Hausarbeit von Jan Belak „Handlungskompetenz von Lehrern in Bezug auf Unterrichtsstörung“ für den H-EWII/I-HK Leistungsnachweis bei Prof. Dr. A. Gruschka WS 2006/07 Jan Belak, Straß2 23, 23555 Ort Niedernhausen, März 2007 Inhalt Inhalt ........................................................................................................................................... 2 Vorwort....................................................................................................................................... 3 Einleitung ................................................................................................................................... 4 Was sind Unterrichtsstörungen und woraus resultieren sie? ...................................................... 4 Handlungsmöglichkeiten des Lehrers gegen Störungen ............................................................ 7 Der Trainingsraum...................................................................................................................... 9 Die Praxis des TR................................................................................................................. 11 Fazit TR:............................................................................................................................... 14 Die 1-2-3 Methode ................................................................................................................... 16 Fazit 123M und TR .................................................................................................................. 17 Kounins „Theorie der Unterrichtsstörung“ oder der „Welleneffekt“....................................... 21 Konklusion ............................................................................................................................... 23 Literatur .................................................................................................................................... 25 2 Vorwort Das Essay hat Disziplinprobleme im Unterricht, eine Darstellung der Handlungskompetenzen von Lehrern in Bezug auf Disziplinarmaßnahmen, alternative Methoden zur Verminderung und Prävention der Störungen zum Inhalt. Ursprünglich war geplant, anhand von Unterrichtstranskripten das Spektrum von Handlungskompetenzen von Lehrern bezüglich Störungen zu untersu- chen. Jedoch ergab sich beim durchsehen von Transkripten, dass in den aufgezeichneten Stunden nur „normaler“, fast störungsfreier Unterricht stattfindet und das die Reihe durch. Störungen, die den Unterricht lahmlegen, konnte ich nicht finden. Es gab immer wieder mal einzelne Ermahnungen zur Aufmerksamkeit, doch der Unterricht wurde in seinem Fluss nicht unterbrochen. Ein Transkript allerdings beinhaltete eine komplette Lahmlegung der Stunde. Dies musste ich allerdings als Außnahme der Regel abtun. Es schien als würden sich alle Störungen, die in den anderen Stunden fehlen, in dieser einen zusammenfließen und konzentrieren. Woran das liegen mag, dass alle LehrerWelt sich über Unterrichtsstörungen beklagt, aber dann in Transkripten nichts zu finden ist, mag an der „Aufnahme“-Situation liegen. Das Forschungsobjekt (die Klasse) weiß, dass es beobachtet wird und verhält sich in diesem Moment anders. Das ist wohl ein grundlegendes Problem der empirischen Forschung. Andere Alternativen, warum der Unterricht so vorbildlich verlaufen ist, mag ich nicht ausschließen. Auf Grund der Tatsache, dass ich in den Transkripten kaum oder auf nicht erwähnenswerte Störungen/ Disziplinprobleme gestoßen bin, verlief die Arbeit in eine andere Richtung. Sie beginnt mit der Definition von Unterrichtsstörung und geht über eine Analyse der Wirkung von Disziplinarmaßnahmen, die Lehrer in einer Umfrage genannt haben, bis hin zu zwei Darstellungen alternativer Methoden gegen Unterrichtsstörungen. Das Essay endet mit einer These, die sich aus meinen Gedanken mit der Ursache von Disziplinproblemen ergab. Es soll angemerkt werden, dass diese These untermauert ist von Klaus Hurrelmann. Er hat sie nicht so explizit formuliert, wie ich das getan habe. Aber die Grundsätze mit der er das Problem betrachtet sind die gleichen (nachzulesen in „Die Problematik der Disziplinschwierigkeiten im Unterricht“). Jedoch stieß ich auf den Beitrag von Hurrelmann erst, nachdem ich diese These aufgestellt habe. Und betrachte ihn 3 deshalb als eine Bestätigung meines Gedankens dazu. Es steht jetzt noch aus dieser These nachzugehen und zu prüfen, in wie weit sie Bestand hat oder ob die Ursachen für Disziplinprobleme evtl. doch anders begründet ist. Der besseren Lesbarkeit wegen, heißt es nur Lehrer und Schüler etc. damit ist das weibliche Geschlecht natürlich mit eingeschlossen. Einleitung Jeder Lehrer wird es wohl kennen, denn es gehört zum Unterricht dazu, wie der Schnee zum Winter. In verschiedenen Intensitätsgraden gibt es Unterrichtsstörungen wahrscheinlich in jeder Klasse. Und während manche Lehrer damit gut klar kommen, evtl. ihr eigenes System entwickelt haben diesen Störungen entgegenzuwirken, bringt eine störende Klasse andere Lehrer ins Grab, und es scheint auch statistisch erwiesen zu sein, dass die Lebenserwartung von Lehrer niedriger liegt, als bei Menschen anderer Berufszweige. So ist das zumindest zu entnehmen aus Clemens Hillenbrands „Didaktik bei Unterrichts- und Verhaltensstörungen“. Die Fragen denen im Folgenden hinterhergegangen werden soll sind: Was ist (Unterrichts-)Störung? Wovon hängt sie ab resp. woraus resultieren diese? Wie gehen Lehrer damit um? Gibt es ein Patentrezept dagegen? Einige Autoren behaupten das. Zwei dieser vermeintlichen Patentrezepte sollen vorgestellt und kurz beleuchtet werden. Dabei handelt es sich um zwei Methoden, die erst auf den zweiten Blick eng miteinander in Zusammenhang stehen, einmal die Trainingsraum-Methode, basierend auf Edward E. Fords „Disciplin for home and School“ und zum andern die „123-Methode“ von Phelan und Schonour. Was sind Unterrichtsstörungen und woraus resultieren sie? 4 Nach R. Winkel liegt eine Unterrichtsstörung dann vor, „wenn der Unterricht gestört ist“, so banal es klingt, „d.h. wenn das Lehren und Lernen