2 Wochenschau Bauwelt 36 | 2009 Selbstvergewisserung in Selbstporträts und Stillleben: Rund 50 „Blätter aus der Haft“ malte Franz Ehrlich im Gefängnis. Den Befehl, die zynische Inschrift „Jedem das Seine“ für das Tor zum KZ Buchenwalds zu entwerfen, erhielt Ehrlich 1938, als er Häfling des Lagers war. Es gelang ihm, der SS-Bauleitung eine Schrifttype unterzuschieben, die sich an Gestaltungsprinzipien des Bauhauses orientierte. Abbildungen: © Stiftung Bauhaus Dessau; Foto: Naomi Teresa Salmon, Sammlung Gedenkstätte Buchenwald 90 JAHRE BAUHAUS Ein Bauhäusler im Widerstand | Franz-Ehrlich-Ausstellung in Weimar Michael Kasiske 1933 müssen sich die Bauhäusler dem Druck der Nazis beugen und lösen das Bauhaus auf. Doch nur wenige werden zu aktiven Gegnern der neuen Machthaber. Einer von ihnen ist Franz Ehrlich (1907–1984), nach dem Krieg Architekt in der DDR – das Rundfunkhaus in der Nalepastraße in Berlin-Oberschöneweide (1951–56) und das Fernsehzentrum in BerlinAdlershof (1956/57) sind seine bekanntesten Bauten. Eine Ausstellung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora widmet sich Ehrlichs Zeit im Widerstand, in Gefängnis und KZ. „Ich wollte nicht Architekt, Formgestalter, Bildhauer, Maler oder Grafiker, sondern Bauhäusler werden, um am Aufbau einer neuen Gesellschaft mitarbeiten zu können.“ Das Selbstverständnis des späteren Architekten Franz Ehrlich eröffnet den Zugang zu seinen Arbeiten, die aus innerem und äußerem Druck in der Zeit seiner Inhaftierung durch die Nationalsozialisten entstanden. Ehrlich ist zwischen 1927 und 1930 Student und Mitarbeiter am Bauhaus in Dessau, danach in den Ateliers von Mies, Gropius und Poelzig und als Grafiker tätig. 1934 wird er, Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands und Mitherausgeber einer illegalen Zeitschrift, von der Gestapo verhaftet und 1935 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Seine Freundin kann ihm Malutensilien in die Haft bringen. Die rund fünfzig „Blätter aus der Haft“, die Ehrlich in den Gefängnissen Waldheim und Zwickau malt, belegen den Elan, mit dem er sich den Inspirationen des Bauhauses, insbesondere von Oskar Schlemmer, zu vergewissern sucht: Selbstbildnisse, surreal erscheinende Arrangements von Gegenständen und abstrakte Kompositionen, in denen sich die Leere und Ausweglosigkeit des Gefängnisalltags widerspiegeln. „Man ist ja nicht nur Farbsetzer vor der Staffelei“, lässt Siegfried Lenz den Maler Nansen in der Deutschstunde feststellen, „man malt immer oder gar nicht. Kann einer verbieten, was man im Traum macht?“ Ehrlichs künstlerische Haltung in jener Zeit lässt sich in eine Reihe stellen mit der von Hans Scharoun, der sich mit fantastischen Architekturen geistigen Raum zu verschaffen versucht, oder mit der von Emil Nolde, dem Vorbild für Nansen, der das absurde Malverbot der Nazis mit „ungemalten Bildern“ unterläuft. Beim Gefängnis lassen es die Nazis nicht bewenden. Kurz vor dem Ende der Strafe 1937 verhaftet die Gestapo Ehrlich erneut und weist ihn als „Schutzhäftling“ in das kurz zuvor gegründete Konzentrationslager Buchenwald ein. Aus dem mörderischen Steinbruch, in dem alle Neuankömmlinge arbeiten müssen, kann er sich in das Baubüro retten. Dort macht sich der überforderte „Lager-Architekt“ – der zeichnet alles Vorgelegte ungeprüft gegen, sogar sein eigenes Todesurteil, das ihm