Autorsprecher

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Hessischer Rundfunk
Redaktion: Heike Ließmann
Aufnahme: Marlene Breuer
WISSENSWERT
Texte des Terrors
Analysen islamischer Kampfansagen
Von
Ruthard Stäblein
Sendung: 01.02.2007, 8.30 –8.45 Uhr, hr2
Autorsprecher
Zitatsprecher
Übersetzer Gilles Kepel
07-004
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Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks.
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Autorsprecher:
Eine rhetorische Masche begründet die Tötungsmaschinerie. Sie
heißt Metonymie. Pars pro toto: Das Teil steht für das Ganze.
Zitatsprecher
“Ich und tausend andere wie ich. Wir geben alles auf für unseren
Glauben. Wir werden nicht durch die Reize und Waren dieser Welt
motiviert. Unsere Religion ist der Islam. Wir gehorchen dem einen
wahren Gott, Allah, wir gehorchen dem einen wahren Gott, Allah.”
Autorsprecher:
Fanatiker, das sind nach dem lateinischen Ursprung des Wortes
Gläubige. Sie geben ihre Individualität auf für die Befehle ihres
Führers. Setzen so ein Fanal. Einer für alle, lautet die Rhetorik der
mediengewandten Terroristen. Al-Qaida-Fans wie ihre Führer
nutzen diese “fanatische” Sprache:
Der Pariser Islamwissenschaftler Gilles Kepel untersucht
das pars-pro-toto-Prinzip in den Texten von Al Qaida. Er
kommentiert eine Passage aus den “Taktischen Empfehlungen”
von Osama Bin Laden vom Dezember 2002, in dem der Führer
von Al Qaida die Selbstmordattentäter des 11. Septembers
rechtfertigt: Zitat Bin Laden:
Zitatspecher:
“ Mit fester religiöser Überzeugung, den Glauben im Körper
verankert, zerstörten sie die Totempfähle Amerikas. So stürzten
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sie die Zwillingstürme in New York mit der Nase in den Staub und
schleuderten Amerikas Arroganz in den Dreck.
Der Mythos vom großen Amerika ist eingestürzt!
Der Mythos der Demokratie ist eingestürzt! ”
Autorsprecher
Dazu der Kommentar von Gilles Kepel:
(p) Kepel 1
Synchro-Sprecher für Kepel
“In Wirklichkeit zerstört man nicht Amerika sondern nur sein
Symbol. Man zerstört einen Teil Amerikas und vermittelt so den
Fernsehzuschauern und den Sympathisanten den Eindruck, daß
man dazu fähig ist, alles zu zerstören. Dieses Prinzip der
Metonymie paßt zur heutigen Sprache der Medien. In der Sprache
der Fernsehnachrichten genauso wie in der Sprache der Fiktion.
Die Metonymie ist ein wesentliches Merkmal der Fiktion. Bin
Laden und Sawahiri verstehen es diese Sprache der
Fernsehnachrichten auszunutzen, sie verstehen es, den
dramatischen plot von Hollywood in die Fernsehnachrichten
einzubauen.. So benutzen sie die Metonymie, um die Massen zu
mobilisieren.
Autorsprecher:
Das Fernseh-live- Bild vom 11. September suggeriert die Allmacht
von Al Qaida.
Und Ideologen wie Al Sawahiri oder
Bin Laden liefern den
rhetorischen Sprengstoff, wie zum Beispiel Bin Laden in seiner
“Botschaft an das amerikanische Volk” vom 30. Oktober 2004,
zwei Tage vor der amerikanischen Präsidentschaftswahl. Stolz
verkündet er:
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Zitatsprecher:
“Al Qaida hat für die Operation am 11. September 500-tausend
Dollar ausgegeben, während Amerika durch das Ereignis und
seine Auswirkungen, vorsichtig geschätzt, 500 Milliarden Dollar
verloren hat. Das heißt, jeder Dollar von Al Qaida hat eine Million
Dollar vernichtet dank des allmächtigen Gottes.”
Autorsprecher:
1 Dollar Einsatz ergibt 1 Million Schaden. Einer spricht für
Millionen. Mit diesem verbalen Prinzip, mit der Wunderwaffe
Metonymie, wendet sich Osama Bin Laden in Videobotschaften an
seine Kämpfer. Er spricht sie im Namen aller Muslime an:
Zitatsprecher:
“Sie erwarten von euch, daß ihr Amerika und Israel zerstört.”
Autorsprecher:
Welch eine Anmaßung. Ein paar Djihadisten sollen ganz Israel,
ganz Amerika vernichten.
Selbst der Name ist metonym. Al Qaida, auf arabisch heißt es:
Basis, Fundament, Regel . Al Qaida war am Anfang nur die
Bezeichnung für ein Basislager am Hindukusch.. George W. Bush
hat das mißverstanden:
(p) Kepel 2
Sprecher für Kepel
Ab 3´05 – 3´51
“Die Amerikaner haben diese Metonymie für das Objekt selbst
gehalten. Sie glaubten, wenn sie dieses Basislager in Afghanistan
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bombardierten, würden sie Al Qaida zerstören. Wenn man aber
die Erklärung im Text von Bin Laden genau anschaut, sieht man,
