Reihe 5 Das Magazin der Staatstheater Stuttgart Oper Stuttgart / Stuttgarter Ballett / Schauspiel Stuttgart Nr.4 Juni – Juli 2016 Na, du? Ein Heft über Verführung EDITORIAL SCHWERPUNKT VERFÜHRUNG Es macht Spaß, sich hinzugeben und verführen zu lassen, oder? Doch sobald die Verführung einseitig ausfällt, gerät das Spiel der Reize zum Kampf um Macht und Kontrolle. Entdecken Sie die hellen und dunklen Seiten einer uralten Kunst – ab Seite 18 Vorbei ist die Zeit, als wir nur Waren kauften. Heute erfüllen wir mit Marken Wünsche, die andere für uns gestalten In einem verkommenen System gibt es keine Chance auf Unschuld. Täter und Opfer wechseln einander permanent ab Sebastian Baumgarten (Seite 20) www.porsche.de/SocialResponsibility Noch immer das schönste Duett: gemeinsam Höchstleistungen vollbringen. Porsche ist stolz auf die erfolgreiche Partnerschaft mit dem Stuttgarter Ballett Titel: Ernest Goh (www.theanimalbook.com) und wünscht Ihnen stets erstklassige Unterhaltung. Foto: getty images / Bloomberg Sehr geehrte Leserinnen und Leser, Kraftstoffverbrauch (in l/100 km) innerorts 12,6–10,4 · außerorts 6,8–6,7 · kombiniert 9,0–8,0; CO2-Emissionen 208–184 g/km warum Verführung? Natürlich weil es Frühling ist! Die dunklen Wintersachen wandern in den Keller, die Welt wirft sich in Buntes. Mensch, Hund, Katze, Amsel und Hyazinthe werben, singen, trällern, duften um die Wette und wir alle schnuppern, sehnen und träumen den süßen Reizen hinterher – jeder auf seine Weise. »Verführung also!«, sprachen wir und gingen durch den Spielplan von Schauspiel, Oper und Ballett – auf der Suche nach Themen. Fündig wurden wir, aber nicht so blumig wie man denken könnte. Kein Wunder: Die meisten Geschichten werden erst spannend, wenn sie eine tragische Wendung nehmen – im Fall von Salome endet das Begehren mit einer Enthauptung (Seite 6 und 14). Zweitens ist es so, dass wir alle uns ständig verlaufen, sobald wir den simplen Reizen folgen – sei es in der Welt der Börsen und des Konsums (Seite 20) oder in der Politik. Und auch hier stecken jede Menge große Geschichten: Ab Seite 44 erklären Intendant und Chefdramaturg der Oper Stuttgart, wieso Opern so oft von Ent-Täuschungen handeln, von Revoluzzern, die sich in Diktatoren verwandeln. Und lesen Sie ab Seite 32 das Porträt eines Menschenfängers der guten Sorte! Seit nun 20 Jahren steht Reid Anderson als Intendant dem Stuttgarter Ballett vor. Sein Erfolg hat mit einer ganz besonderen Eigenschaft zu tun, die schon sein Vorgänger und Mentor John Cranko besaß: Bei jungen Menschen erkennt Anderson Talente, noch bevor die wissen, was in ihnen schlummert. Wie das geht? Er verlässt sich auf seine Intuition, bevor er seine Tänzer anschließend in die eine oder andere Richtung stupst. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen dabei, sich berühren und verführen zu lassen! Die Staatstheater Stuttgart 3 INHALT 52 Junge Seite Boris und Jegor Dick erzählen von ihren Rollen 12 Mein Klang Elena Graf über die wilde Kraft des Geigenspiels 3 Editorial 4 Inhalt FOYER 6 Bilder 12 Momente 13 Das Requisit 14 Mein Weg 16 18 Verführer und Verführte Mark Medlock und Dieter Bohlen – wer betört hier wen? Mit welchen Mitteln? Zu welchem Zweck? Mehr über die Kunst der Menschenfänger ab Seite 18 Lässt nicht locker, bis er den richtigen Dreh raus hat: Hauschoreograph Demis Volpi bringt Salome als Ballett auf die Bühne In den USA ist sie ein Star. Jetzt kommt Cellistin Alisa Weilerstein für eine Deutschlandpremiere nach Stuttgart BÜHNE: VERFÜHRUNG 18 Die Schule der Verführung Über die Kunst der Beeinflussung – in fünf Lektionen Er sieht etwas, was wir nicht sehen Reid Anderson hat ein Gespür für Tänzer und ihre Begabungen 23 Aus der Traum Schauspieler Peter Kurth über den tödlichen Wunsch nach Anerkennung 26 Superhelden Die letzte Schlacht gegen den mächtigen Digitalus. Das große Comic-Finale 32 Der Verwandlungskünstler Hilft Tänzern, über sich hinaus zu wachsen: Ballettintendant Reid Anderson 20 Bubble Economics Es gibt sie nicht erst seit Erfindung der Börsen: Menschen, die mit heißer Luft und Hoffnung ihr Geld verdienen 4 37 ln der Pubertät Auf der Suche nach dem eigenen Ich: Alice im Wunderland 40 Der Meuterer Regisseur René Pollesch bricht mit allen Regeln des Theaters – und schafft so Neues 44 Die Zwei Jossi Wieler und Sergio Morabito über die Kunst, Opern zu inszenieren 48 Comic: Sasa Zivkovic 32 Ökonomie der Sehnsucht Der Traum vom schnellen Geld: Gogols Tote Seelen am Schauspiel Stuttgart Fotos: Martin Sigmund; Roman Novitzky; getty images / Mike Kemp; picture alliance / dpa; Matt Lankes 20 BACKSTAGE Hart und laut 37 Ein Tenor und ein Orchesterwart über ihre Liebe zu Heavy Metal 49 In der Probe In der Pubertät Was unsere Zuschauer auf Opern-, Ballett- und Schauspielproben erleben 50 Wovon Lewis Carrolls Geschichte Alice im Wunderland wirklich handelt Mein Arbeitsplatz Sofie Safranek ist Rüstmeisterin und zuständig für Waffen und Spezialeffekte 50 Sie kommt! Elisa Badenes erklärt, wie man auf der Bühne einen Orgasmus tanzt 51 Hausbericht Wie aus einem Roman ein Schauspiel wird 52 Junge Seite Für neugierige Knirpse – und alle, die was wissen wollen 54 26 Superhelden Die Tänzer des Stuttgarter Balletts im entscheidenden Kampf. Letzter Teil des Comics Was war da los? Ein Foto und seine Geschichte 54 Impressum 5 Schlaf doch endlich! Und pusten! Das Hemd wird zum Segel, der Wagen zum Schiff auf hoher See, und noch immer findet er keine Ruhe und schreit: »Mehr, mehr!« – bis ihm der Mond einen Lichtstrahl schickt. Wohin der Häwelmann! auf diesem Strahl reist, hat Else Wenz-Viëtor 1926 gezeichnet. Im Opernhaus gibt es die Theodor-Storm-Geschichte für Kinder als Sitzkissenkonzert. Premiere ist am 13. Juni 2016 6 7 Bild: Else Wenz-Viëtor (aus Theodor Storm, »Der kleine Häwelmann«, bei Annette Betz in der Ueberreuter Verlag GmbH) FOYER FOYER Foto: Stuttgarter Ballett Verlockung Seit Eva auf Anraten einer Schlange ihrem Adam einen Apfel entgegenstreckte, wissen wir um die fatalen Folgen der süßen Versprechen. Seitdem sind die Themen Weiblichkeit, Verführung und Gefahr fast untrennbar miteinander verwoben, so auch bei Salome. Demis Volpi, Hauschoreograph des Stuttgarter Balletts, hat aus dem Drama von Oscar Wilde ein Ballett gemacht. Premiere ist am 10. Juni 2016 im Opernhaus 8 9 FOYER Ach, Autokino! Mit Popcorn die Sitze zukrümeln, Filmsongs mitsingen, ohne vom Nebenmann eins auf die Zwölf zu kriegen, und knutschen, bis die Scheiben beschlagen. Ein perfekter Ort für Regisseur René Pollesch. Statt im Schauspiel inszeniert er sein neues Stück Stadion der Weltjugend hier, im Autokino Kornwestheim, als eine Kreuzung von Theaterauf- und Filmvorführung. Uraufführung am 1. Juli 2016 10 11 Foto: Christoph Binder Jenseits von Stuttgart FOYER Das Glücksrad Das Requisit Vor vier Jahren begann Darf ich in Jogginghose in die Oper gehen? THOMAS KOCH, Direktor Kommunikation der Oper Stuttgart, antwortet: Viele unserer Besucher machen sich gern schick, wenn sie ins Theater gehen – wahrscheinlich möchten sie zeigen, dass eine Opernaufführung für sie ein besonderes Ereignis ist, das sie entsprechend mit einer feierlichen Kleidung würdigen möchten. Da kann schnell der Eindruck entstehen, dass man auf jeden Fall einen Anzug oder ein Abendkleid anziehen muss. Gerade Leute, die sich zum ersten Mal eine Vorstellung anschauen möchten, kann das verunsichern, und es stellt sich deshalb die Frage nach dem richtigen Outfit. Generell gilt bei uns: Angemessene Kleidung ist die, in der man sich wohlfühlt. Kommst du dir overdressed vor, dann macht der Opernabend nur halb so viel Vergnügen. Wenn du aber als einziger Besucher eine Jogginghose anhast, ist das vielleicht auch nicht gerade angenehm. Jeans sind da möglicherweise eine gute Alternative. Wenn du aber lieber eine Jogginghose anziehen möchtest: nur zu! Wenn Sie auch eine Frage haben, dann schreiben Sie uns eine E-Mail an [email protected] 12 Mein Klang »Mitten im dritten Satz von Johannes Brahms’ Klavierquintett entlädt sich alle Energie in einer Fortissimo-Stelle: Während die zweite Geige und das Cello die Hauptstimmen haben, fahren ihnen die erste Geige und die Bratsche in die Parade. Ich spiele mit ganzer Kraft auf der tiefsten Saite meiner Geige. Da geht es in wilden Rhythmen richtig ab! Der Eindruck dieses Wechselspiels ist gewaltig.« ELENA GRAF ist 1. Konzertmeisterin des Staatsorchesters Stuttgart. Mit dem Gastpianisten Till Fellner spielt sie am 29. Juni im 6. Kammerkonzert Brahms’ Klavierquintett f-Moll op. 34 Mein Moment »Die Titelrolle in John Crankos Romeo und Julia zu tanzen ist eine echte Herausforderung, weil Julia in kurzer Zeit eine immense Wandlung durchmacht. Der wichtigste Augenblick ist für mich der, in dem Julia aufwacht und realisiert, dass Romeo tot in ihren Armen liegt. Diese Stelle nimmt mich immer wieder sehr mit. Dass ich diese Rolle jetzt zum ersten Mal auf derselben Bühne tanzen durfte wie viele berühmte Tänzerinnen vor mir, macht mich sehr glücklich. Damit ist für mich ein großer Traum in Erfüllung gegangen!« weiter. Die Scheibe lässt sich drehen, und je nachdem, wie viel Licht auf die Fotozellen trifft, verändert sich die Musik. »Man kann den Sound nur beeinflussen, nicht kontrollieren«, sagt Kuhn. Als die Arbeit abgeschlossen war, fehlte dem Ding nur noch ein Name. Kuhn nannte es: Thilotron. Dieser Erfindung kommt nun eine Hauptrolle zu bei Schorsch Kameruns Produktion Das glaubst du ja wohl selber nicht! Genauso wenig, wie man weiß, welche Töne das Thilotron von sich geben wird, steht fest, was die Zuschauer bei den Schorsch-KamerunStücken erwartet. Die Abende, die Kamerun – Musiker, Schriftsteller, Theatermacher aus Hamburg – zusammenstellt, sind Theater, Show, Lesung, Konzert, Kunst- und Videoinstallation in einem. Grundlage sind die Texte der Beat-Poeten der 60erund 70er-Jahre, die den traditionellen Kulturbetrieb infrage stellten. Kamerun will herausbekommen, wie viel von ihrer Subversion heute noch funktioniert. Und so verwandeln Musiker, Schauspieler, bildende Künstler und Studenten das Nord in ein Labor. Sie remixen Beat-Poesie, spielen und tanzen, und Kamerun singt. Sie alle müssen ebenso wie das Publikum bereit sein, sich überraschen zu lassen. Unter anderem von dem, was passiert, wenn Thilo Kuhn an seinem persönlichen Glücksrad dreht. Kai Schächtele DAS GLAUBST DU JA WOHL SELBER NICHT! Eine musiktheatrale Versuchsreihe von und mit Schorsch Kamerun zum letzten Mal am 3. & 4. Juni 2016 im Nord MIRIAM KACEROVA ist Erste Solistin des Stuttgarter Balletts. Ihr Stuttgarter Debüt als Julia gab sie am 27. März 2016 an der Seite von Constantine Allen als Romeo. Wieder zu sehen ab April 2017 im Opernhaus Innerer Kampf und wüster Bürgerkrieg soll jeden Winkel der Erde quälen Meine Szene »Mit dieser Feststellung schickt Luftgeist Ariel die Zuschauer in die Pause. Geschrieben hat den Satz William Shakespeare, der bekanntlich seit 400 Jahren tot ist. Trotzdem ist vieles in seinem Werk aktueller denn je. Das Spannende an Shakespeare ist: Er konnte in gewisser Weise in die Seelen seiner Figu- ren hineinschauen. Diese sind nie schwarz oder weiß: Auch in Ariel schlummern Sehnsucht und Grausamkeit, eben ›innere Kämpfe‹, die ihn quälen.« PAUL GRILL spielt den Luftgeist Ariel in Armin Petras’ Inszenierung von Der Sturm von William Shakespeare. Zum letzten Mal in dieser Spielzeit am 22. Juni 2016 im Schauspielhaus Fotos: Christoph Kolossa; Roman Novitzky; Dominique Brewing Can Yalcin, 13, Schüler aus Stuttgart, fragt: der Toningenieur Thilo Kuhn eine Maschine zu bauen, wie es sie auf der Welt kein zweites Mal gibt. Sein Synthesizer sollte auf eine Weise Musik produzieren, die man nicht kontrollieren kann. Der 44-Jährige, der sein Geld normalerweise mit der Betreuung von Musicals verdient, verkabelte acht Oszillatoren, acht sogenannte Envelopes und vier Filter miteinander. Für jeden einzelnen Sound legte er die Parameter fest: Tonhöhe, Lautstärke, Klangcharakter. Es entstanden Hunderte Kombinationsmöglichkeiten. Zum Schluss verband der Erfinder die Maschine mit Fotozellen, die er auf einer Plexiglasscheibe installierte. Sie reagieren auf das Licht, das aus dem Innern der Schüssel darunter kommt, und geben die Impulse an den Synthesizer 13 FOYER CHOREOGRAPH DEMIS VOLPI (links) arbeitet mit seinen Tänzern Elisa Badenes und David Moore so lange an einer Choreographie, bis ihm eine innere Stimme sagt: »Das ist es.