stockt, aufhört, pervertiert, unerträglich oder inhuman wird“ (Winkel zitiert nach Hillenbrand, S.26). In Hillenbrands Buch findet man eine Kategorisierung der „Hauptproblembereiche“ für Störungen, unterteilt in Unterbereiche. Diese Kategorisierung soll mit beitragen zur Verbesserung der Handlungskompetenz von Lehrern. Es wird unter folgenden Arten von Störungen unterschieden: 1. exzessive und defizitäre; 2. verbale und nonverbale; 3.Verletzungen moralischer Normen und 4. Störungen mit unterschdiedlichen Interaktionspartnern (vgl. Hillenbrand S. 73). Die Hauptproblembereiche, die auf empirischen Ergebnissen basieren, lassen sich wie folgt schematisieren: 1. Verbale Störungen (42,4%) 2. Nonverbale Aktivitäten (19,2%) 3. Vorsituative Defizite (15,2 %) 4. Verletzung moralischer Normen (6,4%) 5. Passivität, Desinteresse, u.a. (vgl. a. a. O.). Man muss allerdings bestimmte Umstände beachten, in denen die Störungen auftreten. Die Ergebnisse schwanken unterschiedlich zu den Jahrgangsstufen, so treten die Punkte 1. und 2. häufiger auf in den Jahrgangsstufen 5 und 6, während in den Stufen 7-9 die Punkte 3 und 4 vermehrt auftreten, so Hillenbrand. Mithin spielt die Schulart eine wichtige Rolle, ebenso die Unterrichtsform. So kommen im Frontalunterricht vermehrt nonverbale Störungen und Passivität vor. Eine Vermutung von mir für Störungen im Unterricht ist die, dass der Unterricht nicht den Erwartungen des Schülers entsprechen. Dass soll heißen, entweder ist der Stoff nicht interessant genug, resp. es ist für ihn nicht ersichtlich für was das, was gelehrt wird, von Nutzen ist oder die Vortrags/Unterrichtsmethode ist schlecht gewählt. Wenn der Schüler sich langweilt, stört er. Das kann durch Passivität oder durch Aktivität sein. Oder mit den Worten von Schonour/Phelan: durch „Start-Verhalten“ oder durch „StopVerhalten“. Das heißt der Schüler tut entweder etwas nicht, was er aber tun soll (z. B. arbeiten) oder er tut etwas, das er aber bleiben lassen soll (z. B. reden). Wobei „Passivität“ wahrscheinlich weniger der Unterrichtsstörung zu gu5 te kommt, als mehr der Leistungsstörung, von der differenziert werden muss und um die es bei Hillenbrand unter anderem auch geht, hier aber außer Acht gelassen werden muss, denn an dieser Stelle soll in erster Linie die Unterrichtsstörungen behandelt werden, die nicht aus einer Krankheit oder einem psychischen, welchen Ursprungs auch immer gearteten Problem resultieren. Ergo, der Schüler wird wohl eher geneigt sein zu stören, wenn der Unterricht ihn langweilt, als wenn dieser ihn fesselt, interessiert und der Schüler ihm seine ganze Aufmerksamkeit widmet. Man müsste also der Frage hinterher gehen, warum Unterricht nicht alle Schüler immer und zu jeder Zeit anspricht. Dazu gesellt sich die Anforderung des Lehrers oder der Schule an den Schüler. Von ihm wird zu jeder Zeit Konzentration, Ausdauer und Mitarbeit gefordert und das bis zu 6h und mehr am Tag. Dass der Schüler nicht die gleiche Konzentration in der 6. Stunde an den Tag legt wie zur Ersten, dürfte nachvollziehbar sein. Somit ist die Aufmerksamkeitsrate auch geringer, der Hang zur Störung (beabsichtigt oder unbeabsichtigt) größer. Hillenbrand meint aber, dass Lehrer davon ausgehen müssten, dass Schüler sich bewußt - somit beabsichtigt - für ihre Handlungsweisen entscheiden. Und das ist nicht nur die Ansicht Hillenbrands auch E. E. Ford geht von dieser Annahme aus. Handeln im Affekt wird hier nicht in Betracht gezogen. Der Schüler weiß somit immer wenn er gerade stört. In Hillenbrands Buch werden eine Reihe von Bedingungen genannt, die Einfluss auf die Handlungsweisen nehmen sollen. Darunter stehen u.a. Folgende: Unerwartete Ereignisse; unmittelbare Interaktionserfahrungen; körperliche Eigenschaften; kognitive Fähigkeiten; Schulklasse als soziale Gruppe (!); außerschuliche Gruppeneinflüsse; Persönlichkeit und Erziehungsstil des Lehrers u. a. m. (vgl. Hillenbrand S. 75/76). Als problematisch allerdings, so Hillenbrand, erweist sich die „Attributierung“ bei Problemsituationen. „Die Lehrer suchen die Ursachen für Problemsituationen hauptsächlich im Schüler, in seiner Persönlichkeit und Sozialisation. Die eigene Person wird nicht beachtet, sie bleibt ein ‚blinder Fleck’. Die Ursachen für Problemsituationen sehen Lehrer zu 65% im Schüler, zu 13% in der Institution, zu 11% im Milieu und nur zu 3% in der eigenen Person“ (a. a. O.). Zu den letzten 3% würde man wohl auch den eigenen Unterrichtsstil, der hier nirgends vorkommt, zählen müssen. Dieses Phänomen des „blinden Flecks“ ist ziemlich häufig im Unterricht zu beobachten, was auch Analysen von pro6 tokollierten Stunden immer wieder zeigt. Der Lehrer versucht eine Inszenierung, um die Schüler zu etwas bestimmten hinzuführen (einem neuen Thema beispielsweise), etwas in Form eines Theaterstücks. Nicht selten endet diese Inszenierung in einem Ratespiel, bei dem die Schüler allerdings nicht die Antworten geben, die der Lehrer erwartet. Was folgt ist antizipierbar: Die Schüler wissen nicht was das soll, tappen im Dunkeln und beginnen sich zu langweilen, mithin den Unterricht zu stören. Und anstelle, dass der Lehrer auf die Antworten eingeht fängt er an zu resignieren und schiebt letztendlich die Schuld auf die Schüler. In einem konkreten Beispiel, ist letzteres genau der Fall gewesen (vgl. Moll-Strobel, S.112/113). „Nach Beendigung der Unterrichtsstunde [...] berichtet der Lehrer uns, dass die Schüler - wie so oft - den Unterrichtsgang behindert hätten, da sie unaufmerksam gewesen seien und nur mühsam begriffen hätten, was er - der Lehrer - eigentlich gewollt habe“ (ebd.). Das Problem bestand aber eigentlich vielmehr darin, dass die Schüler „andere zielorientierte Beiträge“ (ebd.) eingebracht haben und nur die Denkanstöße des Lehrer ignorierten. Dieser wiederum ignorierte, resp. ging nicht auf diese Beiträge ein. Und so verhält es sich auch in anderen aufgezeichneten Unterrichtsstunden, in denen die Schüler ein sehr schönes kooperatives Verhalten an den Tag legten, das der Lehrer aber nicht erkennt. Man kann quasi sagen, Schüler und Lehrer reden an einander Vorbei, dennoch über den gleichen Gegenstand. Der Lehrer zeigt