daß Al Quaida auch eine Metapher ist. Denn er sagt, wir sind die
Gesamtheit der Muslime von Indonesien bis nach Mauretanien. Al
Qaida bedeutet also nicht mehr allein Basislager, sondern Basis,
im Sinne von Basisdaten, von Datenbasis. Selbst wenn sich die Al
Qaida Kämpfer persönlich in Afghanistan getroffen haben, sind sie
in Kontakt miteinander aufgrund der Datenbasis, die die website
darstellen. So versteht man auch, daß diese Texte nur aufgrund
des Internets funktionieren.”
Autorsprecher
Ein Meister der Videobotschaften war Abu Mussab Al Sarquawi,
der “Schlächter von Bagdad”, wie er genannt wurde. Er starb bei
einem Bombenabwurf im Juni 2006. Al Sarquawi soll im Mai 2004
persönlich den amerikanischen Geschäftsmann Nicholas Berg
enthauptet haben. Das Video der Ermordung wurde im Internet und
über Fernsehkanäle verbreitet. Al Sarquawi verkündete auch per
Internet:
Zitatsprecher
“Wir sind fest entschlossen, den Medien ordentlich Futter zu
geben.”
Autorsprecher:
Al Sarquawi war vor seinem Tod zum Führer von Al Qaida im
Irak aufgestiegen. Über das Internet designierte er sein neues
Opfer, die Glaubensgemeinschaft der Schiiten:
Zitatsprecher
“Die Häretiker sind der unmittelbare Todfeind”
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Autorsprecher
Dazu Gilles Kepel
(p) Kepel 3
Sprecher für Kepel
“Sarquawi schreibt einen polemischen Text, in dem er die Schiiten
Rafida nennt, was auf arabisch soviel wie Häretiker, Ketzer,
heißt. Er betrachtet sie also als würdig für den Scheiterhaufen, wie
einstmals die Katholiken, die die Protestanten für den
Scheiterhaufen bestimmt sahen.”
Autorsprecher
Al Sarquawi hatte als Ziel für die Anschläge von Al Qaida im Irak
die Heiligtümer der Schiiten auserkoren. Für den Sunniten Al
Sarquawi sind die Schiiten vom Glauben an den einen, wahren
Gott Allah abgefallen. in seinen Augen sind es “Polytheisten”, weil
sie bei der Selbstgeiselung angeblich einen Nachfahren des
Propheten Mohammed als Heiligen verehren.
Um die Attentate auf diese Muslime zu legitimieren, stützt er sich
auf einen Ausspruch von Mohammed:
Zitatsprecher:
“Wenn du ihnen begegnest, töte sie, denn es sind Polytheisten.”
(P) Kepel 4
Sprecher für Kepel
“Wenn der Kampf von Al Quaida in das Massaker von
Schiiten mündet, wie man es heute im Irak praktiziert, dann
wird das kein Djihad mehr sein, ein Krieg für die Verbreitung des
Islam, sondern eine Fitna, das heißt ein Krieg im Innern des Islam,
die Muslime zerstört, indem sie sie gegeneinander aufhetzt. Das
ist das Symbol der Apokalypse für die traditonellen Gläubigen des
Islam.”
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Autorsprecher:
Seit dem Irakkrieg hat Al Qaida aus taktischen Gründen die
Zielgruppe erweitert. Die Metonymie wird noch gesteigert:
Ungläubiger, Amerikaner, Westler, Jude, Schiit: alles ein Pack von
Polytheisten. Die muslimischen Schiiten und ihre Heiligtümer, der
Einzelne wie das Ganze, sie sind nun ihre bevorzugten Opfer.
Der Pariser Islamwissenschaftler Gilles Kepel und sein Team vom
“Institut d`Études Politiques” haben in den Texten von Al Qaida die
Strategien des islamischen Terrorismus erkundet. Im deutschen
Sprachraum hat der Wiener Religionswissenschaftler Clemens Six
die Grundstrukturen fundamentalistischen Denkens auch bei
anderen Religionsgemeinschaften erforscht. Gemeinsam ist allen
Fundamentalisten nach Six, daß sie sich selbst als Heilsbringer
verstehen. Sie sehen sich als Vollzugsorgane eines gottgewollten
Heilsplanes. Man selbst stellt die Hand Gottes in der Geschichte
dar. Erst mit der Apokalypse, mit dem Zusammenbruch der
gegenwärtigen Welt, wird das Reich Gottes kommen. Diesen
Zusammenbruch gilt es zu beschleunigen. Also gerieren sich
Fundamentalististen auch als politische Strategen. Wie Clemens
Six anhand der islamischen Fundamentalisten beschreibt:
(p) Al Quaida Texte Six Logik des Endzeitlichen Kampfes
“Kalkül war die außenpolitische und militärische Reaktion der
USA. Mit der Gegenreaktion sollte der endzeitliche Kampf
Wirklichkeit werden. Die Außenpolitik der USA wurde so zum
Erfüllungspropheten der Fundamentalisten. Sie hat sich so
instrumentalisieren lassen.”
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Autorsprecher
“Apocalypse now” spielt heute im Irak. Die Rechnung von Al
Quaida – 1 zu einer Million – ging also erst durch die provozierte
