Prof. Dr. Dr. Ino Augsberg Sommersemester 2015 Examensübungsklausur im Öffentlichen Recht am 08.05.2015 Die Klausur behandelt die Äußerungsbefugnisse des Bundespräsidenten und von Mitgliedern der Bundesregierung in Bezug auf politische Parteien. Sie orientiert sich an zwei aktuellen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts: BVerfG, Urt. v. 10.06.2014 – 2 BvE 4/13 (NVwZ 2014, 1156) und BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 – 2 BvE 2/14 (NVwZ 2015, 209).1 Lösung Teil 1: Äußerungen des Bundespräsidenten Bezüglich der Äußerungen des Bundespräsidenten kommt prozessual ein Antrag im Organstreitverfahren in Betracht. Dieser hat Aussicht auf Erfolg, soweit er zulässig und begründet ist. A. Zulässigkeit Die Anforderungen an die Zulässigkeit des Organstreitverfahrens ergeben sich aus Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG. I. Zuständigkeit Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für das Organstreitverfahren ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG. II. Parteifähigkeit 1. Parteifähigkeit des Antragstellers Parteifähig sind gem. Art. 93 I Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG die obersten Bundesorgane, die entsprechend qualifizierten Teile dieser Organe oder „andere Beteiligte“ iSv Art. 93 I Nr. 1 GG. Vorliegend möchte die N-Partei den Antrag stellen. Parteien werden in der Aufzählung des § 63 BVerfGG nicht genannt und sie sind auch keine Organteile im Sinne dieser Vorschrift. Sie sind auch keine obersten Bundesorgane im Sinne des über die Aufzählung des § 63 BVerfGG hinausgehenden Art. 93 I Nr. 1 GG. Möglicherweise sind sie aber als „andere Beteiligte“ mit Rechten aus dem Grundgesetz gemäß Art. 93 I Nr. 1 GG parteifähig. Parteien gehören grundsätzlich der gesellschaftlichen und nicht der staatlichen Sphäre an. Sie sind jedoch, wie sich aus Art. 21 GG ergibt, verfassungsrechtlich notwendige Institutionen. Soweit sie daher Rechte aus ihrem verfassungsrechtlichen Status verteidigen, sind sie im Organstreitverfahren parteifähig.2 Hier verteidigt die N-Partei ihr Rechte auf Chancengleichheit bei Wahlen aus Art. 21 I iVm Art. 28 I 2 GG und ist somit parteifähig. 1 2 Fallbearbeitungen zu diesen Entscheidungen finden sich in JuS 2015, 343, RÜ 2014, 499 und RÜ 2015, 111. St. Rspr. BVerfG, vgl. etwa BVerfGE 4, 27 (31); 57, 1 (9); 60, 53 (61); 73, 40 (65); 103, 164 (168). 1 Anmerkung: Nach anderer Auffassung können Parteien ihre Rechte ohne Ausnahme nur mit der Verfassungsbeschwerde geltend machen. Begründet wird dies mit der „Staatsferne“ der Parteien und der Gefahr von Benachteiligungen, etwa durch die kürzere Frist im Organstreitverfahren. Da Art. 21 GG kein Grundrecht enthält, kann eine Verletzung der Rechte aus diesem Artikel allerdings nicht direkt im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden. Im vorliegenden Fall ist aber die Chancengleichheit der N-Partei betroffen, so dass eine Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 I iVm Art. 21 GG in Frage käme. Vgl. Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 9. Aufl. 2012, Rn. 92. 2. Parteifähigkeit des Antragsgegners Da es sich beim Organstreitverfahren um ein kontradiktorisches Verfahren handelt, muss auch der Antragsgegner parteifähig sein. Antragsgegner ist der Bundespräsident. Dieser ist ein oberstes Bundesorgan iSd Art. 93 I Nr. 1 GG, dessen Parteifähigkeit ausdrücklich in § 63 BVerfGG normiert ist. III. Streitgegenstand Streitgegenstand des Organstreitverfahrens ist jede rechtserhebliche Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners. Rechtserheblich ist jedes Verhalten, das geeignet ist, die Rechtsstellung des Antragsstellers zu beeinträchtigen. Vorliegend wendet sich die N-Partei gegen die Äußerungen des Bundespräsidenten. Die N-Partei behauptet, der Bundespräsident habe mit seinen Aussagen über die N-Partei die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Äußerungsbefugnisse überschritten und damit zu ihren Lasten in den Wahlkampf eingegriffen. Damit ist ihre verfassungsrechtliche Position aus Art. 21 GG iVm Art. 28 I 2 GG betroffen, so dass eine rechtserhebliche Maßnahme vorliegt. IV. Antragsbefugnis Der Antragsteller muss ferner gemäß § 64 I BVerfGG geltend machen, durch die gerügte Maßnahme in seinen Rechten verletzt zu sein. Zu dieser Geltendmachung genügt es, dass eine solche Verletzung möglich erscheint, also jedenfalls nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Nach dem