Hintergrundinformationen zur Bürgerinnenversammlung – Thema: Grundformen der Demokratie GRUNDFORMEN DER DEMOKRATIE Was ist Demokratie? Das Wort Demokratie leitet sich von den griechischen Wörtern demos = Volk und kratia = Herrschaft ab.1 Das heutige Verständnis von Demokratie ist ein Sammelbegriff für moderne Lebensformen und politische Ordnungen. A) Demokratie ist die Grundlage moderner Lebensformen: Demokratie bedeutet Freiheit - zu individuellen Entscheidungen - zu individuellen Handlungen - zu individueller Verantwortung Demokratie garantiert - individuelle Gleichheit vor Recht und Gesetz - den Schutz von Minderheiten Demokratie ermöglicht zahllose Formen gesellschaftlicher Vereinigungen auf der Grundlage von freiwilligem, gemeinsamem und solidarischen Handeln B) Demokratie schafft die Grundlage für die Vielfalt moderner Ordnungen, deren Kennzeichen die Volkssouveränität und die Beschränkung politischer Herrschaft ist 1.) Das Volk ist oberster Souverän (= Herrscher) 2.) Das Volk übt nicht selbst die Herrschaft aus; dies erledigen politische und gesellschaftliche Einrichtungen wie Parlamente, Parteien und Verbände. Gesetzlich geregelte Teilhabeverfahren z. B. Wahlen regeln dies. Die Strukturen dieser Teilhabeverfahren kann man in repräsentative und direktdemokratische Verfahren einteilen. 1 Quelle: de.wikipedia.org/wiki/Demokratie, Recherche: 18.01.2012 Bildungswerk des Bayer. Landesverbandes des Katholischen Deutschen Frauenbundes e.V. 1 Hintergrundinformationen zur Bürgerinnenversammlung Komplexe Gesellschaften wie die Bundesrepublik Deutschland sind vor allem repräsentative Demokratien, d. h. das Volk wird von Repräsentanten z. B. den Abgeordneten vertreten. Kleinteilige Staatsgebilde (wie z. B. die Schweiz mit ihren Kantonen) können stark direktdemokratisch ausgeprägt sein. Direktdemokratisch bedeutet hier viele Versammlungen mit Abstimmung der einzelnen Bürgerinnen und Bürger. Aber auch Bürgerinitiativen, Bürgerversammlungen, Demonstrationen und ähnliche Aktivitäten bestehen als direktdemokratische Elemente in einer repräsentativen Demokratie. 3.) Die Ausübung der politischen Herrschaft ist in Demokratien durch das Rechtsstaatsprinzip beschränkt. Verfassungen (in Deutschland das Grundgesetz) bilden die Grundlage der staatlichen Ordnung. Diese Rechte sind einklagbar. 4.) Politische Machtausübung ist außerdem durch die Gewaltenteilung (Legislative, Exekutive, Judikative) beschränkt, was zu gegenseitiger Abhängigkeit und gleichzeitig zu gegenseitiger Kontrolle der staatlichen Organe führt. In Deutschland kommt durch das föderalistische System eine vertikale Gewaltenteilung hinzu: Bund und Länder. 5.) Weitere Kontrollfunktionen gegenüber der staatlichen Macht üben die Medien aus. Aber auch die Freiheit der einzelnen Bürgerinnen und Bürger zu politischem Engagement (in Parteien, Verbänden und Initiativen) bedeutet eine Beschränkung staatlichen Handelns.2 Geschichte der Demokratie Entstehung erster Demokratien in Europa Demokratie entstand in Europa ca. 400 Jahre vor Christus im antiken Griechenland. Ein Lebensgefühl für Mitte und Maß, ein Abkehren von der Herrschaftsform der „Tyrannis“ und ein Hinwenden zum Wert der Gleichheit liegt zu Grunde. Volksversammlungen wurden für freie Männer einberufen. Der griechische Philosoph Aristoteles beschrieb die Demokratie im antiken Stadtstaat Athen als die „Herrschaft der