die Häftlinge zum Test unterschieben – Ehrlichs Können für die eigene Karriere zunutze. Ehrlich wird auch über seine offizielle Entlassung aus Buchenwald im Herbst 1939 hinaus im Baubüro arbeitsverpflichtet. Die wenigen erhaltenen Entwürfe jener Zeit umfassen vor allem repräsentative, unabhängig von Buchenwald geplante Anlagen wie Dienstvillen und Ferienheime für die SS sowie Inneneinrichtungen und Möbel. Ehrlich entwirft den aufgezwungenen Satz in schlichten Lettern, die den Schriften seiner Bauhauslehrer Herbert Bayer und Joost Schmidt entlehnt sind – eine stille Auflehnung gegen die nationalsozialistische Weltanschauung. Mit dem klassischen Schriftbild ließe sich auch der literarische Verweis auf die Quelle gesichert sehen – auf den römischen Rechtsgrundsatz „iuris praecepta sunt haec: honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere“, zu Deutsch: „Die Gebote des Rechts sind folgende: Ehrenhaft leben, niemanden verletzen, jedem das Seine gewähren.“ In der Ausstellung im Neuen Museum Weimar steht das Lagertor am Ende des größten Raums, was den eintretenden Besucher in die Position der Gefangenen versetzt. Abgeschlossen wird die Präsentation mit Kurzbiografien von 61 im Widerstand engagierten, zum Teil ermordeten oder verschollenen Bauhäuslern. Diese Dokumentationen und weiterführende Zeugnisse finden sich auch in dem empfehlenswerten Katalog zur Ausstellung. Mit der Würdigung von Franz Ehrlich gelingt es mitten im Trubel um das 90. Gründungsjubiläum, der Geschichte des Bauhauses über die hinlänglich musealisierte Ästhetik und Kunstpädagogik hinaus eine beeindruckende menschliche Konsequenz hinzuzufügen. Subtil Haltung zeigen – mit einer Schrifttype Der furchtbarste Befehl für Franz Ehrlich muss 1938 der zum Entwurf des Lagertors gewesen sein, mit dem die Nationalsozialisten den Ausschluss der in Buchenwald Gefangenen aus der „rassisch reinen deutschen Volksgemeinschaft“ manifestieren wollen. Der Schriftzug „Jedem das Seine“, den das Tor von innen lesbar tragen soll, ist für die Gefangenen unerträglich. Den Vorschlag der ausführenden Schlosser und Schmiede, anstelle der deutschen Version das lateinische „suum cuique“ zu verwenden, schmettert der Lagerkommandant ab: „Wir sprechen deutsch. Die Schrift ist für euch – raus!“ Neues Museum Weimar | Weimarplatz 5, 99423 Weimar | ▸ www.buchenwald.de | bis 11. Oktober, Di–So 11–18 Uhr | Der Katalog kostet 14, 90 Euro 3 StadtBauwelt 183 | 2009 FIRMENMUSEEN Hangar und Abbiegespur | Dornier Museum in Friedrichshafen Die Firma Dornier ist längst im Luft- und Raumfahrtkonzern EADS aufgegangen. Dass ihr Name nicht in Vergessenheit gerät, dazu trägt seit diesem Sommer ein von den Münchner Architekten Allmann Sattler Wappner entworfenes Museum in Friedrichshafen bei. Finanziert wird das Haus von der Dornier-Stiftung, die Silvius Dornier, der älteste noch lebende Sohn des Firmengründers und Luftfahrtpioniers Claude Dornier (1884–1969), ins Leben gerufen hat. Wer ein Luftfahrt-Museum unmittelbar angrenzend an einen Flughafen bauen kann, hat mit der Standortwahl schon das große Los gezogen – zumal, wenn dieser Ort die Geburtsstätte jener Firma ist, der das Museum gewidmet ist. Die Sinnfälligkeiten setzen sich in der Gestaltung des Bauwerks fort: ein Gebäude, das wie ein Hangar aussieht, ein Museumsraum als eingestellte „Black Box“ und ein Grundriss, den