Arbeitsbuch zur Vorlesung Organische Chemie I für Bachelor-Studium Chemie und Diplomstudium Chemie-Lehramt Sommersemester 2017 gehalten von em. O.Univ.-Prof. Dr. Bernhard Kräutler & Ao.Univ-Prof. Dr. Thomas Müller H3C H H H CH3 CH3 CH3 H O C H CH3 CH2OH H OH O H O OH HO Organische Chemie I BK SS 2017 Inhaltsverzeichnis zur Vorlesung "Organische Chemie I" (Bachelor-Studium Chemie und Diplomstudium Chemie-Lehramt) SS 2017 1. EINLEITUNG 2. DIE STRUKTUR ORGANISCHER VERBINDUNGEN 2.1. Das Molekülkonzept der organischen Chemie 2.2. Die Konstitution (die Konstitutionsformel) organischer Verbindungen 2.3. Die Strukturformel 3. ALKANE 3.1. Offenkettige Alkane (aliphatische Verbindungen) 3.2. Cycloalkane 4. KURZE QUALITATIVE THEORETISCHE BETRACHTUNG ZUR KOVALENTEN BINDUNG IN ORGANISCHEN MOLEKÜLEN 4.1. Standard-Wasserstoff-Atomorbitale 4.2. Elektronenkonfiguration von Atomen (oder Molekülen) 4.3. Die (kovalente) chemische Bindung 4.4. Bindungsverhältnisse in gesättigten Kohlenwasserstoffen 4.5. Hybdrid-Atomorbitale beim Aufbau von Kohlenwasserstoffen 4.6. Bindungslokalisierte Molekül-Orbitale 5. KONFORMATIONSLEHRE 5.1. Qualitative Konformationsanalyse von offenkettigen Alkanen 5.2. Konformation von Cycloalkanen 6. THERMOCHEMIE 6.1. Spannung in organischen Molekülen 6.2. Spannung in Cycloalkanen mit kleinen Ringen 6.3. Einfache thermochemische Betrachtungen 6.4. Reaktionsenthalpien 6.5. Bindungsdissoziationsenthalpien 7. HERSTELLUNG UND REAKTIONEN VON ALKANEN 7.1. Pyrolyse in Abwesenheit von Sauerstoff 7.2. Verbrennung 8. ALKYLHALOGENIDE 8.1. Herstellung aus Alkanen (Reaktionen mit Halogenen) 8.2. Chemische Eigenschaften 9. STEREOCHEMIE 9.1. Enantiomere 9.2. Chiralität und Symmetrie 9.3. Diastereomere 9.4. Racemate 10. ALKOHOLE 10.1. Eigenschaften 10.2. Herstellung von Alkoholen 10.3. Reaktionen von Alkoholen 11. ETHER 11.1. Reaktivität von Ethern 11.2. Epoxide 2 Organische Chemie I BK SS 2017 12. AMINE 12.1. Struktur und Stereochemie von Aminen 12.2. Reaktivität von Aminen 13. NUKLEOPHILE SUBSTITUTION AM GESÄTTIGTEN KOHLENSTOFF 13.1. SN2-Reaktion (nukleophile Substitutionsreaktion 2. Ordnung) 13.2. SN1-Reaktion (nukleophile Reaktion 1. Ordnung) 13.3. Reaktivitätsbeeinflussende Faktoren bei der nukleophilen Substitution am gesättigen C 13.4. Amine als Nukleophile 13.5. Alkohole als Nukleophile 14. ALKENE 14.1. Struktureigenschaften 14.2. Herstellung von Alkenen 15. ALKINE 15.1. Eigenschaften und Struktur 15.2. Herstellung von Alkinen 15.3. Reaktionen von Alkinen 16. ALLENE 17. ELIMINATIONSREAKTIONEN 17.1. E1-Eliminationsreaktionen 17.2. E2-Eliminationsreaktionen 17.3. Aminoverbindungen als Synthese-Vorläufer von Alkenen 17.4. Syn-Eliminationen 18. ADDITIONSREAKTIONEN 18.1. Hydrierung zu Alkanen mittels H2 18.2. Polare (ionische) Additionsreaktionen 18.3. Halogenierung von Olefinen 18.4. Epoxidierung von Olefinen 19. CARBONYLVERBINDUNGEN - ALDEHYDE UND KETONE 19.1. Über die (C=O)-Funktion 19.2. Reaktionen von Carbonylverbindungen mit O-Nukleophilen 19.3. Reaktionen von Carbonylverbindungen mit H-Nukleophilen 19.4. Reaktionen von Carbonylverbindungen mit C-Nukleophilen 19.5. Herstellung von Aldehyden und Ketonen 20. CARBONSÄUREN UND CARBONSÄUREESTER 20.1. Säure-Basen-Eigenschaften 20.2. Herstellung von Carbonsäuren 20.3. Reaktionen von Carbonsäuren (Herstellung von Estern) 20.4. Reaktionen der Carbonsäurederivate mit Hydridreduktionsmitteln 20.5. Reaktionen von Carbonsäuren mit C-Nukleophilen 20.6. Oxidative Decarboxylierungen von Carbonsäuren 20.7. Persäuren und Diacyl-Peroxide 20.8. Die Baeyer-Villiger Oxidation 21. ENOLE UND ENOLATE 21.1. Säure/Base-Eigenschaften von Carbonylverbindungen (Enolate und Enole) 21.2. Carbonyl- & Enolformen von Carbonylverbindungen sind spezielle Isomere: "Tautomere" 21.3. Enolate als C-Nukleophile 21.4. Speziellere Reaktionen von (mit) Enolen und Enolaten 22. IMINE UND ENAMINE 22.1. Herstellung (Reaktionen von Aldehyden/Ketonen mit N-Nukleophilen) 22.2. Die Mannich Reaktion 3 Organische Chemie I BK SS 2017 1. EINLEITUNG Was ist Organische Chemie ? Historisch (!): Organische Verbindungen stammen aus lebenden Quellen: Pflanzen, Tieren und Menschen z.B. R N N chlorophyll a (R = CH3) chlorophyll b (R = HC=O) Mg N CO2CH3 C O N O CH3 O CH3 CH3 CH3 CH3 Durch die Synthese in der Natur entstehen pro Jahr ca. 1,000,000,000 t Chlorophyll ! Die erste chemische Totalsynthese einiger mg Chlorophyll a wurde etwa 1960 erzielt (sie erfolgte durch R.B.Woodward und Mitarbeiter, publiziert in Angewandte Chemie 1960, 651-662 und in Tetrahedron 1990, 7600-7655) Sind organische Verbindungen mit einer "besonderen Lebens-Eigenschaft" ausgestattete Stoffe des Lebens ?? Wöhler (1828): Nein! Organische Verbindungen auch aus lebloser Materie herstellbar, wie z.B.: Harnstoff, Oxalsäure u.a. Organische Verbindungen sind also nicht - auf exklusive "magische" Art - mit dem Leben verknüpft 4 Organische Chemie I BK SS 2017 5 spätere Begriffsbildung (Gmelin, ca. 1850): organische Verbindungen sind Verbindungen des Kohlenstoffs und Organische Chemie = Chemie der Kohlenstoffverbindungen Typische organische Verbindung: z.B. .............................................. ? heutzutage ist der Stellenwert derartiger "Definitionen" gering es gibt "fließende" Übergänge und viele fachliche Überschneidungen und Grenzbereiche z.B. die sog. Fullerene, organometallische Chemie, etc. aber: Inhalt einführender Lehrveranstaltungen der Chemie häufig so gruppiert Besondere Rolle der Organischen Chemie im Bereich der Chemie, Biologie & anderer Naturwissenschaften, in der Pharmazie & der Medizin a) organische Verbindungen haben eine zentrale Bedeutung in der lebenden Welt (sind "Bausteine des Lebens" und daher für Biologie und Medizin besonders wichtig; b) organische Verbindungen sind in vielen Bereichen des modernen Lebens von Bedeutung c) chemische Sonderstellung der Kohlenstoffverbindungen: 1)besonders starke und stabile Bindungen und deshalb bei den üblichen Temperaturen isolierbare und haltbare, stabile Verbindungen; 2)Vielzahl von stabilen, unterschiedlichen Verbindungen, die bei Raumtemperatur nicht gegenseitig umwandelbar sind. Es sind schon über 10 000 000 organische Verbindungen bekannt. 3) die einfachsten ‚strukturell kompletten‘ Einheiten der meisten organischen Verbindungen sind entsprechende Moleküle Ziel der Vorlesung: Vermittlung der grundlegenden Kenntnisse der organischen Stoff- und Strukturlehre, und (darauf aufbauend) der Reaktionslehre, als Vorbereitung für die weiteren Chemie-Studien. Organische Chemie I BK SS 2017 6 2. DIE STRUKTUR ORGANISCHER VERBINDUNGEN 2.1. Das Molekülkonzept der Organischen Chemie Die elementaren Grundeinheiten der Stoffe sind Atome. In den typischen organischen Verbindungen sind Atome in Molekülen einheitlich gebunden. seit etwa 1860: Veranschaulichung der Strukturen einfacherer Moleküle von niedermolekularen org. Verbindungen mittels einer "chemischen Formel" Die Verwendung einer allgemein verständlichen Symbolik, bestehend aus: Atom-Symbolen, Bindungsstrichen und (allenfalls) Ladungs-Symbolen erlaubt das Zeichnen von "chemischen" Formeln mit zunehmender Komplexität. („chemische“) Strukturformeln mit zunehmender Komplexität: vollständige Strukturformeln bei einfachen Verbindungen (vgl. Seite 7) vereinfachte Strukturformeln sind als gültige Strukturformeln von komplexeren organischen Verbindungen häufig angebracht - wie hier unten - (dabei: Weglassen von Atom- und Bindungssymbolen, wenn aus dem Kontext eindeutig, siehe später). Die essentiellen Einheiten der typischen organischen Verbindungen sind Moleküle. Die mikroskopischen molekularen Eigenschaften bestimmen weitgehend die (makroskopisch) beobachtbaren Eigenschaften der organischen Verbindungen. Organische Chemie I BK SS 2017 7 Beispiele "chemischer" Strukturformeln H C H O Cl OH O H H Cl Methan C H Cl O Chloroform Aspirin HO OH CH2OH HO H HO H HO H O OH Ascorbinsäure CH2 N H3C OH O H N O H2NOC CONH2 NH H3C CH3 H2NOC N CH3 O H3C Riboflavin (Vitamin B2 ) N H3C H3C HO N O H CH3 CH3 H3C O CONH2 CH3 O HN N CONH2 CH3 N CH3 H3C H H H N N N H2NOC NH CH2 N Co + H O CN H N H HO O O O P O O OH N Azidothymidin Cyanocobalamin (Vitamin B12 ) C63H88CoN14O14P Organische Chemie I BK SS 2017 8 Was sind die Eigenschaften der Moleküle (wie Größe, Struktur, Beweglichkeit, chem. Reaktivität)? Problem: die mikroskopischen molekularen Eigenschaften sind (immer noch weitgehend) aus den makroskopisch feststellbaren Eigenschaften der Verbindungen (Stoffe) abzuleiten ! Dazu häufig nötig, eine Verbindung rein zu isolieren - eine reine Verbindung hat (für sie) charakteristische physikalische & chemische Eigenschaften; - eine reine Verbindung zeichnet sich durch die Konstanz dieser beobachtbaren Eigenschaften aus. Eine unreine Verbindung hat variable Eigenschaften ! Daher: bei der Reinigung (einer schon reinen Verbindung) führt die Wiederholung einer Reinigungsoperation zu keiner (weiteren) Veränderung der Eigenschaften, wie z.B. von ihrem: Siedepunkt, Schmelzpunkt*) Dichte*), etc. *) in kristallinen Festkörpern können unterschiedliche Kristallmodifikationen (die sog. „Polymorphie“) zu etwas unterschiedlichen Eigenschaften führen. Eine einheitliche (chemisch reine) organische Verbindung setzt sich aus identisch aufgebauten Molekülen (neutrale Moleküle) bzw. Ionen zusammen. Die Moleküle bauen sich aus den Atomen auf (die sich nach bestimmten Regeln in fixen - und für sie charakteristischen - Verhältnissen zu Molekülen verbinden). Elementzusammensetzung, Verhältnisformel, Summenformel: 1. Eine reine Verbindung setzt sich immer aus denselben Elementen zusammen; diese lassen sich z.B. durch eine qualitative Elementar-Analyse bestimmen 2. Die in einer reinen Verbindung enthaltenen Elemente stehen in einem für sie charakteristischen, fixen Verhältnis zueinander; dieses wird durch die empirische Formel (Verhältnisformel) wiedergegeben. (durch ‚quantitative‘ Mikroanalyse bzw. "Ultramikroanalyse" (im mg bzw. sub-mgMaßstab)). 3. Die molekulare Formel (Summenformel) gibt die Zahl und die Art der Atome an, die in einem Molekül enthalten sind. Angabe der Summenformel üblicherweise als CnHmArBsDt... (zuerst C, dann H, dann andere Elemente (A,B,D...) in alphabetischer Reihenfolge; n,m,r,s,t, etc. ganze Zahlen). molekulare Formel (Summenformel) = empirische Formel oder ganzzahliges Vielfaches davon; für ihre Berechnung ist neben der Verhältnisformel eine unabhängige Bestimmung des Molekulargewichts (Masse eines Mols der Verbindung in g; g/Mol) nötig Organische Chemie I BK SS 2017 Isolierung & Strukturaufklärung organischer Verbindungen Naturstoff-haltiges Material ----------------------------- 1) Physikalische & chemische Isolierungs- & Reinigungsmethoden Reine Verbindung ------ Reinheitskriterien ---------------------- 2) Qualitative Elementaranalyse Elementarzusammensetzung Massenspektrometrie ---------------------- 3) Quantitative Elementaranalyse Verhältnisformel ---------------------- 4) Molekulargewichtsbestimmung Molekularformel --------------------------- 5) Chemische & physikalische Methoden der Strukturermittlung Konstitutionsformel Strukturformel Angaben zur Konformation Synthese 9 Organische Chemie I BK SS 2017 10 Was ist die Struktur von Vitamin C ? Dazu i) aus welchen Elementen setzt sich z.B. Vitamin C zusammen (bzw. was ist die Elementarzusammensetzung von Vitamin C )? z.B. durch Verbrennungsanalyse: bei der Verbrennung von 1.76 g Vitamin C entstehen 2.64 g CO2 und 0.72 g H2O. Vitamin C setzt sich aus (andere Elemente können nicht vorkommen !) Vitamin C besteht (immer) aus zusammen ii) in welchen Verhältnissen kommen diese Elemente in Vitamin C vor ? durch quantitative Analyse der Verbrennung: Vitamin C hat die Verhältnisformel (die empirische Formel) iii) wie viele Atome enthält ein Vitamin C-Molekül ? ergibt die Summenformel = empirische Formel oder ganzzahliges Vielfaches davon ! d.h. für Vitamin C: (x = ganze Zahl). durch Massenspektrometrie: ("grobes") MG von Vitamin C: g/mol ("genaues") " " : g/mol Unterschied vor allem wegen natürlich vorkommender Isotopen (Deuterium 2 ( H) anstelle von Protium (1H), 13C anstelle von 12C, etc.) (grobes) MG von Vitamin C = g/mol x = MOLEKULARFORMEL (SUMMENFORMEL) VON VITAMIN C = Wie setzen sich die Atome ( C-, H- & O-Atome) in einem Vitamin C-Molekül zusammen ? Zunächst: welche Atome sind mit welchen verbunden ? Organische Chemie I BK SS 2017 11 2.2a Die Konstitution (die Konstitutionsformel) organischer Verbindungen Frage: welche Atome sind mit welchen verbunden? d.h.:Angabe der ‚Konstitution‘, ohne weitere Spezifizierung der räumlichen Anordnung der Atome Beispiele kompletter Konstitutionsformeln: mit Einfach-Bindungen: mit Doppelbindung: mit Dreifachbindung: nicht bindende Elektronenpaare ("lone pairs"): Die Konstitution einer Verbindung gibt die Verbundenheit der Atome in einem Molekül wieder. Die Konstitution wird mit der Konstitutionsformel beschrieben. Die Konstitutionsformel ist eine (oft vereinfachte) "chemische Formel", sie ist ein graphisches Modell, bestehend aus Symbolen für Atome, Bindungen und Ladungen. Organische Chemie I BK SS 2017 12 Wie erstellt man die Konstitutionsformeln organischer Verbindungen? („klassische Regeln“) 1) konstante Wertigkeit (Valenz) der Atome: Atomen (der ersten beiden Perioden) kann in stabilen organischen Molekülen eine konstante Wertigkeit zugeordnet werden; diese entspricht der Zahl der in der kompletten Konstitutionsformel vom Atomsymbol ausgehenden Bindungen. (Die Wertigkeit der Atome entspricht der "Oktettregel" von G. N. Lewis: um jedes Atom entsprechen die bindenden und nichtbindenden Elektronenpaare einer stabilen Elektronenkonfiguration eines Edelgasatomes.) z.B.: O = zwei-wertig; N = (meist) drei-wertig; C = vier-wertig, H = ein-wertig; etc. 2) Ketten und Ringe sind möglich: Mehrwertige Atome können sich zu Ketten und / oder Ringen verbinden. 3) Einfach- und Mehrfachbindungen: Mehrwertige Atome können ihrer Wertigkeit entsprechend Einfach- und/oder Mehrfachbindungen ausbilden (siehe früher). 