Vielen“ im Gegensatz zur Herrschaft der Wenigen oder des Einen (Aristokratie, Monarchie, Tyrannei).3 Frauen in der Demokratie In der Antike galten Frauen, Sklaven und Zugezogene nicht als Bürger und waren somit von den Volksversammlungen und der demokratischen Gestaltung des öffentlichen Lebens ausgeschlossen. Mit der Herausbildung von Demokratien in Nordamerika und seit der Französischen Revolution in Europa traten gleichzeitig Frauen aus dem Privatbereich heraus und begannen 2 Vgl.: Schubert / Klein: Demokratie, in: Das Politlexikon, 5. Auflage, Bonn 2011 3 Vgl.: Ottmann; Henning: Geschichte des politischen Denkens. Die Griechen. Band 1/1, S. 92 ff., Stuttgart 2001 2 Bildungswerk des Bayer. Landesverbandes des Katholischen Deutschen Frauenbundes e.V. Hintergrundinformationen zur Bürgerinnenversammlung – Thema: Grundformen der Demokratie öffentlich und politisch zu wirken. Ca. 100 Jahre nach der Emanzipation der Männer von den „Vatergestalten“ der Könige und Fürsten emanzipierten sich auch die Frauen politisch von der Vorherrschaft der Männer. Sie errangen das aktive und passive Wahlrecht und wurden berechtigt und verpflichtet am politischen Geschick des Staates mitzuwirken. Demokratieformen weltweit - - - - Demokratien westlicher Prägung Kennzeichen ist vor allem die Pluralität (unterschiedliche Parteien, Interessensverbände, freie Presse) der unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen und politischen Strömungen, die freie Meinungsäußerung und die Achtung der Menschenrechte. Diese Form der Demokratie wurde in Deutschland (zunächst in West-Deutschland) nach dem 2. Weltkrieg immer stärker ausgeprägt. Volksdemokratien (z. B. Volksrepublik China, ehemalige DDR) Kennzeichen: Zwar geht die Gewalt vom Volk aus, doch es gibt nur eine Ausrichtung der Politik; Verbände sind „gleichgeschaltet“, keine Pluralität von Parteien, Zensur der Presse, wenig individuelle Gestaltungsmöglichkeiten des täglichen Lebens und der Meinungsbildung. Beschädigte Demokratien sind Staaten, in denen die demokratische Ordnung zerfällt oder sich nicht ausprägen kann (z. B. Irak, Russland, Afghanistan) Ein Demokratiedefizit liegt vor, wenn wenig Einfluss der Bürgerinnen und Bürger auf einen Staat oder einen Staatenverbund möglich ist. Beispiel: Es gibt immer noch wenig Einfluss der Bürgerinnen und Bürger auf die Politik der EU, deren Richtlinien in den einzelnen Mitgliedstaaten umzusetzen sind. Deshalb wird zunehmend mehr Mitspracherecht der Bürgerinnen und Bürger geschaffen. Dazu wird das Europäische Parlament mit immer mehr Einflussmöglichkeiten versehen und neue Rechte für EU-Bürger eingeführt, wie z. B. seit 2010 die Möglichkeit der „Europäischen Bürgerinitiative“. Derzeit (bis September 2013) läuft eine Europäische Bürgerinitiative gegen die von der EU befürwortete Privatisierung der Wasserversorgung in den Kommunen. An diesem Beispiel zeigt sich deutlich, wie EU-Entscheidungen sich bis auf die unterste Verwaltungsebene, also auf die Stadt- und Gemeindeverwaltungen auswirken können. Das Recht zur „Europäischen Bürgerinitiative“ zeigt aber auch, dass Bürgerinnen und Bürger in einer Demokratie nicht machtlos jede politische Entscheidung hinnehmen müssen und zunehmend Rechte erhalten, um sich zu wehren. Bildungswerk des Bayer. Landesverbandes des Katholischen Deutschen Frauenbundes e.V. 3 Hintergrundinformationen zur Bürgerinnenversammlung