Vortrag der N-Partei erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sie durch die Äußerungen des Bundespräsidenten in ihrem Recht auf Chancengleichheit bei Wahlen aus Art. 21 iVm Art. 28 I 2 GG verletzt ist. Eine Antragsbefugnis liegt somit vor. V. Rechtsschutzbedürfnis Es müsste ferner ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller bestehen. Diese ist durch die Geltendmachung der Verletzung (Antragsbefugnis) indiziert. Das Bestehen eines einfacheren Wegs zur Lösung der Streitfrage ist nicht ersichtlich. Das Rechtschutzbedürfnis ist daher zu bejahen. VI. Form und Frist Die N-Partei müsste das Formerfordernis des § 23 I BVerfGG beachten und die (noch nicht abgelaufene) sechsmonatige Frist nach § 64 III BVerfGG wahren. VII. Ergebnis der Zulässigkeit Das Organstreitverfahren wäre zulässig. 2 B. Begründetheit Der Antrag wäre begründet, wenn die von der N-Partei beanstandeten Äußerungen des Bundespräsidenten verfassungswidrig sind und die N-Partei hierdurch in ihren Rechten verletzt ist. Anmerkung: Dem kontradiktorischen Charakter entsprechend ist offenbar zweistufig nach der Rechtswidrigkeit der Maßnahme und der Verletzung eigener Rechte des Antragstellers zu fragen. Diese Auffassung ist allerdings nicht unumstritten; teilweise wird dem entgegengehalten, dass laut § 67 BVerfGG das Gericht lediglich feststellt, dass „die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt“ – die in § 64 Abs. 1 BVerfGG genannte mögliche Verletzung in eigenen Rechten wäre danach nur ein Problem der Begründetheit.3 Die Frage ist aber nur dort relevant, wo deutliche Anzeichen für ein Auseinanderklaffen der objektiven Rechtswidrigkeit und der „subjektiven“ Rechtsverletzung bestehen. Wenn – wie hier – die geltend gemachte Rechtsverletzung nur in der Verletzung von Rechtspositionen bestehen kann, die dem Antragsgegner zukommen, kann sie dahinstehen; dann kann die Begründetheitsprüfung ohne weitere Diskussion des Problems den genannten Obersatz zugrunde legen. Relevant ist dagegen auch hier die Frage des Aufbaus. Grundsätzlich kommen zwei Möglichkeiten in Betracht: ein eher verwaltungsrechtlich orientiertes zweistufiges Verfahren (1. Rechtswidrigkeit der Maßnahme; 2. „Subjektive“ Rechtsverletzung) oder ein dreistufiges, an der Prüfung der Verletzung von Freiheitsgrundrechten orientiertes Schema (1. Rechtsposition des Antragstellers; 2. Beeinträchtigung dieser Rechtsposition durch den Antragsgegner; 3. Rechtmäßigkeit der Maßnahme des Antragsgegners).4 I. Recht der N-Partei auf Chancengleichheit bei Wahlen gemäß Art. 21 I iVm Art. 28 I 2 GG Als einschlägiges Recht der N-Partei kommt das Rechts auf Chancengleichheit bei Wahlen aus Art. 21 I iVm Art. 28 I 2 GG in Betracht. In der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird von ihm in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt (Art. 20 I, II GG). Wahlen vermögen demokratische Legitimation iSd Art. Art. 20 I, II GG nur zu verleihen, wenn sie frei sind. Dies erfordert nicht nur, dass der Akt der Stimmabgabe frei von Zwang und unzulässigem Druck bleibt, wie es Art. 38 I GG für Wahlen im Bund und Art. 28 I 2 GG für Wahlen in den Ländern gebietet, sondern auch, dass die Wähler ihr Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können. Im Wahlakt muss sich die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen hin vollziehen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin. Die Gewährleistung gleicher Chancen im Wettbewerb um Wählerstimmen ist ein unabdingbares Element des vom Grundgesetz gewollten freien und offenen Prozesses der Meinungs- und Willensbildung des Volkes. Dieser Prozess freier und offener Meinungs- und Willensbildung setzt in der modernen parlamentarischen Demokratie die Existenz politischer Parteien voraus. Art. 21 GG gewährleistet nicht nur ihre freie Gründung und Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes, sondern sichert diese Mitwirkung auch durch Regeln, die ihnen gleiche Rechte und gleiche Chancen gewähren. Damit die Wahlentscheidung in voller Freiheit gefällt werden kann, ist es unerlässlich, dass die Par3 4 Vgl. zum Problem Augsberg/Augsberg/Schwabenbauer, Klausurtraining Verfassungsrecht, 2012, S. 50 f. Vgl. näher Augsberg/Augsberg/Schwabenbauer, Klausutraining Verfassungsrecht, 2012, S. 33 f. 3 teien, soweit irgend möglich, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilnehmen. Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit im Wettbewerb gilt nicht nur für den Wahlvorgang selbst, sondern auch für die Wahlvorbereitung.5 Dem Recht der Parteien auf Chancengleichheit korrespondiert eine Neutralitätspflicht staatlicher Organe, die gegenüber allen Parteien besteht, deren Verfassungswidrigkeit nicht durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt wurde. Das Recht politischer Parteien, gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen, wird daher beeinträchtigt, wenn Staatsorgane als solche parteiergreifend zu Gunsten oder zu Lasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern in den Wahlkampf einwirken.6 Eine die Gleichheit ihrer Wettbewerbschancen beeinträchtigende Wirkung kann für eine Partei auch von der Kundgabe negativer Werturteile über ihre Ziele und Betätigungen ausgehen.7 II. Verletzung des Rechts der N-Partei auf Chancengleichheit bei Wahlen durch die Äußerungen des Bundespräsidenten Das Recht der N-Partei auf Chancengleichheit könnte durch die Aussagen von G verletzt worden sein. 1. Verfassungsrechtliche Maßstäbe für Äußerungen des Bundespräsidenten Zu klären ist zunächst, an welche verfassungsrechtlichen Vorgaben der Bundespräsident bei öffentlichen Äußerungen gebunden ist. a) Befugnis des Bundespräsidenten zur Äußerung Möglicherweise fehlt es überhaupt an einer verfassungsrechtlichen Ermächtigung des Bundespräsidenten zur Abgabe politischer Äußerungen. Das Grundgesetz weist dem Bundespräsidenten an keiner Stelle explizit die Befugnis zu politischen Äußerungen zu. Der Bundespräsident hat aber neben der Wahrnehmung der ihm durch die Verfassung ausdrücklich zugewiesenen Befugnisse kraft seines Amtes insbesondere die Aufgabe, im Sinne der Integration des Gemeinwesens zu wirken. Wie der Bundespräsident seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit Leben erfüllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst. Der Bundespräsident kann den mit dem Amt verbundenen Erwartungen nur gerecht werden, wenn er auf gesellschaftliche Entwicklungen und allgemeinpolitische Herausforderungen entsprechend seiner Einschätzung eingehen kann und dabei in der Wahl der Themen ebenso frei ist wie in der Entscheidung über die jeweils angemessene Kommunikationsform. Der Bundespräsident bedarf daher, auch soweit er auf Fehlentwicklungen hinweist oder vor Gefahren warnt und dabei die von ihm als Verursacher ausgemachten Kreise oder Personen benennt, über die seinem Amt immanente Befugnis zu öffentlicher Äußerung hinaus keiner gesonderten gesetzlichen Ermächtigung.8 b) Allgemeine Grenzen für öffentliche Äußerungen des Bundespräsidenten Den verfassungsrechtlichen Erwartungen an das Amt des Bundespräsidenten und der gefestigten Verfassungstradition seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland entspricht es, dass der Bundes- 5 BVerfG, NVwZ 2015, 209 (210). BVerfG, NvwZ, 2015, 209 (210/211). 7 BVerfG, NVwZ 2014, 1157 (1158). 8 BVerfG, NVwZ 2014, 1157 (1157). 6 4 präsident eine gewisse Distanz zu Zielen und Aktivitäten von politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen wahrt. Daraus allein folgen indes keine justiziablen Vorgaben für die Amtsausübung. Insbesondere ist der Bundespräsident nicht etwa von Rechts wegen gehalten, seinen Äußerungen stets eine umfassende und nachvollziehbare Abwägung zu Grunde zu legen und darüber in seinen Verlautbarungen Rechenschaft zu geben.9 Andererseits ist zu berücksichtigen, dass der Bundespräsident Staatsgewalt iSv Art. 20 II GG ausübt und gemäß Art. 1 III GG an die Grundrechte sowie an Gesetz und Recht gebunden ist, was in der Eidesformel (Art. 56 GG), mittelbar in den Immunitätsregeln (Art. 60 IV iVm Art. 46 II GG) sowie in den Voraussetzungen einer Anklage gemäß Art. 61 I GG wiederholten Ausdruck findet. Der Bundespräsident steht somit in keiner Hinsicht „über dem Gesetz“.10 c) Spezifische Grenzen für öffentliche Äußerungen aus Art. 21 I GG Zu den vom Bundespräsidenten zu achtenden Rechten gehört das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 I GG, soweit es um die Chancengleichheit bei Wahlen geht, iVm Art. 38 I GG oder Art. 28 I GG. Fraglich ist, welche spezifischen Grenzen sich dabei für seine Äußerungsbefugnisse ergeben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Bundespräsident mit den politischen Parteien nicht in direktem Wettbewerb um die Gewinnung politischen Einflusses steht. Äußerungen des Bundespräsidenten haben andererseits kraft seiner Stellung besonderes Gewicht. In Erfüllung seiner