4) keine Doppelbindungsisomeren in Benzolverbindungen: es gibt (z.B.) nur ein 1,2-Dimethylbenzol (obwohl für dessen Strukturformel zwei "doppelbindungsisomere" Schreibweisen möglich sind). Organische Chemie I BK SS 2017 13 2.2. Die Konstitution (die Konstitutionsformel) organischer Verbindungen z.B.: Acetaldehyd: Häufig Verwendung einer vereinfachten Konstitutionsformel für organische Verbindungen, damit die wichtigsten Merkmale klar (und übersichtlich) dargestellt sind; d.h. oft werden die Symbole für C-Atome und (C-H)-Bindungen nicht explizit eingetragen: die Bindungsstriche (ohne Atom-Symbol) bezeichnen Bindungen zu C-Atomen, die mit der entsprechenden Zahl von H-Atomen ausgestattet sind (um insgesamt vier Bindungen einzugehen). Organische Chemie I BK SS 2017 14 Die Summenformel definiert nur selten die Struktur einer organischen Verbindung ! Verbindungen mit unterschiedlicher Molekül-Struktur, aber derselben Summenformel (gleicher molekularen Formel), nennt man Isomere, (z.B. C4H10O): Isomere, die sich durch ihre Konstitution unterscheiden, nennt man KonstitutionsIsomere. Darunter sind: a.Gerüst-isomere Verbindungen: haben unterschiedliche (Kohlenstoff-)"Gerüste" H H H H H H C C C C H H H H H C H O H H C H C H H C 1-Butanol O H H H 2-Methyl-2-propanol beide mit Summenformel C4H10O b. Positions-isomere Verbindungen: haben gleiches "Gerüst", aber unterschiedliche Position einer "funktionellen" Gruppe H H H H 2 1 4 3 H C C C C H H H OH H H H H 2 4 3 H C C C H 1Butanol H H 1 C H OH H 2Butanol beide mit Summenformel C4H10O c. Funktions-isomere Verbindungen: haben unterschiedliche "funktionelle" Gruppe H H H H H C C C C H H H H OH Alkohol beide mit Summenformel C4H10O H H H H H C C O C C H H H H Ether H Organische Chemie I BK SS 2017 15 z.B.: allein für Verbindungen mit der Summenformel C6H6 schon 217 verschiedene Konstitutionen ; d.h. für C6H6 mindestens 217 denkbare unterschiedliche (!) Molekülstrukturen, wie z.B.: Kékulé Formel von Benzol "Dewar-Benzol" "Prisman" "Benzvalen" Organische Chemie I BK SS 2017 16 2.3. Die Struktur (die Strukturformel) organischer Verbindungen z.B. Konstitutionsformel von Vitamin C (Ascorbinsäure) (vollständige) Konstitutionsformel von Vitamin C bezeichnet die „Verbundenheit“ der Atome und damit auch die „funktionellen Gruppen“ Was ist die 3-dimensionale Struktur von Vitamin C ? Struktur von komplexeren organischen Verbindungen durch die Konstitutionsformel häufig (noch immer) nicht eindeutig spezifiziert, wird aber durch die Strukturformel festgelegt! Die Strukturformel ist ein vollständiger Satz der notwendigen Angaben, so daß die Anordnung der Atome eines Moleküls im 3-dimensionalen (3-D) Raum eindeutig rekonstruierbar ist Die Strukturformel verwendet dieselbe Symbolik, wie die Konstitutionsformel, aber enthält zusätzlich die nötigen Angaben zur Anordnung im 3-D Raum (Angaben der Stereochemie). ein einfaches Beispiel: 1,2-Dimethyl-cyclopropan Konstitutionsformel Strukturformel "cis" = Substituenten sind auf derselben Seite (eines Ringes, einer Doppelbindung) "trans" = Substituenten sind auf entgegengesetzten Seiten (eines Ringes, einer Doppelbindung). Organische Chemie I BK SS 2017 17 Verbindungen mit derselben Summenformel (= molekulare Formel), aber unterschiedlicher Molekül-Struktur, sind Isomere. Stereoisomere haben dieselbe Konstitution und unterscheiden sich in der räumlichen Anordnung der Atome. Stereoisomere sind Isomere mit gleicher Konstitution. Die Strukturformel beschreibt die Struktur eines Moleküls vollständig und verwendet dieselben Symbole wie die Konstitutionsformel, hat aber zusätzlich Angaben zur Stereochemie. z.B.: Milchsäure: existiert in zwei isomeren (nicht-identischen) Formen, die man als Gärungsmilchsäure & als Muskelmilchsäure bezeichnet. Konstitutionsformel Strukturformel der Milchsäure aus Milch (Glucosefermentation): "Stereochemie" (siehe später, Kapitel 9) Strukturformel der Milchsäure aus Muskelserum: Organische Chemie I BK SS 2017 18 3. ALKANE Gesättigte Kohlenwasserstoffe: (ohne funktionelle Gruppen) 3.1. Offenkettige Alkane (aliphatische Verbindungen) n Summen- Zahl der formel Isomeren 1 2 3 4 Konstitutionsformel (eines Isomers) CH4 C2H6 C3H8 C4H10 1 1 1 2 CH4 H3C–CH3 H3C–CH2–CH3 H3C–CH2–CH2–CH3 H3C–CH(CH3) –CH3 5 C5H12 3 H3C–(CH2)3–CH3 H3C–CH2–CH(CH3)2 H3C–C(CH3)2–CH3 6 C6H14 5 H3C–(CH2)4–CH3 H3C–(CH2)2–CH(CH3)2 H3C–CH2–C(CH3)3 7 8 9 10 15 20 C7H16 9 C8H18 18 C9H20 35 C10H22 75 C15H32 4.347 C20H42 366.319 CnH2n+2 H3C–CH(CH3)–CH(CH3)2 H3C–CH2–CH(CH3)–CH2–CH3 H3C–(CH2)5–CH3 H3C–(CH2)6–CH3 H3C–(CH2)7–CH3 H3C–(CH2)8–CH3 H3C–(CH2)13–CH3 H3C–(CH2)18–CH3 Name Methan Ethan Propan n-Butan iso-Butan 2-Methylpropan n-Pentan iso-Pentan 2-Methylbutan neo-Pentan 2,2-Dimethylpropan n-Hexan iso-Hexan 2-Methylpentan neo-Hexan 2,2-Dimethylbutan 2,3-Dimethylbutan 3-Methylpentan n-Heptan n-Oktan n-Nonan n-Decan n-Pentadecan n-Icosan StandardZustand gasf. gasf. gasf. gasf. gasf. fl. fl. gasf. fl. fl. fl. fl. fl. fl. fl. fl. fl. fl. fest __ homologe Reihen offenkettiger (unverzweigter oder verzweigter) Alkane Durch Bildung von zahlreichen verzweigten Isomeren, Vielzahl von Konstitutionsisomeren bei höheren offenkettigen Alkanen. Alkane sind unpolare, lipophile (Lipid-liebende) Verbindungen, die in Wasser schlecht löslich sind (nicht mischbar sind) und für die mit steigender Zahl der Kohlenstoffzentren die Flüchtigkeit regelmäßig abnimmt. Gewinnung aus Erdöl, Erdgas und Kohle (siehe Kapitel 7.1). "Cracken" von Kohlenwasserstoffen: thermische Behandlung in Gegenwart eines Katalysators, um schwerflüchtige KW's in leichtflüchtige zu zerlegen. Organische Chemie I BK SS 2016 19 Der Substitutionsgrad (primär, sekundär, tertiär und quaternär) der einzelnen Kohlenstoffe in Alkanen (und in anderen organischen Verbindungen): In Alkanen kann der Substitutionsgrad (primär = Methylgruppen, sekundär = Methylengruppen, tertiär = Methingruppen und quaternär) auch durch den Namen der Gruppe ausgedrückt werden. 3.2. Cycloalkane i. (Mono)Cycloalkane: mit einem Ring z.B.: n 3 C3H6 Cyclopropan gasf. 4 C4H8 Cyclobutan gasf. 5 C5H10 Cyclopentan fl. = z.B.: 6 C6H12 Cyclohexan fl. 7 C7H14 Cycloheptan fl. CnH2n als homologe Reihe der Monocycloalkane Alkane, aus welchen durch Bruch einer einzigen (C–C)-Bindung offenkettige Verbindungen entstehen ii. Bicycloalkane: zwei Ringe z.B.: n 4 C4H6 Bicyclo-[1.1.0]-butan 5 C5H8 Bicyclo-[2.1.0]-pentan CnH2n-2 als homologe Reihen von Bicycloalkanen Alkane, aus welchen durch Bruch von minimal 2 (C–C)-Bindungen offenkettige Verbindungen entstehen Adamantan: C10H16 = CnH2n-4 ein Tricycloalkan In gesättigten Kohlenwasserstoffen: (C–C)- und (C–H)-Bindungen sind Beispiele für starke, kovalente und unpolare Bindungen. Organische Chemie I BK SS 2016 20 4. KURZE QUALITATIVE THEORETISCHE BETRACHTUNG ZUR KOVALENTEN BINDUNG IN ORGANISCHEN MOLEKÜLEN Existenz und Struktur von Molekülen werden durch die Wechselwirkungen von Elektronen und Kernen bestimmt: Praktische wellenmechanische Betrachtung: Valenz-Elektronen bewegen sich in einem (praktisch) statischen Feld von Atomrümpfen (Atomkerne + Elektronen der inneren Schalen) räumliche Verteilung der Elektronen approximativ beschreibbar durch Wellenfunktionen , sodass 2 (deren Quadrat) approximativ die Aufenthaltswahrscheinlichkeit beschreibt. = "Orbital": Atom-Orbitale (AO's) Molekül-Orbitale (MO's) 4.1. Standard-Wasserstoff-Atomorbitale (AO's) charakterisiert durch Quantenzahlen: Haupt-Quantenzahl n 1,2,3....... (K,L,M,….-Schale) Neben-Quantenzahl ℓ 0,1,.... magnetische Quantenzahl m ℓ, 0, +ℓ Spin-Quantenzahl s +1/2, 1/2 (n-1) Organische Chemie I BK SS 2016 qualitative Energieskala H-Atom (Ein Elektronen-Atom) Mehrelektronen-Atom das kugelsymmetrische s-Orbital (1s, 2s, etc.) z.B.: = (1s) das rotationssymmetrische p-Orbital (2p, 3p, etc.) z.B.: Knotenebene: Ort der Punkte, da 2 = 0 (dort Vorzeichenwechsel von ) 21 Organische Chemie I BK SS 2016 22 4.2. Elektronenkonfiguration von Atomen (oder Molekülen) 1. Pauli-Prinzip: die einzelnen Orbitale können maximal von zwei Elektronen besetzt werden, die sich dann durch ihre Spinquantenzahl s unterscheiden müssen. Für den elektronischen Grundzustand gilt dann: 2. Aufbauprinzip: Orbitale werden von unten (in der Reihenfolge zunehmender Energie) mit Elektronen gefüllt 3. Hund'sche Regel: energetisch entartete Orbitale zuerst nur einfach besetzt; dann gleiche Spinquantenzahl der Elektronen energetisch bevorzugt. z.B.: ein Kohlenstoffatom: 6 Elektronen, davon 4 in der Valenzschale elektronischer Grundzustand: (1s22s22p2) ein elektronisch angeregter Zustand: (1s22s12p3) im elektronischen Grundzustand: tiefer liegende Orbitale sind doppelt besetzt mit zwei Elektronen, deren unterschiedlicher Spin-Zustand mit einer entgegen gesetzten Spinquantenzahl beschrieben wird; höher liegende Orbitale sind entweder leer oder partiell besetzt: entsprechend der Zahl der noch zu verteilenden Elektronen mit einem Elektron (die sich dann untereinander nicht in der Spinquantenzahl unterscheiden, Hund'sche Regel !); oder mit zwei Elektronen besetzt (wie die tiefer liegenden Orbitale). Organische Chemie I BK SS 2016 23 4.3. Die (kovalente) chemische Bindung (Bindungslokalisierte) Molekülorbitale (MO's) formulierbar durch (additive oder subtraktive) Linearkombination von Atomorbitalen (an verschiedenen) der beteiligten Atome (LCAO = linear combination of AO) z.B.: (H–H)- Molekül durch Kombination von zwei HAO, welches von einem Elektron besetzt ist): •Ha + •Hb Ha–Hb Durch Linearkombination von s-AO's erhält man bindende -MO's (im Energieschema abgesenkt) und antibindende *-MO's (im Energieschema angehoben). *-MO: antibindendes Orbital: destabilisierend, wenn mit Elektronen besetzt KE = Knotenebene zur Bindungsachse * z.B.: *-MO: negative Kombination von AO's rotationssymmetr. bzgl. Bindungsachse KE = Knotenebene Bindungsachse * = 1 (1s(Ha)1s(Hb)) 2 E' 1s(Hb) 1s(Ha) AO = nicht bindendes Niveau (Referenzniveau) E -MO: bindendes Orbital: stabilisierend, wenn mit Elektronen besetzt z.B.: -MO : positive Kombination rotationssymmetr. bzgl. Bindungsachse keine Knotenebene Orbitalaufspaltung E = E + E' 2 E' (E E') E = 1 2 (1s(Ha)+ 1s(Hb)) Organische Chemie I BK SS 2016 24 Orbitalaufspaltung (E) umso größer, je größer die Überlappung der kombinierenden Orbitale z.B.: einfacher "Fall": •H + •H bei der Ausbildung der -Bindung: Stabilisierung ist ca. 2 E Stabilisierung ist umso größer, je größer die Orbitalaufspaltung Eine Einfachbindung entspricht dem Vorliegen eines (doppelt) besetzten -Orbitals, bei gleichzeitig unbesetztem *-Orbital; Stabilisierungsmöglichkeit mit 2 x E optimal spezieller "Fall": H+ (Proton) + H•(H-Atom) H–H+• (ein existenzfähiges, aber hochreaktives Ion !) Stabilisierung bei der Bildung der Bindung in H–H+• nur 1 E ("Ein-Elektronenbindung") in H–H+• liegt eine Ein-Elektronenbindung vor, die wesentlich schwächer ist, als die "normale" 2-Elektronen-Bindung ! Einfach-Bindung optimal formulierbar zwischen 2 einfach besetzten AO's (z.B. zwei Radikalen) oder einem leeren und einem vollen AO andere Situationen (1- oder 3-e-Bindungen; energetisch ungünstiger !) Organische Chemie I BK SS 2016 25 4.4. Bindungsverhältnisse in gesättigten Kohlenwasserstoffen C im elektronischen Grundzustand (C = 1s22s22p2) : d.h. nur 2 ungepaarte Valenzelektronen aber: Kohlenstoff ist 4-bindig ! z.B.: CH4, H3C–CH3, etc. z.B.: Methan 4 equivalente (C–H)-Bindungen ! H's an den Ecken eines Tetraeders, entspricht nicht der räumlichen Verteilung der Standard-AtomOrbitale (s,p,d, etc.-Orbitale) 4.5. Hybrid-Atomorbitale beim Aufbau von Kohlenwasserstoffen bindungsgerechte AO's durch "Rehybridisierung" (Mischen) der Standard-AO's Konstruktion von Hybrid-AO's - Bei der Rehybridisierung von AO's wird deren Energieschwerpunkt nicht verändert; bei nur partiell besetzten AO's entspricht die Hybridkonfiguration einem elektronisch angeregten Zustand des Atoms, welcher aus dem Grundzustand durch Promotion von Elektronen (von tiefer liegenden AO's zu höher liegenden) erzeugt werden kann. Mischen 2s + 3 2p-Orbitale (2px, 2py & 2pz) 4 sp3-Hybrid-AO sind bindungsgerecht für Kohlenstoffe in gesättigten Kohlenwasserstoffen Organische Chemie I BK SS 2016 26 z.B.: ein C-Atom: sp3-Hybrid-AO's sind energetisch entartet (gleiche Orbitalenergie) und daher im C-Atom je einfach besetzt; - sp3-Hybrid AO's sind bindungsgerecht für den Aufbau von vier MO's um ein tetraedrisches Zentrum; so für den Aufbau von (C–H)- und (C–C)-MO's, entsprechend der (C–H)- und (C–C)-Bindungen an gesättigten Kohlenstoffzentren in gesättigten Kohlenwasserstoffen. - ein C-sp3-Hybrid ist im Grundzustand isoenergetisch zum elektronisch angeregten CAtom mit der Elektronenkonfiguration 1s22s2px2py2pz (durch Promotion eines Elektrons vom 2s- zum 2pz-Orbital). 4.6. Bindungslokalisierte Molekül-Orbitale (BLMO's) zur Beschreibung der Bindungsverhältnisse in gesättigten Kohlenwasserstoffen BLMO's = MO's die einzelnen Bindungen entsprechen z.B.: (C–H)-BLMO's in gesättigten Kohlenwasserstoffen durch Linearkombination von C-sp3-AO's und H-1s-AO's. z.B.: Methan: CH4; insges. 8 Valenzelektronen z.B.: (C–H)-Bindung von Methan * ~ Knotenebene (CH)-Bindung antibindend (*) rotationssymmetrisch bzgl. (CH)-Bindung * -MO: 1 (1s(H) - sp3(C)) 2 () H H 1s(H) E 3 ~ 1 (1s(H) + sp (C)) 2 nicht bindend (AO's) C sp3(C) H H Stabilisierung = ^ 2E -MO: (+) rotationssymmetrisch bzgl . (CH)-Bindung bindend () Organische Chemie I BK SS 2016 27 Methan: insgesamt 8 Valenzelektronen in 4 (C-H)-Bindungen: in CH4: 4 (bindende) (C–H)-MO's: alle gleiche Energie alle doppelt besetzt 4 (antibindende) *(C–H)-MO's: alle gleiche Energie, alle leer energetisch günstige Situation bindende MO's besetzt und antibindende MO's leer charakteristisch für die Beschreibung eines stabilen Moleküls mit ElektronenpaarBindungen. Das Vorliegen eines besetztes (C–H) und eines leeren *(C-H) entspricht dem elektronischen Aufbau einer (C–H)-Einfachbindung eine Einfach-Bindung = rotationssymmetrisch bezgl. Bindungsachse Ethan: 7 Einfachbindungen (6 CH)-Bindungen-+ 1 (CC)-Bindung: entsprechen den insgesamt 14 Valenzelektronen rotationssymmetrische - und *-MO's durch coaxiale Überlappung der AO's MO-Aussage bezüglich der Drehbarkeit um (C–C)-Bindung ? Aussage: Verdrillung um (C–C)-Bindung verursacht keine Veränderung der coaxialen sp3-sp3-Überlappung; damit keine Veränderung der (C–C)-Bindungsstärke dies stimmt mit dem experimentellen Befund überein, dass bei der Rotation um (CC)-Einfachbindungen nur geringe Energiebarrieren auftreten. Organische Chemie I BK SS 2016 28 5. KONFORMATIONSLEHRE Konformation: räumliche Molekülstrukturen (Anordnungen der Atome im Molekül), wie sie sich durch Drehung um (Einfach-)Bindungen ergeben, wobei der Torsionswinkel um die Einfachbindungen derart eingestellt sein soll, dass ein (energetisch) stabiler Zustand resultiert. Konformere: Stereoisomere durch Variation des Torsionswinkels an Einfachbindungen 5.1. Qualitative Konformationsanalyse von offenkettigen Alkanen: Ethan Newman Projektion: man schaut zur Beurteilung der möglichen Konformationen eines Moleküls entlang einer (Einfach-)Bindung (von Ca nach Cb). Torsionswinkel : Winkel zwischen Ebenen Ha1CaCb und CaCbHb1 für Ethan: bei = 0, 120, 240° (und 360°): ekliptische Anordnung der (C–H)-Bindungen: Energiemaxima = instabile Strukturen bei = 60°, 180° und 300°: gestaffelte Anordnung der (C–H)-Bindungen: Energieminima = stabile Strukturen. Organische Chemie I BK SS 2016 29 Diagramm: Energie-Torsionswinkel = „Reaktionskoordinate“ der Drehung) Angabe der relativen (potentiellen) Energie (1 kcal/mol = 4.18 kJoule/mol) Die Drehung um Einfachbindungen in Alkanen ist nicht völlig unbehindert; ausgewählte Konformationen sind bevorzugt; sie verleihen dem Molekül größere Stabilität als die anderen. Organische Chemie I BK SS 2016 H n-Butan: H 30 H H H3CCH2CH2CH3 = H Ca Cb Cc Cd H H ekliptisch synplanar = 0 "instabil" gestaffelt synclinal "gauche" = 60 "stabil" H H H ekliptisch anticlinal = 120 "instabil" gestaffelt antiplanar = 180 "stabilst" Energie-Torsionswinkel-Diagramm: für die C2-C3-Bindung in n-Butan = Torsionswinkel = "Reaktionskoordinate" der Drehung / relative potentielle Energien E (potentielle Energie) (kJ/mol) ~ 20 Energiemaxima: Energiebarrieren für die Drehung ~ 16 ~4 Energieminima: (stabile) Konformeren 0 =Torsionswinkel 0° ekliptisch synplanar "instabil" 60° gestaffelt synclinal "stabil" 120° ekliptisch anticlinal "instabil" 180° gestaffelt antiplanar "stabilst" 240° 300° 360° stabilste Konformation mit =180° = gestaffelt & antiplanar = "anti"-Konformer weitere stabile Konformationen bei = 60°, 300° = gestaffelt & synclinal = "gauche"-Konformere Organische Chemie I BK SS 2016 31 qualitative Kriterien für stabile Konformationen von Alkanen: ekliptische Anordnungen von (C–H)- oder (C–C)-Bindungen ergeben instabile Konformationen; antiplanare Lagen von (größeren) Substituenten sind günstig bei synklinal liegenden Substituenten ist deren Raumerfüllung wichtig: größere Substituenten bewirken besonders ungünstige synklinale Interaktionen, deren Zahl in einer stabilen Konformation klein sein soll. z.B.: stabile Konformationen von n-Butan bzgl. der mittleren (CC)-Bindung: Ng(Me/Me) = Zahl der "gauche"-Anordnungen von Methylgruppen antiplanare Konformation (Ng(Me/Me) = 0) um ca. 4 kJoule/mol stabiler als jede der synklinalen Konformationen n-Butan liegt (temperaturabhängig) in allen drei Konformationen vor, wobei die antiplanare Konformation die stabilste ist. Bei Raumtemperatur Interconversion zwischen den drei Konformeren schnell (Rotationsbarriere 20 kJ/mol) Molekeln existieren in ihren energieärmsten Konformationen, nach den