117_159_BIOsp_0208.qxd:117_159 11.03.2008 12:55 Uhr Seite 151 151 Peptidchip Hochkomplexe Peptidarrays auf Mikrochips THOMAS FELGENHAUER, VOLKER STADLER, RALF BISCHOFF, FRANK BREITLING AG CHIPBASIERTE PEPTIDBIBLIOTHEKEN, DEUTSCHES KREBSFORSCHUNGSZENTRUM, HEIDELBERG Der Aufklärung von infektionsbedingten Immunreaktionen, der Suche nach diagnostischen Markern oder therapeutisch relevanten small molecules über Screening-Methoden legen hochkomplexe Molekülbibliotheken zugrunde, die mit dem hier beschriebenen Peptidchip erstmals einfach, schnell und in hoher Qualität hergestellt werden können. We realized the combinatorial synthesis of peptide arrays with complexities of 40.000 spots per square centimeter on a microchip. ó Die spezifische Wechselwirkung zwischen Proteinen und Proteinfragmenten und die dadurch übertragenen Informationen oder ausgelösten Reaktionen stellen grundlegende Prozesse in der molekularen Biologie dar. Die Erkennung von molekularen Strukturen über ein Schlüssel-Schloss-Prinzip ist insbesondere bei der Immunreaktion von Antikörpern von entscheidender Wichtigkeit, um wirksam gegen einen Erreger vorzugehen. Zu dieser hochspezifischen Erkennung werden im antigenen Protein oft nur kurze, lineare Proteinbruchstücke benötigt, d. h. Peptide mit einer Sequenzlänge von ca. 10–20 Aminosäuren. Demzufolge können Peptidarrays, die Teile des humanen Proteoms oder Proteome von Krankheitserregern repräsentieren, für die gezielte Suche nach autoreaktiven oder infektionsbedingten Antikörpern eingesetzt werden. Mit diesen definiert aufgebauten Arrays lassen sich Muster darstellen, die je nach Anwendung ein hohes diagnostisches Potenzial haben. Die Wahrscheinlichkeit, diagnostisch oder therapeutisch relevante Moleküle zu finden, steigt mit der Größe des Suchraums, d. h. mit der Anzahl von angebotenen potenziellen Bindern bzw. der Komplexität eines Arrays. Diese Komplexität konnte mit den bisher gängigen Techniken im Bereich der Peptid- oder Proteinbibliotheken nicht erzeugt werden. Mit der Entwicklung des Peptidchips steht nun den Wissenschaftlern ein Werkzeug zur BIOspektrum | 02.08 | 14. Jahrgang Verfügung, um komplexe Fragestellungen auf dem Gebiet der Proteinwechselwirkungen zu bearbeiten. Kombinatorisches Prinzip Eine für die beschriebenen Anwendungen ausreichend hohe Komplexität von unterschiedlichen Peptiden lässt sich nur durch Methoden der kombinatorischen Synthese erreichen. Um diese Synthese hochgradig parallelisiert auf einer möglichst kleinen Oberfläche durchzuführen, müssen die einzelnen Reagenzien – in diesem Fall die 20 unterschiedlichen, proteinogenen L-AminoA B säuren in einer voraktivierten Form – mit hoher Auflösung adressiert werden. Bislang wurden Peptidarrays kombinatorisch mit Mikropipettiereinheiten (SPOT-Synthese[1]) synthetisiert, wobei eine Lösung der aktivierten Aminosäuren auf einen Träger aufgebracht wird. Hier wird die Auflösung durch das komplizierte Zusammenspiel zwischen dem Kriechen von Lösungsmittel auf der Oberfläche, dem Verdunsten von sehr kleinen Flüssigkeitsmengen und kontrollierten Reaktionsbedingungen eingeschränkt. Zudem ist die permanente mechanische Ausrichtung zwischen Pipetten und Träger sehr zeit- und damit kostenintensiv. Mit der SPOTSynthese wurden bisher Arraydichten von ca. 22/cm2 erreicht. Bei DNA-Arrays können mithilfe der lithographischen Synthese zwar Spotdichten von > 50.000/cm2 erhalten werden[2], jedoch lässt sich diese Methode aufgrund der