nicht die Fähigkeit, die man von ihm erwarten müsste, nämlich sich auf die Denkvorgänge der Schüler einzulassen. Die Schüler wissen nicht was der Lehrer will und rebellieren (wenn auch unbewusst). Die Folge sind Störungen. Doch der Lehrer sieht die Schuld nicht bei sich. Handlungsmöglichkeiten des Lehrers gegen Störungen Lehrer müssen vor allem in ihre Unterrichtsplanung Störungen des Unterrichts mit einbeziehen, meint Hillenbrand. Es ist völlig naiv zu glauben der gewählte Stoff und/oder die gewählte Vortragsweise wäre so spannend, dass 7 alle Schüler der Klasse 45-90 Min. aktiv und aufmerksam bei der Sache sind. Mit Störungen muss also gerechnet werden. Treten diese dann auf, liegt es am Lehrer diese zu beseitigen, damit der Unterricht wieder fließen kann und die Schüler, die lernen wollen auch lernen können. Der Lehrer hat darauf zu achten adäquat auf Störungen zu reagieren. Doch allzuhäufig passiert das Gegenteil, denn Störungen treten unverhofft und akut auf, so dass Lehrer schnell verunsichert werden. Eine spontane Handlung lässt oft keine reflektierte Gegenmaßnahme zu und so kommt es zu Übertreibungen, Nervosität, Aggressivität, Ironie u.a. seitens des Lehrers, so Hillenbrand. Stefan Balke (vgl. Balke) befragte Lehrerinnen und Lehrer, welche Handlungen sie am geeignetsten betrachten und am häufigsten anwenden. Es wird die Frage nach den „üblichen Mitteln und ihre Wirksamkeit“ gestellt (vgl. Balke S. 26). Die konkrete Frage lautete: „‚Welche Maßnahme ergreifen Sie gegen Störungen?’ Die Lehrer/innen sollten zur Beantwortung der Frage bis zu vier Maßnahmen beschreiben, die sie gewöhnlich im Unterricht gegen Störungen einsetzen. Weiterhin sollten sie auch die Reihenfolge der Häufigkeit angeben, mit der sie die Maßnahmen einsetzen“. Die häufigst genannte Antwort war die „Ermahnung“. Einige gaben an, dass sie den Schüler ansehen. Andere typische Maßnahmen wurden dagegen nur recht selten genannt, wie z. B. ignorieren, um Aufmerksamkeit bitten, Minus für die Arbeit verteilen oder vor die Tür setzen. Weiterhin wurden die Lehrer gefragt, welches der genannten Mittel am wirksamsten/unwirksamsten ist. Die Ergebnisse fielen wie folgt aus (vgl. Balke S.27): die am wirksamsten Maßnahmen: 1. Einzelgespräch; 2. letztlich ist keine Maßnahme wirksam; 3. abwarten; 4. in einen anderen Raum setzen nach Hause schicken oder Androhungen aussprechen. Die unwirksamsten Maßnahmen sind: 1. Ermahnung; 2. letztlich ist keine Maßnahme wirksam; 3. vor die Tür schicken; 4 Androhung aussprechen. Ironischerweise ist die am häufigst angewandte Methode auch die unwirksamste, die Ermahnung. Die Erklärung dafür sieht Balke darin, dass eine Ermahnung eine sehr direkte, leicht auszuführende und unreflektierte Gegen8 maßnahme ist, die keine größere Planungstätigkeit erfordert. „Das erklärt die Häufigkeit der Anwendung. Die Wirkungslosigkeit der Ermahnung ergibt sich dann, wenn eine Ermahnung häufig ausgesprochen wird und bei den Schüler/innen der Eindruck entsteht, dass sie keine ernsthaften Konsequenzen haben wird“ (Balke S. 28). In der Tat kann man beobachten, wie Lehrer häufig Mahnungen der Art „gleich setz ich dich vor die Tür“ aussprechen ohne, dass eine Handlung folgt außer evtl. nachfolgende Mahnungen wie „gleich setze ich dich aber wirklich vor die Tür“, die natürlich ohne Wirkung in der Luft verpuffen. Es gibt zwei Methoden, die auf den ersten Blick nichts mit einander gemeinsam haben, sich dann allerdings als recht nahe verwandt entpuppen. Sie versprechen die Lösung für alle Unterrichts- und Verhaltensstörungen zu sein, kinderleicht anzuwenden mit Erfolgsgarantie. Es handelt sich hierbei um die „Trainingsraum“ und um die „123“ Methode. Beide sollen hier näher beleuchtet werden und auf etwaigen Erfolgsgehalt und Wirkung in Bezug auf die Sozialisation hin beleuchtet werden. Wir beginnen mit der etwas komplexeren Trainingsraum Methode. Der Trainingsraum Der Trainingsraum (TR oder TRM) ist nicht, wie der Name vermuten lässt, ein Ort körperlicher Ertüchtigung. Es handelt sich um einen Ort, an dem der Schüler die Möglichkeit bekommt über sein (in der Regel negatives) Handeln nach zu denken. Der Ursprung der Methode liegt in Amerika, genauer, in Arizona. Daher auch gerne betitelt mit das „Arizona Projekt“. Der eigentliche Name lautet aber „Responcible Thinking Classroom“ (RTC). Entwickelt hat dieses Konzept Edward E. Ford und ist Teil des „Responcible Thinking Progress“ (RTP). RTP basiert auf der „Perceptual Controll Theorie“ (PCT) des amerikanischen Psychologen William T. Powers. Oder kurz ausgedrückt: RTC ist ein Segment des RTP basierend auf der PCT, welches in Amerika scheinbar, wenn man dem Buchumschlagtext glauben darf, unsagbare Erfol9 ge erzielt. Die Deutschen haben es sich natürlich nicht nehmen lassen, das System zu kopieren, umzubenennen und auch an ihren Schulen einzusetzen. Auch, wenn die Zahl der Schulen, die es anwenden, relativ gering ist. Da ich das amerikanische Vorbild in einer anderen Arbeit explizit unter die Lupe nehme, möchte ich hier mit den dt. Pendants arbeiten. Da wäre das Buch von Stefan Balke „Die Spielregeln im Klassenzimmer“ und das Buch von Heidrun Bründel und Erika Simon „Die Trainingsraum-Methode“. „Die Maßnahmen der Lehrerinnen und Lehrer zur Behebung von Unterrichtsstörungen zielen auf das Handeln der Schülerinnen und Schüler und nicht auf ihr Denken“ (Bründel/Simon S.12). Dieser Satz bildet das Fundament des TR-Systems und gibt die Ansicht wieder, welches die PCT vertritt. Die PCT geht davon aus, dass Lebewesen das kontrollieren, was sie wahrnehmen und nicht, wie es die „Engeneering Controll Theorie“ tut, die aus der Handlung resultierenden Folgen. Als dafür zur Verfügungen stehende Funktion gibt es nach Powers mehrere Control Systeme in einer hierarchischen Ordnung, die aber alle ein Ziel haben, nämlich die Termination von „negativen Funktionen“. Der Ablauf lässt sich wie folgt schematisieren: Es gibt ein „Referenz Signal“(RS) und ein „feedback Signal“(FS), die von den neuralen Netzen des Lebewesens wahrgenommen werden. Das RS entspricht in etwa den „Wünschen“ und „Vorstellungen“ des Subjekts und die FSs den akuten Wahrnehmungen. Nun tritt eine Vergleichsfunktion in Kraft, welche die Differenz zwischen RS und FS misst. Ist die Differenz gleich 0 besteht kein Handlungsbedarf. Ist die Differenz jedoch größer als 0 entsteht eine „Fehlermeldung“ („error signal“), das Controll System versucht die Differenz auszugleichen und RS und FS so nah wie möglich an einander zubringen resp. die Differenz aufzuheben und ein Äquilibrium herzustellen. Kontrolle wird demnach so definiert: “A kontrolliert B, wenn für jeden störenden Einfluss, der auf B einwirkt, A eine Handlung durchführt, die dem Einfluss dieser Störung auf B direkt entgegenwirkt.