„Marketing“ – Dossier der HAZ Wirtschaftszeitung Ursprungsfassung des Interviews mit Prof. Dr. Wiedmann „Erfolg hängt nicht vom Budget ab“ Professor Klaus-Peter Wiedmann ist Direktor des Instituts für Marketing und Management an der Leibniz Universität Hannover. Der international anerkannte Wissenschaftler warnt davor, Marketing mit Werbung zu verwechseln. Und er beschreibt die neuen Chancen, die sich heute aus Neuroforschung ergeben Wenn Sie über geglücktes Marketing nachdenken – welche Beispiele fallen Ihnen da ein? Wiedmann: Vordergründig betrachtet könnte man etwa Zalando anführen. Mit „schreiender Werbung“ ist es geglückt in aller Munde zu sein. Allerdings ist das sicher nicht sehr nachhaltig. Sehr viel besser bewerte ich z.B. das Konzept „VW. Das Auto“. Diesen Anspruch weltweit mit geglückten Kampagnen zu vertreten und parallel dazu vor allem in den Bereichen Design und technische Qualität massiv aufzuholen, ist sicher ein Beispiel für gutes Marketing. Erwähnenswert ist weiterhin etwa auch der Ansatz von Abercrombie & Fitch. Mit der Marke Hollister ist es gelungen, eine echte Erlebniswelt mit hoher Anziehungskraft nicht nur für junge Menschen aufzubauen. Hollister-Läden sind ja von außen nicht als Geschäfte zu erkennen, drinnen wummert Musik so laut wie in einer Disco, das Licht ist so schummrig, dass man die Waren kaum erkennt. Wiedmann: Aber nicht zuletzt damit wird eine ganz besondere Erlebniswelt aufgebaut, die in sich stimmig inszeniert ist und deshalb funktioniert. Bei welcher Art von Einschränkungen machen? Marketing würden Sie Wiedmann: Nehmen wir Edeka. Der Slogan „Wir lieben Lebensmittel“ wird im Rahmen durchaus ansprechender Werbung kommuniziert. Im Laden stoße ich dann aber mitunter auf nicht sehr frisches Obst oder ich muss mit ansehen, wie empfindliches Obst wie Ananas lieblos auf einen Haufen geworfen wird. – Das hat mit „Zuneigung zu Lebensmittel“ wenig zu tun. Dies ist ein Beispiel für „Werbesprüche“, die an sich sehr gut sind, deren Anspruch dann aber nicht konsequent in der Realität erfüllt wird. Gutes Marketing zeichnet sich indessen dadurch aus, dass geweckte Erwartungen, Hoffnungen und Wünsche dann auch tatsächlich erfüllt werden. Nur so erzielt man Kundenzufriedenheit. Will man Kunden angesichts des gestiegenen Wettbewerbs begeistern, wird man Erwartungen sogar „übererfüllen“ müssen. Insofern muss man auch immer sehr vorsichtig sein, welche Ansprüche man als Unternehmen aufbaut. Der Slogan „Skoda-to-go“ klingt sicher “pfiffig”. Aber was impliziert das? Welche Erwartungen werden hier geschürt: Man kommt und nimmt im Vorbeigehen schnell ein Auto mit? So wie einen Kaffee, ganz schnell? Sind die hieraus erwachsenden Ansprüche sinnvoll erfüllbar? Was kann denn der Mittelständler tun, der nicht aus so großen Töpfen schöpfen kann? Wiedmann: Ich hatte lange Zeit mit Energieversorgern und speziell mit Stadtwerken zu tun. Durch gesetzliche Veränderungen wurden diese Unternehmen ja bereits vor einiger Zeit gezwungen, das Thema Marketing für sich zu entdecken. Hierzu wurden erst einmal Berater engagiert, die dann mitunter in weitgehender Unkenntnis der Branche mit sehr anspruchsvollen Fremdworten sehr viel „dummes Zeug“ erzählt haben. Eilfertig wurden die Fremdworte gelernt und mit großem Budget aufwändige Werbekampagnen realisiert. Dabei wäre das nicht notwendig gewesen: In vielen dieser Unternehmen gab es vorher schon sehr gute Ansätze - einfaches, eher hemdsärmeliges, aber sehr authentisches Marketing mit viel