Seelen

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Das Seelenkopien-Paradoxon
Vortrag für den 3. Kongreß der GAP in München 1997,
Sektion 7: Philosophie des Geistes
von Andreas Kamlah, Univ. Osnabrück, FB 2
49069 Osnabrück
Die Methode der analytischen Philosophie ist die Klärung von
Bedeutungen. Manche philosophischen Probleme verschwinden, wenn man die darin verwandten Begriffe sauber analysiert.
Doch andere bleiben übrig, ohne daß sie durch eine empirische
Wissenschaft beantwortet werden können. Ein solches ist z. B.
die Frage: Unter welchen Umständen bin ich berechtigt,
jemandem eine Schuld oder ein Verdienst zuzuschreiben, eine
uralte Frage, mit der sich im Rahmen der analytischen
Philosophie Strawson befaßt hat (siehe The Open University
1973, S. 59ff.).
Aus objektiven empirischen Tatsachen und allein mit Hilfe der
Logik können wir keine Antwort auf diese Frage ableiten. Wir
können uns dazu entschließen, einen Verbrecher für sein Delikt
zu bestrafen, weil wir hoffen, daß die Strafandrohung die Zahl
der Delikte ähnlicher Art in Zukunft vermindert. Aber können
wir von ihm Reue verlangen? Für derartige Emotionen kann
eine analytische Ethik keine Begründungen liefern, da sie
direkt niemandem schaden oder nützen. Gefühle zu haben,
kann sie nicht direkt gebieten. Nur indirekt, soweit Gefühle das
richtige Handeln erleichtern, können auch Gefühle geboten
sein. Wenn aber ein uneinsichtiger Verbrecher sich nach seiner
Strafe genau so verhält wie ein reuiger, ist die Reue für das
gute Handeln unerheblich. Wir suchen aber nach
Begründungen für Schuld und Verdienst, wenn wir nach der
Freiheit des Willens fragen. Jemand, der unfrei handelt, ist
nicht schuldig für seine Untaten. Er trägt keine Verantwortung.
Die Philosophie kann uns dabei nicht helfen.
Hier stößt die analytische Philosophie bereits auf eine Grenze,
die, wie wir sehen werden, nicht ihre einzige ist. Denn es
kommt noch weit schlimmer. Die Klasse der unlösbaren
Probleme ist recht groß. Ich möchte hier zunächst eines
präsentieren, das nicht in aller Munde ist. Wir alle leben auf
eine Zukunft hin orientiert. Wir arbeiten für unsere Zukunft
(selbst wenn wir uns nur eine warme Mahlzeit verdienen
wollen, liegt diese in der Zukunft), sparen für die Zukunft,
schützen uns vor möglichen Gefahren in der Zukunft usw. Aber
was berechtigt mich, zu glauben, daß ich mit dem Wesen
identisch bin, das meinen derzeitigen Körper in 10 Jahren
bewohnt und sich an vieles erinnert, was ich bisher erlebt habe?
 Ich argumentiere hier zunächst naiv.  Vielleicht bin ich in
10 Jahren Präsident Clinton und er ist Andreas Kamlah, ohne
daß wir das wissen! Vielleicht sind Sie nicht in der Lage, diese
Frage zu akzeptieren, und Sie halten sie für reichlich absurd.
Doch haben nicht viele Religionen, die an Seelenwanderung
glauben, ähnlich Merkwürdiges behauptet?
Und wie ist es mit folgender Frage, die bereits in ähnlicher
Weise vielfach in der einschlägigen Literatur diskutiert worden
ist (siehe Parfit 1984, S. 200ff.): Angenommen, es gelänge, den
Gedächtnisinhalt einer Person P1 (etwa des Astronauten Ikarus)
vollständig auf Band aufzunehmen (auf einen fernen Planeten
von Centauri zu "beamen") und dann einem anderen Körper
einer Person P2
(auf diesem fernen Planeten)
einzuprogrammieren, deren Gedächtnis völlig gelöscht wurde.