Repräsentations- und Integrationsaufgabe obliegt es dem Bundespräsidenten, im Interesse der Wahrung und Förderung des Gemeinwesens das Wort zu ergreifen und die Öffentlichkeit durch seine Beiträge auf von ihm identifizierte Missstände und Fehlentwicklungen – insbesondere solche, die den Zusammenhalt der Bürger und das friedliche Zusammenleben aller Einwohner gefährden – aufmerksam zu machen sowie um Engagement bei deren Beseitigung zu werben. Er kann in diesem Sinn integrierend nur wirken, wenn es ihm freisteht, nicht nur die Risiken und Gefahren für das Gemeinwohl, sondern auch mögliche Ursachen und Verursacher zu benennen. Gehen Risiken und Gefahren nach Einschätzung des Bundespräsidenten von einer bestimmten politischen Partei aus, ist er nicht gehindert, die von ihm erkannten Zusammenhänge zum Gegenstand seiner öffentlichen Äußerungen zu machen. Er ist dabei auch nicht gehindert, sein Anliegen in zugespitzter Wortwahl vorzubringen, wenn er dies für angezeigt hält. Äußerungen des Bundespräsidenten sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, solange sie erkennbar einem Gemeinwohlziel verpflichtet und nicht auf die Ausgrenzung oder Begünstigung einer Partei um ihrer selbst willen angelegt sind.11 Mit der Repräsentations- und Integrationsaufgabe des Bundespräsidenten nicht mehr im Einklang stehen allerdings Äußerungen, die keinen Beitrag zur sachlichen Auseinandersetzung liefern, sondern ausgrenzend wirken, wie dies grundsätzlich bei beleidigenden, insbesondere solchen Äußerungen der Fall sein wird, die in anderen Zusammenhängen als „Schmähkritik“ qualifiziert werden.12 2. Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht Die verfassungsgerichtliche Kontrolle von Äußerungen des Bundespräsidenten, die die Chancengleichheit der Parteien berühren, hat zu berücksichtigen, dass es ausschließlich Sache des Bundes9 BVerfG, NVwZ 2014, 1157 (1158). Ebd. 11 BVerfG, NVwZ 2014, 1157 (1158). 12 BVerfG, NVwZ 2014, 1157 (1158/1159). 10 5 präsidenten selbst ist, darüber zu befinden, wie er seine Amtsführung gestaltet und seine Integrationsfunktion wahrnimmt. Inwieweit er sich dabei am Leitbild eines „neutralen Bundespräsidenten“ orientiert, unterliegt weder generell noch im Einzelfall gerichtlicher Überprüfung. Andererseits widerspräche es rechtsstaatlichen Grundsätzen, wären politische Parteien, deren Recht auf Chancengleichheit ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Grundordnung ist, im Verhältnis zum Bundespräsidenten rechtsschutzlos gestellt. Vor diesem Hintergrund erscheint es geboten, aber auch ausreichend, negative Äußerungen des Bundespräsidenten über eine Partei gerichtlich daraufhin zu überprüfen, ob er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsfunktion und damit willkürlich Partei ergriffen hat.13 3. Anwendung der Maßstäbe auf den konkreten Fall Gemessen an diesen Maßstäben könnten sowohl die Aufrufe des Bundespräsidenten zum Kampf gegen die von der N-Partei unterstützten politischen Bestrebungen, als auch die Verwendung der Formulierung „Spinner“ zur Bezeichnung der Mitglieder und Unterstützer der N-Partei verfassungswidrige Eingriffe in die Rechte der N-Partei darstellen. a) Öffentliche Unterstützung für gewaltsame Proteste? In seinen Aussagen ruft G mehrfach zum Kampf gegen bestimmte politische Bestrebungen auf. Aus dem Kontext der Äußerungen ergibt sich, dass sich diese Aufrufe auch gegen die N-Partei richten. Unzulässig wären diese Aussagen jedenfalls dann, wenn sich ihnen ein Aufruf zur Gewalt gegen die N-Partei oder ihre Unterstützer entnehmen ließe. Der Bundespräsident hat allerdings eingangs seiner Antwort ausdrücklich darauf hingewiesen, bereits das Abreißen von Plakaten nicht zu billigen. Es besteht daher kein Zweifel, dass er erst recht gewalttätige Auseinandersetzungen mit der N-Partei ablehnt. Dass der Bundespräsident gewaltsame Proteste gegen die N-Partei unterstützt oder auch nur gutgeheißen hätte, lässt sich seinen Äußerungen bei der gebotenen objektiven Auslegung somit nicht entnehmen. Im Weiteren hat er lediglich in der Sache auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit (Art. 5, 8 GG) hingewiesen und zum politischen Meinungskampf aufgefordert. Hierzu war er befugt. b) Verwendung der Formulierung „Spinner“ Anders könnte es aber bei der Formulierung „Spinner“ aussehen. Mit der auch auf die N-Partei und ihre Anhänger bezogenen Formulierung „Spinner“ hat der Bundespräsident ein negatives Werturteil abgegeben, das