Stellungnahme zum Gespräch am runden Tisch vom 29.5.2009 „Nationale Prioritäten zur Erhaltung und Förderung der tiergenetischen Ressourcen“ Wir begrüssen die Durchführung eines Informationsaustausches zwischen dem BLW und den Organisationen, die sich für die Erhaltung und Förderung der tiergenetischen Ressourcen in der Schweiz einsetzen. Schweizer Rassen – Genotyp, Phänotyp und kulturelle Werte erhalten Die verschiedenen Schweizer Nutztierrassen bilden zusammen die tiergenetischen Ressourcen (AnGR) der Schweizer Landwirtschaft. Die Biodiversität der Rassen widerspiegelt sich in den unterschiedlichen Leistungen der Tiere in verschiedenen Disziplinen. Dazu gehören: • Produktion von Milch, Fleisch, Eiern, Wolle, Honig • Genügsamkeit, d.h. angepasste Produktion unter extensiven Bedingungen • Robustheit, geringe gesundheitliche Anfälligkeit, Widerstandsfähigkeit • Geländegängigkeit, Trittsicherheit • Eignung für die Landschaftspflege • Ästhetische und kulturelle Werte sowie die damit verbundene emotionale Ausstrahlung Wir legen Wert darauf, dass die Rassen nicht nur einseitig auf ihre unmittelbare quantitative Produktion von Milch/Fleisch/etc. gezüchtet werden. Vielmehr ist es wichtig, mit den Zuchtprojekten die Gesamtheit der Eigenschaften und alle damit verbundenen Leistungen zu bewahren. Nur so können die Eigenständigkeiten der Rassen und damit deren Gesamtbiodiversität abgesichert werden. Die Biodiversitätskonvention von Rio bezieht sich auf die Gesamtheit aller Rassen und deren Eigenschaften. Wir sind beunruhigt über Aussagen, dass die traditionellen Rassen nur dann eine Zukunft haben, wenn sie im produktiven Sinne Leistungen erbringen und diese gesteigert werden können. Mit dem damit verbundenen Ausblenden aller anderen Leistungen werden die Unterschiede zwischen den Rassen ausgeglichen und gehen unterschiedliche Eigenschaften verloren. Die Gesamtheit der oben aufgeführten Leistungen und der Pool an heute noch unbekannten Eigenschaften legitimieren eine Erhaltung der ganzen Vielfalt der einheimischen Nutztierrassen, unabhängig davon, auf welchem Niveau der Produktivität im konventionellen Sinn sie sich befinden. Die Vielfalt widerspiegelt sich nicht nur in der Anzahl Rassen, sondern auch in der genetischen Breite innerhalb der Rassen. Erhaltungszucht zeichnet sich dadurch aus, dass sie dieser inneren Vielfalt Rechnung trägt. Die Rassen sind unterschiedlich stark verbreitet und weisen unterschiedliche Gefährdungspotentiale auf. Es hängt sehr von der Gesamtbestandesgrösse der Rassen ab, wie intensiv eine Zuchtselektion umgesetzt werden kann. Zuchtwertschätzungen bei Erhaltungsprojekten für Rassen mit einer effektiven Populationsgrösse von unter 2000 Tieren sind gefährlich, da Selektionsaktivitäten in dieser Phase der Erhaltungszucht dazu führen können, dass der Wiederaufbau eines genetisch breiten Bestandes, der die Grundvoraussetzung für eine nachhaltige Selektion ist, gestört wird. Alte Rassen – Sanfte Weiterentwicklung mit Bewahrung der Einzigartigkeit Rassen haben sich immer weiterentwickelt und sollen das auch heute noch tun. Die heutigen Kenntnisse und modernen Zuchtmethoden beschleunigten den Zuchtfortschritt enorm. Das kann dazu führen, dass rassespezifische Eigenheiten durch zu einseitige Selektion auf einzelne Produktionsparameter verloren gehen. Dadurch nimmt auch die Biodiversität der AnGR ab. Der Trend, alte Rassen mit Zuchtmethoden (z.B. Zuchtwertschätzung oder genetische Auswertungen) zu verbessern, steht in Kontrast mit der Erhaltung der Biodiversität per se. Dabei können wertvolle