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S. 1
Im Lande Kambanellis
Die erste Schaffensperiode von Iakobos Kambanellis 1952 - 1959
Die "Trilogie des Hofes" und die "Trilogie des Krieges"
Dramaturgische Analyse und szenische Umsetzung der Stücke
Inaugural-Dissertation
in der Philosophischen Fakultät I
(Philosophie, Geschichte und Sozialwissenschaften)
der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
vorgelegt von
Olga Mamali
aus
Agrinio, Griechenland
Nürnberg, Januar 2003
S. 2
Inhaltsverzeichnis
1.1 Danksagung ....................................................................................................................................5
1.2 Prolog..............................................................................................................................................6
2 Einleitung ............................................................................................................................... 8
2.1 Die gesellschaftliche Lage im Griechenland der Nachkriegszeit...............................................121
2.2 Das kulturelle Geschehen ...........................................................................................................143
2.3 Die Theaterlandschaft in Griechenland nach dem Krieg - Die Tradition ..................................165
2.4 Das "Theatro Technis": Träger des Neuen.................................................................................209
2.5 Iakobos Kambanellis: Sein Leben und sein Werk. Ein Überblick ...............................................25
3 Trilogie des Hofes ................................................................................................................ 33
3.1 Das Erstlingswerk von Iakobos Kambanellis für die neugriechischen Bühnen ...........................33
3.2 Die Charakteristika des Neorealismus bei Kambanellis ..............................................................35
3.3 Das Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"..................................................................................37
3.3.1 Inhaltsangabe.........................................................................................................................................37
3.3.2 Kommentar zum Titel ...........................................................................................................................38
3.3.3 Atmosphäre des Stückes........................................................................................................................38
3.3.4 Zielsetzung des Autors ..........................................................................................................................39
3.3.5 Reaktion der Kritik auf die Uraufführung des Stückes "Der siebte Tag der Schöpfung" ......................40
3.3.6 Dramaturgischer Aufbau des Stückes....................................................................................................41
3.3.7 Autobiographische Elemente im Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"..............................................44
3.3.8 Morphologie und Funktion des Raumes................................................................................................45
3.3.9 Die Nebenschauplätze des Stückes .......................................................................................................46
3.3.10 Die Identität des Kleinbürgers.............................................................................................................47
3.3.11 Die moderne Version der Tragik in diesem Stück...............................................................................48
3.3.12 Die Verfilmung des Stückes zehn Jahre nach der Uraufführung .........................................................50
3.3.13 Die Umsetzung des Stückes auf der Bühne .........................................................................................51
3.3.13.1 Zweite Bühne des Nationaltheaters, Athen 1956..........................................................................51
3.3.13.2 "Di.Pe.The. Verias", Veria, 1989 .................................................................................................54
3.4 Das Stück "Der Hof der Wunder" ................................................................................................56
3.4.1 Inhaltsangabe.........................................................................................................................................56
3.4.2 Kommentar zum Titel ...........................................................................................................................56
3.4.3 Atmosphäre des Stückes........................................................................................................................57
3.4.4 Zielsetzung des Autors ..........................................................................................................................58
3.4.5 Reaktion der Kritik auf die Uraufführung des Stückes "Der Hof der Wunder" ....................................59
3.4.6 Dramaturgischer Aufbau des Stückes....................................................................................................61
3.4.7 Die Suche nach dem 'typischen Griechen' in den düsteren 50er Jahren in einem Puzzle von
Einzelpersonen .....................................................................................................................................66
3.4.8 Das Milieu der Hofbewohner ................................................................................................................70
3.4.9 Einsatz der multifokalen Technik..........................................................................................................71
3.4.10 Die Dynamik des Raumes ...................................................................................................................71
3.4.11 Das Leben als Traum: In Erwartung des Wunders ..............................................................................74
3.4.12 Leben als Flüchtling ............................................................................................................................75
3.4.13 Das tragische Element .........................................................................................................................76
3.4.14 Die Umsetzung des Stückes auf der Bühne .........................................................................................77
3.4.14.1 "Theatro Technis", Athen 1957....................................................................................................77
3.4.14.2 "Theatro Neas Ionias", Athen 1965..............................................................................................80
S. 3
3.4.14.3 Max-Reinhardt-Seminar, Wien 1966 ...........................................................................................84
3.4.14.4 "Theatro Vimata", Piräus 1969 ....................................................................................................86
3.4.14.5 Griechische Arbeiterbühne, München 1970 .................................................................................87
3.4.14.6 "Theatrikos Organismos Kyprou", Nikosia 1972 .........................................................................88
3.4.14.7 "Thessaliko Theatro", Larissa 1975 .............................................................................................90
3.4.14.8 Nationaltheater, Athen 1982.........................................................................................................92
3.4.14.9 "Kratiko Theatro Voriou Ellados", Thessaloniki 1983 ................................................................94
3.4.14.10 Di.Pe.The. Ioanninon, Ioannina 1984.........................................................................................95
3.4.14.11 "Di.Pe. The Komotinis", Komotini 1987 ...................................................................................96
3.4.15 Fazit aus den Aufführungen des Stückes "Der Hof der Wunder"........................................................96
3.5 Das Stück "Das Alter der Nacht" .................................................................................................98
3.5.1 Inhaltsangabe.........................................................................................................................................98
3.5.2 Kommentar zum Titel ...........................................................................................................................98
3.5.3 Die Atmosphäre des Stückes .................................................................................................................99
3.5.4 Die Zielsetzung des Autors ...................................................................................................................99
3.5.5 Reaktion der Kritik auf die Uraufführung des Stückes "Das Alter der Nacht"....................................100
3.5.6 Der sozio-politische Hintergrund des Stückes.....................................................................................101
3.5.7 Die Bedeutung des Raumes bei der Kartierung der gesellschaftlichen Spaltung ................................101
3.5.8 Das Problem der Wohnungsnot...........................................................................................................102
3.5.9 Die kannibalische Welt des oberen Stockwerkes ................................................................................103
3.5.10 Die menschlich orientierte Welt des unteren Stockwerkes................................................................105
3.5.11 Die zweigeteilte Jugend.....................................................................................................................106
3.5.12 Ein junger Mann im Widerstreit zwischen Sein und Schein..............................................................107
3.5.13 Die Umsetzung des Stückes auf der Bühne .......................................................................................109
3.5.13.1 "Theatro Technis", Athen 1958..................................................................................................109
3.5.13.2 "Elefthero Theatro Kallitheas", Athen 1976...............................................................................109
3.6 Epilog zur Trilogie des Hofes.....................................................................................................110
4 Einleitung zur Trilogie des Krieges ................................................................................. 112
4.1 Das geistige Klima der Entstehungszeit .....................................................................................112
4.2 Die Notwendigkeit der Satire für Iakobos Kambanellis.............................................................113
4.3 Das Stück "Odysseus, geh heim"................................................................................................116
4.3.1 Inhaltsangabe.......................................................................................................................................116
4.3.2 Kommentar zum Titel .........................................................................................................................117
4.3.3 Die Atmosphäre des Stückes ...............................................................................................................117
4.3.4 Die Zielsetzung des Autors .................................................................................................................118
4.3.5 Reaktion der Kritik auf die Uraufführung des Stückes "Odysseus, geh heim" ....................................119
4.3.6 Odysseus: Der Held, der heimkehrt, und seine literarischen Abenteuer..............................................120
4.3.7 Der Weg des Odysseus von Kambanellis und die demaskierten Idole ................................................121
4.3.8 Dramaturgische Motive und historischer Rahmen...............................................................................123
4.3.9 Die Techniken der Desillusionierung und die Zielrichtung des Stückes .............................................127
4.3.10 Die erneute Beschäftigung von Kambanellis mit Odysseus in seinem Stück "Letzter Akt" (1990) ..131
4.3.11 Die Umsetzung des Stückes auf der Bühne .......................................................................................133
4.3.11.1 "Theatro Technis", Athen 1966..................................................................................................133
4.3.11.2 Nationaltheater, Athen 1980.......................................................................................................135
4.3.11.3 "Theatro Technis" im antiken Herodes-Attikus-Theater, Athen 1990........................................137
4.4 Das Stück "Papa, der Krieg".......................................................................................................140
4.4.1 Inhaltsangabe.......................................................................................................................................140
4.4.2 Kommentar zum Titel .........................................................................................................................140
4.4.3 Die Atmosphäre des Stückes ...............................................................................................................141
4.4.4 Zielsetzung des Autors ........................................................................................................................142
4.4.5 Reaktion der Kritik auf die Uraufführung des Stückes "Papa, der Krieg"...........................................142
4.4.6 Der historische Hintergrund des Stückes.............................................................................................144
S. 4
4.4.7 Vergleichende Analyse von zwei parallelen Anti-Kriegs-Satiren: Friedrich Dürrenmatt:
"Romulus der Große" und Iakobos Kambanellis: "Papa, der Krieg" ..................................................145
4.4.8 Handel und Krieg, zwei entgegengesetzte und doch ähnliche Welten ................................................151
4.4.9 Die Umsetzung des Stückes auf der Bühne .........................................................................................156
4.4.9.1 "Theatro Technis", Athen 1980....................................................................................................156
4.4.9.2 "Theatrikos Organismos Kyprou", Nikosia 1985 .........................................................................157
4.4.9.3 "Kratiko Theatro Voriou Ellados", Thessaloniki 1987 ................................................................158
4.5 Das Stück "Das Märchen ohne Namen" .....................................................................................159
4.5.1 Inhaltsangabe.......................................................................................................................................159
4.5.2 Kommentar zum Titel .........................................................................................................................160
4.5.3 Die Atmosphäre des Stückes ...............................................................................................................160
4.5.4 Zielsetzung des Autors ........................................................................................................................161
4.5.5 Reaktion der Kritik auf die Uraufführung des Stückes "Das Märchen ohne Namen" .........................162
4.5.6 Die dramaturgische Entwicklung des Stückes von der Bewegungslosigkeit zur Aktion, und der
Krieg als Retter ...................................................................................................................................163
4.5.7 Die Erzählung von Penelope Delta als Vorlage für das Theaterstück .................................................172
4.5.8 Einflüsse des Brecht'schen Theaters....................................................................................................178
4.5.9 Die Umsetzung des Stückes auf der Bühne .........................................................................................185
4.5.9.1 "Neo Theatro - Thiasos Diamantopoulou - Alkaiou", Athen 1959...............................................185
4.5.9.2 Theatro "Nea Poria", Athen 1973 ................................................................................................187
4.5.9.3 "Kratiko Theatro Voriou Ellados", Thessaloniki 1978 ................................................................190
4.5.9.4 "Theatrikos Organismos Kyprou", Nikosia 1974 .........................................................................191
4.5.9.5 Nationaltheater, Athen 1995.........................................................................................................192
4.6 Epilog zur Trilogie des Krieges..................................................................................................194
5 Resumée.............................................................................................................................. 195
6 Literaturverzeichnis.......................................................................................................... 198
Theaterstücke und andere Primärliteratur.................................................................................................198
Sekundärliteratur ......................................................................................................................................200
Kritiken ....................................................................................................................................................208
Programmhefte .........................................................................................................................................212
Sonstiges ..................................................................................................................................................214
S. 5
1.1 Danksagung
Diese Dissertation hätte nicht entstehen können ohne die uneingeschränkte Unterstützung
durch den Betreuer, Herrn Professor Dr. Holger Sandig.
Des weiteren schulde ich Herrn Iakobos Kambanellis tiefen Dank, da er mir oft die
Möglichkeit zu ausgedehnten Gesprächen über seine Stücke gab. Dabei konnte ich mich jedes
Mal erneut davon überzeugen, daß nicht nur seine Stücke sehr lebendig sind, sondern auch er
persönlich an ihren Weiterbearbeitungen großes Interesse zeigt.
Sehr wertvoll waren auch die persönlichen Begegnungen, die ich mit den meisten der
Regisseure hatte, welche die sechs Stücke inszenierten, deren dramatologische Analyse und
szenische Umsetzung Gegenstand dieser Dissertation sind.
Dankend erwähne ich auch Frau Ariadne Papageorgiou, welche den deutschen Text der
Dissertation korrigierte und glättete.
Schließlich möchte ich meiner ganzen Familie danken, die mir in der Zeit, während der ich an
der Dissertation arbeitete, stets den nötigen Rückhalt und ihre Unterstützung gewährte.
S. 6
1.2 Prolog
Die Dramaturgie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Griechenland ist stark von Iakobos
Kambanellis geprägt, der zu jener Zeit in vieler Hinsicht die griechische Theaterwelt dominiert.
Insgesamt schrieb er 34 Stücke und war von 1950 bis 2002 permanent präsent. Mit wenigen
Unterbrechungen machte er von sich reden, einmal durch die Stücke, doch auch durch die szenische
Umsetzung dieser Stücke. Die thematische und stilistische Bandbreite seiner Stücke eröffnete nicht
nur ihm selbst den Weg in das Zentrum der neugriechischen Theaterwelt, wo ihn Theatermenschen
wie auch das Publikum begeistert empfingen, sondern bescherte ihr auch noch eine ganze Schar von
Epigonen, die sich mit dem Schreiben für die Bühne beschäftigen.
Diese Dissertation behandelt die erste Schaffensperiode von Kambanellis, die Jahre 1952 bis 1959,
als er die Urfassungen jener Stücke schrieb, welche die Kritik später als zwei Trilogien verstand. Die
erste nannte man "Trilogie des Hofes", die zweite "Trilogie des Krieges". In diesen Trilogien horcht
Kambanellis den Herzschlag der neugriechischen Gesellschaft ab, er verwertet beim Schreiben direkt
Eindrücke sozialer Sachverhalte und strebt damit an, diese Gesellschaft zu beschreiben,
auszudrücken, zu kartographieren und zu interpretieren. Das macht es auch für die vorliegende Arbeit
sinnvoll, Kambanellis´ Stücke besonders unter dem gesellschaftlichen Aspekt zu analysieren.1
Aus diesem Grunde, und da diese Dissertation an einer Universität betreut wird, die nicht in
Griechenland liegt, ist es sinnvoll, vor der eigentlichen Besprechung der Stücke eine Einführung zu geben, welche die allgemeine historische und kulturelle Landschaft sowie die des
Theaters in Griechenland jener Zeit wiedergibt, da sie auch die Ästhetik, die Umgebung und
die Ideologie von Kambanellis beeinflußte. Sie war auch Anlaß für die Wahl bestimmter
Themen. Diese Einleitung soll daher nicht nur den notwendigen Rahmen bieten, um einen
Autor zu verstehen, der sich sehr direkt für soziale Belange interessiert, sondern auch als
Angelpunkt für die später folgende Analyse seines Werkes fungieren.
Bei der Betrachtung der Stücke von Kambanellis vor dem Hintergrund der neueren
griechischen Zeitgeschichte stellten sich folgende Fragen:
Wie versteht Kambanellis die soziale Realität, auf welche Weise thematisiert er sie in
seinem Werk?
Wie setzt er besonders in der "Trilogie des Hofes" den Realismus ein, um die harte
Realität im Griechenland nach Ende des Bürgerkrieges 1949 auf die Bühne zu bringen und um
die verschiedenen Klassen zu thematisieren, welche gemeinsam diese Realität bilden?
Wie gelingt es ihm in der "Trilogie des Krieges", die Satire zur Distanzgewinnung
einzusetzen? Wie schafft er eine komische Distanz zu den Autoritäten?.
Ich erforschte den dramatischen Ort, die dramatischen Personen, die Beziehungen zwischen
den Personen und die inneren Widersprüche ihrer Charaktere, um den "gesamten" Griechen zu
finden, der sich hinter dem Puzzle von Rollen befindet, welches uns Kambanellis gewissermaßen zur Verfügung stellt. Welches sind seine typischen Merkmale, seine Leidenschaften,
Hoffnungen und Sehnsüchte? Zusätzlich analysierte ich die thematischen Motive von
1
Bei diesen und den folgenden Ausführungen stütze ich mich auf das Buch von Hall, John: The sociology of
literature. Griechische Übersetzung von Tsaousi, Maria (Τσαούση Μαρία): “Die Soziologie der Literatur” (Η
κοινωνιολογία της λογοτεχνίας), Athen 1990. Erläuternd möchte ich hinzufügen, dass der Titel "Im Lande
Kambanellis" durch den Titel eines Stücks von Iakobos Kambanellis inspiriert wurde: Er hatte es "Im Lande
Ibsen" genannt. Dieser Titel wiederum wurde von dem Theaterwissenschaftler Georgios Pefanis für einen
Zeitungsartikel aufgegriffen: Pefanis, Georgos (Πεφάνης, Γιώργος): “Kleine Wanderung durch das Land von
Kambanellis” (Μικρό οδοιπορικό στη χώρα του Καµπανέλλη), Zeitschrift "Nea Estia" (Νέα Εστία), Athen,
15.03.1977 (im Text FN 381).
S. 7
Kambanellis bezüglich ihrer dramatischen Umgebung in jedem einzelnen Stück, wie auch
innerhalb der Gesamtheit seines Werkes. Um diese Stücke zu bearbeiten, war es notwendig,
so viele Aufführungen wie möglich unter Zuhilfenahme von Sekundärliteratur und Interviews
aufzuarbeiten. Auf einige von ihnen ging ich sehr detailliert ein, um zu zeigen, auf welche
überzeugende Art dort einige der Fragen, die ich zu Kambanellis und seinem Werk hatte,
beantwortet werden konnten. Oft waren es einzelne Sätze aus seinen Stücken, die wie
Schlüssel zur Dechiffrierung dienen können, und die ich auch in meine Arbeit einflechte.
Um den Anforderungen einer Dissertation in der Theaterwissenschaft gerecht zu werden,
erweiterte ich mein Untersuchungsgebiet und befaßte mich nicht nur mit jedem Stück in
seiner Uraufführung, sondern vollzog die Abfolge seiner weiteren Aufführungen (insgesamt
26) wie auch die jeweilige Resonanz des Publikums nach, soweit dies im Nachhinein möglich
ist. Zu diesem Zwecke konnte ich mich auf das Archivmaterial stützen, welches das die
"Theatriki Vivliothiki" in Athen mir freundlicherweise zur Verfügung stellte. Dort fand ich
nicht nur Kritiken, Reportagen und Interviews der Regisseure und anderen wichtigen
Mitwirkenden, sondern auch reichhaltiges fotografisches Material zu den Aufführungen, dem
Bühnenbild und der einzelnen Rollen.
Dabei wurde rasch klar, daß auch die Biographie des Autors mit einbezogen werden mußte,
ebenso der Einfluß, den das zeitgenössische westeuropäische Theater auf ihn hatte. Auch ließ
es sich nicht vermeiden, einige historische Fakten mit zu berücksichtigen, welche die
geschichtliche und kulturelle Lage Griechenlands in der ersten Hälfte des zwanzigsten
Jahrhunderts entscheidend prägten.
Zusätzlich entwarf ich einen Fragenkatalog2, anhand dessen ich alle Regisseure dieser Aufführungen in Griechenland und Zypern befragte, sofern diese noch ausfindig zu machen waren.
Wenn es auch nicht mehr möglich war, vergangene Aufführungen komplett wiedererstehen zu
lassen, wollte ich doch genug Material bekommen, um das griechische Theaterphänomen
nach dem Drei-Schichten-Modell von Steinbeck3 zu analysieren, für den Theater im zeitlichen
wie auch im phänomenologischen Sinn aus drei Komponenten bestand:
Schicht 1 (die Intention des Autors),
Schicht 2 (die Produktion des Theaters durch die Theaterschaffenden inklusive der von
ihnen verfolgten Intentionen),
Schicht 3 (seine Rezeption durch ein Publikum).
So fragte ich unter anderem nach den ideologischen und ästhetischen Hintergründen für jene
bestimmte Inszenierung gerade zu jenem Zeitpunkt und an jenem Ort, wo sie stattfand. Weiter
wollte ich wissen, wie diese theoretischen Ansätze umgesetzt wurden und welche unterschiedlichen Aspekte des jeweiligen Stückes bei den Aufführungen besonders herausgearbeitet wurden. Wie wirkte sich das auf das Bühnenbild, die Kostüme, die Musik und die Interpretation
der Rollen aus? Das so gewonnene Material wurde nach den Kriterien von Steinbeck analysiert. Dadurch wurde es möglich, die Entwicklung des griechischen Theaters in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts besser zu verstehen und zu beschreiben: Auf welche Weise es den
Zeitläuften folgte, welche ideologischen und sozialen Zielsetzungen es verfolgte, welche
2
3
In den narrativen Interviews mit den Regisseuren, die Stücke von Iakobos Kambanellis inszeniert hatten,
fragte ich besonders nach folgenden Informationen:
1. Wieso wurde zur Zeit der Aufführung genau dieses Stück ausgewählt (ästhetische, ideologische und andere
Kriterien der Theatertruppe?)
2. Wie wurde die individuelle Lesart der Aufführung umgesetzt (Bühnenbild, Darstellung, Musik,
Interpretation der Hauptpersonen des Stückes?)
3. Wie war die Resonanz bei Publikum und Kritik?
Steinbeck, Dietrich: Einleitung in die Theorie und Systematik der Theaterwissenschaften. Berlin 1970, S. 91.
S. 8
szenischen und interpretativen Kodizes es entwickelte, indem es versuchte, das dramatische
Material von Kambanellis gebührend umzusetzen.
Kambanellis - Einleitung
S. 9
2 Einleitung
Kambanellis wird gern der führende Theaterautor seiner Generation in Griechenland genannt.
Richtiger wäre es, ihn als wichtigsten Vertreter der gesamten Theaterliteratur zu bezeichnen,
die in Griechenland nach dem Ende des zweiten Weltkrieges entstand.4 Heute blickt er auf 34
eigene Theaterstücke zurück, deren überwiegende Mehrzahl auch aufgeführt wurde. Er ist der
erfolgreichste und produktivste griechische Dramatiker in den letzen 50 Jahren.
Seine ersten Schritte in die Öffentlichkeit des Theaters in der zweiten Hälfte der 50er Jahre
waren gleich die Zeit, in der er den größten Eindruck machte. Sein erstes aufgeführtes Stück
"Tanz auf dem Getreidefeld"5 wurde 1950 am eher unbedeutenden Athener Theater "Thiasos
Lemou"6 gespielt. Danach folgte 1956 am Nationaltheater7 das Stück "Der siebte Tag der
Schöpfung" und 1957 am "Theatro Technis"8 das Stück "Der Hof der Wunder"9. Dieses letzte
Stück wurde nicht nur ein finanzieller Erfolg, sondern fand auch Anerkennung bei der Kritik.
Ein Erfolg, zu dem sicher auch beitrug, daß die Inszenierung vom unumstritten bedeutendsten
griechischen Regisseur, Karolos Koun, durchgeführt wurde; dieser war aus mehreren Gründen
für die weitere Entwicklung von großer Bedeutung.