So entsteht eine Person P2'. Ist diese mit P1 identisch? Sie wird
es behaupten und der Meinung sein, ihre Seele sei vom Körper
K1 in den Körper K2 umgezogen. Aber P1 wird weiterhin
beanspruchen, einziger Repräsentant ihrer Seele zu sein. Wer
hat recht? Was sollen wir erwarten, bevor uns das Gedächtnis
abgelesen und auf Band gespeichert wird? Sollen wir sagen:
"Mit 50% Wahrscheinlichkeit werde ich morgen im Körper K2
aufwachen?" Oder: "Ich bleibe mit Sicherheit im Körper K1?"
Was werden wir sagen, wenn nach dem Ablesen das
Gedächtnis von P1 gelöscht wird? Werden wir dann sagen, wir
würden mit 100% Wahrscheinlichkeit in den Körper K2
umziehen? Wie können wir das, wenn wir nicht wissen, ob das
Gedächtnis von P1 in K1 gelöscht wird? Woher soll ich vorher
wissen, ob das geschieht? Ferner, wenn jemand mein
Gedächtnis einem anderen Gehirn einspeisen will, soll ich
darüber froh sein, vielleicht einen jüngeren oder gesünderen
Körper zu bekommen, oder muß ich das als Ende meines
Lebens ansehen?
Warum haben wir auf diese Fragen keine Antwort? Weil sie
künstlich erfunden sind? Nein, solche Fragen sind Gedankenexperimente, um herauszubekommen, was wir als das
Fortbestehen einer und derselben Person ansehen und welches
Kriterium wir dafür haben. Ich denke, wir müssen zugeben, daß
wir dafür überhaupt kein Kriterium besitzen. Naturwissenschaftlich läßt sich die Frage nicht klären. Die
Naturwissenschaft kann uns nichts über die Berechtigung
unserer Hoffnungen sagen. Sie kann aus einer unpersönlichen
Perspektive heraus Prognosen über das Weltgeschehen machen. Aber zu der Frage von Ikarus: "Bin ich derjenige, der
erfolgreich zu einem Planeten von  Centauri gebeamt worden
sein wird oder ist das ein anderer?", muß sie schweigen. Dabei
wird unabhängig von allen philosophischen Theorien über das
Wesen des Bewußtseins jedermann zugeben, daß die Frage
sinnvoll ist.
Ich möchte mit einer transzendental-phänomenologischen
Methode (im Sinne Husserls) mich auf das beschränken, was
erfahrene Astronauten berichten werden. Die Husserlsche
Methode ist die des Gedankenexperiments. Es ist paradox, sagt
er, "daß die Fiktion die Quelle ist, aus der die Erkenntnis der
'ewigen Wahrheiten' ihre Nahrung zieht" (Husserl 1950, S.
163). Diese Methode verlangt von uns Enthaltsamkeit
gegenüber jeder Spekulation. Ich werde in der Folge zwar zwei
Theorien der Identität der Person erwähnen. Aber für uns sind
sie ohne Interesse, solange sie nicht im Gedankenexperiment
bestätigt werden können.
Im
Zentrum
der
Betrachtung
wird
der
Wahrscheinlichkeitsbegriff stehen. Wir erwarten mehr oder
weniger stark, daß das eine oder andere in Zukunft geschieht.
Wir werden zu einer Paradoxie gelangen, weil wir im
Gedankenexperiment nicht mehr wissen, wie wir mit der
Wahrscheinlichkeit umgehen können.
Wir können vielleicht sagen, wie die Leute darüber reden werden, wenn Gedächtnisübertragungen zwischen Gehirnen häufig
vorkommen. Es könnte einer sagen: Bei mir sind 10 mal solche
Operationen vorgenommen worden. 6 mal blieb ich im selben
Körper, 4 mal erwachte ich in einem anderen. Also liegt die
Wahrscheinlichkeit des Körperwechsels ungefähr bei 0,6,
vielleicht sogar bei 0,5. Und die Leute werden sich in der
Zukunft danach richten. Sie werden glauben, daß sie mit Wahrscheinlichkeit 1 "umziehen", wenn ihr Gedächtnis nach der
Operation im Körper K1 gelöscht wird. Wird es erhalten,
werden sie dem Umzug nur eine Wahrscheinlichkeit von 0,5
zubilligen.
Man achte darauf, wie hier mit dem Wahrscheinlichkeitsbegriff
umgegangen wird! Wenn das Schicksal einer Person sich nach
A und B verzweigt hat, und wenn solche Verzweigungen sich
oft wiederholt haben, wird die einzelne Person in der
Rückschau typischerweise nahezu ebenso oft nach A wie nach
B gelangt sein.
