2 Karl Arnold: Vom Vertrauensausschuß zum Oberbürgermeister von Düsseldorf Rede des 1. Bürgermeisters der Landeshauptstadt Düsseldorf Dirk Elbers anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 50. Todestag von Karl Arnold am 21. Juni 2008 im Rathaus Düsseldorf 2 Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Rüttgers, sehr geehrter Herr Dr. Worms (Vorsitzender der Karl-Arnold-Stiftung), sehr geehrter Herr Lehne (MdEP), sehr verehrte Familie Arnold. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Gemeinsinn pflegen Mit großem Elan und Enthusiasmus stellte sich Karl Arnold ein Politikerleben lang der Herausforderung, die Demokratie in unserem Volke zu stärken und lebendig zu gestalten. Kein geringes Unterfangen, denn nach der Befreiung von der Hitler-Diktatur galt es, ein Klima zu schaffen, das die Entwicklung demokratischen Bewußtseins beförderte und möglichst breite Schichten in der Bevölkerung ansprach, sich aktiv am politischen Leben zu beteiligen. Beste Voraussetzungen brachte Karl Arnold für diese Aufgabe mit. Denn bereits 1929 zog der christliche Gewerkschaftler als Mitglied der Zentrums-Partei in den Stadtrat seiner Wahlheimat Düsseldorf ein. Achtundzwanzig Jahre jung wählte man ihn dort gleich in den Fraktionsvorstand. Doch mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten fand die ambitionierte Politikerlaufbahn jäh ein vorläufiges Ende. Zumindest in der Öffentlichkeit denn auch während der Schreckensherrschaft trafen sich demokratisch gesinnte Frauen und Männer in geheimen Zirkeln. Kurz vor dem Zusammenbruch der faschistischen Diktatur formierte sich der innere Widerstand zusehends deutlicher. Man bereitete sich auf die Situation nach dem Ende des Terrorregimes vor. 1944 wird Karl Arnold von der Gestapo verhaftet. Zum Glück entlässt man ihn nach kurzem Aufenthalt wieder aus dem Gefängnis in der Ulmenstraße. Selbstverständlich und sicher agieren wir heute in demokratischen Strukturen und Verhältnissen, so dass es uns seltsam anmutet, im Vergleich mit Ländern wie Frankreich, England und den USA als sehr junge Demokratie dazustehen. Lebensläufe wie der Karl Arnolds dokumentieren das anschaulich. Denn im Frühjahr 1945 konnten die politischen Akteure der Nachkriegszeit auf keine allzu große demokratische Tradition zurückblicken. Zu kurz war die Dauer der Weimarer Republik, um in breiten Bevölkerungsschichten die Spielregeln der Demokratie zu verinnerlichen und sie sodann als hohes Gut wehrhaft zu verteidigen. Kurz nach Kriegsende wird Karl Arnold in den von der Besatzungsmacht einberufenen „Vertrauensausschuß“ bestellt. Der Ausschuß wurde von den Briten eingesetzt, um mit verläßlichen Ansprechpartnern die Entwicklung demokratischer Strukturen zu fördern und den Aufbau einer funktionierenden kommunalen Verwaltung durchführen zu können. An der Schaffung und Durchsetzung einer demokratischen Ordnung im NachkriegsDeutschland ist Karl Arnold mit großer Energie und Willenskraft beteiligt. Demokratie fußt in wesentlichen Zügen auf dem Versprechen, sich an demokratischen Regeln zu orientieren und auf deren unbedingtem Einhalten zu beharren. 3 Mehrheitsentscheide bilden sich häufig im Vorfeld der parlamentarischen Auseinandersetzung auf dem Hintergrund richtungsweisender Zielvorstellungen, die zuvor auf der Ebene parteiinterner Diskussionen erarbeitet wurden. In den Parteien sucht das demokratische „Wir“ nach Organisationsformen und Rahmenbedingungen, sich geschlossen unter einem gemeinsamen Wertekanon zu artikulieren. Konsequent kam es im Nachkriegs-Deutschland zu zahlreichen Neugründungen und Neuauflagen von Parteien. Im Dezember 1945 wird in Bad Godesberg die CDU aus der Taufe gehoben. Wenig später appelliert Karl Arnold in seiner Funktion als CDU-Vorsitzender Düsseldorfs an seine Mitstreiter: „Werbt, liebe Freunde, für unsere Christlich-Demokratische Union. Freut Euch über die neue, 75 Jahre vergeblich erstrebte Einigung, über den neuen aufgeschlossenen, betont aufbauwilligen, aber auch unzerreißbar fest geschmiedeten Einheitsblock gläubiger Katholiken und Evangelischen.