Zum einen fand Kambanellis durch die Zusammenarbeit mit Koun rasch einen anerkannten
Platz in der griechischen Theaterszene. Zum anderen scheint auch Regisseur Koun in Kambanellis' Stück zu seinem eigenen Stil für die Umsetzung moderner griechischer Darstellungskunst gefunden zu haben. Nicht zuletzt ermutigte der Erfolg des ersten Stückes Kambanellis
dazu, weiterzuschreiben. Der wichtigste Punkt ist aber, daß er der Welt des Theaters einen
neuen Zugang zu zeitgenössischen griechischen Stücken eröffnete. Er widerlegte die vorherrschende Meinung, daß die Aufführung eines aktuellen griechischen Stückes automatisch einen
finanziellen Mißerfolg bedeute.10 Ab diesem Moment etablierte sich das Gespann
Kambanellis - "Theatro Technis". Hier wurden viele der Stücke von Kambanellis
uraufgeführt, und als Begleiteffekt bekamen auch viele jüngere Autoren die Möglichkeit, auf
anderen Athener Bühnen gespielt zu werden, so etwa im Nationaltheater und anderswo.11
4
5
6
7
8
9
10
11
Diese Epoche beginnt 1956, als das Stück "Der siebte Tag der Schöpfung" (Η έβδοµη µέρα της δηµιουργίας)
auf der "Nea Skini" des Nationaltheaters aufgeführt wird. In: Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης Ιάκωβος):
Theater (Θέατρο), Bd. 1, Athen 1978, S. 29 - 87.
Diese Aufführung markiert den Beginn einer Neuorientierung in der neugriechischen Dramaturgie.
Grammatas, Thodoros (Γραµµατάς Θόδωρος): Probleme der Periodisierung des zeitgenössischen
griechischen Theaters. Die Phase des Syndroms des Griechentums (Προβλήµατα περιοδολόγησης στο
σύγχρονο ελληνικό θέατρο. Η φάση του συνδρόµου της ελληνικότητας). In: Geschichte und Theorie in der
Theaterforschung (Ιστορία και θεωρία στην θεατρική έρευνα), Band 1, Athen 1992. Andere Kommentatoren
halten das Stück "Der Hof der Wunder" im folgenden Jahr für den eigentlichen Wendepunkt zum modernen
griechischen Theater.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης Ιάκωβος): Tanz auf dem Getreidefeld (Χορός πάνω στα στάχυα).
Unveröffentlichtes Manuskript, Theatriki Vivliothiki (Θεατρική Βιβλιοθήκη), Athen.
"Piramatikos Thiasos Lämu" (Πειραµατικός Θίασος Λαιµού) bedeutet "Expirementiertheater Laimos".
Gründer dieses seit ca. 1950 bestehenden Theaters ist Adamantios Laimos (Αδαµάντιος Λαιµός).
Die griechische Bezeichnung des Nationaltheaters ist Εθνικό Θέατρο.
Die griechische Bezeichnung des "Theaters der Kunst" ist Θέατρο Τέχνης.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης Ιάκωβος): Der Hof der Wunder (Η αυλή των θαυµάτων), in (ders.):
Theater, Bd. 1, Athen 1978, S. 89 - 188.
Michailidis, Georgos (Μιχαηλίδης Γιώργος): Griechisches Theater 1944 - 197 (Ελληνικό θέατρο 1944 1972), in der Zeitschrift "Anichto Theatro" (Ανοιχτό θέατρο), Heft 3, März 1972, S. 3 - 6.
Kambanellis schreibt oft Stücke mit dem erklärten oder zumindest angestrebten Ziel, sie in diesem Theater
aufgeführt zu sehen. Dennoch bemerkt Mavromoustakos, daß Kambanellis nicht in dem Maße auf genau
dieses Theater fixiert ist wie viele seiner Kollegen in der Nachkriegszeit. Siehe Mavromoustakos, Platon
(Μαυροµούστακος, Πλάτων): Das Märchen ohne Namen. Notizen für eine ungewöhnliche Lesart (Το
Kambanellis - Einleitung
S. 10
Die erste Form, mit der Kambanellis experimentierte, war die dramatische Satire12. Danach
nahm er wieder jene realistische Schreibweise auf, in der auch sein Erstlingswerk "Tanz auf
dem Getreidefeld" abgefaßt war. Damit wollte er sicherstellen, daß seine Stücke auch gespielt
würden13. Trotzdem ergriff er immer wieder Gelegenheiten, um zur dramatischen Komödie,
zum Humor oder dem respektlosen Blick der Satire zurückzukehren. Bei alledem bewegte er
sich fast immer in jenem Rahmen von "poetisch-sozialem Realismus, der seiner
Persönlichkeit entsprach."14
Von den vierzig Jahren, in denen Kambanellis sich mit dem griechischen Theater befaßte, lassen sich drei besonders produktive Phasen erkennen. Die erste ist in den 50er Jahren gleich zu
Beginn seiner Karriere. Darauf folgt eine relative Ruhepause bis in die Mitte der 60er Jahre.
Von 1965 bis 1981 war er kontinuierlich präsent. Eine weitere Schreibpause legte er in den
Jahren von 1981 bis 1987 ein. Seitdem und bis heute ist er wieder ständig am Schreiben.
Sowohl beim Schreiben seiner Stücke als auch bezüglich ihres späteren Schicksals auf der
Bühne lassen sich einige wichtige Stationen und Wendepunkte beschreiben. Die griechische
Theaterwissenschaft hat sich immer wieder und ausführlich mit dem Werk dieses Mannes
beschäftigt, was nicht weiter verwundert. Selten kann ein Bühnenautor auf ein so umfangreiches und formal wie inhaltlich vielseitiges Opus zurückblicken. Puchner15 entwickelte den
folgenden Kriterienkatalog für seine Analyse:
-
Thematische Unterscheidung zwischen realistischen und satirischen Stücken,
-
Die wechselnde Auswirkung von Vorbildern und anderen Einflüssen von außen,
-
Psychogramme der wichtigen Personen und ihr Zusammenspiel in den Stücken von
Kambanellis,
-
Analyse der Schreibtechnik einzelner Stücke, daneben auch Vergleich der von ihm
geschriebenen Stücke mit jenen, die er für Radio und Film adaptierte,
-
Bühnenpräsenz und Rezeption der Stücke,
-
sogar: volkskundlich interessante Details aus den Inhalten.
Aufgrund sich wiederholender Elemente in der Dramatik, den Stoffen und den Zeiträumen, in
denen die Stücke spielen, haben Kritiker und Analysten zwölf der insgesamt 34 Stücke zu
Trilogien zusammengefaßt. Dies sind:
12
13
14
15
παραµύθι χωρίς όνοµα. Σηµειώσεις για µια άτακτη ανάγνωση), Programmheft des Nationaltheaters 1995 zur
Aufführung des Stückes "Das Märchen ohne Namen", S. 23 - 37. Autoren, die sich enger an das
Nationaltheater banden, waren u. a. Kechaidis (Κεχαΐδης), Anagnostaki (Αναγνωστάκη), Skourtis (Σκούρτης)
und Efthymiadis (Ευθυµιάδης).
Das sind jeweils die ersten Versionen der Stücke "Odysseus, geh heim" und "Papa, der Krieg", beide 1952.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης Ιάκωβος): Meine geistige Herkunft ist das Lager (Η πνευµατική µου
καταγωγή είναι το στρατόπεδο), in (ders.): Von der Bühne und vom Parkett aus (Από σκηνής κι από
πλατείας), Athen 1990, S. 37 - 54.
Dromazos, Stathis (∆ροµάζος, Στάθης): Unveröffentlichte Studie zu <Das Märchen ohne Namen> (Ανέκδοτη
µελέτη για το Παραµύθι χωρίς όνοµα ) in: Iakobos Kambanellis: Theater, Bd. 2, Athen 1979, S. 301 - 309.
Dort bezeichnet Dromazos das Stück "Das Märchen ohne Namen" als "Synthese eines Brecht'schen Theaters
mit poetisch-sozialem Realismus, welcher der Persönlichkeit von Kambanellis entspricht" (S. 309).
Puchner, Walter: Philologische Betrachtungen der Bühnenstücke von Iakobos Kambanellis (Φιλολογικές
παρατηρήσεις στα θεατρικά έργα του Ιάκωβου Καµπενέλλη), in der Zeitschrift "Dromena" (∆ρώµενα), Heft
14 (Themenschwerpunkt zu Iakobos Kambanellis) von Mai - Juni 1995, S. 11 - 19. Zusätzlich zu den
Blickwinkel, unter dem der Theaterwissenschaftler Puchner das Stück von Kambanellis vorstellt, wären auch
viele andere lohnend. So wäre der systematische Vergleich seiner vielen Einakter interessant, oder eine
Analyse des Verfahrens, nach dem er Theaterstücke zu Hörspielen für das Radio umarbeitete.
Kambanellis - Einleitung
a)
S. 11
die "Trilogie des Hofes":
Der siebte Tag der Schöpfung
Der Hof der Wunder
Das Alter der Nacht
b) die "Trilogie der allegorisch-historischen Satire" beziehungsweise "Trilogie des
Krieges"16:
Odysseus, geh heim
Papa, der Krieg
Das Märchen ohne Namen
c)
die "Trilogie des Widerstands":
Die Kichererbse und die Bohne
Der Feind, das Volk
Unser großer Zirkus
d) und die "bürgerliche Trilogie":
Die vier Beine des Tisches
Das unsichtbare Ensemble
Der Weg geht mitten hindurch
Doch trotz der vielen Kritiken, Artikel und Studien, die sich mit Kambanellis befassen, gibt es
bis heute keine Arbeit, die sein gesamtes Werk umfassend darstellt, die wichtigsten Koordinaten seiner dramaturgischen Entwicklung herausarbeitet und die weitere Laufbahn seiner
Stücke auf der Bühne mitverfolgt.17 Um als Ausgangspunkt für spätere Forschungen eine
wertvolle Basis zu bilden, müßte eine solche Studie auch Archivmaterial zusammentragen
und die verschiedenen Inszenierungen der Stücke dokumentieren. Es handelt sich immerhin
um den wahrscheinlich wichtigsten Autor des neugriechischen Theaters18.
Die vorliegende Studie soll dazu beitragen, diese Lücke soweit wie möglich schließen. Hier
sollen die zwei Trilogien der ersten Schaffensperiode des Autors hinsichtlich ihrer
Dramaturgie und ihrer Aufführungen vorgestellt und analysiert werden. Diese Stücke wurden
ausgewählt, weil die Zeit, zu der sie geschrieben und uraufgeführt wurden, eine besonders
wichtige Periode in der politischen und sozialen Geschichte Griechenlands ist. Kambanellis
verarbeitete diese Entwicklungen in seinen Stücken. Dabei wählte er die Form der Trilogie,
um jeden thematischen Zyklus, den er behandelte, von verschiedenen Seiten her ausleuchten
16
17
18
Diese drei Stücke werden von dem Theaterwissenschaftler Nikos Chourmousiadis als allegorisch-historische
Satire bezeichnet. Siehe: Chourmousiadis, Nikos (Χουρµουζιάδης, Νίκος): Der Raum als Arche der Zeit (Ο
χώρος ως κιβωτός του χρόνου), Zeitschrift "Theatrika Tetradia" (Θεατρικά Τετράδια), Themenschwerpunkt
Iakobos Kambanellis. Heft 25, März 1993, S. 7 - 17.
Der Theaterwissenschaftler Georgos Pefanis dagegen bezeichnet sie als Trilogie des Krieges. Siehe: Pefanis,
Georgos (Πεφάνης Γιώργος): Artikel in der Zeitschrift "Nea Estia" (Νέα Εστία), Band 141, Heft 1673, Athen
1997.
Eine Ausnahme stellt der Theaterwissenschaftler Georgos Pefanis dar, der mehrere Aufsätze schrieb, die sich
mit Kambanellis und seinem Werk beschäftigen. Diese wurden in einem Sammelband veröffentlicht: Pefanis,
Georgos (Πεφάνης, Γιώργος): Iakobos Kambanellis. Untersuchungen und Annäherungen an sein
dramatisches Werk (Ιάκωβος Καµπανέλλης. Ανιχνεύσεις και προσεγγίσεις στο θεατρικό του έργο) Athen
2000, S. 81 - 118.
Die neugriechische Theaterliteratur ist sehr arm an Sekundärliteratur zu einzelnen Schriftstellern oder
Epochen. Walter Puchner bezeichnet die Historiographie des neugriechischen Theaters des 20. Jahrhunderts
schlichtweg als entmutigend. Puchner, Walter: Forschungsprobleme in der Geschichte des neugriechischen
Theaters (Ερευνητικά προβλήµατα στην ιστορία του νεοελληνικού θεάτρου), in: Geschichte des
neugriechischen Theaters. Sechs Studien (Ιστορία του νεοελληνικού θεάτρου. Έξι µελετήµατα), Athen 1984.
Kambanellis - Einleitung
S. 12
zu können. Entsprechend den Themen, die jeweils im Mittelpunkt standen, bediente er sich
unterschiedlicher Formen des Theaters, vorwiegend des Neorealismus und der Satire19.
Die Analyse dieser Stücke bedarf, wie schon erwähnt, einer Einführung, in der die
historischen und sozialen Entwicklungen, die ihre Entstehung mitprägten, genauso dargestellt
werden wie das kulturelle Geschehen und speziell die Theaterlandschaft im Griechenland der
Nachkriegszeit. Auch die Biographie von Kambanellis muß in Betracht gezogen werden, seine
Lebensgeschichte und sein persönliches Umfeld.
2.1 Die gesellschaftliche Lage im Griechenland der Nachkriegszeit
Als die deutschen Truppen am 12.10.1944 aus Griechenland abzogen, hätte man meinen
können, nun begänne eine gute Zeit für Griechenland. Leider kam es anders. Kurz darauf
setzte ein mehrjähriger Bürgerkrieg ein, der eine der schwierigsten Phasen der jüngeren
griechischen Geschichte bedeutete. Dieser blutige Krieg zwischen Brüdern sollte alle Plagen,
die unter der deutschen Besatzung eingesetzt hatten, noch verstärken: Hunger, Elend,
Zerstörung weiter Flächen von unverzichtbarem Ackerboden, Verluste von Menschenleben in
jeder Familie, den Verlust von Freiheit und Demokratie. Daraus erwuchs ein unerbittlicher
Haß zwischen den "nationalistischen" und den "fortschrittlichen" Lagern20, in die sich die
griechische Bevölkerung teilte. Offiziell dauerte dieser Krieg von 1946 bis 1949, tatsächlich
aber vergiftete er das gesamte öffentliche Leben Griechenlands über Jahrzehnte hinweg.
"Wenn man seine ideologischen und politischen Folgen mit in Betracht zieht, endete der
Bürgerkrieg erst 1974."21.
Dennoch trat nach Beendigung der Kriegshandlungen Griechenland in eine Phase der
relativen Befriedung, in der sich das politische System neu stabilisierte und vor allem die
völlig darniederliegende Wirtschaft mit voller Kraft neu aufgebaut wurde. Die politische
Stabilität war freilich eine äußerst konservative, da die herrschende Rechte sich auf die breite
Unterstützung durch die USA und deren Geheimdienst stützen konnte. Diese Rechte
unterband jegliches Freiheitsstreben, unterdrückte das Volk moralisch und wirtschaftlich und
schreckte zum Zweck des Machterhalts auch vor unlauteren Mitteln, etwa Wahlfälschungen,
nicht zurück. 22
Der Antikommunismus, in jener Zeit ein Element, das die ganze westliche Welt verband,
"durchtränkte in Griechenland jeden Bereich des sozialen und kulturellen Lebens"23 und
bildete die Achse, an der sich das gesamte politische Geschehen ausrichtete. Ab 1958 traten
Maßnahmen "legalisierten Terrors" in Kraft: Mitglieder der KP wurden inhaftiert oder
umgebracht, Straflager für den Dauergebrauch wurden eingerichtet. Doch der Druck reichte in
alle Bereiche des sozialen Lebens. Wer in den Staatsdienst eintreten wollte, einen Reisepaß
oder auch nur einen Führerschein haben wollte, mußte eine "Bestätigung der staatstragenden
19
20
21
22
23
Da diese Zyklen bisher noch nicht wissenschaftlich untersucht wurden, möchte die Autorin hierfür diese
Bezeichnung einführen.
Die Bezeichnungen "Nationalisten" und "Fortschrittliche" (“εθνικιστές” und “προοδευτικοί”) sind folgendem
Buch entnommen: Tsoukalas, Konstantinos (Τσουκαλάς, Κωνσταντίνος): Die griechische Tragödie. Von der
Befreiung bis zur Militärjunta (Η ελληνική τραγωδία. Από την απελευθέρωση ως τους συνταγµατάρχες).
Athen 1981, S. 102. (Original auf englisch, Greek Tragedy, London 1969.)
Tsoukalas, Konstantinos (Τσουκαλάς, Κωνσταντίνος): Staat, Gesellschaft, Arbeit im NachkriegsGriechenland (Κράτος, κοινωνία, εργασία στη µεταπολεµική Ελλάδα), Athen 1987, S. 17.
Svoronos, Nikos G. (Σβορώνος, Νίκος Γ.): Übersicht über die neugriechische Geschichte (Επισκόπηση της
νεοελληνικής ιστορίας), Athen 1972, S. 114.
Tsoukalas, Konstantinos, wie FN 20, S. 103.
Kambanellis - Einleitung
S. 13
Gesinnung" vorlegen.24 Bürger, deren linke Gesinnung bekannt wurde, waren vielen Arten
von Unterdrückung ausgesetzt. Sie mußten sich als Exilanten in der eigenen Heimat fühlen, da
es der Staat selbst war, der ihnen das Leben schwer machte. Die übermächtige Rechte verfügte
über die militärische und politische Macht. Die fortschrittlichen Kräfte, die sich ihr
entgegenstellten, hatten kaum Möglichkeiten zur Einflußnahme. So beschlossen sie, die über
den Marshall-Plan eingeflossenen Gelder nach Gutdünken einzusetzen und zu verteilen. Unter
dem damaligen Minister für öffentliche Arbeiten wurde ein umfassender Plan zum
Wiederaufbau und zur Industrialisierung durchgesetzt, der besondere Bedeutung erlangte, als
Karamanlis, der bisher diesen Ministerposten bekleidet hatte, 1955 zum Ministerpräsidenten
ernannt wurde.
In den acht Jahren, da Karamanlis an der Macht blieb, verband sich sein Name untrennbar mit
dem Begriff, der die griechische Gesellschaft jener Zeit beherrschte: dem des
"Wiederaufbaus". Dieser Aufschwung, der sich im Steigen aller wirtschaftlicher Rahmendaten
manifestierte, hatte allerdings auch Schattenseiten. Gleichzeitig sank der Lebensstandard eines
Großteils der Arbeitnehmer und wuchs die Arbeitslosigkeit. Die Landbewohner flohen in die
Stadt Athen, weil sie dort Arbeit zu finden hofften; die Stadt wurde zum Moloch. Die
Abwanderung ganzer Dörfer nach Zentral- und Westeuropa begann schon in den 50er Jahren
und wurde gegen Ende der 60er Jahre zu einem Massenexodus, der das Land ausblutete. Auf
der anderen Seite hatte 1922 ein Flüchtlingsstrom aus Kleinasien zigtausende Entwurzelte in
Hüttenviertel um die Stadt herum gebracht. In den folgenden Jahren gesellten sich ihnen
politisch motivierte Flüchtlinge hinzu, die hofften, in der Anonymität der Stadt Athen dem
mörderischen Bürgerkrieg zu entkommen. Diese heterogene Mischung entwickelte in den
Jahren des Wiederaufbaus ein neues urbanes Klima. In den 50er und 60er Jahren bekam das
Umland Athens und Thessalonikis das Aussehen einer "riesigen Baustelle"25. Diese
Entwicklung erfaßte später auch viele Provinzstädte.
Die alten neoklassizistischen Gebäude wurden abgerissen, Athen wurde mit fünfstöckigen
Baustellen überzogen und verlor damit viel von seiner Wohnqualität. In Griechenland hatte
schon vor dem Zweiten Weltkrieg eine verfrühte Verstädterung eingesetzt, der die
Industrialisierung stets weit hinterherhinkte. Diese Tendenz verstärkte sich nach Kriegsende.
Da keine wirklich produktiven Kräfte in der Stadt gebündelt waren, bekamen immer mehr
Arbeitsverhältnisse einen parasitären oder vorläufigen Beigeschmack.26 Was aufblühte, war
der tertiäre Wirtschaftssektor: Handel, Transport und Dienstleistungen. Der Bauboom, der
sich aus der raschen Urbanisierung und den Bedürfnissen der vielen neu Hinzugezogenen
ergab, zog die meisten Investitionen an. In dieser Branche wurden riesige Gewinne gemacht.27
Die Menschen, die hiervon profitierten, bildeten zusammen mit jenen, die große staatliche
Bauvorhaben übertragen bekamen, eine neue Schicht von Neureichen28. Der Staat stellte
seinerseits Personen als Beamte ein, wenn ihre politische und ideologische Überzeugung den
jeweils herrschenden Parteien entsprach. Damit wurden die kleinbürgerlichen Schichten
24
25
26
27
28
Clogg, Richard: A Concise History of Greece 1770 - 1990. Cambridge 1992. In griechischer Übersetzung
Συνοπτική ιστορία της Ελλάδος 1770 - 1990 von Papadaki, Lydia (Παπαδάκη, Λυδία), Athen 1995, S. 156.
Clogg, Richard, wie FN 24, S. 157.
Filias, Basilis (Φίλιας, Βασίλης): Gesellschaftliche Integration und Bewußtsein (Κοινωνική ένταξη και
συνείδηση), in: Vierzehn soziologische Essays (∆εκατέσσερα δοκίµια κοινωνιολογίας), Athen 1991, S. 72.
Meraklis, Michalis G. (Μερακλής, Μιχάλης Γ.): Griechische Volkskunde. Die gesellschaftlichen
Schichtungen (Ελληνική λαογραφία. Κοινωνική συγκρότηση) Athen 1984, hier S. 131.
Kondylis, Panagiotis (Κονδύλης, Παναγιώτης): Der Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform. Die
liberale Moderne und die massendemokratische Postmoderne. (Η παρακµή του αστικού πολιτισµού. Από την
µοντέρνα εποχή και από τον φιλελευθερισµό στη µαζική δηµοκρατία), Athen 1991, hier S. 41. (Deutsche
Fassung: Weinheim 1991.)
Kambanellis - Einleitung
S. 14
verstärkt. Die Polarisierung, welche eine Modernisierung der griechischen Gesellschaft
verhinderte, wurde so immer tiefer verinnerlicht.29
2.2 Das kulturelle Geschehen
Unter dem Druck des harschen politischen Klimas in der Nachkriegszeit wird Griechenland
auch kulturell neu geprägt. Herrschte in den 50er Jahren noch ein alles lähmender Kalter
Krieg, so kam es in den 60er Jahren zu einer kraftvollen kulturellen Erneuerung, die erst durch
den schweren 'Winter' der Militärdiktatur wieder abgetötet werden konnte.