die Architekten Allmann Sattler Wappner, Sieger des Einladungswettbewerbs für das Dornier-Museum im Jahr 2006, als gedachte Abbiegespur von der Rollbahn bezeichnen. Die Idee des Flugzeughangars drückt sich primär in der rechteckigen Dachform und der einfachen Stahlskelettkonstruktion des Gebäudes aus. Die gebogenen Längsfassaden der Halle folgen der Form des gedachten Rollwegs. Die fließenden Formen verleihen dem Gebäude nicht nur Leichtigkeit, sie wecken auch Assoziationen zu Tragflächen, Flügeln oder Segeln. Über den Eingang an der südöstlichen Ecke der Halle, der als Einschnitt in den Hangar konzipiert ist, läuft quasi die Landschaft hinweg. Hier ist ein üppig bemessener Windfang entstanden, dem es allerdings nicht gelingt, zwischen Außen und Innen zu vermitteln; er wirkt eher wie eine Bremse. Die vom Stuttgarter Atelier Brückner gestaltete Ausstellung des Dornier Museums gliedert sich in drei Bereiche. In der aufgeständerten Box, die der Besucher über eine Wendeltreppe erreicht, werden die Geschichte des Dornier-Konzerns und die Entwicklung der Luft- und Raumfahrt in den letzten 100 Jahren dargestellt. In großen Glasvitrinen sind beeindruckende Modellflugzeuge zu sehen. Der Clou: Auf Knopfdruck verwandelt sich die Rückseite der Vitrinen in eine Leinwand und kann mit bewegten Bildern bespielt werden. Am Ende des Rundgangs tritt der Besucher durch eine Art Schleuse hinaus auf die Galerie, die an der gesamten Südseite der Halle entlang führt. Hier geht es um die Vermittlung technologischer Hintergründe; Werkstoffbearbeitung, Energie, Datenverarbeitung aber auch Medizintechnik sind die Schwerpunkte. Für die meisten Besucher sicher das Highlight: der weitläufige Hangar, der mit 2500 Quadratmetern die Hälfte der gesamten Ausstellungsfläche einnimmt. Dort sind zwölf zum Teil noch flugfähige Originalflugzeuge wie die DO 27, die DO 228 und die DO 31 zu bestaunen. Der größe Teil der Halle mit den gebogenen Längsfassaden steht für die Präsentation der historischen Flugzeuge zur Verfügung. Die eingestellte „Museumsbox“ nimmt die kleinteiligeren Ausstellungsbereiche und Serviceräume des Museums auf. Fotos: Klaus F. Linscheid; Erdgeschossgrundriss im Maßstab 1: 1000 Konstruktiv orientiert sich die 112 Meter lange, 54 Meter breite und zwölf Meter hohe Halle mit ihrem unverkleideten, weiß gestrichenen Tragwerk aus geschweißten I-Profilen und dem innen sichtbaren Trapezblechdach an einem Industriebau. Museumsbox und Galeriebrüstungen sind mit weißen Gitterrosten verkleidet. Überhaupt dominiert die Farbe Weiß, was die Exponate gut zur Geltung kommen lässt. Farbe kommt erst in der Fassade ins Spiel: Zwar erscheinen die verwendeten transluzenten Polycarbonat-Mehrfachstegplatten der Nord- und Südseite aus der Ferne zunächst ebenfalls milchig weiß, sie reflektieren jedoch insbesondere das untergehende Sonnenlicht sehr weich und lassen bei Dunkelheit die beleuchteten Flugzeuge im Hangar durchschimmern. Die Südfassade kann mittels LED-Leuchten, die im Außenbereich in den Boden eingelassen sind, farbig in Szene gesetzt werden. Der Raum-Licht-Künstler James Turrell wird sie Mitte Oktober nach seinen Vorstellungen programmieren. Klaus F. Linscheid Dornier Museum | Claude-Dornier-Platz 1, 88046 Friedrichshafen | ▸ www.dorniermuseum.de | Mai bis Oktober: täglich 9–17 Uhr, November bis April: Di–So 10–17 Uhr