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Engenho: Interview zum Tanztheater des Berliner
Choreographen Felix Ruckert in Brasilien
Bittersüßer Zucker, Genuss und Gier, Süße und
Schmerz – kulturelle Auseinandersetzung mit einem
globalen wirtschaftspolitischen Thema
19. bis 21. Dezember 2008: Aufführung des
Staatstheaters Castro Alves, Salvador da Bahia.
Fotogalerie
Copy
Erregte
Diskussionen,
verständnisloses
Kopfschütteln, euphorische bis niedergeschlagene
Reaktionen – die Uraufführung des Tanztheaters
„Engenho“
(Zuckerrohrmühle)
des
Berliner
Choreographen Felix Ruckert in der brasilianischen
Stadt Salvador da Bahia löste unterschiedlichste
Publikumsreaktionen aus, ließ aber niemanden
unberührt. Das Stück wurde, ein neuer Aspekt
brasilianischer Kulturpolitik, nach der Uraufführung in
mehreren Kleinstädten des Inlands gezeigt und kehrt
nun vom 19. bis zum 21. Dezember in das Theater
Castro Alves nach Salvador da Bahia zurück.
Auf Einladung des Goethe-Instituts hat Felix Ruckert,
der in Essen bei Pina Bausch (1992 – 1994) sowie in
Paris und New York getanzt hat, anlässlich eines
zweimonatigen Aufenthaltes in Salvador mit dem
dortigen Staatstheater Castro Alves „Engenho“
erarbeitet. Das Stück ist Teil einer breit angelegten
1
Auseinandersetzung des örtlichen Goethe-Institutes
mit dem Thema Zucker, zu dem auch unter dem
Aspekt
nachwachsender
Rohstoffe
ein
internationales Symposium organisiert wurde.
Felix Ruckert (Schwelle 7, Berlin) hat sich in seinen
jüngeren
Arbeiten
mit
den
Grenzerfahrungen
zwischen Schmerz und Lust auseinander gesetzt.
Dieses
Spektrum
konzentrierter
hat
Form
er
mit
weiter
„Engenho“
ausgefüllt.
in
In
Zusammenarbeit mit dem bahianischen DJ „Boeing“
wird
die
Aufführung
akustisch
durch
extrem
aggressive elektronische Musik dominiert – nur
wenige Male beruhigt durch die Harmonie bekannter
brasilianischer Evergreens.
Für die harmoniebedürftigen Brasilianer war der
musikalische Aspekt der in die Teile „Die Reise“, „Die
Zuckerrohrmühle“
Choreographie
und
schon
„Der
Tod“
gegliederten
ausreichend
Provokation.
Hinzu kamen die Länge (rund zwei Stunden) sowie
der interaktive Ansatz, der das Publikum direkt auf
die Bühne brachte, es mit einbezog. Die Zuschauer
mussten
ihre
Beobachterposition
verlassen,
nachdem sie zuvor schon durch privat gehaltene
Interviews mit den Tänzerinnen irritiert worden
waren. Mehrfach brandete der Schlussapplaus auf,
immer ging es weiter… - so wie sich Zuckerrohr
immerwährend im Wind bewegt.
Die Radikalität der Aufführung erinnerte an das
Konzert
des
deutschen
2
Art-Rock-Duo
Heiner
Goebbels/Alfred Hardt, das auf Einladung des
Goethe Institutes vor rund 15 Jahren in Salvador
gastierte.
Auch
damals
folgte
anfänglichem
Unverständnis, ja, Entsetzen des Publikums eine
aktive und breite Auseinandersetzung mit den
Klangcollagen von Goebbels/Hardt.
Felix Ruckert meint zu „Engenho“: „Stilistisch ist es
rau, brutal, energetisch, konsequent, unbarmherzig,
nervig. Eine Maschine eben.“
Über
seine
Realisierung
Erfahrungen
seiner
in
Salvador bei der
Performance
spricht
Felix
Ruckert in nachfolgendem Interview.
“Engenho” in Salvador da Bahia – Fragen an den
Choreographen Felix Ruckert, Berlin
·
Sie haben bereits mit diversen Goethe-Instituten
auf der Welt kooperiert und schon als Tänzer
international
gearbeitet.
Was
Erfahrungen etwa in New York,
hat
Sie
nach
Hanoi aber auch
São Paulo gerade an Salvador da Bahia gereizt?
Felix Ruckert: Ich habe zwar schon in Brasilien
getourt, aber noch nie länger mit einer lokalen
Gruppe gearbeitet. Bei der Company des Theater
Castro Alves fand ich speziell die altersmäßige
Zusammensetzung der Compagnie spannend und
die Pflege afro-brasilianischer Tanz-Tradition.