“ (Balke, Stefan „Die Spielregeln im Klassenzimmer“ S.33, Bielefeld 2001). 10 Auf das Zitat oben bezogen, bedeutet dies: Die Schüler kontrollieren nicht ihre Handlungen, auf die der Lehrer versucht Einfluss zu nehmen, um Störungen zu reduzieren, sondern ihre Wahrnehmung (in dem Zitat oben als das „Denken“ tituliert). Und auf diese Wahrnehmung gilt es Einfluss zu üben. Das Postulat der TR-Methode ist folgendes: „Es gibt keine sich ständig wiederholenden Ermahnungen mehr, kein Zeit aufwändiges Feilschen um die Störung, keine langen Diskussionen, keine Ausreden mehr, sondern ein stringentes Vorgehen bei Störungen im Klassenraum“ (Bründel/Simon S. 14). Es gilt den Schülern beizubringen, „dass sie ihr Verhalten selbst entscheiden und deshalb auch selbst verantwortlich sind“ (a. a. O. S.15). Die Praxis des TR Das Fundament ist gelegt. Nun gilt es die Säulen zu errichten. Diese entsprächen den, in der Klasse aufgestellten Regeln, die in Kooperation mit dem TRSystem fungieren. Die „goldenen Regeln“, die Leit- und Gesetze der Klasse, die ein für allemal für Ruhe und Ordnung sorgen. Sie lauten, so banal sie klingen mögen: 1. Jede Schülerin und jeder Schüler hat das Recht ungestört zu lernen 2. Jede Lehrerin und jeder Lehrer hat das Recht ungestört zu unterrichten 3. Jede/r muss stets die Rechte der anderen respektieren (vgl. Balke). Die Werkzeuge mit denen gearbeitet wird sind, man könnte fast sagen, „sokratische“ Fragen, die darauf Zielen, den Schüler zum Reflektieren über sein akutes Verhalten anzuhalten, denn es gilt nicht den Schüler zu belehren, was auf den ersten Blick im Widerspruch mit dem Ziel steht, den Kindern zu Verantwortung und „richtiges“ Verhalten zu lehren. Die Fragen können variieren, aber im Grunde bleibt der Inhalt der Gleiche. Nur die Abfolge ändert sich je nach den Antworten der Schüler: 1. „Was tust Du gerade?“ 11 2. „Du kennst die Regeln der Klasse?“ 3. „Wofür entscheidest Du dich?“ 4.„Möchtest Du im Trainingsraum über dein Verhalten nachdenken oder möchtest du dein Störverhalten aufgeben und in der Klasse bleiben?“ 5. „Und falls Du doch wieder störst, was passiert dann?“ „Wenn Du nach diesen Fragen noch einmal störst, hast Du dich durch diese Störung entschieden, in den Trainingsraum zu gehen“. (vgl. Bründel/Simon S.45). In Frage 3 und im Zusatz (letztes Zitat) liegt der Knackpunkt. Dem Schüler wird die „Wahl“ gelassen zu bleiben oder zu gehen. Es wird ihm unterstellt, dass er sich mit einem weiteren Vergehen zugleich entscheidet zu gehen. Das steht im Widerspruch zu der Forderung, dass den Schülern beigebracht werden muss, dass sie für ihr Handeln selbst verantwortlich sind (Bründel/Simon), denn die Unterstellung, dass der Schüler sich nach der Verwahrnung mit erneutem Regelverstoß quasi aktiv entscheidet in den TR zugehen, impliziert, dass dem Schüler Verantwortlichkeit zugeschrieben wird. Denn man kann sich nur bewußt entscheiden, wenn man auch weiß, dass man für seine Handlungen auch die Konsequenzen übernehmen muss. Dies wiederum zeugt von Verantwortlichkeit im eigentlichen Sinne. Nicht in dem Sinne in dem man heute sagen würde „da hast Du aber sehr verantwortungsbewußt gehandelt“. Dass heißt Verantwortlichkeit ohne Qualitätszuschreibung. Demnach müsste, wenn von Verantwortung gesprochen wird, zuerst geklärt werden, was das bedeutet. Ein weiteres Problem der hier genannten pseudo „Entscheidungsfreiheit“ ist, dass Schüler sehr oft eben nicht verantwortlich resp. reflektiert handeln, sondern aus dem Affekt heraus. Es mag auch schwer sein sich vorzustellen, dass die meisten Störungen nicht vorsätzlich geplant sind. Ich denke aber, dass die meisten Störungen im Affekt geschehen und in dem Sinn nicht als Störung geplant sind, aber eben den unerwünschten störenden Nebeneffekt haben. 12 Situation: Ein Schüler schmeißt etwas nach einem anderen Schüler, um diesen zu ärgern (wohl gemerkt nicht, um den Unterricht zu stören). Der andere fühlt sich, wie geplant, gestört und pöbelt in einem verärgerten Ton den anderen an, dass er das lassen soll. Während Aktion A (Werfen) keine Unruhe mit sich bringt, stört Aktion B (Rufen) in erheblichem Maß die Ruhe. Hat sich Schüler B nun aktiv, vorsätzlich und vollen Bewußtseins dazu entschieden zu stören und gegebenenfalls in den TR zu gehen, sich zumindest aber eine erste Ermahnung einzuholen? Kann man ihm eine reflektierte verantwortliche Handlung unterstellen? Wird er den ganzen Vorgang in seinem Kopf durchgespielt haben, die Varianten und alternativen Reaktionsmöglichkeiten und den daraus resultierenden Konsequenzen abgewägt und sich, als Ergebnis dieser Reflektion, am Ende für diesen Zwischenruf entschieden haben? Kann man diesem Schüler also eine Entscheidung unterstellen? Das ist schwer zu glauben. Die TR-Methode geht aber nun davon aus. Sollte nun der rufende Schüler schon „vorbestraft“ sein und sich mit seinem Ruf „entschieden“ haben in den TR zu gehen, erwartet ihn dort ein päd. Mitarbeiter, dessen Aufgabe es ist, diesen Schüler in seiner Phase des Entwicklens von „Verantwortungsbewußtsein“ zu unterstützen. Der TR ist dazu da, dass der Schüler sich eine „Auszeit“ nehmen und über seine Tat nachdenken kann. Das Wort „kann“ lässt vermuten, dass er die Wahl hat. Die hat er aber nicht, deswegen sollte es besser lauten: Der Schüler soll über sein Verhalten nachdenken. Darüber hinaus muss er einen Plan entwerfen, wie er sein Verhalten in Zukunft ändern will und auf solche oder ähnliche Situationen dann so reagiert, dass er die drei Grundregeln nicht verletzt. Dazu gibt es einen vorgefertigten Bogen Papier etwa dem folgenden Inhalt: 1. Beschreibe, was passiert ist. 2. Welche Regel hast Du gebrochen? 