Patientenrechtegesetz - Netzwerk - Pflege und Versorgungsforschung

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Deutscher Schwerhörigenbund e.V.
Bundesverband der Schwerhörigen und Ertaubten
Referat „Hörgeschädigte Senioren und Patienten“
Dipl.-Ing. Rolf Erdmann
Linzer Str. 4, 30519 Hannover
Tel./Fax: 0511/83 86 523
E-Mail: [email protected]
Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte
von Patientinnen und Patienten (Patientenrechtegesetz)
Stellungnahme des Deutschen Schwerhörigenbundes e.V.
Vorbemerkungen
Der Deutsche Schwerhörigenbund e.V. (im Folgenden kurz: DSB) verfolgt seit vielen Jahren das Ziel,
dass die Bedürfnisse kranker Menschen, die zusätzlich hörgeschädigt sind, in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen angemessen berücksichtigt werden. Dies ist bisher aus verschiedenen Gründen keineswegs gewährleistet.
-
Weder die Ärzte, noch Betreiber von Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen und deren Pflegepersonal verfügen über ausreichende Kenntnisse hinsichtlich der Situation und der Bedürfnisse
pflegebedürftiger Menschen mit Behinderungen und speziell von Patienten mit zusätzlicher
Hörbeeinträchtigung im Krankenhaus.
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Die Kommunikationsprobleme hörgeschädigter Patienten werden nicht erkannt, was zu mangelhaften Informationen dieser Patientengruppe über ihre Krankheit und deren Therapie führt.
-
Auch können sich durch Kommunikationsprobleme im ärztlichen Gespräch fehlerhafte Informationen bei Anamnese und Therapie-Entscheidungen ergeben.
In einer Untersuchung des britischen Royal national Institute for Deaf People (RNID) aus dem Jahre
2000 wurde festgestellt, dass nahezu jeder 5. Patient mit Hörbehinderung die Arztpraxis verließ, ohne
zu wissen, was ihm fehlt und welche Therapie vorgenommen wird. Bei dieser Studie, deren Ergebnisse auf Deutschland übertragbar sind, waren über 2.600 schwerhörige und ertaubte Menschen befragt
worden. Nach Kenntnis des DSB gibt es eine vergleichbare Untersuchung in Deutschland leider nicht.
Auch wird die Zahl von Patienten mit zusätzlicher Hörschädigung sehr unterschätzt. Ein großer Teil
der Patienten im Krankenhäusern und bei Ärzten sind 60 Jahre und älter. Bei Menschen über 60 Jahren ist ein Anteil von 35% hörbeeinträchtigt, bei Menschen über 70 Jahren beträgt dieser Anteil bereits 54%1. Nach neuesten Angaben soll dieser Anteil bei über 80jährigen Menschen sogar 90% betragen2. Man kann somit davon ausgehen, dass ein nicht zu unterschätzender Anteil von Patienten in
Krankenhäusern und bei niedergelassenen Ärzten schwerhörig oder ertaubt sind. Konkrete Zahlen
oder Schätzwerte über die Zahl hörgeschädigter Patienten liegen dem DSB leider nicht vor, wir halten
einem Anteil 20 bis 30% aller Patienten für realistisch.
In der UN-Behindertenrechtskonvention, die in Deutschland Gesetzeskraft hat, ist mehreren Artikeln
die Barrierefreiheit angesprochen. Besonders in Artikel 25 Gesundheit wird das Recht von Menschen
mit Behinderungen hervorgehoben, dass für sie das Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung
1
Quelle: Studie von Wolfgang SOHN (Universität Witten): Zahl der Hörgeschädigten in Deutschland, Bericht von 1999
2
Quelle: Studie der Fakultät für Medizin und Gesundheit von der Universität Wisconsin, Madison, veröffentlicht in: Hearit.org vom 01.08.11
DSB-Bundesgeschäftsstelle
Geschäftsführer Jens Steffens
Breite Straße 3, 13187 Berlin
Telefon: (030) 47 54 11 14
Telefax: (030) 47 54 11 16
E-Mail: [email protected]
Internet: www.schwerhoerigen-netz.de
Bankverbindung
Vorstand
Mitglied im
Dr. Harald Seidler (Präsident)
PARITÄTISCHEN
Renate Welter (Vizepräsidentin)
Wohlfahrtsverband
Andreas Kammerbauer (Vizepräsident)
Bank für Sozialwirtschaft
BLZ 100 205 00
Konto: 3 133 400
IBAN: DE19100205000003133400 Eingetragen beim Amtsgericht
BIC: BFSWDE33BER
Berlin-Charlottenburg, VR 25501
Mitglied in der
BAG Selbsthilfe e.V.
