Stefan Winkle, Vorwort zur 1

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Stefan Winkle
Gelbfieber 2
Panamakanal, Mückentheorie und die Experimente in Kuba
Textauszug aus:
Geisseln der Menschheit. Kulturgeschichte der Seuchen
Artemis & Winkler, Düsseldorf/Zürich 1997, Seiten ...ff
Als der 76jährige Lesseps 1881 zum erstenmal die Landenge von Panama betrat,
warnte ihn ein alteingesessener Franzose: “Wenn Sie wirklich den Kanal bauen wollen,
dann wird es hier nicht genügend Bäume geben, um Grabkreuze für Ihre Arbeiter daraus
zu schnitzen.” Man erinnerte ihn auch an das Schicksal der chinesischen Einwanderer, die
man 1853-1855 zum Bau der 80 Kilometer langen Eisenbahnlinie über den Isthmus vor
allem deshalb einsetzte, weil man glaubte, sie seien gegen Gelbfieber immun, und von
denen dann so viele dem heimtückischen Fieber zum Opfer fielen, daß es später hieß,
“unter jeder Schwelle der Panamabahn sei ein Kuli begraben”
Ein französisch sprechenden junger Kubaner, der Arzt Finlay, der zu seinem Unglück
“eine schwere Zunge hatte wie Moses”, versuchte die Herren von der Panamagesellschaft
zu warnen, daß es die Stechmücken waren, die die Kulis getötet hatten. Doch man lachte
über den “Stotterer” und nahm seine Worte nicht ernst.
Der Erbauer des Suezkanals ließ sich nicht abschrecken. Noch im gleichen Jahr wurde mit
den Arbeiten begonnen. Schon 1888 sollte der schleusenlose Spiegelkanal fertiggestellt
sein. Er mußte durch Urwälder, Sümpfe und die Gebirgskette der Kordilleren
vorangetrieben werden. Da man aber von der Mückenübertragung nichts wußte oder auch
nichts wissen wollte, halfen die “auf Sauberkeit gerichteten Vorsichtsmaßnahmen” nichts:
Täglich starben 20 bis 40 Arbeiter.
An den Stellen des entstehenden Kanals wuchs ein endloser Friedhof. Lesseps schien
mit Blindheit geschlagen. Im Lauf von sieben Jahren starben über 50 000 Menschen,
darunter etwa 20 000 Europäer, an Fieber. Die restlichen Opfer waren meist Schwarze.
Obwohl sie zum großen Teil aus Westafrika stammten, war von ihrer oft betonten
Unempfindlichkeit gegenüber dem Gelbfieber nicht viel zu merken. Ein französischer
Ingenieur schloß einen seiner Briefe in Anbetracht der steten Gefahr, unter der er lebte,
mit den Worten St. Justs: “Wir sind Tote auf Urlaub!”
Man hatte die Kosten auf 843 Millionen Francs veranschlagt, doch schon 1888 waren
1400 Millionen ausgegeben und dabei noch kaum ein Drittel der Arbeiten vollendet.93 Im
darauffolgenden Jahr mußte die Gesellschaft unter der ungeheuren Schuldenlast den
Bankrott erklären. Man hatte anderthalb Milliarden Nationalvermögen verschleudert und
Hunderttausende von Kleinsparern ruiniert. Die innenpolitische Folge dieses Bankrotts war
der Panamaskandal, der die Bestechung von über 500 Parlamentariern aufdeckte und den
greisen Lesseps und den berühmten Ingenieur Eiffel ins Gefängnis brachte.
Bei jenem Mann, dessen seuchenprophylaktische Ratschläge die Herren von der
Panamagesellschaft “mit höhnischem Lächeln abtaten” und den sie obendrein als einen
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“perseverierenden Irren” bezeichneten, handelte es sich um keinen anderen als den
kubanischen Augenarzt Carlos Finlay. Als Sohn einer Französin hatte er seine Jugend in
Frankreich verbracht. Daher verfolgte er die Bemühungen der Franzosen um den
Kanalbau mit warmer Anteilnahme.