Die genaue Berechnung solcher
Wahrscheinlichkeiten erfolgt nach der Methode von Bernoulli.
Wurden sehr viele Astronauten n mal gebeamt, dann waren die
aus der Häufigkeit der aufgetretenen Fälle zu ermittelnden
Wahrscheinlichkeiten wk dafür, daß sie k mal ihr Ziel erreichten
und nicht als Sicherheitskopie zurückblieben,
wk =
(nk )2-n.
Aber was ist, wenn P1 nach dem Umzug in K1 und in K2
erwacht, redet, einen Tag lang in diesem Zustand lebt und
danach ihr Gedächtnis in K1 gelöscht wird? Werden wir dann
sagen, P1 sei gespalten worden in P1 und P2', aber danach sei P1
getötet worden? Werde ich, wenn ich Ikarus bin, zu einer
solchen Prozedur sagen, mit 50% Wahrscheinlichkeit werde ich
P2' in K2 und mit eben solcher Wahrscheinlichkeit werde ich P1
in K1, dann aber geistig getötet? Was kann der Umstand für
einen Unterschied ausmachen, daß P1 nach der
Gedächtnisübertragung vorübergehend in K1 erwacht und
dann das Gedächtnis gelöscht wird, gegenüber der Alternative,
daß es gleich gelöscht wird?
Wir wollen die beiden Alternativen in zwei Spalten
nebeneinander darstellen:
Fall 1
Gedächtnis von
P1 in K1 wird auf
K2 übertragen,
das Gedächtnis von
P1 in K1 gleich
danach gelöscht.
Fall 2
Gedächtnis von
P1 in K1 wird auf
K2 übertragen;
P1 erwacht danach in
K1 für einen Tag;
danach wird das Gedächtnis
von P1 in K1 gelöscht.
Die Leute sagen auf Grund
ihrer Erfahrungen, es bestehe im Fall 1 die 100%ige
Wahrscheinlichkeit, daß
man nach der Gedächtnisübertragung im anderen
Körper aufwacht.
Die Leute sagen auf Grund
ihrer Erfahrungen, es bestehe im Fall 2 die 50%ige
Wahrscheinlichkeit, daß
man nach der Gedächtnisübertragung im anderen
Körper aufwacht.
Sind derartige Schlußfolgerungen gerechtfertigt? Daß wir diese
Frage nicht beantworten können, zeigt meines Erachtens, daß
wir nicht nur nicht wissen, was Leben nach dem Tode oder
Sterben ist, noch viel schlimmer, wir wissen noch nicht einmal,
was Weiterleben im Leben ist!
Es scheint zunächst zwei Antworten auf diese Frage zu geben,
die "Software-Theorie" und die "Hardware-Theorie"- wie ich
sie nennen möchte. (Einen brauchbaren Überblick über die
wichtigsten Positionen in dieser Frage geben uns Brüntrup und
Gillitzer 1997.) Norbert Wiener hat die erste dieser Theorien
vertreten (1952, S. 94ff.). Der Mensch ist eine Information, für
die es gleichgültig ist, in welchem Medium oder welchem Code
sie aufgezeichnet ist, der Mensch ist also eine Software. Die
Hardware-Theorie identifiziert die Person mit Teilen ihres
Leibes. Würde mein Gedächtnisinhalt auf ein anderes Hirn
übertragen und in meinem Gehirn gelöscht, würde meine
Person das nicht überleben. Die neue Person wäre eine andere.
Ich darf nicht hoffen, in einem anderen Leib wieder
aufzuerstehen. Würde man Menschen in Situationen, wie sie in
Gedankenexperimenten der oben geschilderten
Art
vorkommen, beobachten können, so würden sie sich ganz so
benehmen, wie es die Software-Theorie verlangt. Auch die
Science-Fiction-Literatur scheint weitgehend die SoftwareTheorie zu vertreten. Das ist aber nicht allein entscheidend.
Wir wollen ja nicht nur wissen, was andere äußere Beobachter
feststellen und was wir an uns selbst beobachten, sondern was
wir selbst zu erwarten haben. Darüber kann uns keine eigene
und keine von außen an uns gemachte Beobachtung belehren.