« för derv er ei n der sta atst h e at er st u t tg a rt e.v. SPITZENKUNST FÖRDERN – EXKLUSIVE VORTEILE GENIESSEN MEIN WEG Der Hartnäckige Choreograph Demis Volpi lässt nicht locker, bis er den richtigen Ausdruck findet. Im Juni hat sein neues Ballett Salome Premiere 14 Musik, bis er seine Auswahl getroffen hatte. Er überlegte sich Schritte, probte mit Tänzern, forschte gemeinsam mit ihnen an Bewegungen. Wie lässt sich Salomes Verlangen darstellen, ihre Sehnsucht, ihre Unberechenbarkeit? »Mich interessiert nicht, wie sich jemand bewegt, sondern warum«, sagt Volpi. Haben Choreograph und Tänzer den richtigen Ausdruck gefunden, dann greift wieder Volpis Beharrlichkeit. »Wenn ich merke, dass sich etwas richtig anfühlt, dann bestehe ich darauf«, sagt er. Und behält meistens recht: Volpi gelang ein »Bühnenwunder«, schrieb die Presse nach der Uraufführung von Krabat. Grundlage für Volpis Salome-Choreographie bildet das gleichnamige Drama von Oscar Wilde. Eine biblische Legende, die der britische Autor zu einer Parabel auf emanzipierte weibliche Lust umdeutete – im 19. Jahrhundert ein Skandal. Für Demis Volpi dagegen eine Inspiration. »Diese Frau lässt sich nicht festlegen. Sie hat den Mut zu sagen: Das nehme ich mir. Diese Geschichte, diese Sprache! Das ist Tanz pur.« Saphir Robert SALOME Ballett von Demis Volpi nach Oscar Wilde, Uraufführung am 10. Juni 2016 im Opernhaus 1985 Buenos Aires Argentinien Das Engagement des Fördervereins der Staatstheater Stuttgart reicht von der Unterstützung von Theaterprojekten an Schulen, der Finanzierung von Stipendien bis hin zur Förderung besonders wichtiger Produktionen. 2000 Toronto Kanada Als Mitglied oder Stifter sind Sie bei uns in bester Gesellschaft. Erleben Sie Theater hautnah – bei Proben, Sonderveranstaltungen und exklusiven Gesprächen mit den Künstlern der Staatstheater. Wir informieren Sie gerne: 2002 Stuttgart Deutschland för derv er ein der sta atstheater stuttga rt e.v. Foto: Roman Novitzky A ls Demis Volpi drei Jahre alt war, wachte er eines Morgens auf und wusste: »Ich will Balletttänzer werden.« Er lief zu seiner Mutter und sagte ihr genau das. Sie blickte ihn liebevoll an und fragte: »Und was stellst du dir darunter vor?« So genau konnte das Demis damals auch nicht sagen. Dennoch blieb er bei seiner Idee und wiederholte sie unablässig, bis er mit vier Jahren zum ersten Mal in einem Ballettsaal in der Nähe von Buenos Aires stand. 20 Mädchen in pastellfarbenen Tutus und er. »Meine Stärke ist meine Beharrlichkeit«, sagt Volpi. Vielleicht nicht nur das. Es braucht Mut und Leidenschaft, als 14-Jähriger die Familie zu verlassen, um im kanadischen Toronto auf das Ballettinternat zu gehen. Als 16-Jähriger wieder um den halben Erdball zu ziehen, um an die John Cranko Schule in Stuttgart zu wechseln. Mit Anfang 20 die erste eigene Choreographie zu wagen. Sieben Jahre später mit Krabat in Stuttgart ein erstes abendfüllendes Handlungsballett auf die Bühne zu bringen. Und jetzt, mit 30 Jahren, ein zweites: Salome. Zwei Jahre dauert es, bis ein so großes neues Ballett steht. Für Salome hörte Demis Volpi Hunderte Stunden Die Stuttgarter Staatstheater bieten Oper, Ballett und Schauspiel auf höchstem Niveau. Private Förderung trägt dazu bei, dieses herausragende und umfassende Kulturprogramm aufrechtzuerhalten. Am Hauptbahnhof 2, 70173 Stuttgart Telefon 0711.12 43 41 35 Telefax 0711.12 74 60 93 [email protected] www.foerderverein-staatstheater-stgt.de IBAN: DE66 6005 0101 0002 4130 04 BIC: SOLADEST FOYER CELLISTIN ALISA WEILERSTEIN spielt in Stuttgart eine Komposition von Pascal Dusapin, die dieser eigens für sie geschrieben hat Die europäische Opernsaison GRATIS, LIVE UND ON DEMAND www.theoperaplatform.eu MEIN WEG Das Glückskind Die Welt ist voller wunderbarer Chancen, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Mit diesem Motto hat es die Cellistin Alisa Weilerstein weit gebracht 16 21/05 mit allen namhaften Dirigenten hat sie schon gespielt, Daniel Barenboim, Christoph Eschenbach, Paavo Järvi. Sie war zu Gast bei Michelle Obama und gewann diverse Preise. Das alles ist ein kleines Wunder, denn Weilerstein hat Diabetes und muss sich vor zu viel Belastung hüten. »Natürlich ist das lästig. Aber wenn man ein bisschen auf sich aufpasst, ist es möglich, lange und glücklich zu leben«, sagt sie. Um diese Botschaft anderen Betroffenen zu vermitteln, engagiert sie sich als Sprecherin einer Stiftung für jugendliche Diabetiker. In Berlin hat Weilerstein inzwischen eine Zweitwohnung und lernt lustige deutsche Wörter wie »Babypause«. Die hat sie nicht eingehalten, denn sie übt gerade an einem Stück, das demnächst in Stuttgart Deutschlandpremiere hat. Outscape heißt es, der Komponist Pascal Dusapin hat es extra für sie geschrieben. Das Leben sei doch wunderbar, findet Weilerstein, schließlich gebe es immer wieder Neues zu entdecken. »Man muss vor der Zukunft keine Angst haben.« Saphir Robert 1982 Rochester USA 7. SINFONIEKONZERT mit Werken von Anton Bruckner und der deutschen Erstaufführung von Outscape von Pascal Dusapin am 19. und 20. Juni 2016 in der Liederhalle 2014 Berlin Deutschland 11/06 21/06 1989 Cleveland USA 01/07 seit 1997 Konzerte weltweit 2000 New York USA 2010 Boston USA 07/07 Foto: getty images / Roberto Serra – Iguana Press M anche Menschen wirken auf den ersten Blick so perfekt, dass man fast erschrickt. Alisa Weilerstein ist so ein Mensch. Jung, gut aussehend, begeisterte Mutter eines zwei Monate alten Mädchens und extrem erfolgreich. Mit 34 Jahren gehört Weilerstein zu den besten Cellistinnen weltweit. So etwas kann einschüchternd wirken. Wären da nicht diese Fröhlichkeit und diese Bodenständigkeit in jedem ihrer Sätze. Bei allen Lobeshymnen hat Weilerstein den Kontakt zum Rest der Welt nie verloren. Dass sie so ist, verdanke sie ihren Eltern, sagt Weilerstein. Der Vater Geiger, die Mutter Pianistin, da liegt es nahe, dass das Kind auch etwas mit Musik macht. Als Alisa zweieinhalb Jahre alt ist, bastelt ihr die Großmutter ein Cello aus einem Puffreiskarton und einer Zahnpastaschachtel. Mit vier Jahren hält sie das erste richtige Kindercello in der Hand. Mit 15 Jahren tritt sie das erste Mal in der New Yorker Carnegie Hall auf und denkt: »Mann, das wurde aber auch Zeit!« Andere Musiker warten auf diesen Moment ihr Leben lang. Weilerstein lacht heute über so viel jugendliche Unbekümmertheit. Mehr als 100 Konzerte gibt sie pro Jahr, DEMNÄCHST Rigoletto von Giuseppe Verdi aus der Oper Stuttgart Macbeth von Giuseppe Verdi aus der Latvian National Opera Pikovaya Dama von Piotr Ilitch Tchaikovsky aus dem Holland Festival In Parenthesis von Iain Bell aus der Welsh National Opera Pelléas et Mélisande von Claude Debussy aus dem Festival d’Aix-en-Provence BÜHNE Die Schule der Verführung Wir lieben es, verführt zu werden. Verführung ist süß, jung, erfolgreich, prickelnd, aufregend, romantisch. Weil jedes Versprechen schöner ist als die Wahrheit und der schnöde Alltag. Verführung hat tausend Gesichter und Namen. Sie heißt Frühling, Jugend, Hoffnung und Gelegenheit. Sie heißt Chanel, Casanova, Salome, DAX, Revolution und Rendite. Willkommen in der Welt der Reize, Sinne und Sinnlichkeiten, in der wir alle uns tagtäglich bewegen. Finden Sie auf den folgenden Seiten eine kleine, nicht ganz ernst gemeinte Einführung in die Varianten einer großen Kunst. Und lesen Sie, wie Menschen am Schauspiel, bei der Oper und im Ballett ihr Publikum betören. Auch wenn die beiden Herren auf der Bank wenig Interesse zeigen – weltweit füllt sich der öffentliche Raum mit Markenbotschaften. Das hat nur einen Grund: Sie funktionieren Eine Anleitung in fünf Lektionen 1. SEHNSUCHT Finden Sie heraus, was jemand wirklich will. Und packen Sie das, was Sie erreichen möchten, darin ein 18 sprechen um die Ecke biegt. Dann läuft uns wieder das Wasser im Mund zusammen. So ist das mit dem Sehnen, dieser Sucht, die nie zu stillen ist. Für den einen ist sie ein Haschen nach Wind, für andere eine nie versiegende Einnahmequelle. Lesen Sie auf den nächsten Seiten von den vielfältigen Ökonomien der Träume und wie Nikolai Gogol die weltweite Börsenkrise vorausahnte. Und lesen Sie, wie der Schauspieler Peter Kurth sich darauf vorbereitet, Willy Loman zu spielen, einen Menschen, der am »American dream« scheitert – und stirbt. Foto: Natan Dvir / Polaris Images Das erste Kapitel dreht sich um Märkte: Seit der erste Höhlenmensch mal was anderes wollte als immer nur das Gleiche, gibt es sie, die Verpackungskünstler der Wünsche. Wir wollen schön sein – und kaufen sündhaft teure Tuben, Cremes und Tiegelchen. Wir wollen schlank sein – und rauchen Zigaretten, auf denen »light« steht. Wir sehnen uns nach Freiheit und Abenteuern, Liebe, Sex, Entspannung, Erfolg und Zweisamkeit – und kaufen, kaufen, kaufen, was andere sich für uns ausgedacht haben. Natürlich macht uns das auch satt und glücklich. Aber nur so lange, bis das nächste süße Ver- 19 BÜHNE 1. LEKTION SEHNSUCHT Und führe uns in Versuchung! Wir kaufen Bioprodukte, weil wir uns nach ländlicher Idylle sehnen, und teure Cremes, damit sie uns jünger machen. Was uns im Leben fehlt, muss der Konsum richten. Warum uns Gogols Tote Seelen in die Fratze der Gegenwart blicken lässt A ch, gäbe es doch an der Ladenkasse ein bisschen von der Erlösung, die wir uns alle bei jedem Kaufakt insgeheim erhoffen. Dann kämen wir vielleicht einmal zur Ruhe. Aber das darf ja gar nicht sein, es muss ja immer weitergehen. Mit der Wirtschaft, mit unserem Konsum, mit unseren Sehnsüchten. Die werden immer wieder entfacht, die treiben uns ständig erneut an, die lassen uns jagen und streben und niemals ankommen. Das hat System – denn das ist das System. »Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken«, schrieb 1921 der deutsche Philosoph Walter Benjamin. Fast ein Jahrhundert später widerspricht Byung-Chul Han, Philosoph und Professor für Kulturwissenschaft an der Universität der Künste Berlin: »Aber zur Religion gehört wesentlich auch Entschuldung und Sühne, eine Religion ohne Erlösung ist keine Religion. Der Kapitalismus ist nur verschuldend.« Und deswegen handelt er allein mit Sehnsüchten, könnte man ergänzen, sie bilden den Kern der ökonomischen Beziehungen und Handlungsmotive. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen ein Tisch ein Tisch und eine Jacke bloß eine Jacke war. Reine Funktion, kein größeres Versprechen, das über schiere Materialität hinausweist? Das war vorgestern. Im Akt des Konsums suchen wir viel mehr als reine Stofflichkeit, es geht um die Erfüllung unserer größeren Begehren – die wir in kaufbare Produkte übersetzt sehen wollen. Und wo das am besten gelingt, öffnen wir gern unsere Geldbörse. 20 Wir lassen uns versichern, und ein Blatt Papier, das sich Police nennt, gibt uns die Illusion von Sicherheit. Der SUV gibt uns auch im Stau das Gefühl von ein bisschen Freiheit und Naturverbundenheit. Der Biojoghurt ruft Bilder der ersehnten ländlichen Idylle in uns auf. Die teure Creme fettet nicht bloß die Haut, sondern gibt uns Schönheit, Jugend und Agilität. Wir wollen Vertrauen, Sicherheit, Glück und ein ewiges Leben und kaufen jedes Produkt, das uns verspricht, uns bei unserem Streben danach zu unterstützen. Aus diesem Wunsch sind die Marken entstanden – und die Markenversprechen. Wir möchten das alles gern glauben, weil so aus dem banalen Akt des Kaufs eine sinnhafte und -stiftende Handlung wird. Aber weil der aufgeklärte Mensch im Kapitalismus seine Verstrickung in die Mechanismen des Marktes immer auch zugleich durchschaut, entstand daraus die Sehnsucht nach einer neuen Natürlichkeit. Automatisch wurde dieser Wunsch gleich zu einer weiteren Produktlinie. So hängen wir fest in einer sich selbst immer wieder neu befeuernden Sehnsuchtsschleife, die ihren höchsten und surrealsten Ausdruck im komplexen Treiben an der Börse findet. Dort, auf dem Parkett, geht es in vielen Fällen gar nicht mehr um Aktien, die den Wert existierender Unternehmen und ihrer Zukunftsaussichten in Preisen auszudrücken versuchen. Es wird oft genug nur noch mit Hoffnungen oder Sehnsüchten gehandelt, hinter denen gar nichts mehr steht, nicht einmal mehr real existierende Papiere – Leerverkäufe. Ein guter Teil die- ser sogenannten Produkte wurde von der Finanzwirtschaft allein für die Finanzwirtschaft erfunden, die teilweise selbst gar nicht mehr begreift, was sich hinter diesen Konstrukten letztendlich noch verbirgt. So war denn die Finanzkrise des Jahres 2007 ein – wenngleich lediglich kurzfristiger – Kollaps dieses Sehnsuchts- und Illusionssystems, an dem alle gern mitgewirkt hatten. Zehntausende amerikanische Hausbesitzer