“ Während die Zentrums-Partei sich ausschließlich aus den Reihen der Katholiken rekrutierte, zählten von nun an die beiden großen Konfessionen gemeinsam zu den tragenden Säulen der CDU. Ob auf bundes-, landes- oder kommunalpolitischer Ebene, stets erfordert es das demokratische Spiel der Kräfte, Gegensätze auszutragen, um endlich in Kompromissen den Gemeinsinn zu entdecken. Dabei gilt es, den politischen Vergleich als wesentlichen Bestandteil demokratischen Selbstverständnisses zu begreifen und sein Ansehen nicht durch eine allzu leichtfertig und vorschnell angeführte Rede vom faulen Kompromiß in Mißkredit zu bringen. Denn der politisch klug erzielte Vergleich versucht nicht, widerstrebende Argumente und Positionen zu harmonisieren, sondern sichert die Handlungsfähigkeit, getragen von einer Mehrheit, die nicht gewillt ist, die Gegensätze aufzugeben, sich das momentan Machbare aber auch nicht durch anhaltenden Streit verunmöglichen lassen will. Auch nach fast sechs Jahrzehnten Demokratie in unserem Lande bedarf dieser Umstand noch der permanenten öffentlichen Darstellung und Vermittlung, will man der anhaltenden Politikverdrossenheit entgegenwirken. Schon die Einigung auf eine Verfassung beruht auf dem betont austarierten Kompromiß unterschiedlichster Gesellschaftsgruppen, sich eine Basis zu schaffen und allgemeingültige Regeln für ein gemeinsames Handeln zu geben. 4 Karl Arnold gehört zu den Gründungsvätern der Bundesrepublik und des Grundgesetzes. Mit sicherem politischen Gespür und analytischem Scharfsinn nahm er das Auseinanderdriften der östlichen und westlichen Besatzungszonen wahr und versuchte, einem endgültigen Bruch bei der Gründung der Bundesrepublik entgegenzuwirken und die Möglichkeit eines späteren Zusammenschlusses offenzuhalten. Wohlbedacht schlägt er deshalb vor, anstelle einer „Verfassungsgebenden Versammlung“ einen „Parlamentarischen Rat“ einzuberufen und nicht über eine „Verfassung“, sondern ein „Grundgesetz“ zu beraten. Ein sensibler Sprachgebrauch und wohldefinierte Begriffe sind oft zu wenig beachtete und gepflegte Instrumente, den politischen Dialog effizient zu halten, um den Nutzen für die Gemeinschaft zu mehren. Dabei ist die Sprache unser genuines Medium, die gegenstands- und problembestimmte Welt mit anderen zu teilen, um sich auseinanderzusetzen und im Wettstreit der Argumente der gemeinsamen Sache zu versichern, die wir als res publica „öffentliche Angelegenheit“ begreifen und fördern. Daher fordern Politiker wie Karl Arnold die Menschen und Bürger auf, ihren Gemeinsinn als gemeinsamen Sinn, sprich gesunden Menschenverstand, zu leben und aktiv am öffentlichen Leben teilzunehmen. Aus dieser Perspektive gestaltete er bürgernahe Politik. Im Januar 1946 wird Karl Arnold zum Oberbürgermeister Düsseldorfs gewählt. Herzenssache ist ihm der Wiederaufbau der Stadt und das schnelle Instandsetzen der Infrastruktur. Energisch setzt er sich bei den Besatzungsbehörden für die Grundversorgung der Bevölkerung ein. Bereits ein Jahr später tritt Arnold das Amt des Ministerpräsidenten an. Auch als Landesvater handelt er unbeirrt, seinen demokratischen Prinzipien verpflichtet, lebt er Demokratie vor. Seine Ziele verfolgend gerät er nicht selten in Widerstreit mit der Führung der Bundes-CDU. An der Grundlegung von Errungenschaften wie der sozialen Marktwirtschaft hat er entscheidend Anteil. Seine christlich soziale Orientierung begleitet ihn dabei ein Politikerleben lang. Die enorme Wichtigkeit einer sorgsamen journalistischen Berichterstattung, die in kritischer Darstellung und ausführlichem Kommentar die Bevölkerung über das politische Geschehen informiert, trieb Karl Arnold dazu, mit der Gründung der Rheinischen Post ein publizistisches Organ zu schaffen, das bis heute ganz im Sinne seines Urhebers aufklärt und die Grundlagen für eine breite öffentliche Diskussion liefert. Früh erkennt und propagiert der Herausgeber der Rheinischen Post das politische und wirtschaftliche Potential Europas. Leitmotivisch stellt er die enormen Vorteile gemeinschaftlichen Handelns einem allzu engstirnigen, nationalstaatlichen Denken gegenüber. 5 Überraschend und viel zu früh stirbt Karl Arnold 1958. Mitten in der politischen Arbeit reißt ihn eine Herzattacke aus seinem von Politik erfülltem Leben. Bereits ein Jahr nach seinem Tod wird die Karl Arnold Stiftung ins Leben gerufen. Erklärtes Ziel der Gesellschaft ist es, Demokratie als Willenskraft, die den Gemeinsinn als hohes Gut fördert, anschaulich ins Bewußtsein einer breiten Öffentlichkeit zu rücken. Ganz aus der Überzeugung Karl Arnolds heraus: Daß wir aus der Vielfalt leben, die uns stark macht und jene geistigen Kräfte erzeugt, um im demokratischen Gemeinsinn, die Welt mit anderen zu teilen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!