Das oben geschilderte Paradoxon macht das deutlich.
Beide Theorien können uns nicht befriedigen. Die SoftwareTheorie redet nur über vergangene Wahrnehmungen und nicht
über berechtigte Hoffnungen und Befürchtungen oder über
Wetten. Die Hardware-Theorie ergeht sich sowieso nur in
Vermutungen. Weder die Hardware-Theorie noch die
Software-Theorie beantworten eigentlich das, was wir wissen
wollen: Was habe ich in der Zukunft zu hoffen? Da beide
Theorien zweifelhaft sind, kann ich mich weder auf das von der
einen angebotene Kriterium für meine Fortexistenz noch auf
das der anderen verlassen. Also weiß ich nicht, ob ich in zehn
Minuten noch lebe oder ob dann ein anderer in meinem Leib
lebt, der mein Gedächtnis übernommen hat und nur fälschlich
glaubt, er habe meine Erlebnisse gehabt, an die er sich ja
erinnert. Daß die Hardware-Theorie und die Softwaretheorie
beide versagen, ergibt sich bereits aus der Fassung des Gedankenexperiments, wie es bei Parfit diskutiert wird.
Meine Argumentation soll jetzt darüber hinausgehen. Die
Hoffnungen sind verknüpft mit Wahrscheinlichkeiten, die ich
künftigen
Ereignissen
zuschreibe.
Über
diese
Wahrscheinlichkeiten läßt sich aber bereits nichts mehr sagen,
da der entsprechende Wahrscheinlichkeitsbegriff zu einer
Paradoxie führt. Auch ohne mich um irgendeine Theorie der
Identität der Person zu kümmern, weiß ich doch, was es heißt,
etwas zu hoffen. Da ich philosophischen Theorien abhold bin,
halte ich mich an die Erfahrung. Diese sagt mir, daß ich,
Ikarus, fast ebenso oft bei der Verdopplung der Person die eine
auf einem fernen Planeten wie die andere auf der Erde
geworden bin. An diesen Erfahrungen orientiere ich mich mit
meinen Hoffnungen und Befürchtungen für die Zukunft.
Die Phänomene in diesem Gedankenexperiment sind klar, sie
lassen sich alle schildern. Es kann gesagt werden, über welche
Erlebnisse die Personen berichten werden. Dennoch sind wir
vielleicht nicht ohne weiteres bereit, auf Grund dieser
Erlebnisse Erwartungen zu bilden.
Die Wahrscheinlichkeiten, mit denen wir es hier zu tun haben,
sind streng subjektiv. Angenommen, Ikarus wettet vor dem
Beamen mit einer anderen Person DM 0.50 gegen DM 0.50,
daß er auf einem fernen Planeten landet. Derjenige, der dort
ankommt, fordert nun den Gewinn von DM 1 ein. Das Original
auf der Erde ist bereit, zu verzichten. Der Wettpartner hingegen
verliert auf jeden Fall seinen Einsatz. Die Wette ist also unfair.
Daher
haben
die
diskutierten
Wahrscheinlichkeiten
intersubjektiv keinen Sinn. Sie hängen ferner vom registrierten
Erfolg ab. Aber nur, wer überlebt, kann Erfolg melden. Wenn
der Originalkörper nicht überlebt und gar nicht mehr das
Bewußtsein erlangt, kann die darin verbliebene Person nicht
Meldung erstatten: "Hier bin ich, der weiterlebende Astronaut
Ikarus." Kann sich nun durch das Ausbleiben einer solchen
Meldung die Wahrscheinlichkeit für Ikarus erhöht haben, auf
dem fernen Planeten anzukommen? Können wir diese
Wahrscheinlichkeit davon abhängig machen, ob ein
Bewußtsein Meldung erstattet? Würden wir so argumentieren
wie die Leute in unserem Gedankenexperiment auf Grund ihrer
Erlebnisse, müßten wir auch sagen, die Wahrscheinlichkeit zu
sterben sei w = 0. Denn noch nie hat jemand berichtet, er sei
gestorben.
Es geht hier gar nicht mehr um philosophische Theorien der
Identität der Person. Diese relativ abstrakte Frage läßt uns kalt.