Er war 1881, zur gleichen Zeit, als Lesseps den Bau des Panamakanals in Angriff nahm,
aufgrund langjähriger epidemiologischer Beobachtungen und Studien zur Überzeugung
gelangt, daß sich die geographische Verbreitung des Gelbfiebers weitgehend mit dem
Vorkommen einer Stechmückenart deckt: der “Stegomya fasciata” (gestreift), auch “Culex
fasciatus” oder “Aedes aegypti” genannt. Hieraus zog er den logischen Schluß, daß die
Übertragung des Gelbfiebers durch den Stich der Aedesmücke von kranken auf gesunde
Menschen erfolge und man deshalb vor allem die Mücken und ihre Brut bekämpfen und
vernichten müsse.
Seine “Moskitotheorie”, die er am 14. Januar 1881 vor der Akademie der Wissenschaften
in Havanna vortrug und auch noch im gleichen Jahr veröffentlichte erregte zunächst nur
Spott und Gelächter. “Die Mücken”, entgegnete man ironisch, “haben mit dem Gelbfieber
ebensoviel zu tun wie die Frösche mit dem Wetter” Die kleine und scheue Aedes aegypti
kannte man in den endemischen Gelbfieberländern sehr gut, denn sie war eine
Hausmücke, die zu den kleinen Plagegeistern gerechnet wurde, ohne ihr jedoch
irgendwelche Aufmerksamkeit zu schenken. Man wollte es deshalb nicht glauben, daß
diese kleine, zierliche Mücke mit den schwarzen und silbrigweißen Abdominalringen,
denen sie auch den Namen “Tigermoskito”verdankte, die Überträgerin einer der
gefährlichsten Tropenkrankheiten sein sollte.
1886 berichtete Finlay im “American Journal of Medical Sciences” über die künstliche
Infektion von sechs Personen “nach dem Stich von Stegomyen, die vorher an
Gelbfieberkranken gesaugt hatten”. Auch diese Veröffentlichung blieb in der “Sturm- und
Drangzeit der Bakteriologie” unbeachtet. Weitere vierzehn Jahre vergingen, und viele
Tausende starben an Gelbfieber, ehe es Finlay gelang, die Welt von der Richtigkeit seiner
Theorie zu überzeugen.
Als es 1898 auf Kuba zu einem Aufstand gegen die spanische Herrschaft kam, griffen die
Vereinigten Staaten mit überlegenen Land- und Seestreitkräften zugunsten der
Aufständischen ein und besetzten die Insel. Doch der “Blitzkrieg”, als “großes Picknick”
oder “Mondscheinspaziergang” von General Miles gedacht, artete in eine verheerende
Gelbfieberepidemie aus, von der vor allem die nichtdurchseuchten Amerikaner betroffen
wurden. Sie verloren im Handumdrehen mehr Leute durch “Yellow Jack” als durch
Kampfhandlungen. Als die Amerikaner Kuba besetzten, galt Havanna, die Metropole der
Insel, als einer der gefährlichsten Gelbfieberherde. “Inferno Central del Demonio Amarillo”
(“Haupthölle des gelben Teufels”) hieß es in der etwas bombastischen Ausdrucksweise
der spanischen Seeleute. Allein bei der letzten großen Gelbfieberepidemie im Jahr 1879
waren in Havanna über 30 000 Menschen erkrankt, meist neu angekommene,
undurchseuchte Siedler. Die Zahl der Todesopfer betrug damals mehr als 6000.
