Naturkapital? Veiko Krauß 8. Dresdener Landschaftskolloquium, 8. November 2013 Menschliche Bevölkerungs- und Wohlstandsentwicklung ● Insgesamt unregelmäßiges, exponentielles bis superexponentielles Wachstum Umleitung von Stoff- und Energieflüssen aus naturgegebenen Ökosystemen in die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse Entwicklungspotenzen der Biosphäre und der menschlichen Gesellschaft ● ● ● ● ● Biosphäre: nutzbare Energie (Sonne, Geothermie, Chemosynthese) natürlich begrenzt Evolutionsgeschwindigkeit gering Gesellschaft: nutzbare Energie nimmt zu, z.T. direkt auf Kosten der Biosphäre (Biodiesel) Energieverfügbarkeit zwar nicht leicht zu prognostizieren, aber nicht natürlich begrenzt (z.B. wegen mittelfristiger Möglichkeit der Nutzung der Kernfusion) Verändert sich um Größenordnungen schneller als die Biosphäre Konsequenzen unterschiedlicher Entwicklungsgeschwindigkeiten ● ● Biologische Evolution wird erheblich anthropogen beeinflusst (in neuen, durch Menschen geformten Landschaften), kann selbst aber keinen wesentlichen Einfluss auf die menschliche Gesellschaft nehmen die menschliche Bewertung mehr oder weniger naturnaher Landschaften ändert sich ständig und schnell z.B. tropischer Urwald: Lebensraum ● eher lebensfeindlich Rohstofflieferant Klimastabilisator beides trägt zur immer weitergehenden Zurückdrängung natürlicher Verhältnisse wesentlich bei Konsequenzen für die Biodiversität 1. Quantität ● ● ● Direkte Verwertung, Vernichtung oder das Abschneiden von Stoff- und Energieressourcen durch den Menschen lässt – von regional zu global fortschreitend – die Masse der biologischen Arten seltener werden, nur relativ wenige profitieren bzw. können sich den Veränderungen erfolgreich anpassen Die Aussterberate steigt – anthropogen bedingt – deutlich über das paläontologisch belegte Maß an Zugleich ist zu vermuten, dass die stetige Entstehung neuer Biodiversität (Evolutionsprozesse) durch die anthropogene Einschränkung von Qualität und Quantität der Ökosysteme ebenfalls reduziert wurde und wird Konsequenzen für die Biodiversität 2. Qualität ● ● ● Biologische Diversität geht jedoch nicht nur quantitativ zurück, sondern verschlechtert sich zugleich qualitativ Durch den allgemeinen Rückgang der Individuenzahlen wird die natürliche Auslese geeigneter genetischer Varianten immer unzuverlässiger, d.h. auf längere Sicht werden zu kleine Populationen genetisch degenerieren und deshalb aussterben Flora und Fauna ganzer Kontinente werden ähnlich eingeschränkt wie heute die kleinerer Inseln Die Knäkente ist eine von sieben in Sachsen vom Aussterben bedrohten Vogelarten, die bisher im Leipziger Auwald überlebten. Der Erhalt der heutigen Biodiversität ● ● ● ● ist also illusionär, selbst dann, wenn die menschliche Gesellschaft ab sofort ihre Ressourcennutzung auf das bisherige Maß beschränken würde Man kann jedoch die weitere Evolution der Biodiversität umso günstiger beeinflussen, je mehr Raum man ihr – zu Gunsten oder auf Kosten menschlicher Bedürfnisse – einräumt Für die Elsteraue bedeutet das, soviel Raum wie möglich für naturnahe Ökosysteme einzuräumen Dazu ist die Überschneidung menschlicher mit ökologischen Bedürfnissen zu nutzen (Natur als Erholungsort und Reproduktionsraum natürlicher Ressorcen) Ist Biodiversität eine Form von Kapitals? Nein, denn ● ● ● sie unterliegt permanenter und irreversibler qualitativer Veränderung sie ist – in ökonomisch relevanten Zeiträumen – nicht vermehrbar sie ist nicht identisch reproduzierbar Biodiversität ist nicht linear quantifizierbar Was genau hat der Wert der Natur mit den „Grünen Band entlang der Weißen Elster“ zu tun? Die weiße Elster ermöglicht, den Sinn