In den Nachkriegsjahren kamen alle Werte aus der Vorkriegszeit auf einen schweren
Prüfstand. Unter diesem Einfluß entstand in Griechenland eine "Bewegung", welche die
Festigung einer nationalen und kulturellen Identität anstrebte - keine leichte Aufgabe für ein
Land, welches geopolitisch und kulturell stets zwischen einem weiter entwickelten Europa
und einem weniger entwickelten Orient stand30. Hauptträger dieser Bewegung waren Manos
Chatzidakis31 und Mikis Theodorakis32, jene beiden Komponisten, die nicht nur unter
ihresgleichen, sondern im Bewußtsein des gesamten Volkes dem Volks-Kunst-Lied einen
festen Ehrenplatz verschafften. Sie griffen auf das Volkslied der urbanen Zentren zurück und
entwickelten es zum Kunstlied weiter. So verschwand die Trennlinie, die bisher die beiden
29
30
31
32
Tsoukalas, Konstantinos, wie FN 21, S. 92.
Für dieses Kapitel wurden auch Informationen bezogen aus der Veröffentlichung der Athener
Verlagsgesellschaft (Εκδοτική Αθηνών) (Hg.):Griechische Geschichte. (Ελληνική ιστορία) Athen 1992, Bd.
25, S. 418 - 443.
Vournas, Tasos (Βουρνάς, Τάσος): Das zeitgenössische Volkslied (Το σύγχρονο λαϊκό τραγούδι) In:
“Epitheorisi Technis” (Επιθεώρηση Τέχνης), Heft 76, April 1961, S. 277 - 285.
Chatzidakis, Manos (Χατζιδάκις, Μάνος) (1925 - 1994) war einer der wichtigsten Komponisten
Griechenlands nach dem Zweiten Weltkrieg, man darf ihn wohl, was die Beliebtheit und Originalität seiner
Lieder betrifft, mit Theodorakis auf eine Stufe stellen. Er beschäftigte sich auch intensiv mit Musik für
Theater und Film. Für das Lied über den Hafen von Piräus im Film "Never on Sundays" (Ποτέ την Κυριακή)
erhielt er 1960 den Oskar für Filmmusik. Er war zutiefst vom griechischen Volkslied beeinflußt, das er
kreativ weiterentwickelte. Seine Werke zeichneten sich durch eine ganz eigene Klangfarbe und Stimmung
aus, die wenig auf äußere Umstände der jeweiligen Aktualität reagierte, sondern mehr eine innere Rührung
und die persönliche Sehnsucht jedes Einzelnen nach Leben.
Hierin unterscheidet er sich klar von Mikis Theodorakis, der ganz eindeutig und bewußt auf konkrete aktuelle
Ereignisse einging und fest umrissene politische Ansichten dazu äußerte, ja, auch versuchte, die Zuhörer zu
politischen Aktionen aufzurufen.
Obwohl dieses Dilemma, ernsthaft betrachtet, nicht wirklich unüberwindbar ist, wurde es doch zu den Zeiten,
da beide Musiker ihre wichtigsten Werke veröffentlichten, Anlaß für unzählige Diskussionen und
Abhandlungen.
Theodorakis, Mikis (Θεοδωράκης, Μίκης) (geb. 1925) ist eine der wichtigsten Persönlichkeiten in der
griechischen Musikszene des 20. Jahrhunderts, und besonders während der letzten 30 Jahre im Bereich des
griechischen (Kunst-)Liedes. Er genoß anfangs eine klassische Ausbildung und komponierte auch seine ersten
Werke in durchaus klassischen Formen. Anfang der 60er Jahre beschäftigte er sich mit dem Kunstlied, wobei
auf bahnbrechende Weise traditionelle Weisen, traditionelle Musikinstrumente und die Harmonien
byzantinischer Kirchenmusik mit den anspruchsvollsten Werken griechischer Poeten aus den 30er Jahren
zusammenbrachte und damit den bisher vorherrschenden Schlager nach westeuropäischem Vorbild
verdrängte. Gleichzeitig war er von seiner Jugend an sehr stark politisch engagiert. Er mußte Gefängnis,
Folter, Verbannung und Exil ertragen, sein musikalisches Werk wurde während der Militärdiktatur verboten,
die er aus dem Exil heraus heftig bekämpfte. Sein weiteres Werk war inhaltlich sehr von dieser kämpferischen
Haltung bestimmt.
Zu anderen Zeiten war er mehrfach Abgeordneter im griechischen Parlament. Bis heute ist er in der
griechischen Musikszene aktiv. Er komponiert weiterhin Liederzyklen, beschäftigt sich aber gleichzeitig seit
vielen Jahren mit wachsender Intensität mit Kompositionen auf dem Gebiet der Klassik.
Kambanellis - Einleitung
S. 15
Lager streng getrennt, wenn nicht zu Gegnern gemacht hatte.33 So erfüllten diese
Komponisten eine wichtige kulturelle Forderung, die seit den dreißiger Jahren laut geworden
war: die griechische Identität34 in allen Formen, in denen sie existiert, anzuerkennen. Gegen
Ende der 50er Jahre wandten sich diese Intellektuellen und Künstler der Rembetiko-Musik35
zu, einer wesentlichen Ausdrucksform griechischer Musiktradition, welche bis dahin verachtet
und als wertlos eingestuft worden war.
Schon 1948 hielt Manos Chatzidakis jenen legendären Vortrag über das Rembetiko-Liedgut,
in dem er dafür plädierte, diese musikalische Tradition ernst zu nehmen, damit sich auch die
zeitgenössische Musik wirklich kreativ weiterentwickeln könne. "Wer die Realität nicht zur
Kenntnis nehmen will, und gerade dann, wenn sie sogar das eigene Heimatland betrifft, kann
dabei nur sich selbst schaden... "36 In diesem Sinne entwickelte sich das Volkslied, welches
die Stimmungen des griechischen Volkes auszudrücken vermochte, indem es Elemente der
westeuropäischen klassischen Musik mit byzantinischer Kirchenmusik, Rembetiko-Musik und
Poesie verband. Diese Art Lieder wurden von großen Teilen der Bevölkerung zutiefst
angenommen. Die Menschen empfanden nicht nur ihre eigenen Gefühle adäquat ausgedrückt,
sondern wurden auch stolz, zu entdecken, welch eine reiche Musiktradition und welch eine
gute zeitgenössische Dichtung der griechischen Kultur zur Verfügung steht.37
Manos Chatzidakis verwendete Melodien aus der Volksmusik für die Theatermusik. Dieser
Bereich war bisher ganz der "E-Musik" vorbehalten.38 Mikis Theodorakis verband erstklassige
Dichtung mit musikalischen Formen, die aus dem Rembetiko-Bereich stammten. In seinen
Liedern fanden all jene Platz und Verständnis, die im Bürgerkrieg verfolgt waren, die
Besiegten und Unterdrückten mit ihren Sehnsüchten, ihrer Liebe und ihren Träumen39.
Gleichzeitig wurde Theodorakis im Rahmen der Linken politisch sehr aktiv. Er vertonte
gewissermaßen den Aufschrei der Massen, die hinter dieser Bewegung standen und half ihnen
dazu, in der kulturellen Revolution Forderungen auszudrücken.
Im kommerziellen Bereich des Kinos, welcher in den 50er Jahren zu einer Art
Massenkonsumartikel wurde, herrschten zwei Arten von Film vor: das Melodram und die
Farcenkomödie. Sie erfüllten das Bedürfnis weiter Bevölkerungsschichten, der Realität zu
33
34
35
36
37
38
39
Theodorakis, Mikis (Θεοδωράκης, Μίκης): Das Volks-Kunst-Lied (Έντεχνο λαϊκό τραγούδι), in: Ders.:
Wehrhafte Kultur (Μαχόµενη κουλτούρα), Athen 1982, S. 17 - 22.
Dies war eine der wichtigsten Forderungen, die Intellektuelle und Künstler der Generation der 30er Jahre
gestellt hatten. Sie verteidigten die byzantinische und die Volks-Kunst gegen den Westen und alle Übel, die
sie darin verkörpert sahen.
Bis zum Ende der 50er Jahre war das Griechische zum zentralen Begriff in allen Kulturbereichen geworden.
Man versuchte damit, das griechische Element, wie es in der Volks-Kunst noch anzutreffen war, zu einem
lebendigen Schutz gegen fremde Wirtschaftsmächte und kulturelle Abhängigkeit aufzubauen.
Unter dieser Bezeichnung wurde die populäre Musik der Stadtbevölkerung bekannt, welche gegen Ende des
19. Jh. entstand. Ihre Wurzeln liegen in marginalisierten Gruppen, die zusätzlich von der Vertreibung aus der
Türkei um 1922 traumatisiert und geprägt wurden. In den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jh. nahm
sie ihre wesentliche Gestalt an. In den vierziger und fünfziger Jahren erlebte sie ihre Blüte, doch danach auch
gleich seinen Niedergang. Im Nachhinein erst wurde ihre tiefe Bedeutung erkannt, weswegen sie seither in
mehreren "Nostalgiewellen" wieder populär wurde. Auch in Deutschland wurde diese Musikrichtung durch
den Film "Rembetiko" ein Begriff.
Chatzidakis, Manos (Χατζιδάκις, Μάνος): Interpretation und Situation des Volksliedes (Ερµηνεία και θέση
του λαϊκού τραγουδιού). Vortrag am Theater der Kunst 1948, abgedruckt in der Zeitschrift "Elliniki
Dimiourgia" (Ελληνική δηµιουργία), März 1949.
Kalpaka, Annita und Dudek, Brigitte: Griechenland. Hamburg 1982, hier S. 200.
Theodorakis, Mikis, wie FN 33.
Kalpaka, Anita, wie FN 37.
Kambanellis - Einleitung
S. 16
entfliehen.40 Im Melodram wurde der Wunsch nach gesellschaftlichem Aufstieg und der
Traum von raschen Reichtum thematisiert. Die Farcenkomödie (oder auch Burleske) war eine
Mischung von Elementen der Buffo-Tradition, der Chaplineske, der Clowngestalt und der
Karagiozis-Schattenspielen, von Revue, Satire, Zirkus, ja sogar vom Jahrmarkt auf dem Dorf.
Sie hatte vor allem deswegen durchschlagenden Erfolg, weil sich wunderbare Schauspieler in
ihre Dienste begeben hatten.41 Es waren dies Meister ihres Faches, die vorher schon ihr
Können auf der Bühne unter Beweis gestellt hatten. Dort hatten Stücke in der gleichen Art
schon große Erfolge gefeiert, und diese Form wurde fast unverändert in den Film
übernommen. Die Schauspieler waren durchweg Autodidakten und volksnah. Sie
entwickelten einen ganz eigenen Stil der Darstellung, eine Mischung aus übertriebener
Verstellung, Improvisation und Choreographie der Körper. Man nannte dies die Commedia
dell'arte im Film42.
Von 1950 an entstanden Filme, die durch das Objektiv der Kamera die zeitgenössische
griechische Wirklichkeit einzufangen versuchten. Sie standen unter dem Einfluß des
italienischen Neorealismo. Sie zeichneten sich durch hohen ästhetischen Anspruch aus und
fanden zum großen Teil auch internationale Anerkennung. Höhepunkt des Einflusses vom
Neorealismo war der Zeitraum von 1950 bis 1955 und da ganz besonders die Filme von
Koundouros "Magische Stadt" und "Der Drache", welche ein typisches Beispiel davon sind,
wie das Kleinbürgertum und seine Probleme heroisiert wurden43.
2.3 Die Theaterlandschaft in Griechenland nach dem Krieg - Die
Tradition
Wenn wir über die Tradition des neugriechischen Theaters sprechen wollen, kommen wir
nicht umhin, eine seiner zentralen Institutionen aus der Nähe zu betrachten: das
Nationaltheater. Über viele Jahre hinweg prägte es die Spielpraxis mit der Aufführung
ausländischer, antiker und neugriechischer Stücke, da das griechische Theaterleben vorher im
wesentlichen von zwei Gattungen bestimmt wurde, die in Griechenland eine jeweils sehr
eigene Form gefunden hatten: die Karagiozis-Schattenspiele und die "Griechische Revue".
Obwohl keine dieser Gattungen jemals in Reinform auf dieser Bühne realisiert wurde,
beeinflußten sie dennoch maßgeblich das Schreiben von neuen Stücken, die Schauspielerei
und vor allem die dramaturgische Tradition.
Dem Nationaltheater, 1932 in Athen gegründet, gelang es, eine beachtenswerte Kontinuität im
Theaterleben des Landes zu begründen, da es fast immer mit äußerst fähigen Schauspielern
und Regisseuren arbeitete. Es befaßte sich vorwiegend mit dem europäischen Repertoire oder
mit Stücken aus der klassischen Antike. Man wirft ihm vor, zeitgenössische griechische
Stücke vernachlässigt zu haben44. Alekos Solomos merkte an, als er die Jahre 1932 bis 1955
40
41
42
43
44
Stella, Luigia Achillea: Die Odyssee und der Krieg (Η Οδύσσεια και ο πόλεµος). Zeitschrift "Apopsis"
(Απόψεις), Athen 1985, S. 18.
Moumtzis, Alexandros (Μουµτζής, Αλέξανδρος): Die griechische Film-Komödie (Η ελληνική
κινηµατογραφική κωµωδία), in: Epilogos. Kulturelles Jahrbuch (Επίλογος, Ετήσια πολιτιστική έκδοση), Bd.
95. November 1995, S. 392 - 422.
Zu dem Terminus "Commedia dell'arte im Film" siehe Valukos, Stathis (Βαλούκος, Στάθης): Die
Farcenkomödie und der griechische Humor (Η φαρσοκωµωδία και το ελληνικό χιούµορ), Zeitschrift
"Diavaso" (∆ιαβάζω), Heft 124, Themenschwerpunkt Humor. Juli 1985, S. 25 - 32.
Balis, Nikos (Μπαλής, Νίκος): Das soziale Theater in Griechenland (Το κοινωνικό θέατρο στην Ελλάδα),
Zeitschrift "Anichto Theatro" (Ανοιχτό θέατρο), Heft 3, 1972, S. 7 - 21, hier: S. 16.
Rotas, Vasilis (Ρώτας, Βασίλης): Nationaltheater mit Helm. Seine Taten rechtfertigen nicht seinen Titel
(Εθνικό θέατρο µε περικεφαλαία. Οι πράξεις δεν δικαιολογούν τον τίτλο του). Zeitung "Risospastis"
Kambanellis - Einleitung
S. 17
des Nationaltheaters rekapitulierte: "Was den dramaturgischen Geist und den Aufbau der
Vorstellungen betrifft, setzte sich der 'Reinhardismus' durch." 45 Da der Elan des Theaters
jedoch während der deutschen Besatzungszeit stark gebremst wurde, stagnierte seine
Entwicklung in der Nachkriegszeit, es zeigte deutliche Anzeichen von Erschöpfung und nahm
häufig Zuflucht zu Wiederholungen.46
Die gleich anschließende Epoche unter der Leitung von Chourmouzios (1955 - 1963) war eine
der erfolgreichsten, sowohl von der künstlerischen Leistung als auch von der Anzahl der Zuschauer her gesehen. Zwei Ereignisse waren es, die dem Nationaltheater und der griechischen
Theaterwelt überhaupt neue Impulse gab. Das erste war die erstmalige Bespielung des antiken
Theaters von Epidaurus in der jüngeren Zeitgeschichte. Sie gab den Anstoß zur Gründung des
Nationaltheaters im Jahr 1955. Das zweite Ereignis war die Eröffnung einer sogenannten
"Zweiten Bühne" am Nationaltheater, welche allgemein als "Neue Bühne"47 bezeichnet
wurde. Sie sollte sich ausschließlich den Stücken junger griechischer Theaterautoren widmen.
Obwohl sie in dieser Form nur zwei Jahre lang existierte, hatte sie doch eine katalytische
Wirkung.
Die beiden eigenständigen Theaterformen, die Griechenland entwickelt hatte, sind das Karagiozis-Schattenspiel und die Griechische Revue. Das Karagiozis-Schattenspiel48 hat eine
lange Tradition in Griechenland. Es erlebte während der Besatzungszeit eine erste schwere
Krise, um in den 50er Jahren mit dem Aufkommen des Kinos 1950 - 1952 49 fast ganz zu
verschwinden. Doch auch der Bauboom war daran beteiligt: die unbebauten Grundstücke in
45
46
47
48
49
(Ριζοσπάστης), 18.03.1975. In diesem Artikel bedauert Rotas, daß das Nationaltheater so selten auf neuere
griechische Stücke zurückgreift.
Solomos, Alexis (Σολοµός, Αλέξης): Chronik vom Leben und der Kunst eines Theaters. Das Nationaltheater
1932 - 1973 mit kurzer Betrachtung seiner Vorgeschichte (Χρονικό ζωής και τέχνης ενός θεάτρου. Εθνικό
θέατρο 1932-1973 µε σύντοµη αναφορά στηνπροϊστορία του), Nachwort in Band 1, 1932 - 1955, Zeitschrift
"Theatrika" (Θεατρικά). Das Nationaltheater. Dreifach-Heft Nr. 11, 12 und 13 (Juli - August - September
1973), S. 631.
Solomos, Alexis (Σολοµός, Αλέξης): Einleitung zum Jubiläumsband 60 Jahre Nationaltheater 1932 - 1992
(60 χρόνια Εθνικό Θέατρο 1932 - 1992), Athen 1982, S. 9 - 16.
Die griechischen Bezeichnungen sind ∆εύτερη σκηνή (Zweite Bühne) und Νέα σκηνή (Neue Bühne). Die
Neue Bühne wurde 1971 wiedereröffnet. Sie wurde wieder Experimentierfeld für neue Autoren, Regisseure
und Bühnenbildner, war nun aber nicht mehr ausschließlich neugriechischen Autoren vorbehalten.
Karagiozis-Schattentheater (Καραγκιόζης) ist ein Theater mit Figuren aus Pappe, die hinter einer Leinwand
an Stäben bewegt werden. Ein Licht wirft ihren Schatten als Umriß auf die Leinwand. Diese Technik erreichte
Griechenland über die Türkei, wo das Genre und Hauptperson Karagöz heißen und etablierte sich nach der
Unabhängigkeit Griechenlands im Jahr 1821 als eigenständige Theaterform. Karagiozis bekam sehr
griechische Eigenschaften. Ab 1900 kann man von einem wirklich eigenständigen griechischen KaragiozisTheater sprechen. Die Hauptperson Karagiozis ist ein ganz durchschnittlicher Grieche: ungebildet, aber
hochintelligent, stets hungrig und stets imstande, durch Schläue sein Essen zu bekommen. Er ist permanent
arbeitslos und permanent faul. Jene, die ihn ausnutzen wollen, behandelt er mit entwaffnender Spontaneität
und Ehrlichkeit.
Eugenios Spatharis (Ευγένιος Σπαθάρης), Sohn des legendären Karagiozis-Aufführers Sotiris Spatharis
(Σωτήρης Σπαθάρης), führte das Schattenspiel vor, wann immer sich eine Gelegenheit bot, etwa in Schulen
und bei Versammlungen, um die Kunst am Leben zu erhalten, deren Niveau anderweitig schon zu sinken
begann. Er wurde gebeten, die Kunst von Karagiozis-Darstellungen den Schauspielern beizubringen, die
beispielsweise das Stück "Alexander der Große und die verfluchte Schlange " (Ο Μεγαλέξανδρος και το
καταραµένο φίδι), oder später "Die Reise" (Το ταξίδι) von G. Themeli (Γ. Θεµελή) am Kratiko Theatro
Voriou Ellados, Thessaloniki (Κρατικό Θέατρο Βορείου Ελλάδος) spielten. Diese Aufführungen wurden vom
Autor selbst inszeniert. Spatharis wurde auch für die Umsetzung von Kambanellis' Stück "Unser großer
Zirkus" (Το µεγάλο µας τσίρκο) 1973 (Thiasos "Karezi - Kazakou" (Καρέζη - Καζάκου)) hinzugezogen.
Diese Informationen stammen aus dem Artikel von Androniadis, Ilias (Ανδρωνιάδης, Ηλίας): Das
Schattentheater und Eugenios Spatharis (Το θέατρο σκιών και ο Ευγένιος Σπαθάρης), Zeitschrift "Simera"
(Σήµερα), Heft 6, November - Dezember 1982, S. 43 - 45.
Kambanellis - Einleitung
S. 18
der Stadt, auf denen fahrende Karagiozis-Spieler Vorstellungen geben konnten, wurden
allmählich zugebaut. Gegen Ende der 50er Jahren wurde das Karagiozis-Schattentheater
wiederentdeckt und avancierte schon fast zur Mode. Die Intellektuellen und Künstler, auf der
Suche nach Elementen der Volkskunst, welche eine eigene nationale Identität mitbegründen
helfen könnten, sahen unter anderem im Karagiozis-Theater ein solches Element.50 Schon
1950 hatte eine Gruppe wichtiger Künstler ein Theaterstück aufgeführt, in dem das
Karagiozis-Theater mit dem Tanztheater kombiniert wurde. Der große Erfolg dieser Arbeit
ließ das Karagiozis-Theater allgemein wiederaufleben. Es folgten weitere Versuche, es mit
anderen Theaterarten zu verbinden. Das Karagiozis-Theater wurde zur Inspirationsquelle
junger Theaterautoren. Vielleicht ist das ein Grund dafür, daß das Theater der Nachkriegszeit
in Griechenland thematisch und stilistisch oft in die Nähe von Karagiozis-Spielen kam.51
Auch die Griechische Revue52 ist eine Form, die in Griechenland eine lange Tradition hat und
sich zu einer eigenständigen Gattung entwickelte. Ihre Blütezeit war in den Jahren 1950 bis
1956, und auch sie verdankte dies größtenteils ihren hervorragenden Darstellern. Die Griechische Revue erreichte genauso wie das Karagiozis-Theater große Teile der Bevölkerung. Bis
heute ist sie sehr lebendig geblieben. Die spezifisch griechische Dramaturgie bestand hauptsächlich aus einer Verbindung von Melodram und Sittengemälde; diese beiden Elemente
wurden erst allmählich kritisch hinterfragt.
Wie Puchner es in seiner Studie " 'Der Schößling' und das Erbe des Sittengemäldes"53 darlegt,
verhinderten die besonderen geschichtlichen und sozialen Umstände in Griechenland, daß ein
Stück wie "Der Schößling" von Pandelis Chorn vor 1921 das Rampenlicht erblickte. Dieses
Stück unterschied sich durch seinen sozialkritischen Blick deutlich von den üblichen Darstellungen. Mehrere Theaterautoren nahmen diese Anregungen auf und schrieben Bühnenstücke,
die sich ernsthaft mit sozialkritischen, geschichtlichen oder psychologischen Sachverhalten
befaßten. Diese neue Richtung in der Dramaturgie wurde spätestens 1936 völlig unterbunden.
50
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53
Puchner, Walter: Die Stellung des Karagiozis in der Geschichte des neugriechischen Theaters (Η θέση του
Καραγκιόζη στην ιστορία του νεοελληνικού θεάτρου), in: Puchner, Walter: Griechische Theaterwissenschaft
nach Walter Puchner (Ελληνική θεατρολογία υπό Βάλτερ Πούχνερ), Athen 1988, S. 411 - 418, hier S. 413.