Stellungnahme des DSB
Patientenrechtegesetz
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aufgrund der Behinderung erreichbar sein muss. Die volle Anwendung der der Rechte aus der UNBehindertenrechtskonvention ist auch im Gesundheitswesen zu gewährleisten. Die UNBehindertenrechtskonvention sollte daher konkret im Patientenrechtegesetz erwähnt werden.
Die nachfolgenden Anmerkungen haben wir in der Reihenfolge des vorliegenden Referentenentwurfes geordnet.
Bei allen nachfolgend aufgeführten Maßnahmen und Vorschlägen hält es der DSB für erforderlich,
dass er als zuständiger anerkannter Behindertenverband bei deren Planung und Durchführung einbezogen wird, damit die Belange dieser Patientengruppe fachkompetent vertreten und im Endergebnis
angemessen berücksichtigt werden.
Der DSB hält die Berücksichtigung folgender Punkte für zwingend erforderlich:
Artikel 1 Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs
Zu § 630 c Mitwirkung der Vertragsparteien; Informationspflichten
Sachverhalt
Zitat aus Abs. (2):
„Der Behandelnde ist verpflichtet, dem Patienten zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren
Verlauf in verständlicher Weise sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen.“
Vorschlag des DSB
Unter dem Begriff „in verständlicher Weise“ wird allgemein eine vom Laien verständliche Sprache
ohne Verwendung ärztlicher Fachausdrücke verstanden. Es wird kaum daran gedacht, dass darunter
auch das rein akustische Sprachverstehen bei bestehender Hörschädigung zu verstehen ist.
Durch Maßnahmen wie
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Nutzung von technischen Kommunikationshilfen, z.B. FM-Anlagen oder Induktionsanlagen,
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Einsatz von Dolmetscherdiensten, z.B. Schriftdolmetscher oder Gebärdensprachdolmetscher,
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Verwendung vorgefertigter Fragen zum Ankreuzen von Stichworten,
-
Erlernen des richtigen Umgangs mit Menschen mit Hörbehinderung im Gespräch,
-
Übergabe von schriftlichen Informationen,
-
Hilfestellung durch Fingeralphabet,
-
Rückfragen, was verstanden wurde
wird Nicht- oder Falschverstehen von Diagnose und Therapie vermieden.
Wir empfehlen daher, den Verständnis-Begriff entsprechend zu erweitern. Zusätzlich sind Angaben
über die Beantragung der genannten Hilfen und den zuständigen Kostenträger erforderlich.
Die Notwendigkeit der Verständlichkeit im obigen Sinne hat sich auf alle Kommunikationssituationen
im Krankenhaus oder der Arztpraxis zu erstrecken.
Zu § 630 f Dokumentation der Behandlung
Sachverhalt
In diesem Paragraphen wird Einrichtung und Nutzung einer Patientenakte festgelegt.
Nach Erfahrung des DSB hat es sich als sinnvoll erwiesen, wenn bereits beim ersten Blick auf die
Patientenakte ersichtlich ist, dass der Patient hörgeschädigt ist, welche Kommunikationsform und
welche Hörhilfen er verwendet.
Stellungnahme des DSB
Patientenrechtegesetz
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Vorschlag des DSB
Im Fragenkatalog für die Patientenakte müssen Fragen nach dem Hörstatus, den notwendigen Hilfsmitteln (z.B. Hörgeräte, Cochlea Implantate, Zusatzhilfen), versorgtes Ohr, und bevorzugte Kommunikationsform enthalten sein und dokumentiert werden.