persönlichem Herzblut. Nur wurden diese positiven Ansätze seitens der Führungskräfte nicht konsequent verstärkt und zum Vorbild für alle anderen im Unternehmen erhoben. Stattdessen wurden mit den Werbekampagnen bei den Kunden höhere Erwartungen aufgebaut, so dass die „Schwarzen Schafe“ unter den Mitarbeitern mit Kundenkontakt noch mehr aufgefallen sind und das Image schädigten. Das heißt, funktionierendes Marketing muss weder kompliziert sein noch teuer? Wiedmann: Es reicht ein gutes Konzept, konsequent umgesetzt. Erfolgreiches Marketing hängt nicht vom Budget ab. Solide Produkte, guter Service und vor allem: Menschen, die dahinter stehen, denen wir abnehmen, dass sie es ernst meinen – das sind viel wichtigere Erfolgsfaktoren als nur bunte Bilder. Oft werden Werbung und Marketing verwechselt. Wo sehen Sie die Missverständnisse? Wiedmann: Marketing setzt früher an und ist vor allem als ein ganzheitliches Führungskonzept zu begreifen. Es beginnt mit dem „Geist und Stil des Hauses“. Es gilt, eine starke Unternehmenspersönlichkeit zu schaffen, die sich in der gesamten Unternehmenskultur widerspiegelt. Konkret hat das etwas mit dem unbedingten Willen zu tun, ein besonders gutes Produkt zu schaffen, Kundenorientierung und Servicebereitschaft tatsächlich zu leben. Das ist die Voraussetzung, die normativ kulturelle Grundlage. Wie bekommt man das hin? Wiedmann: Hierzu gibt es freilich sehr viele Ansatzpunkte. In einem Fall gab es etwa einen mittelständischen Unternehmer, den bei der Arbeit zu erleben so faszinierend war, dass wir ihn in Aktion gefilmt und die Videos dann allen Mitarbeitern weltweit zur Verfügung gestellt haben. Zu erleben, wie er sich voll eingesetzt und für gute Problemlösungen für die Kunden gekämpft hat, war so faszinierend, dass es keiner zusätzlichen Kommentierung mehr bedurfte. Ein anderes Beispiel: Vor etlichen Jahren habe ich als Marketingverantwortlicher in einem großen Unternehmen alle Bereichs- und Abteilungsleiter dazu „verdonnert“, regelmäßig Gespräche mit „richtigen“ Kunden zu führen. Auf diese Weise wird hautnah erlebt, was „da draußen los ist“. Ohne viel Worte lässt so ein hohes Maß an Empathie aufbauen und damit ein fruchtbarer Boden für die Koordination im Unternehmen im Dienste der Befriedigung von Kundenbedürfnissen schaffen. Intensive Kundenkontakte über alle Bereiche und Abteilungen hinweg stellt ohne Frage gerade auch bei jenen Mittelständlern das Erfolgsgeheimnis dar, die wir als sog. „Hidden Champions“ feiern. Marketing- Fremdworte sind hier nicht selten unbekannt. Hervorragende Mitarbeiter arbeiten indessen sehr eng mit Kunden zusammen und sprechen deren Sprache. Was ist der nächste Schritt? Wiedmann: Sind die normativ kulturellen Voraussetzungen geschaffen, spielt dann zunächst die systematisch zielorientierte Gewinnung von Informationen über den Kunden, dessen Wünsche, Hoffnungen, Befürchtungen eine herausragende Rolle. Das kann – wie schon kurz angesprochen – im Rahmen intensiver Kundengespräche geschehen. Darüber hinaus machen aber auch eine wirklich professionelle Marktforschung und der Einsatz anspruchsvollerer statistischer Methoden Sinn. – Es muss ja nicht gleich „Big Data“ sein, aber die vielfältigen Informationen, die einem Unternehmen prinzipiell zur Verfügung stehen, müssen gezielt ausgewertet werden. Um die Motive der Kunden richtig einschätzen zu können, erscheint es zudem zweckmäßig, auf „Hirnforschung“ zu setzen. Sie meinen neuroökonomisches Marketingmanagement, was verbirgt sich dahinter? Wiedmann: Neuroökonomik versucht, die Prozesse im Gehirn nicht nur zu verstehen sondern auszuleuchten. Inzwischen sind die Instrumente und das notwendige Knowhow so weit entwickelt, dass wir sehr genau sehen können, auf was der Mensch wie reagiert. Wir haben im Kopf zwei Systeme, ein explizites und ein implizites. Das erste arbeitet vergleichbar mit einem „Piloten“ bewusst rational. Das zweite hingegen unbewusst, intuitiv und funktioniert wie ein „Autopilot“. Wichtig zu wissen ist nun: Menschen entscheiden nur zu ca. fünf bis zehn Prozent mit Hilfe des expliziten Systems, also rational. Der Rest ist durch Intuition vorgeprägt – auch und gerade bei Experten. Wenn ich mich zwischen zwei Autos entscheiden will, helfen mir also keine Plus- und Minuslisten? Wiedmann: Da die Auswahl und Gewichtung der jeweiligen Kriterien unbewusst vorgeprägt ist, verhelfen solche Listen lediglich dazu, im Nachhinein „gute Gründe“ für das anführen zu können, was mir zuvor „gute Gefühle“ verschafft hat. Weiß man, auf was der „Autopilot“ positiv reagiert, kann man Reaktionen auf Werbung und sich daran anschließende Entscheidungen vorhersagen. Zwischenzeitlich können wir aufgrund unserer Möglichkeiten in einzelnen Fällen zu fast 90 Prozent Entscheidungen antizipieren. Wie funktioniert das? Wiedmann: Wir arbeiten hier u.a. mit EEGs, mit deren Hilfe die Aktivierung verschiedener Gehirnareale gemessen werden kann. Der Preis und insbesondere hohe Preise aktivieren so etwa das Schmerzzentrum. Signale, die eine Befriedigung relevanter Bedürfnisse in Aussicht stellen, aktivieren indessen das Belohnungszentrum. Letztlich gilt es nun herauszufinden, welche Signale (Bilder, Argumente etc.) in der Lage sind, schlechte Gefühle infolge hoher Preise oder anderer Widrigkeiten zu kompensieren oder besser noch: über zu kompensieren bzw. vergessen zu lassen. So kann man sich das zumindest grob vorstellen. Das heißt, neuere Marketingforschung versucht herauszufinden: Worauf reagiert das Gehirn intuitiv positiv? Und dementsprechend lässt sich dann eine Marke oder ein Produkt optimal präsentieren? Wiedmann: Ja, genau. Man muss jetzt nur noch sicherstellen, dass man etwa im Wege von Experimenten relevante Markensignale geschickt variiert und dann präzise nachvollzieht auf welche Signale wie stark reagiert wird. Letzteres kann etwa über spezielle Brillen gewährleistet werden, die genau aufzeichnen helfen, was wie lange fokussiert wird. Das ist das so genannte Eyetracking. Hochspannend... Wiedmann: Ja, aber ein Schuh wird nur daraus, wenn man gleichzeitig im Gehirn misst, was in diesem Moment dort passiert. Zum Beispiel beim Anschauen von Werbespots. Entlang der gesamten Bild- und Argumentationsfolge ist sehr genau nachzuvollziehen welche Reize in welchen Gehirnarealen welche Reaktionen hervorrufen. Was wird registriert, was wird positiv assoziiert, was hat eine Chance im Gedächtnis einen „guten Platz“ zu finden? Mache ich jetzt endlich Werbung? Wiedmann: Noch nicht. Der nächste Schritt ist dann die Strategie. Es stellt sich die Frage: Welche Segmente wollen wir adressieren? Welche Zielgruppen gibt es? Und wie spreche ich diese am besten an? Welche Folgewirkungen hat das? Zurzeit gefällt mir etwa das Konzept der neuen A-Klasse sehr gut. Gutes Produkt, ansprechende Werbung, man gewinnt zweifellos mehr junge Leute. Gleichzeitig wird man aber einige der bisherigen A-Klasse-Kunden – zumeist ältere Zielgruppen – verlieren, die das bisherige Design besonders schätzten, weil man höher sitzt. Hier