Puchner, Walter, wie FN 51, hier S. 414 - 415. Puchner bemerkt hier, daß die Welt der Kleinbürger der
Atmosphäre des Karagiozis-Genres sehr nahe ist. Unter direktem Einfluß des Karagiozis-Theaters entstand
beispielsweise das Stück "Karagiozis wäre fast Vezir geworden" (Ο Καραγκιόζης παρά λίγο Βεζύρης) von
Skourtis, Georgos (Σκούρτης, Γιώργος), 1973, am Nationaltheater.
Die "Griechische Revue" (Ελληνική επιθεώρηση) ist eine Gattung, die in gewisser Weise der europäischen
Revue bzw. dem Kabarett ähnelt. Das Kabarett im westeuropäischen Sinne hat es in Griechenland nie
gegeben. Die Form der griechischen Revue "Epitheorisi" basiert auf einer Anregung durch die italienische
Revue "Grand Via", die 1894 in Griechenland gastierte. Der Eindruck war so stark, daß daraufhin eine
eigene, griechische Version der Revue entwickelt wurde. Ihre wichtigsten Kennzeichen sind
abwechslungsreiche Darstellung, Aneinanderreihung kurzer Szenen, aktuelle politisch-satirische Inhalte. Die
verwendeten Stilmittel sind der Einsatz von viel Musik, Liedern und Tanzstücken, zwischen die kurze Szenen
eingebaut werden, in denen mit sehr satirischen Texten alle Themen der Aktualität kritisiert werden können.
Dabei werden auch ganz konkret bekannte Persönlichkeiten angesprochen, karikiert und bloßgestellt. Viele
Schauspieler waren auf diese Sparte spezialisiert, manche sogar auf einen bestimmten Typus, den sie
verkörperten. Die griechische Revue "Epitheorisi" ist bis heute aktuell, wobei mehrmals Zeiten der Blüte mit
Zeiten von Bedeutungsverlust abwechselten.
Puchner, Walter: "Der Schößling" und das Erbe des Sittengemäldes (“Το φιντανάκι” και η κληρονοµιά της
ηθογραφίας), in: Ders.: Europäische Theaterwissenschaft. Elf Studien (Ευρωπαϊκή θεατρολογία. Ένδεκα
µελετήµατα), Athen 1984, S. 318 - 331, hier S. 327. Das Theaterstück "Der Schößling" ("Το φιντανάκι")
(1921) von Pandelis Chorn (Παντελής Χόρν) ist ein Sittengemälde der kleinbürgerlichen Gesellschaft im
Athener Viertel der Plaka direkt unterhalb der Akropolis. Erstmals wird hier auf naturalistische Weise das
Milieu der Kleinbürger und der Marginalisierten zum Thema eines griechischen Theaterstückes. Dieses Stück
hatte sehr viel Erfolg und wurde daher sowohl von professionellen Theatern wie auch von Amateuren immer
wieder aufgeführt. Es gehört inzwischen gewissermaßen zum Selbstbild des modernen Griechen.
Kambanellis - Einleitung
S. 19
Erst ab 1950 hatte sie eine neue Chance. Die Diktatur unter Ioannis Metaxas und im Anschluß
die deutsche Besatzung und der Widerstand dagegen verurteilten eine ganze Generation von
Autoren zum Schweigen54. Die Zensur verschloß fast alle Möglichkeiten, im Theater
ernsthafte Inhalte zu verarbeiten. Nur in der Komödie und der Satire gab es noch gewisse
Spielräume.
So entwickelte sich in jenen Jahren eine Charakterkomödie in drei Akten, entsprungen aus
dem französischen Boulevard-Theater und dem Molière'schen Charaktertheater55. Erst in den
50er Jahren faßte man den Mut zu einer weniger strengen inneren Zensur, aber stets war
weiterhin die Gefahr polizeilichen Eingreifens56 gegenwärtig. Damit ihre Stücke überhaupt
gespielt werden konnten, verzichteten die Autoren auf "noch heiße" umstrittene Themen wie
etwa die deutsche Besatzung, den Bürgerkrieg und die Widerstandsbewegung57.
Seitdem lassen sich die neugeschriebenen Bühnenstücke grob in drei Richtungen einordnen58.
Eine steht deutlich unter dem Einfluß von Federico Garcia Lorca und Tennessee Williams.
Eine weitere beschäftigt sich in erster Linie mit historischen Themen. Die dritte schließlich ist
die Farcenkomödie59, der sich nicht nur die Komödienschreiber, sondern auch die
komödiantischen Darsteller zuwandten. Die Farcenkomödie entwickelte sich aus der
Kombination von Sozialkritik mit populär-komödiantischer Darbietung60. Es bildeten sich
Autorenpaare, die solche Stücke wie am Fließband fertigten und die Gattung mit einer
Überschwemmung an überwiegend niveaulosen Stücken zu einem Ende brachten. Doch in
den 50er Jahren spiegelte die Farcenkomödie die griechische Gesellschaft auf eine sehr
wahrhafte Weise wider. Besonders das Kleinbürgertum wurde in der neu entwickelten
Kategorie des "Griechischen Kleinbürgers, der soziale Kritik übt" treffend dargestellt.61 Die
besten griechischen Schauspieler verliehen dieser Schauspielgattung Leben. Die Autoren
wurden von den Schauspielern inspiriert und schrieben ihnen wiederum Texte auf den Leib,
um sie zu fördern oder ihnen zu schmeicheln62. Die beiden Bereiche verstärkten, ja
potenzierten sich gegenseitig. Man darf dabei nicht vergessen, daß die Dauerzensur und die
besonderen sozialen und politischen Umstände in Griechenland Bewegungen wie etwa den
Expressionismus gar nicht erst aufkommen ließen. Wenn eine solche Strömung Griechenland
54
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62
Ploritis, Marios (Πλωρίτης, Μάριος): Das Theater der Nachkriegszeit (1950 - 1967). Eine kleine Übersicht
(Το µεταπολεµικό θέατρο (1950 - 1967) Ένα µικρό διάγραµµα), Zeitschrift "I Lexi" (Η Λέξη), Heft 14, Mai
1982, S. 268 - 272.
Valukos, Stathis, siehe FN 42, hier S. 26.
Frangopoulos, Theodoros (Φραγκόπουλος, Θεόδωρος): Ein Hostienteller für Iakobos (Ένα κανίσκι για τον
Ιάκωβο), in der Zeitschrift "Diavaso" (∆ιαβάζω), Themenschwerpunkt ist das neugriechische Theater, Bd. 89,
7.03.1984, S. 21 - 23, hier S. 21.
Ploritis, Marios, wie FN 54, S. 269.
Ploritis, Marios, wie FN 54, S. 269 - 270.
Georgousopoulos, Kostas: Theater in Südosteuropa. In: Griechenland. Südosteuropa-Handbuch Band III,
herausgegeben von Klaus-Detlev Grothusen in Verbindung mit dem Südosteuropa-Arbeitskreis der
Deutschen Forschungsgemeinschaft, Göttingen 1980, S. 559 - 576.
Georgousopoulos, Kostas (Γεωργουσόπουλος, Κώστας): Die Farcenkomödie und Jialamas (Η
φαρσοκωµωδία και ο Γιαλαµάς), im Programmheft zur Aufführung des Stückes Das Geld (Το χρήµα) von
Jialamas, Asimakis (Γιαλαµάς, Ασηµάκης) am Theater "Anichto Theatro" ("Ανοιχτό Θέατρο") 1995, S. 7 - 9.
Georgousopoulos, Kostas, wie FN 50.
Nach Ansicht von Kostas Georgousopoulos gab es in Griechenland schon immer diese fast erotische
"Beziehung zwischen dem Schreiben für das Theater und der Darstellung". Sie durchzieht fast alle Epochen
des modernen griechischen Theaters und schafft über 100 Jahre lang eine "naturalistische Tradition" in der
Darstellung. Georgousopoulos, Kostas (Γεωργουσόπουλος, Κώστας): Einführung und Anmerkung in zehn
Absätzen (Εισαγωγικά και παρενθέσεις σε δέκα παραγράφους), in der Zeitschrift "Diavaso" (∆ιαβάζω);
Themenschwerpunkt ist das neugriechische Theater, Bd. 89, 07.03.1984, S. 12 - 15, hier S. 12.
Kambanellis - Einleitung
S. 20
überhaupt erreichte, wurde sie von den vorhandenen Traditionen aufgesogen, so etwa von
dem Sittengemälde63.
Als Mitte der 50er Jahre ein Umbruch in der griechischen Dramaturgie stattfinden konnte,
entstanden erstmals Stücke, die "ohne Schöntun die schwierigen Lebensbedingungen in der
Stadt und auf dem Land zu ihrem dramaturgischen Gegenstand machten".64 Diese Stücke
lassen sich als neorealistisch einstufen und erreichten ihre Blütezeit in den Jahren zwischen
1956 und 1960.
Auch die Dramatiker der Nachkriegszeit erkennen nur Karagiozis, die Griechische Revue und
die Farcen-Komödie als griechische Genres an und geben damit zu, daß es an einer Tradition
in der Dramaturgie mangelt65, auf deren Basis sie sich stützen könnten, um zu neueren
Formen zu finden. Diese Autoren sahen für sich keine andere Möglichkeit als die Orientierung
am amerikanischen und westeuropäischen neueren Theater, um sich die Behandlung von
modernen Themen und Techniken anzueignen, nach denen die neue Epoche verlangte. In
diesem Bereich war der Beitrag des "Theatro Technis" ausschlaggebend, der im folgenden
Kapitel analysiert wird.
2.4 Das "Theatro Technis": Träger des Neuen
Eines Tages, wenn wir vergangen sein werden, werden sie auf den Gängen und in den
Kulissen der Theater sprechen von der "Epoche des Koun".
Odysseas Elytis66
Das "Theatro Technis" des Karolos Koun67 ist eine Theaterinstitution, die das griechische
Theater in der zweiten Hälfte des 20en Jahrhunderts entscheidend prägte. Er führte es in neue
Richtungen, brachte ihm neue Elemente nahe und eröffnete ganz neue Perspektiven. Die
szenische Praxis des "Theatro Technis", welche das neugriechische Theater entscheidend
weiterentwickelte, setzte sich im wesentlichen aus zwei Komponenten zusammen: der
vielseitigen griechischen Volkstradition, und den avantgardistischsten Strömungen der
internationalen modernen Theaterwelt. Koun als nach westlichen Vorbildern erzogener Bürger
wurde als Flüchtling von Istanbul nach Athen vertrieben und fand großen Gefallen an der
lebendigen griechischen Volkskunst. Diese seine Begeisterung für die lebende griechische
Tradition, kombiniert mit der modernen Erziehung, die er mitbrachte, wurden die
entscheidenden Faktoren für seinen eigenen ästhetischen Weg. "Immer wieder fragte ich mich,
ob das, was ich tat, griechisch oder 'fränkisch68' war"69.
63
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Puchner, Walter, wie FN 53, S. 326.
Ploritis, Marios, wie FN 54, S. 270.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Eine Schule von Dramatikern (Μια σχολή δραµατουργίας),
im Programmheft des "Theatro Technis" zum Stück "Der Jahrmarkt" (“Το πανηγύρι”) von D. Kechaidis
(∆.Κεχαΐδης) 1964 - 1965.
Elytis, Odysseas (Ελύτης, Οδυσσέας): Karolos Koun und seine Zeit (Ο Κάρολος Κουν και η εποχή του), im
Jubiläumsband: Karolos Koun: 25 Jahre Theater (Κάρολος Κουν: 25 χρόνια θέατρο), Hg.: Theatro Technis,
Athen 1959, S. 68 - 70.
Karolos Koun (Κάρολος Κουν) (1908 bis 1987) absolvierte die Robert-Schule in Istanbul und studierte
anschließend in Paris Ästhetik. Danach kam er nach Griechenland. 1929 wurde er als Englischlehrer am
College von Athen eingestellt. Von dort aus begann sein beschwerlicher, mit unermüdlicher Beharrlichkeit
begangener Weg hin zur Errichtung eines neuen Theaters. Er schaffte auch ein reiches, vielfältiges Werk an
Inszenierungen.
Der Ausdruck 'fränkisch' stammt aus der Zeit der Kreuzritter und bezeichnete seitdem im Raum des
Osmanischen Reiches alles, was 'europäischen' oder 'westlichen' Ursprungs war.
Kambanellis - Einleitung
S. 21
Seine ersten Berührungen mit dem Theater hatte er im amerikanischen College von Athen, wo
er mit seinen Schülern erste Stücke realisierte. 1934 gründete er die "Laiki Skini "
(Volksbühne). Dort führte er Stücke wie "Erophili", "Plutos", "Alceste", "Die Vögel" auf und
experimentierte mit einem "volkstümlichen Expressionismus"70, den er wie folgt erklärt: "Die
ästhetischen Elemente, die mich damals faszinierten, verbanden ihren griechischen Charakter
aus der Volkstradition mit gewissen Stereotypen, wie sie sich im Leben der ursprünglichen
Dorf- oder Inselgemeinschaften finden, aber auch in den Volksliedern, ja, sogar weiter
zurückgehend in der byzantinischen Ikonenmalerei und den antiken Tonerzeugnissen."71 In
diesen Aufführungen strebte Koun eine klar umrissene Plastizität an.72
Seine Schauspieler wählte er gerne aus der breiten Bevölkerung, denn er hoffte, ihre Unbekümmertheit, Direktheit und Lebhaftigkeit mit in das Spiel einfangen zu können. Gleichzeitig
sah er die Schauspieler als Multiplikatoren. Indem er sie erzog und leitete, wollte er ihnen
auch helfen, ihre eigene ästhetischen Linie zu finden.
1936 nötigten finanzielle Schwierigkeiten Koun, die "Laiki Skini" zu schließen. Inzwischen
war Koun aber in der Theaterwelt Athens zu einem bekannten und überall gefragten Regisseur
geworden. Er inszenierte Aufführungen der größten freien Theater, vergaß jedoch dabei nicht
seinen Traum, ein eigenes Ensemble zu bilden, "welches sich von den schon bestehenden
Schauspieltruppen völlig unterscheiden sollte"73. Es sollte verbunden sein mit der dauerhaften
Einrichtung einer Schauspielschule, welche für dieses Ensemble die passenden Darsteller ausbilden sollte. Koun wollte sein Theaterideal in die Realität umsetzen, welches sich mit dem
folgenden Zitat umreißen läßt, das auch zum Motto des "Theatro Technis" wurde: "Wir
machen nicht Theater um des Theaters willen. Wir machen kein Theater, um leben zu können.
Wir machen Theater, um uns selbst reicher zu machen, und auch das Publikum, das uns
zusieht. Wir alle zusammen müssen dazu beitragen, daß sich in unserem Land eine breite,
vielfältige und umfassende Kultur entwickeln kann."74
Diese Vision hatte Koun im Blick, als er 1942 das erste "Theatro Technis" gründete, welches
bis 1944 bestand. Ein solcher Schritt während der Besatzungszeit durch die Deutschen hatte
sich natürlich gegen viele Widerstände zu bewähren. Doch gerade dieses Ankämpfen gegen
die harten Bedingungen von Hunger, Elend und Zensur verschaffte Koun auch viel Ansehen.
Er bekam fast die Aura eines Priesters einer verfolgten Religion, der allen äußeren
Schwierigkeiten zum Trotz Menschen um sich scharen konnte und ihnen gemeinsam den
Glauben an die Realisierung eines Traumes übertragen konnte, den Glauben an eine Religion
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74
Koun, Karolos (Κουν, Κάρολος): Die Tragödie erfordert Streben und eine besondere Ausbildung (Η
τραγωδία απαιτεί αναζήτηση και ειδική εκπαίδευση), in (ders.): Wir machen Theater für unsere Seele
(Κάνουµε θέατρο για την ψυχή µας), Athen 1987, S. 103 - 110.
Mit dem Ausdruck "volkstümlicher Expressionismus" (Λαϊκός εξπρεσσιονισµός) bezeichnete Karolos Koun
sein Bestreben, die Emotionen der einfachen Menschen unverwässert und echt wiederzugeben. Aus diesem
Grunde arbeitete er gerne mit relativ ungebildeten Schauspielern einfacher Herkunft: Einerseits wollte er
ihnen den Zugang zu weiterer Bildung eröffnen, andererseits nutzte er ihr ursprüngliches Temperament als
Bereicherung seiner Inszenierungen. Volksbühne heißt auf griechisch Λαϊκή Σκηνή.
Koun, Karolos (Κουν, Κάρολος): Der gesellschaftliche Standpunkt und die ästhetische Linie des "Theatro
Technis" (Η κοινωνική θέση και η αισθητική γραµµή του Θεάτρου Τέχνης). Rede von Karolos Koun am
17.08.1943 vor dem Verein der Freunde des "Theatro Technis". In (ders.): Wir machen Theater für unsere
Seele (Κάνουµε θέατρο για την ψυχή µας), Athen 1987, S. 21.
"Der Hunger war Hunger, der Durst Durst und der Schmerz heftig, lebendig, ohne Heuchelei eingegraben in
den Leib, in die Knochen und Nerven. Waren diese Gefühle auch primitiv, so waren sie doch wenigstens rein,
echt und lebendig." Koun, Karolos, siehe FN 71, S. 22.
Koun, Karolos, siehe FN 71, S. 11.
Koun, Karolos, siehe FN 71, S. 12.
Kambanellis - Einleitung
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namens "Theater"75. In dieser ersten Phase spielte das "Theatro Technis" Stücke von Autoren
wie Tschechow, Ibsen, Shaw und Pirandello. Der "volkstümliche Expressionismus" war
inzwischen nicht mehr ausreichend. "Wir spielten damals in ganzen Tönen, heute haben wir
Halbtöne. Damals boten wir deutliche, einheitliche, primitive Gefühle an. Heute versuchen
wir die tausendfachen Schattierungen wiederzugeben, die die psychischen Zustände des
modernen Menschen ausmachen."76
Schon der Name "Theatro Technis" deutet darauf hin, daß für Koun in dieser Phase seines
Schaffens Stanislawski und dessen Epigonen Wegweiser und Inspirationsquelle waren. Koun
nannte seine ästhetische Richtung jener Zeit einen "esoterischen oder phantastischen Realismus"77, welcher einerseits auf Tschechow, andererseits auf Ibsen78 aufbaut. Besonders die
poetische Dimension im Schaffen dieser beiden hörte nie auf, Koun zu interessieren. Er arbeitete nun an einer ästhetischen Form, die sich vom "Naturalismus des Stanislawski" entfernte
und eher dem "phantastischen Realismus" des Wachtangow annäherte. Die "absolute und rein
äußerliche Schematisierung" von Tairow79 dagegen lag Koun sehr fern.
1946 gründete Koun das zweite "Theatro Technis". Es konnte sich bis 1950 halten, danach
mußte es wieder wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten schließen. In dieser Zeit
konzentrierte er sich auf Stücke des amerikanischen Realismus. Von den mitwirkenden
Schauspielern hatten sich einige schon an anderen Theatern einen Namen gemacht. Die
Zusammenarbeit mit dem Maler Jiannis Tsarouchis (für das Bühnenbild) und dem
Komponisten Manos Chatzidakis wurde zu einer festen Institution.
1954 wurde das "Theatro Technis" zum dritten Mal eröffnet und existiert seitdem bis heute.
Es hatte nun dauerhafte Räumlichkeiten in einem Keller der Orpheus-Passage im Zentrum
Athens gefunden. Der Saal war als Halbkreis aufgebaut. Bald bekam dieser Ort den Spitznamen "Keller" und wurde zum Zentrum aller Beschäftigungen von Koun mit dem Theater. Ab
1985 bespielte das "Theatro Technis" noch eine zusätzliche Bühne in dem Künstler- und
Touristenviertel Plaka unterhalb der Akropolis, genannt "Theatro Technis Karolos Koun,
Frinichu", oder auch einfach "Zweite Bühne des Theaters der Kunst".
Nach der chronologischen Entwicklung des "Theatro Technis" ist es wichtig, auf die Vision
einzugehen, die Koun vom Theater hatte und auf die Mittel, die er zu ihrer Realisierung
einsetzte. Um seine bahnbrechende Leistung zu verstehen, muß sie vor dem Hintergrund der
Lage des damaligen Theaters in Griechenland gesehen werden. Es herrschte in jener Zeit ein
Boulevard-Theater vor, das recht seicht war und vor allem unterhalten und Profit bringen
sollte. Seine bekannten Schauspieler galten innerhalb Griechenlands als große Stars. Eine
andere Richtung, vor allem das Nationaltheater, interpretierte vorzugsweise antike Tragödien.
Sie orientierte sich besonders an der Schule von Max Reinhardt. Zeitgenössisches
griechisches Theater war vorwiegend vertreten in den Gattungen Farcenkomödie, griechischer
Revue und Sittengemälden.
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79
Chatzidakis, Manos schreibt dazu: "Gleichzeitig etablierte er in der Theaterhandlung eine Dimension
religiösen Mysteriums, die bisher in unserer Theatertradition unbekannt war." Chatzidakis, Manos
(Χατζιδάκις, Μάνος): “Anti-Anamnisis” (Αντί-αναµνήσεις). In der Zeitschrift I Lexi" (Η Λέξη); Heft 62
(Schwerpunkt zu Karolos Koun), Februar/März 1987, S. 93 - 95, hier: S. 95.
Koun, Karolos, siehe FN 71, S. 23.
Koun, Karolos, siehe FN 71, S. 23.
Koun, Karolos, siehe FN 71, S. 25.
Koun, Karolos, siehe FN 71, S. 24.
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Koun konnte sich nicht mit dem Rahmen dieser Sparten begnügen. Ein erstes fundamentales
Anliegen war ihm, auf der Bühne die griechische Sprache zu ihrem Recht kommen zu lassen
und in der Art der Darstellung die Nähe zum modernen Alltag zu suchen. Er wollte die hier
vorgeführten Menschen von der Last "...der Boulevardkomödie befreit sehen wie auch von
den stumpfen und rhetorischen Formen, die sich in jener Schule durchgesetzt hatte, die die
antike Tragödie wieder aufleben ließ".80 Koun setzte sich zum Ziel, anstelle des RührendWehleidigen das wirklich Tragische81 herauszuarbeiten. Er suchte nach der Wahrheit und der
Poesie, die in den Stücken steckt, um diese auch auf der Bühne wiedergeben zu können. Es
sollte ein Fundus an neugriechischen Theaterstücken entstehen, in denen die vielfältigen
Erscheinungsformen und Bewegungen der griechischen Gesellschaft Ausdruck finden82.
Auf die folgende Weise setzte Koun seine Ideen in die Tat um: Er wagte es, in einer Zeit, als
die griechische Theaterwelt äußerst konservativ war, die traditionelle italienische Einteilung
des Raumes aufzugeben und statt dessen die Bühne als Halbkreis zu gestalten. In den Kellerräumen in jener Passage der Stadiou-Straße etablierte er eine Art Kammerspiel83. Diese ungewöhnliche Konzeption, in der den Darstellern drei Zugänge von den Kulissen auf die Bühne84
zur Verfügung standen, brach mit den bisherigen Gewohnheiten und rief eine neue Art von
Symmetrie und Gleichgewicht hervor. Der Schauspieler war nun von allen Seiten von Zuschauern sichtbar und konnte nicht mehr leicht schummeln. Aber auch der Zuschauer war
mehr in das Geschehen auf der Bühne eingebunden und zur Teilnahme aufgefordert.
