Merkblatt für Regelschullehrer, die ein hörgeschädigtes Kind in ihrer Klasse unterrichten werden veröffentlicht bei föpädn.et www.foepaed.net . Download: http://www.foepaed.net/volltexte/hueffer/merkblatt.pdf erarbeitet von Daniela Hüffer, Sonderschulpädagogin (2001) Sie sind Lehrer oder Lehrerin an einer allgemeinen Schule und erwarten demnächst ein hörgeschädigtes Kind in ihrer Klasse? Dieses Merkblatt will Ihnen eine erste Hilfe im Umgang mit dieser für sie momentan neuen und anspruchsvollen Aufgabe sein. 1) Was ist ein Hörschaden? Haben Sie sich schon einmal näher mit der Problematik einer Hörschädigung, den Ursachen und weitreichenden Folgen befasst? Wenn nicht sollten Sie sich zunächst mit diesem Thema vertraut machen. Grundsätzlich kann man Hörschäden in die Schallleitungsschwerhörigkeit und die Schallempfindungsschwerhörigkeit einteilen. Bei der Schallleitungsschwerhörigkeit liegt ein Defekt im Mittelohr vor, der Betroffene hört Sprache und Töne leiser, die Qualität bleibt jedoch erhalten. Durch gut angepasste Hörgeräte ist diese Art der Hörschädigung meist behebbar und ein Kind mit Schallleitungsschwerhörigkeit bedarf meist keiner zusätzlichen sonderpädagogischen Betreuung. Bei der Schallempfindungsschwerhörigkeit sind das Innenohr, der Hörnerv oder entsprechende Regionen im Gehirn geschädigt. Der Betroffene hört leiser aber auch qualitativ schlechter, d.h. Töne und Sprache nimmt er nur verzerrt und unvollständig wahr. Oft sind diese Menschen auch besonders lärmempfindlich, d.h. laute Geräusche (Türen schlagen, Schreien) können ihnen schmerzhafter erscheinen als normalhörenden Personen. Vertiefende Informationen finden Sie im Internet unter: http://www.foepaed.net/hueffer/abstracts/hoeren.html 1 Kontrolle für den täglichen Unterricht In einem Ton- oder Sprachaudiogramm wird der individuelle Hörschaden für jedes Ohr getrennt (links und rechts) aufgezeichnet bzw. seine Auswirkungen auf das Sprachverstehen dargestellt. Funktionieren beide Hörgeräte? Wenn möglich im Sitzen unterrichten (Absehen) Nie mit dem Rücken zum Schüler stehen Kerngedanken der Stunde schriftlich festhalten (Overheadprojektor) Mundbild muss beim Sprechen sichtbar sein Nicht überlaut oder überdeutlich sprechen Auf ausreichende Beleuchtung achten Hörpausen einlegen Themenwechsel deutlich angeben Beim Ausfragen dem Schüler die Fragen schriftlich vorlegen Wiederholungen und Teilzusammenfassungen einbauen Schwierige Begriffe und Fremdwörter erklären Hausaufgaben schriftlich festhalten 2) Was bedeutet eine eingeschränkte auditive Wahrnehmung für das hörgeschädigte Kind? Um diese Frage besser beantworten zu können, sollten Sie sich selbst einmal bewusst machen, was es heißt, weniger zu hören. Schränken Sie ihr eigenes Hörvermögen durch Verwendung von Ohrstöpseln (Ohropax) ein, eventuell können Sie sich zusätzlich noch große Kopfhörer aufsetzen, um wirklich möglichst wenig zu hören. Versuchen Sie mit diesem eingeschränkten Gehör einige Stunden lang in ihrem Alltag zurechtzukommen. Wie verstehen Sie jetzt ihre Familienmitglieder? Hören Sie das Telefon klingeln? Müssen Sie den Fernseher lauter drehen? Wenn Sie es sich zutrauen, könnten sie mit diesem eingeschränkten Gehör auch in die Öffentlichkeit, z.B. zum Einkaufen, gehen. Wie reagieren die Leute auf das Sie, wenn Sie öfter nachfragen müssen, weil Sie etwas nicht verstanden haben? Überwiegen hier Hilfsbereitschaft oder Skepsis? Sie haben nun selbst erlebt wie es ist, weniger zu hören. Allerdings haben Sie „nur“ leiser gehört, was mit einer Schallleitungsschwerhörigkeit vergleichbar wäre, während 9 2 das hörgeschädigte Kind in ihrer Klasse meistens unter einer Schallempfindungsschwerhörigkeit leiden wird. Um sich einen Eindruck darüber zu verschaffen wie es ist auch noch verzerrt und lückenhaft zu hören, können Sie sich folgende Filme ansehen, die eine solche Schwerhörigkeit simulieren, außerdem aber auch wichtige Informationen im Umgang mit hörgeschädigten Schülern liefern: Schau mich an, wenn du sprichst! Gemeinsamer Unterricht für hörgeschädigte und normalhörende Schüler. Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik. Unterrichtsmitschau der Universität München 1990. Wer schlecht hört muss mehr sehen. Integration Hörbehinderter in Regelschulen. Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik, Universität München. Im Auftrag von Heiner Graf, Sonderschullehrer für Hörbehinderte, mit Unterstützung der Stiftung zur Förderung körperbehinderter Hochbegabter, Vaduz, Fürstentum Liechtenstein, 1991. Sie haben nun gesehen und gehört mit welchen Einschränkungen in der Perzeption ein schwerhöriges Kind zu kämpfen hat. Entsprechend der Art und dem Grad der Hörschädigung variiert dabei die individuelle Hörsituation. Das hörgeschädigte Kind hat Sprache, welche normalerweise über das Gehör aufgenommen und so „natürlich“ erlernt wird, viel mühsamer und bewusster erworben als die anderen Schüler der Klasse. Vielleicht klingt die Aussprache des betroffenen Kindes leicht „verwaschen“, es lässt gerne Endungen weg oder manche Begriffe sind ihm unbekannt. Dies können alles Folgen der eingeschränkten auditiven Perzeption sein. Nehmen Sie Rücksicht darauf und versuchen Sie dem Kind so gut wie möglich zu helfen! 3 Halten Sie Arbeitsaufträge auch schriftlich fest! Um Sicherzugehen, dass das hörgeschädigte Kind Arbeitsaufträge, Hausaufgaben und andere, meist mündlich formulierte Aufgaben verstanden hat, sollten Sie diese an der Tafel oder einer Folie festhalten. Verwenden Sie viel visuelles Material! Um dem hörgeschädigten Kind die Perzeption zu erleichtern sollten Sie Anschauungsmaterial, Wortkarten, Bilder, Dias usw. einsetzen. Auch der Gebrauch des Tageslichtprojektors ist sehr nützlich, da sie hier mit dem Gesicht zur Klasse gewandt stehen, während Sie bei einer Tafelanschrift nicht gleichzeitig reden sollten, da Ihr Mundbild hier nicht sichtbar ist. Thematisieren Sie die Schwerhörigkeit in der Klasse Es ist wichtig, die Mitschüler über Probleme und Situation eines Hörgeschädigten zu informieren, um hier Vorurteile abbauen zu können, Verständnis zu fördern und Rücksichtnahme einzuüben. Man könnte diese Liste noch weiterführen, sie soll Ihnen aber für den Anfang eine erste Hilfe sein und Anstoß geben zur weiteren Beschäftigung mit bestimmten Schwerpunkten. Abschließend soll eine kurze „Kontrolle für den täglichen Unterricht“ vorgestellt werden, die Sie sich z.B. auf das Pult legen können und die ihnen während des Unterrichts im Umgang mit dem hörgeschädigten Kind immer wieder eine Hilfe sein kann. 8 Die meisten Kinder tragen ein HdO-Gerät (Hinter dem Ohr), aber auch fast unsichtbare IdO-Geräte (In dem Ohr) sind hin und wieder anzutreffen. Informieren Sie sich über Aufbau und Funktionsweise eines Hörgeräts! Setzen sie sich mit den Eltern des hörgeschädigten Kindes noch vor dem ersten Schultag zusammen und klären sie wichtige Dinge zum Umgang und dem Einsatz der Hörhilfen des Kindes! Hierzu kann auch eine drahtlose Mikrofonanlage (FMAnlage) gehören, welche die Verständigung zwischen Lehrer und Schüler weiter verbessert. Diese Anlagen vermitteln dem Hörgeschädigten den Eindruck, dass der Lehrer aus nächster Nähe zu ihm spricht, auch wenn dieser sich zur Tafel wendet oder in der Klasse herumgeht. In der folgenden Broschüre können Sie die wichtigsten Informationen hierzu knapp zusammengefasst nachlesen: Technischer Ratgeber für Eltern hörgeschädigter Kinder. Herausgeber: Bundesgemeinschaft der Eltern und Freunde hörgeschädigter Kinder e.V., Hamburg 1997 An dieser Stelle soll noch einige Literatur genannt werden, die möglichst knapp und verständlich weitere Informationen zu obigen Punkten liefern kann: Pädagogische Hilfen für hörgeschädigte Kinder in Regelschulen. (Löwe, Armin) Universitätsverlag C. Winter GmbH - Programm Edition Schindele, Heidelberg. 