wollten an ihrem Traum festhalten, ohne Eigenkapital ein Haus erwerben zu können. Die Banken bestärkten sie in diesem Glauben und gaben sich selbst der Sehnsucht hin, das werde schon irgendwie ewig gut gehen. Sie tarnten die faulen Schulden immer geschickter und reichten sie verschleiert weiter, bis die ganze Welt betroffen war. Damals mussten Institute vom Staat gerettet werden, »too big to fail«, weil sonst die globale Ökonomie in den Abgrund gerissen worden wäre. Danach wurde weitergemacht wie bisher: Die weltweit zehn größten Banken haben ihre Bilanzsumme seitdem verdoppelt. Das Wissen ist da, die schlechten Erfahrungen sind gemacht worden, aber die Kraft der Sehnsucht und der Verführung ist stärker als jede praktische Vernunft. Mit virtuellen Werten handeln, als ob sie real wären, Systemlücken und menschliche Unzulänglichkeiten nutzen, um daraus Profit zu schlagen, einfach weil die Möglichkeit dazu besteht und niemand Einhalt gebietet – das ist auch der durch und durch moderne Kern von Gogols Toten Seelen und seinem tragischen Helden Pawel Iwanowitsch Tschitschikow. Der Foto: Creative Commons CC0 TEXT: RAINER SCHMIDT Anonymer als Urnengräber, doch voller Geheimnisse und Reichtümer, von denen andere nichts wissen sollen: Briefkastenfirmen auf den Cayman-Inseln 21 kauft reichen Großgrundbesitzern bereits tote Leibeigene – Seelen – ab und verpfändet diese an den Staat, der nichts von deren Ableben weiß. Ein absurdes Geschäftsmodell, so wirkt es zunächst, aber eines, das doch allein wegen seiner Machbarkeit genug Teilnehmer überzeugt. Für Tschitschikow ist der Handel mit toten Seelen ein lukratives Geschäft. Diesem kommen die Behörden erst spät auf die Schliche, denn der Revisor schafft es nur alle paar Jahre, den wahren Bestand der lebenden Leibeigenen zu überprüfen. Der Kollegienrat a. D. nutzt geschickt die Lücken und die Schwächen des Apparats aus. Nicht schön, aber möglich. Und begünstigt durch ein Klima, in dem ohnehin jeder versucht, das Beste für sich herauszuschlagen. Die Finanzwirtschaft 2007 lässt grüßen. Für Regisseur Sebastian Baumgarten ist die Frage der Verführbarkeit kein Thema individueller Moral, sondern der systemischen Lenkung in einer unzulänglichen gesellschaftlichen Realität: »Gogols Welt ist eine Welt des Mittelmaßes, der Kleinbürgerlichkeit, die alle und alles umfasst und die sich im täglichen Überlebenskampf befindet – wie der aus ärmlichen Verhältnissen stammende und ewig ausgestoßene Tschitschikow auch. Und in einem verkommenen System gibt es eigentlich gar keine Chance mehr auf echte Unschuld. Die Protagonisten sind Täter und Opfer in einem permanenten Wechselverhältnis.« 1. LEKTION Tschitschikow schmeichelt sich bei den Großgrundbesitzern ein, um ihnen die toten Seelen billig abkaufen zu können. Er ist dabei eher plump, aber recht erfolgreich. Denn die Sehnsucht nach einem anderen Sein korrumpiert auch die Reichen. »Wer sich von Autoritäten gedeckelt fühlt, will irgendwann auch einmal eigene Autorität ausleben« Allein der nächste Vorteil zählt, auf allzu rigorose Auslegungen moralischer und anderer Vereinbarungen verzichten alle gern. Aber es gibt keine Erlösung. Baumgarten: »Tschitschikow verfährt sich dauernd. Das ist wie eine Metapher: Gogol lässt ihn sich immer tiefer im kapitalistischen Märchenwald verirren.« Doch irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem der Zauber der Verführung nicht mehr wirkt. Und an dem der Verführer, der eigentlich ein Verführter ist, verbannt wird. Nicht, weil sich der Rest der Gesellschaft plötzlich der rechtlich-moralischen Dimension der Aktionen bewusst würde. SEHNSUCHT Job weg, Familie zerrüttet, Prestige am Ende: Schauspieler Peter Kurth spielt den glücklosen Vertreter Willy Loman in Tod eines Handlungsreisenden. Ein Gespräch über das Scheitern INTERVIEW: MARTIN THEIS Herr Kurth, als Schauspieler stehen Sie öffentlich auf dem Prüfstand. Leben Sie ständig mit der Gefahr zu scheitern? Jeder Mensch trägt sein Päckchen mit sich herum, weltliche Dinge, die Beziehungen, die Tagespolitik. Der Schauspieler soll das alles vergessen, sobald er seinen Mantel in die Theatergarderobe hängt. Genau da beginnt der Kampf. Entweder du kannst loslassen und träumen, oder du scheiterst. PETER KURTH, 59, gehört seit 2013 zum Ensemble des Schauspiels Stuttgart TOTE SEELEN nach einem Roman von Nikolai Gogol Premiere am 11. Juni 2016 im Schauspielhaus Erst verdienen, dann verstecken. Steueroasen wie Panama (links) profitieren von Digitalisierung und Gier. Die Empörung ist umso realer – so wie im Fall des britischen Premiers David Cameron, der vor seiner Amtszeit Geld »offshore« geparkt hatte 22 Aus der Traum Es ist eher ein schleichender Abstoßungsprozess, der auf Gerüchten basiert und in einer vernichtenden Hetzkampagne endet, effektiver, als jeder Gerichtsprozess es je sein könnte. Ein zersetzender Sud aus Hörensagen, Lügen und mutwilliger Verleumdung macht dem tragischen Helden den Garaus. Eine moderne Hinrichtung durch vormoderne Schwarmintelligenz. Baumgarten: »Die Masse sieht es auch heute als enormen Gewinn an, sich Einzelnen gegenüber kannibalisch zu verhalten und sie zu vernichten – etwa im Internet. Die konkreten Aktionen sind individuell, aber gesellschaftlich bedingt. Wer sich von Autoritäten gedeckelt fühlt, will irgendwann auch einmal eigene Autorität ausleben.« Die ja durchaus korrupte Gesellschaft bei Gogol pocht nicht urplötzlich auf die strikte Einhaltung der Regeln und wendet sich deswegen gegen Tschitschikow. Es ist vielmehr, als strafte sie denjenigen ab, der die Sehnsuchtsmaschine zu dreist an ihre Grenzen führt – und dadurch das ganze System infrage stellt. Das aber darf unter keinen Umständen passieren. Ein kurzer Reinigungsprozess, der die Grundlagen nicht antastet, das war’s – wie 2007. Denn es muss ja immer weitergehen, Stillstand ist der Tod. Die Suche nach Erlösung kennt keine Pause. Fotos: getty images / Joe Raedle; getty images / Mike Kemp; Fabian Schellhorn BÜHNE »Wenn die Menschen den Umwälzungen nicht mehr hinterherkommen, knallt es« Auch Ihre Figuren kämpfen gegen das Scheitern. Im aktuellen Kinofilm Herbert spielen Sie einen alternden Geldeintreiber. Sein Traum von der Boxerkarriere ist geplatzt, seine Tochter will nichts von ihm wissen, und hauptberuflich bricht er Nasen von Schuldnern. Dann erleben wir, wie ihn die Nervenkrankheit ALS zerstört. will den Zuschauer mit auf eine Reise nehmen, anstatt ihm etwas vorzuspielen. In Tod eines Handlungsreisenden spielen Sie die Hauptfigur Willy Loman. Wie erleben Sie seine Niederlage? Solche Fragen diskutieren wir mit der ganzen Truppe. Was ist mit Loman los? Was macht die Gesellschaft mit ihm? Oder kommt er einfach nicht mit ihr klar? Wir schauen in jede Ecke, um herauszufinden, was wirklich Gewicht hat. Damit der Zuschauer am Ende sagt: »Das kenn’ ich.« Lomans Untergang zeigt exemplarisch das Scheitern des American dream . Miller hat dem eigenen Volk den Spiegel vorgehalten – auf so hohem Niveau, dass es niemand einfach abtun konnte. Wir müssen die Geschichte dahin bringen, dass sie uns im Hier und Jetzt etwas sagt. Jeder weiß, dass er einmal zugrunde geht. In der Kunst verdichten und beschleunigen wir diesen Vorgang. Herbert hat viele Fehler gemacht, die er nie auflösen konnte. Angesichts seiner Krankheit fragt er sich erstmals: »Wie will ich untergehen? Wem habe ich wehgetan? Wo muss ich helfen?« Er ist ein Kämpfer. In seiner groben Art macht er wieder viele Fehler – aber anders als vorher. Welche Parallelen sehen Sie? Unsere Sterblichkeit verdrängen wir für gewöhnlich. Was geschieht mit Ihnen, wenn Sie eine solche Rolle spielen? Geht es darum, unser Selbstverständnis auf die Probe zu stellen? Im Film wird alles eins zu eins durchgespielt, das ist besonders intensiv. Etwa wenn Herbert sich von seiner Freundin verabschiedet und sie wissen: Das ist das letzte Mal. Da muss man als Künstler aufpassen, dass man gesund wieder rauskommt. Es gibt genügend Kollegen, die das nicht geschafft haben. Es liegt eine ganz dünne Membran zwischen Rolle und Person. Sie setzen sich als Mensch aufs Spiel? Wenn es ans Eingemachte geht, kann ich nicht mit der Erfahrung von jemand anders umgehen. Ich muss da selber andocken. Ich Ich lege mich ungern fest. Aber es gibt genügend Menschen, die vom Scheitern bedroht sind. Die Welt vermischt sich, auch mit ihren Problemen. Begegnungen werden härter und schneller. Wenn die Menschen den Umwälzungen nicht mehr hinterherkommen, knallt es. Es kommt deshalb darauf an, wie die Gesellschaft mit dem Einzelnen umgeht. Die Aufgabe des Theaters sollte sein, genauer hinzuschauen. Wie offen und tolerant ist unsere Gesellschaft tatsächlich? Wenn wir solche Fragen anstoßen, ist viel erreicht. Die großen Fragen mal beiseite. Wovon träumen Sie persönlich? Ich möchte mir die Neugier und die Lust dafür bewahren, Geschichten zu erzählen. Wenn ich ein Theater betrete und das Gefühl habe, zur Arbeit zu gehen, kann ich mich gleich in die Kiste legen. TOD EINES HANDLUNGSREISENDEN von Arthur Miller am 4., 10. und 20. Juni 2016 im Schauspielhaus 23 BÜHNE 2. ENTDECKUNG Perfektionieren Sie Ihre Erscheinung. Aber spielen Sie sich nicht in den Vordergrund. Platzieren Sie sich an einem guten Ort – und lassen Sie sich entdecken! Foto: John Goldsmith (www.johngoldsmithphotography.com) Lernen Sie von den Besten. Kleopatra, Casanova, Marilyn Monroe waren wahre Flüsterer, wenn es darum ging, auf sich aufmerksam zu machen. Sie hielten sich zu Anfang jeder Affäre im Hintergrund, spielten sich nicht auf, ließen sich finden. Tatsächlich ist es so, dass wohl jeder diejenigen Entdeckungen besonders schätzt, die er selbst macht. Wer dieses Spiel beherrscht, spielt mit Kontrasten und Kontexten. Ein bisschen verhält es sich hier wie mit der Dorfschönheit, die nur mit der hässlichen Freundin in die Disco geht. Brutal, herzlos, manipulativ? Sicher, funktioniert aber. Aber wehe, 24 Jede Sekunde in der Öffentlichkeit ist immer auch eine Chance. Flüchtiger Moment vor einem Café im kanadischen Vancouver die Schöne hat nichts auf dem Kasten. Dann landen zwar die Kerle mit ihr in der Kiste, doch so schnell, wie sie da reingehüpft sind, springen sie auch wieder raus und sind über alle Berge. Die großen Verführer pflegen also ihre innere und äußere Erscheinung. Sie sind anmutig, charmant, geistreich, Meister der Inszenierung. Sie lassen sich entdecken – danach entfalten sie sich zu voller Pracht. Genau so machen es die Tänzer des Stuttgarter Balletts in der entscheidenden Schlacht gegen Digitalus. Viel Vergnügen beim großen Finale des Comics des Stuttgarter Balletts. 25 BÜHNE 26 2. LEKTION ENTDECKUNG 27 BÜHNE 28 2. LEKTION ENTDECKUNG 29 BÜHNE 3. TRANSFORMATION Sehen Sie in Ihrem Gegenüber nie, was er oder sie ist. Sehen Sie, was er oder sie sein könnte. Schaffen Sie Möglichkeiten für Verwandlungen! Foto: getty images / Peter Bischoff Verführung ist Transformation. Je mehr Sehnsucht, aber auch Talent, Ehrgeiz, Neugier jemand in sich trägt, desto unbedarfter wird er durch das Türchen gehen, auf dem steht: »Entdecke dein Selbst, werde vollkommen!« Finden Sie in der Person, die Sie umgarnen wollen, verborgene Seiten, und bringen Sie zum Klingen, was dieser Mensch noch nie gespürt hat. Wirklich große, positive Verführer sind Meister der Verwandlung. Weil sie mehr aus uns machen, weil sie uns weiterbringen, wachsen lassen und uns auf Entdeckungsreisen mitnehmen – zu uns selbst. Wer solche Reisen schaffen will, darf nie 30 nur sehen, was ist. Er muss sehen, was wird. Diese Lektion handelt vom Befreien, Fördern und Unterstützen. Sie zeigt die schöne Verführung, die zu Beziehungen führt, die vielleicht ein Leben währen – und den Unterschied zwischen Verführer und Verführtem verschwinden lässt. Lernen Sie auf den folgenden Seiten Reid Anderson kennen, den Intendanten des Stuttgarter Balletts. Er sieht bei seinen Tänzern Talente, bevor sie selbst davon auch nur eine Ahnung haben. Und erfahren Sie, was es mit den zahlreichen Verwandlungen bei Alice im Wunderland der Jungen Oper auf sich hat. Er hat sie gefördert, weil er wusste, dass das Publikum sie lieben wird: Stefan Raab mit Lena MeyerLandrut, bei der Rückkehr vom Eurovision Song Contest 2010 31 BÜHNE 3. LEKTION TRANSFORMATION Der Verwandlungskünstler Er spürt ihre Begabung, bevor die Tänzer sie selbst bemerken. Seit 20 Jahren leitet Reid Anderson das Stuttgarter Ballett, entdeckt Talente und macht aus ihnen internationale Stars. Damit setzt er fort, was John Cranko begann. Porträt eines Menschenkenners TEXT: USCHI ENTENMANN UND RALF GRAUEL Reid Anderson beobachtet seine Tänzer so genau, bis er sie besser kennt als sie sich selbst – und weiß, wie er sie weiterbringen kann 32 Foto: Roman Novitzky E s ist ein großer Mann, der den Probensaal des Stuttgarter Balletts betritt. Er lächelt den Anwesenden zu, ein Lächeln, das keine Zweifel zulässt, dass hier ein Macher kommt, einer, der vorausgeht, dem man gerne folgt. Was in diesem Auftritt ebenso steckt: Es muss ein gutes Gefühl sein, wenn dieser Mann hinter einem steht. Reid Anderson wird im Ballettsaal erwartet von Elisa Badenes und Constantine Allen, beide sind Erste Solisten am Stuttgarter Ballett. Sie proben Der Widerspenstigen Zähmung. Anderson soll sich den Pas de deux des ersten Aktes anschauen. Die Pianistin greift in die Tasten, Anderson summt die Melodie, setzt sich, springt gleich wieder auf, korrigiert: die Drehung schneller, den Gesichtsausdruck zorniger. Ein halbes Jahrhundert ist es her, dass Reid Anderson diese Szene zum ersten Mal sah – in der Choreographie von John Cranko. »Was Cranko damals machte, war absolut neu«, erzählt er. »Ich war baff, als er Marcia Haydée und ihren Partner Richard Cragun boxen ließ. Sie schmissen sich auf den Boden, schlugen Purzelbäume, traktierten sich mit Judogriffen. So etwas hatte vor ihm noch keiner gewagt.