter hörgeschädigt werden. Sie ziehen sich daher meist zurück und werden – obwohl sie eine große Bevölkerungsgruppe mit über 7 Millionen Menschen stellen - von der Gesellschaft überhaupt nicht wahrgenommen. Schwerhörige und ertaubte Menschen benötigen als Ausgleich für die eingeschränkte Hörfähigkeit technische Übertragungsanlagen und Schriftdolmetscher. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, beherrschen sie keine Gebärdensprache. Dagegen erhalten gehörlose Menschen mit der Stellung von Gebärdensprachdolmetschern die richtige Hilfestellung. 3. Kommunikation mit hörgeschädigten Patienten Kurzfassung für schnelle Leser: Die Kommunikation zwischen Personal und hörgeschädigtem Patient kann bis zu 50% höheren Zeitaufwand bedeuten! Für die Kommunikation zwischen Personal und hörgeschädigtem Patient erfordert einen bis 50% höheren Zeitaufwand gegenüber einem guthörenden und ansonsten gleichartig pflegebedürftigen Menschen. Stellungnahme des DSB Patientenrechtegesetz Seite 6 von 6 Bei hörgeschädigten Patienten sind Anweisungen und Gespräche „nebenher” nicht möglich. Um verstehen zu können, sind Schwerhörige meist und Ertaubte grundsätzlich immer auf das Absehen vom Mund angewiesen. Das bedeutet: Grundvoraussetzung für eine funktionierende Kommunikation ist Sichtkontakt, um das Mundabsehen zu ermöglichen. Mundabsehen ist sehr schwer, erfordert eine hohe Konzentration und eine gute Kombinationsgabe. Menschen im höheren Lebensalter können Mundabsehen meist nur sehr begrenzt erlernen. Da viele Wörter ähnlich aussehen (Beispiel: Mutter - Butter) und viele Konsonanten im Mund gebildet werden und gar nicht abzusehen sind, kann ohnehin höchstens 30% des Gesprochenen durch Absehen verstanden werden. In diesen Fällen ist zeitaufwändiges Aufschreiben die einzige Möglichkeit zur Kommunikation. Zusammenhänge oder Vorgänge müssen oft mit großer Geduld, mitunter mehrfach, erklärt werden. Spürt der Hörgeschädigte bei seinem Pfleger Ungeduld und Reizbarkeit, so wird er selbst nervös, unsicher und versteht dann erfahrungsgemäß noch weniger und „schaltet einfach ab“. Dies kann fatale Folgen haben. Erhebliche Probleme ergeben sich zusätzlich, wenn schwerhörige Patienten ihre Hörgeräte nicht tragen können, z.B. beim Waschen oder beim Röntgen. Da sie ohne Hörgeräte praktisch nichts verstehen können, sind dann besondere, zeitaufwändige Vorkehrungen erforderlich. Gemäß einer Modellrechnung des DSB-Referats „Hörgeschädigte Senioren und Patienten“ werden allein für die Morgentoilette doppelt so viele Pflegeminuten bei hörgeschädigten Patienten benötigt als bei gut hörenden Patienten. 4. Versorgung mit Hörhilfen Kurzfassung für schnelle Leser: Hörgeschädigte Patienten sind selten mit ausreichenden Hörgeräten versorgt. Dies erschwert die Kommunikation und hemmt die Pflegeleistungen! Nur wenige hörgeschädigte Patienten besitzen angemessene Hörgeräte und benutzen diese auch regelmäßig. Ein großer Teil dieses Personenkreises ist unversorgt oder - mit nicht ausreichenden Hörgeräten - unterversorgt. Hierfür sind verschiedene Gründe ursächlich, insbesondere die hohen Eigenleistungen, die sich vor allem ältere Patienten nur sehr selten leisten können. Eine Unterversorgung erschwert die Kommunikation, hemmt die Pflegeleistungen und führt zu psychischen Sekundärschäden und damit insgesamt höheren Kosten. Hörgeräte werden nicht benutzt, wenn das „neue Hören“ damit nicht geübt und gelernt wurde. Das oft jahrelang hörentwöhnte Ohr kommt mit den vielen Geräuschen nicht zurecht. Denn es ist nicht möglich, die Hörgeräte einfach anzulegen und dann sofort besser zu hören (wie etwa eine Brille sofort besseres Sehen ermöglicht). Dies ist mitunter ein langer Gewöhnungsprozess, der durch entsprechendes Training verkürzt werden kann. Durch Audiotherapie (u.a. Kommunikationstraining mit Hörgeräten) wird erreicht, dass Hörgeräte nicht in der Schublade landen. Gleichzeitig wird durch das Training die Kommunikation bei der Pflege erleichtert und eine Verbesserung der Pflegesituation bewirkt. In bisher seltenen Einzelfällen treten in der Pflege auch ertaubte Menschen in Erscheinung, die mit einem Cochlea Implantat (CI) versorgt sind. Dies ist eine elektronische High-Tech-Hörprothese, die das Innenohr überbrückt. In vielen Fällen ist es möglich, mit dem CI gutes Wortverstehen zu erreichen. 5. Unterscheidung Gehörlosigkeit - Taubheit Kurzfassung für schnelle Leser: Oft werden Gehörlosigkeit und Taubheit miteinander verwechselt. Der wesentliche Unterschied ist die Kommunikation: Ertaubte Menschen kommunizieren in der Lautsprache, während Gehörlose mit Gebärdensprache kommunizieren. Spätertaubung betrifft Menschen, deren Gehör nach dem Spracherwerb, durch Unfall oder Krankheit, verloren gegangen ist. Sie erreichen mit den vorhandenen Hörresten auch bei Verwendung von Hörgeräten kein Sprachverstehen mehr. Meist können sie normal sprechen, mitunter klingt ihre Sprache etwas undeutlich. Die Kommunikation ist über Mundabsehen, Anwendung von lautsprachbegleitenden Gebärden (LBG) und Aufschreiben möglich. Oft stellt bei spätertaubten Menschen das CI eine Versorgungsform dar, mit der Sprachverstehen wieder möglich ist. Als Gehörlose werden dagegen Menschen bezeichnet, die taub geboren wurden oder ihr Gehör vor dem Spracherwerb verloren haben. Auch bei Gehörlosen können geringe Hörreste vorliegen, mit denen jedoch auch mit Hörgeräten nur Geräusche wahrgenommen werden können. Sie wurden früher fälschlich als „Taubstumme“ bezeichnet. Gehörlose kommunizieren hauptsächlich in der Deutschen Gebärdensprache (DGS). Aufgrund wachsender Zahlen von gehörlos geborenen Kindern, die mit einem Cochlea Implantat (CI) versorgt werden, wird die Zahl der Gehörlosen tendenziell rückläufig sein.