wesentlich höheren Anzahl an kombinatorischen Bausteinen (4 Nukleinsäuren vs. 20 Aminosäuren) nicht auf Peptidarrays mit einer entsprechenden Qualität übertragen. Bei der am DKFZ in Kooperation mit dem Kirchhoff-Institut für Physik entwickelten Technik wird ein herkömmlicher Mikrochip C D ˚ Abb. 1: A, Aminosäurepartikel (orange) im Vergleich mit herkömmlichen Tonerpartikeln (cyan, magenta). B, Mithilfe von Aerosolkammern wird jeweils eine Partikelsorte aufgeladen und C, als Aerosol durch die Wechselwirkung mit definierten elektrischen Feldern auf der Chipoberfläche spezifisch abgelagert. D, Durch Schmelzen erhält man dann flüssige Reaktionssphären, in der die voraktivierten Aminosäuren freigesetzt und zur Reaktion gebracht werden. 117_159_BIOsp_0208.qxd:117_159 11.03.2008 12:55 Uhr Seite 152 WISSENSCHAFT · SPECIAL: L ABORMEDIZIN/DIAGNOSTIK 152 A B F C E D ˚ Abb. 2: Kombinatorische Peptidsynthese auf einem „aktiven“ Mikrochip. A, B, Aminosäurepartikel jeweils einer Sorte werden durch elektrische Felder aus dem Aerosol ortsaufgelöst auf bestimmten Elektroden abgelagert. C, Ist die vollständige Belegung des gesamten Chips mit allen verschiedenen Aminosäurepartikeln erreicht, wird in einem abschließenden Kopplungs- und Waschzyklus (D, E) auf jeder Elektrode eine definierte Aminosäure angebunden. F, Die Länge des gewünschten Peptids wird schließlich durch die Anzahl der Wiederholungen bzw. Kopplungszyklen bestimmt. ˚ Abb. 3: Peptidarray mit Dichten von 10.000 bzw. 40.000 cm–2. Flag- und HA-Epitope wurden kombinatorisch auf einem Mikrochip (s. REM-Aufnahme) synthetisiert. Die rot-grün-Färbung ergibt sich aus dem spezifischen Nachweis der jeweiligen Epitope mit fluoreszensmarkierten Zweitantikörpern. als „aktiver“ Träger bei der kombinatorischen Synthese eingesetzt[3]. Die Oberfläche dieses Chips besteht aus individuell ansteuerbaren Pixelelektroden, die somit definierte elektrische Felder bzw. Feldmuster erzeugen können. Bringt man die Mikrochips dann in Kontakt mit einem Aerosol aus elektrisch vorgeladenen Aminosäurepartikeln (Abb. 1A), lassen sich diese ortsgenau auf einzelnen Pixelelektroden ablagern (Abb. 1C und 2). Partikelbasierte Synthese von Peptidarrays Da beim Arbeiten mit Flüssigkeiten die oben beschriebenen Probleme auftreten, werden die aktivierten Aminosäuren für die kombinatorische Synthese von Peptidarrays in eine inerte, polymerartige Partikelmatrix eingeschlossen. Aus dieser festen Matrix werden in einem aufwendigen Prozess, der sich über mehrere Mahl- und Siebschritte erstreckt, alle 20 verschiedenen Partikelsorten generiert, die bei einer engen Größenverteilung im Bereich von 10 μm identische physikalische und chemische Eigenschaften aufweisen. Durch die Zugabe von ladungserzeugenden und -stabilisierenden Additiven lassen sich diese Partikel definiert triboelektrisch aufladen. Dies wiederum ermöglicht eine Wechselwirkung mit den auf der Chipoberfläche erzeugten Feldern, um die Aminosäurepartikel mit hoher Auflösung aus dem Aerosol abzulagern (Abb. 2A-C). Erst wenn jede Pixelelektrode mit jeweils einer gewünschten Sorte Aminosäurepartikel belegt ist (Abb. 2C), wird parallel die Kopplungsreaktion aller verschiedenen Aminosäuren durch Schmelzen der festen Matrix eingeleitet (Abb. 2D). Hierbei wird durch das Anlegen einer Heizrampe (T = 90 °C) eine ölige Konsistenz eingestellt (Abb. 1D), die ein Ineinanderlaufen verschiedener Reaktionssphären verhindert. Die aktivierte Aminosäure wird freigesetzt