1996 5 Hören – Hörschädigung. Informationen und Unterrichtshilfen für allgemeine Schulen. Hrsg.: Der Paritätische Wohlfahrtsverband in Hessen. Redaktion: Hartmut Jacobs, Michael Schneider, Jürgen Weishaupt; Frankfurt, 1998. Oder die gleichnamige CD-Rom: Hören – Hörschädigung. Basierend auf der gleichnamigen Broschüre von Hartmut Jacobs, Michael Schneider und Jürgen Weishaupt. Hrsg.: Paritätischer Wohlfahrtsverband Hessen e.V., 1999. Unterricht in Klassen mit hörgeschädigten und hörenden Schülerinnen und Schülern. Hinweise für Lehrer, Schüler und Eltern. (von Hauff, Roswitha / Kern, Walter) Ehrenwirth Verlag, München. 1991 (diese Broschüre ist für Gymnasiallehrer konzipiert worden, beinhaltet aber auch allgemeine Informationen, die für Lehrer aller allgemeinen Schulen nützlich sein können) Natürlich gibt es zu allen Bereichen noch weiterführende Literatur, die sie sich bei Bedarf beschaffen sollten, damit Sie sich in dem für Sie neuen Gebiet fachlich nicht überfordert oder zu unerfahren fühlen! 5) Wichtige Hinweise für den Unterricht mit einem hörgeschädigten Kind in einer Regelklasse Einige wichtige Punkte, die Sie sich immer wieder vergegenwärtigen und in Ihrem Unterricht beachten sollten, werden hier kurz genannt: 6 Wählen Sie eine für den hörgeschädigten Schüler möglichst optimale Sitzordnung! Beachten Sie, dass der Schüler absehen muss und möglichst alle Gesichter seiner Mitschüler im Blick haben sollte. Eine hufeisenförmige oder kreisförmige Sitzordnung wäre hier am idealsten, ferner ist ein Fensterplatz für das hörgeschädigte Kind besonders günstig, da hier alle Gesichter der Mitschüler beleuchtet sind. Verringern Sie soweit möglich Störlärm! Vermeiden Sie zu lauten Lärm von der Straße, unnötiges Stühle rücken, Zwischenrufe aber auch „quietschende“ Kreiden bei der Tafelanschrift. Achten Sie auf ihre Lehrersprache! – natürliche Sprechweise verwenden – das Sprechtempo dem Sprachverständnis und der Perzeptionsleistung anpassen – sinnentsprechende Akzente setzen – keine Schachtelsätze machen – auch nonverbale Kommunikation einsetzen (Mimik, Gestik, Blickkontakt, …) – gut moduliert, rhythmisiert und klar gegliedert sprechen 3) Versorgung mit einem Cochlea Implantat Manche hörgeschädigten Kinder tragen ein Cochlea Implantat (CI). Sollten Sie ein Kind mit CI in ihrer Klasse erwarten, informieren Sie sich in jedem Fall genauer über diese „Innenohrprothese“. Da Kinder mit CI nur sehr selten die allgemeine Schule besuchen, sei an dieser Stelle lediglich auf entsprechende Literatur verwiesen, die Ihnen weiterhelfen kann: Diller, Gottfried: Hören mit einem Cochlear-Implant. Eine Einführung. Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg, 1997. ISBN 3-8253-8241-9 Leonhardt, Annette (Hrsg.): Das Cochlear Implant bei Kindern und Jugendlichen. Ernst Reinhardt GmbH & Co. Verlag, München, 1997. ISBN 3-497-01425-7 Der Fall eines schwerhörigen Jungen, welcher schließlich mit einem Cochlear Implant versorgt wurde, wird sehr anschaulich vom Vater des Kindes in dem Buch: Kessler, Achim: Lukas oder: Unser Weg zum CI. Schulz Kirchner Verlag, Idstein, 2000. ISBN 3-8248-0397-6 geschildert. 4) Umgang mit Hörgeräten Wechseln Sie immer wieder die Unterrichts- und Sozialformen! Ein hörgeschädigtes Kind muss sich beim Zuhören besonders stark konzentrieren, deshalb sollten Sie immer wieder Hörpausen in ihren Unterricht einbauen und auch Formen wie Offenen Unterricht, Partnerarbeit etc. nicht scheuen. Eine unentbehrliche Hilfe für das hörgeschädigten Kinder sind seine Hörgeräte, welche meist an beiden Ohren getragen werden, damit Richtung, aus der Schall kommt, bestimmt werden kann. 7 4 Wichtig zu wissen ist hierbei, dass Hörgeräte bei einer Schallempfindungsschwerhörigkeit den Hörschaden nicht beseitigen sondern nur abschwächen können.