Maßstäben der Gleichgewichtslagen. i. A. ist eine experimentelle Bestimmung des chemischen Verhaltens eines einzelnen Konformeren nicht möglich, sondern nur des Konformerengemisches. Organische Chemie I BK SS 2016 32 5.2. Konformationen von Cycloalkanen a. Cyclohexan: C6H12 = Sessel Wanne (umgeklappter) Sessel Sessel: axiale Subst.: Bindungsrichtung senkrecht zur Cyclohexan-Ebene äquatoriale Subst.: Bindungsrichtung etwa in Cyclohexan-Ebene Sessel: (C–C)- und (C–H)Bindungen, gestaffelt Wanne: mehrere (C–H)- und (C–C)Bindungen, ekliptisch Umklappen Sessel-Wanne-Sessel: Austausch der Lage der axialen und der äquatorialen Substituenten. wichtigste Cyclohexan-Konformationen (siehe umseitig): Sessel: ein Energieminimum, die stabil(st)e Konformation von Cyclohexan; Wanne: ein Energiemaximum, keine stabile Konformation von Cyclohexan; Twist: wannenähnliche, energiereiche Konformation; Halbsessel: ein Energiemaximum, keine stabile Konformation Organische Chemie I BK SS 2016 33 Wichtige Conformationen von Cyclohexan und ihre Stabilität Monosubstituierte Cycloalkane: Gleichgewichtseinstellung der Sesselkonformationen und der Effekt des Substituenten X auf die Gleichgewichtslage G = - R.T. ln K X Log10K [ax][eq] % ax G H 0 0 1.00 50 CH3 7 -1.25 0.06 5 Et 7 -1.32 0.04 4 i-Pr 8 -1.54 0.03 3 t-Bu >20 <-3.68 ~0.00 ~0 OH 4 -0.74 0.18 16 G = freie Enthalpiedifferenz zwischen der Sesselkonformation des substituierten Cyclohexan-Ringes mit axial und äquatorial gebundenem Substituenten Regel: (Größere) Substituenten am Cyclohexanring bevorzugen jene Sesselkonformation, in welcher sie eine äquatoriale Lage einnehmen können. Organische Chemie I BK SS 2016 34 Substituierte Cyclohexane i) Methylcyclohexan CH3-äquatorial bevorzugt CH3-axial energiereicher CH3 und CH2-Kette des Ringes jeweils anti daraus keine "gauche" WW CH3 und Kette des Ringes jeweils "gauche" (synclinal) daraus 2 "gauche"-WW aus n-Butan: (1 "gauche"-WW Kette/ CH3 = 4 kJ/mol): 2 x 4 kJ/mol = 8 kJ/mol energiereicher Regel: Substituenten am Cyclohexanring bevorzugen die äquatoriale Lage; Energiedifferenz zwischen der Sesselkonformation des substituierten Cyclohexans mit axial und äquatorial gebundenem Substituenten (in kJ/mol): z.B.: bei CH3– : 8; bei (CH3)3C– : > 20 (kJ/mol) ii) 1,2-Dimethylcyclohexan bei cis: je ein axiales CH3, ein äquatoriales CH3: je drei gauche WW zwischen Alkylgruppen Organische Chemie I BK SS 2016 35 bei trans: trans-diaxial: 4 gauche WW trans-diäquatorial: 1 gauche WW Energie-Unterschied : ca. 3 x 4 kJ/mol trans-1,2-Dimethylcyclohexan ca. 99% diäquatorial iii) 1,3-Dimethyl-cyclohexan: 1,3-cis-Dimethylcyclohexan: 1,3-trans-Dimethylcyclohexan: cis: (1,3)-diaxiale Wechselwirkung, sterische Repulsion zwischen den beiden axialen Methylgruppen plus 4 x gauche-WW trans: äquatoriale & axiale Methylgruppen, ähnliche Situation wie bei cis-1,2-Dimethylcyclohexan, keine neuen sterischen Effekte ! (1,3)-diäquatorial, keine gauche-WW, keine sterische Repulsion ! Organische Chemie I BK SS 2016 36 6. THERMOCHEMIE 6.1. Spannung in organischen Molekülen (Spannung = Destabilisation). 1) Spannung durch sterische WW nicht direkt gebundener Atome und Molekül(Teil)e: Wie groß sind Atome ? vergleiche: gauche-WW 1,3-diaxiale WW } bedingt durch Raumbedarf der Atome, bzw. Molekülteile z.B.: Argon Atome: r = Abstand der Kerne geringste Energie des Systems bei einem ArAr Abstand von 3.8 Å ca. im flüssigen Zustand Verdampfungswärme von Ar ca. 21 kJ/mol, entspricht vdWaals'-WW RvdW = van der Waals'-Radius RvdW(Ar) = 1.9 Å 1 Å = 10–10 m = 10–10 nm 3.8 Å = optimaler Abstand zwischen 2 Ar Atomen (energieärmster Zustand) = 2 vdWaals'-Radien von Ar bei r < 3.8 Å: sterische Repulsion der Ar-Atome; bei r > 3.8 Å: schwache Anziehung der Ar-Atome van der Waals’-Radius (RvdW), Kovalenzradius und Bindungslänge im Molekül A-B RvdW = vdWaals'-Radius von H = 1.2 Å O = 1.4 Å Cl = 1.8 Å von CH3 = 2.0 Å Br = 2.0 Å J = 2.2 Å i) bei nicht gebundenen Atomen A und B stabilster Abstand = Summe der RvdW ii) bei 2 direkt gebundenen Atomen A–B stabilster Abstand = Bindungslänge = ca. Summe der Kovalenzradien von A und B d.h. Rcov (A–B) = Rcov (A) + Rcov (B) Rcov(A) = Kovalenzradius von A Rcov(B) = Kovalenzradius von B Organische Chemie I BK SS 2016 37 Sterische Wechselwirkungen in (substituierten) Cyclohexanen: dabei: Grundgerüst sei spannungsarmes Sessel-Gerüst – dann sind zwei axial sitzende H-Atome bei einer gegenseitigen Distanz von etwa Abstand 2.54 Å 2 x RvdW(H) < 1,3-diax. Abst. RvdW(H) + RvdW(CH3) > 1,3-diax. Abstand 2 x RvdW(CH3) >> 1,3-diax. Abst. 1,3-diaxiale Repulsion 2) Pitzerspannung: Spannung im Molekül durch ekliptische Anordnungen von benachbarten Bindungen z.B.: Ethan (in ekliptischer Konformation): 3 x ekliptische Anordnung der (C–H)Bindungen insges. ~ 12 kJ/mol Rotationsbarriere je ekliptische Anordnung: ca. 4 kJ/mol Destabilisierung 1) + 2) = erst in neuerer Zeit erkannte "nicht klassische" Spannungen Organische Chemie I BK SS 2016 38 3) "Klassische" Spannung = "Bayer'sche Ringspannung" Spannung durch Deformation der Valenzwinkel: i) an gesättigten (= sp3-hybrid.) Kohlenstoffen: Valenzwinkel = Tetraederwinkel = 109° 2 ii) an sp -hybrid. Kohlenstoffen: Valenzwinkel = 120° iii) an sp-hybrid. Kohlenstoffen: Valenzwinkel = 180° 6.2. Spannung in Cycloalkanen mit kleinen Ringen: z.B.: Cyclopropan (C3H6) i) gleichseitiges Dreieck; = 60° Deformation der C–C–C Valenzwinkel also je um ca. 50° ergibt klassische Spannung durch Winkeldeformation ii) dazu noch : 6 x ekliptische (C–H) Anordnung ergibt zusätzliche Pitzer Spannung Gesamtspannung in Cyclopropan: ca. 117 kJ/mol Organische Chemie I BK SS 2016 39 Cyclobutan (C4H8): wenn quadrat. planar: = 90° Deformation der C–C–C-Winkel ~ 20° plus 8 x ekliptische Anordnung der (C–H)'s besser (energieärmer) wenn gewinkelt: dann (C–H)'s nahezu gestaffelt = 87° ; = 154° Gesamtspannung von Cyclobutan: ca. 113 kJ/mol Cyclopentan (C5H10): wenn planar: = 108° kleine C–C–C-Spannung aber alle 10 (C–H)-Bindungen ekliptisch ! energetisch besser: Briefumschlag (Envelope) Halb-Sessel vier C's in einer Ebene drei C's in einer Ebene 6 nahezu eklipt. (C–H) Bindungen 4 nahezu eklipt. (C–H) Bindungen 4 nahezu gestaffelte (C–H) Bindungen 6 nahezu gestaffelte (C–H) Bindungen Cyclopentan nahezu ungespannt; Gesamtspannung ca. 26 kJ/mol Organische Chemie I BK SS 2016 40 Spannung in kleinen monozyklischen Cycloalkanen: CnH2n E(kJ/mol) "kleine" Ringe "mittlere" Ringe 0 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 n 15 16 Beispiele gespannter Verbindungen mit kleinen Ringen Cyclopropen Cyclobuten H H C H N O C H H C C C H H H "Cuban" (C8H8) H C H C C H C C C H C 660 kJ/mol C H C H H H "Tetrahedran" (C4H4) C H H C C H C H C H H C H ca. 540 kJ/mol = jeweilige Gesamtspannung (kJ/mol) H H Buckminster-Fulleren (C60) H H H C C H Aziridine H H C Epoxide Ethylenoxid 2.280 kJ/mol ! Organische Chemie I BK SS 2016 41 6.3. Einfache thermochemische Betrachtungen Wie wird Spannung in einem Molekül bestimmt ? durch Information über die Stabilität (der chemischen Verbindung) Qualitativ: gespannte Verbindungen sind energiereicher, sind weniger stabil als ungespannte Quantitativer Ansatz: der relative Energieinhalt einer bestimmten Menge (z.B. eines Mols) einer Verbindung wird mit dem Energieinhalt der entsprechenden Anzahl der Mole der isolierten Atome, verglichen aus welchen die Verbindung gebaut ist; dieser Vergleich ergibt die „Atomisierungswärme“ (Ha) einer Verbindung, bzw. die „atomare Bildungswärme“ (-Ha). qualitatives Energie-Diagramm: E i.A. Moleküle stabiler als die entsprechenden Atome d.h.: Energieinhalt der Moleküle kleiner als jener der entsprechenden Atome, aus denen die Moleküle zusammengesetzt sind Atome atomare Bildungswärme Verbindung, Moleküle Spannung einer Verbindung wird experimentell bestimmt, indem ihre Stabilität mit jener eines „ungespannten“ Isomers (als Referenzverbindung) verglichen wird. z.B. Spannung von 1,3-Dimethylcyclobutan: Summenformel = C6H12; eine geeignete Referenzverbindung muss ebenfalls dieselbe Summenformel haben; CH3 E 6C, 12H Ha H3C 1,3-Dimethylcyclobutan die geeignete Referenverbindung: Cyclohexan ( Ha ( ) ) gespannt Spannung in S die Referenzverbindung Cyclohexan ist ja als ungespannt charakterisiert ungespannt Atomisierungswärmen: Ha (Cyclohexan) > Ha (1,3-Dimethylcyclobutan) Spannung = Ha (Cyclohexan) - Ha (1,3-Dimethylcyclobutan) Bildungsenergien im Standardzustand: Organische Chemie I BK SS 2016 42 Standardzustand für Moleküle und Atome: 25 °C / gasförmig / 1 atm für Elemente: Normalzustand bei 25 °C, d.h.: gasförmig für O2 flüssig für Br2; fest für [C, Graphit] Thermochemisches Schema (Erläuterung von Begriffen): z.B. H2O Ha(X–Y) = Atomisierungswärme der Verbindung XY Ha(X) = Atomisierungswärme des Elements X Hverd(X–Y) = Verdampfungswärme der Verbindung XY –Ha(X–Y) = atomare Bildungswärme der Verbindung XY Hf(X–Y) = Standard Bildungswärme der Verbindung XY Atomisierungsenergie: Enthalpie (Wärmeenergie), die notwendig ist, um ein Mol einer Verbindung in die isolierten Atome zu dissoziieren (wobei Moleküle und Atome im Standardzustand sind) z.B.: CH4 C + 4H Ha = 1.659 kJ/mol dann: [C] + 2H2 CH4 Ha(C) = 714.4 kJ/mol Ha(H) = 217.4 kJ/mol Hf(CH4) = ? Hf(CH4) = –(Ha(CH4)–(Ha(C) + 4Ha(H)) = –(1.659–(714.4 + 4 x 217.4) kJ/mol = –71.5 kJ/mol Organische Chemie I BK SS 2016 43 6.4. Reaktionswärmen (Hr) Hr EDUKTE PRODUKTE Reaktionswärme (Hr) = = atomare Bildungsenthalpie der Reaktionsprodukte (–Ha(Prod)) minus atomare Bildungsenthalpie der Reaktionsedukte (–Ha(Ed)) = Standard Bildungsenthalpie der Reaktionsprodukte minus Standard Bildungsenthalpie der Reaktionsedukte. a. Hydrierwärmen: Reaktionen mit molekularem Wasserstoff; Kat z.B.: H3CCH=CHCH3 + H2 n-Butan Hr(Hydrierung von trans-Buten) = Hydrierwärme von trans-Buten = ( – Ha(Prod)) – ( –Ha(Ed)) = ( – Hf(Prod)) – ( – Hf(Ed) = Hf(Butan) (Hf(Buten) + Hf(H2)) und weil Hf(H2) = 0: = Hf(Butan) Hf(Buten) = = – 127 – (–11.7) = = –115.3 kJ/mol = typische Hydrierwärme eines (ungespannten) Monoalkens (ca. –120 kJ/mol) b. Verbrennungswärmen (Verbrennungsenthalpie): vollständige Reaktionen mit molekularem Sauerstoff; Wärme, die bei sich der vollständigen Verbrennung von (organischen) Verbindungen mit Sauerstoff entwickelt. z.B.: CH4 + 2 O2 CO2 + 2 H2O Hverb(CH4) = ? c. Bromierungswärmen: Reaktionswärme, die bei der Spaltung einer Einfachbindung mit Brom entsteht oder bei Brom-Addition an eine Doppelbindung; etc. z.B.: H3C–CH=CH2 + Br2 H3C–CHBr–CH2Br Organische Chemie I BK SS 2016 44 6.5. Bindungsdissoziationsenthalpie (BDE) Wärme, die zur Spaltung einer Bindung eingesetzt werden muss (bzw. die bei der Bildung der Bindung freigesetzt wird); BDE > 0, wenn Bindung zu einer existenzfähigen Spezies führt. Dissoziationsenthalpie: definiert spezifisch für eine (die gebrochene) Bindung; i) homolytische Bindungsdissoziation: A–B A• + B• der Bruch der Bindung erfolgt unter Aufteilung der beiden Bindungselektronen 1:1 auf beide Bruchstücke; neutrale Bruchstücke (Radikale) (• symbolisiert ungepaarte Elektronen) Molekül mit intakter Bindung ii) heterolytische Bindungsdissoziation: A–B A+ + B– beim Bruch der Bindung verbleiben die beiden Bindungselektronen auf einem der beiden Bruchstücke (meist) geladene Bruchstücke (Ionen) mit entgegengesetzter Ladung Molekül mit intakter Bindung Mittlere Bindungsenthalpien (mBE): (bezieht sich auf Bindungstyp; z.B. (C–H)-Einfachbindung) z. B.: CH4 : Ha = 1.659 kJ/mol CH3 –H CH3 + H + H BDE = CH2–H CH2 + H BDE = 464 kJ/mol CH–H CH + H BDE = 422 kJ/mol C–H C +H 435 kJ/mol BDE = 338 kJ/mol mBE = 1.659 : 4 = 414.7 kJ/mol = mittlere Bindungsstärke einer (C–H)-Bindung in Methan (andere Alkane ähnlich, obwohl auch dort einzelne Bindungen oft unterschiedlich stark, siehe später) Genereller approximativer Ansatz (gilt für unkonjugierte, ungespannte, neutrale Organische Chemie I BK SS 2016 45 organische Moleküle): Atomisierungswärme (Ha) = ni mBE(i) i mBE(i) = mittlere Bindungsenthalpie des i-ten Bindungstyps ni = Zahl der Bindungen des i-ten Bindungstyps approximative mBE's berechenbar z.B. Wie stark ist eine (C–C)-Einfachbindung? z.B.: CH3–CH3 : Ha(CH3–CH3) mBE(C–C) + 6mBE(C–H) mBE(C–C) = Ha(CH3–CH3) 6mBE(C–H) mit mBE(C–H) = 407.5 kJ/mol; Ha(CH3–CH3) = 2817 kJ/mol mBE(C–C) = 2817 – 2445 kJ/mol = 372 kJ/mol oder CH3–CH2–CH2–CH3: mBE(C–C) 1/3(Ha(n-C4H10) 10mBE(C–H)) = 1/3(5162-4075.5 kJ/mol) = 1086.5 : 3 = 362.2 kJ/mol oder H2C=CH2 mBE(C=C) Ha (H2C=CH2) 4mBE(C–H) ) = 2245 – 1630 = 615 kJ/mol bei Kohlenwasserstoffen: Ha aus Verbrennungswärmen oder aus anderen Reaktionswärmen berechnen daraus die (oder einzelne) mittlere BE - je größer die Atomisierungsenergie Ha, desto stabiler (d.h. energieärmer) ist die Verbindung, desto negativer ist ihre Standard Bindungsenthalpie (Hf) und desto stärker sind (im Durchschnitt) die Bindungen. - je größer die Atomisierungsenergie Ha, desto stabiler (d.h. energieärmer) ist die Verbindung und desto weniger exotherm ist die Verbrennung und/oder die Hydrierung. für genauere Abschätzungen sind Verfeinerungen notwendig mBE(H–Csp2) = mBE(H–Csp3) + ca. 17 kJ/mol mBE(H–Csp) = mBE(H–Csp3) + ca. 42 kJ/mol etc. Zusätzlich: mBE's sind weiters nur schlecht anwendbar für: 1) konjugierte Verbindungen, extra Stabilität durch Delokalisation Ha größer, mBE größer als bei Standard Verbindungen 2) gespannte Verbindungen sind destabilisiert, mBE kleiner als bei ungespannten Verbindungen 3) Verbindungen mit überfüllten oder nur partiell gefüllten Valenzschalen (wie Ionen, Radikale, etc.) Organische Chemie I BK SS 2016 46 7. HERSTELLUNG UND REAKTIONEN VON ALKANEN (C–H)- und (C–C)-Bindungen in Alkanen sind so stark (BDE 290 kJ/mol), dass Alkane bei Raumtemperatur "beliebig" stabil (und lagerbar) sind; müssen bei hoher Temperatur umgesetzt werden, oder mit sehr aggressiven Reagenzien, bzw. mit sehr wirksamen Katalysatoren Zugang und Herstellung Der Großteil der Alkane wird aus Erdöl, Erdgas und Kohle gewonnen. Alkane können umgesetzt werden: bei hoher Temperatur oder mit sehr aggressiven Reagenzien oder mit sehr wirksamen Katalysatoren 7.1. Pyrolyse in Abwesenheit von Sauerstoff a) "Cracken" von Kohlenwasserstoffen: thermische Behandlung in Gegenwart eines Katalysators, um schwerflüchtige KW's in leichtflüchtige zu zerlegen. b) Hydro-Cracken: schwerflüchtige Kohlenwasserstoffe werden durch Pyrolyse in Gegenwart von Wasserstoff (und natürlich in Abwesenheit von Sauerstoff) in leichterflüchtige zerlegt: Modellexperiment mit Dodecan: H2 - Atmosphäre Propan Butane Pentane Hexane Dodecan Zeolith Katalysator 480 °C, 2 min 17 % 31 % 23 % 18 % Beim Cracken oder Hydro-Cracken werden Kohlenwasserstoff-Moleküle präferentiell an „schwachen“ (C–C)-Bindungen gespalten, d.h. an solchen (C–C)Bindungen, welche eine kleinere BDE aufweisen; Spaltung an hoch substituierten CZentren besonders wahrscheinlich (siehe Tabellen, S. 42) . 