Eigenschaften auf der Strecke bleiben. Dass etliche alte Rassen heute erfolgreich in Vermarktungsprojekten, in der Landschaftspflege oder in extensiven Systemen eingesetzt werden können, liegt auch daran, dass sie Eigenschaften behielten, die mit der produktionsorientierten Selektion verschwunden wären (z.B. Genügsamkeit, gute Raufutterverwertung, robuste Klauen, gute Geländegängigkeit, einfache Geburten, ansprechende Ästhetik, etc. ). Förderung der AnGR über Vermarktung von Produkten mit Rassebezug Die Kommunikation der Rasse bei der Vermarktung von ihren Spezialitäten eignet sich für ein Nischenmarketing. Es gibt einen Kreis von bewussten Kunden, der authentische Produkte von traditionellen Rassen schätzt und deren Wert für die Biodiversität kennt. Mit der Angabe der Rasse erhält ein Produkt einen emotionalen und biologischen Mehrwert. Rassen können mit einem entsprechenden Marketing über ihre SpezialitätenProdukte nachhaltig erhalten und gefördert werden. Dabei müssen primär die Qualität des Produkts und die Intensität der damit verbundenen Werte/Emotionen für den Kunden stimmen. Die quantitativen Leistungen der Rassen spielen dabei untergeordnete Rollen. Wir begrüssen die Unterstützung von Vermarktungsaktivitäten und unterstreichen die Notwendigkeit, Projekte sowohl lokal als auch national aufzubauen. Um Vermarktungsprojekte für Produkte gefährdeter Rassen realisieren zu können, ist zu berücksichtigen, dass die Gesamtbestände klein und die einzelnen Herden z.T. dezentral gruppiert sind. Zudem setzten die einzelnen Betriebe bereits individuelle Lösungen für den Absatz ihrer Produkte um. Vermarktungsaktivitäten müssen daher auf zwei Ebenen erfolgen: • Mit der Unterstützung der Direktvermarktung der einzelnen Betriebe kann deren Absatz verbessert werden, was bewirkt, dass Bestände aufgestockt werden. Eine gut funktionierende Direktvermarktung, bei der der Mehrwert der traditionellen Rasse kommuniziert wird, trägt zudem zum positiven Image der AnGR-Produkte bei. Dadurch profitieren auch Produkte, die über andere Kanäle vertrieben werden. Wichtig dabei ist die konsequente Kommunikation. • Mit der Evaluation und Umsetzung neuer Projekte entstehen neue Produkte und Vermarktungs-Partnerschaften. Voraussetzung dafür ist, dass die entsprechenden Projekte lokal und kleinräumig aufgegleist werden können. Mit dem Aufbau und den wachsenden Populationen kann in einer zweiten Phase in grösseren Dimensionen geplant werden. Es ist also von Bedeutung, dass sowohl für die Förderung der dezentralen Vermarktung durch die einzelnen Betriebe wie auch für die Umsetzung lokaler Pionierprojekte finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Jede Spezialität (Food und Non-Food), die unter der AnGR-Thematik vermarktet wird, leistet einen Beitrag an das positive Image und den Gesamterfolg, ob Trockenwürste, Taschen mit Fellbesatz oder Naturkosmetik mit Ziegenmilch. Sensibilisierungsarbeit Sensibilisierung auf die biologischen, ökologischen und kulturellen Werte der AnGR wirkt sich auf verschiedenen Ebenen positiv aus: • Landwirtschaftliche Betriebe, Nebenerwerbs- und Hobbybetriebe wählen bewusst Rassen innerhalb der Schweizer AnGR aus. • Nischenprodukte profitieren von der positiven Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit. • Vermarktungspartner nutzen das positive „Biodiversitäts-Image“ für sich und sorgen mit ihren Vermarktungsaktivitäten für Nachhaltigkeit. • Die Allgemeinheit begreift, weshalb der Bund AnGR erhält und fördert. • Das Bewusstsein der Gesellschaft um die kulturellen Werte wird gefördert. Die