Es entstand ein "Verein der Freunde des 'Theato Technis' "85, was ebenfalls bezeichnend für
die neue Beziehung zwischen Theater und Publikum war. Sie sollte enger und langfristiger
werden und durchaus auch Einfluß auf andere kulturelle Bereiche nehmen. So wurde ein
neuer Typ Schauspieler, aber auch ein neuer Typ Zuschauer gesucht. Der Schauspieler neuen
Typs wurde in der zugehörigen Schauspielschule ausgebildet, wobei zwischen dem
Schauspieler und dem Regisseur eine intensive Schüler-Lehrer-Beziehung86 entstand.
Das Theater und seine Schauspielschule wurden zu einem geschlossenen System, das sich nur
schwer nach außen öffnete. Ein Schauspieler, der ohne Durchlaufen der speziellen Ausbildung
zum Ensemble gekommen war, beschreibt seine Situation folgendermaßen: "Es war schwer,
sich in die Truppe zu integrieren, wenn man nicht aus der entsprechenden Schauspielschule
kam. Vom Schauspieler wurde eine unbedingte umfassende Hingabe gefordert, ohne jegliche
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So zitiert Eleni Varopoulou Karolos Koun in Varopoulou, Eleni (Βαροπούλου, Ελένη): Die Probe ist unser
Leben! (Η πρόβα είναι η ζωή µας!) Erstmals veröffentlichtes Material von Interviews, die Frau Varopoulou
mit Karolos Koun im Laufe des Jahres 1986 führte. Zeitung "To Vima" (Το Βήµα), 22.11.1992.
Karolos Koun selbst erstellte diese Charakterisierung des modernen griechischen Theaters.
Kokkori, Patrizia (Κοκκόρη, Πατρίτσια): Die Rolle von Karolos Koun bei der Herausbildung der
griechischen Version von Modernismus am Theater (Ο ρόλος του Κάρολου Κουν στην διαµόρφωση της
ελληνικής µορφής του µοντερνισµού στην Ελλάδα), Zeitschrift "Ekkyklima" (Εκκύκληµα), Heft 21, April Juni 1989, S. 34 - 40, hier: S. 37.
Koun, Karolos, wie FN 82.
Solomos, Alexis (Σολοµός, Αλέξης) war der erste, der das "Theatro Technis" als "Kammerspiel" bezeichnete.
Siehe Solomos, Alexis (Σολοµός, Αλέξης): Opferhandlung (Πράξη θυσίας), im Jubiläumsband: Karolos
Koun: 25 Jahre Theater (Κάρολος Κουν: 25 χρόνια θέατρο), Hg.: "Theatro Technis", Athen 1959, S. 38 - 43.
Georgousopoulos, Kostas (Γεωργουσόπουλος, Κώστας): Die Theater aus Marmor entstanden, als es keine
Dichter mehr gab (Τα µαρµάρινα θέατρα έγιναν όταν δεν υπήρχαν πια ποιητές). Zeitschrift "Theatro ke
Horos" (Θέατρο και χώρος), Sonderband für Karolos Koun, Hg.: Verband der Architekten (Σύλλογος
Αρχιτεκτόνων), Athen 1987, S. 24 - 28, hier S. 25.
Der "Verein der Freunde des 'Theatro Technis' " (Σύλλογος των φίλων του Θεάτρου Τέχνης) entstand
gleichzeitig mit dem Theater 1942. Er begleitete die Aktivitäten auf der Bühne im allgemeineren kulturellen
Bereich, so etwa mit Vorträgen und anderen Veranstaltungen.
Varopoulou, Eleni, wie FN 80.
Kambanellis - Einleitung
S. 24
Rücksicht auf seine persönlichen Eitelkeiten und gegebenenfalls die Schienen, in denen sein
bisheriger beruflicher Werdegang verlief. Man mußte seinem Instinkt vertrauen können, Phantasie haben und künstlerische Neuerungen suchen; vor allem aber mußte man von einem religiösen Glauben an das 'Gute Theater' erfüllt sein."87 Ein solcher Regisseur und Lehrer mußte
besonderen Wert auf die Probe legen.88 Er kam nicht mit fertigen Vorstellungen an, sondern
erarbeitete sie mit den Schauspielern empirisch im Laufe der Proben. Er griff jederzeit Anregungen der Schauspieler auf.
Eugène Ionesco beschrieb die Beziehung von Koun zu seinen Schauspielern folgendermaßen:
"Die Schauspieler, ausgesucht und in Szene gesetzt von Koun selbst, sind keine Marionetten.
Sie lassen die Fäden, an denen sie bewegt werden, nicht sichtbar werden, genausowenig wie
die Regeln der Kunst, denen sie sich unterwerfen, was bei vielen anderen Berufsschauspielern
so weit von der Wahrhaftigkeit wegführt. Sie haben sich ihre Spontaneität bewahren können
und besitzen trotz aller Erfahrung eine unbeeinträchtigte Frische. Deswegen hat ihr Spiel
einen besonderen Charakter und Klang. Wenn der fehlt, wirkt die Vorstellung unstimmig und
enervierend oder unerträglich aufgesetzt."89
Koun war stets auf der Suche nach neuen Erkenntnissen. Im Laufe seiner ständigen und lebendigen Wechselbeziehung mit seinen Schülern blieb er nicht auf eine "Schule" oder Theorie
fixiert. Er setzte sich mit jeder neuen Richtung auseinander und übernahm für sich die
Elemente, die seinem ästhetischen Grundsatz dienten. So übernahm er von Stanislawski Ideen
für die "Atmosphären" und das "innere Spielen" der frühen Jahrzehnte. Von Meyerhold entlehnte er Grundlagen seiner hermeneutischen Annäherung an das Absurde Theater und das
"organische Spielen" der 60er Jahre (Koun nannte es "biologisches Spielen"). Die Ästhetik
von Peter Brook war für Koun wichtig, um eine neue Deutung des antiken Dramas zu
erarbeiten.90
Thematisch konzentrierte sich das "Theatro Technis" auf drei Bereiche: ausländische Stücke,
antikes Theater und modernes neugriechisches Theater. Anfangs stammten die ausländischen
Stücke größtenteils aus Amerika, später wandte man sich Brecht und dem Absurden Theater
zu. Damit waren die stärksten Pole des modernen Theaters abgedeckt. Die ausländischen
Stücke sollten besonders drei Zwecke erfüllen: Das Publikum sollte die wichtigen ausländischen Dramatiker und ihr Werk kennenlernen. Die Aufführung sollte gleichzeitig den Darstellern Anstöße für neue Interpretationen der antiken Stücke geben. Außerdem sollten die jungen
modernen griechischen Theaterautoren erfahren, was die international wichtigsten Stücke
nicht zuletzt handwerklich lehren konnten.91
Oberstes Ziel des "Theatro Technis" war aber schon zur Zeit seiner Gründung, junge griechische Bühnenautoren aufzuführen, bekanntzumachen und zu fördern. Hier spielte man nicht
nur ihre Stücke, sondern es wurde auch ein Publikum dafür "herangezogen". Vor allem aber
hatten sie hier die Möglichkeit, sich auch mit den Details und Anstößen der modernen
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Tsakiroglou, Nikitas (Τσακίρογλου, Νικήτας): Ein Leben dem Theater geweiht (Μια ζωή ταγµένη στο
θέατρο), Zeitschrift "I Lexi" (Η Λέξη), Heft 62 (Schwerpunkt zu Karolos Koun), Februar/März 1987, S. 145 148, hier: S. 146.
Varopoulou, Eleni, wie FN 80.
Ionesco, Eugène: Ionesco spricht über Koun (Ο Ιονέσκο µιλάει για τον Κουν), in dem Jubiläumsband:
Karolos Koun: 25 Jahre Theater (Κάρολος Κουν: 25 χρόνια θέατρο), Hg.: "Theatro Technis", Athen 1959,
S. 252.
Varopoulou, Eleni, wie FN 80.
"Ich fühle mich freier und glücklicher, wenn ich mit Menschen Kontakt haben kann." Zitiert aus Koun,
Karolos, wie FN 69, S. 93.
Kambanellis - Einleitung
S. 25
ausländischen Dramatikern auseinanderzusetzen.92 Indem Koun die neuen fremden Stücke mit
seiner besonderen Methode durchtränkte, wurden sie für die jungen griechischen Autoren
verständlicher, denn nun sie waren nicht zusammenhangslos und fremd, sondern schon in
einen bekannten Kontext integriert. Selbst wenn griechische Autoren sich an den fremden
Vorbildern orientierten und ihnen nacheiferten, so waren ihre Stücke doch "in Handlung und
Sprache griechisch".93
Die ersten Aufführungen von Stücken wie "Bluthochzeit" (F. G. Lorca, 1948), "Endstation
Sehnsucht" (T. Williams, 1949), "Der Kaukasische Kreidekreis" (B. Brecht, 1957) oder des
Absurden Theaters zu Beginn der 60er Jahre wirkten äußerst katalytisch auf die griechische
Theaterliteratur. Es entstanden Stücke unter dem Einfluß von Lorca, vom amerikanischen
Realismus, von Brecht und vom Absurden Theater - aber immer davon mitbestimmt, auf
welche Art diese Anregungen durch die Koun'sche 'Mühle' gedreht wurden. Wie Koun es
beabsichtigt hatte, "entstanden" Schriftsteller, die zwar den Fragestellungen des modernen
Theaters gerecht werden konnten, ohne deswegen aber auch ihre nationalen Eigenheiten und
Identität zu verlieren. Eine ganze Schar von Schriftstellern schlug diese Richtung ein, von
denen die meisten dann auch ganz gezielt für die Bühne des "Theatro Technis" schrieben. In
ihren Stücken gab es vorwiegend Personen, die den Griechen geläufig waren. Man entdeckte
die Poesie, die der ganz normale "Mann des Volkes" in sich trug.94 Im neugriechischen
Theatermaterial fand Koun "... die Koordinaten der neugriechischen Physiognomie, wobei er
herausarbeitete, wie beherrschend der Rhythmus der Sprache und das kleinbürgerliche
Verhalten sind".95
Das antike Drama behandelte Koun, als sei es zeitgenössisch und lebendig. Er interessierte
sich nicht für seine museale Rekonstruktion, sondern sah eine direkte Verbindung zwischen
der antiken und der heutigen Welt. Er wollte Elemente verwenden, die den zeitgenössischen
Griechen umgeben, und Dinge, die erst eine relativ kurze Tradition haben, um damit zu
zeigen, daß seine ästhetische Auffassung von antikem Theater Sinn machte.96 Sehr früh
erkannte er die Lebensnähe, die der antiken Tragödie immer noch innewohnt, und zog daraus
den Schluß, daß diese Gattung neu umgesetzt werden könnte, indem man einen spezifisch
neugriechischen Kodex von Gestik und Einsatz der Sprache entwickelte.97 Zusätzlich müßten
92
93
94
95
96
97
Kambanellis betont die Schnelligkeit, mit der das "Theatro Technis" die griechische Kunstszene mit
Neuheiten in Kontakt brachte. Stücke von Autoren wie Tennessee Williams und Arthur Miller kamen hier fast
zur gleichen Zeit heraus, wie sie auch in New York erstaufgeführt wurden und deutlich früher als in jenen
europäischen Städten, die von zentraler Bedeutung für das internationale Theatergeschehen gelten. Siehe dazu
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Der Tag im griechischen Theater (Η µέρα στο ελληνικό
θέατρο), in (ders.): Von der Bühne und vom Parkett aus (Από σκηνής κι από πλατείας), Athen 1990, S. 21 31, hier S. 27.
Notizen darüber, wie Koun ausländische Stücke adaptierte und wie neugriechische Autoren mit ihnen
umgingen, finden sich bei Georgousopoulos, Kostas, FN 61.
Kokkori stellt fest, daß die Hinwendung des "Theatro Technis" zu Stücken des sozialen Realismus dazu
führte, daß auch aus der neugriechischen Dramatik entsprechende Stücke gefördert wurden, was auf Kosten
jener Stücke ging, die sich mit anderen Richtungen befaßten, so etwa mit dem Brecht'schen oder dem
absurden Theater. Kokkori, Patrizia, wie FN 81.
Georgousopoulos, Kostas (Γεωργουσόπουλος, Κώστας): Koun, Karolos (Κουν, Κάρολος). (Lexikonartikel).
In: Internationales biographisches Lexikon (Παγκόσµιο Βιογραφικό Λεξικό), Bd. 5, Athen 1991, hier S. 61 62.
Koun, Karolos, wie FN 69.
Seine Position bezüglich des antiken Theaters legt er in dem Kapitel dar: Magie, Leidenschaft und Rührung.
Entscheidende Elemente der Tragödie (Μαγεία, πάθος και συγκίνηση. Κυρίαρχα στοιχεία της τραγωδίας), in
(ders.): Wir machen Theater für unsere Seele (Κάνουµε θέατρο για την ψυχή µας), Athen 1987, S. 111.
Polenakis, Leandros (Πολενάκης, Λέανδρος): Der Beitrag von Koun zur Angelegenheit der Tragödie (Η
προσφορά του Κουν στην υπόθεση της τραγωδίας). Zeitung "Avgi" (Αυγή), 07.07.1988.
Kambanellis - Einleitung
S. 26
freilich auch Elemente des Brecht'schen und des Absurden Theaters eingesetzt werden. Mit
einer solchen Kombination könnte man das antike Drama angemessen zeitgenössisch
interpretieren. Seine Vorstellungen der "Vögel" (Aristophanes, 1956) und der "Perser"
(Aischylos, 1965) fanden internationale Beachtung.
2.5 Iakobos Kambanellis: Sein Leben und sein Werk. Ein Überblick
Am 02.12.1922 wurde Iakobos Kambanellis auf Naxos geboren. Sein Vater war der
praktische Apotheker Stefanos Kambanellis. Das Geburtsjahr von Iakobos Kambanellis wie
auch sein Geburtsort bekommen eine tiefe symbolische Bedeutung, Andeutungen an diese
zwei Motive durchdringen sein ganzes Werk.
1922 ist das Jahr, in dem die gesamte griechische Bevölkerung Kleinasiens vertrieben wurde.
Das Exil, nicht nur im engeren Sinne als gewaltsame Entwurzelung der Menschen aus ihrer
bisherigen Umgebung, sondern auch in der viel weiteren Bedeutung des Menschen, der "im
eigenen Land, ja sogar in seinem eigenen Selbst im Exil ist"98, ist eines der zentralen Motive
im Werk von Kambanellis. Auch die Insel seiner Herkunft, Naxos, Schauplatz vieler
mythologischer und geschichtlicher Ereignisse99, war für Kambanellis von Bedeutung. Das
sorglose Leben auf dieser schönen Insel, übergossen vom reichen Licht der Ägäis, schenkte
ihm eine optimistische Lebensbejahung, welche in seinen Stücken immer wieder zum
Ausdruck kommt. Hier verbrachte Kambanellis seine Kindheit. Die finanzielle Lage des
Vaters in jenen frühen Jahren war gut. Kambanellis wuchs in einer Umgebung voller
Naturschönheiten in Harmonie mit den Eltern und acht weiteren Geschwistern auf. Auch
künstlerische Anreize erfuhr er, in der Familie wurden viele Musikinstrumente gespielt. Das
alles schenkte dem kleinen Iakobos eine Kindheit, die er selbst später als traumhaft schön
bezeichnete. "Naxos trage ich in mir in der Form der Sehnsucht nach Rückkehr zur
Mythologie meiner Kindheit."100 Deswegen ist ein zentrales Motiv im Werk von Kambanellis
die nostalgische Erinnerung an ein anderes, glücklicheres Leben, das unwiederbringlich in der
Vergangenheit liegt.
Dieses paradiesische Leben fand 1930 ein jähes Ende, als der Vater bankrott ging. Er war
gezwungen, die Apotheke zu schließen und das Haus zu verkaufen. In den Jahren 1934 - 1935
mußte die Familie alles verkaufen, was noch irgendwie von Wert war, um überleben zu
können. Der nächste Schritt war der notgedrungene Umzug nach Athen. Kambanellis
empfand dieses Ereignis mit der Sensibilität des Jugendlichen als schreckliche 'Entwurzelung'.
"Alles war einfach ganz anders als Naxos. Ich fühlte mich exiliert innerhalb meines eigenen
Heimatlandes. Freilich paßte ich mich schon meines jungen Alters wegen allmählich an."101
Die Familie mietete ein kleines Haus in der Gegend Metaxourgio an, einem schönen Viertel
im Zentrum Athens mit kleinen Häusern und Hinterhöfen. Der Vater versuchte, sich hier
durchzuschlagen. Kambanellis tat sich mit einigen Jugendlichen zusammen, die später zur
98
99
100
101
Kambanellis selbst spricht oft davon, wie wichtig dieses Gefühl für die Motive seiner Stücke ist. Siehe
beispielsweise Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Artikel in der Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα),
16.02.1991.
Georgousopoulos, Kostas (Γεωργουσόπουλος, Κώστας): Kette und Schuß im Werk von Iakobos Kambanellis
(Το στηµόνι και το υφάδι στο έργο του Ιάκωβου Καµπανέλλη), in: Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης,
Ιάκωβος): Theater (Θέατρο), Band 1, Athen 1978, S. 9 - 14. Georgousopoulos stellt in diesem Artikel die
Mythologie und die Geschichte der Geburtsinsel von Kambanellis ausführlich und plastisch dar.
Ntelidaki, Eva (Ντελιδάκη, Εύα): Interview mit Kambanellis in der Zeitung "Niki" (Νίκη), 22.09.1990.
Giannopoulou, Ifigenia (Γιαννοπούλου Ιφιγένεια): Interview mit Kambanellis in der Zeitung "Epikerotita"
(Επικαιρότητα), 29.04.1989.
Kambanellis - Einleitung
S. 27
kulturellen Elite des Landes gehören würden. Dazu zählten etwa Dimitris Christodoulou,
Alexandros Kotzias und Tasos Livaditis.102
Kambanellis hatte auf Naxos die sechsjährige Grundschule abgeschlossen. Als er in Athen
aufs Gymnasium ging (das auf weitere sechs Jahre angelegt war), hörte er eines Tages, wie der
Vater zur Mutter sagte: "Wenn wir überleben wollten, müßten wir alle arbeiten und Geld
verdienen."103 Also verließ er die Schule und nahm eine Arbeit in einer nahe gelegenen
Kürschnerei an. Später schrieb er sich an einer Abendschule für eine Handelslehre ein, ohne
seine Erwerbsarbeit deswegen zu unterbrechen. Er besuchte diese Schule ein Jahr lang.
Danach ging er für zwei Jahre auf die private Technikerschule Sivitan, wo er den Abschluß als
Bauzeichner machte. Weitere Studien im engeren Sinne konnte er sich nicht leisten.
In den Jahren der deutschen Besatzungszeit arbeitete Kambanellis in einer Firma, die Bauarbeiten für die Besatzer durchführte. Die Unterdrückung und der Terror engten den jungen
Kambanellis stark ein. Schließlich dachte er nur noch an die Flucht. Einem sehr engen Freund
ging es genauso. Also beschlossen sie in jugendlicher Unbekümmertheit, gemeinsam außer
Landes zu gehen. Nicht einmal ihren Angehörigen verrieten sie ihren Plan. Ein erster Versuch
mit dem Ziel Vorderer Orient schlug fehl. Als zweites wollten sie in die Schweiz fliehen. Sie
durchquerten Jugoslawien und kamen bis Wien, wo sie sich falsche Pässe besorgten. Als sie
jedoch auf deutschen Boden kamen, wurde die SS auf sie aufmerksam. Sie wurden verhaftet
und erst in ein Durchgangslager, später in das Konzentrationslager Mauthausen gebracht.
Die Jahre von 1943 bis 1945 verbrachte Kambanellis als Häftling im Konzentrationslager
Mauthausen. Nach Befreiung des Lagers verließ er es erst, nachdem er als Vertreter Griechenlands bei der Internationalen Kommission die sichere Rückführung von zweihundert griechischen Lagerinsassen in ihre Heimat mitorganisiert hatte. Seine Erlebnisse in Mauthausen
prägten ihn für das ganze weitere Leben und hatten auch großen Einfluß auf sein
schriftstellerisches Schaffen104 Innerhalb der schrecklichen Atmosphäre des Krieges hatte er
dennoch großes Glück. Ein deutscher politischer Häftling namens Schneider, den er dort
kennenlernte, hatte in Griechenland gelebt und ein Ingenieursbüro geleitet. Nun arbeitete er in
der Verwaltung des Konzentrationslagers. Da er Sympathie für Kambanellis hatte, sorgte er
dafür, daß dieser nicht aus der Zentrale des Lagers wegverlegt wurde. Er nutzte den Umstand,
daß Kambanellis Französich und Zeichnen konnte, und ließ ihn Eintragungen auf die
Personalkarten der Häftlinge machen. In diesem Lager wurde sich Kambanellis des ganzen
Glanzes sowie des ganzen Elends des Menschen bewußt. Er erfuhr die unfaßbare
Widersprüchlichkeit menschlichen Handelns. Die SS-Leute erschienen gleichzeitig
bewundernswert und als Monster. "Diese Menschen, die sich auf zärtlichste Weise ihrem
Kind widmeten oder wunderschön Geige spielten, lassen all diese Beschäftigungen von einem
Moment auf den anderen liegen, um töten zu gehen; im Anschluß daran kehren sie gleich
wieder zurück an die Staffelei".105 Einmal rettete ihm ein purer Zufall in Mauthausen das
endgültig verloren geglaubte Leben. "Wir entkamen, während wir schon auf dem Weg zur
Hinrichtung waren. Eine Gruppe unseres technischen Büros sollte den Lageplan einer
Bäckerei festlegen. Der SS-Mann, der uns an die Stelle führte, fand zufällig unter einem Stein
eine Lageskizze. Ich weiß nicht, wieso er diese verdächtig fand, er befahl uns sofort, im
102
103
104
105
In der gleichen Zeit begann er auch, zu lesen, was er nur in die Finger bekam. Er lieh sich Bücher oder kaufte
sie in den Antiquariaten, die sich in der Nähe des Wohnhauses befanden.
Giannopoulou, Ifigenia, wie FN 101.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 13.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 13, hier S. 48. Eine weitere wichtige Erfahrung aus dem Lager ist, daß er sich
ab da als Weltbürger fühlt. "Andere reisen viel, um Weltbürger zu werden. Ich bis es durch diese tragischen
Erfahrungen geworden. Ich lebte und litt dort genauso wie Holländer, Belgier, Jugoslawen. Es ist, als wäre
ich mit ihnen gereist." Dies äußerte er im Interview: Ntelidaki, Eva, wie FN 100.
Kambanellis - Einleitung
S. 28
Eillauf in das Lager zurückzukehren. Es gab keinen Zweifel darüber, was uns nun erwartete.