7.2. Verbrennung: CnH2n+2 + mO2 n CO2 + (n+1)H2O uneinheitliche und mechanistisch komplexe Reaktionen m = n + (n+1)/2 Organische Chemie I BK SS 2016 47 genaue BDE(C–C) ist (z.B. in Alkanen) charakteristisch abhängig vom Substitutionsgrad (frühere Abschätzung mBE(C–C): ca. 350 - 380 kJ/mol) z.B.: BDE(CC) R + R' R R' in kJ/mol H3C CH3 H3C CH2 H3C + CH3 (2 Methylradikale) H3C CH3 C H3C CH3 CH2 CH3 H3C H3C CH2 + CH2 CH3 H3C C H3C H3C CH3 C + C 364 351 CH3 CH3 CH3 H3C H2C 372 359 CH3 CH3 CH3 H3C + CH2 376 377 H3C CH3 C + C H3C CH3 368 343 CH3 328 301 CH3 CH3 BDE(C–H) ist auch charakteristisch abhängig vom Substitutionsgrad (frühere Abschätzung: ca. 400 - 420 kJ/mol) z.B.: R R + H H H3C H H3C + H H3C H2C H H3C H2C + H H3C HC H H3C HC + H CH3 C CH3 439 435 423 410 412 395 CH3 CH3 H3C BDE(CH) in kJ/mol H3C H H3C C + H 404 385 H3C Mit zunehmendem Substitutionsgrad am Ort des (homolytischen) Bindungsbruches nimmt sowohl die BDE(C–C) als auch die BDE(C–H) ab ! Organische Chemie I BK SS 2016 48 8. ALKYLHALOGENIDE 8.1. Herstellung aus Alkanen (Reaktion mit Halogenen) a. Reaktion mit Chlor (meist weniger selektiv) Die beiden organischen Produkte würden bei statistischer Produktbildung (Zahl der abstrahierbaren Wasserstoff-Atome) im Verhältnis 1 : 9 gebildet werden! b. Reaktion mit Brom (häufig sehr selektiv) Bromierung hochselektiv, Chlorierung wenig selektiv Reaktion am tertiären C wahrscheinlicher als der Statistik entsprechend, am primären C weniger wahrscheinlich ! Gründe dafür ? i) nicht (thermodynamische) Produktstabilität ii) aber kinetische Aspekte des Reaktionsverlaufs (Mechanismus der Reaktion) ! . Organische Chemie I BK SS 2016 49 Allgemeine mechanistische Vorstellungen zur Bromierung von Alkanen (Beispiel des typischen Reaktionsweges einer sog. Radikalketten-Reaktion) Bei Radikalkettenreaktionen treten folgende typischen "Stationen" auf: i. Radikal-Start (Radikale werden "netto" erzeugt) z.B.: 2 hochreaktive (radikalische) Fragmente (z.B. Br-Atome) ii. Radikal-Kette (Reaktion mit Radikalen, die keinen "netto"-Verbrauch von Radikalen ergibt): X a) R-H + X b) R gibt R + H-X und dann + X-X gibt R-X + X wieder in einem Schritt vom Typ a) einsetzbar. iii. Radikal-(Ketten)-Abbruch: Reaktionen mit Radikalen, die netto Radikale verbrauchen R +X gibt R-X oder R (Rekombinationen von Radikalen) i. Radikal-Start z.B.: +R gibt R-R Organische Chemie I BK SS 2016 50 ii. Radikal-Kette 1) H-Atom Abstraktion 1a) oder (alternativer Weg) 1b) H-Atom Abstraktionsschritt beider Reaktionswege leicht endotherm; Abstraktion am tertiären C deutlich leichter (weniger ungünstig) als die an den primären C's Qualitative, energetische Betrachtung des H-Atom Abstraktionsschrittes (Schritt 1.) der Radikalkette): ÜZ = Übergangszustand = keine existenzfähige Spezies, ein Energiemaximum auf der Reaktionskoordinate Zwischenprodukt (ZP) = oft hochreaktive, aber existenzfähige Spezies (z.B. Radikale) Zwischenprodukt od. Produkt-Zustand Rk Reaktionskoordinate (Rk): Maß für den Fortschritt eines Reaktionsschrittes (bei Bindungsspaltung z.B.: die Länge der gespaltenen Bindung) Organische Chemie I BK SS 2016 51 Entscheidend für die Reaktionsgeschwindigkeit ist die Größe der Aktivierungsenergie Ea (Energieunterschied Eduktzustand und Übergangszustand); ÜZ energetisch strukturell ähnlich dem ZP (bzw. dem endotherm gebildeten Produkt eines Zwischenschrittes) wenn 1. Reaktionsschritt deutlich endotherm, Ea's abschätzbar aus H0 's: Ea ähnlich aber etwas > H0 des Reaktionsschrittes 2. Selektivität der Reaktion bedingt durch unterschiedlich große Ea's (Ea): dann gilt qualitativ: Ea ist grob ähnlich H0 bei radikalischer Bromierung: ÜZ-Struktur ableitbar aus Struktur der entstehenden Zwischenprodukte (Alkylradikal und Bromwasserstoff); damit: Stabilität der entstehenden Alkylradikale entscheidend vgl. a. Stabilitätssequenz für Alkylradikale b. Struktur von Alkylradikalen: hier: Stabilität der entstehenden Alkylradikale entscheidend Alkylradikale: nahezu planare, prakt. sp2-hybridisierte C-Zentren: Damit grobes Bild der Übergangsstruktur möglich: grobes Modell der Übergangs-Struktur bei der Abstraktion eines H-Atomes von einem Alkan durch ein Br-Atom: Organische Chemie I BK SS 2016 52 2) Brom-Abstraktion 2a) oder 2b) 1.) + 2.) = Radikal-Kette: Reaktives radikalisches Zwischenprodukt (Brom-Atom oder Alkylradikal), welches in einem der Schritte verbraucht wird, regeneriert sich im anderen; Brom-Übertragungsschritt auf beiden Reaktionswegen deutlich exotherm (entweder –101 kJ/mol oder –105 kJ/mol). Dadurch - in Summe - die zwei Schritte der Radikalkette ebenfalls exotherm (Gesamt- Energie-Bilanz: –42kJ/mol (prim. Bromid) bzw. –65 kJ/mol (tert. Bromid), treiben die Radikalkettenreaktion weiter Organische Chemie I BK SS 2016 53 Qualitative energetische Betrachtung zur Brom-Übertragung stark exothermer Reaktionsschritt: ÜZ strukturell und energetisch ähnlich den jeweiligen Ausgangs-Zuständen: hypothetische Übergangs-Struktur bei der Reaktion von Br2 mit einem Alkylradikal Produktstabilität wirkt sich nicht auf die Geschwindigkeit der Produktbildung aus. "späte" und "frühe" Übergangszustände (entlang der Reaktionskoordinate): späte ÜZ gleichen (bzgl. Energie und Struktur) dem Produktzustand, typisch für (stark) endotherme Reaktionsschritte: frühe ÜZ gleichen (bzgl. Energie und Struktur) dem Eduktzustand, typisch für (stark) exotherme Reaktionsschritte: Organische Chemie I BK SS 2016 54 Zu 8.1. Funktionalisierung von Alkanen mit Halogenen Zur Radikalkette: 1 + 2: Beide Schritte = Radikal-Kette: - reaktives radikalisches Zwischenprodukt (Brom-Atom oder Alkylradikal), welches in einem der Schritte verbraucht wird, regeneriert sich im anderen; 1) H-Abstraktionsschritt deutlich endotherm (40 kJ/mol) 2) Brom-Übertragungsschritt deutlichexotherm (-105 kJ/mol) Dadurch - in Summe – die zwei Schritte der Radikalkette exotherm (GesamtEnergie-Bilanz: H° = -65 kJ/mol (beim tertiären Bromid) treiben die Radikalkettenreaktion weiter. (beim prim. Bromid wären es analog -42 kJ/mol) Produktbildung (Ort der Bromierung) wird festgelegt bei der H-Atom-Abstraktion; H-Atom-Abstraktion = produktbestimmender Schritt. Selektivität der H-Atom-Abstraktion gegeben durch Unterschiede in der BDE der (C–H)-Bindungen korrelierbar mit der Stabilität der entstehenden Alkylradikale Stabilitätssequenz für Alkylradikale Methylradikal prim. Radikal sek. Radikal tertiäres Radikal zunehmende Stabilisierung im Alkylradikal und zunehmender Substitutionsgrad (Regel!) Organische Chemie I BK SS 2016 55 Präparative Aspekte von radikalischen Halogenierungsreaktionen: Fluorinierung mit F : geringer synthetischer Wert, da sehr unselektiv (BDE H–F = 650 kJ/mol) und schwierig durchzuführen Chlorierung mit Cl : häufig mit einem thermisch wirkenden Radikal-Starter (Verbindungen, die sich leicht radikalisch zersetzen); mangelnde Selektivität, deshalb nur bei sehr einfachen, symmetrischen Verbindungen SO2Cl2 (Sulfurylchlorid): Quelle für Cl-Atome: Bromierung mit Br2: am meisten verbreitete Art der Halogenierung (im Laboratoriums-Maßstab): Jodierung: thermodynamisch und kinetisch ungünstig, nicht wichtig typische Radikalstarter (zerfallen bei ca. 60 - 80 °C in Lösung): AIBN (Azo-bis-isobutyronitril) CH3 CH3 NC N C N CH3 60-80°C 2 NC C CN CH3 CH3 C in CH3 CH3 CH3 NC C + N N + N N C CN CH3 CH3 Dibenzoylperoxid: ~sp2 ! O O O O O 60-80°C O 2 in O schnell Benzoyloxyl-Radikal 2 + 2 C O Phenyl-Radikal Organische Chemie I BK SS 2016 56 N-Halogeno-Succinimide: verbreitete Halogenierungsmittel: N-Halogeno-Succinimide zersetzen sich leicht unter Bildung von Succinimidyl-Radikalen 8.2. Chemische Eigenschaften von Alkylhalogeniden a. Alkylhalogenide sind (gebräuchliche) Synthesevorläufer von Alkenen und Alkinen (s. Kap. 14 u. 15) (mittels sog. Eliminationsreaktionen, siehe Kap. 17) b. Alkylhalogenide sind (gute) Alkylierungsmittel: Verwendung zur Alkylierung von geeigneten (organischen, anorganischen) Verbindungen; Beispiel: Alkylierung von Na-Methanolat durch Alkylhalogenide (Haloalkane) (durch Alkylierung der –O-Gruppe des Alkoholats entsteht ein Ether = Beispiel einer Williamson-Ether-Synthese) ... .. in CH3OH H3C CH2 CH2 O CH3 + Na I H3C CH2 CH2 I + Na O CH3 bei R.T. 1-Propyliodid Natriummethanolat Methylpropylether Edukte Produkte Es handelt sich hier um eine Substitutionsreaktion an einem gesättigten KohlenstoffZentrum (zu Substitutionen an gesättigten und ungesättigten C-Zentren siehe Kap. 13 und OCII) Achtung: ähnliche Reaktionen können auch in der lebenden Zelle (ungewollt) mit Alkylhalogeniden (speziell den Bromiden, Iodiden) ablaufen – d.h. sie sind auch cytotoxisch. Organische Chemie I BK SS 2016 57 9. STEREOCHEMIE strukturell verschiedene Verbindungen mit der Summenformel C4H11Br: Konstitutionsisomere: Isomere, die verschiedene Verbundenheit haben; Stereoisomere: Isomere, die bei gleicher Konstitution verschiedene Struktur haben. z.B.: zwei Formen von 2-Brombutan, die nicht identisch sind (nicht deckbar sind) und nicht durch Drehung um eine Einfachbindung gleiche Konstitution ineinander überführbar unterschiedliche Struktur sind = "Stereoisomere" 9.1. Enantiomere Warum existieren 2 stereoisomere Formen von 2-Brombutan ? Besonderheit in 2-Brombutan: C2 von 2-Brombutan trägt vier konstitutionell unterschiedliche Substituenten: C2 ist ein "asymmetrisches" C-Zentrum (*C). Stereoisomere, die sich wie Bild und Spiegelbild verhalten, sind zueinander "enantiomer", sie sind Enantiomere. Organische Chemie I BK SS 2016 58 2-Brombutan existiert in zwei stereoisomeren Formen, die sich nur durch ihre "absolute" Konfiguration unterscheiden: Zuordnung der absoluten Konfiguration: R,S-Nomenklatur: nach den Regeln von Cahn, Ingold & Prelog (CIP-Regeln), eine Nomenklatur-Konvention, ohne absolute physikalische Bedeutung a. Die Substituenten an *C werden nach ihrer "Priorität" geordnet und dann mit a,b,c und d indiziert. Ein Substituent hat höhere Priorität, wenn i) höhere Ordnungszahl: z.B.: O > N > C > H (> Elektronenpaar > Elektron) ii) wenn höheres Atomgewicht (bei gleicher Ordnungszahl) z.B.: T > D > H iii) Doppelbindungen zählen wie 2 Einfachbindungen Dreifachbindungen zählen wie 3 Einfachbindungen iv) Priorität in einer späteren Sphäre entscheiden, wenn nicht in einer früheren möglich. b. man nehme Substituent d hinter dem *C und wenn dann Substituenten a,b,c im Uhrzeigersinn angeordnet sind, dann hat *C die R-Konfiguration; wenn aber die Reihenfolge a,b,c eine Drehung entgegen dem Uhrzeigersinn ergibt, dann hat *C die S-Konfiguration. Jedes *C hat entweder R- oder S-Konfiguration ! Alle asymmetrischen Zentren, die sich in enantiomeren Verbindungen (durch Spiegelung) paarweise entsprechen, haben entgegengesetzte absolute Konfiguration, also: In Enantiomeren (optischen Antipoden) haben (alle) ihre asymmetrischen Zentren entgegengesetzte absolute Konfiguration (entgegengesetzten Chiralitätssinn) Die beiden enantiomeren Formen von 2-Brombutan sind optische Antipoden: d.h. ihre Lösungen sind optisch aktiv und zeigen einen umgekehrtem Drehsinn, bei gleichem (absoluten) Drehwert (siehe Beiblatt). Die (isotropen) chemischen und physikalischen Eigenschaften der beiden enantiomeren Formen von 2-Brombutan sind aber gleich. Organische Chemie I BK SS 2016 59 Messung der optischen Aktivität Der Contergan-Fall mit Thalidomid (R,S)-N-(2,6-dioxo-3-piperidyl)-phthalimid Konstitutionsformel: H O O N O N O Strukturformeln: SEext O O H C O N H O H N N O (S)-N-(2,6-dioxo-3-piperidyl)-phthalimid zeigte extreme teratogene Wirkung heute experimentell (wieder) in Untersuchung als mögliches Antikrebsmittel. O C O N O H (R)-N-(2,6-dioxo-3-piperidyl)- phthalimid wurde als Schlafmittel verwendet (Missbildungen an den Gliedmaßen von Neugeborenen, wenn von Schwangeren dieses Enantiomer im Medikament eingenommen wurde); "Contergan-Babies" Organische Chemie I BK SS 2016 60 9.2. Chiralität und Symmetrie Verbindungen (Moleküle, deren Bild und Spiegelbild nicht deckbar ist), die als enantiomere Formen auftreten können, sind chiral. (Moleküle, die nicht chiral sind, sind achiral). 1) Symmetriekriterium für chirale Moleküle (ein hinreichendes und ein notwendiges Kriterium): chirale Moleküle sind dissymmetrisch, d.h. sie besitzen keine internen Symmetrieelemente 2. Art (keine Symmetrieebenen, Inversionszentren, geradzählige Drehspiegelachsen), können aber reine Drehachsen als interne Symmetrieelemente haben. Alle asymmetrischen Moleküle, die (also) keine inneren Symmetrieelemente haben, sind ebenfalls chiral. Moleküle höherer Symmetrie sind achiral, optisch inaktiv. 2) Kriterium der optischen Aktivität: von chiralen Molekülen ist Bild und Spiegelbild nicht deckbar, Bild und Spiegelbild stellen optische Antipoden dar (ein hinreichendes und ein notwendiges Kriterium). 3) Konstitutionskriterium: in chiralen Molekülen liegen asymmetrische Zentren vor. Dieses "einfache" Kriterium ist meist zutreffend, aber weder notwendig, noch hinreichend ! Beispiele für das Versagen des Konstitutionskriteriums: i) Spiroverbindungen können chiral sein ohne ein *C zu haben: ii) Moleküle, die trotz *C's achiral sind: Organische Chemie I BK SS 2016 61 Die Fischer Projektion: Fischer Projektion: Konvention, zur Angabe der räumlichen Verhältnisse in 2dimensionalen Projektionen der Struktur von organischen Molekülen. Die Fischerprojektion ist dann rationell, wenn mehrere Chiralitätszentren im Molekül Dabei ist durch eine Konvention (nach E. Fischer) festgelegt: Von oben nach unten: Stamm, mit nach hinten gedachten Zentren Von links nach rechts: („Querbalken“) mit nach vorne gedachten Substituenten Die Fischerprojektion gibt die Symmetrieeigenschaften der Verbindungen wieder Organische Chemie I BK SS 2016 62 9.3. Diastereomere Diastereomere sind Stereoisomere, die sich nicht wie Bild und Spiegelbild verhalten. Diastereomere unterscheiden sich in ihrer relativen Konfiguration. Diastereomere unterscheiden sich in ihrer relativen Konfiguration - sie können auch bei Abwesenheit von asymmetrischen Zentren auftreten. z.B.: mehrfach substituierte cyclische Verbindungen (vgl. früheres Beispiel des 1,2-Dimethylcyclopropans) analog: 1,3-Dimethylcyclobutan: kann cis- oder trans-disubstituiert vorliegen: beide achiral, keine asymmetrischen C-Zentren, gleiche Konstitution, aber ungleiche relative Konfiguration (cis oder trans) wie in 2-Amino-3-hydroxybutansäure : Konstitutionsformel 2C* sind konstitutionell unterschiedlich mögliche stereoisomeren Formen ? Organische Chemie I BK SS 2016 Fischer Projektionen: (2S,3R)-2-Amino3-Hydroxybutansäure = L-Threonin (2R,3S)-2-Amino3-Hydroxybutansäure = D-Threonin (2R,3R)-2-Amino3-Hydroxybutansäure = D-Allothreonin (2S,3S)-2-Amino3-Hydroxybutansäure = L-Allothreonin 4 Stereoisomere, nämlich zwei Enantiomerenpaare, die jeweils zueinander diastereomer sind = zwei diastereomere Enantiomerenpaare. Allgemein: bei n konstitutionell unterschiedlichen und voneinander unabhängigen Chiralitätszentren ergeben sich 2n Stereoisomere in Form von 2n-1 diastereomeren Enantiomerenpaaren 63 Organische Chemie I BK SS 2016 64 Konstitutionsformel der Aldohexosen (Zucker, wie z.B. Glucose) z.B. ein Protein mit 150 chiralen Aminosäure-Resten werde aus razemischen AminosäureBausteinen aufgebaut: Gibt 2150 Isomere oder 2149 (= ca. 1040) diastereomere Enantiomerenpaare; d.h. es sind etwa 1017 Mol oder ca. 1018 kg Protein dafür nötig, dass (mit einer bestimmten Sequenz, d.h. Konstitution) von jedem Isomer ein Molekül vorliegt! Konfigurationell abhängige Chiralitätszentren: Sonderfall: zwei konstitutionell unterschiedliche, voneinander abhängige Chiralitätszentren verhalten sich wie ein einziges Chiralitätszentrum z.B.: in bicyclischen Verbindungen mit einem Drei-, Vier- oder Fünf-Ring, wenn der größtmögliche Ring nicht größer als ein Siebenring ist. z.B.: aber: Bicyclo[4.4.0]-dec-3-en cis- u. trans-Verknüpfung möglich: Ein Campher-Molekül enthält 2 chirale *C's, kommt aber nur in 2 enantiomeren Formen vor. Die Konfiguration an einem der beiden Brückenkopfkohlenstoffen (C-1 oder C-4) bestimmt die des anderen (d.h. die relative Konfiguration ist fix); beide *C-Zentren sind in dieser bicyclischen Struktur wegen der Ringverknüpfung voneinander konstitutionsbedingt (konfigurationell) abhängig. Bei n unabhängigen und m paarweise abhängigen Chiralitätszentren (die alle konstitutionell unterschiedlich sind !) ergeben sich 2n+m/2 stereoisomere Formen 2(n+m/2)-1 (diastereomere) Enantiomerenpaare Organische Chemie I BK SS 2016 65 Konstitutionell identische Chiralitätszentren: z.B.: Weinsäure Konstitutionsformel: zwei Chiralitätszentren (2 *C) konstitutionell gleich: gleiche Substituenten (je 1 H, 1 OH & 1 CO2H) (S,S)-Weinsäure (R,R)-Weinsäure (2S,3R)-Weinsäure = Mesoweinsäure "Mesoform" mit internem Inversionszentrum (i) achiral Organische Chemie I BK SS 2016 