3. Das Nächstemal, wenn Du dieses Problem hast, wie wirst Du damit umgehen? 4. Wie wirst Du die Arbeit, die Du hier im TR verpasst, nachholen? (vgl. Ford S.84/ 85) 13 Dies ist nur eine Auswahl an Fragen des Bogens. Diese Fragen sind zu beantworten und dem Lehrer, der den Betreffenden in den TR geschickt hat, vorzulegen. Und dieser Lehrer muss den „Plan“ absegnen, bevor der Schüler wieder am Unterricht teilnehmen kann. Wenn der Lehrer nicht mit dem Plan einverstanden ist, muss der Schüler ihn überarbeiten. Härtefälle sollen die Außnahmen sein und hier nur kurz angerissen werden. Wenn der Schüler die Kooperation verweigert, sieht das Programm vor ihn nach Hause zu schicken und ihn mit den Eltern zu einem Gespräch zum Rektor zu laden. Das Gespräch ist natürlich keine Rüge, sondern soll ebenso wie das Formblatt des TR dazu dienen einen Plan zu entwickeln, wie alle beteiligten in Zukunft besser Handeln, damit die Regeln nicht verletzt werden und die Eltern nicht mehr in die Schule kommen müssen. Alles soll sachlich und ruhig ausdiskutiert und geplant werden. Es müsste geklärt werden, wie es rechtlich aussieht, einen Schüler vom Unterricht zu „suspendieren“. Was in Amerika Gang und Gebe ist, dürfte sich in Deutschland als schwierig erweisen. Fazit TR: Der TR funktioniert und die Störungen in der Klasse reduzieren sich schon nach kürzester Zeit merklich, so die Versprechungen der Autoren. Der Erfolg der Methode, soll hier nicht in Zweifel gezogen werden. Es fehlen allerdings dazu empirische Untersuchungen. Viel fraglicher ist die Methode an sich resp. ihre „Nebenwirkungen“. Handelt es sich hier wirklich um die postulierte Hilfe zur Selbsthilfe (den Schülern soll geholfen werden verantwortungsbewußtes Denken und Handeln zu erlernen) oder in Wirklichkeit um eine Disziplinarmaßnahme? Was ist mit der Schule, die als Sozialisationsinstanz gilt. Ein Ort, in dem die Zöglinge erzogen werden und nicht nur Fachwissen beigebracht bekommen. Negiert der TR nicht im Grunde diese Funktion? Der Lehrer als Pädagoge wird von den Pflichten eines Erziehers abgelöst und zum reinen Vermittler 14 von Wissen ummodeliert. Statt sich mit den Problemen auseinanderzusetzen, kann er diese nun auf jemand anderen (den TR-Lehrer) abwälzen und zeitgleich sich der Störung/ Unruhe entledigen. Schüler müssen/dürfen(?) ihre Konflikte nicht mehr selber lösen, denn der Versuch einer Lösung, wie auch immer dieser aussehen mag, kann sofort mit dem TR geandet werden, und das obwohl der Verteidiger gar nicht mal die Schuld am Ursprung der Störung hat. Aber es geht hier nicht um Schuldzuweisung und Ursprungsfindung, sondern einzig und allein um die akute, wahrnehmbare Störung, unabhängig davon, ob der Verursachende Urheber oder Verteidiger ist. Halte dich an die Regeln und dir wird es gut ergehen, lehne dich gegen sie auf und du wanderst in den Knast (Trainingsraum natürlich). Denn du hast die frei Wahl, entweder in der Klasse zu bleiben oder in den TR zu gehen. Dass die „freie Wahl“ eigentlich schon verantwortungsbewußtes Handeln und Denken impliziert, wird hier außer Acht gelassen. Man kann nicht auf der einen Seite Verantwortungsbewußtsein lehren wollen und gleichzeitig das Vorhandensein derselbigen unterstellen. Das ist paradox. Das sind nur einige Probleme, die auftauchen, wenn man sich mit der Methode des TR auseinandersetzt, die man m. E. erst einmal ausdiskutieren müsste, bevor man die Methode einsetzt. Doch was soll man darüber diskutieren, wenn sie doch offensichtlich Erfolg hat? Warum sich mit den Grundsatzfragen auseinandersetzen, wenn man endlich in aller Ruhe unterrichten kann und seit Jahren mal wieder mit dem Lehrplan so vorankommt, wie man sollte? Das ist natürlich eine Einstellung mit der man an die Sache herangehen kann. Doch als ausgebildeter Lehrer erkenne ich damit meinen Beruf als Erzieher nicht an, der aber nun mal unweigerlich dazugehört. Verlassen wir den TR und betrachten eine andere Methode, die nicht weniger Erfolg postuliert, die 1-2-3-Methode von Phelan und Schonour. 15 Die 1-2-3 Methode „Keine Taschenspielertricks, keine hohlen Werbeversprechungen, dabei verblüffend einfach, wenn man sie konsequent anwendet.“ Was sich hier liest, wie der Werbespruch eines neuen Waschmittels, ist in Wirklichkeit das Versprechen der Autoren an den Anwender der 123 Methode (123M). Das es in der Pädagogik auch Taschenspielertricks gibt, war mir bis dato nicht bewußt. Das sich dieser Satz wie eine Werbeversprechung ließt, steht nicht im Widerspruch damit, dass hier versprochen wird, dass es sich nicht um eine „hohle“ Werbeversprechung handelt. Wie man von einer pädagogischen Methode auf Werbung, die in der Regel was mit kommerziellen Dingen zu tun hat, schließen kann, ist schleierhaft und dass man sie konsequent anwenden muss nur logisch, denn ansonsten würde es wohl den Anschein eines Taschenspielertricks erwecken. Man könnte wohl noch etwas Zeit aufwenden, um allein die Aufmachung des Buches sowie den Schreibstil zu kritisieren. Damit angefangen, dass man immer wieder Anfangs auf Textstellen stößt wie „Wenn Sie mit der 1-2-3-Methode beginnen, werden sich sehr schnell Veränderungen einstellen“ oder „Sie werden sehen, dass die 1-2-3-Methode bei richtiger Anwendung tatsächlich funktioniert“ ohne aufgeklärt zu werden, um was es denn bei dieser Methode nun eigentlich geht. Tatsächlich muss man bis Seite 40 lesen, bis zum erstenmal und dass auch nur Ansatzweise erläutert wird, wie sie funktioniert und dass obwohl schon das erste Kapitel mit der Überschrift „Was ist die 1-2-3-Methode?