Damit jede Person über die Schwerhörigkeit informiert ist und hörgeschädigtengerecht kommuniziert,
sind folgende Eintragungen auf dem Deckel der Patientenakte sinnvoll:
Angaben über die Art der Hörschädigung
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•
•
resthörig = rh
an Taubheit grenzend schwerhörig = tgsh
hochgradig schwerhörig = hsh
schwerhörig = sh
spätertaubt = et
gehörlos = gl
Angaben über die Art der Hörhilfe (welches Ohr)
•
•
•
•
Hinter-dem-Ohr-Gerät = HdO
Hörbrille = HB
Im-Ohr-Gerät =IO
Cochlea Implantat = CI
Angaben über die gewünschte Kommunikationsform
•
•
•
•
•
Lautsprache mit Mundabsehen (langsam und deutlich sprechen)
Lautsprachbegleitende Gebärden (LBG)
Deutsche Gebärdensprache (DGS)
Hilfestellung durch Fingeralphabet
Aufschreiben
Der DSB empfiehlt die Nutzung dieser Abkürzungen. Für eine Aufnahme in das Gesetz wird der Text
als zu lang angesehen. Vielleicht besteht die Möglichkeit, ihn in der Begründung aufzuführen?
Zu § 630 g Einsichtnahme in die Patientenakte
Sachverhalt
In diesem Paragraphen wird das Recht auf Einsichtnahme in die Patientenakte geregelt.
Zitat aus Abs. (1):
„Der Patient kann jederzeit Einsicht in die ihn betreffende Patientenakte verlangen, soweit der Einsichtnahme
nicht erhebliche therapeutische Gründe oder die Rechte Dritter entgegenstehen.“
Vorschlag des DSB
Die Verweigerung des Rechts des Patienten auf Einsichtnahme in seine Patientenakte aus „erheblichen therapeutischen Gründen“ wird vom DSB als eine schwammige, rechtlich unklare Formulierung
angesehen. Nach unserer Auffassung darf eine solche Verweigerung nur in sehr engen Grenzen,
etwa bei einer belegbaren Suizidgefährdung, erfolgen. Eine solche Verweigerung darf aus Sicht des
DSB kein einzelner Arzt treffen, sondern mindestens zwei voneinander unabhängige Ärzte bzw. Einrichtungen mit entsprechender Kompetenz zur Beurteilung.
Wegen des Eingriffs in ein wesentliches Patientenrecht lehnt der DSB die im Gesetzentwurf genannte
Formulierung ab.
Stellungnahme des DSB
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Artikel 2 Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
Zu § 99 Bedarfsplan
Sachverhalt
In § 99 Absatz 1 Satz 4 wird geregelt, dass die auf Landesebene für die Wahrnehmung der Interessen der Patientinnen und Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen
maßgeblichen Organisationen in die Aufstellung des Bedarfsplanes zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen einzubeziehen sind.
Vorschlag des DSB
Nach unserer Kenntnis haben die Patientenvertreter der Selbsthilfeverbände nur wenig wirkliche Einwirkungsmöglichkeiten. Es besteht zwar ein Rede- und Beratungsrecht, nicht aber ein echtes Stimmrecht und vor allem auch kein Verbandsklagerecht zur Klärung strittiger Fälle.
Nach Auffassung des DSB hat die Patientenvertretung ohne umfassende Rechte der Patientenvertreter reine Alibifunktion. Es sollten daher aus Sicht des DSB die fehlenden Rechte in das neue Gesetz
eingebaut werden.
Zu § 135 a Verpflichtung zur Qualitätssicherung
In § 135 a wird die Verpflichtung und Weiterentwicklung der Qualität geregelt.
Vorschläge des DSB
Zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität gehört nach Auffassung des DSB, dass die Mitarbeiter der Krankenhäuser in der Lage sind, hörgeschädigtengerecht zu kommunizieren. Entsprechende Schulungen müssen verpflichtend vorgeschrieben werden, möglichst unter Einbeziehung von
fachkompetenten Personen aus dem DSB.
Weiterhin sollte in jedem Krankenhaus oder Pflegeeinrichtung ein Beauftragter für Hörgeschädigte
ernannt werden, dessen Aufgabe es u.a. ist, als Ansprechpartner bei Kommunikationsproblemen zu
dienen. Ein solcher Beauftragter – das könnte ein Pflegeassistent oder Audiotherapeut sein – soll
dem Personal wie auch den Patienten Hilfestellung geben und Probleme bewältigen helfen.
