Wert und Zukunft der biologischen Vielfalt D ie Natur verändert sich permanent. Großen Einfluss darauf hat der Mensch. Durch großflächige Rodung, Bebauung oder die Nutzung fossiler Brennstoffe etwa trägt er nach Ansicht vieler wesentlich zum globalen Klimawandel bei. Im Zuge dessen verändern sich auch ganze Ökosysteme1. Zahlreiche Tierund Pflanzenarten sowie spezielle Lebensformen gehen für immer verloren. Doch der Mensch ist andererseits auf gut funktionierende Ökosysteme mit hoher biologischer Vielfalt angewiesen. Denn die meisten von ihnen leisten uns wichtige Dienste, indem sie für Trinkwasser oder saubere Luft sorgen2. Dafür verantwortlich sind nicht zuletzt die beteiligten Arten – als so genannte Ökosystem-Ingenieure3. Viele der zu Grunde liegenden Zusammenhänge und ihre Bedeutung für den Menschen verstehen wir allerdings immer noch zu wenig. Deshalb gilt es, die Grundmuster zu begreifen, die zur Biodiversität, ihrer Entwicklung und ihrem Weiterbestand beitragen. Erst dieses Wissen wird uns erlauben, aus der Lebensvielfalt den besten Nutzen zu ziehen und vorherzusagen, wie Ökosysteme und Arten auf den Wandel ihrer Umwelt reagieren. Die Arten (Spezies) eines Ökosystems hängen in komplizierter Weise voneinander ab, doch ein Großteil der eng verflochtenen Beziehungen ist noch gar nicht erforscht. Um davon im globalen Maßstab ein möglichst umfassendes Bild zu gewinnen, sollten wir mit wissenschaftlichen Untersuchungen am besten dort anfangen, wo schon viele Erkenntnisse zusammengetragen wurden: Das Reich der Vögel mit seinen rund 9800 Arten eignet sich dafür hervorragend4. Von keiner anderen Organismengruppe kennen wir die stammesgeschichtlichen Entwicklungslinien und die Bezie- halten und Schicksal fortlaufend erfassen8. Detaillierte Bewegungsmuster können zudem mit physiologischen Parametern wie dem Herzschlag kombiniert werden, ebenso mit äußeren Kennwerten wie etwa der Lufttemperatur. Ein wichtiges Ziel der Forscher ist die Quervernetzung solcher Daten mit der geplanten Genomkartierung der Vögel, bei der geografische Angaben nicht fehlen sollten. oben Ein Fischertukan im Regenwald Panamas trägt eine »black box« zur Aufzeichnung seiner Flugdaten. hungen zu anderen Arten so gut5. Die Verbreitung vieler Vogelarten können wir inzwischen weltweit kartieren (Bild 1); auch wissen wir viel über ihre Populationsdichten und -dynamiken sowie ihre Lebenszyklus-Strategien6. Außerdem gibt es bereits viele Daten dazu, wie sich Umweltveränderungen auf die Verbreitung einzelner Vogelarten auswirken7 (Bild 2). Das erlaubt Vorhersagen zu den Folgen zukünftiger menschlicher Eingriffe. Vögel stellen somit ideale Biomarker dar. Wegen ihrer Mobilität und des häufigen Kontakts zu Menschen gelten sie als eine Art globales Frühwarnsystem in Sachen Umweltbedrohungen. Das Wissen über die Lebensstrategien und die Ökologie von Vögeln wollen Forscher in einem übergreifenden Netzwerk zusammenführen. Die derzeit im Aufbau befindliche Datenbank Movebank (www. movebank.org) bietet Wissenschaftlern, Naturschützern und Umweltpädagogen Informationen zu sich verändernden Tierbewegungen. Durch den Einsatz neuer Technologien – beispielsweise von Messgeräten und Sendern, mit denen die Tiere ausgestattet werden – lässt sich deren Ver- D k eyie experiments Vielfalt in einem in tropischen Regenwald ist für den globalen Kohlenstoffkreislauf – und somit das Weltklima – von großer Bedeutung. Forscher des Max-Planck-Instituts für Ornithologie konnten zeigen, dass es vor allem die Fettschwalme sind, die in man- 34 Forschungsperspektiven der Max-Planck-Gesellschaft | 2010+ REGELWERK DER VIELFALT Zu den wichtigsten offenen Fragen gehört die nach den Regeln, welche die biologische Vielfalt an einem gegebenen Ort bestimmen. Wie flexibel sind sie? Inwieweit vertragen sich Arten mit ähnlicher Lebensweise, und wie häufig dürfen gleiche Typen in demselben Gebiet vertreten sein? Warum kommen manche Tier- und Pflanzenarten nur im Gebiet A vor, aber nicht im Gebiet B? Wieso erobert die eine Art einen neuen Lebensraum relativ leicht, während eine andere scheitert? Und nicht zuletzt: Wie