« 1969 war das, Anderson war 19 Jahre alt, gerade in Stuttgart angekommen. »Für mich war das eine Offenbarung«, erinnert er sich. »Die ganze Bühne war in Bewegung. Ich hatte nie geglaubt, dass Tänzer so etwas ausdrücken könnten. Jede Figur spielte, und ich habe alles verstanden. John Cranko konnte Ballett machen für normale Menschen. Du brauchtest nichts von Ballett zu wissen – und hast alles verstanden.« Es werden nur vier Jahre sein, die Anderson mit John Cranko arbeitet, doch sie genügen, um den jungen Tänzer auf eine Bahn zu bringen, die er nie verlassen wird. Nach Crankos Tod 1973 übernimmt zunächst Glen Tetley, dann Marcia Haydée die Leitung. Anderson wird große Rollen tanzen, manche werden eigens für ihn kreiert. Die Compagnie wird um die Welt reisen und mit dieser neuen, lebensbejahenden Art zu tanzen durch alle großen Häuser fegen. Gemeinsam mit vielen anderen wird er Ballettgeschichte schreiben. Er wird in seine Heimat zurückkehren, nach Kanada, um in Vancouver das Ballet British Columbia zu Eine neue, lebensbejahende Art von Ballett, die alles Alte hinwegfegt leiten. Er wird die Berufung zum Direktor des National Ballet of Canada annehmen, 40 Jahre ist er da alt, doch die größte Rolle seines Lebens hat Anderson noch vor sich: die Intendanz des Stuttgarter Balletts. Als Reid Anderson 1996 die Leitung dieses Hauses übernimmt, tritt er ein großes Erbe an. Er übernimmt eine der berühmtesten Compagnien der Welt. Ein Haus, in dessen Kern Kreativität und Nahbarkeit stecken, gesegnet mit einem begeisterten Publikum, umgeben von zwei engagierten Ballettgesellschaften. In den folgenden 20 Jahren wird das Stuttgarter Ballett zum Kraftzentrum und zur Kaderschmiede – weltweit. Anders als John Neumeier in Hamburg oder William Forsythe in Frankfurt – beide ehemalige Tänzer und Choreographen des Stuttgarter Balletts –, anders als seine Freunde wird Anderson nie als Choreograph arbeiten. Stattdessen wird er seine Energie auf etwas anderes konzentrieren: Menschen entdecken, Talente fördern und Freiräume bieten. 95 Uraufführungen schiebt Anderson in 20 Jahren an, davon acht abendfüllende Handlungsballette. Namen wie Christian Spuck, Marco Goecke, Demis Volpi, Katarzyna Kozielska, Louis Stiens entwickelten und entwickeln sich aus Stuttgart heraus. Zwei Jahre noch, dann beziehen die Schüler der John Cranko Schule endlich ihren Neubau am Hügel über der Stadt, acht Fußminuten von den Staatstheatern Stuttgart entfernt. Die Nachwuchsarbeit des Stuttgarter Balletts ist vergleichbar mit der Nachwuchsarbeit großer europäischer Fußballclubs. 20 Nationalitäten vereint die Compagnie heute. 60 Prozent der Tänzer am Stuttgarter Ballett sind Absolventen der Schule, darunter fünf Erste Solisten. Ehemalige Tänzer aus Andersons Compagnie leiten Ensembles und Nationalballette weltweit, Christian Spuck in der Schweiz zum Beispiel, Sue Jin Kang in Südkorea und Filip Barankiewicz und Ivan Cavallari bald in Tschechien und Kanada. Unter Reid Andersons Ägide tritt das Stuttgarter Ballett an allen großen Häusern der Welt auf: u. a. Bolschoi in Moskau, Pariser Oper, das Sadler’s Wells Theatre in London, das New York State Theater und das City Center Theatre in New York. 33 FESTWOCHE 20 JAHRE INTENDANZ REID ANDERSON 15. BIS 24. JULI 2016 VON WUNDERN UND SUPERHELDEN FILMPREMIERE Dokumentation des SWR 15. Juli 2016 im Metropol Kino Stuttgart BALLETTABEND NEXT GENERATION Mit Tänzern des Koreanischen Nationalballetts, des Tschechischen Nationalballetts, Augsburg Ballett, Ballett im Revier und Gauthier Dance 16. Juli 2016 im Opernhaus GESPRÄCHSRUNDE NEXT GENERATION Mit den Ballettdirektoren Sue Jin Kang, Filip Barankiewicz, Christian Spuck, Ivan Cavallari, Robert Conn, Bridget Breiner und Eric Gauthier 17. Juli 2016 (vormittags) im Opernhaus BALLETTABEND SKIZZEN Auszüge aus Uraufführungen der letzten 20 Jahre 17. (nachmittags u. abends) 18. Juli 2016 (abends) im Kammertheater BALLETTABEND FORSYTHE / GOECKE / SCHOLZ The Second Detail von William Forsythe, Lucid Dream von Marco Goecke, Siebte Sinfonie von Uwe Scholz 19. Juli 2016 im Opernhaus ROMEO UND JULIA von John Cranko 20. Juli 2016 im Opernhaus DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG von John Cranko 21. Juli 2016 im Opernhaus ONEGIN von John Cranko 22. Juli 2016 im Opernhaus GALA DER JOHN CRANKO SCHULE Mit internationalen Gästen und einer Uraufführung von Demis Volpi, Katarzyna Kozielska, Louis Stiens und Fabio Adorisio 23. Juli 2016 im Opernhaus / Ballett im Park GALA DES STUTTGARTER BALLETTS Mit internationalen Gästen 24. Juli 2016 im Opernhaus / Ballett im Park 34 3. LEKTION Diese Dichte, die wochenlangen Tourneen, die Zusammenarbeit mit der Schule, die extrem hohe Übernahmequote, dies alles dürfte verantwortlich sein für das exzeptionelle Gemeinschaftsgefühl. Selbst auf Nachfrage ist hier selten von Konflikten zu hören. Das hat mit Reid Anderson zu tun, dem Mann, der jede Vorstellung seiner Tänzer in Stuttgart besucht. Immer eine Viertelstunde vor Beginn steht er auf der Bühne, redet mit ihnen, dem Choreographen. Dann setzt er sich ins Publikum. »So sehe ich, wie die Tänzer sich entwickeln«, erklärt Anderson. Und die Tänzer sehen, dass er sie sieht. Ab einem bestimmten Niveau ist Tanzen nur noch Kopfsache. So wichtig wie das Training der Körper ist das Kümmern. Zwei Drittel seiner Tage verbringt der Intendant manchmal mit Gesprächen. Das war schon so bei Cranko. »John hatte kein Büro. Wenn du mit ihm sprechen wolltest, bist du in die Kantine gegangen. Da saß er in seiner Ecke«, erzählt Anderson. »Ich war in meinen ersten Jahren als Tänzer mit mir selbst sehr unzufrieden. Ich war sehr groß und fand meinen Körper furchtbar. Großer Kopf, der Oberkörper wie eine Schachtel auf zwei Streichhölzern. Alle anderen waren klein und zierlich. Sobald ich auf der Bühne stand, sah man immer nur mich! Also bin ich zu John gegangen und jammerte.« »Er schaute mich an und sagte: ›Das ist genau, was ich an dir mag. Ich finde toll, dass ich dich immer sehen kann. Und wie du aussiehst‹«, erzählt Anderson: »Das war’s. Mehr hat er nicht gesagt. Danach wollte ich das Beste aus mir machen. Wurde knackiger, feilte an meiner Technik, schliff, jeden Tag ein bisschen mehr. Ich habe endlich akzeptiert, wer ich war.« Diese Lektion gebe er an seine Schüler weiter. »Ich sage ihnen: ›Es ist super, wie du bist und wie du aussiehst. Aber ich möchte die beste Version davon.‹« Woran erkennt er, ob jemand Talent hat? Anderson blickt in Richtung Probenraum. »Ich betrete den Saal und schaue zu. Wenn sich innerhalb von fünf Minuten meine Nackenhärchen aufstellen, weiß ich, da ist was. Manchmal hör’ ich so etwas wie ein Summen«, sagt Anderson: »John Cranko nannte es das ›it‹. Er sagte immer: ›Either you have it or you don’t have it. But you can’t get it.‹« »Ich glaube, ein Tänzer braucht diese Kombination aus ›it‹, Charme und Demut.« Demut braucht ein Schüler, sonst lernt er nicht. Charme braucht er, sonst glänzt er nicht. Und ›it‹, das wäre Talent. Wie schafft man es, dass ein junger Mensch sein Poten- TRANSFORMATION zial voll entfaltet – mitunter in eine Richtung, die ihm selbst völlig unbekannt, ja vielleicht sogar unzugänglich war? »Das Wichtigste ist nicht, was ein Tänzer für mich tun kann, sondern was ich für einen Tänzer tun kann«, erklärt Anderson. »Jeder Mensch entwickelt sich anders. Deswegen beobachte ich sie, will alles über sie erfahren.« Das Erfahrenwollen gilt als beidseitiges Angebot. »Wenn Tänzer mit mir reden wollen, geht das immer vor. Sie haben Angst, machen sich Sorgen. Bei diesen Gesprächen sage ich immer die Wahrheit. Nett serviert – aber es ist die Wahrheit. Der Vorteil für mich: Ich weiß noch Monate später, was ich gesagt habe, denn ich habe nicht gelogen. Der Vorteil für die Tänzer: Sie arbeiten an sich und bekommen das maximale Ergebnis.« Manchmal liegt dieses Ergebnis darin, dass jemand das Haus wechselt, weil es woanders besser passt. Dann greift der Intendant zum Telefon, ruft einen der Direktoren an einem der großen Häuser der Welt an, und man trennt sich, ohne Groll. Oft aber liegt das Ergebnis darin, dass er einen Tänzer oder eine Tänzerin auf ein Gastspiel schickt, in eine andere Kultur, auf eine Reise, von der ein neuer Mensch zurückkehrt – gewachsen, verwandelt, vollkommener. Manchmal ist es Not, die Veränderung schafft – und der Mut des Chefs. Weihnachten 2002 stand Schwanensee auf dem Programm, einer der größten Klassiker des Ballettrepertoires. Held der Geschichte ist Prinz Siegfried, der neben Prinzessin Odette (weißer Schwan) und Odile (schwarzer Schwan) bestehen muss. Es gab drei Besetzungen für diesen Traum aller Tänzer, einer war verletzt, ein anderer verstauchte sich morgens das Fußgelenk. Eine Doppelvorstellung stand an, also musste ein neuer Siegfried her. Der Tänzer Jason Reilly erzählt: »Montags bat Reid mich in sein Büro. Er sagte: ›Ich möchte, dass du den Prinzen in Schwanensee tanzt.‹ Ich sagte: ›Super!‹, bei so einer Chance sagt man ja nicht Nein, und fragte: ›Wann?‹ Reid: ›In fünf Tagen.‹« 22 Jahre alt war Reilly. Der muskulöse, dunkle Junge galt bis dahin als solide Besetzung für Nebenrollen. Sich selbst beschreibt er als »mehr Bulldogge denn Windhund«. Er wurde blass, die Kinnlade klappte runter. »Ich fragte Reid: ›Glaubst du, ich kann das?‹ Reid sagte: ›Ich weiß, du kannst das.‹ Also gingen wir in den Ballettsaal, und haben geprobt.« Die Rolle veränderte Jason Reillys Leben. Er wurde Erster Solist. Als Einziger in der Compagnie tanzt er alle männlichen Haupt- Fotos: Roman Novitzky BÜHNE Zuschauen, erklären, an der Technik feilen: Reid Anderson bei der Arbeit mit jungen Hoffnungsträgern der Compagnie 35 3. LEKTION rollen im Repertoire. Namhafte Choreographen kreierten Rollen für ihn, darunter Mauro Bigonzetti, Wayne McGregor und Christian Spuck. »Jason wird gefeiert wie ein Popstar«, sagt Reid Anderson. Reilly ist sich sicher, dass er in keiner anderen Compagnie über Nebenrollen hinausgekommen wäre. Dazu Anderson: »Ich sah seine Muskeln, aber auch seine Eleganz. Jason brauchte die klassische Förderung. Der Prinz ist eine Herausforderung. In weißen Strumpfhosen steht man wie nackt auf der Bühne. Das Publikum sieht jeden Muskel, jedes Wackeln und Zittern. Ich wusste: Wenn er das gut macht, kann er alles tanzen.« Es gibt Tänzer, für die ist dann noch nicht Schluss. Sie wollen etwas Neues gestalten, wollen choreographieren. Für diesen Schritt gibt es beim Stuttgarter Ballett ein System – zusammen mit der Noverre Gesellschaft, die zu Abenden einlädt, bei denen junge Choreographen ein offenes Programm ohne Erfolgsdruck gestalten können. Mancher scheitert krachend. Mancher findet hier seinen Weg. Damit das Neue aber erkannt, anerkannt und gefördert wird, braucht es ein entspre- chendes Publikum. »In Stuttgart lieben die Menschen die Kunst, sie lieben Ballett, und sie verstehen es. In keiner anderen Stadt der Welt kann ich einem Publikum an einem Abend drei Uraufführungen moderner Choreographen zumuten.