Ausprägungen unterschiedlicher Demokratiestrukturen A) Unterscheidung in Direktdemokratie und Repräsentative Demokratie 1. Direktdemokratie / Basisdemokratie = Die Bürger stimmen selbst in Volksversammlungen ab. Bürgerversammlungen, Bürgerinitiativen, Demonstrationen und Bürgerentscheide sind Möglichkeiten der politischen Artikulierung an der Basis. Repräsentative Demokratie = Abgeordnete vertreten Bürgerinnen und Bürger im Parlament. Wahlen und die vorausgehenden Wahlkämpfe spielen hier eine große Rolle. 2. Diese Unterscheidung bezieht sich auf das Abstimmungsverfahren. In den demokratischen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften hat sich die repräsentative Demokratie etabliert, z. B. in Deutschland. Direktdemokratische Elemente und Bewegungen erfreuen sich jedoch bei Bürgerinnen und Bürgern zunehmender Beliebtheit.4 Die Unterscheidung Direktdemokratie und Repräsentative Demokratie ist besonders wichtig auf kommunaler Ebene. So sollte die Bürgerinnenversammlung (direktdemokratisches Element der Kommunalpolitik) nicht gerade während des Wahlkampfes (repräsentatives Element der Kommunalpolitik) stattfinden, damit die Bürgerinnen nicht von Wahlkampfthemen verwirrt werden und sich auf die eigenen Ziele besinnen können. Außerdem sind direktdemokratische Handlungsweisen geeignet, um „wahlmüde“ Bürgerinnen wieder am Gemeinwesen zu interessieren. B) Unterscheidung in Konkordanz- und Konkurrenzdemokratien 1.) Die Konkordanzdemokratie will eine möglichst große Anzahl von Gruppen in den politischen Prozess einbinden. Bei Entscheidungen spielt die Mehrheitsregel keine große Rolle. Ausschlaggebend ist das Erreichen eines Konsenses (= Übereinkunft). Typisch ist dabei das Regieren mit einer „großen Koalition“ aus mehreren Parteien. 2.) In der Konkurrenzdemokratie stehen sich zwei starke Parteien gegenüber: Regierungspartei und Opposition. Der Opposition kommt dabei auch die Kontrolle der Regierung zu. In Deutschland prägte sich nach und nach eine starke Opposition heraus. Somit 4 4 Siehe auch oben: Was ist Demokratie? B), 2.), S 1 f. Bildungswerk des Bayer. Landesverbandes des Katholischen Deutschen Frauenbundes e.V. Hintergrundinformationen zur Bürgerinnenversammlung – Thema: Grundformen der Demokratie entwickelte sich Deutschland immer mehr in Richtung Konkurrenzdemokratie, auch wenn die Regierung nicht von einer Partei gestellt wird, sondern zusätzlich noch von einer kleineren Partei unterstützt wird. C) Unterscheidung in präsidiale und parlamentarische Demokratie 1.) Präsidiale Demokratie Es gibt zwei Volkswahlen: Die Parlaments- und die Präsidentenwahl. Die Präsidentin / der Präsident ist zugleich Staatsoberhaupt und Regierungschef und hat daher eine starke Machtfülle, z. B. in den USA und in den südamerikanischen Staaten. 2.) Parlamentarische Demokratie Die Kompetenzen des Parlaments sind in dieser Regierungsform stark ausgeprägt. Es wird vom Volk direkt gewählt. Die Regierungschefin (in Deutschland die Kanzlerin) bzw. der Regierungschef hat eine starke Stellung, ist aber vom Parlament abhängig und geht aus diesem hervor bzw. kann von diesem abgesetzt werden. Staatsoberhaupt (in Deutschland der Bundespräsident) und Regierungschef sind in der parlamentarischen Demokratie zwei unterschiedliche Personen. Bedeutung von direktdemokratischem Handeln Direktdemokratisches Handeln bedeutet, dass die einzelnen