Vorlesung im Herbstsemester 2010 Martine Nida-Rümelin Handout 1 Allgemeine Informationen zur Vorlesung: Die ‚Vorlesung’ ist keine Vorlesung. Es wird kein fertiger Text präsentiert, es gibt auch keinen fertigen Text zur Vorlesung. Bei jeder Sitzung wird ein handout verteilt. Das handout ist nicht dazu geeignet, den Inhalt der Vorlesung nachzulesen. Es dient dazu, Ihnen beim Zuhören das Verständnis zu erleichtern und soll es Ihnen möglich machen, weitgehend auf das Mitschreiben wichtiger Punkte verzichten zu können, sodass Sie mehr Ruhe zum mitdenken haben. Das handout ist jeweils ab Freitag nach der Vorlesung auf Gestens in der Dokumentation zur Vorlesung zugänglich. Jede Sitzung besteht aus 2 Teilen (je 45 Minuten, dazwischen 15 Minuten Pause). Im ersten Teil werde ich einen kleinen Vortrag halten. Zwischenfragen (vor allem Verständnisfragen) sind willkommen. Im zweiten Teil soll hauptsächlich Gelegenheit zu einem Gespräch bestehen, in dem der Inhalt des Vorgetragenen weiter diskutiert und geklärt werden soll. Ferner werden Fragen besprochen, die Sie zum Inhalt der Vorlesung haben oder zu Texten, die zur Lektüre empfohlen wurden. (Abweichungen von dieser Zweiteilung werden vorkommen.) Es ist dringend empfohlen an beiden Teilen der Veranstaltung anwesend zu sein. Allgemeine Informationen zu den Prüfungen zur Vorlesung: Es wäre sehr schön, wenn Sie die Vorlesung in erster Linie aus Interesse an der Sache und nur in zweiter Linie mit dem Nebenziel des Erwerbs von ECTS-Punkten besuchen. Willkommen sind auch Teilnehmer, die nicht vorhaben, in dieser Vorlesung Punkte zu erwerben, aber aus Interesse teilnehmen wollen. Die Prüfung findet in Form eines Gesprächs über Inhalte der Vorlesung statt. Sie werden die Möglichkeit haben aus verschiedenen Themen, die bald bekannt gegeben werden und dazu gehörigen Texten auszuwählen. Bei der Prüfung kommt es vor allem darauf an, dass Sie die von Ihnen gewählte Thematik gut verstanden und durchdacht haben. Nähere Informationen werden später zur Verfügung gestellt. Es wird nicht in jeder Sitzung, aber gelegentlich, ein Text zum Lesen empfohlen. Sie sind nicht verpflichtet, jeden dieser Texte zu lesen, werden aber sicher viel mehr von der Vorlesung profitieren, wenn Sie sich Zeit nehmen für diese Lektüre. Zugleich bereiten Sie sich auf die Prüfung vor, wenn Sie es tun. Die angegebenen Texte werden als Prüfungsmaterial zur Auswahl stehen. Wenn Sie begleitend zur Vorlesung zwischen den Vorlesungen lesen, werden Sie die Vorlesung wahrscheinlich als deutlich anregender empfinden als wenn Sie dies unterlassen. Außerdem ist es sicher sinnvoll, die handouts der vorangehenden Vorlesung jeweils kurz vorher nochmals anzuschauen (jedenfalls dann, wenn es mit der gleichen Thematik weitergeht). Zum Inhalt der Vorlesung: Es wird versucht, eine Einführung in die systematische Philosophie zu geben, welche wichtige ‚Werkzeuge’ der Philosophie erläutert und anhand von konkreten Anwendungsbeispielen illustriert. Ich hoffe, dass Sie dabei auf philosophische Fragen stoßen, die Sie so gefangen nehmen, dass Sie eigenständig oder mit anderen Studenten weiter darüber nachzudenken und/oder weiter darüber nachzulesen wollen. Die Hauptthemen der Vorlesung: Begriffliche Analyse und Intuitionen Phänomenologische Reflektion Bedeutung formaler Mittel (Logik, Entscheidungstheorie, Wahrscheinlichkeitstheorie) Das Verhältnis der deutschprachigen Vorlesung im Herbst zur französischsprachigen Vorlesung im Frühling: Die beiden Vorlesungen können unabhängig voneinander, aber auch beide besucht werden. Die Vorlesungen ergänzen sich wechselseitig. Es werden unterschiedliche Debatten als Beispiele behandelt und es wird von unterschiedlichen ‚Werkzeugen’ die Rede sein. Intuitionen (Teil 1) Erstes Beispiel: die philosophische Diskussion um die korrekte Analyse von Wissen. Bemerkung: die Rede ist von Wissen um einen Sachverhalt (propositionales Wissen). Frage: Worin besteht Wissen? Oder: Was genau wird behauptet, wenn man von jemandem sagt, dass er etwas weiß. Klassische, schon in der Antike vorgeschlagene Lösung. X weiss, dass p gilt genau dann wenn (a) X glaubt, dass p (b) X gute Gründe hat zu glauben, dass p und (c) p wahr ist. Berühmtes Gegenbeispiel (Gegenbeispiele dieser Art hat als erster Gettier entdeckt): Jemand fährt durch eine Landschaft und sieht (vermeintlich jedenfalls) an vielen Plätzen Hütten herumstehen. Als er zu einem bestimmten Zeitpunkt an einer bestimmten Hütte vorbeifährt, bildet er aufgrund seiner Wahrnehmung die Meinung, dass da eine Hütte ist. Tatsächlich handelt es sich um eine Hütte (d.h. Bedingung c ist erfüllt). Er hat gute Gründe dies zu glauben. (Er verlässt sich auf seine Wahrnehmung, er hat keinen Grund an der Verlässlichkeit seiner Wahrnehmung zu zweifeln. Also ist (b) erfüllt). Er ist der Meinung, dass da eine Hütte ist (Bedingung (a) ist erfüllt). Allerdings (!): In dieser Gegend stehen fast ausschließlich Hüttenattrappen. Die Hütte, auf welche sich die Meinung der betroffenen Person bezieht, ist die einzige echte Hütte weit und breit. Weiß die Person unter diesen Umständen, dass das, was sie da sieht, eine Hütte ist? Was ist dazu unsere Intuition?