isoliert betrachtet als diffamierend empfunden werden und auf eine unsachliche Ausgrenzung der so Bezeichneten hindeuten kann. Hier indes dient, wie sich aus dem Kontext der Äußerungen ergibt, die Bezeichnung als „Spinner“ – neben derjenigen als „Ideologen“ und „Fanatiker“ – als Sammelbegriff für Menschen, die die Geschichte nicht verstanden haben und, unbeeindruckt von den verheerenden Folgen des Nationalsozialismus, rechtsradikale – nationalistische und antidemokratische – Überzeugungen vertreten. Die mit der Bezeichnung als „Spinner“ vorgenommene Zuspitzung sollte den Teilnehmern an der Veranstaltung nicht nur die Unbelehrbarkeit der so Angesprochenen verdeutlichen, sondern auch hervorheben, dass sie ihre Ideologie vergeblich durchzusetzen hofften, wenn die Bürger ihnen „ihre Grenzen aufweisen“. Indem der Bundespräsident, anknüpfend an die aus der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus zu ziehenden Lehren, zu bürger13 BVerfG, NVwZ 2014, 1157 (1159). 6 schaftlichem Engagement gegenüber politischen Ansichten, von denen seiner Auffassung nach Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen und die er von der N-Partei vertreten sieht, aufgerufen hat, hat er für die dem Grundgesetz entsprechende Form der Auseinandersetzung mit solchen Ansichten geworben und damit die ihm von Verfassungs wegen gesetzten Grenzen negativer öffentlicher Äußerungen über politische Parteien nicht überschritten.14 Anmerkung: hier war (mit entsprechender Argumentation in Richtung „Schmähkritik“) auch eine andere Auffassung gut vertretbar, 4. Ergebnis Die Äußerungen des Bundespräsidenten sind somit nicht verfassungswidrig, so dass die N-Partei nicht in ihren Rechten aus Art. 21 I GG verletzt ist. III. Ergebnis der Begründetheit Ein Antrag der N-Partei wäre somit nicht begründet. C. Gesamtergebnis zur Teil 1 Ein Antrag der N-Partei gegen den Bundespräsidenten im Organstreitverfahren wäre somit zulässig, aber nicht begründet und hätte daher keine Aussicht auf Erfolg. Teil 2: Äußerungen der Bundesministerin A. Zulässigkeit Auch gegen die Äußerungen der Bundesministerin käme ein Antrag im Organstreitverfahren in Betracht. Die Bundesministerin ist als Organteil der Bundesregierung gemäß Art. 93 I Nr. 1 GG iVm § 63 BVerfGG als Antragsgegnerin parteifähig. Bei ihren Aussagen handelt es sich um eine rechtserhebliche Maßnahme und damit um einen tauglichen Streitgegenstand. Ein Antrag im Organstreitverfahren wäre mithin zulässig. B. Begründetheit Im Rahmen der Begründetheit ist zu prüfen, ob die Aussagen der Bundesministerin die N-Partei in ihren Rechten aus Art. 21 iVm Art. 28 I 2 GG verletzt. I. Rechtsstellung der N-Partei Wie oben. 14 BVerfG, NVwZ 2014, 1157 (1159). 7 II. Beeinträchtigung der Rechtsstellung durch Maßnahme der Antragsgegnerin Dieser grundsätzlich bestehende Anspruch auf Chancengleichheit wird durch die Äußerungen der Ministerin, die zu einer politischen Bekämpfung der N-Partei aufruft, in negativer Weise beeinträchtigt. III. Rechtmäßigkeit der Äußerungen Die Äußerungen könnten aber dennoch rechtmäßig sein. 1. Verfassungsrechtliche Maßstäbe für Äußerung von Mitgliedern der Bundesregierung Zunächst sind die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung zu bestimmen. a) Übertragung der Maßstäbe für Äußerungen des Bundespräsidenten auf Äußerungen der Mitglieder der Bundesregierung? Ob für Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung die gleichen Maßstäbe wie für Äußerungen des Bundespräsidenten gelten, erscheint zweifelhaft. Im Unterschied zur Bundesregierung und deren Mitgliedern steht der Bundespräsident weder mit den politischen Parteien in direktem Wettbewerb um die Gewinnung politischen Einflusses noch stehen ihm in vergleichbarem Umfang Mittel zur Verfügung, die es ermöglichten, durch eine ausgreifende Informationspolitik auf die Meinungs- und Willensbildung des Volkes einzuwirken. Der Bundespräsident kann vor diesem Hintergrund weitgehend frei darüber entscheiden, bei welcher Gelegenheit und in welcher Form er sich äußert. Äußerungen des Bundespräsidenten über eine Partei können deshalb verfassungsgerichtlich nur daraufhin überprüft werden, ob er unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsfunktion und damit willkürlich Partei ergriffen hat. Diese Maßstäbe sind ein spezifischer Ausdruck der besonderen Stellung, die das Grundgesetz dem Bundespräsidenten zuweist. Sie sind auf die Mitglieder der Bundesregierung nicht