« Solche Abende gibt es öfter beim Stuttgarter Ballett; in der Regel sind sie ausverkauft. Bei jeder Vorstellung steht Reid Anderson in der Pause Rede und Antwort, inmitten von Kollegen, Kritikern und Besuchern und wie immer am selben Stehtisch im Foyer. Manchmal passiert Unvorhergesehenes. Das Stück Neurons steht an, eine Uraufführung von Katarzyna Kozielska, Absolventin der John Cranko Schule. Seit 15 Jahren ist sie Damit das Neue anerkannt und gefördert wird, braucht es ein Publikum TRANSFORMATION Einst tanzte er selbst die großen Rollen, heute hilft er seinen Tänzern, sie zu erreichen: Reid Anderson (links) als Onegin mit Marcia Haydée und Jason Reilly (rechts) als Prinz Siegfried mit Elena Tentschikowa in Schwanensee 36 Alice in der Pubertät in der Compagnie, seit fünf Jahren erfindet sie eigene Stücke. Neurons beginnt mit einer Tänzerin auf Spitzenschuhen innerhalb eines Ringes mit Lampen, die sie anstrahlen. Minute um Minute vergeht mit dem gleichen Bild, dann senkt sich der Vorhang. Unruhe im Saal. Was ist passiert? Das Licht geht wieder an, Reid Anderson betritt die Bühne. Stellt sich höflich als Intendant vor – als ob das nötig wäre – und erklärt, dass das Schauspielhaus renoviert wurde und jetzt noch nicht alles so funktioniere, wie es eigentlich solle. Auch der Lampenring gehe nicht hoch, wie er solle. Das müsse sich das Publikum nun einfach vorstellen. Und am Ende müsse er sich wieder senken, was er nicht tun werde – bitte auch das vorstellen. Das Publikum ist entzückt, es lacht und applaudiert. Nach der Vorstellung verlassen die meisten Besucher den Saal mit einem Gefühl der Wärme. Ein Glück, dass sie in der Vorstellung waren, in der dieses kleine Malheur passierte. Eine ältere Dame wendet sich zu ihrem Begleiter und sagt: »Wie charmant dieser Intendant ist.« Unter der Oberfläche einer Kindergeschichte erzählt Lewis Carroll von einem entscheidenden Wendepunkt unserer Biografie TEXT: MICHAEL MATTHIASS G Fotos: Gundel Kilian; Stuttgarter Ballett; Matt Lankes (MattLankes.com) BÜHNE eburt und Tod – unser Leben ist umgrenzt von zwei Verwandlungen, die radikaler nicht sein könnten. In der ersten schlüpft ein fast aquatisches Wesen mit Lungen, die kurz zuvor noch mit Wasser gefüllt waren, aus dem Dämmerlicht der Fruchtblase in die Welt, in der zweiten verwandelt sich dieses belebte, beseelte Wesen in stille Materie und geht – niemand weiß, wohin. Beide Verwandlungen sind für uns von tiefer Rätselhaftigkeit. Aber zum Glück gibt es noch eine dritte Verwandlung, eine, die wir verstehen, durchleben und beeinflussen können: Pubertät und Erwachsenwerden. Von dieser dritten, für uns so wichtigen Verwandlung erzählt Alice im Wunderland unter dem Deckmantel einer Kindergeschichte. »Alice ist ein kleines Mädchen, das zum ersten Mal eine eigene Haltung zu den Dingen und Wesen um sich herum finden muss«, beschreibt die Regisseurin Barbara Tacchini ihre Sicht auf die junge Heldin. Tacchini inszeniert Alice im Wunderland ab Juni 2016 für die Oper Stuttgart. Für Alice beginnt die Verwandlung mit einer erst komischen, dann zunehmend beunruhigenden Kaskade von Ereignissen, in der sie alle möglichen Zustände durchläuft, von riesig groß bis winzig klein, ohne je den zu erreichen, den sie so dringend sucht: endlich genau passend zu sein. Sie wird das noch eine ganze Weile bleiben, nicht passend, wird hin und her changieren zwischen Gehorsam und Auflehnung, Schüchternheit und Mut. Und während ihrer Reise durchs Wunderland begegnet sie einer ganzen Phalanx skurriler Wesen, denen eines gemeinsam ist: Sie sind in irgendeiner Form an der dritten Verwandlung gescheitert. Die Raupe, die sich nie verpuppt, der Hutmacher, der im erstarrten Ritual einer »tea time« festsitzt, der ewig panische Hase, der sich von eingebildetem Zeitdruck durchs Bilder einer Verwandlung: die amerikanische Filmschauspielerin Lorelei Linklater (Boyhood) zwischen Kindheit und Erwachsensein Wunderland hetzen lässt, und viele andere spiegeln eine verkrustete Erwachsenenwelt wider, in der niemand so lebt, wie er es sich einmal erträumt hat. Natürlich gibt es gute – erwachsene – Gründe dafür, seien es die Befehle der Obrigkeit oder das alte »Es gehört sich so«, aber in Wahrheit haben alle nur Angst, sie selbst zu sein. Vorbilder? Orientierung? Nirgendwo in Sicht. Selbst die einfache Frage nach dem richtigen Weg spielt die Grinsekatze grin- send an Alice zurück: »Das kommt darauf an, wo du hinwillst.« Alice muss sich also ganz allein verwandeln, um endlich zur Herzkönigin, der mächtigsten Figur des Wunderlandes, die Worte einer wahrhaft Verwandelten sagen zu können, jenes herrlich freche, selbstbewusste »Wer hat dich gefragt?«, gefolgt von einem Satz Lewis Carrolls, der so einfach ist, dass Lichtstrahlen aus ihm hervorzubrechen scheinen: »Unterdessen hatte sie ihre volle Größe erreicht.« Alice ist er-wachsen geworden, sie hat schließlich ihre Haltung zu den Dingen um sie herum gefunden. Hier liegt für Barbara Tacchini einer der Schlüssel zur generationenübergreifenden Anziehungskraft dieser Geschichte: »In jeder Geschichte durchlebt der Held eine Entwicklung, aber eine echte, volle Verwandlung wie bei Alice, das ist etwas Besonderes!« Warum sie uns so anzieht, diese Geschichte von der dritten, sichtbaren Verwandlung – und ihre Variationen wie die Rückkehr Darth Vaders von der Dunklen Seite der Macht in Star Wars oder die Verwandlung Richard Geres vom harten Geldmenschen in einen Liebenden in Pretty Woman? Weil die dritte Verwandlung uns den Rücken stärkt, wann immer eine Veränderung in unserem Leben ansteht. »Wandel ist ein langer Prozess, der vielen Menschen unheimlich ist – weshalb sie da schnell wieder rauskommen wollen«, sagt Barbara Tacchini. »Wichtige Dinge erleben wir aber nur, wenn wir das aushalten.« Dass Alice ihre dritte Verwandlung mit allen Hürden und Ängsten am Ende doch noch meistert, heißt nichts anderes als: Wir können das auch. Das ist die eigentliche, Mut machende Botschaft von Alices Reise durchs verrückte Wunderland. ALICE IM WUNDERLAND von Johannes Harneit nach Lewis Carroll Premiere am 2. Juni 2016 im Kammertheater 37 BÜHNE 4. REVOLUTION Brechen Sie Regeln. Denken und handeln Sie wie ein Pirat. Stellen Sie das Selbstverständliche infrage. Kapern Sie die Waffen Ihrer Gegner! 38 tuchten Mitbewerber. Widersprüche und idiosynkratische Sperenzchen sind bei dieser Taktik durchaus erwünscht. Die Verwirrung steigert die Faszination ihres Publikums. Nachdem der Marsch durch die Institutionen die Kanten geglättet hat, darf die Taktik ruhig Fett ansetzen. In der Werbung spricht man von Guerillamarketing, in der Politik von Joschka Fischer. Lernen Sie auf den folgenden Seiten René Pollesch kennen, einen wahren Piraten des Theaters. Fremde Orte kapert er wie kaum ein anderer. Gleichzeitig ist er einer der großen Romantiker der Gegenwart. Foto: Elmo Tide Ekstase am Boxring: Beim Lucha VaVOOM in Los Angeles vermischen sich Wrestling, Comedy und Burlesque zu einer neuartigen, sehr unterhaltsamen Veranstaltungsform Wahre Verführer lösen Konventionen auf. Sie machen mit uns die Nacht zum Tag, erobern uns, ehe wir uns versehen, weil sie sich vor nichts und niemandem fürchten. Ihre Respektlosigkeit öffnet Herz und Verstand, lässt uns zweifeln, taumeln, reißt uns raus, zeigt die Wahrheit und des Kaisers neue Kleider. Regeln brechen, die Etablierten angreifen, Zäune einreißen, Barrikaden stürmen, Goliaths Schienbein kicken, Ironie, Satire, Humor, dies alles können herrliche Vehikel sein für alle, die jung sind, frisch, frech und insgesamt über weniger Mittel verfügen als ihre besser be- 39 BÜHNE 4. LEKTION REVOLUTION Der Meuterer Keine Charaktere, keine Dialoge, keine Handlung: René Pollesch verzichtet bei seinen Stücken auf alles, was scheinbar unbedingt zum Theater gehört. Sogar auf das Theater selbst TEXT: ULRICH SEIDLER 40 es vor: ein altes Autokino in Kornwestheim. Nicht schlecht für die Autostadt Stuttgart. Gezeigt wird dabei eine Mischung aus Film und Theater: Schauspieler agieren, werden dabei gefilmt, und das Ganze wird auf die Leinwand übertragen. Ein live gespielter Film, sozusagen. Und das in nahezu historischer Umgebung: Das Autokino Kornwestheim wurde bereits 1969 eröffnet. Gezeigt wurde damals übrigens Bullitt mit Steve McQueen, ein Film mit einer inzwischen legendären Verfolgungsjagd eines 1968er Ford Mustang und eines Dodge Charger. Nicht nur mit Planungsänderungen, sondern auch mit großen Namen und Symbolik geht Pollesch ziemlich unbekümmert um. Zum Beispiel das Stadion der Weltjugend: Die einst stolze DDR-Sportstätte in Berlins Mitte wurde nach der Wende abgerissen. Heute ist das Areal mit der gigantischen Zentrale des Bundesnachrichtendienstes überbaut. Spielt das für Pollesch eine Rolle? Schließlich könnte man aus diesem Stück Stadtgeschichte eine ideologiekritische Metapher über real existierende Diktaturen herauskneten oder so etwas Ähnliches. Nein, sagt Pollesch freundlich, mit dem eigentlichen Stadion habe das Stück nichts zu tun. »Wir fanden den Titel einfach toll.« Es gehört zu Polleschs Arbeitsweise, dass die Texte während der Probenzeit entstehen. Nicht, dass alle demokratisch mitschreiben dürften, aber mitdenken ist auf jeden Fall Voraussetzung. Begriffe wie Stückentwicklung oder Projekt mag Pollesch nicht. Solche Wörter seien nur dazu da, das Neue und Unbekannte wegzusortieren. Als Pollesch um die Jahrtausendwende, immerhin schon knapp 40 Jahre alt, mit seiner Heidi-Hoh-Trilogie seinen Durchbruch erlebte, gab es noch ganz andere Kategorien, mit denen Kritiker versuchten, das Phänomen der in der jeweiligen Situation erst entstehenden Theaterstücke zu bannen: Pop-, Kreisch-, Soziologietheater, Kindergarten, Diskursdisco, postdramatisches Teufelszeug. Pollesch verzichtet auf den Dialog, auf Konflikte zwischen Figuren. Seine Texte sind eigentlich Monologe: Gruppenselbstgespräche, Vergewisserungs- und Verunsicherungstiraden, manchmal auch Lamenti der Verzweiflung. Sie werden rhythmisch portioniert und − damals noch mit Unterstützung einer mitspielenden Souffleuse − auf mehrere Schauspieler verteilt. Für Pollesch ist die Sprache ein Werkzeug, mit dem man den Blick auf das eigene Leben scharf stellen kann. Wenn der Schauspieler den Text nicht durch den Kopf über die Lippen bringt, stimmt was nicht. Und dann muss neu und besser gedacht und formuliert werden. Es werden Probleme gewälzt, Argumente stapeln sich auf, Widersprüche spitzen sich zu, die Perspektive springt, Begriffswelten werden ineinandergeschoben und verlorene Fäden neu verknotet. Luftholen ist nicht, und wenn, dann nur mit verzweifeltangriffslustigen und befreienden WeckrufStoßseufzer-Schreien, die nicht selten mit dem Wort Scheiße enden. In von Pollesch so genannten Clips, in denen die Schauspieler sinnreiche, aber überschaubare Rituale zu lauter Popmusik absolvieren oder sich auch mal eine Tanzeinlage, eine Raucherpause oder ein Getränk gönnen, können die Sprechapparate der Spieler runterkühlen und die Zuschauerhirne ausbrummen. Dann geht es, so ähnlich wie beim Boxen, in die nächste Runde. So oder so ähnlich läuft das nun schon über 15 Jahre und wird einfach nicht langweilig. An dem Prinzip hat sich seither wenig »Kindergarten«, »Kreischtheater« schrieen die Kritiker anfangs bei René Polleschs Stücken. Inzwischen ist der Regisseur und Autor Mitglied der Berliner Akademie der Künste »Verführung ohne Abenteuer, das ist wie alkoholfreies Bier« Foto: Heji Shin R ené Pollesch steht unter einer offenbar wohltuenden Art von Strom, er ist erschöpft und bester Dinge zugleich. Um sieben Uhr ist er aufgestanden, hat geschrieben und den Text von mittags bis abends auf der Bühne mit seinen Darstellern ausprobiert. Nun sitzt er in der Kantine der Volksbühne. Bei aller kreativen Aufgeladenheit und trotz der bereits etwas heiseren Stimme – im Gespräch ist er gedanklich konzentriert, geduldig und freundlich zugewandt. Es muss schön sein, mit Pollesch auf der Probe zu arbeiten, zu suchen, zu denken, zu lachen. Auf die Frage, was er vorhat in Stuttgart und worum es geht in seinem neuen Stück Stadion der Weltjugend, weiß er allerdings noch keine Antwort. Er guckt, als hätte man ihn gefragt, was er am 12. November 2048 zwischen 14 und 14:30 Uhr vorhabe. Dass ein paar Tage zuvor die Grundidee zu seinem Stuttgarter Theaterabend geplatzt ist, scheint ihn nicht weiter nervös zu machen. Stadion der Weltjugend sollte nicht im Theater spielen, sondern in, vor, hinter und auf einem Einfamilienhaus in Stuttgart. Das klappt aber nicht. Die Idee stammt noch von Bert Neumann. Es war eine seiner letzten Ideen. Der Bühnenbildner starb im vergangenen Sommer früh und völlig unerwartet. René Pollesch bezeichnete ihn in einem