Psychopharmaka und Psychotherapie Das Zusammenwirken von Psychopharmaka und Psychotherapie bei verschiedenen psychiatrischen Krankheitsbildern OA Dr.med.Stefan SINZ Facharzt für Psychiatrie und Arzt für Allgemeinmedizin LKH Leoben und freie Praxis Thesen/Provokationen/Vorurteile Psychiater = „bad guys“ Psychotherapeutinnen = „good guys“ Psychopharmaka = schlechtes Image: machen abhängig, haben viele Nebenwirkungen, dämpfen die Emotionen, verbessern nur scheinbar den psychischen Zustand Psychotherapie = gutes Images: führt zu Erkenntnis, Freiheit, innerem Wachstum, keine Nebenwirkungen Psychopharmaka dienen der Behandlung psychiatrischer Erkrankungen (stimmt meistens!) Psychotherapie dient der Behandlung psychiatrischer Erkrankungen (stimmt meistens!) Psychotherapie ist Teil der Psychiatrie! Gelungene Psychopharmakotherapie ist ohne psychotherapeutisches Denken/Handeln nicht möglich! Wissen über Psychopharmaka ist etwas größer als das Wissen über die Geologie des Mondes! Wissen über Psychotherapie ist meist stark schulenspezifisch (missionarische, ideologische, „inzestuöse“, Guru-Aspekte, neurotische Feindseeligkeit gegenüber anderen Schulen). Gute Psychotherapeuten verschiedener Schulen gleichen einander! (A.Ruhs) Definition PSYCHOTHERAPIE: bewusster und geplanter interaktioneller Prozess zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen, die in einem Konsensus für behandlungsbedürftig gehalten werden, mit psychologischen Mitteln (verbal/averbal) zur Symptomminimalisierung und/oder Strukturänderung der Persönlichkeit (nach H.Strotzka) Definition PSYCHOPHARMAKOTHERAPIE: Therapie mit Substanzen, die die Aktivität des Zentralnervensystems beeinflussen und auf psychische Funktionen wie Stimmung, Affektivität, Wahrnehmungsprozesse, Denkvermögen und Emotionalität wirken Psychotherapie: Definition negiert die Beeinflussung der ZNSFunktionen durch Psychotherapie! (biologischer Aspekt) Psychopharamakotherapie: Definition negiert die Beziehungsebene, die bei der Verordnung/Verabreichung entsteht! (psychologischer Aspekt) Verbesserung in den letzten Jahren durch die Erkenntnisse der Neurowissenschaften. Bio-psycho-soziales Modell psychische Ebene somatische Ebene soziale Ebene Psychopharmakotherapie: Psychotherapie: Fokus auf Fokus auf Psychiatrische Krankheit als Konstrukt Psychiatrisch Kranker als Subjekt Standardisierte Beschreibung von Symptomen als Grundlage von Diagnose und Therapie Individuelles Beschreiben des Leidens und individuelle Symptome je nach Persönlichkeitsstruktur bzw. Lebensgeschichte Psychiatrie und Psychotherapie spielen sich im Spannungsfeld zwischen „objektivierbaren“ Beschreibungen und der betroffenen Person ab. Psychopharmakotherapie: fokussiert auf die Psychopathologie Psychotherapie: fokussiert auf das subjektive Leiden ABER: Starkes subjektives Leiden muss nicht zwangsläufig psychopathologisch sein und umgekehrt. Beispiel: - Hohes subjektives Leiden nach Todesfall/Scheidung, aber nicht unbedingt Psychopathologie vorhanden. - Maniker empfindet kein subjektives Leiden, sein Zustand ist aber in hohem Maße psychopathologisch. Psychiatrische Erkrankungen z.B.: PTSD, akute Belastungsreaktion Demenz „psychisch“ „somatisch“ z.B.: Schizophrenie, bipolare Erkrankung Forschung: Zuletzt Nachweis einer hohen genetischen Mitbeteilung bei vielen psychiatrischen Erkrankungen! Wahl der Therapie Fokus auf Psychotherapie Fokus auf Psychopharmakotherapie hängt ab von: - Diagnose: eher „psychisch“ oder eher „somatisch“ - Persönlichkeitsstruktur - Vorlieben des Patienten - Möglichkeiten: örtlich, finanziell, personell Meist (!) Kombinationstherapie besser ! Organische Psychosyndrome Tranquilizer, Hypnoptika Depressive Syndrome Manisches Syndrom Antidepressiva Schizophrene Syndrome Schizoaffektives Syndrom Katatones Syndrom Phasenprophylaktika/ Stimmungsstabilisierer Hypochondrisches Syndrom Psychovegetatives Syndrom Neuroleptika/Antipsychotika Angstsyndrom Zwangssyndrom Antidementiva/Nootropika Konversionssyndrom Dissoziales Syndrom Süchtiges Syndrom Suizidales Syndrom Oligophrenes Syndrom andere (z.B. Anti-Craving-Mittel) 3 Wirkungen von Psychopharmaka pharmakologisch Plazebo Beziehungswirkung: Medikament wird als materialisierte Beziehung zum Behandler erlebt, z.B. „Hilfe, der vergiftet mich!“ „Her mit den Drogen!“ „Von der schönen Ärztin lass ich mir alles geben!! „(tiefenpsychologische Komponente) Tranquillizer/Hypnotika Meist werden Benzodiazepine verwendet: (z.B. Valium, Lexotanil, Praxiten, Temesta, Xanor, Halcion, Rohypnol) Wirkung Klinische Anwendung anxiolytisch Angstzustände, Panik, Phobien hypnotisch Schlafstörung muskelrelaxierend Muskelverspannungen, Spastik antikonvulsiv Epilepsie, andere Krämpfe amnestisch (Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses) Prämedikation vor OP andere: - Alkoholentgiftung - akute Psychosen mit Übererregbarkeit und Aggression Nebenwirkungen von Benzodiazepinen (Überdosierung, Langzeitanwendung von therapeutischen Dosen) Trias: - affektive Indifferenz - kognitiv-mnestische Defizite - körperliche Schwäche Symptome der BZD-Abhängigkeit im Einzelnen: Gleichgültigkeit, affektive Verflachung, Interessensverarmung („Wurstigkeit“), Realitätsflucht, Benommenheit, Antriebsverlust, Apathie, kritiklose Euphorie, aber auch dysphorisch depressive Verstimmung kognitive Beeinträchtigungen, Tagesmüdigkeit, Hangover Koordinationsstörungen, Ataxie, Muskelschwäche, Gangstörungen, Stürze, Atemdepression, Appetitstörung Verwahrlosungszeichen, Fehlhandlungen während der Amnesie, paradoxe stimulierende Wirkung BZD-Entzug: Symptome A: unspezifische Symptome Schlafstörungen, Angst, Dysphorie, Muskelschmerzen, Muskelzuckungen, Tremor, Kopfschmerzen, Übelkeit, Brechreiz, Appetit- und Gewichtsverlust, Schwitzen, verschwommenes Sehen B: Perzeptionsstörungen Überempfindlichkeit gegen Geräusche, Licht, Geruch, Berührung, Unterempfindlichkeit gegen Geruchs- und Geschmacksreize, qualitative Veränderungen in der Wahrnehmung (häufig kinästhetisch, optisch, gustatorisch) C: Sonstige Symptome: Depersonalisation, Derealisation D: Komplikationen, Psychosen und epileptische Anfälle Probleme mit BZD in der Psychotherapie Symptome des Missbrauchs und des Entzugs können eigenständige, psychiatrische Krankheitssymptome vortäuschen Motivationsprobleme (wie bei allen Süchtigen!) BZD-Abhängigkeit wird oft nicht diagnostiziert! Antidepressiva (Auswahl) · Primär antriebssteigernde Mittel: - Citalopram (Seropram + Generika): 10 – 60 mg/d - Escitalopram (Cipralex): 5 – 20 mg/d - Fluoxetin (Fluctine + Generika): 10 – 60 mg/d - Sertralin (Gladem, Tresleen + Generika): 50–200mg/d - Venlafaxin (Efectin): 50 – 375 mg/d - Duloxetin (Cymbalta): 30 – 120mg/d - Bupropion (Wellbutrin): 150 – 300mg/d · Primär sedierende Mittel: - Mirtazepin (Mirtabene + Generika): 15 – 45mg/d - Trazodon (Trittico): 50 – 300 mg/d - Amitryptilin (Saroten): 10 – 100mg/d Regeln für Depressionsbehandlung „Aushalten“, stellvertretende Hoffnung AD brauchen Zeit (1 Woche bis 4 Wochen) Eventuell Ko-Medikation Ausdosieren !! Bei Angst eher höhere Dosis Bei „Somatisierern“ niedrig beginnen Einige Nebenwirkungen von Antidepressiva SSRIs: u.a. Übelkeit, Unruhe, sexuelle Dysfunktion Venlafaxin, Duloxetin: wie oben und Blutdruckerhöhung Trazodon (Trittico): sexuelle Stimulation, Müdigkeit, Blutdrucksenkung Mirtazepin: Müdigkeit, Appetitsteigerung, Ödeme Tricyclische AD (z.B. Saroten): viele vegetative, neurologische und cardiologische NW, dosisabhängig! Problem: Unterscheidung NW oder Symptom der Grunderkrankung NW meist am Anfang einer Behandlung, fast nie im Verlauf Viele „NW“ bei „Somatisierern“, Einstellung des Psychotherapeuten (?), Vorurteil gegen Medikamente Antipsychotika (Auswahl) „ältere“ AP: - Haldol: 5 - max. 60mg/d (1 Amp. = 5 mg) - Buronil: 25 – 450 mg/d - Dominal: 80 – 160 mg/d „neue“ AP: - Risperidon (Risperdal + Generika): 1 - 8 mg/d - Zyprexa: 2,5 – 20 mg/d - Seroquel: 25 – 750 mg/d - Abilify: 5 – 30mg/d Relativ wenige Nebenwirkungen! Erweiterung der Indikation auch für Depression, Zwang etc. Nebenwirkungen von Psychotherapie verstärkter Krankheitsgewinn Verlust der Alltagsrealität Nichterkennen anderer (psychischer und somatischer) Erkrankungen!!!! Verstärkung/Neuauftreten von Symptomen Abhängigkeit vom Therapeuten Psychotherapie als Ersatz für tätiges Handeln, stetige Suche nach unbewussten Motiven Verlust der Spontaneität „Es gibt eine neurotische Art, unneurotisch werden zu wollen.“ Setzen unrealistischer Lebensziele Egozentrik Psychotherapie kann die neurotische Hölle in ganz normales Unglücklich-Sein umwandeln. (frei nach S.Freud) Wechselwirkungen zwischen Pharmakotherapie und Psychotherapie Positive Wirkungen der Pharmako- auf die Psychotherapie: - Stärkung der Ich-Funktionen - Therapiefähigkeit durch Symptombesserung - seelische Störungen sind Krankheiten wie andere auch Negative Wirkungen der Pharmako- auf die Psychtherapie: - Demotivierung, Konfliktvermeidung - Bindung an Medikament/Arzt - verstärktes Krankheitsgefühl Positive Wirkung der Psycho- auf die Pharmakotherapie: - Entspannung und Entlastung des Patienten - bessere Compliance Negative Wirkung der Psycho- auf die Pharmakotherapie: - symptomatische Verschlechterung - schlechtere Compliance Erfahrungen aus der Praxis Psychotherapie ohne genaue Diagnose? Konflikt, Genetik oder Trauma – oder alles? Manchmal ist die Erfahrung, psychisch krank zu sein, ein Trauma! Wo ist der (Beziehungs-) Konflikt wirklich? Wäre er ohne Krankheit wirklich da? Nicht-Erkennen einer depressiven Erkrankung bei stabilen Persönlichkeiten: Unterschätzung der Gefahr und der Notwendigkeit von Psychopharmaka CAVE: Keine suggestiven Methoden, Aufstellungsarbeit bei Manikern oder Psychotikern!!!! Problem der Mehrfachdiagnosen in der Psychiatrie: Wo auch psychotherapeutisch ansetzen? Psychotherapie suggeriert manchmal die prinzipielle Veränderbarkeit, wenn man sich nur anstrengt und an sich arbeitet. Manchmal ist man aber der Krankheit einfach ausgeliefert, egal was man tut oder wie man sich ändert. Das gilt für schwere psychiatrische Krankheiten wie für „körperliche“ Erkrankungen. Ein „Appellieren“ an die eigenen, angeblich vorhandenen Veränderungsmöglichkeiten ist in diesen Fällen geradezu zynisch und inhuman. Dadurch wird auch noch etwas verstärkt, was bei psychiatrischen Krankheiten ohnehin oft stark vorhanden ist, nämlich das Schuldbewusstsein.