Der Beauftragte für Hörgeschädigte muss
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-
die verschiedenen Kommunikationsformen der Hörgeschädigten (deutliche Sprache, lautsprachbegleitende Gebärden, Deutsche Gebärdensprache, Fingeralphabet, notfalls aufschreiben) beherrschen,
spezielle Kenntnisse aufweisen, z.B. Informationen geben über technische Hilfen, spezielle Kuren
und Rehabilitationsmaßnahmen für schwerhörige und ertaubte Menschen, Schwerbehindertenausweis sowie Hilfestellung zu deren Beantragung bieten.
Hierdurch ist er in der Lage, sowohl bei Kommunikationsproblemen zwischen Patient und Pflegepersonal als auch bei erforderlichen Informationen und Anträgen Hilfestellung zu geben.
Zur Durchführung dieses umfangreichen Tätigkeitsfeldes ist nach Auffassung des DSB eine besondere Ausbildung notwendig, an der Berater des DSB beteiligt sein sollten.
Berlin, 06.02.12 /RE
Stellungnahme des DSB
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Anhang
Zum besseren Verständnis der vorstehenden Anmerkungen und Empfehlungen des DSB
sehen wir es als notwendig an, über einige Fakten und grundsätzliche Feststellungen hinsichtlich der Situation hörgeschädigter Menschen sowie daraus sich ergebende Folgerungen
in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zu informieren.
1. Anzahl pflegebedürftiger Patienten, die zusätzlich hörgeschädigt sind
Kurzfassung für schnelle Leser: Etwa 30 bis 50% aller Pflegepatienten in Pflegeeinrichtungen, mind. 390.000
Personen, sind zusätzlich hörgeschädigt.
Pflegebedürftige, aber auch kranke Menschen sind in der Regel 60 Jahre und älter. Bei diesem Personenkreis
ist ein hoher Anteil zwischen 30 bis 50 % schwerhörig oder ertaubt. In konkreten Zahlen: Nach einer sehr vorsichtigen Schätzung sind mindestens 390.000 als pflegebedürftig anerkannte Menschen in Deutschland zusätzlich hörgeschädigt.
2. Wesen und Auswirkungen von Hörschädigung
Kurzfassung für schnelle Leser: Schwerhörigkeit wird sehr unterschätzt - Nicht die Hörschädigung an sich,
sondern deren Auswirkungen sind das eigentliche Problem und führen im Alter zur Isolation.
Das Thema Hörschädigung findet in unserer Gesellschaft sehr geringes Interesse. Trotz der UNBehindertenrechtskonvention sind Kommunikationsbarrieren nahezu überall vorhanden. Barrierefreiheit, Teilhabe und Selbstbestimmung schreiten nur sehr langsam voran. Diese Fehlentwicklung führt zu erheblichen Versäumnissen und Benachteiligungen gegenüber hörgeschädigten Menschen in vielen Bereichen.
Die Belange der über 13 Millionen schwerhörigen, etwa 200.000 ertaubten und ca. 80.000 gehörlosen Menschen werden als geringfügig angesehen.
Hörschäden sind unsichtbar und daher für Guthörende schwer vorstellbar. Wer seine Augen schließt, kann
nachempfinden, was Blindheit bedeutet. Wer sich jedoch die Ohren zuhält, hört mit der Knochenleitung weiter Ertaubung und Schwerhörigkeit ist somit nicht nachvollziehbar. Dies macht es Guthörenden oft so schwer, das
rechte Verständnis für Hörgeschädigte und ihre Probleme aufzubringen.
Vielfach wird angenommen, dass bei Schwerhörigkeit alles leiser gehört wird. Das trifft nur bei der seltenen
Mittelohrschwerhörigkeit zu. Bei der am häufigsten auftretenden Innenohrschwerhörigkeit können verschiedene
Frequenzen kaum oder gar nicht wahrgenommen werden. Wegen der fehlenden hohen Töne klingt alles anders, oft bruchstückartig.