bewegenden Nachruf als ersten Autor seiner Stücke – und als Freund. Die Sache mit dem Einfamilienhaus gestaltete sich jedenfalls schwieriger als gedacht. Nach eineinhalbjähriger, intensiver Suche war irgendwann klar, dass es nahezu unmöglich wird, ein solches Projekt in Stuttgart zu realisieren. Da schlug die Bühnenbildnerin Barbara Steiner etwas ganz Neu- geändert. Es gibt Abende, die sich in Verzweiflung stürzen, andere, die sich spaßeshalber selbst wegreflektieren, mal geht es ruhiger zu, mal hysterischer. Über 200 Stücke hat Pollesch nach eigener Zählung geschrieben und inszeniert. In Berlin, Stuttgart, Hamburg, Wien, Zürich, Luzern und sonst wo − und überall hat er seine Spieler, die sich auf ihn freuen, mit denen er gern kontinuierlich arbeitet und deren Stamm immer größer und farbenprächtiger wird. Wäre Pollesch als Bankkaufmann glücklicher geworden? So etwas schwebte jedenfalls Polleschs Eltern vor, sie Hausfrau, er Hausmeister. Dass ein Junge vom Dorf, nämlich aus Dorheim, einem Ortsteil von Friedberg im hessischen Wetteraukreis, aufs Gymnasium kam, war absolut ungewöhnlich. Im Gymnasium geriet er in eine Theater-AG. Nach dem Abitur bewarb er sich an der Uni in Gießen. Diese hatte den Theaterwissenschaftler Andrzej Wirth zum Professor berufen und einen neuen Studiengang aufgemacht, der später Angewandte Theaterwissenschaft hieß. Pollesch studierte ab 1983 acht Jahre lang, begegnete vielen namhaften Gastdozenten, und – vielleicht noch wichtiger – er verfügte über den Schlüssel zur Probebühne. Der vielversprechende Student legte zunächst eine blitzschnelle Karriere hin, die ihn unter anderem auch an das ehemals revolutionäre Frankfurter Theater am Turm – TAT führte. Dann aber drohte sein Erfolg auszulaufen. Denn es fehlte Pollesch an Unterwerfungsbereitschaft, um geschmeidig in das Gefüge des Theater- und Verlagsbetriebs gleiten zu können. Um andererseits zu glauben, dass dieser Betrieb sich eines Tages für ihn ändern würde, fehlte es ihm an Größenwahn. Irgendwann war das Geld alle, Pollesch hielt sich mit Drehbuchcoach-Jobs über Wasser, kratzte irgendwann 200 Mark zusammen für ein Bahnticket nach Berlin, zu einem Vorsprechen bei Matthias Lilienthal, damals noch Chefdramaturg an der Volksbühne. Lilienthal ließ ihn erst antanzen und dann abblitzen. Die beiden sehr unterschiedlichen Theatererneuerer sind keine Freunde geworden. Erst als Lilienthal die Volksbühne räumte, konnte Pollesch, von Bert Neumann eingeschleust, dort Fuß fassen. Später wurde er Spielstättenleiter und zum prägenden Regisseur des Hauses. René Polleschs Heiserkeit verstärkt sich. Er sieht nach der Zeit. Erst auf seinem Telefon, dann auf seiner Uhr. Er hätte noch viel zu erzählen und bittet darum, gebremst zu werden. Zum Stichwort Verführung guckt er so, als würde ihm nun ausgerechnet auf diesem Gebiet gar nichts in den Sinn kommen. Alle Versuche, ihn mit Stichworten wie Liebe als Geschäftsmodell, zwischenmenschliches Marketing, entfremdete Kommunikation oder Ähnlichem zu irgendeiner Neoliberalitätskritik aus der Reserve zu locken, schlagen fehl. Immerhin: Auf diese Datingtools aus dem Internet, auf die er vielleicht als Bankkaufmann hätte zurückgreifen müssen, ist er in seinem Leben nicht angewiesen. Besser ist es. Denn Verführung ohne Abenteuer, so Pollesch, das sei wie alkoholfreies Bier. STADION DER WELTJUGEND von René Pollesch Uraufführung am 1. Juli 2016 im Autokino Kornwestheim 41 BÜHNE Mehr als 100.000 Menschen stellen beim jährlichen Arirang Festival in Nordkorea Heldenbilder dar. Laut dem früheren Staatschef Kim Jong-il schult das ihre »kommunistischen Qualitäten« 5. VISION Bieten Sie einfache Lösungen für komplexe Probleme. Schaffen Sie Organisationen mit klaren Regeln und wirren Strukturen. Wiederholen Sie Ihre Botschaft unentwegt 42 und Neuerer: Sie alle bieten die Flucht ins Einfache. Und sobald sie an die Macht kommen, verwandeln sie sich – und die Revolution frisst ihre Kinder. Erfahren Sie auf den nächsten Seiten, warum ausgerechnet Opern so oft von Fanatismus, falschen Propheten und dunklen Heiligen handeln. Und lernen Sie Jossi Wieler und Sergio Morabito kennen. Der eine ist Regisseur und Intendant der Oper Stuttgart, der andere ihr Chefdramaturg. Gemeinsam sind sie Deutschlands wohl erfolgreichstes Opernduo. Foto: Werner Kranwetvogel (www.werner-kranwetvogel.de) Das letzte Kapitel betont die dunkle Seite der Verführung. Denn es gibt sie ja, die Händler der simplen Erklärung, die Populisten und Vereinfacher. All diese Verführer nähren die Sehnsucht nach weniger Komplexität – nach Ordnung und Struktur, nach Regeln und Zugehörigkeit. Sie bieten Klarheit und Wahrheit an – und bauen doch nur Luftschlösser aus Dogmen und Kerkern. Sie versprechen Askese, Gerechtigkeit, Purismus, Läuterung und errichten gleichzeitig Systeme des Terrors und der Unterdrückung. Willkommen in der Welt der Sekten, Fanatiker 43 BÜHNE 5. LEKTION VISION Wir wollen uns gemeinsam in Bereiche begeben, die wir noch nicht kennen Kaum jemand inszeniert Opern so konsequent politisch und treffsicher am Puls der Gegenwart wie das Duo Jossi Wieler und Sergio Morabito. Wie machen die beiden das? Ein Gespräch über die Kraft großer Opernstoffe und den Unterschied zwischen Aktualität und der Tagesschau INTERVIEW: PETER LAUDENBACH Von ISIS über die sexuelle Befreiung bis zur Angst vor dem Überwachungsstaat: Sie scheinen bei Ihren Inszenierungen kein aktuelles Thema auszulassen. Sind Opern so politisch? lelen sehr offenkundig. Das kann zur Gefahr werden, das Werk zu eindimensional zu verstehen. Das wollen wir nicht. Jossi Wieler: Das hängt von den Werken ab. Verdi hat zum Beispiel Rigoletto aus einem politischen Impuls heraus geschrieben. Es geht um das Leben in einer Diktatur, es geht um Macht und Machtmissbrauch und brutale Unterdrückung. Die Vorlage, Victor Hugos Theaterstück Le roi s’amuse, wurde von der Zensur verboten. Das interessiert uns natürlich, wenn wir uns damit beschäftigen. Wieler: Nein, damit würde man den Reichtum der Oper verkleinern. Wir sind ein Repertoire-Betrieb. Eine Inszenierung sollte auch in zehn Jahren auf der Bühne noch ihre Gültigkeit haben. Die Traviata-Inszenierung von Ruth Berghaus zum Beispiel ist hier seit über 20 Jahren im Repertoire. Achim Freyers Freischütz hatte 1980 Premiere, dieser Abend funktioniert noch immer aufs Schönste. Das sind Kostbarkeiten im Spielplan. Zwei Männer, eine Vision: Jossi Wieler (links), Intendant der Oper Stuttgart, und Sergio Morabito, Chefdramaturg der Oper 44 Foto: Martin Sigmund Ihre nächste Premiere, Bellinis Die Puritaner, spielt vor dem Hintergrund eines Religionskrieges. Bringen Sie den IS auf die Bühne? Sergio Morabito: Auch die Puritaner haben heilige Stätten und Götzenbilder zerstört – ähnlich wie der IS in Syrien. Aber genau deswegen konzentrieren wir uns eher auf die Unterdrückungsgeschichte unserer eigenen Kultur. Wieler: Man entdeckt fast immer Berührungspunkte mit der Gegenwart, wenn man sich intensiv mit einem Werk beschäftigt. Ohne diese Nähe zur eigenen Wirklichkeit würde man eine Oper wahrscheinlich nicht inszenieren. Bei Die Puritaner sind die Paral- Die Inszenierung ist kein Kommentar zu den Meldungen der Tagesschau? Wie kommt das Politische in die Oper? Liegt das an Ihnen beiden? Oder liegt es an der Zeit, in der Opern entstanden? Morabito: Wir wollen sicher keine politischen Parolen über die Opern kleben. Aber viele Opern handeln von Gewalt, von Krieg und großen Konflikten. Das ist nicht gerade unpolitisch. Beethovens Oper Fidelio zum Beispiel ist kurz nach der Französischen Revolution entstanden, und natürlich spürt man das. Die Opern sind Teil der europäischen Geschichte – und die ist voller Gewalt und Fanatismus, voller religiösem und politischem Fundamentalismus. Bellinis Oper Norma spielt in einem besetzten Land. Sie zeigen in Ihrer Inszenierung die Vorbereitung eines Volksaufstands. Sind diese Opern revolutionär? Morabito: In Norma geht es primär um das Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Auch das hat ja eine politische Dimension. Schon dass Norma eine Priesterin ist, der die Männer gehorchen, ist etwas Unerhörtes, erst recht für Bellinis Zeit Anfang des 19. Jahrhunderts. Bei uns tritt Norma auf High Heels und in einem katholischen Messgewand auf. Eine andere Oper, die wir inszeniert haben, Niccolò Jommellis Berenike, spielt in einer Nachkriegszeit. Ein Mann, von dem man annahm, er sei gefallen, kehrt zu seiner Frau zurück, die inzwischen einen anderen Mann kennengelernt hat. Man könnte an Deutschland 1946 oder an einen Vietnamkriegsheimkehrer denken. Morabito: Ja, natürlich. Wieler: Aber es wäre zu einfach und plakativ, wenn wir Berenike vor den Ruinen einer deutschen Stadt 1946 zeigen würden. Das sind ja keine Dokumentarstücke, keine historischen Vorgänge. Das sind Fiktionen! Weshalb holen Sie die Gegenwart so deutlich in Ihre Inszenierungen alter 45 Opern? Bellinis Norma spielt bei Ihnen in einer französischen Kirche während der Résistance. Bei Berenike sieht man hinter den Säulen antiker Tempel moderne Hausfassaden. Morabito: In Anna Viebrocks BerenikeBühnenbild treffen verschiedene Epochen aufeinander, das 20. Jahrhundert und die Antike. Das hat mit der Zerrissenheit des Stücks und der Figuren zu tun. Der Krieg wirbelt alle möglichen Zeiten und jede Ordnung durcheinander. Das konnten wir zuletzt in Palmyra sehen: Ein moderner Krieg zerstört antike Bauten. Opern entstanden als musikalische Inszenierungen: Händel, Mozart, Bellini oder Verdi waren primär Theaterleute und erst in zweiter Linie große Komponisten. Wenn Händel zum Beispiel eine seiner Opern in der nächsten Saison wieder aufführen wollte, hat er sie natürlich verändert, für die neuen Sänger und den veränderten Publikumsgeschmack. Erst im späten 19. Jahrhundert wurde das Repertoire verengt auf einen Kanon von Partituren. Im 17., 18., 19. Jahrhundert haben die Komponisten eine Verbindung ihrer Sujets zur Gegenwart hergestellt. Heute ist das die Aufgabe der Regie. Sie arbeiten seit zwei Jahrzehnten zusammen. Eine so enge Partnerschaft ist selten im Theater- und Opernbetrieb. Wie schaffen Sie es, nach dieser langen Zeit weiterhin neugierig aufeinander zu bleiben? Wieler: Ich komme eigentlich vom Schauspiel und habe hier in Stuttgart vor über 20 Jahren meine erste Oper inszeniert, La clemenza di Tito von Mozart. Als Schauspielregisseur hat man von den Abläufen in einem Opernbetrieb erst einmal wenig Ahnung. Ein junger Stuttgarter Dramaturg hat mich damals an die Hand genommen und mir geholfen, mich in der Oper zurechtzufinden. Das war Sergio. Seither arbeiten wir zusammen. Morabito: Dass uns das nach wie vor Spaß macht, hat sicher damit zu tun, dass wir sehr unterschiedlich sind. Es geht nicht darum, uns gegenseitig zu bestätigen. Wir schenken uns nichts, wenn wir eine Inszenierung vorbereiten. Wir versuchen jedes Mal, eine Oper, auch wenn sie 200 oder 300 Jahre alt ist, neu für uns zu entdecken. Weil eine Opernproduktion sehr aufwendig ist, haben wir nur fünf, sechs Premieren in einer Spielzeit, also deutlich weniger als die Kollegen im Schauspiel. Es ist ein großer Luxus, dass wir uns etwa zwei Jahre lang auf jede neue Inszenierung vorbereiten können. Diese Zeit muss 46 5. LEKTION VISION Sänger sind Mitschöpfer der Inszenierungen, keine Gesangsdienstleister. »Verführung ist etwas Gegenseitiges. Das hat viel damit zu tun, sich füreinander zu öffnen« man für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Werk nutzen. Es wäre tödlich zu glauben, dass man ohnehin schon weiß, wie es geht und was in einer Oper erzählt wird. Ihre Oper wird regelmäßig mit Preisen überhäuft. Die Sänger in Ihren Aufführungen glänzen mit einer großen Spielfreude. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis? Wieler: Oper ist eine sehr arbeitsteilige Kunst. Wir wollen die Gefühle aller, die da miteinander arbeiten, produktiv machen und zum Klingen bringen. In den Opern selbst geht es um große Leidenschaften. Dazu gehört, dass wir die Arbeit aller, die an einer Inszenierung mitwirken, ernst nehmen. Die Sänger, der Chor, das Orchester sind keine Befehlsempfänger. Das klingt vielleicht banal, aber wenn wir ein Erfolgsgeheimnis haben, ist es das. Morabito: Auch wenn wir uns sehr genau vorbereiten, entsteht mit dem ersten Probentag noch einmal ein ganz neuer Blick auf ein Werk. Vieles entwickelt sich bei uns wirklich erst in den Proben. Das wollen und können wir gar nicht vorausplanen. Jede Sängerpersönlichkeit bringt eine eigene Färbung, eine eigene Interpretation ihrer Rolle ein. Die Sänger sind für uns keine Erfüllungsgehilfen eines Regiekonzepts. Sie bereiten sich zwei Jahre auf eine Inszenierung vor und erfahren in den sieben Wochen der Proben immer noch Neues über ein Werk? Wieler: Ja, durch die Arbeit mit den Sängern, mit dem Chor, mit dem Dirigenten und dem Orchester, durch das Bühnenbild. Es wäre für uns undenkbar, dass Sänger erst in den Endproben dazustoßen und einfach nur ihre Gänge und Auftritte einstudieren, wie das an anderen Häusern geschieht. Die Weshalb entscheiden Sie sich dafür, eine bestimmte Oper zu inszenieren? Morabito: Zum Beispiel, weil wir für eine bestimmte Rolle eine wunderbare Sängerin, einen wunderbaren Sänger im Ensemble haben. Bellinis La Sonnambula hätten wir ohne Ana Durlovski wahrscheinlich nicht gemacht. Und jetzt machen wir mit ihr wieder eine Oper von Bellini, Die Puritaner. Welche Bedeutung hat die Kraft der Verführung in der Oper? Morabito: An dem Begriff der Verführung kommt man in der Oper gar nicht vorbei. Man wird beim Zusehen, Zuhören von der Musik, vom Gesang sinnlich berührt. Die Oper erreicht das Gefühl des Zuschauers vielleicht unmittelbarer als jede andere Kunst, zumindest wenn man dafür empfänglich ist. Aber auch in der Arbeit selbst geht es, wenn Sie so wollen, um so etwas wie gegenseitige Verführung. Wir wollen die Sänger dazu verführen, sich auf unsere Interpretation einer Oper einzulassen. Gehört dazu auch die Bereitschaft, sich überraschen zu lassen? Morabito: Unbedingt! Wer sich nur an seine Gewohnheiten klammert und sich nicht mehr überraschen lässt, wer nur sehen will, was er schon kennt, vergibt sich die Chance, sich neu verführen zu lassen. Kunst macht uns das Angebot, über den eigenen Schatten zu springen. Wieler: Dieser Vorgang, über den eigenen Schatten zu springen, die Ängste zu überwinden, sich ohne Sicherheitsseil in unbekanntem Gelände zu bewegen – das muss man aushalten. Das müssen auch wir in der Arbeit immer wieder aushalten, mit allen Momenten der Unsicherheit. Aber wir sind in Stuttgart in einer sehr glücklichen Situation. Hier wird seit Jahrzehnten großes, auch ästhetisch wagemutiges Musiktheater gemacht. Wir haben an diesem Haus ein sehr offenes Publikum, das diese Erkundungen und Entdeckungsreisen mit uns geht. GEMEINSAME INSZENIERUNGEN VON JOSSI WIELER UND SERGIO MORABITO im Juni und Juli 2016: Die Puritaner von Vincenzo Bellini, Premiere am 8. Juli 2016 Tristan und Isolde von Richard Wagner, ab 5. Juni 2016 Berenike, Königin von Armenien von Niccolò Jommelli, ab 6. Juni 2016 Rigoletto von Giuseppe Verdi, ab 18. Juni 2016 Fotos: A.T. Schaefer(1-4); Martin Sigmund (5,6) BÜHNE Zeitlose Dramen: Rigoletto (oben links) thematisiert Machtmissbrauch und Unterdrückung. Berenike, Königin von Armenien (rechts daneben) und Fidelio (Mitte links) zeigen die zerstörerischen Folgen von Krieg und Gewalt. Die Nachtwandlerin (La Sonnambula) handelt vom Erwachsenwerden eines Mädchens. Im Zentrum von La clemenza di Tito (unten links) steht eine Krönungsoper, die paradoxerweise im Zeitalter der bürgerlichen Revolution entstand. Thema von Norma: die schmerzvolle Selbstbehauptung einer emanzipierten Frau 47 BACKSTAGE JOEL DE BLOIS, 28, ist Orchesterwart der Oper Stuttgart. Seine Bachelorarbeit im Fach Musikwissenschaften schrieb er über die Metal-Band Meshuggah GERGELY NÉMETI, 36, ist Tenor und seit 2012 festes Mitglied im Ensemble der Oper Stuttgart. In der Neuinszenierung der Salome sang er die Rolle des Narraboth »Ah, sehr schön.« Später habe ich einem Bekannten das Original vorgespielt. Er war entsetzt. Ich mochte es auch immer, wenn Heavy-Metal-Musiker so hoch singen. Für das Singen habe ich mich aber erst entschieden, als ich um die 20 war. Davor wollte ich eigentlich Tierarzt werden, kein Musiker. Hatten Sie nie den Traum von einem wilden Leben als Rockstar? Die richtige Gestik haben sie natürlich drauf: HeavyMetal-Fans Joel de Blois (links) und Gergely Németi DAS GESPRÄCH Harte Töne Herr de Blois, Herr Németi, was reizt Sie ausgerechnet an Heavy Metal? Joel de Blois: Gegen Heavy Metal gibt es eine Menge Vorurteile. Dabei ist Metal nicht nur Krach, und die Fans veranstalten zu Hause auch keine Satansmessen. Mich fasziniert, wie viel Energie in dieser Musik steckt. Metal zu spielen erfordert sehr viel Können und Technik. Wer sich länger damit befasst, erkennt das. Gergely Németi: Diese Energie, von der du sprichst, ist unglaublich. Für mich gibt es Parallelen: Opern singen und Heavy Metal verlangen dieselbe Kraft. Das Gesangsniveau 48 ist ähnlich. Nicht bei allen Bands, aber wenn ich von meiner Lieblingsgruppe Iron Maiden spreche: Deren Songs sind so anspruchsvoll, dass allenfalls fünf, sechs Sänger der Welt da wirklich mithalten können. Klassik oder harte Klänge: Was war Ihre erste große Liebe? De Blois: Bei mir war mein älterer Bruder mein musikalisches Vorbild. Durch Freunde bin ich in immer härtere Schienen reingekommen, von Punk bis zum klassischen Heavy Metal und Death Metal. Das hat sich gesteigert. Da war dieser Reiz, dass es immer noch schneller und lauter geht. Németi: Ich komme aus Siebenbürgen, und dort war die Orgel in der Kirche meine Verbindung zur klassischen Musik. Als Eishockeyspieler kam ich in Kontakt mit Metal, mit ungarischen Rockbands wie Ossian, Omega und Pokolgép. Ich bin ungarischstämmig, dieser Rock war mir also nahe. Die ganz harten Metal-Bands mag ich nicht. Ich höre AC/DC, Metallica, Nightwish. Mit acht Jahren habe ich meine Liebe zu Iron Maiden entdeckt. Dieser Kontrast von Kirchenmusik und Metal war spannend. Als Organist habe ich mehrmals Metal-Hits improvisiert, im Gottesdienst. Die Zuhörer haben genickt: Fotos: Martin Sigmund; Christoph Kolossa Was verbindet Opernmusik mit Heavy Metal? Nichts? Weit gefehlt! Tenor Gergely Németi und Orchesterwart Joel de Blois über schöne Melodien, große Stimmen und die beruhigende Wirkung der Band Iron Maiden Opernsänger von Heavy-Metal-Musik inspirieren? Németi: Ich brauche etwas, um von der Arbeit wegzukommen. In der U-Bahn, auf der Straße höre ich fast immer Metal. Zu Hause höre ich Oper, aber nicht, um mich zu entspannen, sondern ausschließlich, um meine Technik zu verfeinern. Vor meinen Auftritten höre ich dagegen Heavy Metal. Manchmal sitze ich in der Garderobe mit Kopfhörern und höre das Lied Fear of the Dark von Iron Maiden. Angst vor dem Dunkeln oder Angst vor der Bühne, das ist das gleiche Gefühl. Für mich ist das fast ein Ritual, ich singe und schreie auch mit. Kommt dann der Dirigent, sage ich: »Ich wärme mich auf.« De Blois: Metal höre ich sogar zum Einschlafen. Meiner Verlobten ist das immer zu viel, sie wird dabei unruhig. Mich bringt es runter, wie andere ein Hörspiel. IN DER PROBE VIOLA VÖLM, 30, Gerlingen Nur sieben Wochen vor der Premiere erfahren die Schauspieler, wen sie spielen. Unglaublich, wie sie es schaffen, alles rechtzeitig zu lernen. SCHAUSPIEL STUTTGART TOTE SEELEN NACH NIKOLAI GOGOL Konzeptionsprobe am 21. April 2016 Könnten wir Sie beide auf Metal-Konzerten beim Headbangen in der ersten Reihe treffen? Németi: Das waren Teenagerfantasien. De Blois: Früher war ich mittendrin, heute Nein, Death Metal zu singen, das würde stelle ich mich hinten ans Mischpult, wo der meine Stimme kaputt machen. Vielleicht Sound am besten ist. wage ich mit 70, 80 Jahren einen Versuch, Németi: Ich war noch nie auf einem Metalwenn ich sowieso nur noch krächze. Aber Konzert. Ich weiß nicht, warum. Einmal bin einmal auf der Bühne mit Iron Maiden zu ich in Wien fast auf einem Rammsteinsingen, das steht ganz oben auf meiner Konzert gelandet, musste dann aber auf der Wunschliste. Deren Leadsänger könnte Oper Bühne für einen Kollegen einspringen. singen. Seine Technik ist etwas anders, aber Also verstecken Sie keine lederne und er hat die Veranlagung. Er hat eine klassi- nietenbesetzte Kluft im Schrank? sche Ausbildung, wie viele große Musiker De Blois: Als Jugendlicher hatte ich der Metal-Szene. Wie bei der Oper geht es ewig lange Haare und Band-Shirts. Das ist inzwischen nicht auch bei Metal um schöne Melodien, mehr mein Ding. stimmliche Akrobatik. Damit im Theater alle wissen, was auf den Ich bin da rausgeDe Blois: Ähnlichkeiten zur Oper sehe Bühnen passiert, gibt es wachsen. ich auch in der opulenten, bombastiDurchsagen im ganzen Németi: Ich besitschen Inszenierung. Im Heavy Metal Haus. Die schönsten ze ein Iron-Maidengeht wie in der Oper sehr viel über drucken wir in Reihe 5 Shirt. Das habe ich Schminke, Kostüme, Bühnenpräsenz. vor Kurzem sogar Wenn Sie sich entscheiden auf der Bühne gemüssten zwischen Klassik oder tragen, in der Oper Metal: Was würden Sie wählen? Salome in meiner Németi: Einen Mix von beidem. DURCHSAGE Rolle als NarraDe Blois: Für eines von beiden ent31. März, 10:20 Uhr both. Der Regisseur scheiden könnte ich mich auch nicht. Der Orchesterwünschte sich etEs gibt aber viele Metal-Bands, die wart für die was Härteres. Und klassische Elemente und Instrumente Ferntrompete, dann haben wir gein ihre Musik integrieren. Andererseits: bitte! meinsam beschlosWenn das, was die Violinen spielen, Im Ballett Pineapple sen, dass ich dieses von verzerrten Gitarren übernommen Poll ertönt zur Ankunft Band-Shirt trage. wird, entsteht plötzlich ein wunderbaeines Kapitäns auf Das war für mich rer Metal-Song. Zum Beispiel Richard der Bühne in der Ferne die beste AuffühWagner. Es gibt sehr viele Bands, die eine Trompete, die der Trompeter hinter rung von allen. sich von ihm inspirieren lassen. der Bühne spielt. Interview: Sehen Sie das auch so, Herr Die Orchesterwarte Isabel Stettin Németi? Lassen Sie sich als müssen dort rechtzeitig die Trompete und das Notenpult aufstellen. STEFAN ALSCHER, 30, Stuttgart Der Regieassistent hatte alle Darsteller im Blick und musste auch noch selbst spielen. Kein leichter Job! OPER STUTTGART CHOWANSCHTSCHINA VON MODEST P. MUSSORGSKIJ Szenische Probe am 22. April 2016 WERNER & GERLINDE BOOS, 67 und 68, Sigmaringen Nach anderthalb Stunden dachten wir, jetzt sind gleich alle fix und fertig. Nix da: Die Tänzer waren immer noch unglaublich motiviert. STUTTGARTER BALLETT BALLETTABEND CRANKO KLASSIKER Probe am 22. April 2016 Möchten auch Sie eine Probe besuchen? Dann schreiben Sie uns eine E-Mail an [email protected] 49 BACKSTAGE ABGESCHMINKT HAUSBERICHT Sie kommt! Vom Roman zum Theaterstück Anfang 2015 erscheint ein Buch, das ein Stück Zeitgeschichte völlig neu erzählt. Ein Jahr später kommt es als Theaterstück auf die Bühne. Wie geht das? Buch erscheint Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969 von Frank Witzel MEIN ARBEITSPLATZ SOFIE SAFRANEK, 51, Dramaturg entwickelt Idee für ein Theaterstück Er nimmt Kontakt zum Autor auf Premierendatum wird festgelegt Autor und Regisseur treffen sich Theater und Verlag schließen einen Vertrag Erste Planungen für die Inszenierung ROMAN Wie tanzt man einen Orgasmus auf der Bühne? Elisa Badenes über anspruchsvolle Rollen und die Kraft der Imagination Regisseur und Dramaturgin besetzen die Rollen und bilden ein Regieteam arbeitet in der Rüstmeisterei Welche Aufgaben hat eine Rüstmeisterei? In der Oper Salome wird eine Figur erschossen. Das sollte man nicht hören, aber sehen. Also haben wir ein Gemisch aus Theaterblut und Blätterteig hergestellt, das als Hirnmasse an eine Scheibe klatscht. In der Werkstatt sind Sie die einzige Frau. Wie kommen Sie mit den Kollegen zurecht? 50 Juli 2015 817 Seiten 817 Seiten 817 Seiten 817 Seiten Beginn der Textarbeit »Um einen Orgasmus auf der Bühne zu tanzen, muss man sehr auf- Text wird weiter gekürzt geschlossen gegenüber Neuem sein, denn ich breche ja ein Tabu. Wer spricht schon über das eigene sexuelle Empfinden? Ich versuche Als Vorbereitung auf die ersten Proben streicht der Regisseur weitere Abschnitte aus dem Text mich jedenfalls ganz in die Rolle der Salome hineinzudenken und mir vorzustellen, dass ich sie bin. Wie denkt sie? Warum handelt sie so? Dazu besorge ich mir erst einmal so viele Informationen wie Bauprobe Das Bühnenbild gibt der Handlung den Rahmen – und schränkt sie gleichzeitig ein. Daher wird weiter gekürzt Text wird gekürzt Text wird gekürzt Dramaturgin streicht weitere Textpassagen Regisseur streicht einen Teil der Kapitel und Nebenstränge der Handlung möglich über sie und ihre Geschichte. Zusätzlich probe ich jeden Tag im Ballettsaal mit dem Modellkopf des Tänzers, der die Rolle von Johannes dem Täufer tanzt. Ich will mich so stark mit meiner Rolle Februar 2016 Dezember 2015 Oktober 2015 August 2015 52 Seiten 60 Seiten 80 Seiten 100 Seiten identifizieren, so sehr in sie hineinkriechen, dass ich selbst an das Der Text auf der Bühne glaube, was ich auf der Bühne mache. Sogar wenn es darum geht, mit einem abgeschnittenen Kopf zu masturbieren. Meine erste Reaktion war: ›Oh, mein Gott, das kann ich nicht!