66 Zwei konstitutionell identische Chiralitätszentren: 3 stereoisomere Formen 1 Enantiomerenpaar + 1 Mesoform (2 Stereoisomere) Mesoweinsäure: achiral, nicht dissymmetrisch (Spiegelebene als molekulares Symmetrieelement), optisch inaktiv, "Mesoform" der Weinsäure; Mesoweinsäure (=R,S-Weinsäure) und R,R-Weinsäure (oder S,S-Weinsäure) unterscheiden sich in der relativen Konfiguration; sie gehen durch Konfigurationsumkehr an nur einem der beiden Chiralitätszentren ineinander über. Enantiomere: gleiche Konstitution, gleiche relative Konfiguration aber ungleiche absolute Konfiguration Bild + Spiegelbild Diastereomere: gleiche Konstitution aber ungleiche relative Konfiguration (rel. Konfiguration: relative Anordnung der Atome in einem Molekül, ohne Berücksichtigung der Unterschiede, die durch Drehung um Einfachbindungen zustande kommen); Diastereomere unterscheiden sich in ihren physikalischen und chemischen Eigenschaften. Organische Chemie I BK SS 2016 67 9.4. Racemate Racemat = 1:1-Gemisch der beiden enantiomeren Formen einer chiralen Verbindung, der beiden optischen Antipoden, deswegen optisch inaktive Lösung z. B.: Herstellung von 2-Brombutan durch Bromierung von n-Butan um ein Racemat zu bezeichnen verwendet man häufig die Strukturformel eines Enantiomers mit dem Zusatzzeichen "()" intermediäres 2-Butylradikal (hat ein Prochiralitäts-Zentrum): Prochiralitätszentrum (Zentrum, welches erst durch eine chemische Reaktion im Produkt zu einem Chiralitätszentrum wird) reagiert an beiden Seiten gleich wahrscheinlich mit Brom; die Geschwindigkeit der Bildung der beiden Enantiomeren gleich groß 2-Brombutan entsteht als 1:1-Gemisch der beiden Enantiomeren = es entsteht als Racemat. Racemate wichtig, da chirale Produkte bei der Synthese aus achiralen Edukten, mit achiralen Reagenzien, achiralen Katalysatoren und in achiralem Medium immer als Racemate anfallen. Racemate optisch inaktiv, da (genau) ein 1:1-Gemisch der beiden optischen Antipoden Mesoformen optisch inaktiv, da achirale Moleküle, die nicht optisch aktiv sind Organische Chemie I BK SS 2016 68 Trennung von Racematen zur Gewinnung der reinen Enantiomeren: a) chemische Racemattrennung (via diastereomere Salze) z.B.: für eine racemische Säure durch Salzbildung mit einer enantiomereneinheitlichen (chiralen) Base: H2N H CH3 R H3C CH CO 2H + OH H3N O O H R OH H CH3 R + O O HO S H (R)-1-Phenylethylamin H CH3 R CH3 CH3 (rac.) Milchsäure H3N (R)-1-Phenylethylammonium (S)-Lactat (R,S)-Salz (R)-1-Phenylethylammonium (R)-Lactat (R,R)-Salz diastereomere Salze: haben unterschiedliche physikalische Eigenschaften (z.B. Löslichkeiten, Kristallisationseigenschaften) Cl O H OH H3N R OH + CH3 (R)-Milchsäure H R CH3 HCl Kristallisat: angereichert in einem Salz Diastereomer z.B. (R,R)-Salz Überstand: angereichert in anderem Salz Diastereomer z.B. (R,S)-Salz O HCl HO OH H3N H R S H + CH3 Cl CH3 (S)-Milchsäure b) mechanische Trennung (vgl. Pasteur): via Einkristalle, die jeweils nur aus einem Enantiomer zusammengesetzt sind; enantiomere Verbindungen (z.B. eines Racemates) können unter Bildung von enantiomorphen Kristallen auskristallisieren, die mechanisch getrennt werden können c) chromatographische Trennung an chiral modifizierten Adsorptionsmitteln ("chirale Chromatographie-Säulen") d) enzymatische Racemattrennung: Enzyme (chiral, enantiomeren-einheitlich) reagieren häufig mit einem Enantiomer (von racemischen Verbindungen) deutlich schneller als mit seinem Spiegelbild (letzteres wird vom Enzym im Idealfall nicht verarbeitet, es bleibt übrig); sie reagieren dann "enantioselektiv" z. B. die enzymatische Hydrolyse eines razemischen Di-Peptides mittels einer Peptidase (diese ist chiral und reagiert mit einem der beiden enantiomeren Formen schneller - üblicherweise diejenige, welche eine proteinogene Aminosäure als Baustein enthält), als mit der anderen. Organische Chemie I BK SS 2016 69 10. ALKOHOLE allgemeine Formel : R–OH (HO-Gruppe an einem gesättigten C gebunden) z.B.: Methanol (Methylalkohol) Ethanol (Ethylalkohol, der "Alkohol") primärer Alkohol 1-Propanol 2-Propanol Cyclopentanol ein sekundärer Alkohol 2-Phenylethanol 1,2-Propandiol (ein Diol) nicht verwechseln mit Phenol Benzylalkohol (Phenylmethanol) Phenol: kein Alkohol im engeren Sinn 10.1. Eigenschaften R–OH zwischen Alkohol Polarität abhängig von Eigenschaften der Größe von R z.B.: H3C–CH2–OH = R–H und Alkan lipophil unpolar unreaktiv H–O–H Wasser hydrophil polar Säure-/Base- in Lösung: H-Brücken der OH-Gruppen Organische Chemie I BK SS 2016 70 Alkohole sind schwache Säuren und schwache Basen: Alkohole als Säuren, z.B.: Ethanol: Alkohole etwas weniger starke Säuren als Wasser (HO–H vs. CH3CH2O–H) (Alkoholat-Anion etwas stärkere Base als Hydroxid-Ion) pKa (Ethanol) = 15.9 (vgl. pKa (Wasser) = ) konjugate Paare Säure/Base Alkohol als schwache Basen (analysiert durch Säure-Stärke von CH3CH2OH2) konjugate Paare Säure/Base Protoniertes Ethanol : etwa 5 x stärkere Säure als protoniertes Wasser (H3O); Alkohole sind meist etwas schwächere Basen als Wasser Grob qualitativ: Das Säure/Base-Verhalten von Alkoholen ist dem von Wasser ähnlich. Organische Chemie I BK SS 2016 10.2. Herstellung von Alkoholen Hydrolyse von Alkylhalogeniden Reduktion von Carbonylverbindungen (siehe Kap. 19) Wasseraddition an Alkene (siehe Kap. 18) 10.3. Reaktionen von Alkoholen Deprotonierung unter Bildung von Alkoxid-Anionen: Na (K) - Hydrid: wenig nukleophiles, aber basisches Hydrid 71 Organische Chemie I BK SS 2016 72 (Säurekatalysierte) Elimination zu Alkenen (siehe Kap. 17): Oxidation von Alkoholen zu Carbonylverbindungen (siehe Kap. 19): Nukleophile Substitution an Alkylhalogeniden durch Alkoxid-Anionen (Williamson Ether Synthese, siehe SN2-Reaktion): intramolekulare Variante: Bildung cyclischer Ether Schwefel-Alkohole (Thiole, Mercaptane) Sulfide (Thioether) Organische Chemie I BK SS 2016 73 11. ETHER z.B.: Diethylether (der "Ether") Methyl-vinylether Methyl-phenylether (Anisol) Oxacyclopentan (Tetrahydrofuran) Dimethoxyethan (Glycoldimethylether) (zur Herstellung vgl. "Reaktion von Alkoholen", etc.) 11.1. Reaktivität von Ethern Ether sind wenig reaktive, wenig polare Verbindungen, werden häufig als aprotische Lösungsmittel eingesetzt; Ether sind stabil gegen Basen und Nukleophile, wenig reaktiv mit sehr starken Säuren Ether sind schwache Nukleophile (schwache Basen), lassen sich am O durch sehr starke Alkylierungsmittel alkylieren, durch sehr starke Säuren protonieren Trialkyloxonium Salze (sehr gute Alkylierungsmittel, sind stabil nur mit nichtnukleophilen Anionen, wie BF4–, PF6–) Ether sind schwache Liganden für Metallionen; gute Liganden, wenn mehrere Sauerstofffunktionen, wie z.B. in den "Kronenethern": z.B.: "18-Krone-6" eigentlich: 1,4,7,10,13,16-Hexaoxacyclooctadecan: Kronenether komplexieren (Alkali)Kationen und erhöhen die Löslichkeit von Metall-Salzen in organischen Lösungsmitteln; die Anionen (der ursprünglichen Salze) sind dann schlecht komplexiert (und schlecht solvatisiert) und dann besonders nukleophil. Organische Chemie I BK SS 2016 74 11.2. Epoxide (Oxacyclopropane, Oxirane) als gespannte, (ca. 100 kJ/mol Spannung !) hochreaktive Ether Herstellung: a) durch intramolekulare nukleophile Substitution eines Halogenids durch eine vicinale, deprotonierte Alkoxidfunktion b) durch Oxygenierung von Alkenen mittels Persäuren Dreiringstruktur der Epoxide verleiht ihnen hohe Reaktivität bei säure- oder nukleophil-induzierter Öffnung: z.B.: säureinduzierte Öffnung Alkoholat-induzierte Öffnung: Durch Öffnen des Oxiranringes entstehen 2 vicinale funktionelle Gruppen. Organische Chemie I BK SS 2016 12. AMINE 12.1 Struktur und Stereochemie von Aminen Nomenklatur (Alkylamine oder Alkanamine): z.B.: Methylamin Methanamin Dimethylpropanamin (N,N-Dimethyl-propylamin) 3-Penten-2-amin primäre Amine sekundäre Amine tertiäre Amine (quaternäre) Ammoniumsalze chiral, wenn 4 verschiedene Substituenten Struktur: in Alkylaminen ist N ~ sp3-hybridisiert pyramidale Struktur z.B.: Ethyl-methyl-amin = Alkylamin mit 3 unterschiedl. Substituenten N ist Chiralitätszentrum 75 Organische Chemie I exptl.: BK SS 2016 76 Amine mit asymmetrischem N-Zentrum sind nur in speziellen Fällen optisch aktiv, da (bei R.T.) üblicherweise rasche Inversion (der Konfiguration) am N: Razemisierung bei NH3: ~107 Inversionen/sek. (Ea ~ 25 kJ/mol) Rasche Razemisierung von Ethylamin durch Inversion am N: Inversionsbarriere am N in Alkylaminen klein (<< ca. 80 kJ/mol) wenn Inversion verhindert z.B.: "Tröger'sche Base": hier: N-Zentrum in stabiler Brückenkopfposition ! Konfiguration ist stabil, razemisiert nicht ! stabile Konfiguration optisch aktive Amine Organische Chemie I BK SS 2016 12.2. Reaktivität von Aminen Säure-/Base-Eigenschaften: Amine als Basen: Basizität ausdrückbar als Kb (pKb) der Basenform, oder via Ka (pKa) der dazu konjugaten Säureform: pKa + pKb = 14 (in H2O) Amine als Säuren: Amine sind sehr schwache Säuren ! pKa(Diisopropylamin) = 35-40 primäre und sekundäre Amine sind sehr schwache Säuren die entsprechenden Amid-Anionen sind sehr starke Basen (vgl. Lithiumdiisopropylamid, Kap. E2-Reaktionen). (tertiäre Amine lassen sich nicht deprotonieren) Amine als Nukleophile: siehe Kap. 13 77 Organische Chemie I BK SS 2016 78 13. NUKLEOPHILE SUBSTITUTION AM GESÄTTIGTEN KOHLENSTOFF "Nukleophile Substitutionsreaktion" Am Alkylhalogenid wird das Halogenid-Anion durch das Nukleophil Methanolat ersetzt. "nukleophil": "Nukleus-liebend" Nukleophile sind typischerweise negativ geladene Spezies, die (wenig elektronegative) Zentren mit nichtbindenden Elektronenpaaren haben Bsp.: "elektrophil": "Elektronen-liebend"; Elektrophile sind typischerweise ungeladene oder positiv geladene Spezies mit einer "Elektronenlücke" Bsp.: Die einfache Reaktion von Nukleophilen mit Elektrophilen kann direkt zu einer Einfachbindung führen, z.B.: F + BF3 BF4 Organische Chemie I BK SS 2016 79 nukleophile Substitutionsreaktionen sind synthetisch wichtig, Beispiel: H3C CH2 Br + Ethylbromid Na OH Br Br Br Br Br Br Organische Chemie I BK SS 2016 80 13.1. SN2-Reaktion (nukleophile Substitutionsreaktion 2. Ordnung) z.B.: oder Reaktion unter strenger stereochemischer Kontrolle am Ort der Substitution Reaktion unter stereochemischer Inversion der Konfiguration am Ort der Substitution Betrachtungen zum Reaktionsmechanismus a) Kinetik Man findet für die Reaktionsgeschwindigkeit: RG = = k2.[ ].[ ] k2 [M–1 . sec–1] Die Konzentration des Substrates und des Nukleophils kommen jeweils in 1. Ordnung vor (experimentell messbar); im RG-bestimmenden Schritt ist das Nukleophil wichtig (seine Konzentration). b) stereochemischer Verlauf: stereochemische Inversion der Konfiguration am Kohlenstoff (aber nur direkt am Ort der Substitution). Organische Chemie I BK SS 2016 81 mechanistische Erklärung: bimolekulare Reaktion, bei welcher die Eintrittsgruppe (das Nukleophil) einen Rückseitenangriff auf die Bindung Kohlenstoff-Abgangsgruppe eingeht (Frontalangriff würde stereochemische Retention der Konfiguration bewirken) Experimentell untermauert wurde ein Übergangszustandsmodell mit 5-fach koordiniertem Kohlenstoff-Zentrum (trigonal bipyramidal), mit 2 langen, ko-linearen Bindungen (Nukleophil-C-Abgangsgruppe). Energiediagramm: CH3 HO solv. C Br D H solv. Na E EA H3C CHD Br + NaOH solv. Edukte H3C CHD O H + NaBr solv. ÜZ Produkte R.K. Energiebarriere bedingt durch: a) Bildung eines 5-fach koordinierten C-Zentrums mit partiellen Bindungen X------C und C------Nu im Übergangszustand (ÜZ) b) Abbau der Solvatationshülle um das Nukleophil (Nu) Organische Chemie I BK SS 2016 82 13.2. SN1-Reaktion (nukleophile Reaktion 1. Ordnung) z.B.: oder Betrachtungen zum Reaktionsmechanismus a) Kinetik: Reaktionsgeschwindigkeit (RG) = , k1 [sec–1] Konzentration des Substrates kommt in 1. Ordnung vor, die Konzentration am Nukleophil kommt jedoch bei der Bestimmung von RG nicht vor: Nukleophile Substitution 1. Ordnung b) stereochemischer Verlauf: hier (fast vollständige) Racemisierung: aus (R)-1-Phenyl-ethylbromid entsteht ein (1 : 1)-Gemisch von (R)- und (S)-1-Phenylethanol Organische Chemie I BK SS 2016 83 mechanistische Erklärung: SN1-Reaktion ist zweischrittig: Reaktionsgeschwindigkeit wird (im ersten Schritt) durch die Bildung eines energiereichen, meist achiralen Zwischenproduktes bestimmt, welches ohne (merkbare) Beteiligung des Nukleophils entsteht. Die Wege a und b sind gleich wahrscheinlich: gibt die Reaktion mit H2O ein asymmetrisches C, dann entstehen R- und S-Produkte in gleichen Mengen (d.h. als Racemat). 1. Schritt: geschwindigkeitsbestimmend, unimolekular. Es entsteht ein planares. achirales Carbenium-Ion (ein Carbokation, stark elektrophil), mit einem leeren pz-Orbital. Dieses besitzt beidseitig gleiche Reaktivität. 2. Schritt: H2O ist ein mäßiges Nukleophil. Es entsteht ein 1:1Enantiomerengemisch (= Racemat), da ZP auf beiden Seiten gleich schnell weiterreagiert. Organische Chemie I BK SS 2016 falls Nukleophil = Lösungsmittel 84 Solvolyse (z.B.: Wasser = Hydrolyse) Verwendung von „Pfeilsymbolen“ für die Beschreibung der Elektronenpaar-Reaktion (z.B. bei der nukleophilen Substitution nach SN2): Elektronenpaar-Reaktion Wann findet die nukleophile Substitution nach einer SN1 oder SN2-Reaktion statt? Qualitativ: -SN1-Reaktion (relativ) schnell, wenn Zwischenprodukt stabilisiert durch 1. Stabilisierung des Carbenium Ions 2. Solvatisierung der Ionen - keine SN2-Reaktion ohne entsprechend reaktives Nukleophil in genügender Konzentration Gesamtreaktionsgeschwindigkeit: nukleophile Subst. nach SN1, wenn k1 >> k2 [Nu] nach SN2, wenn k1 << k2 [Nu] (und kinetische Kontrolle der Reaktion). Größe von k1 und k2 bedingt durch Stabilitätsunterschied Eduktzustand Übergangszustand (häufig abschätzbar durch ca. ZP-Zustand) Organische Chemie I BK SS 2016 85 13.3. Reaktivitätsbeeinflussende Faktoren bei der nukleophilen Substitution am gesättigten C: 1) Substratstruktur 2) Natur des Nukleophils 3) Natur der Abgangsgruppe 4) Lösungsmittel zu 1): Substratstruktur (Gerüststruktur des Substrates bei gleicher Abgangsgruppe) relevant. Zahl von Alkylgruppen am Substitutions-C-Zentrum; z.B. für Bromide: Methyl(bromid) primäres sekundäres tertiäres (Bromid) k1/k2 nimmt mit zunehmendem Substitutionsgrad zu reine SN2 Grenzfall reine SN1 Zwei wichtige und parallel wirkende Gründe: a) sterische Faktoren: große Substituenten am C destabilisieren SN2-ÜZ, günstiger im SN1-ZP; b) elektronische Faktoren: Alkylgruppen am C stabilisieren das Carbeniumion-ZP (stabilisieren als Donoren die Elektronenlücke) Zur SN1-Reaktion: SN1-Reaktion umso schneller, je stabiler das entstehende Carbokation (Carbeniumion), das organische Zwischenprodukt der SN1-Reaktion ist. Das Carbeniumion hat eine Elektronenlücke, ist damit reaktiv, bzw. energiereich, und reagiert schnell und relativ unselektiert mit Nukleophilen (auch mit schwachen Nukleophilen (wie z.B. H2O) vgl.: (CH3)3C–Br (tert) vs. CH3CH2Br (prim) ktert/kprim = 1,2 . 