Helwig Wegner, Pfarrer, Frankfurt am Main (MEDIENHAUS, Rechneigrabenstraße 10 - 60311 Frankfurt) Telefon: 069 - 92 10 72 10 (privat.: 069 - 51 66 68) eMail: [email protected] Hessischer Rundfunk: “Zuspruch am Morgen” (HR 1: 550 Uhr / Wdh.: HR 2: : 650 Uhr) .......................................................................................................................................................................... Dienstag, 27.11.2001 Kreuzzug Es ist ein eigenartiger Jahrestag, an den ich heute erinnern will, liebe Hörerinnen und Hörer: An einem 27. November begann der 1. Kreuzzug. Im Jahr 1095 wirbt Papst Urban II. darum, Jerusalem zu befreien. Und das heißt für ihn: den Muslimen das Grab Christi zu entreißen. Seit gut 20 Jahren wird Palästina von den Seldschuken beherrscht, einem türkischen Stamm,. Während der Zeit, in der dort noch die Araber das Sagen hatten, konnten christliche Wallfahrer immer gegen Zahlung eines Wegezolls ihre Gedenkstätten besuchen. Aber damit hatte es nun, so berichteten die Pilger, ein Ende. Für fromme, christliche Reisegruppen hatten die Seldschuken nicht viel übrig. Die heiligen Stätten, so berichtete man, würden zudem für die unwürdigsten Zwecke entfremdet. Das paßte ganz gut in die allgemeine Stimmung: In Spanien und Sizilien hatte man bereits mit Erfolg die Muslime wieder aus dem Land gejagt. Und in den reichen Städten Norditaliens wurde der starke wirtschaftliche Einluß islamischer Handelshäuser auch nicht mehr gern gesehen. Als der Papst bei der Synode von Clermont am 27. November 1095 vor einer großen Menschenmenge unter freiem Himmel dazu aufruft, die heiligen Stätten der Christenheit von den Seldschuken zu befreien, ist der Erste Kreuzzug geboren. Es sind viele Tausende von abenteuerlustigen und begeisterten Männern, meist Franzosen, die dem Aufruf des Papstes Taten folgen lassen. Angespornt werden sie durch Kreuzzugsprediger, die in feurigen Reden immer neue Greuelgeschichten über Moslems und Juden verbreiten. Eine merkwürdige Mischung von Vorstellungen verführt die Menschen, sich während der nächsten 200 Jahre immer wieder unter dem Zeichen des Kreuzes auf den Weg zu machen. Einerseits ist ein Kreuzzug so etwas wie ein heiliger Krieg: Wer sich daran beteiligt, so wird versprochen, der erhält einen Ablaß aller seiner Sünden. Außerdem geistern märchenhafte Berichte über orientalischen Reichtum durch die Köpfe der Kreuzfahrer. Erst als schließlich nach 200 Jahren die Stadt Akko den christlichen Kreuzfahrern wieder abgenommen wird -1291 war das -, ist ein blutiges und unrühmliches Kapitel der christlichen Kirchengeschichte abgeschlossen. Ist es abgeschlossen? Wer heute dieser alten Geschichte nachgeht, spürt dass die Vorstellungen, die damals Abertausenden von Menschen den Tod gebracht haben, auch heute hier und Helwig Wegner, Pfarrer, Frankfurt am Main (MEDIENHAUS, Rechneigrabenstraße 10 - 60311 Frankfurt) Telefon: 069 - 92 10 72 10 (privat.: 069 - 51 66 68) eMail: [email protected] Hessischer Rundfunk: “Zuspruch am Morgen” (HR 1: 550 Uhr / Wdh.: HR 2: : 650 Uhr) .......................................................................................................................................................................... da recht lebendige Parallelen haben. Militärische Auseinandersetzungen zwischen Völkern mit verschiedenen Religionen sind uns nicht fremd. Zu sehr scheinen die religiösen Bindungen zur Identität eines Volkes dazu zu gehören. Ob nun die westliche Welt gegen die Islamisten zu Felde zieht oder auf der anderen Seite zum “heiligen Krieg” aufgerufen wird: so eine Art Kreuzfahrermentalität findet sich bei den fundamentalistischen Scharfmachern auf allen Seiten. Wie können wir uns dagegen wehren, dass Religion zur Ideologie verkommt und missbraucht wird? Ich denke, dagegen ist, wenn überhaupt, nur ein Kraut gewachsen: das ist der Beginn eines wenig spektakulären Fragens. Nachdenken, Fragen und beides vor Gott verantworten. Im Hören auf Gottes Wort können die Antworten und Parolen der Menschen neu beurteilt werden. Im geschwisterlichen Gespräch über Gottes Willen können wir Ideologien kritisch beurteilen, können enttarnen und aufdecken, was sich als Gottes Anspruch ausgibt und doch nichts anderes als Menschenwille ist. Das ist in jedem Fall eine dialogische Sache: nicht nur behaupten, sondern auch hören; nicht nur antworten, sondern erst mal richtig fragen lernen; nicht nur handeln, sondern auch beten. Das Schicksal der Kreuzfahrer aller Zeiten ist es, dass sie sich einem Sog hingeben, der zwar schön zu tragen scheint, doch nicht zur Quelle führt, sondern in immer schneller werdenden Drehungen eines Strudels schließlich alles mit in die Tiefe reißt. Die wirklich tragenden Antworten finden wir aber nur bei der Quelle. Dafür lohnt es sich, manchmal auch gegen den Strom zu schwimmen.