Es geht schlicht um die Frage, was wir hoffen können. Wie
genau kennen wir unser Gehirn? Vielleicht werden darin
ständig Kopien des Gedächtnisses angefertigt, die danach
gelöscht werden. (Nach dem gegenwärtigen Forschungsstand
ist das nicht sehr wahrscheinlich.) Bedeutet das vielleicht, daß
jeder von uns viel früher stirbt, als er gemeinhin glaubt? Wie
groß sind die Wahrscheinlichkeiten, daß ich bei der ständigen
Abkupferung meines Gedächtnisses bis zum Tode meines
Leibes (w) oder nur ein Jahr (wa) überlebe und nicht als eine
Sicherheitskopie gelöscht werde? Würde täglich eine
Sicherheitskopie
angelegt,
wären
dann
diese
Wahrscheinlichkeit vielleicht nur w = 2-30000 bzw. wa = 2-365?
Ein lähmender Fatalismus wäre die Folge, wenn ich das wüßte
und den Wahrscheinlichkeitsbegriff so interpretiere, daß es
nicht darauf ankommt, ob die Sicherheitskopie zum
Bewußtsein erwacht oder nicht. Das wäre in der Tat eine sehr
geringe Überlebenschance. Oder ist die Wahrscheinlichkeit, so
alt wie der eigene Leib zu werden nahe bei 1?
Was rettet uns vor solchen Fragen? Nichts als unsere Vitalität.
Wir werden nicht aufhören, für unsere Zukunft zu sorgen und
uns mit der Person zu identifizieren, die morgen in unserem
Körper wohnt. Keine philosophische Reflexion wird unsere
Angst vor der Zukunft oder unsere Hoffnung dämpfen! Unsere
Vitalität würde uns allerdings nichts nützen, sobald mit
Sicherungskopie gebeamt wird und wir uns zwischen den oben
geschilderten Fällen 1 und 2 entscheiden müßten. Wir können
also nur hoffen, daß so etwas nie passiert.
Es klingt vielleicht wie ein Offenbarungseid der Philosophie,
wenn sie am Ende ihrer Weisheit angelangt, den Menschen auf
seine natürlichen Gefühle und Antriebe zurückverweisen muß.
Denn gerade diese in Zweifel zu ziehen und zu korrigieren oder
zu rechtfertigen, war sie ausgezogen. Die Philosophen wollten
nicht mehr blindlings ihren Haß- und Rachegefühlen folgen, sie
wollten in einem höheren Sinne gerecht sein. Aber die
Philosophie überschätzt sich, wenn sie für das menschliche
Leben, für das Recht oder die Pflicht zu lieben oder zu hassen,
zu handeln und Zukünftiges zu erwarten, eine völlig neue
Grundlage finden will. Vielleicht gelingt ihr so etwas, wie eine
Umorientierung, eine Neugestaltung der Gefühle und ihrer
Intentionen. Aber das kann sie nicht alleine mit rationalen
Mitteln erreichen. Der lebendige Mensch, der philosophisch
reflektiert, muß von sich aus neue Initiativen ergreifen, die ihm
die Philosophie nicht anbieten kann.
Man mag es als tröstlich ansehen, daß die Philosophie keine
Fragen beantworten kann, nach deren Antworten sich niemand
richten würde, weil wir alle Kreaturen sind. Man mag es
ebenso als eine Niederlage der Philosophie betrachten, daß sie
uns aus unserer Befangenheit in unserer Kreatürlichkeit nicht
heraushelfen kann. Man denke darüber, wie man will! Hier
liegt die Grenze der analytischen Philosophie, und da heute
alles ernst zu nehmende Philosophieren von ihr ausgehen muß,
die Grenze aller Philosophie.
Literatur
Brüntrup, G., Gillitzer, B., 1997, Der Streit um die Person.
Information Philosophie, Oktober 1997, 18-27.
Husserl, E., 1950, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und
phänomenologischen Philosophie, 1. Buch, Bd. 3. Den Haag,
Nijhoff.
Parfit, 1984, Reasons and Persons. Oxford, Clarendon Pr.
The Open University, 1973, The Freewill Problem. Bletchley
(Buckinghamshire), Open Univ. Pr.
Wiener, N., 1952, Mensch und Menschenmaschine.
Frankfurt/Berlin. Metzner.
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