106 (in H2O, R.T.) Einfluss des Substitutionsgrades auf die Stabilität von Carbeniumionen: Methyl Kation primäres Kation sekundäres Kation zunehmende elektronische Stabilisierung in Carbokation tertiäres Kation Organische Chemie I BK SS 2016 86 Heterolytische Bindungsdissoziationsenergien für eine Auswahl von Alkylbromiden (in der Gasphase, keine Solvatation, die die ionischen Heterolyseprodukte stabilisiert): R + + Br - R Br CH3+ CH3 Br BDEhet (kJ/mol) Br - + 915 CH3 CH2 CH2 CH2+ CH3 CH2 CH2 CH2 Br CH3 CH2 CH Br CH2 CH + CH3 CH3 CH3 H3C C Br CH3 + + Br - 744 Br - 686 CH3 CH3 H3C C + Br - + 623 CH3 homolytische BDE(C-Br) ~ 270-290 kJ/mol Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit bei Substitutionsreaktionen mit Alkylbromiden mit I - (einem sehr guten Nukleophil): Reaktionen, die, wenn möglich, jedenfalls nach SN2-Mechanismus ablaufen können: R Br + I- krel SN2 CH3 Br + I - SN2 CH3 CH2 Br + I- SN2 H3C CH Br + I- SN2 CH3 + CH3 I Br - krel (SN2) + Br - 145 CH3 CH2 I + Br - 1 CH3 CH I + Br - 8 10-3 . CH3 CH3 H3C C CH2 Br CH3 R I + I- SN2 CH3 H3C C CH2 I CH3 + Br - ~ 10-5 N.B. tertiäres Butylbromid würde unter "allen" Umständen nach SN1 reagieren Organische Chemie I BK SS 2016 87 zu 2) Natur des Nukleophils: Die SN2-Reaktion erfordert (im Gegensatz zu der SN1-Reaktion) eine relevante Konzentration eines (genügend) guten Nukleophils; - für Nukleophile mit gleichartigem Reaktionszentrum gilt qualitativ: hohe Basizität entspricht hoher Nukleophilie (thermodynamische Größe) (und umgekehrt) (kinetische Größe) - für Nukleophile, deren Reaktionszentrum zu einer Gruppe des periodischen Systems gehört: Zunahme der Nukleophilie mit zunehmender Atomnummer 13.4. Amine sind rel. gute Nukleophile: Alkylierung von Aminen mit Alkylhalogeniden: Herstellung von quaternären Ammoniumsalzen: z.B.: Alkylierung von Aminen für Herstellung von quaternären Ammoniumsalzen speziell nützlich: Tri- oder Dimethylammonium-Salzen können als Synthesevorläufer von Alkenen verwendet werden (via Hofmann-Abbau, Hofmann Elimination, siehe Kap. 17). Organische Chemie I BK SS 2016 Aber: direkte Alkylierung von prim. oder sek. Aminen mit Alkylhalogeniden unselektiv : Monoalkylierung von prim. oder sek. Aminen unselektiv, da i) Protonierung des Eduktes verhindert vollständige Reaktion ii) Alkylierungsprodukt ist ähnlich reaktiv wie Edukt Überalkylierung (neben unvollständiger Eduktalkylierung) Synthese eines primären Amins via nukleophile Substitution Zur Synthese primärer Amine eignen sich: a) Herstellung von prim. Aminen via Azide (R–N=N=N): 88 Organische Chemie I BK SS 2016 b) Gabriel-Synthese mit Phthalimid Hydrazinolyse setzt bei der Gabrielsynthese ein (primäres) Amin frei: 89 Organische Chemie I BK SS 2016 90 13.5 Alkohole als Nukleophile Alkohole: schwache Nukleophile (Deprotonierung gibt Alkoholate: ca. 106 mal bessere Nukleophile). Synthese eines Äthers (nach Williamson) durch Reaktion eines Alkylhalogenids mit einem Alkoholat (Kap. 11) z.B.: Alkoholat-Nukleophile öffnen Epoxide, die dank ihrer Dreiringstruktur und ihrer Spannung eine erhöhte Reaktivität aufweisen. bei der säure-aktivierten Öffnung in einem Alkohol wirkt dieser als ein Nukleophil, das am höher substituierten C angreift (Regiochemie wie SN1, Stereochemie wie SN2) Organische Chemie I BK SS 2016 91 zu 3) Natur der Abgangsgruppe: Eine nukleophile Substitutions-Reaktion erfordert eine (genügend) gute Abgangsgruppe (ein ‚H’ oder ein ‚C’ sind (typischerweise) keine Abgangsgruppen, sondern es braucht ein X-, wie unten): – – Abgangsgruppe X umso besser, je weniger basisch X ist: – – – – gute Abgangsgruppen sind: J , Br , Cl , R–SO3 (Sulfonate): keine Abgangsgruppen für SN1 und SN2-Reaktionen sind: – – – – – – H , CH3 sowie OH , OR , NH2 , NR2 Überführung schlechter Abgangsgruppen in gute Abgangsgruppen: ("Aktivierung von Abgangsgruppen") zu 4) Natur des Lösungsmittels (LM): Solvatation mit polaren Lösungsmitteln stabilisiert geladene Teilchen (wichtig insbesondere bei kleinen Ionen). a) protische LM: Wasser, Methanol, Ethanol (Et–OH), Essigsäure (H3C–CO2H); b) polar aprotische LM: Aceton, Dimethylformamid, Acetonitril; Dimethylsulfoxid c) unpolar aprotische LM: Hexan, Toluol, Ether (Grenzfall), CH2Cl2, CHCl3. SN1-Reaktion wird durch sehr polare und/oder protische Lösungsmittel begünstigt: üblicherweise entstehen dabei die geladenen Zwischenprodukte [Carbokation (und Anion)] aus einer ungeladenen Vorläufer-Verbindung; SN2-Reaktion wird meist durch polare, aprotische Lösungsmittel begünstigt (z.B.: Aceton...), da häufig anionische Nukleophile (sonst) durch Solvatation stabilisiert (deaktiviert) werden. Organische Chemie I BK SS 2016 14. ALKENE Nomenklatur: Ethen (Ethylen) 1-Buten Cyclohexen cis-2-Buten trans-2-Buten cis-/trans-Nomenklatur bei zweifach vicinal substituierten Doppelbindungen; bei dreifach substituierten Doppelbindungen Z- / E- Nomenklatur: Z-1-Bromo-2-fluorpropen (Z = "zusammen") E-1-Bromo-2-fluorpropen (E = "entgegen") Cis-/trans-Isomere (oder Z-/E-Isomere) = "geometrische Isomere" ein Substituent hat höhere Priorität, wenn i) höhere Ordnungszahl: z.B.: O > N > C > H; ii) wenn höheres Atomgewicht (bei gleicher Ordnungszahl) z.B.: T > D > H; iii) Priorität in einer späteren Sphäre entscheiden, wenn nicht in einer früheren möglich; iv) dann: Doppelbindungen zählen wie 2 Einfachbindungen Dreifachbindungen zählen wie 3 Einfachbindungen Weitere Klassifizierung bei Dienen (und mehrfach ungesättigten Verbindungen): strukturbedingte (Nachbarschafts-)Beziehungen der Doppelbindungen: 1,3-Pentadien (Doppelbindungen sind konjugiert) 1,4-Pentadien (Doppelbindungen sind isoliert) 1,2-Pentadien (Doppelbindungen sind kumuliert) 92 Organische Chemie I BK SS 2016 93 14.1. Struktureigenschaften Die Kohlenstoffzentren von (C=C)-Doppelbindungen sind mit 3 Atomen umgebensp2-hybridisierte C's: eine qualitative MO-Beschreibung der (C=C)-Doppelbindung: KE * = () *-MO = : 1 (sp2(Ca) - sp2(Cb)) 2 () *,* antibindend (Knotenebene Bindungsachse) *-MO = KE a 2pz(C ) C a E C E b b 2pz(C ) sp2(Cb) sp2(Ca) , Koaxial-Überlappung (+) E>E -MO = = 1 (sp2(Ca) + sp2(Cb)) 2 (+) , Parallel-Überlappung , bindende MO's kein Vorzeichenwechsel entlang der (CC)-Bindungsachse -MO: (C=C)-Doppelbindung besteht nach dem ,-Modell aus einer -Bindung (mit rotationsinvarianter Koaxialüberlappung) und einer -Bindung (mit Torsionswinkel-abhängiger Parallelüberlappung) Organische Chemie I BK SS 2016 94 Parallelüberlappung an (C=C)-Doppelbindungen: Verdrillung um (C=C)-Doppelbindung kann zur vollständigen Aufhebung der "Parallelüberlappung" führen; bindendes und antibindendes werden zurückgeführt in zwei nichtbindende pOrbitale: -Bindung wird "gebrochen". Geometrische Konsequenzen für die Bindungsverhältnisse an (C=C)-Doppelbindungen in ungespannten Alkenen: - 4 Substituenten + Kohlenstoffe der (C=C)-Doppelbindung in einer Ebene; - keine cis-/trans-Isomerisierung an einer (C=C)-Doppelbindung (Energiebarriere ca. 250 kJ/mol a. Spannung in trans-Cycloalkenen mit kleinen Ringen: Cyclohexen = ein "cis-Alken": trans-Cyclohexen instabil ! trans-Cycloocten = kleinstes, bei Raumtemperatur stabiles trans-Cycloalken; chiral ! gespannt: razemisiert mit einer Aktivierungsbarriere von nur ca. 150 kJ/mol b. Instabilität von bicylischen (oligocyclischen) Molekülen, mit kleinen Ringen (n 7), in welchen Doppelbindung am Brückenkopf-Atom (Bredt'sche Regel). Organische Chemie I BK SS 2016 14.2. Herstellung von Alkenen Reduktion von Alkinen: Ester Pyrolyse (siehe Kapitel 17): Elimination von Wasser aus Alkoholen (siehe Kapitel 17): Elimination von Halogenwasserstoff aus Alkylhalogeniden (siehe Kapitel 17): Hofmann Elimination (siehe Kapitel 17): Cope Elimination (siehe Kapitel 17): (Kondensation mit Carbonylverbindungen): - Wittig Reaktion: - McMurry Reaktion: 95 Organische Chemie I BK SS 2016 96 15. ALKINE Kohlenwasserstoffe mit (CC)-Dreifachbindungen: z.B.: Ethin (Acetylen) Propin 2-Butin 15.1. Eigenschaften und Struktur C an (CC)-Dreifachbindung: mit nur zwei weiteren Atomen verknüpft sp-hybridisierte C-Atome, mit linearer Anordnung der Atome qualitative MO-Beschreibung der (CC)-Dreifachbindung -Modell Bananenbindungs-Modell Cyclooctin: existenzfähig, aber gespannt (88 kJ/mol, da nicht-lineare (CC)Dreifachbindung Spannung in Cycloheptin: Cyclodecin: 149 kJ/mol 42 kJ/mol Organische Chemie I BK SS 2016 ,-Modell für (CC)-Dreifachbindung in H * = 1 (sp2(Ca) - sp2(Cb)) 2 97 a C Cb H () KE *z a C C a 2pz 2py E *y KE 2pz 2py E Cb Cb sp sp z E (+) = 1 (sp2(Ca) + sp2(Cb)) 2 y eine (C C) -Dreifachbindung entspricht im (,)-Modell dem Vorliegen von besetzt, 1 -MO bindend 2 -MO's } 2 *-MO's unbesetzt, 1 *-MO }antibindend Analog zur Situation an der (C=C)-Doppelbindung, besteht die (CC)-Dreifachbindung nach dem ,-Modell aus einer -Bindung und von zwei -Bindungen. 15.2. Herstellung von Alkinen (zweifach-)Elimination von Halogenwasserstoff aus vicinalen Alkyl-dihalogeniden (oder von Alkenyl-halogeniden): Organische Chemie I BK SS 2016 98 15.3. Reaktionen von Alkinen a) terminale Alkine (z.B. Acetylen) sind "(C–H)-azide" Verbindungen pKa (HCCH) = 25 ! (C–H)-Bindung mit sp–C ! pKa (NH3) 40 Allgemein: Kohlenwasserstoffe sind sehr schwache Säuren (geben nur an äußerst starke Basen ein Proton ab), die Azidität des Kohlenwasserstoffes steigt mit dem sCharakter der betroffenen (C–H)-Bindung: pKa (Ethan: sp3–C) > pKa (Ethen: sp2–C) > pKa (Ethin: sp–C) > 50 ca. 44 = 25 als Konsequenz der höheren Stabilisierung des Anions (des nichtbindenden Elektronenpaares) mit höherem s-Charakter reversible Deprotonierung von Alkinen mit endständiger Dreifachbindung: b) Herstellung doppelt substituierter Alkine durch Substitutionsreaktionen: c) vollständige Hydrierung zu Alkanen: z.B.: Organische Chemie I BK SS 2016 d) partielle Hydrierung zu Alkenen: mittels deaktivierter Hydrierkatalysatoren cis - Alkene Lindlar Katalysator: katalysiert die Reduktion zum Alken, doch nicht die Weiterreduktion zum Alkan mittels Ein-Elektronen Reduktionsmitteln trans - Alkene 99 Organische Chemie I BK SS 2016 e) oxidative Kupplung von endständigen Alkinen: 1,3-Diine f) nicht oxidative Kupplung von Alkinen: Trimerisierung von Acetylen zu Benzol: Tetramerisierung von Acetylen zu Cyclooctatetraen: 100 Organische Chemie I BK SS 2016 101 16. ALLENE Allene sind 1,2-Diene, d.h. kumulierte Diene: z.B.: kumulierte (C=C)-Doppelbindungen gehen vom selben C-Atom aus geometrische Konsequenz: -Systeme stehen senkrecht zueinander, mittleres C-Atom sp-hybridisiert: Allene sind chiral, wenn an jedem sp2-hybridisierten C zwei unterschiedliche Substituenten (siehe oben). Organische Chemie I BK SS 2016 102 17. ELIMINATIONSREAKTIONEN Erzeugung von Molekülen mit Doppelbindungen unter Abspaltung von zwei vicinal (einfach) gebundenen Gruppen 17.1. E1-Eliminationsreaktionen Bei den E1- (und SN1-)Reaktionen entsteht zunächst ein Carbokation: mit einem planaren sp2-hybridisierten C mit leerem p-AO (Elektronenlücke); relevant für die Reaktionsgeschwindigkeit: Stabilität der Carbokationen Stabilitäts-Sequenz: tertiäres >> sekundäres > primäres > Methyl-Kation Carbokation Carbokation Carbokation Carbokationen sind sehr azide (leichte Deprotonierung an Positionen neben dem kationischen C-Zentrum): Organische Chemie I BK SS 2016 103 Carbokation durch Hyperkonjugation azidifiziert: aus (C–H)-Bindung wird Elektronendichte abgezogen, diese Gruppen werden azidifiziert; an solchen Kohlenstoffen in Carbokationen wird dann (thermodynamisch) leicht unter Bildung einer Doppelbindung deprotoniert. Carbokationen sind starke Säuren, Alkene – als ihre konjugaten Basen – sind sehr schwache Basen, die nur durch starke Säuren protoniert werden. Hyperkonjugation: Stabilisierung eines elektronen-defizienten Zentrums durch Wechselwirkungen (WW) mit -Bindungen; Die Stabilisierung der Elektronenlücke durch Alkylgruppen ist (damit) primär ein elektronischer Effekt. hier (bei der Hyperkonjugation im Carbokation) wechselwirkt leeres p-Orbital an C mit (C–H)-Bindungen. Die Stabilisierung ist optimal, wenn die WW-Partner (leeres p-Orbital und (C–H)Bindung) koplanar sind: Präferenz solcher Konformationen, für welche das leere p-Orbital an C mit einer (C–H)-Bindung in derselben Ebene ist. Eliminationsreaktionen, welche via Carbokation Zwischenprodukte laufen, deshalb nicht von der Konzentration der (potentiellen) Base(n) abhängig sind, zeigen Kinetik erster Ordnung, sind dann "E1-Reaktionen" E1-Reaktion: d[Olefin] = xo . k1 [Halogenid] dt und SN1-Reaktion: d[Ether] = xe . k1 [Halogenid] dt (xo + xe 1) Kinetik 1. Ordnung (RG ist unabhängig von der Konzentration einer allfällig vorhandenen Base) E1-Mechanismus: ein Carbeniumion-Mechanismus (s.o., bzw. früher für SN1Reaktionen) E1-Reaktionen und SN1-Reaktionen laufen parallel beide Reaktionskanäle werden schnell beschritten, wenn intermediär entstehendes Carbokation stabilisiert (primäre Carbokationen werden nur unter drastischen Reaktionsbedingungen gebildet); bei beiden muss die Abgangsgruppe genügend gut oder aktiviert sein. Organische Chemie I BK SS 2016 104 z.B.: E1-Elimination von Wasser aus Alkoholen zu Alkenen: 1. Frage der Regiochemie: Wo ist im Produkt die (C=C)-Doppelbindung ? 2. Die E1-Elimination benötigt eine Säure (und keine Base) (die RG ist meist [sogar] abhängig von der Konzentration der nötigen starken Säure !) H2SO4(cat.) = Schwefelsäure, die in "katalytischen" Mengen als Katalysator eingesetzt wird, aktiviert die schlechte Abgangsgruppe (durch Protonierung) Organische Chemie I BK SS 2016 105 Selektivitäten bei der Bildung von isomeren Olefinen bei der Herstellung durch Wasserabspaltung aus einem Alkohol: Regel von Saytzeff: Bei E1-Reaktionen ist das Hauptprodukt das höchstsubstituierte Olefin (d.h.: also das stabilste Olefin); Das Hauptprodukt dieser (E1-)Eliminationsreaktion ist das thermodynamisch stabilere – es ist das Produkt der thermodynamischen Kontrolle (der Reaktion). Säurekatalysierte Wasserabspaltung aus 2-Methyl-2-butanol (weniger symmetrischer t-Alhokol) Alken A mit trisubstituierter Doppelbindung stabiler (Hydrierwärme = –112.4 kJ/mol) Alken B mit zweifach substituierter Doppelbindung weniger stabil (Hydrierwärme = –120.8 kJ/mol) Organische Chemie I BK SS 2016 106 Unter den Bedingungen von E1-Reaktionen laufen häufig Gerüst-Umlagerungen ab: z.B.: Säure-aktivierte Abspaltung von Wasser aus einem primären Alkohol (der keine H's in der 2-Position trägt) 1,2-Alkylgruppenverschiebungen (Wagner-Meerwein-Umlagerungsreaktionen) Bemerkung: Bei E1-Reaktionen auftretende Carbokation-Intermediate und deren Umlagerungen führen of zu zunächst meist unerwarteten (Umlagerungs-) Produkten Organische Chemie I BK SS 2016 107 17.2. E2-Eliminationsreaktionen Bimolekulare Eliminationsreaktionen zu Olefinen. Drei mechanistische "Extrem"-Modelle bei der Bildung einer Doppelbindung via Elimination von Halogenwasserstoff: CarbeniumionMechanismus E1-Mechanismus begünstigt, wenn Carbokation stabilisiert SynchronMechanismus E2-Mechanismus CarbanionMechanismus seltener beobachtet, (aber begünstigt wenn Carbanion stabilisiert) Organische Chemie I BK SS 2016 108 E2-Mechanismus: eine 1,2-Elimination mit einem Synchron-Mechanismus: Kinetik 2. Ordnung (RG ist proportional der Konzentration der Base) k[M–1 • sec–1] = k2•[RO–]•[ Alkylhalogenid] E2: RG = _ d[Olefin] dt E2-Mechanismus: gleichzeitiges (synchrones) Geschehen: a) Deprotonierung am C b) Abdissoziation der Abgangsgruppe und c) dabei Ausbildung der (CC)-Doppelbindung. E2-Reaktionen und SN2-Reaktionen treten häufig parallel auf, da die eingesetzte Base i.a. auch die Wirkung eines Nukleophils hat: E2-Reaktion überwiegt, wenn "Base" wenig nukleophil ist SN2-Reaktion überwiegt, wenn "Nukleophil" wenig basisch ist. Für E2-Reaktion also, wenig nukleophile und trotzdem starke Basen einsetzen: z.B.: Organische Chemie I BK SS 2016 109 Die E2-Reaktion ist in der Synthese bei einer Eliminationsreaktion häufig der angestrebte Weg. E2-Reaktionen können durch die Anwendung von sehr starken (nicht nukleophilen) Basen erzwungen werden. Br E ÜZ(E2) ÜZ1(E1) ÜZ2(E1) CarbokationZwischenprodukt H Base im ÜZ lange Einfachbindungen und partiell ausgebildete Doppelbindungen E A (E 2) E A (E 1) R.K. (E 1) R.K. (E 2) Bemerkung: Bei E1-Reaktionen auftretende Carbokation-Intermediate führen oft zu Produktgemischen mit verschiedenen Lagen der Doppelbindungen und auch mit unterschiedlichem Gerüst. Zur Stereochemie der E2-Reaktion: Maximale Überlappung im ÜZ: koplanare Anordnung der (H–C)- und (C–Br)Bindungen. 