übertragbar.15 b) Spezifische Maßstäbe für Äußerungen der Mitglieder der Bundesregierung Öffentliche Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung sind vor dem Hintergrund ihrer Aufgaben und Befugnisse sowie ihrer verfassungsrechtlichen Stellung eigenständig zu beurteilen. aa) Befugnisse der Bundesregierung zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit Die Bundesregierung ist das oberste Organ der vollziehenden Gewalt. Gemeinsam mit den anderen dazu berufenen Verfassungsorganen obliegt ihr die Aufgabe der Staatsleitung. Zwar vermitteln die einzeln in der Verfassung aufgeführten Aufgaben und Zuständigkeiten der Bundesregierung und ihrer Mitglieder nur einen unvollständigen Ausschnitt des Aufgabenbestandes, der sich aus dem politischen Leitungsauftrag der Bundesregierung ergibt. Das Grundgesetz setzt die Kompetenz der Bundesregierung zur Staatsleitung im Sinne einer abschließenden Regelung nicht zugänglichen verantwortlichen Leitung des Ganzen der inneren und äußeren Politik jedoch stillschweigend voraus. Diese 15 BVerfG, NVwZ 2015, 209 (211). 8 Kompetenz zur Staatsleitung schließt als integralen Bestandteil die Befugnis der Bundesregierung zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ein. 16 bb) Grenzen der Äußerungsbefugnisse der Bundesregierung aus Art. 21 I GG Mit diesen Befugnissen sind zugleich gewisse Benachteiligungen für nicht an der Regierung beteiligte Parteien verbunden. Das Regierungshandeln beeinflusst die Meinungsbildung des Volkes in erheblichem Umfang und entfaltet Rückwirkungen auf dessen Wahlentscheidungen. Da das Regierungsprogramm die Vorstellungen der sie tragenden Parteien widerspiegelt und das Handeln der Regierung mit diesen Parteien verbunden wird, fließt die Bewertung dieses Handelns in die Wahlentscheidung ein und wirkt sich auf die Wahlchancen der im politischen Wettbewerb stehenden Parteien aus. Sich daraus ergebende Ungleichheiten für die Teilnehmer des politischen Wettbewerbs sind hinzunehmen. Ungeachtet dessen hat die Bundesregierung aber die Pflicht, das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 I GG und das daraus folgende Neutralitätsgebot zu beachten. Die der Bundesregierung verliehene Autorität und die Verfügung über staatliche Ressourcen in personeller, technischer, medialer und finanzieller Hinsicht ermöglichen ihr nachhaltige Einwirkungen auf die politische Willensbildung des Volkes und beinhalten das Risiko erheblicher Wettbewerbsverzerrungen zwischen den politischen Parteien. Sie hat jede über das bloße Regierungshandeln hinausgehende Maßnahme, die auf die Willensbildung des Volkes einwirkt und in parteiergreifender Weise auf den Wettbewerb zwischen den politischen Parteien Einfluss nimmt, zu unterlassen. Es ist ihr von Verfassungs wegen versagt, sich im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und die ihr zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel und Möglichkeiten zu deren Gunsten oder Lasten einzusetzen. Die zulässige Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung endet somit dort, wo die Wahlwerbung beginnt.17 cc) Grenzen der Äußerungsbefugnisse einzelner Mitglieder der Bundesregierung Für das einzelne Mitglied der Bundesregierung kann nichts anderes gelten als für die Bundesregierung als Ganzes. Bei seiner Mitwirkung an der Wahrnehmung der Aufgaben der Bundesregierung nach Maßgabe des Art. 65 GG ist es ebenfalls an die Grundrechte sowie an Gesetz und Recht gebunden (Art. 1 III GG und Art. 20 III GG). Soweit ein Mitglied der Bundesregierung im Rahmen seiner Ressortzuständigkeit ihm übertragene Regierungsaufgaben wahrnimmt, ist es daher in gleicher Weise wie die Bundesregierung als Ganzes zur Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit politischer Parteien gem. Art. 21 I GG verpflichtet. 2. Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht Damit stellt sich die Frage, in welchem Umfang die Geltung und Beachtung des aus Art. 21 I 1 iVm Art. 38 I bzw. Art. 28 I 2 GG folgenden Neutralitätsgebots durch die Bundesregierung und ihre Mitglieder durch das Bundesverfassungsgericht überprüfbar ist. Die Mitglieder der Bundesregierung sind regelmäßig in den politischen Meinungskampf einbezogen. Die Bundesregierung selbst verfügt auf Grund ihrer Ressourcen und Machtbefugnisse über die Möglichkeit, durch intensive Informationsund Öffentlichkeitsarbeit die politische Meinungsbildung zu beeinflussen. Angesichts der verfas16 17 BVerfG, NVwZ 2015, 209 (211/212). BVerfG, NVwZ 2015, 209 (212). 