Die Auswirkungen einer Hörschädigung im täglichen Leben und im Beruf sind vor allem stark abhängig vom
Lebensalter bei Eintritt der Hörschädigung. Frühschwerhörige sind es nicht anders gewohnt, als schlecht zu
hören, sie haben meist nur geringfügige Probleme mit Annahme der Behinderung und Bewältigung der Kommunikationsprobleme. Ebenso geht es gehörlosen Menschen, die ebenfalls von Kindheit an betroffen sind und
daher unbefangen mit der eigenen Behinderung umgehen.
Dagegen erleben Menschen, die als berufstätige Erwachsene oder als Senioren schwerhörig werden oder ertauben, einen krassen, oft äußerst schmerzhaften Bruch in der Lebensplanung. Die bisher verwendete Kommunikation funktioniert nur noch unvollkommen oder gar nicht mehr. Das führt zu Verunsicherung und sehr großen
Ängsten vor sozialen Kontakten. Nicht die Hörstörung ist selbst das große Problem, sondern die Kommunikationsstörung mit der Umwelt, die zu Isolation, Verlust von Partnern oder Freunden, sozialen Beziehungsstörungen mit psychischen Auswirkungen und oft auch physischen Erkrankungen führt. Bei fortschreitender Verschlechterung des Hörvermögens verändern sich oft Persönlichkeit und Selbstwertgefühl von Menschen, die im
Alter hörgeschädigt werden. Sie ziehen sich daher meist zurück und werden – obwohl sie eine große Bevölkerungsgruppe mit über 7 Millionen Menschen stellen - von der Gesellschaft überhaupt nicht wahrgenommen.
Schwerhörige und ertaubte Menschen benötigen als Ausgleich für die eingeschränkte Hörfähigkeit technische
Übertragungsanlagen und Schriftdolmetscher. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, beherrschen sie keine
Gebärdensprache. Dagegen erhalten gehörlose Menschen mit der Stellung von Gebärdensprachdolmetschern
die richtige Hilfestellung.
3. Kommunikation mit hörgeschädigten Patienten
Kurzfassung für schnelle Leser: Die Kommunikation zwischen Personal und hörgeschädigtem Patient kann
bis zu 50% höheren Zeitaufwand bedeuten!
Für die Kommunikation zwischen Personal und hörgeschädigtem Patient erfordert einen bis 50% höheren Zeitaufwand gegenüber einem guthörenden und ansonsten gleichartig pflegebedürftigen Menschen.
Stellungnahme des DSB
Patientenrechtegesetz
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Bei hörgeschädigten Patienten sind Anweisungen und Gespräche „nebenher” nicht möglich. Um verstehen zu
können, sind Schwerhörige meist und Ertaubte grundsätzlich immer auf das Absehen vom Mund angewiesen.
Das bedeutet: Grundvoraussetzung für eine funktionierende Kommunikation ist Sichtkontakt, um das Mundabsehen zu ermöglichen.
Mundabsehen ist sehr schwer, erfordert eine hohe Konzentration und eine gute Kombinationsgabe. Menschen
im höheren Lebensalter können Mundabsehen meist nur sehr begrenzt erlernen. Da viele Wörter ähnlich aussehen (Beispiel: Mutter - Butter) und viele Konsonanten im Mund gebildet werden und gar nicht abzusehen
sind, kann ohnehin höchstens 30% des Gesprochenen durch Absehen verstanden werden. In diesen Fällen ist
zeitaufwändiges Aufschreiben die einzige Möglichkeit zur Kommunikation.
Zusammenhänge oder Vorgänge müssen oft mit großer Geduld, mitunter mehrfach, erklärt werden. Spürt der
Hörgeschädigte bei seinem Pfleger Ungeduld und Reizbarkeit, so wird er selbst nervös, unsicher und versteht
dann erfahrungsgemäß noch weniger und „schaltet einfach ab“. Dies kann fatale Folgen haben.
Erhebliche Probleme ergeben sich zusätzlich, wenn schwerhörige Patienten ihre Hörgeräte nicht tragen können, z.B. beim Waschen oder beim Röntgen. Da sie ohne Hörgeräte praktisch nichts verstehen können, sind
dann besondere, zeitaufwändige Vorkehrungen erforderlich.