Auf dem Weg zurück jedoch überfuhr zufällig ein Motorrad den SS-Mann und tötete ihn. In
letzem Moment waren wir gerettet."106
Mit dem Ende des Krieges kehrte Kambanellis nach Athen zurück. Im gleichen Jahr sah er im
"Theatro Technis" von Koun eine Aufführung des Stückes "Um ein Stück Erde" von
Caldwell, er war tief erschüttert. Die Tatsache, daß ihn nach den extremen Erlebnissen im
Konzentrationslager Mauthausen eine Fiktion so stark berühren konnte, zeigte ihm deutlich,
daß sein Weg das Theater sein mußte.107 Er beschloß, Schauspieler zu werden. Da er keinen
Gymnasialabschluß hatte, konnte er auf keiner Schauspielerschule zugelassen werden.
Deswegen wurde er bei der Zulassungsprüfung zum Nationaltheater wie auch zum "Theatro
Technis" abgelehnt, obwohl seine Leistungen im Spiel von den Prüfern durchaus
Anerkennung fanden. Der Theatermensch Aggelos Terzakis schlug vor, ihn als
außergewöhnliches Talent in der Schauspielschule des Nationaltheaters zuzulassen. Das
wurde schließlich von dessen Direktor, Dimitris Rodiris, abgelehnt. Kambanellis machte sich
auf die Suche nach einem anderen Weg, die verschlossenen Türen der Theaterwelt für sich zu
öffnen. Er begann, Stücke zu schreiben. 1950108 ging er mit seinem ersten Bühnenstück an die
Öffentlichkeit: "Tanz auf dem Getreidefeld", welches unter dem Einfluß von Federico Garcia
Lorca entstanden war109. Er selbst nannte es später im Nationaltheater ein unreifes
Jugendstück. Tatsächlich lehnte das Nationaltheater damals ab, das Stück aufzuführen.
Kambanellis konnte es schließlich in dem kleinen unbekannten Theater "Thiasos Lemos" des
Adamantios Lemos in dem Athener Vorort Kallithea realisieren.
Anschließend schrieb er den Einakter "Verborgene Sonne"110, welchen er am Nationaltheater
einreichte, diesmal mit der Empfehlung von Koun. Auch dieses Stück wurde abgelehnt.
Genauso erging es ihm mit den Stücken "Verlorenes Ithaka" und "Der Koloß von Rhodos",
die er in den Jahren 1950 bis 1952 schrieb. Zwar gefielen sie einigen Theaterleuten, aber
keiner war bereit, sie aufzuführen. Es dauerte lang, bis diese Stücke tatsächlich auf eine
Bühne kamen. Jahre später, nachdem der Autor immer weiter daran feilte und sie auch
umbenannte (in "Odysseus, geh heim" und "Papa, der Krieg"), wurde das erste 1966, das
zweite schließlich 1980 am "Theatro Technis" aufgeführt. In der Zwischenzeit schrieb er von
1950 bis 1952 für seinen 'Lieblingskomiker' Dinos Iliopoulos das Stück "Vier Panther und ein
Leopard"111, welches ebenfalls ungespielt blieb. In der gleichen sehr produktiven Zeit
entstanden auch die Einakter "Die Straße"112 und "Der Gorilla und die Hortensie"113.
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Aus dem Interview: Damanaki, Evi (∆αµανάκη, Εύη): Interview mit Kambanellis in der Wochenendzeitung
"Kyriakatiki Eleftherotypia" (Κυριακάτικη Ελευθεροτυπία), 11.04.1982.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 92.
Ebenso betont Kambanellis diesen Sachverhalt in: Weil ich will, nicht weil ich kann (Επειδή θέλω, όχι επειδή
µπορώ), in (ders.): Von der Bühne und vom Parkett aus (Από σκηνής κι από πλατείας), Athen 1990, S. 55 60.
1949 heiratete Kambanellis Frau Niki, die auch heute noch seine Gattin ist. Einige Zeit später bekam das Paar
eine Tochter.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Vorwort zum Stück "Die Straße" (Η Οδός). In (ders.):
Theater, Bd. 4, Athen 1989, S. 21 - 22.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Verborgene Sonne (Κρυφός ήλιος), 1952. (Unveröffentlicht,
ein Manuskript befindet sich in der Theatriki Vivliothiki (Θεατρική Βιβλιοθήκη, Theaterbibliothek), Athen.)
Dies ist neben der Chronik zu Mauthausen das einzige Theaterstück von Kambanellis, das sich direkt mit den
Erlebnissen von Mauthausen auseinandersetzt.
Der griechische Name des Stückes "Vier Panther und ein Leopard" ist “Τέσσερις πάνθηρες και µια
Λεοπάρδαλη”.
"Die Straße" heißt auf Griechisch Η Οδός, siehe auch FN 109.
Der griechische Name des Stückes "Der Gorilla und die Hortensie" ist “Ο Γορίλας και η Ορτανσία”.
Kambanellis - Einleitung
S. 29
Sein Überleben sicherte sich Kambanellis in den Jahren 1951 bis 1954 mit einer Arbeit, die
ihm auch für seine spätere Theaterkarriere äußerst wichtige Anregungen lieferte. Er arbeitete
Theaterstücke für das Radio um. Das zwang ihn, Stücke, die normalerweise etwa zweieinhalb
Stunden dauerten, auf die Dauer von einer knappen Stunde zu konzentrieren, ohne den Plot,
den Mythos, den Ablauf der Szenen, die Personen und die Atmosphäre des Originalwerkes zu
verfälschen. Er entwickelte eine Methode des Auslassens, die dennoch die Essenz des
dramatischen Herzstücks und der Charaktere unverändert ließ. Auf diese Weise befaßte er
sich intensiv mit Stücken von u.a. Ibsen, Tschechow, Strindberg und Shakespeare.
Durch diese Arbeit mußte Kambanellis sich nicht nur mit Theatertechniken
auseinandersetzen, sondern lernte auch hervorragende Schauspieler gut kennen, so etwa Aleka
Katseli, Melina Merkouri, Dimitri Chorn und Elli Lambeti. 1954 regte Melina Merkouri ihn
an, ein Stück für sie zu schreiben. So entstand "Stella mit den roten Handschuhen"114. Zwar
kam es nie auf eine Bühne, es wurde aber die Grundlage für das Drehbuch des Films von
Michalis Kakojiannis "Stella". Dieser sehr beachtenswerte Film war der erste griechische
Beitrag, der 1955 am Filmfestival von Cannes teilnahm. Im gleichen Jahr entstand ein Film
namens "Der Drache" des griechischen Cinéasten Nikos Koundouros, der ebenfalls auf einem
Drehbuch von Kambanellis beruhte. Dieser Film ist eines der wichtigsten Werke des
griechischen Neorealismus.
Kambanellis war also durch das Radio und den Film bekannt geworden, er wandte sich nun
aber wieder mehr dem Theater zu. Anstelle der bisherigen "dramatischen Satiren" und
Einakter beschloß er, im Sinne des Realismus zu schreiben, da das die einzige Möglichkeit
schien, seine Stücke wirklich auf eine Bühne zu bringen.115 Im Laufe eines Herbstes schrieb er
"Der siebte Tag der Schöpfung", und reichte das Stück 1956 am Nationaltheater ein116. Seine
Erwartungen wurden erfüllt. Das Stück wurde nicht nur freudig angenommen; der Intendant
des Nationaltheaters Aimilios Chourmouzios, ließ sich dadurch sogar zur Einrichtung einer
ganz neuen Konzeption anregen. Er eröffnete einen zweite Bühne am "Theatro Technis",
welcher allein der Förderung des neuen griechischen Theaters vorbehalten war.
Ein Jahr später plante der vielversprechende junge Schauspieler Vasilis Diamantopoulos ein
Récital der Schauspielkunst. Er hatte dafür je einen Einakter von Tschechow und Pirandello
ausgesucht und bestellte nun von dem allmählich bekannt werdenden jungen Autor einen
weiteren Einakter für sein Programm.117 So entstand der Einakter "Er und seine Hose".118 Das
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118
Der griechische Name des Stückes "Stella mit den roten Handschuhen" lautet “Η Στέλλα µε τα κόκκινα
γάντια”.
Seinen bewußten Übergang zum realistischen Schreibstil dokumentiert Kambanellis selbst, siehe FN 13, hier
S. 41.
Ende der 50er und zu Beginn der 60er Jahre wird Kambanellis nicht nur als Autor, sondern auch politisch
aktiv. Er nimmt an Demonstrationen teil, die die Zentrumspartei oder linke Kräfte organisierten. Er selbst tritt
aber nie in irgendeine Partei ein. So erwähnt es Kambanellis in einem Interview mit Ifigenia Giannopoulou,
siehe FN 101.
In einem Gespräch teilte Kambanellis der Autorin mit, er sei zwar nie Kommunist gewesen, habe sich aber
immer als "fortschrittlichen Linken" begriffen. Bezeichnend dafür sei auch, daß in der Führungsriege der
EDA, der einzigen legalen und im Parlament vertretenen linken Partei jener Jahre, diskutiert wurde, wieso die
Linke Kambanellis unterstützte. Der leitende Parteifunktionär der Griechischen Kommunistischen Partei,
Leonidas Kyrkos (Λεωνίδας Κύρκος), sagte dazu angeblich: "Wenn wir einen eigenen Kambanellis hätten,
könnten wir den wirklichen Kambanellis angreifen. Da wir aber keinen haben, müssen wir diesen
unterstützen." Information von Iakobos Kambanellis im Gespräch mit der Autorin am 20.05.1998.
Die Stücke der anderen beiden Autoren waren: L. Pirandello "Der Mann mit der Blume im Mund" und
A. Tschechow "Die schädlichen Folgen des Rauchens".
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Er und seine Hose (Αυτός και το πανταλόνι του), Einakter.
In (ders.): Theater, Bd. 4, Athen 1989, S. 47 - 59. In der Zusammenarbeit von Kambanellis mit
Diamantopoulos entstand auch der Einakter "Heimliches Leben" (Κρυφή ζωή) (Manuskript unveröffentlicht).
Kambanellis - Einleitung
S. 30
Récital fand sehr großen Anklang. Im Anschluß an den Erfolg dieser Veranstaltung wurde die
Zusammenarbeit von Kambanellis mit dem "Theatro Technis" stetig und immer enger.119
1957 spielte das Theater sein Stück "Der Hof der Wunder"120, welches ein gewaltiger
kommerzieller Erfolg wurde und auch von der Kritik hoch gelobt wurde. 1959 führte das
"Theatro Technis" das neue Stück von Kambanellis auf, "Das Alter der Nacht"121. Hiermit
schloß der Autor seine Trilogie ab, die später als "Trilogie des Hofes"122 bezeichnet wurde.
Allerdings wurde dieses letzte Stück nicht so positiv aufgenommen wie die beiden vorigen.
1959 bestellte das neu gegründete Theater "Neo Theatro"123 der Schauspieler Vasilis
Diamantopoulos und Maria Alkaiou bei Kambanellis ein Stück, mit dem die neue
Schauspieltruppe sich dem Publikum vorstellen wollte. Er schrieb das Stück "Das Märchen
ohne Namen"124, welches die politische Empathie kritisch beleuchtete; es wurde auch von einflußreichen studentischen Vereinigungen unterstützt. Zusammen mit den Stücken "Odysseus,
geh heim"125 und "Papa, der Krieg"126 wird dies zur "Trilogie der historischen bzw.
mythologischen Satiren" gerechnet.127 In der Zeit reiste Kambanellis für kurze Zeit nach
London und dann nach Zypern, um an diversen Projekten vor Ort mitzuwirken. 1963
versuchte er, mit Theodorakis zusammen eine 'Volksoper' zu entwickeln. Der Versuch
scheiterte, übrig blieb davon das Stück "Die Nachbarschaft der Engel"128. Im gleichen Jahr
gründeten Kambanellis, Theodorakis, Marietta Rialdi und Minos Argyrakis das "Piramatiko
Laiko Theatro Nikaias".129 Ebenfalls 1963 schrieb Kambanellis für das Ensemble Jenny
Karezi das Stück "Das dumme Mädchen".130 Nebenbei überarbeitete er seine Chronik
"Mauthausen", die er anschließend herausgab131. Es war sein einziges Stück, das nicht für die
Bühne gedacht war. 1964 vertonte Theodorakis Verse, deren Thematik diesem Stück
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Hier hatte Kambanellis die gleichnamige Erzählung von Walter Mitty zur Grundlage genommen.
Diamantopoulos führte dieses Stück 1957 am "Theatro Technis" auf.
Seit jener ersten Zeit, als er sich den Eintrittsprüfungen zum "Theatro Technis" unterzog, machte Iakobos
Kambanellis die Bekanntschaft von Karolos Koun und wurde zum Stammgast des "Theatro Technis". Er sah
sich alle Aufführungen an und arbeitete als ungelernter Helfer mit. In "Der Tag am griechischen Theater"
(wie FN 92) gibt Kambanellis an, daß ihm am "Theatro Technis" die außergriechische Dramaturgie
nahegebracht wurde.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 9.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): "Das Alter der Nacht" (Η ηλικία της νύχτας), in (ders.):
Theater, Bd. 1, Athen 1978, S. 189 - 276.
Chourmousiadis, Nikos, wie FN 16, hier S. 7.
Dieses Ensemble wurde 1959 unter dem Namen "Neo Theatro" (“Νέο Θέατρο”) gegründet. Die beiden
Schauspieler, unter deren Name das Ensemble heute bekannt ist, kamen von den besten Bühnen des Landes.
Vasilis Diamantopoulos (Βασίλης ∆ιαµαντόπουλος) war einer der wichtigsten Schauspieler in der Gruppe um
Karolos Koun am "Theatro Technis", während Maria Alkaiou (Μαρία Αλκαίου) lange am Nationaltheater
gearbeitet hatte.
Der griechische Name des Stückes "Das Märchen ohne Namen" ist “Το παραµύθι χωρίς όνοµα”.
Der griechische Name des Stückes "Odysseus, geh heim" ist “Οδυσσέα, γύρνα σπίτι”.
Der griechische Name des Stückes "Papa, der Krieg" ist “Ο µπαµπάς ο πόλεµος”.
Chourmousiadis, Nikos, wie FN 16, hier S. 7.
Der griechische Name des Stückes "Die Nachbarschaft der Engel" ist Η γειτονιά των αγγέλων, das
unveröffentlichte Manuskript findet sich in der Theatriki Vivliothiki (Θεατρική Βιβλιοθήκη), Athen.
Die griechische Bezeichnung lautet Πειραµατικό Λαϊκό Θέατρο Νίκαιας. Nikaia ist ein großes, von einfachen
Kleinbürgern bewohntes Viertel in Athen.
Das Stück "Das dumme Mädchen" basiert auf "Die gestern Geborene" von Garçon Kanin. Der griechische
Name des Stückes ist “Το κουτό κορίτσι”.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Mauthausen (Μαουτχάουζεν). Athen 1965.
Kambanellis - Einleitung
S. 31
entnommen waren. Ebenfalls 1964 führte die Schauspieltruppe um Jenny Karezi Kambanellis´
Stück "Viva Aspasia"132 auf.
1966 führte das "Theatro Technis" "Odysseus, geh heim" auf. 1969 inszenierte Kambanellis
den Film "Die Kanone und die Nachtigall"133. In einer seiner Episoden wirkte er auch als Darsteller mit. Das "Piramatiko Theatro tis Mariettas Rialdi" (Πειραµατικό Θέατρο της
Μαριέττας Ριάλδη) führte "Die Strafkolonie" auf, eine Theateradaption der gleichnamigen
Erzählung von Franz Kafka134.
1973, während der Diktatur, wurde "Unser großer Zirkus"135 aufgeführt, ein Stück, welches
Kambanellis für das "Ensemble Karezi-Kazakou" geschrieben hatte. Es war wenige Monate
vor dem Aufstand am Athener Polytechnikum136, und so geriet diese Aufführung zu einem
politischen Ereignis. 1974 und 1976 wurde es bei Tourneen in Deutschland und Zypern wiederaufgeführt. Nach dem Sturz der Diktatur in Griechenland führte das gleiche Ensemble
1974 das Stück "Die Bohne und die Kichererbse"137 auf, 1975 folgte das Stück "Der Feind,
das Volk"138. Diese drei Stücke werden unter der Bezeichnung "die Triologie der
Widerstands-Stücke" zusammengefaßt.139
1976 kehrte Kambanellis zum "Theatro Technis" zurück, wo er vier Einakter unter dem Titel
"Personen für Violine und Orchester"140 in einer gemeinsamen Aufführung auf die Bühne
brachte. 1977 schrieb er für das Ensemble Karezi-Kazakou das Stück "Unsere Liebe Frau der
Dollars"141. 1979 führte das "Theatro Technis" sein Stück "Die vier Beine des Tisches"142 auf,
im Jahr darauf das Stück "Papa, der Krieg"143.
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141
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Viva Aspasia (Βίβα Ασπασία). 1965 geschrieben, in (ders.):
Theater (Θέατρο), Bd. 2, Athen 1979, S. 129 - 204. Dies ist eine dramatische Satire, die in der Zeit der
deutschen Besatzung Griechenlands spielt.
Der griechische Name des Stückes "Die Kanone und die Nachtigall" ist “Το κανόνι και το αηδόνι”.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Die Strafkolonie (Η αποικία των τιµωρηµένων), Athen
1970.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Unser großer Zirkus (Το µεγάλο µας τσίρκο), Athen 1973,
unveröffentlicht.
Das Polytechnikum (Πολυτεχνείο) wurde zum Symbol für Ereignisse, die im November 1973 ganz
Griechenland erschütterten. Beginnend von den Studenten der Juristischen Hochschule und des
Polytechnikums begann ein Widerstand gegen die seit 1967 an der Macht befindliche Diktatur von Obristen.
Die Studenten verbarrikadierten sich in der Hochschule, demonstrierten für "Leben - Bildung - Freiheit" und
verbreiteten ihre Forderungen und ihren aktuellen Zustand mittels eines illegalen Radiosenders. Der Aufstand
wurde vom Militär blutig und brutal niedergeschlagen, dennoch leitete er den Sturz der Diktatur ein, der im
folgenden Jahr eintrat. Bis heute stehen diese Ereignisse des Polytechnikums in der kollektiven Identität der
Griechen als Ausdruck ihrer Freiheitsliebe und Zivilcourage.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Die Bohne und die Kichererbse (Το κουκί και το ρεβύθι),
Athen 1973, unveröffentlicht.
Die beiden Stücke "Die Bohne und die Kichererbse" und "Der Feind, das Volk" sind unveröffentlicht. Die
Autorin bekam die Gelegenheit, die beiden Manuskripte einzusehen, die sich im Besitz von Kostas Kazakos
(Κώστας Καζάκος) befinden, der bei beiden Inszenierungen Regie führte.
Chourmousiadis, Nikos, wie FN 16, hier S. 7.
Die Zusammenstellung "Personen für Violine und Orchester" (Πρόσωπα για βιολί και ορχήστρα) von
Kambanellis enthält folgende Einakter:
"Der treue Mensch" (Ο πιστός άνθρωπος), Einakter. In (ders.): Theater, Bd. 3, Athen 1981, S. 15 - 38;
"Die Frau und der Fehler" (Η γυναίκα και ο Λάθος), Einakter. In (ders.): Theater, Bd. 3, Athen 1981, S. 39 64;
"Festtagsrede" (Πανηγυρικός), Einakter. In (ders.): Theater, Bd. 3, Athen 1981, S. 65 - 78;
"Der Mensch und das Bild" (Ο άνθρωπος και το κάδρο), Einakter. In (ders.): Theater (Θέατρο), Bd. 3, Athen
1981, S. 79 - 102.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): "Unsere Liebe Frau der Dollars" (Η Παναγία των
δολλαρίων). Unveröffentlichtes Manuskript, Theatriki Vivliothiki, Athen.
Kambanellis - Einleitung
S. 32
1981 bis 1987 wurde Kambanellis die Leitung des staatlichen griechischen Rundfunks ERT
übertragen. Zum ersten Mal wurde er durch eine solche Arbeit über Jahre vom Schreiben abgehalten. Zwei Jahre nach dem Ende dieser Phase spielte das Nationaltheater sein Stück "Das
unsichtbare Ensemble"144. 1990 wurde zum ersten Mal im antiken Herodes-Attikus-Theater
unterhalb der Akropolis ein zeitgenössisches griechisches Stück aufgeführt. Es war
"Odysseus, geh heim".
1991 inszenierte Kambanellis selbst sein Stück "Der Weg geht mitten hindurch"145 am
"Piramatiko Theatro tis Polis" tis Mariettas Rialdi. Damit fand auch die 'bürgerliche' Trilogie
einen Abschluß; zu ihr gehören noch die Stücke "Die vier Tischbeine" und "Das unsichtbare
Ensemble".
1992 inszenierte das "Theatro Stoa"146 eine Zusammenstellung älterer Einakter von Kambanellis ("Festtagsrede"147, "Er und seine Hose"148 und das neuere "Die Grabrede"149) unter der
Überschrift "Drei in Einsamkeit"150.
1994 kehrte Kambanellis nach langer Unterbrechung wieder in das Nationaltheater zurück, wo
er unter dem Titel "Das Abendmahl"151 seine drei Einakter "Brief an Orestes"152 und "Parodos
von Theben"153 selbst inszenierte. Diese drei Einakter veröffentlichte Kambanellis, zusammen
mit den Einaktern "Im Lande Ibsen"154, "Die Zyklopen"155, "Der Dialog"156 und "Wer war
dieser Herr?"157 (1933) unter dem Titel "Studien und Versuche"158.
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Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): "Die vier Beine des Tisches" (Τα τέσσερα πόδια του
τραπεζιού), Athen 1979. In (ders.): Theater, Bd. 3, Athen 1981, S. 107 - 178.
Der griechische Name des Stückes "Papa, der Krieg" ist “Ο µπαµπάς ο πόλεµος”.
Der griechische Name des Stückes "Das unsichtbare Ensemble" von Iakobos Kambanellis ist Ο αόρατος
θίασος. Es wurde 1985 geschrieben und veröffentlicht in (ders.): Theater, Bd. 4, Athen 1989, S. 61 - 158.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): "Der Weg geht mitten hindurch (Ο δρόµος περνά από µέσα).
In (ders.): Theater, Bd. 5, Athen 1991, S. 100 - 171.
Der griechische Name des "Theater Stoa" ist Θέατρο Στοά. Es wurde 1975 von Thanassis Papageorgiou 1975
gegründet, es existiert noch bis heute.
Iakobos Kambanellis, siehe FN 140.
Iakobos Kambanellis, siehe FN 118.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): "Die Grabrede" (Ο Επικήδειος), Einakter. In (ders.):
Theater, Bd. 5, Athen 1991, S. 173 - 196.
Der griechische Titels lautet Τρεις σε µοναξιά.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): "Das Abendmahl" (Ο δείπνος), Einakter. In (ders.): Theater,
Bd. 6, Athen 1994, S. 37 - 68).
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): "Brief an Orestes" (Γράµµα στον Ορέστη), Einakter. In
(ders.): Theater, Bd. 6, Athen 1994, S. 23 - 36.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): "Parodos von Theben" (Πάροδος Θηβών), Einakter. In
(ders.): Theater, Bd. 6, Athen 1994, S. 69 - 90.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): "Im Lande Ibsen" (Στη χώρα Ίψεν), Einakter, Athen 1993.