9 sungsrechtlichen Stellung der Bundesregierung und dem sich daraus ergebenden Risiko für die politischen Parteien ist für eine Reduktion des Kontrollmaßstabs auf willkürliche Verletzungen des Neutralitätsgebots kein Raum. Daher bedarf die Beachtung des aus dem Recht der politischen Parteien auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb folgenden Neutralitätsgebots uneingeschränkter Kontrolle.18 3. Anwendung der Maßstäbe auf den konkreten Fall a) Grundsätzliche Möglichkeit von Regierungsmitgliedern zur Teilnahme am Wahlkampf Fraglich ist damit, inwieweit Regierungsmitglieder angesichts des staatlichen Neutralitätsgebots überhaupt am Wahlkampf teilnehmen dürfen. Würde die Übernahme eines Regierungsamtes dazu führen, dass der Amtsinhaber durch die Bindung an das Neutralitätsgebot gehindert wäre, am politischen Wettbewerb teilzunehmen, würde dies zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung der die Regierung tragenden Parteien führen. Parteien, die als Sieger aus einer Wahlauseinandersetzung hervorgegangen sind, würden durch die fehlende Möglichkeit, auf die Mitarbeit der mit Regierungsämtern betrauten Parteimitglieder zurückzugreifen, in ihrem Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb beschränkt. Auch Regierungsmitglieder dürfen deshalb grundsätzlich gleichberechtigt am Wahlkampf teilnehmen. Die Bindung an das Neutralitätsgebot entfällt aber nur, wenn der Inhaber eines Ministeramtes außerhalb seiner amtlichen Funktionen am politischen Meinungskampf teilnimmt und in den Wahlkampf eingreift. Nur dann sind seine Äußerungen dem allgemeinen politischen Wettbewerb und nicht dem Ministeramt zuzuordnen. 19 b) Abgrenzung von Äußerungen als Inhaber eines Ministeramtes und als Parteimitglied Damit stellt sich das Problem der Abgrenzung von Aussagen die von Politikern als Inhaber eines Ministeramtes gemacht werden von solchen, die sie in ihrer Eigenschaft als Parteimitglied machen. aa) Allgemeine Kriterien für die Abgrenzung der Äußerungen Bei der Abgrenzung zwischen Tätigkeiten in amtlicher Funktion und nichtamtlichen Tätigkeiten ist in Rechnung zu stellen, dass beim Handeln des Inhabers eines Ministeramtes eine strikte Trennung der Sphären des „Bundesministers“, des „Parteipolitikers“ und der politisch handelnden „Privatperson“ nicht möglich ist. Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb findet daher nur statt, wenn der Inhaber eines Regierungsamtes Möglichkeiten nutzt, die ihm auf Grund seines Regierungsamtes zur Verfügung stehen, während sie den politischen Wettbewerbern verschlossen sind. Dies ist insbesondere gegeben, wenn die Äußerung unter Rückgriff auf die einem Regierungsmitglied zur Verfügung stehenden Ressourcen erfolgt oder eine erkennbare Bezugnahme auf das Regierungsamt vorliegt und damit die Äußerung mit einer aus der Autorität des Amtes fließenden besonderen Gewichtung versehen wird.20 18 BVerfG, NVwZ 2015, 209 (214). BVerfG, NVwZ 2015, 209 (213). 20 BVerfG, NVwZ 2015, 209 (213). 19 10 bb) Äußerungen der Ministerin im Interview Ob die Äußerung eines Mitglieds der Bundesregierung unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität des Regierungsamtes oder der mit ihm verbundenen Ressourcen stattgefunden hat, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu bestimmen. Vorliegend hat S die Äußerungen im Rahmen eines Zeitungsinterviews gemacht. Zeitungsinterviews stehen nicht nur Inhabern von Regierungsämtern, sondern auch Angehörigen der sie tragenden politischen Parteien und der Opposition offen. Die Auswahl der Interviewpartner liegt in der journalistischen Verantwortung des jeweiligen Presseorgans. Dass dabei Inhabern von Regierungsämtern besonderes Interesse zuteilwird, gehört zu den Gegebenheiten des politischen Wettbewerbs, die im Prozess einer freiheitlichen Demokratie hinzunehmen sind. Der Inhaber eines Regierungsamtes ist nicht verpflichtet, sich im Rahmen eines Interviews auf die Regierungstätigkeit betreffende Aussagen zu beschränken, da auch dies mit dem Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit nicht zu vereinbaren wäre. Vielmehr ist er auch insoweit zur Teilnahme am politischen Meinungskampf befugt. Nimmt er aber für eine Aussage in einem Interview die mit seinem Amt verbundene Autorität in spezifischer Weise in Anspruch, ist er an das Neutralitätsgebot gebunden. Mit der Aussage, primäres Ziel bei der Wahl im Februar müsse es sein, den