Bürgerinnen und Bürger im politischen Prozess „mitmischen“. Der deutsche Politiker Heiner Geisler geht in seinem Buch „Sapere aude“ (lat.: Wage zu denken) davon aus, dass sich seit einigen Jahren in der Zivilgesellschaft eine neue Art der Aufklärung verbreitet. Diese deutet er als Widerstand gegen und als Antwort auf ökonomischen Absolutismus, auf klerikalen Absolutismus, auf islamischen Absolutismus, auf autoritäre Politik. Er sieht in den direktdemokratischen Elementen der Politik sogar eine Chance für die repräsentative Demokratie. „Eine immer größere Rolle für eine aufgeklärte Gesellschaft spielen neben den virtuellen die realen Netzwerke, nicht um sich das selbständige Denken abnehmen zu lassen, sondern um die eigene Position mit anderen Sichtweisen zu konfrontieren und auf den Prüfstand der Vernunft zu stellen. Dieser Wissens- und Faktencheck erleichtert die kritische Reflexion eigener Gedanken auf dem Hintergrund nicht nur technischer und ökonomischer Kenntnisse, sondern ebenso der Geschichte, der Geisteswissenschaften, der Bildungswerk des Bayer. Landesverbandes des Katholischen Deutschen Frauenbundes e.V. 5 Hintergrundinformationen zur Bürgerinnenversammlung Literatur und Kunst. Der Durchbruch zu einer aufgeklärten Gesellschaft mit mündigen Bürgern kann nur von ihnen selber kommen: ‚Sapere aude!’“5 „Die vielfältigen Formen ziviler Bürgerbeteiligung – also etwa die Ökologie-, die Anti-Atomkraft-, die Frauen- und die Occupy-Bewegungen – sind eine Chance für die repräsentative Demokratie und das notwendige Korrektiv zum herrschenden politischen und ökonomischen Absolutismus. Dieser Absolutismus – und nicht der Wutbürger – bedroht die Demokratie, denn die Politik läuft Gefahr, den angeblichen Erfordernissen einer globalen Wirtschaft mehr zu gehorchen als ihren eigenen Wählern.“6 Viele Initiativen und Aktivitäten der Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen spiegeln auch heute noch die Motive für den Aufbau der Demokratie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wider: Demokratie sollte sich einerseits klar gegen den Nationalsozialismus in der Vergangenheit und andererseits gegen den Kommunismus abgrenzen. So gibt es z. B. in manchen Gemeinden „Runde Tische gegen Rechts“ oder „Runde Tische gegen Rechts und Links“. Man zeigt sich gleichzeitig weltoffen und aufgeschlossen gegenüber Fremden durch Initiativen wie z. B. „Wunsiedel ist bunt“. Bürgerinitiativen gründen sich sehr schnell, wenn Bürger in einer öffentlichen Sache von der Politik übergangen werden, etwas „diktiert“ bekommen oder wenn sie sich an „ihrem“ Wohnort für eine bessere Zukunft einsetzen wollen. In den Gemeinden kommen Bürgerinnen und Bürger direkt mit öffentlichen Angelegenheiten in Berührung und haben hier die stärksten direkten Mitwirkungsmöglichkeiten. So haben Freie Wählergruppen, auch Frauenlisten, durchaus Chancen bei Kommunalwahlen. Aber auch die Aktivitäten von Bürgerinitiativen oder die Anträge der einzelnen Bürgerin bei Bürgerinnenversammlungen versprechen Erfolg. Text und Zusammenstellung: Christel Mittermaier, Referentin für politische Bildung beim Bayerischen Landesverband des KDFB. München im Februar 2013 5 Vgl.: Geisler, Heiner: Sapere aude. Warum wir eine neue Aufklärung brauchen, S. 120 f., Berlin 2012 6 6 Ebd., S. 146 Bildungswerk des Bayer. Landesverbandes des Katholischen Deutschen Frauenbundes e.V.