In (ders.): Theater, Bd. 6, Athen 1994, S. 94 - 140.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): "Die Zyklopen" (Οι Κύκλωπες), Athen 1952. In (ders.):
Theater, Bd. 6, Einakter, Athen 1994, S. 175 - 202.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): "Der Dialog" (Ο διάλογος), Einakter. In (ders.): Theater,
Bd. 6, Athen 1994, S. 141 - 156.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): "Wer war dieser Herr?" (Ποιος ήταν ο κύριος;), Athen 1933.
In (ders.): Theater, Bd. 6, Athen 1994, S. 157 - 174.
Kambanellis - Einleitung
S. 33
Die vielschichtige Person von Kambanellis und sein vielseitiges Werk umfassen außerdem
viele Drehbücher für Filme und eine große Menge Lieder, die von Komponisten wie Mikis
Theodorakis, Manos Chatzidakis und Stavros Xarchakos vertont wurden. Diese Werke im
Detail aufzuzählen, kann nicht Aufgabe dieser Arbeit sein.159
158
159
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Studien und Versuche (Σπουδές και απόπειρες). In (ders.):
Theater, Bd. 6, Athen 1994, S. 25 - 202.
Dieses Kapitel basiert auf Nachforschungen in der Theatriki Vivliothiki (Θεατρική Βιβλιοθήκη) in Athen. Die
Jahreszahlen und Informationen über das persönliche Leben von Kambanellis und die Titel seiner Stücke
wurden folgenden Quellen entnommen:
a) Zeitschrift "Theatrika Tetradia" (Θεατρικά Τετράδια), Themenschwerpunkt Iakobos Kambanellis. Heft
25, März 1993.
b) Weber, Johanna (Βέµπερ, Γιοχάννα): Personen des Widerstands. Erinnerung an Tod und an Leben
(Πρόσωπα από την αντίσταση. Μνήµη θανάτου και µνήµη ζωής), Athen 1996.
c) Auszung aus dem Interview: Damanaki, Evi (∆αµανάκη, Εύη): Interview mit Kambanellis in der
Wochenendzeitung “Kyriakatiki Eleftherotypia” (Κυριακάτικη Ελευθεροτυπία) vom 11.04.1982.
d) Giannopoulou, Ifigenia, wie FN 101.
e) Ntelidaki, Eva, wie FN 100.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 34
3 Trilogie des Hofes
3.1 Das Erstlingswerk von Iakobos Kambanellis für die neugriechischen Bühnen
Es ist bekannt, daß jeder Dramatiker, der sein Werk gerne aufgeführt sehen möchte, dieses auf
den Erfahrungen seiner Vorgänger aufbaut; er orientiert sich an den Erwartungen seines Publikums und berücksichtigt den technischen Stand des Theaters seiner Zeit160. Das gilt auch für
Iakobos Kambanellis, einen Dramatiker, der das Glück hatte, seine Stücke als szenische Aufführungen verwirklicht zu sehen.
Auch wenn er schon zu Beginn der 50er Jahre mit einigen dramatischen Satiren161 erste
Schritte als Schriftsteller in die Öffentlichkeit wagte, kamen seine Stücke doch erst auf die
Bühne, nachdem er sich einer realistischen Schreibweise zugewandt hatte. Er selbst gibt zu,
dies bewußt getan zu haben, und zwar genau aus diesem Grund: damit er seine Stücke auch
aufgeführt sehen könnte162. Diese Stücke wurden sozusagen zum Trojanischen Pferd, mit
dessen Hilfe Kambanellis die Welt des Theaters erobern wollte, welche sich bisher weigerte,
seine Stücke zu spielen.
In jedem der Jahre 1956, 1957 und 1959 schrieb er dann ein Stück, welches auch aufgeführt
wurde: "Der siebte Tag der Schöpfung"163, "Der Hof der Wunder"164, und "Das Alter der
Nacht"165. Der gemeinsame Stoff, ihre ineinandergreifende Thematik wie auch die zeitliche
Abfolge und nicht zuletzt die Art, wie sie gespielt wurden, rechtfertigen es, hier von einer
Trilogie zu sprechen. Man bezeichnete sie später als "Trilogie des Hofes". Auch wenn diese
Stücke neue Wege in der neugriechischen Dramatik öffneten, so griffen sie doch deutlich auf
traditionelle dramaturgische Elemente zurück. So ist der Hof der zentrale Ort der Handlung,
wie er es auch in vielen Sittengemälden der Zwischenkriegszeit gewesen war.
Das läßt sich auch anhand der Entwicklung der Typen zeigen: Der Kleinbürger, wichtiger
Grundtyp der Hauptperson bei Kambanellis, war auch eine zentrale Person in den Farcenkomödien, die auf ihre Weise einen Spiegel des Kleinbürgertums bildeten. Ein weiteres Element
ist die Thematik: Themen des Alltagslebens bringen Dramatik in die Farcenkomödien, andere
Komödien und überhaupt in die Stücke aus der Zwischenkriegszeit. Kambanellis bezog in
seine Stücke auch stets die aktuellen technischen Entwicklungen mit ein, so weit sich diese
auf bestimmte dramaturgische Aspekte und szenische Praktiken im "Theatro Technis"
bezogen.
Offensichtlich änderte sich auch der Geschmack des Publikums in den 50er Jahren, da sich
auch die soziale Zusammensetzung veränderte166. Denn wenn auch in dem Moment, als Kambanellis sich mit dem Schreiben befaßte, der Neorealismus noch nicht richtig ausformuliert
160
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163
164
165
166
Gelfert, Hans-Dieter: Arbeitstexte für den Unterricht. Wie interpretiert man ein Drama? Stuttgart 1992, hier
S. 47.
1952 schreibt der Autor in einer ersten Fassung die Stücke "Odysseus, geh heim" und "Papa der Krieg".
Beide Stücke werden im Laufe der Zeit noch viele Veränderungen erfahren, bevor sie lange Jahre später auch
auf die Bühne kommen (das erste 1966, das zweite 1980).
Die bewußte Hinwendung von Kambanellis zum realistischen Schreiben wird von ihm selbst im Artikel
"Meine geistige Herkunft ist das Lager" beschrieben, siehe FN 13.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): "Der Siebte Tag der Schöpfung" (Η έβδοµη µέρα της
δηµιουργίας). In (ders.): Theater, Bd. 1, Athen 1978, S. 29 - 87.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 9.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 121.
Frangopoulos, Theodoros, wie FN 56.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 35
war, weil die besonderen sozialen Strukturen im Lande die Entwicklung beeinträchtigten167,
so ist es doch sicher, daß das Theaterpublikum wie auch der Markt des Theaters sich weiter
entwickelte und den Bedürfnissen einer neuen Dramatik entgegenkam. Diese neue Dramatik
sollte die Tradition erweitern, den fortschreitenden technischen Möglichkeiten des Theaters
Rechnung tragen und in ihren Stücken die aktuelle Entwicklung der Gesellschaft darstellen,
wodurch deren Themen reflektiert und diskutiert würden.
Bei dem Versuch, die Stücke der hier besprochenen Trilogie stilistisch einzuordnen,
bezeichnet Karolos Koun sie als "problembewußtes Theater"168. Grammatas spricht vom
Realismus des Kambanellis, der sich im Bereich des sozialen Dramas bis hin zum
Sittengemälde bewege169, während Stathis Dromazos es "poetisch-sozialen Neorealismus"
nennt, welcher im besonderen zur Persönlichkeit von Kambanellis passe170. Kambanellis
selbst subsumiert diese Stücke unter "abgehobenem Realismus"171.
Auf jeden Fall kommt Kambanellis mit diesen Stücken den Bedürfnissen der neugriechischen
Gesellschaft entgegen, ihre eigenen Probleme zum Gegenstand zu machen. Sie wünscht sich
Theaterstücke über die eigene soziale Realität, um mehr über sich selbst zu erfahren, wie es
allgemein in jener Zeit ein großes Anliegen des Kulturschaffens war.172 In dieser Hinsicht
gehört Kambanellis zu der neorealistischen Bewegung, welche in Amerika wie auch in Europa
während der Mitte des 20. Jahrhunderts den Film und das Theater prägte. Diese Bewegung
nutzte erneuerte naturalistische Techniken, um sich auszudrücken, und gipfelte in Stücken von
Regisseuren wie Rossellini, Pasolini oder De Sicca (im Film) sowie der Dramatiker O'Neill,
Tennessee Williams oder Arthur Miller am Theater.
Kambanellis wählte den Neorealismus: Er war ihm ein Anliegen in seinem Leben wie in
seiner Kunst. Oft erwähnte Kambanellis, er sei in seinen Stücken stark vom italienischen
Neorealismo beeinflußt worden, da er als Zuschauer die wichtigen Werke dieser "Filmschule"
verfolgte. Auch hatte er die Gelegenheit, selbst daran teilzunehmen, indem er neorealistische
Drehbücher für Filme schrieb. Dadurch übernahm er einiges aus dieser Richtung. Auch in
seiner eigenen Biographie konnte er aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpfen, wobei eine
der prägendsten Erfahrungen die Gefangenschaft im Konzentrationslager war173. Dazu
kommen noch die drängenden Probleme der griechischen Gesellschaft, die nicht mehr nach
einer geschönten Darstellung ihrer selbst verlangte, wie es die Dramatik bis dahin geboten
hatte, sondern die inzwischen den Anspruch stellte, in ihrer gesamten Komplexität und
Widersprüchlichkeit dargestellt zu werden174.
Wenn der Neorealismus ideal gewesen war, um Erfahrungen und Erkenntnisse des Volkes wie
auch des Schriftstellers im Griechenland der 50er Jahre darzustellen, so wurde der Dramatiker
167
168
169
170
171
172
173
174
Puchner, Walter, wie FN 53.
Koun, Karolos, wie FN 82, hier S. 324.
Grammatas, Thodoros (Γραµµατάς, Θόδωρος): Das marxistische Schreiben im griechischen Theater. (Η
παρουσία της µαρξιστικής γραφής στο ελληνικό θέατρο) In der Zeitschrift "Politistiki" (Πολιτιστική),
Oktober 1985, S. 75 - 84, hier S. 80.
Dromazos, Stathis, wie FN 14.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 13, hier S. 37.
Polewoi, M. Wadim: Die Kunst Griechenlands von den Anfängen bis zur Gegenwart. (Aus dem Russischen)
Dresden 1991, S. 558.
In seinem Artikel "Meine geistige Herkunft ist das Lager" (siehe FN 13) schließt sich Kambanellis der
Feststellung von Carotenuto an, daß jene, die die Konzentrationslager überlebten, deswegen überlebten, um
danach über das Drama schreiben zu können, welches sie dort erlitten hatten. Siehe Carotenuto, Aldo: Eros e
Pathos. Margini dell'amore e della soferanza. Übersetzung ins Griechische von Koula Kafetzi (Κούλα
Καφέτζη), Athen 1995, S. 177.
Aus diesem Spannungsfeld ließ sich auch Kambanellis inspirieren.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 36
auch durch das "Buch des Theaters" dorthin geführt.175 Dieses "Buch", also der besondere
ästhetische Raum, der dem Schaffen hier geboten wurde, war nichts anderes als das "Theatro
Technis". Indem Kambanellis äußerst interessiert die Aufführungen am "Theatro Technis"
verfolgte, verfiel er nicht nur ein für alle Male der Kunst des Theaters, sondern lebte dort eine
neue Realität, die ihm faszinierender als die Wirklichkeit erschien, wurde er doch dort, wie er
es nannte, "Augenzeuge echter Geschichten".176
Im halbrunden Theater von Karolos Koun, das für griechische Verhältnisse sehr modern war,
beschäftigte sich eine in sich geschlossene Schauspieltruppe unter der Leitung eines
erfahrenen Regisseurs als bewußt politische Entscheidung mit dem Repertoire des
Sozialrealismus177. Hier fand Kambanellis konkrete Kodizes der Regie und des Schauspielens,
was noch viel mehr bedeutete als nur eine Bühne, auf der er seine Stücke aufführen konnte.
Das "Theatro Technis" bot sich an als Projektionsfläche für neue dramaturgische Versuche,
wo unbekannte neugriechische Autoren arbeiten konnten, die Möglichkeiten suchten, in der
Praxis die Tradition mit den ausländischen modernen Strömungen zu verbinden.
Vor diesem Hintergrund sind die sozialrealistischen Stücke von Kambanellis zu sehen, will
man sie in wirklich verstehen. Sie sind inspiriert vom "Theatro Technis"; sie werden
geschrieben, um in diesem Theater gespielt zu werden; von den ästhetischen Kodizes dieses
Theaters werden sie befruchtet. Nur in dem Zusammenhang wird auch die spätere Distanz von
Kambanellis zu diesen Stücken verständlich, wenn er sagt: "Als wir damals schrieben, schien
das 'Theatro Technis' uns schon zu erwarten."178
3.2 Die Charakteristika des Neorealismus bei Kambanellis
Mit der "Trilogie des Hofes" wurde die Realität des griechischen Lebens in den Jahren nach
dem Zweiten Weltkrieg zum Gegenstand des Theaters. Griechenland in den 50er Jahren bildet
den zeitlichen und räumlichen Rahmen aller drei Stücke aus diesem Zyklus, es stellt
gleichzeitig auch ihren dramaturgischen Ort und Zeitpunkt dar. 'Tranches de vie' : Scheiben
des griechischen Lebens in der Realität jener Jahre werden hiermit auf die Bühne gebracht.
Die größten Anliegen des Landes (Landflucht der Bevölkerung, Wiederaufbau,
Arbeitslosigkeit, Mangel, Armut, Auswanderung, die Veränderung der traditionellen
Lebensstrukturen) treten in den Mittelpunkt des Blickfeldes. Entsprechend der Idee des
Naturalismus wie auch des Neorealismus macht Kambanellis die einfachen, armen und
unterdrückten Menschen des Volkes und ihre Probleme zum zentralen Thema seiner Stücke.
Es sind jene Menschen, die vom Krieg ruiniert wurden und doch voll Hoffnung auf ein
besseres Morgen sind, und die doch erleben müssen, daß die Entwicklung der Nachkriegszeit
nicht nur vonstatten geht, ohne ihnen zu nützen, sondern sogar auf ihre Kosten.
Diese Menschen sind es, die die Helden in Kambanellis' Welt bilden. Kleinbürger sind die
zentralen Figuren des ersten Stückes, Arbeiter und einfache Menschen die des zweiten, und
im dritten stehen solche 'Typen aus dem Volk' etablierten Bürgern gegenüber. Sie alle mit
ihrem dazugehörigen Milieu bilden den Kernpunkt des Interesses. Gleichzeitig mit dem
175
176
177
178
Luciani, Gerard erläutert, daß der für das Theater Schreibende seine Themen im Buch des Lebens und im
Buch des Theaters findet. Siehe Luciani, Gerard: Programmheft zur Aufführung des Stückes "Mirandolina
oder Frau Wirtin" von Carlo Goldoni am "Theatro Analyti" (Θέατρο Αναλυτή), 1996, S. 30.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 92, hier S. 24.
Es werden Stücke der ausländischen Autoren Tschechow, Ibsen, Shaw, Pirandello, Williams, Prisley, Müller,
De Filippo, Lorca und anderer internationaler Dramatiker von höchstem Niveau gegeben.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Folge und Konsequenz (Συνέχεια και συνέπεια), im
Programmheft zum Stück von Georgos Skourtis (Γιώργος Σκούρτης): Stücke und Scherben (Κοµµάτια και
θρύψαλα), 1977 "Theatro Technis".
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 37
Schicksal dieser Einzelpersonen in ihrem Sozialgefüge gerät nicht nur eine ganze soziale
Realität, sondern das Schicksal einer ganzen sozialen Schicht in das Rampenlicht und erhält
die Dimensionen einer modernen Tragödie. Es ist das erste Mal, daß die gesellschaftliche
Realität in der griechischen Dramatik nicht nur den Hintergrund bildet, vor dem sich etwas
ereignet, sondern selbst mit zum handelnden Element wird, eine weitere aktive Figur, welche
auf das Geschehen Einfluß nimmt, indem sie auf ihre Weise Handlungen und Geschicke der
Hauptpersonen interpretiert. Kambanellis, selbst ein einfacher Mann aus dem Volk, verfolgt
voller Mitgefühl das Leben der Menschen aus seiner sozialen Schichtung, stellt sich auf die
Seite der Benachteiligten und nimmt sich ihrer mit Zärtlichkeit an. Er beobachtet den
schweren Alltag dieser Leute, ihren mühsamen Lebensweg, doch möchte er auch die Poesie
und die tragische Größe ihres Lebens aufzeigen. Auch das "Theatro Technis" war bestrebt, im
Rahmen des "volkstümlichen Expressionismus" jene Poesie zu entdecken, die im Leben der
einfachen Leute steckt. Auch wenn Kambanellis selbst diese Problematik schon hinter sich
gelassen hatte, war sie doch am "Theatro Technis" jener Zeit noch sehr aktuell.
Indem Kambanellis sich den Ansprüchen des Naturalismus wie auch jenes Theaters, für das er
schrieb, stellte, kam er zur 'Armeleutepoesie'179. Die Hauptfiguren in der "Trilogie des Hofes"
werden im Rahmen ihrer sozialen und individuellen Widersprüchlichkeiten gezeigt. Einerseits
sind sie Opfer der gesellschaftlichen Entwicklung, andererseits Jäger nach dem Traum des
kleinbürgerlichen Wohlergehens. Das Zusammentreffen von Traum und Wirklichkeit war
auch eines der wichtigsten Anliegen des Neorealismus im Gegensatz zum Naturalismus,
woraus sich auch unterschiedliche Techniken ergaben. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg
konnte sich die Dramatik nicht mehr damit begnügen, die harte Wirklichkeit nur zu
beschreiben. Man strebte danach, auch den Traum auszuformulieren, und sei es nur als eine
fantastische Fluchtmöglichkeit aus eben dieser Wirklichkeit.
Der weite Rahmen, innerhalb dessen sich die Handlungen dieser Trilogie abspielen, ist Griechenland. Um dies enger zu fassen, wird ein konkretes architektonisches Element gewählt, das
den szenischen Raum dieser drei Stücke bildet.180 Es ist der offene Raum des Hinterhofes.
Dieser blickte natürlich schon auf eine lange dramaturgische Tradition zurück. Schon zuvor
war der Hof zum zentralen Ort einiger Theaterstücke geworden181. Andererseits bildete er
auch ein wichtiges Element der sozialen Wirklichkeit jener Zeit, denn viele Menschen lebten
vor und nach dem Krieg in kleinen Häusern oder Wohnungen, zu denen solch ein Hof
gehörte. Unter Zuhilfenahme dieses Ortes gelang es Kambanellis, eine überzeugende Nähe
besonders zur griechischen Gesellschaft aufzubauen, die sich aber auch im Alltag der
Menschen rund um das gesamte Mittelmeer wiederfand. Die mediterrane Umgebung und das
Festhalten der Menschen an Wohnformen, die offene Räume mit einschließen, ermöglicht
ihnen, ein Leben zu führen, das reich an sozialen Kontakten und Interaktion ist.
Zum Raum des Theaters umgewandelt, konnte Kambanellis in diesen Raum des Alltagslebens
jede Menge unterschiedlicher Charaktere führen, welche, indem sie hier miteinander leben
mußten, zur Begegnung gezwungen waren. Diese einzelnen, untereinander durchaus
verschiedenen Begegnungen gegensätzlicher Menschen sind es, die Kambanellis darstellen
179
180
181
"Das zentrale Thema des Naturalismus in der Erzählung wie auch im Theater läßt sich auf die Darstellung der
Arbeiterklassen, auf die Poetik der armen Leute beziehen." Furst, Lilian R. und Skrine, Peter N.:
Naturalismus. London 1971, griechische Ausgabe übersetzt von Lia Megalou (Λία Μεγάλου): Naturalismus
(Νατουραλισµός), Athen 1972, S. 69.
Genaugenommen ist der Hof nur in den beiden ersten Stücken der Trilogie der einzige Handlungsort. Im
dritten Stück "Das Alter der Nacht" wird dieser Hof durch ein kleines Wohnhaus mit Obergeschoß ersetzt.
Nur ein kleiner Platz auf der Straße, als zweiter Handlungsort des Stückes, bietet hier noch offenen Raum und
kann als Überbleibsel des eigentlichen Hofes verstanden werden.
Siehe zum Beispiel das Stück "Der Schößling" von Pantelis Chorn, wie FN 53.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 38
möchte. Wie er selbst es formuliert, sind es diese Begegnungen, die ihn interessieren, und viel
weniger das individuelle Schicksal oder Begebenheiten im Leben von Einzelpersonen.182 Im
Raum dieses Hofes werden die Hauptfiguren von Kambanellis frei. Hier haben sie die
Möglichkeit, aus sich herauszugehen und gar zu explodieren; sie müssen sich nicht mehr auf
zarte Zwischentöne beschränken.
Es war ein Kindheitstraum von Kambanellis, eine Schauspieltruppe zusammenzubekommen,
die auf Höfen vor Kirchen und auf Tennen183 spielen sollte, später entstand daraus der
Wunsch, der aktuellen gesellschaftlichen Realität dieses Landes so nahe wie möglich zu
kommen. So wird der Hof zu dem Raum, den die moderne Tragödie des Griechen bewohnt.
Die Tragik jener Personen, die diesen Raum bewohnen, beinhaltet auch noch den fernen
Widerhall jener Orchestrae, die zu den antiken Theatern gehörten, die auch im Freien
aufgeführt wurden. Dadurch bekommt der Raum des Hofes besondere Tiefe und Intensität,
denn weiterhin wird er nicht durch künstliches Licht erhellt, sondern direkt durch das
natürliche Licht der Sonne. Das Licht der Sonne begegnet hier der Hoffnungsfreude der
Hauptpersonen. Die Unerreichbarkeit ihres Traumes erhält so eine fast globale Gültigkeit.
3.3 Das Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
3.3.1 Inhaltsangabe184
Das Stück spielt in einem alten Athener Hof zu Beginn der 50er Jahre. Auf der Rückseite des
Hofes befinden sich vier Zimmer. In einem dieser Zimmer wohnt Alexis mit seinem Vater
Jiannis. Alexis ist die Hauptperson des Stückes, ein verträumter junger Mann. Er besitzt
gewisse Kenntnisse als Elektriker, Maler und Mechaniker, sein Traum ist aber, Ingenieur zu
werden. In einem anderen Zimmer zum Hinterhof lebt Eleni, ein alleinstehendes Mädchen,
welches als Stickerin arbeitet. Später wird ihre Schwester Christina dazukommen, worauf
Eleni den Hof verlassen wird. Das dritte der Zimmer wird von einer Person bewohnt, die im
Verlauf des ganzen Stückes fast stumm bleibt: Kostas, dem Freund von Alexis. Im vierten
Zimmer wohnt ein fliegender Händler mit seiner Familie. Außerdem kommt oft der Arzt zu
Besuch, ein allen Bewohnern des Hofes bekannter und vertrauter Mensch. Das Hinzukommen
einer jungen Frau (Christina) läßt eine alte Zuneigung zwischen ihr und Alexis wieder
aufflammen. Die Liebesbeziehung zwischen diesen beiden jungen Leuten führt schließlich zur
Heirat.
