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Text-Nummer: 0013
Schaltung am: 01.06.1996
Rubrik(en): KulturUmfang des Textes in Zeichen: 8428
Verfasser(in): Wilfried Armonies / Christian Kupke
Geschrieben am:
Kürzel: WA/CK
Originaltitel: Verbiestertes und Vermenschlichtes. Michael Sowas komische Bilder
Copyright: Wilfried Armonies / Christian Kupke
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Diskussion/Leserbriefe:
Wilfried Armonies / Christian Kupke
Verbiestertes und Vermenschlichtes
Michael Sowas komische Bilder
Seit die Menschen denken können, haben sie sich immer wieder darüber Gedanken gemacht, wie es
um den Abstand zwischen ihnen und den Tieren bestellt sein könnte. Daß ein solcher Abstand
besteht, und daß die allzu große Nähe zum Tier Gefahr bedeuten könnte, - davon allerdings gingen
die meisten Menschen in den abendländischen Gesellschaften schon früher und gehen sie auch
heute immer noch aus. "Der Mensch ist die Krone der Schöpfung, er steht über dem Tier!" - so
könnte der Anspruch lauten, der den okzidentalen Schöpfungsmythen und den Lehren der
Aufklärung ebenso zugrundeliegt wie dem römischen und auch noch dem heutigen europäischen
Recht, nach welchem das Tier einer Sache, einem toten und unbeseelten Ding gleichgestellt ist.
Oft aber hat es in der literarischen und in der bildenden Kunst auch Zweifel an dieser
prinzipiellen Überordnung des Menschen über das Tier gegeben. Zweifel, die immer dann laut
wurden, wenn in Krisen- und Umbruchzeiten mit einem Male der Mensch dem Menschen selber
unheimlich, wenn er sich plötzlich seiner eigenen Fremdheit bewußt wurde. Dann mehrte sich in
ihm, dem homo sapiens, der Verdacht, daß er vielleicht doch nicht so aufrecht daherschreitet, wie es
diese Mythen, Lehren und Rechtssysteme von ihm erwarten, und daß nicht die Tiere den Sachen,
sondern vieleicht die Menschen den Tieren gleichgestellt werden müßten. Dann wurden nicht selten
menschliche und tierische Attribute miteinander vertauscht und vermengt, wurden, wie z.B. in den
apokalyptischen Visionen eines Hieronymus Bosch, Menschen in Tierleiber gesteckt, oder, wie in
den moralistischen Genrebildern eines William Hogarth (dem Begründer der englischen Karikatur),
menschliche Gesichter als Affengesichter gemalt.
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Nicht immer jedoch müssen die bildlichen Umsetzungen solchen Zweifels an der übergeordneten
Stellung des Menschen im Kosmos apokalyptischer oder moralistischer Natur sein. Sie können auch
- und die Bilder des Berliner Malers Michael Sowa zeigen das - komischer Natur sein. Sie sind
komisch deshalb, weil sie nicht in denunziatorischer Weise Menschen als Tiere darstellen, sondern
umgekehrt Tiere in die Positionen von Menschen versetzen, die ihnen Wahrheiten offenzulegen
erlauben, die die Menschen nur allzu gerne vergessen und verdrängen. - Eine dieser Wahrheiten hat
Kurt Tucholsky einmal in einer literarischen Metapher zu fassen versucht. Sie lautet: "Der Affe
(von den Besuchern): Wie gut, daß die alle hinter Gittern sind."
In Michael Sowas Arbeit "Zoo der Zukunft" von 1991 wird dieses, von Kurt Tucholsky
lediglich übernommene, einem Alten Simplizissimus entstammende Modell komischer Infragestellung des Menschen buchstäblich "ins Bild" gesetzt. Aber hier sind es nun nicht mehr
unsere evolutionären Vorfahren, die Affen, sondern die schlau gewordenen Tiere der Zukunft, die
"grünen Männchen vom Mars", die uns bei unserem merkwürdigen Treiben, unserem Hantieren im
technologischen Wohlstandswahn mit Schrecken und Verwunderung zusehen. Mit Schrecken und
Verwunderung, aber auch mit Ruhe und Gelassenheit; denn wie gut, so mögen diese verständigen
Tiere sich vielleicht sagen, daß alle diese Menschen hinter Gittern sind...
Sowa zieht hier gleichsam die Linien einer seiner zentralen, von den auf das Witzige und
Karikaturistische konzentrierten Kritikern bislang vernachlässigten, wenn man so will politischen
Bildthematiken aus: der Auseinandersetzung und Kollision des modernen Menschen mit einer im
Tier vergegenwärtigten Natur. Einer Natur, die dem Menschen gerade deshalb, weil sie von ihm
angeeignet, zum Eigenen gemacht wurde, immer fremder wird und der gegenüber er sich zu einer
sie selbst überdauernden, ewigen Lebensform aufzuspreizen beginnt.
So zumindest will es das andere, mit dem "Zoo der Zukunft" korrespondierende, 1993
entstandene Bild "Unsere Welt vor 800 Millionen Jahren: Erste primitive Lebensformen entstehen".