und reagiert ohne zusätzliche basenkatalytische oder lichtinduzierte Aktivierung mit der funktionalisierten Chipoberfläche (Abb. 2E). Routinemäßige Wasch- und Entschützungsschritte reinigen die Elektroden von nun überschüssigen Partikelresten und bereiten die bereits synthetisierten Peptidsequenzen für den nächsten Adressierungs- und Kopplungszyklus vor. Schicht für Schicht wird so die komplette Peptidbibliothek generiert, deren Auflösung bzw. Komplexität lediglich durch das Raster der Elektroden und die Größe der Aminosäurepartikel limitiert ist. Das Alleinstellungsmerkmal dieser partikelbasierten Technik ist die räumliche und zeitliche Trennung zwischen dem Adressierungsvorgang und der chemischen Reaktion der Aminosäuren. Da letztere parallel für die komplette kombinatorische Ebene – d. h. für alle in Partikelform aufgebrachten Aminosäuren gleichzeitig – initiiert wird, reduziert sich der Syntheseaufwand von einem Zyklus pro Monomer auf einen pro Ebene. Dies ist bei 20 proteinogenen Aminosäuren ein entscheidender Vorteil, der sich insbesondere auf die Synthesezeit und den Materialaufwand positiv auswirkt. Die typischen Sequenzlängen der bislang auf den Mikrochips synthetisierten Peptide liegen zwischen 10 und 20 Aminosäuren. Die Synthesechemie basiert im Kern auf der seit Jahrzehnten bekannten und etablierten Festphasen-Peptidsynthese nach Merrifield[4]. Als aktivierte Monomere werden hier die kommerziell erhältlichen Pentafluorophenylester der Fmoc-Aminosäuren eingesetzt, da diese unter den Reaktionsbedingungen (Kopplung bei 90 °C) nicht razemisieren und keine Basenkatalyse benötigen. Die Ausbeuten bei der von uns entwickelten, partikelgestützten Peptidsynthese sind vergleichbar zur Synthese nach Standardbedingungen aus Lösung. Die am Kirchhoff-Institut für Physik konzipierten Mikropchips wurden in Beschichtungsversuchen mit Aminosäurepartikeln eingesetzt und schließlich nach dem in Abbildung 2 skizzierten Verfahren zu Peptidarrays mit Dichten von 10.000 bzw. 40.000/cm2 verarbeitet (Abb. 3). Obwohl so der Stand der Technik um mehrere Größenordnungen übertroffen wird, ist damit das Potenzial der Mikrochiptechnologie bei weitem nicht erschöpft. Daher haben wir unter Berücksichtigung optischer Nachweisverfahren bereits erste Chips mit integrierten Fotodioden als optische Sensorelemente samt einer entsprechenden Ausleseelektronik realisiert. Maßgeschneiderte Oberflächen Die Chipoberflächen werden für die Peptidsynthese mit einer speziellen Polymerschicht versehen, die kovalent verankert ist und durch Polymerisation von PEGMA-(Polyethylenglykolmethacrylat)-Einheiten hergestellt wird[5, 6]. Durch die Derivatisierung dieser Schichten mit Aminogruppen entsteht ein weitverzweigtes Netzwerk, welches sich zunächst durch eine hohe Dichte an Aminofunktionen (∼20 nmol/cm2) und chemische BIOspektrum | 02.08 | 14. Jahrgang 117_159_BIOsp_0208.qxd:117_159 11.03.2008 Stabilität auszeichnet. Andererseits unterdrücken die PEG-Untereinheiten in den späteren Anwendungen (Immunoassays) unspezifische Wechselwirkungen der Arrayoberfläche mit Fremdproteinen. Das wiederum erhöht das SignalRausch-Verhältnis (Signal/Hintergrund) beträchtlich, so dass auch schwache Binder identifiziert oder schwache Wechselwirkungen detektiert werden können. Die hier beschriebene Technologie ermöglicht den einfachen, schnellen und kostengünstigen Zugang zu kombinatorisch hergestellten Peptidarrays mit vorab definierten Sequenzen, der bis dato