eines Naturkapitalbegriffs an einem praktischen Beispiel zu prüfen: ● ● ● Ist es realistisch, von einer Umdeutung einer tatsächlich unersetzlichen Ressource in eine virtuelle Kapitalform eine Verbesserung des Schutzes naturnaher Ökosysteme zu erwarten? Nach der Augustflut 2002 wurden vom Freistaat Sachsen 49 Deichbaumaßnahmen mit insgesamt rund 75 km² neuer Überflutungsfläche geplant Diese Erweiterung der Auenfläche hätte nicht nur den Hochwasserschutz (auch flussabwärts) verbessert, sondern auch Biodiversitätsverluste verlangsamt Umsetzung der Auenerweiterung ● ● bis zur Juniflut 2013 wurden 2 Dammrückverlegungen, betreffend insgesamt 1,14 km² durchgeführt (1,5% der geplanten Flächen) die Landestalsperrenverwaltung begründete die ungenügende Umsetzung des Vorhabens mit der ökonomischen Bedeutung potentiell betroffener Ackerflächen, stellte jedoch gleichzeitig fest, das die Stadt Eilenburg und die Gemeinden am Zusammenfluss von Zwickauer und Freiberger Mulde durch die durchgeführte Auenerweiterung 2013 vor ernsthaften Schäden bewahrt wurden Umsetzung der Auenerweiterung ● ● bis zur Juniflut 2013 wurden 2 Dammrückverlegungen, betreffend insgesamt 1,14 km² durchgeführt (1,5% der geplanten Flächen) die Landestalsperrenverwaltung begründete die ungenügende Umsetzung des Vorhabens mit der ökonomischen Bedeutung potentiell betroffener Ackerflächen, stellte jedoch gleichzeitig fest, das die Stadt Eilenburg und die Gemeinden am Zusammenfluss von Zwickauer und Freiberger Mulde durch die durchgeführte Auenerweiterung 2013 vor ernsthaften Schäden bewahrt wurden Was wird dennoch für aktuelle Flutschäden verantwortlich gemacht? ● ● Leipzigs Oberbürgermeister: „Einzelinteressen von Naturschützern“ entsprechend handelt die Stadt Leipzig gegenwärtig: Dammerhöhung und neuer Deichverteidigungsweg dienen offenbar den Schutz des Cospudener Sees und der Auen- und Bergbaufolgelandschaft vor Elsterwasser. Tatsächlich durchgeführte Hochwasserschutzmaßnahmen ● So wurde begründet, warum u.a. aktuell dieses NSG (Lehmlache Lauer) durch die Anlage eines Deichverteidigungswegs unnötig und ohne entsprechendes Verfahren verkleinert wird. Schaffung von Tatsachen ● ● Tatsächlich werden auf diese Weise ökonomische Einzelinteressen (Deichrückverlegung bzw. Spundwand wären teuerer als dieser Deichverteidigungsweg) auf Kosten nicht ersetzbarer natürlicher Ressourcen (nicht bewässerter bzw. weiter zerstörter Auwald) durchgesetzt. Wenn gesetzliche Vorgaben schon nicht eingehalten werden, warum sollte man dann von einer Relativierung des Wertes der Natur einen besseren Schutz derselben erwarten? „Nicht ersetzbare Ressource“ anstatt „Naturkapital“ ● ● ● ● Das Beispiel „Elsterhochflutkanal“ zeigt, dass realer Mangel an finanziellen Mitteln sowie die (realistische oder fiktive) Erwartung zukünftiger Einnahmen (Ackerflächen, Cospudener See) die Politik entscheidend beeinflusst Ein bezifferter Wert der Natur würde daran nichts ändern können, solange er virtuell bleibt Das könnte sich ändern, wenn er realisiert wird, allerdings sollte er dann nicht als Naturkapital, sondern als gegenwärtig geschätzter Preis der Naturvernichtung bezeichnet werden Da eine solche Vernichtung endgültigen Charakter hat, kann der Preis dafür (in Erwartung künftiger Neubewertung) nicht hoch genug angesetzt werden ● Der Begriff „Naturkapital“ suggeriert dagegen eine Reproduzierbarkeit, die nicht gegeben ist ● daher ist er als Synonym für „biologische Vielfalt“ abzulehnen ● „Naturkapital“ kann natürlich als Metapher für „ Biodiversität“ gebraucht werden, aber rhetorischen Figuren taugen u. E. nicht als wissenschaftliche Modelle Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!