sind klare strategische Entscheidungen zu treffen: Auf welche Segmente ziele ich ab, welche Position will ich im Kopf und Herzen des Kunden haben? Für welche Art von Qualität stehe ich? Und wie sieht es dann mit meiner Preis- und Distributionspolitik aus? Wenn das alles feststeht, marschiere ich erst in Richtung kommunikativer Umsetzung und kann dann in Slogans und Kampagnen denken. Was kann denn schlimmstenfalls passieren, wenn man statt auf Marketing nur auf Optik und witzige Sprüche setzt? Wiedmann: Schlimmstenfalls dass Leistungsangebote nicht akzeptiert und auch die Anbieter dahinter nicht mehr ernst genommen werden. Praktiker ist hier ein ganz schlimmes Beispiel. Es wurde versucht, den psychologischen Trick der Verknappung zu nutzen: nach dem Motto „20 Prozent günstiger aber nur noch wenige Tage“ – und das dann das ganze Jahr über. – Diese Art von Werbung tut richtig weh… Durch die sich das Unternehmen selbst schlechter macht? Wiedmann: Ja, klar. Man wird nicht mehr ernst genommen. Und das hat irgendwann auch ökonomische Konsequenzen. Marketing ist heute keine Einbahnstraße mehr und zielt längst nicht immer auf platten Verkauf: BMW sammelt online Vorschläge und Ideen. Hornbach als Baumarkt bietet seinen Kunden Mehrwert durch Videotutorials – wie bewerten sie diese Entwicklung? Wiedmann: Schon Anfang der 1970er Jahre hat Alvin Toffler den Begriff des Prosumerismus aufgebracht: Der Endkunde als Produzent und Konsument. Seit dieser Zeit wird innerhalb der Wissenschaft an der Vision eines dialogorientierten Marketings gefeilt. Die Intensivierung des Dialogs mit den Kunden gilt – dies klang zuvor schon an – als eine der zentralen Marketingleitideen. Was sich in den genannten Beispielen indessen zeigt, sind die inzwischen erheblich verbesserten technischen Möglichkeiten, geeignete Ansätze eines Dialoges konkret umzusetzen. Sicherzustellen ist nun allerdings, dass nicht nur Kundenideen und -vorschläge gesammelt werden. Diese müssen dann auch sehr ernst genommen werden. Der Fall Hornbach zeigt hier, dass das Unternehmen die ggf. bestehenden Sorgen und Nöte der Kunden sehr ernst nimmt und diese – bildlich gesprochen – auch auf der Leiter stehend nicht alleine lässt. Von hier ließe sich dann zugleich eine Verbindungslinie zum „SoLoMo-Trend“ herstellen. Das steht für sozial, lokal, mobil. In unserem Beispiel würde dies bedeuten: Ich stehe auf der Leiter mit meinem iPad und stelle fest, dass ich trotz Videotutorial nicht so richtig vorankomme. Über ein Social Media App wird mir dann auch noch die Chance geboten, Hilfe von einem „Buddy“ zu organisieren, der sich in der Nähe meiner Wohnung aufhält. Sind denn auch kleinere Unternehmen zu solchen Angeboten in der Lage? Wiedmann: Wir haben hier in der Region Hannover ein Projekt, das heißt eBusiness-Lotse. Damit wollen wir dem Mittelstand sowie kleinen Unternehmen helfen, eBusiness und eMarketing zu realisieren. Ziel ist es, ein Netzwerk zu schaffen, das solche Unternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung entsprechender Konzepte unterstützen kann. Hierbei wird es gerade darauf ankommen, auf solche eKonzepte hinzuarbeiten, die für die Kunden einen tatsächlichen Nutzenzuwachs schaffen. Viele wünschen sich noch allein eine schicke Website. Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit dahingehend zu leisten, dass mit dem Eintritt in die virtuelle Welt über eine Website sofort weiter gehende Erwartungen bei den Kunden aufgebaut werden, die es zu erfüllen gilt. Die Fähigkeit und Bereitschaft zum Dialog steht hier ganz oben. Aber es gibt durchaus schöne Beispiele, wo schon Malerbetriebe mit ihren Kunden chatten. Was finden Sie – bezogen auf die Zukunft – als Wissenschaftler besonders interessant? Wiedmann: Das sind Akzeptanzphänomene. Insbesondere im Feld sehr komplexer Produkte und Konzepte oder wenn es um anspruchsvolle Themen wie das Erneuerbare Energien Gesetz geht. Unsere wirtschaftliche Zukunft wird wesentlich mit davon abhängen, ob es uns gelingt, für „Future Internet“ und „Smart Technologies“ sehr zügig die notwendige Akzeptanz bei den relevanten Anwendern zu erzielen. Zumeist geht es hier um integrierte Gesamtlösungen, bei denen letztlich erst über das intelligente Zusammenspiel von einzelnen Leistungskomponenten ein Nutzenzuwachs erzielt werden kann. Beispiel wäre das Konzept einer Smart City: Wie lässt sich die gesamte Lebensqualität in einem regionalen Raum durch den Einsatz innovativer Internet-Technologien nachhaltig verbessern? – Durch innovative Energieversorgungs- und Verkehrssysteme, neue Wohn- und Arbeitskonzepte, Smart ShoppingKonzepte einschließlich Smart Payment-Systeme. Wie lässt sich erreichen, dass die Menschen hier mitmachen können und wollen? Das ist alles nicht so einfach. Aber die Wirtschaft muss ja auch mitziehen, oder? Im Bereich Elektromobilität etwa sind wir Deutschen ja nicht besonders weit vorn... Wiedmann: Sieht man einmal von der nicht sehr glücklichen Aufklärung der Endkunden ab, so ist m.E. die mangelnde Fähigkeit und Bereitschaft, sich sehr komplexen Herausforderungen zu stellen, als ein besonderer Engpass zu identifizieren. Die hohe Komplexität lässt sich etwa entlang dreier Fragestellungen verdeutlichen: 1. Wie lässt sich ein gesellschaftlicher Konsens dahingehend organisieren und absichern, dass wirklich klar ist, in welche Richtung sich die Verkehrssysteme der Zukunft entwickeln sollen? 2. Welche Rahmenbedingungen sind dann konkret hinsichtlich der harten und weichen Infrastruktur zu schaffen, damit entsprechende Konzepte auch tatsächlich verwirklicht werden können? Welche Energieversorgungssysteme und „eTankstellen“, welche gesetzlichen, versicherungsrechtlichen, städtebaulichen Voraussetzungen müssen geschaffen werden, damit Elektrofahrzeuge auf rege Nachfrage stoßen? Und 3. Wie ist der Übergang vom bestehenden zum neuen Verkehrssystem so zu organisieren, dass die Interessen der zu Beteiligenden zumindest ansatzweise gewahrt bleiben, damit diese auch tatsächlich mitmachen? Die genannten Problempunkte gelten freilich auch mit Blick auf andere Herausforderungen, die gegenwärtig nur unzureichend bewältigt werden. Denken wir allein etwa an die Neuausrichtung der Energieversorgung. Was läuft falsch? Wiedmann: Es sind viele Unternehmen immer noch viel zu eng fokussiert. Es mangelt an einem gesellschaftsorientierten Marketing. Hierbei geht es eben nicht um „ethisches Gesäusel“ und fragwürdige Sponsoring- oder sogar Greenwashing-Praktiken. Im Zentrum hat erst einmal die Bejahung von Komplexität zu stehen. Daran anknüpfend geht es dann um den konsequenten Auf- und Ausbau jener Fähigkeiten und Fertigkeiten, die eine Komplexitätshandhabung ermöglichen. Nicht zuletzt muss die Einsicht kultiviert werden, dass über alle Branchengrenzen hinweg nachhaltige Kooperationen notwendig sind, die eine echte Vernetzung voraussetzen. Das Schlagwort „Vernetzung“ wird zwar gerne gebraucht, die kulturellen Voraussetzungen dafür werden bislang aber in Politik und Wirtschaft kaum geschaffen.