und kalkulierte Gegenreaktion seitens der Bush-Administration
auf.
Die Rhetorik der Metonymie oder der Kampf um Symbole wirkt als
Brandbeschleiniger: Man greift Botschaften an, nimmt Geiseln,
zerstört symbolische Gebäude, um den übermächtigen Gegner zu
reizen.
(p) Al Quaida Texte Six Symbole
“Das Denken in Symbolen ist per se zentral in der religiösen
Sprache. Gerade in Situationen, wo man den endzeitlichen Kampf
beginnt, ist es ganz wichtig, diesen Kampf in Symbolen bereits
beginnen zu lassen. Weil ein realpolitischer Kampf zwischen
islamistischen Gruppen und den USA so nicht möglich ist,
fokussiert man sich auf Ereignisse, wo pars pro toto der
symbolische Akt für die Geamtauseinandersetzung steht, die
dahinter ist. Der Irak ist dafür ein willkommenes Ereignis für die
Fortsetzung der Konfrontation.”
Autorsprecher
Also gerade keine sich selbst erfüllende Prophezeiung: nicht die
Apokalypse ereignet sich sondern der Gegner ist auf die religiösen
Propheten hereingefallen. George Bush erscheint als Werkzeug in
der Hand der islamischen Fundamentalisten: wenn er seine
massiven militärischen Mittel einsetzt für einen Feind, der im
Vergleich dazu geringe Mittel hat, der sich der direkten
militärischen Konfrontation entzieht, im Netzwerk verschwindet,
sich nur virtuell im Internet meldet, oder zu spektakulären, von den
Medien begleiteten Aktionen ausholt.
Eine weitere Grundlage aller Fundamentalisten ist die Einbindung
des Einzelnen in die Gemeinschaft. Die Ersetzung des
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Individuums, des Ich, durch das Man der Mannschaft. Für diesen
Aspekt interessiert sich Harry Behr. Er hat als junger Mann in
Djakarta in Indonesien gelebt und ist zum Islam übergetreten. Der
ehemalige Grund- und Hauptschullehrer ist Professor für
islamische Religionslehre an der Universität von Erlangen.
Die totalitäre Struktur Al Qaidas definiert er so:
(p) Al Quaida Texte Behr (Bär) totalitäre Gemeinschaft kurz
(52”)
“Es gibt eine wichtige Grundstrategie. Sie läuft darauf hinaus: Die
Gemeinschaft ist alles, der Einzelne ist nichts. Der Zweck heiligt
die Mittel. Die autonomen Regelinstanzen des vernunftbegabten
Individuums werden geleugnet. Was richtig ist, ist Sache der
Gemeinschaft und ihrer Leitung. Was ich zu denken habe und was
richtig ist, wird von außen vorgezeichnet. Das ist im Grunde
genommen ein faschistisches oder totalitäres System, das in das
Muster von jungen Menschen fällt, die auf der Suche nach
Orientierung sind.”
Autorsprecher
Heranwachsende Jugendliche auf Sinnsuche, gerade die hat
Harry Behr im Blick, wenn er den Islam als Religion verteidigt
gegen den Islam als Ideologie. Gegen die Verführer, die einzelne
Suren aus dem Koran zitieren, die die Gewalt rechtfertigen, aber
dabei den Kontext vergessen, in dem sie im Koran stehen.
(p) Al Quaida Texte Behr 2 Vaterfigur
“Wir müssen wirklich danach fragen, wo der spiritus rector sitzt,
wo der Typus des Funktionärs sitzt, das sind ja immer die Älteren,
die Vaterfigur, die des älteren Bruders, die hier ein gezieltes
Interesse verfolgen. Die diese jungen Leute aus der Gemeinschaft
herausziehen, die auch wieder aufgefangen werden können, von
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einer guten Gemeinschaft. Wir haben es hier mit einer
Instrumentalisierung des Djihads zu tun.”
Autorsprecher
Der Professor für islamische Religionslehre wehrt sich gegen
diese Vereinfachung des Islam durch die Ideologen, die “Alten
vom Berg”, die Führer, die ihren Schülern vorgefertigte Antworten
geben, ihnen vorschreiben, was gut und böse, richtig und falsch
ist. Harry Behr lehrt seinen Studenten eine Religion, in der Fragen
offen gehalten werden. Identität ist für ihn eine ständige”
Baustelle” und kein Fertigprodukt. Er setzt auf Leute wie den
Beifahrer in dem Lastwagen in Kartoun, der beim Attentat auf die
amerikanische Botschaft im Sudan im letzten Moment
abgesprungen ist. Die Funktionäre des Djihad entwickeln ihre
unerbittlich strenge Logik der Identität, aber der Islam weist viele
Wege ins Offene:
(p) Al Quaida Texte Behr 3 Gewissen neu
A. Wenn sich der Ausreißer und Idealist und der Funktionär
begegnen,E: wie man junge Menschen dagegen immunisieren
kann, solchen Rattenfängern auf den Leim zu gehen.”
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Literatur:
Der Wissenswert-Sendung liegen Texte aus dem folgenden Buch zugrunde:

Gilles Kepel, Jean-Pierre Milelli (Hg.): Al-Qaida. Texte des Terrors;
Piper Verlag, München 2006; die französische Originalausgabe : Presses
universitaire de France, 2005
Von Gilles Kepel liegen außerdem auf deutsch vor:

Die Rache Gottes.Radikale Moslems, Christen und juden auf dem Vormarsch,
1991

Das Schwarzbuch des Dschihad. Aufstieg und Niedergang des Islamismus, 2002

Die neuen Kreuzzüge. Die arabische Welt und die Zukunft des Westens, 2004
Clemens Six, der in der Sendung zu Wort kommt, hat veröffentlicht:

Religiöser Fundamentalismus. Vom Kolonialismus zur Globalisierung von
Clemens Six, Martin Riesebrodt, und Siegfried Haas, Studien Verlag (Broschiert Februar 2005)
Harry Behrs Antrittsvorlesung an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät
Erlangen:
Innere Heimat Islam; www.izir.uni-erlangen.de
Zum Thema außerdem:

Lettre International 75 (Winter 2006)
Darin: Roger Friedland: Konstituierende Gewalt. Liegt dem Terror-Krieg ein Konflikt
politischer Theologien zugrunde?
(Dossier: Gott, Geld, Gewalt)
Weitere Literatur zum Thema Fundamentalismus:

Karen Armstrong: Im Kampf für Gott: Fundamentalismus in Christentum,
Judentum und Islam, Siedler-Verlag 2004

Wilhelm Heitmeyer, Joachim Müller, Helmut Schröder:
Verlockender Fundamentalismus. Türkische Jugendliche in Deutschland,
Suhrkamp 1996

Madeleine K. Albright: Der Mächtige und der Allmächtige, Droemer, 2006
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