Die Stadt mit ihren engen, schmutzigen Gassen und dunklen Häusern in altspanischer
Bauart war “nicht viel besser als eine Senkgrube, aus der unglaubliche Gerüche
aufstiegen” (Gorgas). Sie hatte nach den Erzählungen der Matrosen ihren spezifischen
Geruch, den man auf der See “zehn Meilen gegen den Wind riechen konnte” Die
Amerikaner führten das Gelbfieber auf diesen Gestank zurück. Auch William Crawford, der
leitende Sanitätsoffizier des Besatzungsheers, teilte zunächst die damals allgemein
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verbreitete Ansicht. So sah er seine Hauptaufgabe darin, Havanna von Schmutz und Unrat
zu reinigen. Er tat dies mit fanatischer Gründlichkeit, indem er mit seinen
Desinfektionskolonnen “jedes Wohnhaus, jeden Laden, jede Faktorei und jeden Garten
inspizierte und dann seine entsprechenden Maßnahmen durchführte”.
Die amerikanische Presse war voll von dem großen “hygienischen Experiment” in Kuba,
das als “Feldzug des Säuberns und Ausräucherns” gepriesen wurde.
Allein der einheimische Sachverständige Finlay, mit dem Gorgas in Havanna über die
Gelbfieberbekämpfung verhandelte, erklärte unumwunden, die ganze Reinigungs- und
Desinfektionsaktion, soweit sie das Gelbfieber beträfe, sei unsinnig, denn diese Seuche
gehe nicht auf Schmutz zurück, sondern auf Moskitostiche. Die Stechmücken aber könne
man mit diesen Maßnahmen nicht erfassen, denn sie hielten sich meist an den Decken
der Wohnzimmer verborgen.
Allein Gorgas ließ sich nicht überzeugen. Da flammte auch schon im Jahr 1900 eine neue
Gelbfieberepidemie auf. Kurz vorher waren nämlich etwa 25 000 Europäer, meist Spanier,
nach Kuba eingewandert. Die alten Einwohner Havannas blieben von der Seuche meist
verschont, nur die neu angekommenen, undurchseuchten Einwanderer wurden von dem
Gelbfieber befallen. Vergeblich ließ Gorgas die Kranken sofort absondern und ihre Sachen
desinfizieren. Die Zahl der Neuerkrankungen wuchs von Tag zu Tag. Die “reine
Hauptstadt” litt dabei mehr am Gelbfieber als vorher das “Pestloch Havanna”. Es war eine
der schwersten Epidemien, die die Insel je heimgesucht hatten. Sie erstreckte sich alsbald
auch auf die amerikanischen Truppen und raffte die Soldaten zu Hunderten hinweg. Sie
verschonte nicht einmal die Generalstabsoffiziere.
In dieser verzweifelten Situation schickte die amerikanische Regierung unter Major Reed
eine Kommission nach Kuba, der noch der Bakteriologe Cartoll, der Entomologe Lazear
und der Pathologe Agramonte angehörten. Agramonte war Kubaner und der einzige von
ihnen, der bereits in seiner Kindheit Gelbfieber durchgemacht hatte. Da inzwischen der
Engländer Ross in Indien und Grassi in Italien nachgewiesen hatten, daß die Malaria
durch Stechmücken übertragen wird, lächelten die Kommissionsmitglieder nicht mehr über
Finlay, als er ebenfalls ihnen seine Moskitotheorie erläuterte.
Vielmehr entschlossen sie sich, seine Angaben nachzuprüfen. Da man aber gewöhnliche
Laboratoriumstiere, wie Kaninchen oder Meerschweinchen, mit Gelbfieber nicht infizieren
kann, erklärten sich zwei Kommissionsmitglieder zum Selbstversuch bereit: Carroll und
Lazear. Mit ihrem Selbstversuch wollten sie den Freiwilligen, die man zu weiteren
Experimenten benötigte, als Vorbild dienen.
Man brachte aus Mückeneiern gezüchtete “silbergestreifte Moskitos” (Stegomya fasciata),
und zwar Weibchen, da nur diese stechen, in einen besonderen Gazebehälter, führte
sodann in denselben die Hand einer an Gelbfieber erkrankten Person ein, damit sich die
Mücken mit dem Blut des Patienten vollsaugen konnten. Da bei der Malaria die
Stechmücken erst 2 bis 3 Wochen nach der Blutmahlzeit an einem Kranken infektiös
werden, ließen sich Lazear und Carroll nach einem mißlungenen Vorversuch ebenfalls
erst nach 14 Tagen von den im Gazekästchen aufbewahrten Mückenweibchen stechen.