kann man eine geschwächte biologische Vielfalt wiederherstellen? Bei der Suche nach Antworten sollten wir auch herausfinden, warum manche Arten mit Umweltveränderungen besser zurechtkommen als andere. Wir müssen zudem verstehen, unter welchen Bedingungen sie sich erfolgreich anpassen können. Denn offenbar sind die jeweiligen LebenszyklusStrategien in gewissem Umfang wandelbar. Arten in Regionen mit großer Biodiversität – in so genannten Hotspots – sind tendenziell langlebiger, beginnen später mit der Fortpflanzung und haben kleinere Gelege. Um das zu verstehen, müssen wir ergründen, wie Organismen ihre ökologischen Nischen aufteilen, wie sie Artengemeinschaften bilden und sich darin bei gegebenen Ressourcen arrangieren. Solche chen Urwäldern des Amazonas für den Samentransport über weite Strecken hin verantwortlich sind. Die Studie läutete eine neue Ära des »Bio-loggings« ein, bei der die Bewegungen von Tieren aufgezeichnet werden (Holland, R. A. et al., PLoS ONE 4, e8264, 2009). BIOLOGIE UND MEDIZIN Funktionierende Ökosysteme sind für das Wohl des Menschen unverzichtbar. Sie beruhen wesentlich auf biologischer Vielfalt. Die Biodiversität ist weltweit fast überall bedroht. Langsam erkennen Forscher, wie Biodiversität entsteht und erhalten bleibt. Um die komplexen Zusammenhänge zu ergründen, gilt es, verschiedenste Organismen und Lebensformen in ihren Eigenschaften und Wechselwirkungen zu betrachten. Bild 1 | Verteilung der Artenvielfalt von Vögeln Zahl der Arten in 100 mal 100 Kilometer großen Zellen 895 400 1 Quelle: Walter Jetz lab, Yale University, nach Jetz et al. 2007, 2008 Bild 2 | Infolge des Klimawandels und der veränderten Landnutzung geht natürlicher Lebensraum verloren – so wie in diesem Beispiel der verschiedenen Vogelarten (Prognose bis 2100). Proportionaler Verlust 0,50 Photo links: Reinhard Vohwinkel; Bild 1 und 2: Walter Jetz Lab, Yale University nach Daten von www.movebank.org 0,25 0,08 Quelle: Walter Jetz lab, Yale University, nach Jetz et al. 2007, 2008 Forschung darf nicht auf der Ebene der Arten aufhören. Eine Spezies bildet in der Regel verschiedene Populationen aus, und selbst einzelne Individuen können unterschiedliche Strategien benutzen. Warum unternehmen manche Individuen derselben Art Wanderungen, während andere ortstreu bleiben? Warum führen manche eine beständige Partnerschaft und andere nicht? Ist ein Ökosystem schwer beschädigt, vermindert dies normalerweise auch seine Biodiversität stark. Typischerweise pflanzt sich der Schaden kaskadenartig durch das gesamte Organismenreich fort. Ihn nachträglich zu reparieren, wird leichter gelingen, wenn wir die Regeln kennen, nach denen die Arten miteinander ver- ➟ Bibliographie siehe Seiten 38 und 39 flochten sind. Den ursprünglichen Zustand wird man dennoch oft nicht wieder erreichen. Überaus nützlich wäre es aber, wenn die betreffenden Ökosysteme für uns eines Tages wieder ähnliche Funktionen erfüllen könnten wie zuvor, also die gleichen Ökosystemdienstleistungen erbringen9: etwa sauberes Trinkwasser oder Wirkstoffe für neue Medikamente liefern. Mit den Erkenntnissen aus solcher Forschung lässt sich auch die Landwirtschaft verbessern, was der Ernährung der rasant wachsenden Weltbevölkerung zugutekommt – bis hin zu Einsparungen beim Kampf gegen Schädlinge. Ein weiterer Aspekt ist der Naturschutz. Ein Blick auf die Weltkarte mit allen über Vögel bekannten Fakten offenbart: Die Regionen, über die wir am wenigsten Bescheid wissen, sind ausgerechnet die Gegenden mit der höchsten Biodiversität! Der heutige Umweltwandel bietet eine noch nie da gewesene Gelegenheit, die Grundregeln der biologischen Vielfalt zu erforschen – und so zu verstehen, was Artengemeinschaften formt und lenkt. Erst wenn wir diese Regeln besser als bisher kennen, werden wir auch verlässlich vorhersagen können, ob die Biodiversität auf globale Veränderungen langsam oder abrupt reagiert. Welche Eingriffe ein Ökosystem besonders gefährden und wie stark der mögliche Schaden sein wird, können wir dann genauer abschätzen – zum Wohl des Menschen. 2010+ | Forschungsperspektiven der Max-Planck-Gesellschaft 35