2 Versionen, die sich experimentell unterscheiden lassen z.B.: (2S,3R)-2-Brom-3-methylpentan (Z)-3-Methylpent-2-en Organische Chemie I BK SS 2016 Br Substituenten S 2 H3C gestaffelt 3 CH3 CH2CH3 R H H3C H 2 S oder ? H O CH3 CH2CH3 3 R Br CH3 K 110 H CH3 CH3 CH3 H CH3 H3C CH2CH3 H3C CH2CH3 CH3 H Z H CH3 CH3 syn CH2CH3 H O K anti H3C Substituenten ekliptisch CH2CH3 E CH3 H3C CH3 Experimentell: Hauptprodukt ist hier das (thermodynamisch weniger günstige) ZOlefin, d.h. anti-Elimination ist rascher als die syn- Elimination, deshalb: bei möglicher Wahl deutliche Selektivität für Produktbildung via anti-Elimination Gründe: a) sterische: ÜZ (anti): weniger gespannt, Substituenten gestaffelt ÜZ (syn) : gespannter, Substituenten ekliptisch b) elektronische: ÜZ hat partiellen -Charakter dabei Überlappungsstärke der (C–H) und der (C–X) größer bei anti- als bei syn-Anordnung 17.3. Aminoverbindungen als Synthese-Vorläufer von Alkenen Alkene aus Trimethylammonium-Salzen: die Hofmann Elimination eine (trans)E2-Elimination (vgl. Herstellung von Trimethylammonium-Salzen: s. Kap. 16.4): O CH3 H3C CH2 CH2 CH N CH3 CH3 CH3J in H3C CH3 CH3 CH3 H3C CH2 CH2 CH N CH3 R.T. SN2 J CH3 I 1/2 Ag2O H2 O H3C CH2 CH2 CH CH2 Erhitzen,T > 100 °C H3C N CH3 CH3 H2O E2-Elimination 3 2 H3C CH2 CH CH CH3 4 H3C CH2 1CH CH 3 3 3 2 CH2 CH N CH3 {AgJ} CH3 HO Organische Chemie I BK SS 2016 111 Erklärung der Selektivität beim Eliminationsschritt (E2-Elimination, anti-Elimination) mittels Konformationsanalyse (Newman-Projektion): Hofmann-Abbau ist eine anti-Elimination Hofmann-Regel: weniger hoch substituiertes Alken ist Hauptprodukt des HofmannAbbaues von Tetraalkylammonium Hydroxiden Hofmann-Abbau hatte früher Bedeutung für die Strukturaufklärung komplexer, natürlicher Amine (insbes. "Alkaloide"): der Ort der Aminfunktionalisierung ließ sich mittels des Hofmann-Abbaues bestimmen. 17.4. Die intramolekulare Syn-Elimination bei möglicher (konformationeller) Wahl: deutliche Selektivität für Produktbildung via anti-Elimination. aber: bei intramolekularen Eliminations-Reaktionen, d.h. wenn "Base" und Abgangsgruppe" identisch sind, dann häufig nur syn-Elimination möglich. z.B.: Pyrolyse eines Acetates; intramolekulare 1,2-Eliminationsreaktion (Abspaltung von Essigsäure) Organische Chemie I BK SS 2016 Ein anderes Beispiel ist die: Aminoxidpyrolyse; 1. Cope-Elimination von Trialkylaminoxiden: a) Herstellung von Trialkylaminoxiden b) Cope-Elimination (ebenfalls eine syn-Elimination) Konformationsanalyse (mittels Newman Projektion): 112 Organische Chemie I BK SS 2016 113 18. ADDITIONSREAKTIONEN Formal: Umkehrung der Eliminationsreaktion, d.h.: Mehrfachbindungen verschwinden, Zahl der Einfachbindungen nimmt zu Dabei können prinzipiell stereo- und konstitutions-isomere Additionsprodukte auftreten: 18.1. Hydrierung zu Alkanen mittels H2 (benötigt einen Katalysator, damit die Hydrierung bei R.T. innerhalb Stunden/Tagen abläuft): Metallkatalysierte Addition von H2 an einer Seite der (C=C)-Doppelbindung syn (cis) Addition von H2. Kat.: heterogener Katalysator: Pt, Pd, Ni, Pd auf Kohle; homogener Katalysator: Übergangsmetall-Komplexe, z.B. Wilkinson-Kat. (RhIKomplex) Hydrierwärmen geben Auskunft über die (relative) Stabilität von Alkenen: z.B.: typische Hydrierwärme in relativ angespannten Alkenen: ~ 120 kJ/mol Stabilität von Alkenen: endständige < cis-disubstituierte < trans-disubstituierte * < trisubstituierte * (* wenn Substituenten nicht allzu sperrig) Organische Chemie I BK SS 2016 114 18.2. Polare (ionische) Additionsreaktionen Alkylsubstituierte (C=C)-Doppelbindungen reagieren als schwache Nukleophile (und als schwache Basen: pKa (Carbeniumionen) ca. –10 !). Additionsreaktionen an die (nukleophilen) (C=C)-Doppelbindungen meist durch ein Elektrophil (z.B. durch eine Säure) induziert, wie z.B.: säurekatalysierte Wasseranlagerung (Wasseraddition, Hydratation) an ein Olefin; dient als Methode zur Herstellung tertiärer Alkohole (keine basen-katalysierte Wasseranlagerung an unaktivierte (C=C)-Doppelbindungen !). Alkene und entsprechende (durch H2O-Addition daraus entstehende) Alkohole sind auf demselben Oxidationsniveau. ähnliche Regioselektivität bei Hydrobromierung Selektivität der Produktbildung: (Regioselektivität) bei der Additionsreaktion ist kinetisch bedingt (und durch den Reaktionsmechanismus bestimmt). Organische Chemie I BK SS 2016 115 zur Regio-Selektivität der säurekatalysierten Wasseranlagerung: pk2 << pk1: als konjugate Säure des Olefins sind primäre Carbokationen wesentlich azider als tertiäre Carbokationen: in saurem Milieu führt die Protonierung zum höher substituierten (tertiären) Carbokation Regel von Markownikow: bei der säurekatalysierten Addition an eine (C=C)-Doppelbindung wird das Proton an das weniger (alkyl)substituierte C angelagert. leichter protonierbares ("basischeres", nukleophileres) Ende der Doppelbindung stabileres Carbenium-Ion. nukleophile Reaktivität von (C=C)-Bindungen ist abhängig von der Art der Substituenten: z.B.: R = CN COOR' Halogen H Alkylgruppe O–CH3 (ein Enolether) N(CH3)2 (ein Enamin) Akzeptoren Donoren Organische Chemie I BK SS 2016 116 vgl. Enamin: Zur Regioselektivität der säurekatalysierten Wasseranlagerung: Synthese eines primären Alkohols aus Alken möglich ? z.B.: ist formal eine Wasseranlagerung an eine (C=C)-Doppelbindung im "anti-Markownikow-Sinn" Die direkte (säurekatalysierte) Wasseranlagerung an (C=C)-Doppelbindungen findet im "anti-Markownikow-Sinn" nicht statt. Organische Chemie I BK SS 2016 117 Ein primärer Alkohol kann aus einem Alken aber (indirekt) durch die aufwendigere Reaktions-Sequenz Hydroborierung/Peroxid-Oxidation erzielt werden. Zu Hydroborierung / Peroxid-Oxidation Organische Chemie I BK SS 2016 118 mechanistische Deutung der: a) Hydroborierungsreaktion -Bindung besetztes -MO H3C C CH2 H3C H H3C H3C intramolekularer Hydrid-Transfer: syn-Addition von H und BH2-Rest C CH2 H3C H3C H B H in THF B H H H O + C CH2 H B H H leeres p-AO in THF CH3 H C CH3 CH3 R B R R CH3 H3C C CH2 B CH2 CH2 C CH3 H O H 2 H3C H3C THF CH3 C CH2 H3C C CH2 H B O H H Trialkylboran: H -Übertragung ans höher substituierte Ende der (C=C)-Doppelbindung; Bor-Rest am geringer substituierten Ende der Doppelbindung b) Peroxidoxidation R B R R Peroxidanion ist ein gutes Nukleophil O O H / NaOH Na Trialkylboran (elektrophil am B) 3 Na OOH H H O O H H O O R O O R B R R -OH 3 Na OH R R O R analog B O O O Na O B H R O R R O O H Die Peroxidbindung hat eine kleine BDE. Sie wird daher leicht heterolytisch oder homolytisch gespalten. O B R R R N aO H 3 R O H + N a B o rat 3 H 3C H 3C H OH C C H2 R= H3C H3C H C CH2 Organische Chemie I BK SS 2016 119 18.3. Halogenierung von Olefinen (vor allem: Bromierung Addition von Br2) Die Bromierung einer (C=C)-Doppelbindung ergibt ein 1,2-Dibromid durch trans1,2-Addition: Die Addition von Br2 an die (C=C)-Doppelbindung ist stereospezifisch anti (trans) durch eine mechanistisch bedingte, stereochemische Kontrolle: mechanistische Deutung der Brom Addition: Brom Addition ist stereospezifisch trans-antiplanar (stereochemischer Verlauf ist durch den Mechanismus bedingt) a) kationisches Bromonium-Zwischenprodukt; in diesem ist die (*C–*C)-Bindung nicht frei drehbar. – b) Br öffnet das cyclische Bromonium-Ion durch SN2-artigen Rückseitenangriff auf – eine (der beiden) (C–Br+)-Bindungen: (koplanare Anordnung Br –C–C–Br+ damit maximale Orbitalüberlappung) Selektivität für antiplanare Anordnung Organische Chemie I BK SS 2016 120 Addition = trans antiplanar ! Produktstabilität nicht entscheidend für die Selektivität bei der Produktbildung kinetische Kontrolle der Produktbildung Halogenierung von Alkenen als synthetische Methode: Chlorierung z.B.: deutlich exotherm ! (H0 146 kJ/mol) schlechter kontrollierbar als Bromierung nur in seltenen Fällen als Synthesemethode verwendet Organische Chemie I BK SS 2016 121 Bromierung: thermodynamisch günstig, nur weniger exotherm: H0 –(90-110) kJ/mol Reaktion vollständig wird deshalb nicht nur für synthetische Zwecke sondern auch für kalorimetrische Zwecke verwendet: zur Bestimmung von Reaktionswärmen Jodierung: thermodynamisch ungünstig: Herstellung von -Hydroxy- bzw. von -Alkoxy-Alkylbromiden mechanistische Deutung der Regioselektivität der Bildung von -Hydroxy (Alkoxy)-alkylbromiden: unsymmetrisches cyclisches Bromoniumion Bindung b (zum höher substituierten C) schwächer (und länger) als Bindung a; Nukleophil (Nu ) greift selektiv am höher substituierten C an (unter Bruch der Bindung b) Organische Chemie I BK SS 2016 122 18.4. Epoxidierung von Olefinen Oxidation von Olefinen mit Persäuren (insbesondere mit m-Chlorperbenzoesäure) Epoxide sind cyclische Äther, die jedoch wegen der 3-Ringspannung hochreaktiv sind und ihre (C–O)-Bindung leicht heterolytisch spalten lassen. Epoxidierung mit Persäuren ist eine "cis"-Addition von Sauerstoff an eine (C=C)Doppelbindung : z.B.: Bildung von Epoxiden durch Persäure-Oxidation von Olefinen: Addition (von "O") unter Bildung eines Ringes = "Cycloaddition" Organische Chemie I BK SS 2016 123 19. CARBONYLVERBINDUNGEN - ALDEHYDE UND KETONE O Aldehyde: R C H Carbonyl C trägt (mindestens) ein H z.B.: Formaldehyd (Methanal) Acetaldehyd (Ethanal) Benzaldehyd: Retinal O Ketone: R C Carbonyl trägt zwei weitere C's R' (von Alkyl, Aryl-Gruppen) z.B.: Aceton (2-Oxopropan, Dimethylketon): Acetophenon (Methyl-phenyl-keton): 19.1. Über die (C=O)-Funktion Aldehyde und Ketone enthalten Carbonyl-Funktionen: polare (C=O)-Bindung positiv polarisiert am C negativ polarisiert am O Elektronenstruktur der (C=O)-Doppelbindung: ähnliche MO-Beschreibung wie die Elektronenstruktur der (C=C)-Doppelbindung: - & -MOs Organische Chemie I BK SS 2016 124 eine einfache MO-Beschreibung der (C=O)-Doppelbindung: * antibindend leer () Kombination * KE = Knotenebene = *CO zur Bindung KE ()-Komb. C O KE 2pz(C) 2pz(O) sp2(C) sp2(O) nicht bindende EP's an O (+)-Komb. C O xy-Ebene = Knoten für p-AO's doppelt bindend besetzt O elektronegativer als C CO (+) - Kombination C - und - Elektronen präferentiell am O (also von C abgezogen) O CO tiefer als CO tiefer als *CO tiefer als *CO Die Reaktivitätsmerkmale der (C=O)-Doppelbindung: Elektronenmangel am C elektrophiles Zentrum Anhäufung an Elektronendichte am O (schwach) nukleophiles Zentrum elektrophile Zentren reagieren präferentiell mit Nukleophilen nukleophile Zentren reagieren präferentiell mit Elektrophilen Aldehyde und Ketone reagieren mit Elektrophilen (wenn überhaupt) an ihrem mäßig nukleophilen O, mit Nukleophilen an ihrem ausgesprochen elektrophilen C. Organische Chemie I BK SS 2016 125 19.2. Reaktionen von Carbonylverbindungen mit O-Nukleophilen: Hydratation (= Addition von Wasser) von Carbonylverbindungen. Isotopenmarkierung zum Nachweis des Austausches des Carbonyl-O mit O aus Wasser Hydratisierung "schnell" wenn durch OH– oder H3O+ katalysiert; "langsamer", wenn in reinem Wasser (pH 7) (siehe später) Die Gleichgewichtslage der Hydratation der Carbonylverbindungen in Wasser Sie ist auf charakteristische Weise und deutlich von der Struktur abhängig: Keton (z.B. Aceton): Aldehyde (z.B. Acetaldehyd): Formaldehyd: Organische Chemie I BK SS 2016 126 Aldehyde haben (in der Regel) elektrophilere Carbonylgruppen als Ketone; erklärbar als Konsequenz der Donorwirkung der Alkylgruppen, vgl. Carbenium-Ionen stabile Hydrate bei Aldehyden und bei Ketonen, wenn starke ElektronenakzeptorSubstituenten: vgl. Chloral (Trichloracetaldehyd): Ninhydrin, das Hydrat von Indan-trion: Addition von Alkoholen an Carbonylverbindungen: gibt analog sog. Halbacetale, bzw. Acetale Organische Chemie I BK SS 2016 127 Basenkatalysierte Addition von Alkoholen (Bildung von Halbacetalen): basenkatalysierte Addition eines Alkohols an das Aldehyd-Carbonyl (keine basenkatalysierte Weiterreaktion zu einem Acetal !) Halbacetale gehen leicht (reversibel) in ihre Aldehyd- (Keton-) Form über. Acetal bildet sich nicht unter Basenkatalyse ! Säurekatalysierte Addition von Alkoholen: Halbacetale, Acetale (und Ketale), etc.: Acetale können unter Säurekatalyse gebildet und/oder gespalten (hydrolysiert) werden. Organische Chemie I BK SS 2016 128 cyclische (Halb)Acetale durch intramolekulare Reaktion: cyclische Acetale via cyclische Halbacetale durch weitere, säurekatalysierte intermolekulare Reaktion mit einem (externen) Alkohol Analog: Bildung von cyclischen Acetalen (Ketalen) durch säurekatalysierte Reaktion mit 1,2-Diolen (vic. Diolen) → 5-Ringbildung (bzw. mit 1,3-Diolen → 6-Ringbildung) damit Acetalisierung (Ketalisierung) vollständig, muss das bei der Reaktion entstehende Wasser entfernt werden (durch azeotrope Destillation, durch Molekularsieb, etc.) Acetale (Ketale) sind gegenüber Basen stabil, werden deshalb als "Schutzgruppen" von Carbonylfunktionen für Reaktionen unter basischen Bedingungen eingesetzt. Organische Chemie I BK SS 2016 Oligomerisierung von Aldehyden: z.B.: Formaldehyd: Formalin: wässerige Lösung von Formaldehyd (= Desinfektionsmittel); Formaldehyd ist cancerogen 19.3. Reaktionen von Carbonylverbindungen mit H-Nukleophilen: Hydrid-Additionen an Carbonyl-Funktionen ergeben Reduktions-Reaktionen: Hydridreduktionen: H = Proton = Elektrophil, Säure H– = Hydrid = Nukleophil, Base H● = Wasserstoffatom z.B.: Reduktion mittels Natriumborhydrid: (reagiert mit Aldehyden und Ketonen, nicht aber mit Carbonsäure-Estern): 129 Organische Chemie I BK SS 2016 130 Mechanismus der Borhydrid-Reduktion von Acetaldehyd zu Ethanol: Nachweise der Hydridübertragung in der Natrium-Borhydrid Reduktion mittels DIsotopen formal: H–H-Addition an (C=O)-Bindung = Hydrid-Addition und Protonierung Organische Chemie I BK SS 2016 131 Reduktion mittels Lithiumaluminiumhydrid: stärkeres Reduktionsmittel als NaBH4, z.B.: sterisch stark behinderte Ketonfunktionen werden zu sekundären Alkoholen reduziert: Hydrid-Reduktion von Hydrid-Reduktion von Aldehyden primäre Alkohole Ketonen sekundäre Alkohole komplexe Metallhydride (wichtige Hydrid-Reagenzien) Me AlH4 Me BH4 AlH4 BH4 – – – (ein Aluminium-Hydrid): (ein Borhydrid): primär nukleophil reagierend; Me : Li , Na isoelektronisch mit SiH4 isoelektronisch mit CH4 LiAlH4 : starke Base (+ Nukleophil): reagiert unter H2-Entwicklung mit protischen LM deshalb als LM nur aprotische LM verwenden, wie Ether, THF und Ähnliches; NaBH4 : (weniger starke) Base (+Nukleophil): reagiert (langsam) mit wenig aciden, protischen LM, d.h. neben Ethern sind Ethanol und ähnliche LM (auch noch) brauchbar BH3 ( B2H6) elektrophil reagierend (Lewissäure und Hydridreagenz) dimerisiert zu Diboran (B2H6) oder komplexiert mit nukleophilen LM (Ethern) BH3 = isoelektronisch mit CH3 Organische Chemie I BK SS 2016 132 einfache Metallhydride: z.B.: Na–H : starke Basen: Achtung: sehr schnell, eventuell unter "Verpuffung" NaH ist starke Base (aber wenig nukleophil), deprotoniert sogar am C von "(C–H)aziden" Verbindungen, ohne diese zu reduzieren: z.B.: NaH reagiert nicht als Hydrid-Nukleophil Sekundäre Alkohol(at)e als Hydrid-Donoren: Sekundäre Alkohol(at)e können (nur bei entsprechender Katalyse) Hydrid-Donoren sein; z.B.: Hydrid-Reduktion mittels Isopropanol(at): die Meerwein-Ponndorf Reduktion (Umkehr der Oppenauer-Oxidation) Nachweise der Hydridübertragung in der Meerwein-Ponndorf Reduktion (oder der Oppenauer-Oxidation) mittels D-Isotopen: Organische Chemie I BK SS 2016 133 19.4. Reaktionen von Carbonylverbindungen mit C-Nukleophilen: wichtigste C-Nukleophile (anionische C-Nukleophile): - Cyanide, Acetylide, etc. - organometallische Verbindungen - Anionen von Carbonylverbindungen: Enolate, etc. Enamine als "neutrale" C-Nukleophile Addition von HCN (Blausäure) an Aldehyde (Ketone) Cyanhydrine z.B.: HCN: sehr giftig, flüchtig, farblos Für die praktische HCN-Addition: Verwendung von Cyanid-Salzen und Säuren (z.B.: NaCN und Essigsäure) Addition eines Acetylides an ein Keton tertiärer Alkohol Organische Chemie I BK SS 2016 134 Organometallische Verbindungen als C-Nukleophile: insbes. Alkyllithium und Alkylmagnesium Verbindungen Herstellung Alkylmagnesiumhalogenide: Grignard Verbindungen (in Lösung