“ hoffen lässt, dass man endlich erfährt, um was für ein „Wundermittel“ es sich hier dreht. Darüber hinaus liest es sich wie ein Selbsthilfebuch und nicht wie ein wissenschaftlicher Text. Es mag natürlich sein, dass es den Anspruch daran nicht erhebt, aber es büßt somit ein wenig an Ernsthaftigkeit ein. Daher fragt man sich, wer denn dann überhaupt angesprochen sein soll. Auf der Seite 41 endlich, erfährt man, was man als elendlich gestresster Lehrer tun soll, wenn ein Kind abends um 6 Uhr(?) einen Tobsuchtsanfall bekommt und man sicher ist, dass alle Nachbarn durch sein Geschrei und Getobe aufgeschreckt werden. Nun merkwürdig ist es schon, wenn in einem Ratgeber für Lehrer eine Situation in einer privaten Sphäre beschrieben wird und nicht, wie man annehmen sollte, im Klassenraum. Nun, statt dem Kind, 16 wie von der Mutter geraten, den Hintern zu versohlen, soll man sagen: „Hier ist die 1“. Und das in einem ruhigen uns sachlichen Ton. Das ist alles. Das Kind wird ruhig. Na, wenn da kein Taschenspielertrick dahinter steckt. Es kann natürlich passieren, dass das Kind nicht aufhört, womit die Hoffnung auf einen, vielleicht doch vorhanden, wenn auch am Anfang abgestrittenen, Taschenspielertrick, zu Nichte gemacht wird. Wenn das Kind nicht aufhört Terz zu machen, sagt uns das Buch: Halten Sie zwei Finger hoch und sagen „Hier ist die 2“. Versprochen wird, dass in aller Regel hier spätestens der Schlussstrich gezogen ist und das Kind aufhört mit all seinen aggressiven Tätigkeiten. Doch wie Kinder nun mal sind, machen sie nicht immer das, was man als Erzieher von ihnen möchte. Daher, wenn der Delinquent nach der „2“ noch nicht ruhig ist, soll man nach weiteren fünf Sekunden drei Finger hochhalten und sagen: „Hier ist die 3 - fünf Minuten Auszeit“. Nun da der Störenfried drei Chancen hatte, seine Attacken einzustellen, muss es die Konsequenzen ertragen. Die Strafe folgt auf dem Fuß. „5 Min. Auszeit“. Das sieht so aus, dass sich der Junge/das Mädchen in eine ruhige Ecke begibt, sich auf einen Stuhl setzt und sein Alter in Minuten (so der Vorschlag der Autoren, allerdings lassen sie dem Nachahmer hier freien Spielraum) dort verbringen muss. Das soll dazu dienen, dass sich der erhitzte Kopf abkühlen kann. Und was zu Hause funktioniert, klappt auch im Klassenzimmer, so die Autoren. Fazit 123M und TR Die Bücher sind so geschrieben, dass jeder sie lesen und verstehen kann. Die Zielgruppe liegt eindeutig nicht bei den Akademikern, sondern vielmehr bei Eltern und Lehrern (von denen man ein gutes Verstehen von wissenschaftlichen Texten eigentlich voraussetzen müsste) oder sonst wie in die Erziehung mit einbezogene Menschen. Die Bücher lesen sich vielmehr wie, wenn es die Bezeichnung dafür überhaupt schon gibt, Motivations-Lektüre. Lektüre, die speziell dafür geschrieben ist, und sei es nur für eine kurze Wei17 le, die Motivation bei den Erziehern zu steigern. Sie haben damit etwas woran sie sich wieder hochziehen können, einen Funken erneuter Hoffnung in ein Mittel das vielleicht doch gegen den „Krieg“ in der Klasse helfen kann. Was soll man von solcher Literatur halten? Nun, es verhält sich in etwa so wie mit dem schottischen Dudelsack. Ein Instrument, welches sehr schwer zu erlernen und zu spielen ist (zumindest benötigt der ungeübte eine gehöriges Kontingent an Kraft, um Töne aus dem Instrument zu locken) und hier in Deutschland Jahr für Jahr eine größere Anhängerschaft gewinnt (somit auch die der ungeübten Anfänger). Da dieses Instrument aus sehr vielen Einzelkomponenten besteht und somit im Grunde nur die Summe seiner Teile ist, besteht auch ein sehr großer Markt an Ersatzteilen, die jährlich herausgebracht und neu entwickelt werden und immer mit dem Versprechen, dass es damit nun noch leichter geht den Sack zu spielen und zu erlernen. Man müsste gar meinen, dass die Pfeife von alleine spielen sollte, bei all den Wunderwerken der modernen Technik. Und eben darum kauft man sich den „Schrott“, den man im Grunde gar nicht benötigt, denn das althergebrachte tut es genauso. Und die Hersteller freuen sich, denn die verdienen daran nicht schlecht. Nun könnte man meinen, was für ein gemeines Spiel das doch ist. Doch wenn man es näher betrachtet, hat es auch was Gutes und zwar für beide Seiten. Der Händler verdient ordentlich Geld und der Musiker ist zumindest für eine Weile mit seinem Instrument und seinem Sound beschäftigt. Damit einher geht auch das Üben mit den neuen Teilen und das damit inhärente Training der Fingerfertigkeit. Ob die Teile nun Besserung/ Erleichterung bringen oder nicht ist somit erst mal zweitrangig. Rein aus pädagogischer sicht hat es auf jeden Fall etwas gebracht. Wem die Analogie immer noch nicht klar ist, soll sie hier erläutert werden. Es soll den Autoren dieser Art von Motivations-Literatur nicht unterstellt werden, dass sie die Lage der Erzieher ausnutzen und nur an ihr Geschäft denken. Dennoch mag ich zu behaupten, dass viele Lehrkräfte über jede neue Theorie der vermeintlich richtigen oder optimalen Erziehungsmethode zur Beseitigung von Störungen im Unterricht dankbar sind. Allein die Literatur für dieses Essay benötigte eine Vormerkung meinerseits und war kurz nach oder schon 18 bei der Ausleihe wieder vorgemerkt. Die Lehrer, die wirklich unter emotionalem Stress durch Störungen stehen, werden jede helfende Hand annehmen. Und wenn auch die Methode letzten Endes nichts bringt, so hat es wie bei dem Dudelsack den positiven Effekt, dass für kurze Zeit neue Motivation aufkam und Praxis nach sich zog. Hiermit soll nicht in Frage gestellt werden, ob die entsprechende Methode funktioniert oder nicht funktioniert. Die Effizienz1 und Wirkungsweise (Nebenwirkungen) der einzelnen Methoden müssten nur einmal genauer untersucht werden. Vielmehr soll hier eine, wenn vielleicht auch unbewusste Art der Geldmache auf Kosten der nach hilferingenden Lehrer unterstellt werden. Und das mit Werbeversprechungen (ob hohl oder nicht), deren System (zumindest bei der 123M) nicht einmal ausreichend wissenschaftlich fundiert ist. Von der TRMethode kann man zumindest behaupten, dass sie Hand und Fuß hat. Sie beruht auf einem wissenschaftlichen (theoretischen) Konzept. Sie ist klar strukturiert, geplant und soll nicht, wie es bei der 123M offensichtlich der Fall ist, aufs Geratewohl angewandt werden. Und auch, wenn diese Methode sehr viel- und erfolgsversprechend aussieht, muss man das System in Frage stellen, denn auf welche Art es letzten Endes wirkt ist nicht abzusehen. Was gemeint ist, sind Folgen wie: blinder Gehorsam (die Psychologie nennt das klassische Konditionierung), das nicht in Frage stellen von