‹ Ich habe so etwas ja noch nie gemacht. Der Trick ist, nicht darüber nachzudenken, dass man im Theater auf der Bühne steht. DURCHSAGE 9. März, 16:20 Uhr Täufer ganz allein bin, in einem völlig leeren Raum. Nur er und Luther, bitte zum Auftritt, Luther, bitte! Im Grunde ist das nichts anderes als Meditation oder Yoga. In vielen Stücken spielen Darsteller mehrere Figuren, so auch in Hoffmanns Erzählungen. Hier singt Bass Roland Bracht sowohl den Part von Luther als auch den von Krespel. Damit immer klar ist, wer gerade gemeint ist, rufen die Inspizienten die Figuren aus, nicht die Sänger. ich. Das funktioniert ganz gut mit ein bisschen Konzentration. Im Prinzip kann das jeder, das lässt sich trainieren. Als Elisa würde ich natürlich nie in der Öffentlichkeit masturbieren, ich bin in Wirklichkeit eher schüchtern. Das Großartige am Ballett ist aber, dass man immer wieder in andere Rollen schlüpfen, jemand ganz anderes sein kann.« Protokoll: Saphir Robert Erste Solistin ELISA BADENES tanzt die Titelrolle in Salome von Demis Volpi nach einem Drama von Oscar Wilde. Ab dem 10. Juni 2016 im Opernhaus Infografik: Anja Haas Ich stelle mir vor, dass ich mit dem Kopf von Johannes dem Fotos: Christoph Kolossa; Roman Novitzky Sehr gut! Vor 26 Jahren, als ich hier angefangen habe, war das allerdings noch anders. Manche haben mich ungläubig angeschaut, manche Kollegen haben mir schlichtweg nicht so viel zugetraut. Dann haben sie aber gemerkt, dass auch Frauen mit Feuer und Metall umgehen können. Und durchsetzen kann ich mich auch! Juni 2015 PROSATEXT Zum Beispiel? März/April 2015 Prosatext wird zu Dramentext Erste szenische Probe Verdichtungsprozess Ende der Probenphase Nach der Generalprobe Regisseur ruft Darstellern Textstellen zu, die diese improvisieren Szenen werden geändert und gestrichen, neue kommen hinzu Regisseur und Dramaturgin übernehmen für Teile der Szenen den Originaltext Die letzte Fassung enthält neben den Rollentexten auch Regieanweisungen 16. Februar 2016 Feb./März 2016 März 2016 April 2016 52 Seiten 52 Seiten 52 Seiten 77 Seiten Wie aus einem Buch ein Theaterstück entsteht. Den Text auf einen Bruchteil kürzen, doch die Aussage beibehalten: Das ist ein Kraftakt, der viel verlangt - vom Team und vom Autor. Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 ist eine Koproduktion des Schauspiel Stuttgart mit der Schaubühne Berlin. Regie: Armin Petras. Uraufführung war am 9. April 2016 in Berlin Beteiligte Personen Autor Regie Dramaturgie Darsteller BÜHNENSTÜCK Wir machen viele Metallarbeiten, beispielsweise Untergestelle aus Draht für Kostüme, die für Reifröcke und aufwendigen Kopfputz gebraucht werden. Und wir stellen Rüstungen her, allerdings in der leichten Blechversion. Außerdem sind wir zuständig, wenn für ein Stück Feuer, Waffen und Spezialeffekte benötigt werden. Februar 2015 SCHAUSPIEL STUTTGART DIE ERFINDUNG DER ROTEN ARMEE FRAKTION DURCH EINEN MANISCH-DEPRESSIVEN TEENAGER IM SOMMER 1969 Uraufführung / Stuttgarter Premiere ab 16. Dezember 2016 im Nord 51 JUNGE SEITE RÄTSELHAFT In der Maske Die Maskenbildnerin schminkt und schmückt den Schauspieler für seinen nächsten großen Auftritt. Findest du die acht Unterschiede? AM THEATER ARBEITEN TERMINE FÜR DICH In der Oper ALICE IM WUNDERLAND fällt das Mädchen Alice kopfüber in einen Kaninchenbau und landet in einer seltsamen Zauberwelt. Johannes Harneit hat die Oper für Erwachsene und Kinder ab zehn Jahren komponiert. Premiere ist am 2. Juni 2016 im Kammertheater. Weitere Vorstellungen folgen am 4., 5., 8., 10., 13., 15., 18., 19., 21., 23., 25., 27. und 29. Juni und am 1. Juli 2016. In der John Cranko Schule des Stuttgarter Balletts werden Kinder und Jugendliche zu Tänzern ausgebildet. Was sie können, zeigen sie am 26. Juni 2016 bei der Vorstellung JOHN CRANKO SCHULE IM OPERNHAUS – die Gelegenheit, die Stars von morgen tanzen zu sehen! THEATERKINDER Die gute Fee der Tanzschuhe Das wichtigste Arbeitsgerät für Balletttänzer sind ihre Schuhe. Damit die genau passen und immer welche da sind, braucht es Experten wie Sabine Jahn. Wie findet sie die richtigen Modelle? Sie sind Schuhverwalterin. Was ist das für ein Beruf? Hat einen Blick für Füße: Sabine Jahn sorgt dafür, dass alle Tänzer die Schuhe tragen, die sie brauchen. Diese verwahrt sie in riesigen Schränken Ich bin für die Tanzschuhe unserer 64 Tänzerinnen und Tänzer verantwortlich. In großen Schuhschränken halte ich für jeden Tänzer zehn Paar Ballettschuhe, die Schläppchen, bereit, für jede Tänzerin zehn Paar Spitzenschuhe und Schläppchen. Morgens nehmen sich alle dort die Schuhe, die sie fürs Training und Proben brauchen. Name Alter Das klingt nicht kompliziert. Das stimmt. Aber die Tänzer tanzen täglich etwa sieben Stunden. So zertanzt jede Tänzerin im Monat etwa zehn Paar Spitzenschuhe, jeder Tänzer drei Paar Schläppchen. Wir besprechen, was ersetzt werden muss, und ich bestelle die Spitzenschuhe bei den Ballettschuhmachern. Lieblingsbeschäftigung Wo werden die Schuhe hergestellt? In der ganzen Welt, zum Beispiel in England, Frankreich, Australien und den USA. Weil jeder Fuß anders ist und stark beansprucht wird, werden die Schuhe für jede Tänzerin passgenau in Handarbeit angefertigt. Da drückt keine Naht. (Lösung auf Seite 54) Wie lange dauert es, bis die Schuhe da sind? Warum wechselt eine Tänzerin die Schuhe? Ich kümmere mich auch um die Tanzschuhe für die 120 Schülerinnen und Schüler der John Cranko Schule. Und um ihre Kostüme. Diese Tanzschuhe werden nicht maßangefertigt, aber weil die Füße noch wachsen, muss ich die Schuhe genau aussuchen und immer kontrollieren, ob sie passen. Ballette unterscheiden sich. Schwanensee ist zum Beispiel schwierig zu tanzen, sehr viel auf Spitze. Da müssen die Sohlen gut stützen und die Kappen vorne sehr stabil sein. Bei Stücken mit weniger Spitzentanz gehen auch beweglichere Schuhe. Da täglich mehrere Stücke geprobt werden, brauchen die Tänzer unterschiedliche Schuhe. Und warum tanzen die Männer nicht barfuß? Wenn man einmal versucht hat, sich auf einem Kunststoffboden ohne Schuh um die eigene Achse zu drehen, weiß man: Das brennt! Wie wurden Sie Schuhverwalterin? 1991 war ich Solistin, als Marcia Haydée, unsere damalige Direktorin, fragte, ob ich mich nicht ein 52 NACHGEFRAGT Welche? Wie ist es, heute nicht mehr auf, sondern hinter der Bühne zu arbeiten? Ich hatte als Tänzerin eine großartige Zeit, habe mit berühmten Menschen zusammengearbeitet und bin mit der Compagnie in der ganzen Welt aufgetreten. Aber als Tänzer können wir nicht ewig tanzen. Das schafft der Körper nicht. Es freut mich, dass ich den Tänzern heute helfen kann, auch ihr Bestes zu geben. Interview: Isabelle Erler Illustrationen: Zsuzsanna Ilijin uerraum Im Zuscha it ädchen m M n ei t tz si e. Sagt der as fn up hn einer Sc : »Hast du neben ihm feine Herr ntuch?« he sc Ta n vielleicht ei s da t te or – »Ja«, antw »aber das , en ch äd M h verleihe ic nicht.« Weilchen auch um die Spitzenschuhe kümmern könne. Ich fand die Aufgabe interessant. Heute tanze ich nicht mehr, und aus dem Weilchen sind 25 Jahre geworden und viele neue Aufgaben. Fotos: Roman Novitzky; Martin Sigmund VOLL W IT Z IG Bis zu zehn Monate. Die Bestelllisten der Schuhmacher sind lang. Ich muss also gut planen. Im Moment liegen 1.650 Paar Spitzenschuhe und 800 Paar Schläppchen in den Fächern der Tänzer und in meinen Vorratsschränken. Können Schauspieler sich ihre Rollen selbst aussuchen? I n einem Theater werden immer viele Stücke gespielt, und dabei sind alle Mitglieder des Ensembles – so heißt die Gruppe der Schauspieler eines Theaters – eingebunden. Möchte ein Regisseur ein neues Stück auf die Bühne bringen, weiß er, welche Schauspieler Zeit haben, und überlegt genau, wer welche Figur spielen soll. Er weiß auch, welche Eigenschaften eines Schauspielers im Stück gebraucht werden, zum Beispiel wie alt er sein sollte. Im Theater würde ein großes Durcheinander ausbrechen, wenn alle Schauspieler sich ihre Rollen selbst aussuchen könnten. Aber natürlich wird kein Schauspieler gezwungen, etwas zu spielen, was er gar nicht möchte, und er kann sich eine bestimmte Rolle auch mal wünschen. Manchmal geht dieser Wunsch in Erfüllung. Seit zweieinhalb Jahren besuchen wir samstags eine Schule für Schauspiel, Tanz und Gesang. Wir haben schon in zwei Filmen mitgespielt und in zwei Theaterstücken. Jetzt gehören wir zum Projektchor der Jungen Oper und proben für Alice im Wunderland. Dort sind die meisten älter als wir, eine ist sogar schon über 20. Aber im Stimmbruch ist zum Glück niemand! Alice im Wunderland ist eine verrückte Geschichte. Am Anfang fällt das Mädchen Alice durch ein Erdloch hinab in einen Kaninchenbau. Das verstärken wir als Chor: Wir singen Alices Echo, damit die Zuschauer sich das Fallen besser vorstellen können. Später spielen wir dann als richtige Figuren mit, zum Beispiel als Soldaten in Spielkartenkostümen. Als wir sechs Jahre alt waren, hat unsere Mama, die Schauspielerin ist, uns gefragt, ob wir Lust hätten, mit ihr Theater zu spielen. Da mussten wir erst einmal drüber schlafen, denn eigentlich wollten wir damals Astronauten werden.« 53 Reihe 5 im Abo! BACKSTAGE DURCHSAGE 29. Januar, 17:45 Uhr Die Kollegen bitte mit der Torte zur Pforte! Kostenlos und viermal im Jahr bieten wir Ihnen noch mehr Geschichten vor, auf und hinter der Bühne. Foto: Anja Haas Im Stück The Fairy Queen wird zu Beginn eine Hochzeit im Foyer des Schauspielhauses gefeiert. Dabei spielt eine Hochzeitstorte eine wichtige Rolle. Sie wird von den Requisiteuren bei der nahen Pforte abgegeben. Die Darsteller holen die Torte dort ab und tragen sie feierlich ins Foyer. WAS WAR DA LOS? Mario Fleck, Beleuchtungsinspektor bei der Oper Stuttgart: »Den Hasen gibt es schon ewig. Seitdem Der Freischütz das erste Mal in Stuttgart inszeniert wurde, das war 1980. Der Regisseur hatte damals die Idee, das ganze Haus passend zu dem Stück zu dekorieren. Seither hängt der Hase bei jeder Freischütz-Vorstellung im Foyer. Auf einem Kleiderbügel. Damit der Hase aussieht wie frisch ausgenommen, haben wir eine rote Leuchtstofflampe in ihn hineinmontiert. Das wirkt dann ziemlich naturalistisch. Zwischen den Auf- führungen hängen wir den Hasen in den Beleuchtungsraum, damit wir ihn für den nächsten Abend griffbereit haben. Zusätzlich zu ihm hängen an den Wänden Geweihe, im Foyer und im I. Rang stehen Wildschweine und Hirsche. Die bringt die Requisite dorthin. Wir von der Beleuchtung sind noch für eine weitere Dekoration verantwortlich: ein Drahtgestell mit fliegenden Haaren, hinter das wir eine Lampe und eine Windmaschine stellen. Wenn die Haare dann wehen, sieht das ein wenig gespenstisch aus.« IMPRESSUM Herausgeber Die Staatstheater Stuttgart Geschäftsführender Intendant Marc-Oliver Hendriks Intendant Oper Stuttgart Jossi Wieler Intendant Stuttgarter Ballett Reid Anderson Intendant Schauspiel Stuttgart Armin Petras Konzept ErlerSkibbeTönsmann & Grauel Publishing GmbH Beratung der Herausgeber Johannes Erler, Ralf Grauel Redaktion Saphir Robert (CvD), Isabelle Erler (Junge Seite & Lektorat); Christoph Kolossa 54 Lösung von Seite 53 Redaktion für Die Staatstheater Stuttgart Thomas Koch, Claudia Eich-Parkin (Oper); Vivien Arnold, Ronja Ruppert (Ballett); Rebecca Rasem, Jan Hein (Schauspiel) Gestaltung Anja Haas; Inga Albers Anzeigen Simone Ulmer [email protected] Druck Bechtle Druck&Service GmbH, Esslingen Erscheinungsweise 4 × pro Spielzeit Hausanschrift Die Staatstheater Stuttgart Oberer Schlossgarten 6 70173 Stuttgart www.staatstheater-stuttgart.de Per Post an: Die Staatstheater Stuttgart – Publikationen Postfach 10 43 45, 70038 Stuttgart Partner der Oper Stuttgart Förderer des Stuttgarter Balletts Bestellen Sie unser Magazin Reihe 5 einfach kostenlos nach Hause! Hauptsponsor des Stuttgarter Balletts Online unter: www.staatstheater-stuttgart.de/reihe5 55 1.281 MUSEEN SIND EIN BISSCHEN VIEL* * Aber so ist es halt, wenn man etwas zu bieten hat. Vom Automobil bis zu klassischer und moderner Malerei: Im Süden hat jeder seine Dauerausstellung. Den aktuellen Kultursüden-Katalog können Sie kostenlos unter T +49 (0) 7 11 / 23 85 80 oder entspannt online unter [email protected] bestellen. facebook.com/wirsindsueden www.tourismus-bw.de [email protected]