in dieser Komplexität noch nicht möglich war. Durch die Erschließung dieser Komplexität werden neue Suchräume für vielschichtige biochemische Fragestellungen verfügbar. Anwendungen Peptidarrays mit natürlichen L-Aminosäuren können generell als Bibliothek von Proteinfragmenten für die Proteomforschung bzw. für diagnostische Zwecke (z. B. Erstellen von Antikörperprofilen) eingesetzt werden. Für die Suche nach therapeutischen Leitstrukturen ist es dagegen sinnvoll, nicht-natürliche D-Aminosäuren als Spiegelbilder der L-Aminosäuren in die Bibliothek einzubauen. Das erhöht die metabolische Stabilität der Peptide, während durch die hohe kombinatorische Vielfalt unserer Arrays die Bindungsaffinität an Enzyme oder Rezeptoren schnell verbessert werden kann. Derzeit setzen wir unsere Peptidarrays für Anwendungen in beiden Teilbereichen ein. So suchen wir z. B. nach Peptiden, die durch die Bindung von SEREXAntikörpern als Tumormarker dienen können. 12:55 Uhr Seite 153 Danksagung An dieser Stelle danken wir den weiteren Projektbeteiligten: Alexander Nesterov, Kai König, Mario Beyer, Ines Block, Simon Fernandez, Klaus Leibe, Christopher Schirwitz, Dorothea Freidank, Thorsten Kühlwein, Jürgen Kretschmer (DKFZ); Gloria Torralba, Ulrich Trunk, Yipin Zhang, Michael Hausmann, Volker Lindenstruth (Kirchhoff-Institut für Physik). ó Literatur [1] Frank, R. (1992): SPOT-synthesis: An easy technique for the positionally addressable, parallel chemical synthesis on a membrane support. Tetrahedron 48: 9217–9232. [2] Fodor, S. P., Read, J. L., Pirrung, M. C., Stryer, L., Lu, A. T., Solas, D. (1991): Light-directed, spatially addressable parallel chemical synthesis. Science 251: 767–773. [3] Beyer, M., Nesterov, A., Block, I., König, K., Felgenhauer, T., Fernandez, S., Leibe, K., Torralba, G., Hausmann, M., Trunk, U., Lindenstruth, V., Bischoff, F. R., Stadler, V., Breitling, F. (2007): Combinatorial synthesis of peptide arrays onto a microchip. Science 318: 1888. [4] Merrifield, R. B. (1986): Solid phase synthesis. Science 232: 341–347. [5] Stadler, V., Beyer, M., König, K., Nesterov, A., Torralba, G., Lindenstruth, V., Hausmann, M., Bischoff, F. R., Breitling, F. (2007): Multifunctional CMOS microchip coatings for protein and peptide arrays, J. Proteome Res. 6: 3197–3202. [6] Beyer, M., Felgenhauer, T., Bischoff, F. R., Breitling, F., Stadler, V. (2006): A novel glass slide-based peptide array support with high functionality resisting non-specific protein adsorption. Biomaterials 27: 3505–3514. Korrespondenzadresse: Dr. Thomas Felgenhauer Dr. Volker Stadler PD Dr. F. Ralf Bischoff PD Dr. Frank Breitling Deutsches Krebsforschungszentrum AG Chipbasierte Peptidbibliotheken Im Neuenheimer Feld 580 D-69120 Heidelberg Tel.: 06221-42 4744 Fax: 06221-42 1744 [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] AUTOREN Die AG „Chipbasierte Peptidbibliotheken“ am DKFZ: In dieser interdisziplinär ausgerichteten Gruppe arbeiten Biologen, Ingenieure, Chemiker und Physiker an der Entwicklung einer neuartigen Technik zur kombinatorischen Synthese von Molekülbibliotheken. Auch ein Hochdurchsatzverfahren für die parallelisierte Suche nach neuen, bioanorganischen Katalysatoren („Katalysescreening“) ist auf dem Weg der Realisierung. Grundlage dieser Arbeiten sind „Aminosäurepartikel“, die elektrisch aufladbar sind und daher über Ladungsmuster in sehr hoher Auflösung auf Oberflächen adressiert werden können. BIOspektrum | 02.08 | 14. Jahrgang