Regeln, „Anti“Sozialisierung (die Negation der Sozialisation). Ein weiteres Problem das die TR-Methode (TRM) mit sich zieht ist, das das System nur Sinn macht, wenn es von jedem Lehrer und in der ganzen Schule angewandt wird. Nun warnen andere Autoren aber davor, dass man sich Methoden aneignet, die nicht den eigenen Einstellungen zum Unterricht entsprechen. Soll heißen, wenn jemand meint die richtige Methode gegen Störungen sei aggressives Verhalten und sollte er damit gar Erfolge erzielen, dann wird es schwer sein ihn von der TRM zu überzeugen. Ob man den Lehrern unterstellen kann, dass sie an ihren (erfolgreichen oder erfolglosen) Methoden hängen und das Unbekannte 1 Effizienz ist wie Qualität ein Begriff mit dem man vorsichtig umgehen sollte. Denn man müsste zu erst klären in wie weit Begriffe wie diese, die aber formal eher in die Kategorie Wirtschaft passen in Zusammenhang mit Pädagogik gebracht werden können. Nichts desto Trotz verwende ich diesen Begriff hier erst einmal unhinterfragt. 19 fürchten, müsste man vielleicht einmal klären. Die TRM macht m. E. und auch im Sinne des Autors nur Sinn, wenn sie kontinuierlich von allem pädagogischen und nichtpädagischen Personal angewandt wird, ungeachtet der ganzen Probleme und Grundsatzfragen. Doch wenn all die gut gemeinten teuren und dringend gebrauchten Ratschläge nichts taugen, was soll man machen? Nun, es gibt durchaus auch Literatur, die nicht mit diesem „Überlebenshandbuch-Kompletär-Lebensratgeber“-Immage (um es grob mit den Worten von Gert Lohmann auszudrücken) behaftet sind, sondern vielmehr auf die konventionellen Mittel zurückgreift und mit die Hauptaufgabe des Lehrers in den Mittelpunkt stellt, die Erziehung der Zöglinge. Zwei Bücher sollen hier zumindest einmal erwähnt, wenn auch nicht weiter dargestellt werden. Das Buch von Lohman „Mit Schülern klarkommen“ und „Störungen in der Schulklasse“ von HP Nolting. Über den Gehalt der Bücher möchte ich nicht viele Worte verlieren. Man könnte jedoch natürlich anfangen und sie auf die vermeintliche Effizienz der dargestellten Methoden, Aufmachung und Inhalt hin analysieren. Das würde allerdings den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Interessant allerdings bleibt festzuhalten, dass, so unterschiedlich die Literatur ist und das Niveau dieser hier sind, kommen alle zu den gleichen Schlussfolgerungen. Die Wichtigste ist die, dass störungsfreier Unterricht schon aus der Prävention der Selben resultiert. Man erlangt die Störungsfreiheit nicht, in dem man bei akuten Fälle interveniert, sondern durch klare Regeln, die in der Klasse aufgestellt werden. „Regeln sind Erwartungen an das Verhalten in bestimmten Situationen. Sie können unsichtbar, sanft und wirksam Verhalten steuern und sind, empirisch gut belegt, auch für die schulische Disziplin von großer Bedeutung“(Nolting, S. 61) so das Postulat nach G. L. Huber und W. G. Bogatzki. Regeln vereinfachen der Lehrkraft die Intervention, da sie auf diese hinweisen können. Insofern herrscht ein Stück Gerechtigkeit und keine Willkür, so Nolting. Disziplinprobleme sind für gewöhnlich Regelverstöße, doch 20 wo keine Regeln kommuniziert wurden, wird es schwer Verstöße als eindeutig zu belegen. Natürlich gilt es bei der Aufstellung von Regeln einige Dinge zu beachten, damit diese dann auch ihre Wirkung entfalten können. Angefangen damit, dass man die Regeln zum Schuljahresbeginn einführen sollte. Über konsequentes durchgreifen bei Verstößen gegen die Regeln, bis hin zu, nicht zu viele Regeln (auf einmal) auf stellen. Auch sollte man darauf achten, dass die Regeln den Schülern plausibel erscheinen und dass letztere an der Aufstellung „auf die ein oder andere Weise“ (vgl. Nolting S. 64) beteiligt sind. Nun könnte man annehmen, dass dieser Vorschlag sich doch hervorragend mit der TRM kombinieren lässt, da eben dort auch Regeln aufgestellt werden. Man sollte nur folgendes bedenken. Als erstes muss ein Konsens herrschen unter den Lehrern, so dass alle die Methode akzeptieren und auch ausüben. Außerdem sind die Regeln der TRM quasi determiniert, d.h. es gibt nur ein vermeintliches Mitspracherecht für die Schüler, aber am Ende sind es die Regeln, die die TRM vorgibt, sonst würde das System nicht funktionieren. Die Aufgabe des Lehrers besteht also darin die Schüler von den Regeln zu überzeugen und nicht darin mit ihnen welche Aufzustellen. Somit wird die Lehrkraft hypokritisch tätig, wenn sie nicht die Schüler vor vollendete Tatsachen stellen will. Was dann aber im Grunde faktisch so wäre. Daher ist der Ratschlag von Nolting eher distanziert zu der TRM und mehr als Alternative mit eigenen Regeln statt Ergänzung dazu zu betrachten. Kounins „Theorie der Unterrichtsstörung“ oder der „Welleneffekt“ Aufgrund eines interessanten Phänomens, dass Kounin während einer Vorlesung machte, veranlasste ihn zu einer langen Forschung über Störungen und Zurechtweisungen. Das Phänomen zeigte die Wirksamkeit einer Rüge eines einzelnen auf die ganze Gruppe. Genauer: einer wurde schroff gebeten doch aufzupassen und plötzlich wurden alle aufmerksam (leises Getuschel verstummte, Augen wanderten vom Fenster zur Tafel etc.). 21 Dies nannte Kounin i„Welleneffekt“. Daraufhin startete er eine Studie, mit der er herausfinden wollte, ob sich die Zurechtweisung einer Person auf die ganze Gruppe auswirkt, ob es an dem Welleneffekt liegt, dass eine Klasse disziplinierter ist und ob die Art der Zurechtweisung Relevanz hat auf bestimmte Effekte. Eine Langzeitstudie von fünf Jahren zeigte, dass die Methode keine Auswirkung auf den Effekt hat. Methode A zeigte bei einer Klasse Wirkung, bei der anderen wiederum nicht. Die Quintessenz ist, dass die Art der Reaktion auf Störungen nicht bedeutsam ist. Was aber dann? Kounin untersuchte dann in einer zweiten Studie Grundschulen und Entdeckte folgende Dimensionen (vgl. Nolting S. 31 ff.): 1. „Withitness and overlapping“ bedeutet einfach nur omnipräsent zu sein, allgegenwärtig. Der Lehrer muss Augen im Hinterkopf bekommen. Während er eine Sache tut, darf er den Rest des Geschehens in der Klasse nicht aus den Augen verlieren. 