Das geschah Ende August bzw. Anfang September 1900.
Nach einer Inkubation von etwa drei Tagen erkrankten beide unter heftigen
Kopfschmerzen, Schüttelfrost und Fieber. Tagelang wälzten sie sich in Fieberträumen
umher. Dann kam es bei Carroll zur Besserung, während bei Lazear das gefürchtete
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Symptom des “schwarzen Erbrechens” auftrat. Bald versiegte auch die
Harnausscheidung, und Lazear starb - trotz aller Bemühungen der Ärzte - am 25.
September 1900 im Alter von 34 Jahren.
Lazears Tod warf einen tiefen Schatten auf die kleine Arbeitsgemeinschaft, doch sie
waren entschlossen, die Untersuchungen bis zur endgültigen Klärung der verschiedenen
Probleme fortzuführen. Auf einem als gelbfieberfrei erachteten Gelände, etwa 8 Kilometer
von Havanna entfernt, wurde am 20. November 1900 ein streng abgesondertes Lager
errichtet, das man zu Ehren des Verstorbenen “Camp Lazear” nannte.
Die Freiwilligen, die man über Art und Gefährlichkeit der Versuche genauestens aufgeklärt
hatte, wurden hier zunächst etwa 20 Tage in strenger Quarantäne gehalten, um jede
Möglichkeit einer Infektion durch Kontakt oder Mückenstich auszuschließen. Erst danach
wurden sie zum eigentlichen Versuch herangezogen. Man hatte dort zunächst mehrere
Baracken errichtet, von denen die eine, gut ventiliert und peinlichst sauber (infected
mosquito building), in der Mitte durch ein von der Decke bis zum Fußboden reichendes
Drahtgazegitter in zwei gleiche Teile getrennt war. In die eine Hälfte kamen diejenigen
Versuchspersonen, die sich von infizierten Moskitos stechen lassen sollten, in die andere
Hälfte, die frei von Stechmücken war, die Kontrollpersonen.
Eine zweite Baracke war so eingerichtet (“infected clothing building"), daß zwar keine
Stechmücken eindringen konnten, aber jede wirksame Ventilation ausgeschlossen war. In
diese Baracke kamen gesunde, nicht immune Versuchspersonen mit beschmutzter Bettund Leibwäsche von an Gelbfieber Erkrankten oder Gestorbenen und schliefen in diesem
Raum drei Wochen lang. Das Ergebnis des Versuchs war, daß die den infizierten
Stechmücken ausgesetzten Versuchspersonen (im “infected mosquito building”) nach 3
bis 4 Tagen erkrankten, die Kontrollpersonen im mückenfreien Nebenraum dagegen
gesund blieben, obwohl sie dieselbe Luft des gleichen Raumes eingeatmet hatten.
Auch die Versuchspersonen, die in dem mit schmutziger Wäsche “verpesteten” Raum
(“infected clothing building”) schliefen, erkrankten nicht, womit sowohl eine
Infektionsmöglichkeit durch Kontakt als auch durch ein Miasma ausgeschlossen war.
Es kann also jemand in einer wahren Pesthöhle wohnen, kann in dem beschmutzten Bett
eines Gelbfieberkranken schlafen, kann dessen verunreinigte Leibwäsche tragen und wird
dennoch gesund bleiben, solange es dort keine infizierten Gelbfiebermücken gibt.
Andererseits mag jemand in ideal sauberer Umgebung leben und doch dem Gelbfieber
zum Opfer fallen, wenn es ihm nicht gelingt, infizierte Gelbfiebermücken von sich
fernzuhalten. In anderen Versuchsreihen wurde einwandfrei bewiesen, daß es mindestens
12 Tage dauert, bis die infizierten Aedesmücken reif zur Gelbfieberübertragung werden
und daß sie dann 8 bis 10 Wochen lang infektiös bleiben.
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