3
·
Sie haben sehr schnell Portugiesisch gelernt
und damit Zugang zu den Tänzern gefunden. Wie
schätzen Sie aber das Potential des Tanzes ein,
Kommunikation zwischen Menschen und Kulturen zu
fördern?
Felix Ruckert: Tanz ist Körpersprache und ist
dadurch erstmal zwangsläufig überall auf der Welt
verständlich. Durch das Abstrakte seiner formalen
und dynamischen Sprache kann er sich eindeutiger
Bedeutung entziehen, was die Tore für individuelle
oder kulturelle Interpretationen öffnet. Gerade das
ist ja sein großes subversives Potential, dass er sich
Einordnungen widersetzt und sich nur als das lesen
lässt, was er eben im Augenblick des Tanzens ist.
Insofern ist Tanz eine extrem promiskuitive und
zugleich völlig private Kunstform, da er eigentlich
keiner Erklärungen bedarf, sondern nur die volle
Aufmerksamkeit des Betrachters verlangt. Tanz
kommuniziert auf allen Ebenen der Wahrnehmung:
visuell, akustisch, empathisch, kinetisch. Dieses
Üben von umfassender Aufmerksamkeit ist der
Schlüssel zu jeder Kommunikation.
·
Inwiefern
Erfahrungen
im
sind
Ihnen
Ausland
und
Ihre
zahlreichen
jahrzehntelange
Kooperationen mit immer neuen Ensembles und
Teams in Salvador nützlich gewesen?
Felix Ruckert: Diese Erfahrungen sind natürlich eine
große Hilfe. Eine künstlerische Vision zu vermitteln,
4
ist
ja
in
erster
Linie
auch
eine
Kommunikationsübung. Und zwar eine komplizierte,
da es bei meiner Arbeit nicht nur um Bewegung
geht, sondern auch um eine Veränderung von
Bewusstsein. Kommunikation übt sich natürlich im
Zusammentreffen mit immer neuen Menschen und
Kulturen.
·
Wie schätzen Sie nach intensiver Lektüre und
zwei Monaten Aufenthalt die Tanzszene in Salvador
ein?
Felix Ruckert: Über die Tanzszene in Salvador
insgesamt kann ich nichts sagen, da habe ich nicht
genug gesehen. Das Ballet Castro Alves, mit dem
ich gearbeitet habe, ist auf jeden Fall eine starke
Company mit einer tollen Mischung aus erfahrenen
und sehr talentierten jungen Leuten. Es gibt in
Salvador auf jeden Fall ein Riesenreservoir an
Talenten. Ich denke, für die Zukunft kann man da
einiges erwarten. Aber da muss natürlich auch
kulturpolitisch
einiges
passieren,
um
dem
Nachwuchs mehr Chancen zu geben sich zu zeigen.
·
Welchen Stellenwert hat Ihrer Meinung nach
Tanz generell in Brasilien?
Felix Ruckert: Im Vergleich zu anderen Kunstformen
hat Tanz eigentlich überall auf der Welt einen relativ
geringen Stellenwert. Das liegt an seiner Flüchtigkeit,
seiner Körperlichkeit und an der Tatsache, dass er
aufwendig
in
der
Produktion
5
und
schwer
zu
vermarkten ist. Ich sehe das in Brasilien nicht
anders.
Diese
“Wertlosigkeit”
des
Tanzes
im
merkantilen Sinne hat aber auch seine Vorteile. Er
kann sich dem bloßen Konsum entziehen.
·
Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit dem
Team
vor
Ort
empfunden,
wo
lagen
Schwierigkeiten, wo aber auch Vorteile im Vergleich
zu Ihren bisherigen Wirkungsorten?
Felix Ruckert: Die Tänzer waren sehr engagiert und
begeisterungsfähig, das lokale Team sehr charmant
und freundlich, die Abläufe im Theater für meine
Begriffe erstaunlich bürokratisch.
·
Salvador da Bahia ist eine Stadt, deren Kultur
bis heute stark afrikanisch geprägt ist. Inwiefern
drückt sich dieses Erbe im Tanz aus? Gibt es
eventuell einen ganz eigenen bahianischen Stil?
Felix Ruckert: Es ist klar, dass es in Bahia mehr
Tanz mit afrikanischen Einflüssen gibt als anderswo.
Dass es einen bahianischen Stil gibt, würde ich
allerdings bestreiten. Stile manifestieren sich in
Künstlern und ein tänzerischer Stil hängt gar nicht so
stark
von
der
Herkunft
ab,
sondern
ganz
entscheidend von der Ausbildung und den weiteren
Recherchen und Fragestellungen des Künstlers.
Also ich würde zum Beispiel behaupten, dass mein
Stück durch die Zusammenarbeit mit den lokalen
Tänzern ein Stück weit bahianischer Tanz ist.