2. Reibungslosigkeit und Schwung. Es gilt den Unterrichtsfluss zu wahren unnötige Zwischenaktivitäten zu vermeiden und Übergänge fließend zu gestalten. 3. Aufrechterhaltung des Gruppenfokus. Hier gilt es möglichst alle Schüler zu motivieren mitzumachen, nicht nur einzelne. Die Gruppe muss als solches mobilisiert werden. 4. programmierte Überdrussvermeidung. “stimulierende Anstöße“ sollen „negative Motivation“ vermeiden. So banal diese Punkte auch klingen, nach Kounins Forschung, sorgen sie für einen vermehrt störungsfreien Unterricht. Auch zu erwähnen wäre die Annahme, dass Mängel leichter zu erkennen sind als eine gute Umsetzung der Punkte. Während der eine Lehrer die Klasse nicht in den Griff bekommt, fragt man sich bei dem anderen, wie er es schafft für Ordnung zu sorgen, obwohl er augefällig nichts anderes macht als zu unterrichten. Keine Aggressionen oder hoher Lärmpegel seitens des Lehrer und der Schüler, sind in diesen Klassen zufinden. Und das seien die Lehrer die ein Optimum aus den oben genannten Dimensionen herausholen, so Nolting. 22 Was an dieser sehr plausiblen Methode (Umsetzung der Dimensionen) gefallen kann, ist, dass der Lehrer nicht in die Gefahr kommt die Ansprüche, die man an seinen Beruf stellt, nämlich zu erziehen und nicht nur (Regel-) gefügig zu machen, zu abzustreifen. So bleibt die Schule das, was sie u. a. sein soll, eine Sozialisationsinstanz. Konklusion Nun, leider ist es nicht möglich zu sagen, alles die keine Lust haben zu lernen bleiben zu Hause, da sie an die gesetzt. Schulpflicht gebunden sind. Also könnte man fragen, sollte man die Schulpflicht nicht einfach abschaffen? Jeder lernt nur noch dann wenn und wann er es will. Dies wäre sicherlich die optimalste Lösung des Problems Unterrichtsstörung. Die Folgen einer Abschaffung soll hier nicht mehr diskutiert werden. Faktum ist, dass Lehrer sich mit U-Störungen abgeben und sich der althergebrachten und neu auf dem Markt erschienen pädagogischen Mittel bedienen müssen. Die Lösung kann aber sicherlich nicht sein, die Delinquenten in einen abgesonderten Raum zu schieben und die Probleme auf einen anderen (den TR-Lehrer) abzuwälzen. Und eher lächerlich kommt da die 123M daher. Man möge sich die Situation doch mal vorstellen. Man kommt als Lehrer zu dem Störenfried, hält einen Finger in die Luft und sagt „hier ist die 1“. Da verliert man doch vollends den Respekt als Autoritätsperson und wird zudem noch ausgelacht. Gut, wie die 123M in der Praxis wirklich aussieht bliebe zu evaluieren. Doch was bleibt einem als Lehrer denn noch, wenn all die viel versprechenden Methoden eher fraglich sind? Man sollte sich vielleicht einmal die Frage stellen, ob man den richtigen Beruf gewählt hat. Es ist leicht vorstellbar, dass viele angehende Lehrer mit der falschen Vorstellung in den Beruf einsteigen und am Ende, trotz aller anfänglichen Überzeugung und neuen Ideen, entkräftet dastehen. Zeit seine Berufung zu überdenken. Doch was leistet die Universität als Ausbildungsstätte, um die Angehenden auf etwaige Probleme vorzubereiten? 23 Der Staat reagiert paradox, statt dem Lehramtsstudium ausreichend Zeit zu zu sichern degradiert er es zu einem Bachelor Studiengang von einer Dauer von 3 Jahren, wonach die Studenten in die Klassen entlassen werden und das nur mit ihren theoretischen (von den paar Monaten Praktikum mal abgesehen) und fachlichen Kenntnissen. Paradox deshalb, da Politiker immer wieder behaupten, die Zukunft würde in der Bildung unserer Kinder liegen. Mag sein, doch mit einem 3 Jahres-Plan schafft man eine Fachkraft für Didaktik aber nimmer für Pädagogik, somit wäre zwar die Bildung gesichert, aber was nützt uns das, wenn die Zöglinge nichts lernen wollen. Man kommt vom Hundertstel zum Tausendstel, denn als nächstes müsste man wieder die Frage aufgreifen, ob es denn wirklich so ist, dass die Kinder nichts lernen wollen. Bei dem Institut Schule kommt man, egal von welcher Seite man es anpackt, angefangen bei der Qualität, bis hin zur vermeintlichen Unlust der Schüler, über Curriculum bis hin zur Schulpflicht, am Ende nicht um eine Grundsatzdiskussion herum, die weit über das Ziel hinausschießen würde. Denn eine Diskussion über Schule und institutionelle Bildung hängt immer auch zusammen mit dem gerade zur Zeit herrschenden Bildungsideal. Jede Epoche der Geschichte hat seine Bildungsideale, so Heman. Doch welches ist das im Moment herrschende? Welches Ideal postuliert möglichst viel Wissen in möglichst kurzer Zeit möglichst vielen vermitteln zu müssen? Eine Gesellschaftskritik mit Schwerpunkt Schule ist dringend fällig, sofern noch nicht geschehen. Wie lassen sich Kapitalismus und Bildung guten Gewissens unter einen Hut bringen? Kann man Begriffe wie Qualität und Effizienz überhaupt im Zusammenhang mit Schule nennen? Wenn man diesen und anderen Fragen, die damit ebenso zusammenhängen, hier aber nicht genannt wurden, hinterher gehen würde, dann, ich bin mir ziemlich sicher, kämen wir höchstwahrscheinlich zu einem Punkt, wo sich folgende, die hiesige Arbeit abschließende, These formulieren ließe: 24 Unterrichtsstörungen resultieren aus einer Gesellschaft, die Schule nicht mehr (wenn sie das überhaupt je getan hat) als das anerkennt was sie ist, nämlich als ein Ort der Bildung, sondern in ihr nur eine Reproduktionsstätte für Arbeitskräfte sieht. Literatur - Balke, Stefan „die Spielregeln im Klassenzimmer“, Karoi Verlag Bornemann, Bielefeld 2001 - Bittlinger Ludwig et al. „Störungen im Schulaltag“, Urban und Schwarzenberg, München 1978 - Bründel, Heidrun; Simon Erika „Die Trainingsraum-Methode“, Praxis Beltz, Weinheim 2003 - Ford, Edward E. “Disciplin for Home and School”, Brandt Publishing, Arizona 2003 - Hillenbrand, Clemens „Didaktik bei Unterrichts- und Verhaltensstörungen“, UTB Reinhardt, München 1999 - Lohman, Gert „Mit Schülern klarkommen“, Cornelsen, Berlin 2003 (mit einem Vorwort von Hilbert Meyer) - Moll-Strobel, Helgard (Hrsgb.) „Die Problematik der Disziplinschwierigkeiten im Unterricht“ Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1983 - Nolting, Hans-Peter „Störungen in der Schulklasse“, Beltz, Weinheim 2002 - Schonour, Sarah Jane/ Phelan, Thomas W. „Die 123-Methode“, Verlag an der Ruhr, 2005 WWW: - www.apaek.de 25