nicht monomer) Alkyllithium und Alkylmagnesium Verbindungen sind metall-stabilisierte Carbanionen: Alkyllithium und Alkylmagnesium Verbindungen sind sehr starke Nukleophile und sehr starke Basen (reagieren "augenblicklich" mit Wasser): Organische Chemie I BK SS 2016 135 Reaktionen von Alkylmagnesium Derivaten (Grignard Reagenzien) mit Aldehyden (Ketonen) gibt komplexere sekundäre (tertiäre) Alkohole mit neuen (C–C)Bindungen z.B.: Organische Chemie I BK SS 2016 136 19.5. Herstellung von Aldehyden und Ketonen i) Edukt = Verbindung mit Sauerstoff-Funktion am Ort der neu zu erzeugenden Carbonyl-Funktion: A. Reduktion von Carbonsäurederivaten (später, bei den Carbonsäurederivaten) B. Oxidation von Alkoholen Chromoxid- bzw. Chromsäureoxidation z.B.: mit Chromtrioxid in Schwefelsäure (= Jones - Reagens) Chromsäureoxidation führt sekundäre Alkohole in guten Ausbeuten in Ketone über. Mechanismus: Organische Chemie I BK SS 2016 137 übliche Chromatoxidation nicht geeignet für die selektive Herstellung von Aldehyden aus primären Alkoholen: Weiteroxidation zu Carbonsäuren eine wichtige Nebenreaktion (insbesondere bei Verfügbarkeit von Wasser): Oxidation von primären Alkoholen zu Carbonsäuren ist eine wichtige Methode zur Herstellung von Carbonsäuren (siehe Kapitel 20.2.) Herstellung von Aldehyden aus primären Alkoholen unter milden Oxidationsbedingungen mit Chromtrioxid in Pyridin (Collins-Reagenz) bzw. mit PyridiniumChlorochromat (PCC) z.B.: Organische Chemie I BK SS 2016 Oxidation nach Oppenauer (Umkehr der Meerwein-Ponndorf Reduktion): z.B.: Mechanismus: 138 Organische Chemie I BK SS 2016 ii) Edukt ist ein (ungesättigter) Kohlenwasserstoff – ein Alkin: A. Hydratation von Alkinen: Entspricht einer Addition von Wasser nach "Markownikow" z.B.: mit Katalyse durch Quecksilbersalze: Addition von Wasser im "anti-Markownikow" Sinn durch Boranreduktion und Peroxidoxidation Addition von Wasser an Alkine im "anti-Markownikow" Sinn (durch Boranreduktion und Peroxidoxidation) 139 Organische Chemie I BK SS 2016 140 B. Oxidative Spaltung von Alkenen a) durch Ozonolyse = Abbau durch Reaktion mit Ozon (O3) z.B.: Mechanismus (später, OCII, perizyklische Reaktionen) b) Oxidative Spaltung von Enaminen und Enolen mit Singulett Sauerstoff (1O2) für molekularen Sauerstoff: 3 1 O2 = Grundzustand O2 = elektronisch angeregter Zustand Mechanismus (später, OCII, perizyklische Reaktionen) Beachte: bei Enolethern & Enaminen führt die Reaktion mit 1O2 zur oxidativen Spaltung; bei vielen Alkenen gibt es daneben wichtige Nebenreaktionen, d.h. Umsetzung mit 1O2 ist dann ungeeignet zur gezielten Herstellung bestimmter Carbonylverbindungen Organische Chemie I BK SS 2016 20. CARBONSÄUREN UND CARBONSÄUREESTER Ameisensäure (Methansäure): Essigsäure (Ethansäure, Methylcarbonsäure): Benzoesäure (Phenylcarbonsäure): Struktur in Lösung: 20.1. Säure - Basen – Eigenschaften von Carbonsäuren Carbonsäuren sind rel. starke Säuren: pKa-Werte widerspiegeln die Stabilisierungsmöglichkeiten für das CarbonsäureAnion (Carboxylat-Anion) relativ zur Carbonsäure selbst: Strukturelle Faktoren, welche die Azidität von Carbonsäuren (mit)bestimmen: Vergleich mit einem Alkohol Konjugative Stabilisierung der Carbonsäure-Funktion erhöht ihre Azidität: 141 Organische Chemie I BK SS 2016 142 Induktive Effekte von Nachbargruppen (Beispiele): ein relevanter Beitrag: Stabilisierung des Carboxylat-Anions durch induktive Effekte daneben: wichtiger Einfluss der Solvatation auf die Azidität (z.B. in H2O ist eine Carbonsäure azider als in einem weniger polaren Lösungsmittel) Einige wichtige difunktionelle Di-Carbonsäuren: Oxalsäure: Malonsäure: Bernsteinsäure: Carbonsäuren können von sehr starken Säuren (nochmals) protoniert werden: (nochmals) protonierte Carbonsäuren sind dann selbst sehr starke Säuren. Organische Chemie I BK SS 2016 143 20.2. Herstellung von Carbonsäuren Allgemeine Methoden: a) Hydrolytische Umwandlungen anderer Carbonsäure-Derivate (Ester, Amide, Nitrile, etc. später) b) Oxidation von primären Alkoholen und von Aldehyden (vgl. frühere Kapitel) O verd. H2SO4 VI 3 R CH2 OH + 4 Cr O3 + 2 Cr2IIIO3 3 R C (nach Jones) OH O R CH2 VI O Cr OH O O R CH O H2O CrIV OH + HO OH R CH OH OH R CH O O VI O Cr OH R C OH O c) Oxidation eines primären Alkohols mit Permanganat: (etc.) Organische Chemie I BK SS 2016 144 d) Reaktion von Grignardverbindungen mit Kohlendioxid: nukleophile Addition der organometallischen Grignardverbdg. an das elektrophile C von CO2 z.B. gute Methode der Herstellung (kleiner Mengen) von isotopenmarkierten Carbonsäurederivaten mittels isotopenmarkiertem CO2 e) Cannizarro-Reaktion: Disproportionierung eines Aldehydes in einen Alkohol (Red.) und eine Carbonsäure (Oxid.) f) Benzilsäure-Umlagerung (eine intramolek. Disproportionierung): Organische Chemie I BK SS 2016 145 20.3. Reaktionen von Carbonsäuren (Herstellung von Estern) i) Esterherstellung durch säurekatalysierte Veresterung einer Carbonsäure mit einem Alkohol (einfache Methode der Herstellung von Carbonsäureestern): Substitution durch Additions- & Eliminations-Reaktionen, die dank gleichzeitigem Vorhandensein einer potentiellen Abgangsgruppe möglich sind; dabei: i) Schwefelsäure als Katalysator: elektrophile Reaktivität am Carboxyl-C wird durch Protonierung am O noch verstärkt (siehe folgende mechanistische Analyse) ii) säurekatalysierte Veresterung ist reversibel deshalb: Nebenprodukt Wasser eventuell durch geeignete Methode aus dem Gleichgewicht entfernen Die säurekatalysierte Veresterung einer Carbonsäure mit einem Alkohol mechanistische Vorstellungen: Organische Chemie I BK SS 2016 146 Reaktionen von Carbonsäure-estern: (diese sind deutlich elektrophiler am Carbonyl-C als an Carboxylationen): – Carbonsäure-ester reagieren mit (schwachen) Nukleophilen (wie z.B.: OH ): – Reaktion mit OH gibt baseninduzierte Verseifung: aber keine basenkatalysierte Veresterung von Carbonsäuren Carboxylat-ion wird sofort durch die Base aus der Carbonsäure gebildet und hat ein nur sehr schwach elektrophiles Carboxyl-C! Umesterung von Carbonsäureestern mit Alkoholen a) säurekatalysiert (Mechanismus ähnlich der Veresterung selbst) b) basenkatalysiert (benötigt wasserfreien Alkohol, sonst "Verseifung") Die Umesterung von Carbonsäureestern kann säure- oder basen-katalysiert erzielt werden; meist (speziell in letzterem Fall) in wasserfreiem Alkohol (als Lösungsmittel) durchgeführt Organische Chemie I BK SS 2016 147 Herstellung von Carbonsäure-Estern durch nukleophile Substitution am Carboxylat-O Alkylierung am O der Carboxylat-Funktion ergibt einfache Carbonsäure-(methyl)ester Rückreaktion: Spaltung von Carbonsäureestern mittels nukleophiler Reagenzien: Herstellung von Methylestern durch Reaktion von Carbonsäuren mit Diazomethan Methyldiazonium-Ion Alkyldiazonium-Ionen: sehr starke und wenig selektive Alkylierungsmittel Organische Chemie I BK SS 2016 148 Lactone ("cyclische" Ester): intramolekulare Esterbildung durch "konventionelle" Veresterung: Lactonbildung nur bei spannungsarmen 5-Ring oder 6-Ring-Lactonen (- oder -Lactone) thermodynamisch günstig 3- & 4-Ring Lactone sind hochreaktiv, bilden sich nur aus aktivierten Vorläufern Orthoester: z.B.: lassen sich nicht durch Veresterung von Carbonsäuren herstellen !(siehe später) Organische Chemie I BK SS 2016 149 20.4. Reaktionen der Carbonsäurederivate mit Hydrid-Reduktionsmitteln a) Hydridreduktion von Carbonsäureestern: Carbonsäureester werden mit LiAlH4 "direkt" zum primären Alkohol reduziert (reagieren aber unter üblichen Bedingungen nicht mit NaBH4): z.B.: direkte Herstellung von Aldehyden (aus Carbonsäure-Estern) ist mit Lithiumaluminiumhydrid nicht mit akzeptabler Selektivität erzielbar (Schritt 2 der Hydridreduktion schneller als Schritt 1) mechanistisch ähnlich: Reduktion von Carbonsäuren (s.u.), dabei aber zunächst H2Entwicklung - damit auch höherer Bedarf an LiAlH4 Organische Chemie I BK SS 2016 b) Carbonsäuren werden durch LiAlH4 zu einem primären Alkohol reduziert: Carbonsäuren sind aber resistent gegenüber Natrium-Borhydrid-Reduktion (werden von Borhydrid unter H2-Entwicklung zum Carboxylat deprotoniert): 150 Organische Chemie I BK SS 2016 151 Carbonsäureester können mit Diisobutylaluminiumhydrid (DIBAH) zum Aldehyd reduziert werden (eine gängige Methode zur Herstellung von Aldehyden) z.B.: mechanistische Deutung: Organische Chemie I BK SS 2016 20.5. Reaktionen von Carbonsäureestern mit C-Nukleophilen Reaktionen mit organometallischen Reagenzien: i) Carbonsäure-ester ii) Reaktionen mit Carbonsäuren 152 Organische Chemie I BK SS 2016 153 20.6. Oxidative Decarboxylierungen von Carbonsäuren Einfache (nicht-aktivierte) Carbonsäuren sind bei R.T. stabil; bei sehr hohen Temperaturen (oder bei geeigneter Katalyse) können sie ihre CO2-Funktion verlieren (sie decarboxylieren)! z.B.: Essigsäure: Ho = –35 kJ/mol aber H* = 260 kJ/mol umgekehrt: leichte Carboxylierung von Grignard-Reagenzien (vgl. Kap. 20.2) a) Decarboxylierung von Carbonsäuren kann durch Oxidation induziert werden (Kolbe Reaktion) b) Hunsdiecker-Reaktion Organische Chemie I BK SS 2016 c) moderne Variante der Hunsdieker-Reaktion: Barton/Hunsdieker-Reaktion: 154 Organische Chemie I BK SS 2016 20.7. Persäuren und Diacyl-Peroxide: Peroxycarbonsäuren (Oxygenierungsmittel): z.B.: Peressigsäure meta-Chlor-perbenzoesäure wichtige Reaktionen mit Percarbonsäuren: Bildung von Epoxiden aus Alkenen: stereospezifische cis-Addition von "O" (vgl. Kapitel: Additionsreaktionen) 155 Organische Chemie I BK SS 2016 Diacyl-peroxide: z.B.: Dibenzoyl-Peroxid Herstellung von Dibenzoyl-Peroxid: Diacyl-Peroxide als Radikalstarter (zum Starten von Radikalreaktionen) z.B.: Thermolyse von Dibenzoyl-Peroxid 156 Organische Chemie I BK SS 2016 157 20.8. Die Baeyer-Villiger Oxidation: Ester (oder Lactone) aus Ketonen oder von Carbonsäuren aus Aldehyden: Heptanal (Aledehyd) + Peressigsäure Cyclohexanon + Peressigsäure Heptansäure + Essigsäure Caprolacton + Essigsäure Zur Selektivität der Baeyer-Villiger Oxidation: synchrone Wanderung einer Alkylgruppe (1,2-Umlagerung) und Spaltung (heterolytisch) der (schwachen) (O–O)-Bindung Wanderung unter Retention der Konfiguration an R'(R) R' = Alkyl, Aryl: Alkylgruppen (Arylgruppen)-Wanderung; H(Hydridwanderung) Wanderungstendenz abhängig von der Struktur von R, R': H >> tertiäre Alkylgruppe > sek. Alkylgruppe Phenylgruppe > prim. Alkylgruppe (Wanderungstendenz geht parallel der Tendenz ein Kation zu stabilisieren) Organische Chemie I BK SS 2016 158 21. ENOLE & ENOLATE Aldehyde und Ketone sind "C-H-azide" Verbindungen: sie lassen sich durch sehr starke Basen am Kohlenstoff direkt neben der Carbonylgruppe (am sog. C) deprotonieren: Vergleich der Aziditäten (pKa-Vergleich) von Aldehyd(en), Keton(en) und von Ethan: 1) die Carbonylgruppe erhöht die Azidität am C um ca. 1030 mal 2) Ketone sind (üblicherweise) weniger azide (Deprotonierung am C) als Aldehyde (Carbonylgruppen von Aldehyden sind stärker elektrophil) Vergleich der Azidität (& anderer Reaktivitäts-Eigenschaften) der CarbonsäureFunktion mit jener der Aldehyd Funktion Modifikation der Reaktivität der Carbonsäurefunktion durch (vorgelagerte) SäureBasen Reaktionen Generell: Protonierung erhöht Elektrophilie, reduziert Nukleophilie Deprotonierung umgekehrt (sie erhöht die Nukleophilie, reduziert die Elektrophilie) Organische Chemie I BK SS 2016 159 21.1. Säure/Basen Eigenschaften von Carbonylverbindungen (Enolate und Enole): i) Die Deprotonierung neben dem Carbonyl gibt ein Enolat: Carbonylverbindungen sind "(C–H)-azide" Verbindungen, da ihre Deprotonierung am C zu einem stabilisierten (Enolat-) Anion, führt; Die Nachbarschaft des elektrophilen C's der Carbonylgruppe stabilisiert via pKonjugation das carbanion-oide Zentrum und erhöht dadurch die Bereitschaft der Carbonylverbindung am C ein Proton abzugeben (d.h.: die Azidität der CarbonylVerbindung wird - im Vergleich zu einem Kohlenwasserstoff - erhöht) Die Carbonylgruppe ist ein "(-)Elektronenakzeptor" Das Verhalten der Carbonylgruppe als ein "(-)-Elektronenakzeptor" setzt (für die Akzeptorwirkung) die Möglichkeit der -Delokalisation voraus: dann partieller Doppelbindungscharakter der (C-Carbonyl)-Bindung im Anion dieses ist ein "Enolat", mit planarem "Alken-Teil" Möglichkeit der Regio-Selektivität der Enolat-Bildung in unsymmetrisch substituierten Carbonyl-Verbindungen; z.B.: Deprotonierung am Brückenkopf-Kohlenstoff (C-1) ergäbe stark verdrillte EnolatDoppelbindung (vgl. Kapitel 13, Alkene). Organische Chemie I BK SS 2016 160 21.2. Carbonyl- & Enol-Formen von Carbonylverbindungen sind spezielle Isomere: "Tautomere" Carbonyl- und Enol-Formen sind tautomere Formen der Carbonylverbindung Tautomere: sind Isomere, die durch rasche Verschiebung eines Protons (und meist) einer Doppelbindung und unter Beteiligung von Heteroatomen ineinander übergeführt werden; Das Carbonyl-Enol-Gleichgewicht ist ein "Tautomeren"-Gleichgewicht Carbonylform im Normalfall stabiler als Enolform ! (Ausnahmen: s. OC-II ff. !) Die Tautomerisierung von Carbonylverbindungen ist Säure- oder Basen-katalysiert: Carbonylformen der meisten Ketone noch besser stabilisiert als solche der Aldehyde (vgl.: Ketone sind auch weniger elektrophil) Organische Chemie I BK SS 2016 161 21.3. Enolate als C-Nukleophile Enolat: ambidentes Nukleophil (nukleophil am C und O) Enolate reagieren mit ("weichen") Alkylhalogeniden präferentiell als C-Nukleophil: (wichtige Reaktionen: dabei entstehen neue (C–C)-Bindungen und neue GerüstStrukturen) nukleophile Substitution an Allylhalogeniden sowohl nach SN2 als auch nach SN2' (gibt hier zufälligerweise dasselbe Produkt) Enolate reagieren mit "harten" Alkylierungsmitteln am O z.B.: Enolate reagieren mit dem Trimethyloxonium-Ion am O Trimethyloxonium-Tetrafluoroborat: ein sogenanntes "Meerwein-Salz", ein "hartes" Alkylierung-(Methylierungs-)Mittel Organische Chemie I BK SS 2016 162 Häufig auftretendes Problem bei der Verwendung von Enolaten für die Synthese: mangelnde Kontrolle und unselektive Mehrfachalkylierung z.B.: da unselektive Weiteralkylierung noch Enolat-Equilibrierung Organische Chemie I BK SS 2016 21.4. Speziellere Reaktionen von (mit) Enolen und Enolaten: a) Halogenierung von Enolaten (die Haloform-Reaktion): b) Monohalogenierung von Ketonen in saurem Medium (Variante der Haloformreaktion, siehe Kapitel Carbonsäuren) 163 Organische Chemie I BK SS 2016 164 c) Metall-Reduktionen von Carbonsäure-Estern Acyloin-Reaktion (Acyloin-Kondensation): Synthese von -Hydroxyketonen (von "Acyloinen") intramolekulare Variante der Acyloin-Reaktion gibt zyklische -Hydroxyketone Acyloin-Reaktion besonders wichtig für die Herstellung von Verbindungen mit → "mittleren Ringen" (→ Ringe mit 7-20 C-Atomen, d.h. für 1 < n < 14) mechanistische Erklärung der Acyloinreaktion: Organische Chemie I BK SS 2016 165 22. IMINE UND ENAMINE 22.1. Herstellung (Reaktionen von Aldehyden/Ketonen mit N-Nukleophilen): (diese führen via Addition und Elimination zur Substitution): a) Bildung von Iminen (Schiff'sche Basen) durch Reaktion einer Carbonylverbindung (Aldehyd, Keton) mit primären Aminen (durch Addition eines primären Amins und Wasser-Elimination): b) Bildung von Iminiumionen (oder von Enaminen) durch Reaktion von sekundären Aminen mit Aldehyden und Ketonen: Organische Chemie I BK SS 2016 Iminiumionen und Enamine (durch Reaktion) mit sekundären Aminen: Enamine: stabilisiert durch -Konjugation zwischen pz(N) und -System der (C=C)-Doppelbindung Imine und Enamine sind tautomere Formen: Enamine als ungeladene C-Nukleophile die Verwendung von Enaminen als ungeladene C-Nukleophile ergibt höhere Selektivitäten bei der C-Alkylierung: 166 Organische Chemie I BK SS 2016 22.2. Die Mannich Reaktion Die Mannich-Reaktion ergibt (z.B.) aus einem Keton ein -Amino-keton): (dabei: Enol als C-Nukleophil; Iminium-Ion als starkes C-Elektrophil) 167