Gemäß einer Modellrechnung des DSB-Referats „Hörgeschädigte Senioren und Patienten“ werden allein für die
Morgentoilette doppelt so viele Pflegeminuten bei hörgeschädigten Patienten benötigt als bei gut hörenden Patienten.
4. Versorgung mit Hörhilfen
Kurzfassung für schnelle Leser: Hörgeschädigte Patienten sind selten mit ausreichenden Hörgeräten versorgt. Dies erschwert die Kommunikation und hemmt die Pflegeleistungen!
Nur wenige hörgeschädigte Patienten besitzen angemessene Hörgeräte und benutzen diese auch regelmäßig.
Ein großer Teil dieses Personenkreises ist unversorgt oder - mit nicht ausreichenden Hörgeräten - unterversorgt. Hierfür sind verschiedene Gründe ursächlich, insbesondere die hohen Eigenleistungen, die sich vor allem
ältere Patienten nur sehr selten leisten können. Eine Unterversorgung erschwert die Kommunikation, hemmt die
Pflegeleistungen und führt zu psychischen Sekundärschäden und damit insgesamt höheren Kosten.
Hörgeräte werden nicht benutzt, wenn das „neue Hören“ damit nicht geübt und gelernt wurde. Das oft jahrelang
hörentwöhnte Ohr kommt mit den vielen Geräuschen nicht zurecht. Denn es ist nicht möglich, die Hörgeräte
einfach anzulegen und dann sofort besser zu hören (wie etwa eine Brille sofort besseres Sehen ermöglicht).
Dies ist mitunter ein langer Gewöhnungsprozess, der durch entsprechendes Training verkürzt werden kann.
Durch Audiotherapie (u.a. Kommunikationstraining mit Hörgeräten) wird erreicht, dass Hörgeräte nicht in der
Schublade landen. Gleichzeitig wird durch das Training die Kommunikation bei der Pflege erleichtert und eine
Verbesserung der Pflegesituation bewirkt.
In bisher seltenen Einzelfällen treten in der Pflege auch ertaubte Menschen in Erscheinung, die mit einem
Cochlea Implantat (CI) versorgt sind. Dies ist eine elektronische High-Tech-Hörprothese, die das Innenohr
überbrückt. In vielen Fällen ist es möglich, mit dem CI gutes Wortverstehen zu erreichen.
5. Unterscheidung Gehörlosigkeit - Taubheit
Kurzfassung für schnelle Leser: Oft werden Gehörlosigkeit und Taubheit miteinander verwechselt. Der wesentliche Unterschied ist die Kommunikation: Ertaubte Menschen kommunizieren in der Lautsprache, während
Gehörlose mit Gebärdensprache kommunizieren.
Spätertaubung betrifft Menschen, deren Gehör nach dem Spracherwerb, durch Unfall oder Krankheit, verloren
gegangen ist. Sie erreichen mit den vorhandenen Hörresten auch bei Verwendung von Hörgeräten kein
Sprachverstehen mehr. Meist können sie normal sprechen, mitunter klingt ihre Sprache etwas undeutlich. Die
Kommunikation ist über Mundabsehen, Anwendung von lautsprachbegleitenden Gebärden (LBG) und Aufschreiben möglich. Oft stellt bei spätertaubten Menschen das CI eine Versorgungsform dar, mit der Sprachverstehen wieder möglich ist.
Als Gehörlose werden dagegen Menschen bezeichnet, die taub geboren wurden oder ihr Gehör vor dem
Spracherwerb verloren haben. Auch bei Gehörlosen können geringe Hörreste vorliegen, mit denen jedoch auch
mit Hörgeräten nur Geräusche wahrgenommen werden können. Sie wurden früher fälschlich als „Taubstumme“
bezeichnet. Gehörlose kommunizieren hauptsächlich in der Deutschen Gebärdensprache (DGS). Aufgrund
wachsender Zahlen von gehörlos geborenen Kindern, die mit einem Cochlea Implantat (CI) versorgt werden,
wird die Zahl der Gehörlosen tendenziell rückläufig sein.
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