Globalisierung gibt es im zeitgenössischen Tanz
6
schon seit hundert
Jahren, Tänzer reisen und
studieren schon immer jenseits von Sprachbarrieren.
Die Frage nach lokalen oder nationalen Stilen ist
heute meines Erachtens nicht mehr zu beantworten.
·
Das
Goethe-Institut
hat
Ihnen
bei
der
Themenwahl großen Raum gelassen, Sie haben viel
recherchiert und sich intensiv mit der Geschichte
Bahias
auseinandergesetzt
und
schließlich
die
afrikanische Diaspora bearbeitet. Worauf fußt diese
Entscheidung?
Felix Ruckert: Die afrikanische Diaspora ist nur ein
Teil der Inspirationen für das Stück. Ich interessierte
mich
für
Begriffe
wie
Zerstörung,
Auflösung,
Vermischung im körperlichen, räumlichen und auch
kulturellen Sinne. Zugleich aber auch für Ideen wie
Ordnung, Organisation, Struktur, Hierarchie. Diese
Konzepte fand ich signifikant für die Geschichte
Bahias, es sind aber auch Ideen, die mich sowohl
philosophisch
interessieren.
als
auch
Diese
choreographisch
sehr
abstrakten
Ausgangspunkte erhielten in der Verarbeitung und
Interpretation
durch
die
Tänzer
dann
weitere
persönliche und auch lokale Färbungen.
·
Beschreiben Sie bitte anhand von Szenen, wie
Sie das Thema Zucker konkret tänzerisch umgesetzt
haben.
Felix Ruckert: Die weißen Polystyrolkügelchen, die
während des Stücks permanent vom Bühnenhimmel
7
regnen, sind für mich die größtmögliche Annäherung
an eine direkte visuelle Umsetzung. Tanz ist
Vergeudung, wenn er nur der Illustration von
Inhalten dient. Mich interessiert am Zucker die
Eigenschaft
als
(geschichtlich
vielleicht
erstes)
Industrieprodukt, als Droge, als Energielieferant. Die
Company
produziert
keinen
Zucker,
sondern
Bewegung. Die Tänzer verbrauchen Unmengen an
Zucker im Stück und wandeln ihn in Unmengen von
Energie um.
·
Das Goethe-Institut betont stets, den kulturellen
Austausch zu fördern. Was haben Sie von Ihrem
Aufenthalt in Salvador für Ihre Arbeit und persönliche
Entwicklung mitgenommen?
Felix Ruckert: Für meine choreographische Arbeit ist
tatsächlich
die
brasilianischen
Begegnung
Tanztradition
mit
der
eine
afrogroße
Bereicherung. Für meine persönliche Entwicklung
kann ich sagen, dass mich der Aufenthalt verändert
hat. Aber das ist ein Prozess, der noch im Gange ist.
·
Beabsichtigen Sie, sich auf deutscher Seite
weiter mit der in Salvador bearbeiteten Thematik
auseinanderzusetzen?
Felix Ruckert: Erstmal nicht, ich würde das Stück
allerdings sehr gern in Deutschland zeigen, falls sich
ein geeigneter Sponsor findet. Das wäre für die
weitere Entwicklung der Thematik sehr hilfreich.
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Wie verorten Sie “Engenho” inhaltlich und
·
stilistisch in Ihrem Werk?
Felix Ruckert: Es gehört zu den Formaten, die mit
den
Mitteln
der
klassischen
Guckkastenbühne
arbeiten. Was immer wieder ein besonderer Reiz ist,
da ich sonst meist auf unkonventionellen Bühnen
arbeite. Inhaltlich bin ich mit der Umsetzung des
Themas sehr zufrieden. Alles was ich mir wünschte
ist da. Stilistisch ist es rau, brutal, energetisch,
konsequent, unbarmherzig, nervig. Eine Maschine
eben. Obwohl es sich vieler Mittel bedient wie
klassischem
Vokabular,
zeitgenössischer
Improvisation, Elementen des Tanztheaters und
sogar
partizipativen
Konzepten,
hat
es
doch
Einfachheit und Klarheit. Ich bin sehr überzeugt
davon.
·
Gibt es ein Erlebnis in Salvador, das Ihnen ganz
besonders in Erinnerung bleiben wird?
Felix Ruckert: Die Zuschauer bei der Premiere, die
dreimal glaubten, es sei das Ende gekommen und
applaudierten, um jedes mal erstaunt festzustellen,
dass es immer weiterging. Und dass alle tapfer bis
zum Ende durchgehalten haben.
·
Hat Sich Ihr Bild von Brasilien durch den
Aufenthalt in Salvador verändert?
9
Felix Ruckert: Es hat an Tiefe gewonnen. Ich liebe
und hasse dieses Land. Jetzt würde ich gerne mal
ein ganzes Jahr dort verbringen.
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