kulturelle Verankerung stellte eine emotionale Absicherung für die Rassen dar und ist die Basis für die Bereitschaft, sie zu erhalten. Sensibilisierungsarbeit besteht aus verschiedenen Elementen: • Öffentlichkeitsarbeit über alle Medien und Kommunikationsmittel • Schauwesen und Tierevents fürs Fachpublikum und für die Öffentlichkeit • Informationen zu den Rassen und zur AnGR-Thematik auf den SpezialitätenProdukten • Spezialitäten-Märkte, Internetmarktplätze Sensibilisierung ist wirksam, wenn sie auf verschiedenen Ebenen geschieht und fachlich-technische als auch emotionale Elemente enthält. Es ist wichtig, dass Fördermittel für alle Facetten der Sensibilisierungsarbeit zur Verfügung gestellt werden. Wir können Aussagen, dass z.B. Druckmaterial generell nicht finanziert wird, daher nicht nachvollziehen. Sensibilisierungsarbeit findet auch ausserhalb der anerkannten Zuchtvereine statt. Finanzielle Unterstützungen für Sensibilisierungsarbeit und Marketingleistungen mit positiver Wirkung auf die Erhaltung und Förderung der AnGR sollen unabhängig eines Annerkennungsstatus gesprochen werden können (z.B. für NGO’s wie ProSpecieRara, landwirtschaftliche Informationsinstitutionen, etc.). Eine wichtige Grundlage für die Sensibilisierung auf die Vielfalt der Nutztiere ist deren äusseres Erscheinungsbild, das essentiell für die kulturelle Verankerung der Rassen und deren Weiterbestehen ist. Die einseitige Konzentration auf den Genotyp birgt die Gefahr, dass rassetypische Exterieur-Merkmale sowie spezifische Leistungen der Rassen verwässern. Zusammenfassung Die Erhaltung und Förderung der Vielfalt der Nutztierrassen basiert auf drei Fundamenten: Zucht Sensibilisierung Vermarktung Erhaltung der genetischen Breite Breite Öffentlichkeitsarbeit Nachhaltige Stärkung der AnGR-Bestände über die Förderung der Wertschöpfung mit deren Produkten und Leistungen Erhaltung der Gesamtheit der rassetypischen Eigenschaften Minimierung der Zunahme des GesamtInzuchtgrades Ausgewogene Förderung aller Leistungen einer Rasse Sensibilisierung der Öffentlichkeit für den Nutzen und den Wert der AnGR Information aktiver Züchter und potentieller Neuzüchter Information bestehender und potentieller Kunden von AnGRProdukten und Menschen die AnGR-Leistungen nutzen AnGR als Kulturgut lebend erhalten Die AnGR der Schweiz können aufgrund ihrer unterschiedlichen Gefährdungsgrade nicht gleich behandelt werden. Zuchtstrategien für traditionelle Rassen sind so festzulegen, dass die Gesamtheit aller Eigenschaften und somit nicht nur die Leistungen im konventionellen, also produktiven Sinne erhalten und gefördert werden. Bei Gesamtbeständen mit effektiven Populationsgrössen unter 2000 ist auf obligatorische Zuchtwertschätzungen und/oder genetische Auswertungen zu verzichten. Die Vermarktung von Produkten unter der AnGR-Thematik (rassespezifisches Marketing) ist sowohl klein- wie grossräumig zu fördern. Sensibilisierungsarbeit ist mit allen dafür geeigneten Mitteln und in Zusammenarbeit mit allen Organisation, die diese wirksam leisten, breit zu fördern. Auflistung der Organisationen, die den Inhalt dieser Stellungnahme mittragen: Arbeitsgruppe „Gefährdete Rassen GefRa“ des Schw. Ziegenzuchtverbands, 3000 Bern Interessegemeinschaft Pfauenziege, 3006 Bern Monitoring Institute, 9000 St.Gallen ProSpecieRara, 5000 Aarau Spiegelschaf Zuchtverein, 5000 Aarau Verein zur Erhaltung des Bündner Oberländer Schafes, 9127 St. Peterszell Zuchtverein Walliser Landschaf WLS, 1269 Bassins Züchterverein für ursprüngliches Nutzgeflügel, 9217 Neukirch a.d.T. 27.5.2009