Einzug der namentlich benannten N-Partei in die Hamburgische Bürgerschaft zu verhindern, fordert S ausdrücklich zur Nichtwahl der N-Partei auf. Indem die Äußerung von S eine konkrete Aufforderung zu einem bestimmten Verhalten bei der Landtagswahl in Hamburg am 15.02.2015 enthält, das Ziel einer Verhinderung des Einzugs der N-Partei in den Landtag vorgibt und das Engagement von S zur Erreichung dieses Ziels ankündet, reicht die Äußerung über die Wahrnehmung der Aufgabe der Informationsund Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung hinaus. Insoweit handelt es sich um ein parteiergreifendes Einwirken zu Lasten der N-Partei in den Landtagswahlkampf in Hamburg. Diese Äußerungen sind nur zulässig, wenn sie nicht der Ausübung des Ministeramtes, sondern dem politischen Meinungskampf zuzuordnen sind. (1) Äußere Umstände des Interviews Die äußeren Umstände könnten eher auf eine Aussage in ihrer Funktion als Ministerin hinweisen. S hat das Interview am Rande einer Veranstaltung gegeben, an der sie in Wahrnehmung ihres Regierungsamtes teilgenommen hat. Die Teilnahme an der Veranstaltung und das Interview mit der Hamburger Abendpost stellen jedoch zwei unterschiedliche Sachverhalte dar, die getrennt voneinander zu beurteilen sind. Der bloße örtliche und zeitliche Zusammenhang führt nicht dazu, dass das Handeln in amtlicher Funktion bei der Veranstaltung der Stadt Hamburg auf das am Rande dieser Veranstaltung geführte Interview ausstrahlt. S hat bei der Führung des Interviews weder auf die Verwendung von Staatssymbolen oder Hoheitszeichen zurückgegriffen noch ist ein äußerungsbezogener Einsatz von Sach- oder Finanzmitteln feststellbar, die S auf Grund ihres Regierungsamtes zur Verfügung stehen. Den äußeren Umständen ist also nicht zu entnehmen, wie die Äußerungen einzuordnen sind. (2) Inhalt des Interviews Möglicherweise kann aber dem Interview selbst entnommen werden, dass die streitbefangene Äußerung von S unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität ihres Amtes erfolgte. Im Begleittext des 11 Interviews wird sowohl auf deren Amt als Bundesministerin als auch auf ihre Parteizugehörigkeit hingewiesen, das Interview hat weitgehend die Regierungstätigkeit von S und Projekte des von ihr geführten Ministeriums zum Gegenstand. Das spricht für eine Amtshandlung. Hiervon könnte aber der Teil des Interviews zu unterscheiden sein, der sich mit dem möglichen Einzug der N-Partei in die Hamburgische Bürgerschaft sowie daraus sich ergebender Konsequenzen befasst. Möglicherweise wird S hier gar nicht in ihrer Eigenschaft als Ministerin angesprochen. Die Frage, deren Beantwortung zu der streitbefangenen Äußerung von S führte, bezieht sich auf den Umgang mit Anträgen der N-Partei in Landesparlamenten und Kommunalvertretungen. Sie betrifft damit ein Problem der politischen Strategie dort vertretener Parteien und nicht die Wahrnehmung von Regierungsaufgaben. S ist in diesem Zusammenhang also nicht in ihrer Eigenschaft als Mitglied der Bundesregierung angesprochen worden. Bei der Beantwortung der Frage nach dem Umgang mit Anträgen der N-Partei im Parlament oder auf Kommunalebene ebenso wie in der gesamten Passage des Interviews, die sich auf den möglichen Einzug der N-Partei in die Hamburgische Bürgerschaft bezieht, nimmt S in keiner Weise auf ihr Amt als Mitglied der Bundesregierung und die damit einhergehende Autorität Bezug. Stattdessen verweist sie auf ihre Erfahrung im Landtag von MecklenburgVorpommern und damit auf persönliche Kenntnisse, die sie gerade nicht auf Grund ihrer Tätigkeit als Mitglied der Bundesregierung gewonnen hat. Dass sie diese Kenntnisse im Rahmen ihrer Tätigkeit als Landesministerin in Mecklenburg-Vorpommern erlangt hat, ändert hieran nichts. S hat also nicht in spezifischer Weise auf die mit ihrem Regierungsamt verbundene Autorität zurückgegriffen und war daher auch nicht an die Beachtung des aus dem Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit folgenden Neutralitätsgebots gebunden. Die Aussage von S stellt vielmehr einen Beitrag zur parteipolitischen Auseinandersetzung dar. Hiergegen muss die N-Partei sich mit den Mitteln des öffentlichen Meinungskampfes zur Wehr setzen. c) Ergebnis Die Aussagen von S verletzen nicht das Recht der N-Partei auf Chancengleichheit aus Art. 21 I GG. C. Gesamtergebnis zur Teil 2 Somit wäre auch dieser Antrag im Organstreitverfahren zulässig, aber unbegründet und hätte daher keine Aussicht auf Erfolg. 12