Was hier aus den dampfenden Eingeweiden der Erde aufsteigt, indem es die Evolution der Pflanzen
und Tiere glatt überspringt, das ist jener gleichsam verbiesterte, grimassierte Typus unserer Zeit, der
auf vielen der Bilder Sowas in eindrucksvoller Personenkomik wiederkehrt: der beflissene, aber gelangweilte Kulturmensch ("Empfang", 1993), der biersaufende und übergewichtige Deutsche ("Das
Boot ist voll", 1993, "Da lacht die Galaxis", 1991), der manierierte, aber manierenlose Snob
("Boss", 1988), der autoritäre Vatertyp ("Vatertag", 1992), der gespensterhafte Funktionär
("Ostbahnhof", 1986) und viele andere solcher Personentypen mehr.
Die Gesichter und die Augen, die Grimassen dieser typisierten Zeitgenossen, sind jedoch das
eigentliche Metier der Sowaschen Personenkomik. Ohne sie wären manche seiner Tableaus, auf
denen sich, nach Sowas eigener Aussage, "etwas abspielen" müsse, eigentümlich leer und
unbestimmt. Denn die auf diesen Grimassen sich in der Tat "abspielende" Verschränkung zwischen
dem tierischen und dem menschlichen Ausdruck stellt jene verdrängte und darum sich als
Komisches aufdrängende Korrespondenz wieder her - stellt sie ins Sichtbare -, die für die in den
Bildern dargestellten Personen gerade unsichtbar ist. Und man spürt, daß dieses ins Sichtbare ge-
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zerrte Unsichtbare ins Unheimliche umschlagen müßte, wäre nicht das mit dem menschlichen
Ausdruck korrepondierende Tier selber - und sei es auch nur als Schatten ("Besuch", 1991) gleichsam zur Versöhnung mit in das Bild gesetzt (vgl. "Bildnis der Sängerin Lotte Strand", 1982,
"Herbert", 1985 und auch die verschiedenen Versionen von "Frau mit Hund in einem Raum", 1982
und 1985). Denn da, wo das Tier - als Repräsentant des Tierischen, das ständig mit anwesend ist fehlt, da steigert sich die Sowasche Komik unversehens ins Groteske und wird zu dem, woran die
fremd gewordene Natur uns immer wieder auch zu erinnern vermag - zur makabren Komik des
Todes (vgl. "Im Atelier", 1982 und "Unter Wasser", 1983).
Die eigentümliche Wirkung der Bilder Sowas, der sich kaum ein Betrachter entziehen
kann, beruht daher auch nicht oder nicht nur auf dem, was man als ihren Bildwitz oder als ihre
Pointe bezeichnen könnte (wie dies bei der Karikatur der Fall ist), sondern auf dem in anatomischer
Akribie gezeichneten Ineinander von tierischen und menschlichen Gestalten und auf einer dadurch
erzeugten Spannung von Verbiestertem und Vermenschlichtem, die sich in einer Erkenntnis der
unmittelbaren Nähe von Mensch und Tier als Lachen ausagiert. Keinesfalls ist aber deshalb das
Lachen über die Bilder Michael Sowas ein leichtes; und nur selten erlaubt es daher auch dem
Kritiker, die Bilder ihrerseits auf die leichte Schulter zu nehmen. Denn diese verspielte, vom
Komischen ins Groteske und von diesem wiederum ins Makabre herüberspielende Kunst bleibt
doch als diese verspielte und spielende, die sie zweifellos ist, in ihrem Grunde immer noch ernst.
Sie bleibt nicht nur ernst darin, daß sie sich, auf scheinbar anachronistische Weise, der mühevollen
Arbeit altmeisterlicher Techniken bedient (die Sowa glänzend beherrscht), sie besteht auch auf
einem ihr eigenen thematischen Ernst: Viel wichtiger als die Frage, wie er male, so Sowa in einer
Selbstaussage, sei ihm die andere, was er male.
Worüber wir lachen, das ist die methodische und von Sowa mit Methode gehandhabte Kombination
zwischen scheinbar Unvereinbarem und Unversöhnlichem (zwischen dem Menschlichen und dem
Tierischen, dem Anspruchsvollen und dem Banalen); worauf sie und dieses Lachen uns aber verweist, das ist der vielleicht nicht immer tierische, aber doch in jedem Falle menschliche Ernst eines
im Fremden sich spiegelnden Daseins. - Erst dann, wenn nicht nur das Ernsthafte komisch, sondern
auch das Komische ernsthaft stimmt, wird - nach einem von Sowa entworfenen Bild ("Schwerer
Brummer", 1986) - aus der Eintagsfliege der Karikatur der durch die Lüfte brausende "schwere
Brummer" der Kunst.
Von Michael Sowa sind folgende Bildbände erschienen: Michael Sowa, Suppenschwein,
Haffmanns Verlag Zürich 1992; und: Olaf Gulbransson Preis 1995 - Michael Sowa, Edition Inkognito Berlin 1995.
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