Zentrales Problem in diesem Stück ist die berufliche Zukunft von Alexis. Hierüber wird
diskutiert und gestritten. Er selbst möchte das Problem lösen, indem er einer Zementfabrik
eine technische Neuerung verkauft, die er selbst erfunden hat und von der er glaubt, sie werde
die Produktion stark fördern. Doch die Entscheidungsträger in der Firma begegnen ihm mit
Ironie und schicken ihn weg. Diese traurige Wahrheit sagt Alexis zu Hause nicht, sondern will
die Familie glauben machen, er arbeite nun dort als Leiter einer Arbeitsgruppe. Diese
"Lebenslüge" kann er aufrechterhalten, bis eines Tages Christina zu der Fabrik geht und dort
die Wahrheit erfährt. Doch auch sie sagt Alexis´ Vater nichts davon, er lebt weiterhin im
Glauben, sein Sohn sei erfolgreich. Währenddessen wird der Familie gedroht, sie werde
ausziehen müssen, da sie nicht imstande ist, dem Besitzer des Hofes die Miete zu zahlen.
Christina hält diese Drohung geheim, bis sie schließlich vom Gerichtsvollzieher offen
bekanntgegeben wird.
182
183
184
Kambanellis, Iakobos, wie FN 13. Der Autor legt dar, daß ihn weniger die umfassende Beschreibung einer
Begegnung interessiert als die lückenlose Darstellung rein individueller Geschichten.
Siehe den Artikel von Kambanellis, Iakobos: "Weil ich will, nicht weil ich kann", wie FN 107, hier S. 55.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 163.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 39
Alexis versteht nun, in welch ernste Lage er geraten ist. Er nimmt Abschied von seinen
Träumereien und nimmt eine Arbeit als Bauarbeiter an. Dort erleidet er einen Arbeitsunfall
und stirbt.
3.3.2 Kommentar zum Titel
Hierzu sagte Jiorgos Michailidis, einer jener Regisseure, die sich immer wieder analytisch,
aber auch bei Inszenierungen mit den Stücken von Kambanellis beschäftigte, daß Kambanellis
für seine Stücke stets Namen wählt, die sehr poetisch und gleichzeitig sehr dicht sind.185 Der
Titel verleiht den Dingen, die der Hauptperson des Stückes geschehen, etwas Schicksalhaftes,
göttlich Bestimmtes. Es ist die "Freude, die sich in Schmerz wandelt", wie es Iosif Vivilakis
nennt. Als Analogie bezieht er sich hier auf das Verständnis des siebten Tages, des Tages der
Auferstehung nach dem orthodoxen Glauben: da wandelt sich Schmerz in Freude. In
Umkehrung dazu wandelt sich die Freude der Hauptperson in diesem Stück am siebten Tag in
Schmerz.186 Die Aufteilung des Stückes in sieben Bilder187 analog zu den sieben
Schöpfungstagen spricht eine biblische Dimension an. Auch die Zeit im Stück besteht aus
sieben Tagen im Leben der Hauptpersonen.
3.3.3 Atmosphäre des Stückes
"Willkommen. Ich bin gekommen, um Euch die Straße der Träume zu zeigen.
Sie fällt nicht auf. Sie ist eine Straße wie alle anderen Straßen in Athen. Sie
ist, sagen wir einmal, die Straße, in der wir wohnen: klein, unwichtig,
traurig, tyrannisch und doch auch unendlich freundlich. Da gibt es viel
Erde, viele Kinder, viele Mütter, viele Hoffnungen und viel Schweigen, und
das alles ist bedeckt von einem zärtlichen und doch auch nicht
auszuhaltenden Himmel.
Hier in dieser Straße werden die Träume so vieler Kinder geboren und
sterben, kaum daß sich ihr Atem mit der Frühlingsluft des Siebenblatts
mischt, dann erlöschen sie.
Doch in der Nacht können sie nicht schlafen, und wenn sie nicht träumen,
dann singen sie."
Manos Chatzidakis188
185
186
187
188
Michailidis, Georgos (Micahl…dhj, Gièrgoj): Iakobos Kambanellis, Teil B (Ιάκωβος Καµπανέλλης, Μάρος
Β΄). Kolumne "Das Weiße und das Schwarze" (Το µαύρο και το άσπρο) in der Zeitung "Avgi" (Αυγή),
16.05.93. Teil A war am 09.05.93 erschienen.
Vivilakis, Iosif (Βιβιλάκης, Ιωσήφ): Der Versuch, zwei neugriechische Theaterstücke parallel zu lesen:
Aggelos Terzakis "Das große Spiel" und Iakobos Kambanellis "Der siebte Tag der Schöpfung" ∆οκιµή
παράλληλης ανάγνωσης δύο νεοελληνικών θεατρικών έργων: Άγγελος Τερζάκης “Το µεγάλο παιχνίδι” και
Ιάκωβος Καµπανέλλης “Η έβδοµη µέρα της δηµιουργίας”), Zeitschrift "Nea Estia" (Νέα Εστία), Heft 135,
15.05.1985, S. 675 - 682. "Das große Spiel" von Aggelos Terzakis wurde 1944 vom Nationaltheater
aufgeführt, es wurde aber nie in schriftlicher Form veröffentlicht.
Jedes Bild entspricht einem Tag im Leben der Personen. Diese sieben Tage folgen allerdings nicht direkt
aufeinander, sondern sind aus einer Zeitspanne, die sich über mehrere Monate erstreckt, ausgewählt.
Text zum Lied "Traum der Kinder aus der Nachbarschaft" ("Όνειρο παιδιών της γειτονιάς") aus dem Stück
"Straße der Träume" ("Οδός Ονείρων") von Manos Chatzidakis, von dem Musik und Text stammt. "Straße
der Träume" ist eine Schallplatte, auf der Material zusammengestellt wurde, das im Laufe der gleichnamigen
Revue zusammenkam, welche in einem wichtigen Athener Theater 1962 aufgeführt wurde.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 40
In den 50er Jahren prägten Armut, Arbeitslosigkeit wie auch der Ausschluß gut der halben
Bevölkerung vom gesamten staatlichen Apparat das öffentliche Leben in Griechenland. Der
Zweite Weltkrieg und der darauffolgende Bürgerkrieg hatten Wunden gerissen, die noch
frisch waren und schmerzten. Diese 'menschliche Landschaft' prägt auch die Atmosphäre im
Stück "Der siebte Tag der Schöpfung". Die Menschen, und besonders die junge Generation,
sahen wenig Chancen für ihre Zukunft. Als einziger Ausweg blieb ihnen nur, zu träumen. Die
Träume als einzige Zuflucht der Menschen, um sich von den gesellschaftlichen
Ungerechtigkeiten und den geschichtlichen Umwälzungen zu erholen, das ist das Leitmotiv
der griechischen Literatur jener Zeit, und des Stückes von Iakobos Kambanellis. Dieses Lied
von Manos Chatzidakis bringt die damalige Stimmung auf den Punkt.
3.3.4 Zielsetzung des Autors
Der Autor selbst beschreibt189 in einer Notiz im Programmheft zur ersten Aufführung im
Nationaltheater 1956, was er mit diesem Stück bezweckt:190 Ort und Zeit der dramaturgischen
Handlung ist 1955 in einem einfachen Stadtviertel Athens. Indem diese Rahmendaten den
Zuschauern eindeutig benannt werden, wird der aktuelle Wert des Stückes betont. Weiterhin
stellt Kambanellis das gesellschaftliche Klima innerhalb dieses Stückes dar. Er selbst benennt
die Richtung, in die er das Stück einordnet, zeigt und interpretiert den Hintergrund, vor dem
seine Handlung abläuft. Trotz der Festlegung des Ortes scheint es dem Autor doch auch
wichtig zu sein, daß er sich in die weltweite Realität nach dem Zweiten Weltkrieg einordnet.
Auch wenn seine Hauptpersonen in einem bescheidenen Eck von Athen leben, so erfahren sie
doch zumindest in fernem Widerhall von den Errungenschaften der weiter entwickelten
Völker, dort, wo der technologische Fortschritt zu einem Ventil für den schöpferischen Drang
der Menschen wird.
"Sie werden sich fragen", meint der Autor, "welcher Bezug denn bestehen kann zwischen
allem diesem und dem Stück eines griechischen Schriftstellers, dessen Personen äußerst
banale griechische Namen tragen und die in einem unscheinbaren Teil Athens leben. Doch es
kommt vor, daß einige dieser Menschen ein Radio zu Hause haben, und daß sie mit einer
kleinen Handbewegung, ähnlich einem Streicheln, Nachrichten aus Paris hören können,
Musik aus London, Werbung aus Rom, politische und wissenschaftliche Neuigkeiten aus
Moskau und Washington."191
Indem er das Schicksal seiner Figuren mit der weltweiten Aktualität verbindet, gelingen
Kambanellis zwei Dinge: Zum einen erfüllt er sich seinen alten Wunsch, über Gesamtsituationen und nicht nur über Einzelpersonen zu schreiben. Indem er seinem Helden einen umfassenderen Bezugsrahmen gibt, gewinnt deren persönliche Lage an Intensität, und das
Einzelschicksal wird allgemeingültig. Zum anderen gelingt ihm auf diese Weise eine
dynamische Gegenüberstellung, die seinem Stück mehr dramaturgische Spannung verleiht:
Die Gegenüberstellung von Griechenland und der übrigen Welt. So bekommt der Grieche in
seiner Eigenschaft als Bewohner eines kleinen Fleckens auf dem Globus zusätzliche Tragik.
Die Welt schreitet voran, doch der Grieche ist nicht imstande, mit dieser Entwicklung
189
190
191
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Vorwort im Programmheft zur Uraufführung des Stückes
"Der siebte Tag der Schöpfung" am Nationaltheater 1956. In: Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd. 1, Athen
1978, S. 17 - 19.
Das ist eine der Freuden, die Kambanellis für seine Leser bereithält: Vor den Beginn seiner Stücke stellt er
gerne ein Vorwort, das zusätzliche Erläuterungen gibt. Er macht das gewohnheitsmäßig. Das gibt dem
Zuschauer die Möglichkeit, bei einem meist gerade erst fertiggeschriebenen und damit noch sehr frischen
Stück gleich schon die Zielsetzung und Intention des Autors kennenzulernen und sich selbst ein Bild davon zu
machen, inwieweit diese erreicht wurden.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 189.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 41
schrittzuhalten. Denn, wie Kambanellis schreibt: "In den kleinen und armen Ländern wie dem
unseren geschieht genau das Gegenteil. Die Phantasie wird stimuliert von dem, was man über
die Kreativität der übrigen Welt hört, und weckt Hoffnungen, die weit jenseits von dem
liegen, das realistisch erreichbar ist. So vergrößert sich die Distanz zwischen Traum und
Realität und schiebt die Grenzen zu dem Raum immer weiter weg, den wir durch unser
eigenes Werk zu prägen wünschen.
Ich habe viele Fremde sagen hören, das griechische Volk sei schwatzhaft und romantisch.
Doch es ist ja offensichtlich, daß ein Volk, wenn es so fähig ist wie das unsere und doch die
Möglichkeit zur Aktivität nicht hat, keine andere Zuflucht mehr finden kann als den Traum.
Und so wächst die Distanz zwischen Traum und Realität."192
Das Stück spielt genau in dem oben beschriebenen Klima. Es handelt sich um nichts weiter
als um das Drama einer griechischen Familie. Und die Tragödie des Helden ist genau die
Diskrepanz zwischen Traum und Realität, welche sein Leben zerteilt. Die Dualität
'Griechenland' versus 'übrige Welt' existiert auch im Hintergrund des Stückes, selbst im Leben
der Hauptperson. Die objektiven Gegebenheiten des Lebens in Griechenland einerseits und
die individuelle Persönlichkeit der Hauptperson andererseits stellen die beiden Gegensätze
dar. Da der wichtigste Mann im Stück übertriebene Erwartungen hat, klafft eine
unüberbrückbare Leere zwischen dem, was er will, und dem, was er kann. Und wenn er dann
versucht, sich anzupassen und seine Träume abzulegen, "wird die in seinem Inneren verratene
Lebenskraft seine Schritte verwandeln in einen tödlichen Tanz ins Leere."193
3.3.5 Reaktion der Kritik auf die Uraufführung des Stückes "Der siebte
Tag der Schöpfung"
Die Kritik begrüßt anläßlich der Uraufführung des Stückes am Nationaltheater 1956 wärmstens zwei Dinge, die ihr sehr wichtig sind: Zum einen die Bespielung der Zweiten Bühne des
Nationaltheaters194, von der die Kritiker hoffen, daß sie zum Ort der Förderung neuer Autoren
wird, zum anderen die neuen Aktivitäten des Autors Kambanellis in der Welt des Theaters, da
er ihnen schon von früher als Schriftsteller bekannt ist. Sie sehen, daß sein jetziges Stück
reifer geworden ist: "Eine neue Bühne im Nationaltheater, ein neues griechisches
Theaterstück, das ernst genommen werden will, ein neuer Bühnenautor - das
Zusammentreffen dieser Ereignisse reicht schon, um den vorgestrigen Abend in unserem
staatlichen Theater zu einer wahren Freude zu machen."195.
Fast alle Kritiker akzeptierten den Autor als jungen, vielversprechenden Dramatiker. Auch
begrüßten sie, daß seine Stücke aufgeführt wurden, weil sie davon ausgingen, daß er selbst
dabei viel würde lernen können. Sie hoben besonders die Ehrlichkeit von Kambanellis gegenüber seiner Kunst hervor, die sich darin zeige, daß er trotz seines Erfolges nicht rein kommerziell zu schreiben begänne196. Man lobte an diesem jungen Autor seine Fähigkeit, fließende
192
193
194
195
196
Kambanellis, Iakobos, wie FN 189.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 189.
Mit der Aufführung von "Der siebte Tag der Schöpfung" wird die Neue Bühne des Nationaltheaters
eingeweiht, die sich in Zukunft ausschließlich des neugriechischen Theaterschaffens annehmen soll.
Ploritis, Marios (Πλωρίτης, Μάριος): Kritik der Aufführung des Stückes "Der siebte Tag der Schöpfung" am
Nationaltheater in der Zeitung "Eleftheria" (Ελευθερία), Januar 1956. In: Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd.
1, Athen 1978, S. 285 - 288.
Ploritis, Marios, wie FN 195.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 42
Dialoge zu schreiben, die Charaktere erfolgreich auszuarbeiten, eine bestimmte Atmosphäre
aufzubauen und seine Figuren mit Leichtigkeit agieren zu lassen197.
"Der Autor geht über das reine Sittengemälde hinaus. Er hält sich an die aktuellen Rahmenbedingungen des griechischen gesellschaftlichen Lebens und hebt eines jener Elemente hervor,
die die Tragödie der jungen Leute ausmachen."198
Gleichzeitig wurden aber auch dramaturgische Schwächen des Stückes festgestellt.
Einstimmig sprach die Kritik von zu wenig Handlung und zu viel Reden: "Es mangelt am
Gleichgewicht zwischen Handlung und Sprechen"199; oder: "Das Theater braucht Handlung
und keine humanistischen Predigten"200
Als weiterer Kritikpunkt wurde in der Rezeption festgehalten, daß Kambanellis hier eine
Hauptperson geschaffen habe, die nicht repräsentativ sei. "Die wichtigste Person sieht ihr
Leben wie einen Roman oder einen Fieberwahn. Alexis möchte unendlich viel und bietet doch
selbst gar nichts. Wir haben es hier mit einem pathologischen Exemplar des Phantasten zu
tun."201 "Nicht die griechische Realität behindert ihn, sondern seine eigenen mangelhaften
Fähigkeiten."202
"Ich kann nicht begreifen, daß es ein Dichter ist, der diesen Charakter gestaltet hat. So wie
Kambanellis ihn darstellt, wirkt er nicht wie beabsichtigt auf uns, er berührt uns nicht und
bringt uns nicht dazu, an seinem Drama tiefer und ernsthafter teilzunehmen; in manchen
Momenten möchte ich fast sagen, daß er uns sogar unsympathisch wird, wenn nämlich sein
Durst nach einem ihm ebenbürtigen Werk zur Maske seines Egoismus zu werden scheint."203
Dazu wurde die Unfähigkeit von Kambanellis bemängelt, dramatische Szenen aufzubauen.
Auf der Suche nach den Gründen für diese Schwäche kam die Kritik beispielsweise zu
folgendem Schluß: "Offensichtlich hat die Filmkunst den Autor zu bruchstückartiger Arbeit
verleitet, wodurch es dem Stück an dramatischer Dichte fehlt."204
Die Kritik der politischen Linken warf Kambanellis ideologische Fixierungen vor, von denen
der Autor loskommen müsse, um gut zu schreiben. "Die lebhafte Phantasie und die Leichtigkeit, mit der die Charaktere beschrieben werden, muß mit einer mutigen Konfrontation der
griechischen Wirklichkeit einhergehen."205
197
198
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203
204
205
Varikas, Vasos (Βαρίκας, Βάσος): Kritik der Aufführung des Stückes "Der siebte Tag der Schöpfung" am
Nationaltheater in der Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα), 24.01.1956.
Paraschos, Kleon (Παράσχος, Κλέων): Kritik der Aufführung des Stückes "Der siebte Tag der Schöpfung"
am Nationaltheater in der Zeitung "Kathimerini" (Καθηµερινή), 24.01.1956.
Paraschos, Kostas (Παράσχος, Κώστας): Kritik der Aufführung des Stückes "Der siebte Tag der Schöpfung"
am Nationaltheater in der Zeitung "Ethnikos Kiryx" (Εθνικός Κήρυξ), 25.01.1956.
(Ohne Namen): Kritik der Aufführung des Stückes "Der siebte Tag der Schöpfung" am Nationaltheater in der
Zeitung "Anexartisia" (Ανεξαρτησία), 29.01.1956.
Ploritis, Marios, wie FN 195.
Karagatsis, M. (Καραγάτσης, Μ.): Kritik der Aufführung des Stückes "Der siebte Tag der Schöpfung" am
Nationaltheater in der Zeitung "Vradyni" (Βραδυνή), 26.01.1956.
Paraschos, Kleon, wie FN 198.
Koukoulas, Leon (Κουκούλας, Λέων): Kritik der Aufführung des Stückes "Der siebte Tag der Schöpfung" am
Nationaltheater in der "Athinaiki" (Αθηναϊκή), 24.01.1956.
Stavrou, Gerasimos (Σταύρου, Γεράσιµος): Kritik der Aufführung des Stückes "Der siebte Tag der
Schöpfung" am Nationaltheater in der Zeitung "Avgi" (Αυγή), 25.01.1956.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 43
3.3.6 Dramaturgischer Aufbau des Stückes
Teil 1 - 1. Bild:
Das Stück beginnt mit einer Szene, in der die Bewohner des Hofes sich unterhalten. Im Laufe
dieser Unterhaltung lernen wir die wichtigsten Personen des Stückes kennen und werden über
ausschlaggebende Charakteristika der Hauptperson informiert. Wir erfahren, was für ein
Mensch er ist, mit was er sich beschäftigt etc. Es folgt eine lebhafte Debatte zwischen dem
fliegenden Händler und dem Arzt, welche sich gegenseitig aggressiv ihre unterschiedlichen
Auffassungen über das Volk der Griechen und das Schicksal des Landes in der internationalen
Politik an den Kopf werfen. Die Gegenüberstellung kulminiert in den folgenden Positionsbeschreibungen:
"Wir sind ein gequältes, ein leidendes Volk. Ab dem Moment, als wir Konstantinopel
verloren, verloren wir auch unseren Weg. Der Sproß wurde von seinem Stamm, von seinen
Wurzeln getrennt! Wir sind ein noch lebender Zweig eines Baumes, der verbrannte!" (Arzt,
S. 27). Etwas später fügt er noch hinzu: "Geduld! Eines Tages wird das wieder! Die
griechische Rasse ist etwas besonders, sie trägt in sich ein Wunder, ein eigenes Dämonium."
(Arzt, S. 28). Der fliegende Händler dagegen ist der Meinung: "Und wenn er nicht verbrannt
wäre, das Ergebnis wäre das gleiche gewesen. Ich glaube, solange das Volk nicht aufwacht... "
(fliegender Händler, S. 27). Weiter unten sagt er: "Ich werde meine Kinder frei entscheiden
lassen. Das einzige, was ich ihnen sagen werde, ist, von niemandem Hilfe zu erwarten... !
Schaut euch die Gesellschaft an! Wenn ihr sie nicht bessert, dann erwartet auch von
niemandem sonst, daß er sie bessert. Und wenn sie mit guten Mitteln nicht zu bessern ist,
dann greift zu den harten Mitteln, denn sonst werdet auch ihr an die Tretmühle gefesselt."
(fliegender Händler, S. 29).
Zwischen den nationalistischen Ansichten des Arztes, der auf ein Griechisches Wunder hofft,
damit Griechenland wieder aufersteht, und der antiamerikanischen Einstellung des proletarischen fliegenden Händlers, der den Griechen lieber dazu anregen will, seine Interessen in die
eigenen Hände zu nehmen, tritt dann Jiannis in Erscheinung, der Kleinbürger. Er ist der Vater
der Hauptfigur Alexis. Jiannis breitet seine Ansichten über die Lebensgestaltung seines
Sohnes aus. Er wünscht sich für ihn einen sicheren Posten im Staatsdienst und ist gerne bereit,
dafür auch Bestechung einzusetzen. Mit der Darlegung dieser Position wechselt die politische
Diskussion des Stückes von der eher abstrakten Ebene zwischen Arzt und fliegendem Händler
auf die persönliche Ebene und nimmt sich des Schicksals der Hauptperson an.
Als Alexis dazukommt und merkt, daß man über ihn spricht, beteiligt er sich an der Debatte.
Er kritisiert die Ideen seines Vaters als rückständig und erzählt von seinen eigenen Träumen
und Plänen. Arzt und fliegender Händler gehen auf ihn ein: der Arzt, indem er ihn drängt, die
Ratschläge des Vaters zu befolgen; der fliegende Händler, indem er Alexis unterstützt, das
Beamtentum ablehnt und als Tod aller Träume der jungen Leute beschreibt. Trotzdem bleibt
er dabei Realist genug, um zuzugeben, daß jeder sich um seinen Erfolg bemühen muß, der
ohne die richtige Qualifikation nicht kommen kann. Die Szene schließt mit der optimistischen
Andeutung, die in der Begegnung von Alexis und Christina liegt. Die Antwort der jungen
Generation auf Grübeleien und Sorgen scheint vor allem die Liebe zu sein.
Teil 1 - 2. Bild:
Der Aufbau dieser Szene gleicht dem der vorigen. Wieder debattieren Arzt und fliegender
Händler, die aggressive Spannung ist stärker geworden. Schließlich wirkt sich alles, was den
politischen Zustand Griechenlands ausmacht, auch auf das soziale Leben aus. "Ich lebe in
einem Land, ich habe für es gekämpft, ich bezahle, was man von mir verlangt. Meine Kinder
werden wieder kämpfen. Und doch habe ich nie sagen können, meine Regierung - meine Poli-
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 44
zei - mein Staat! Ich sage Staat, Öffentlicher Dienst, wie wenn ich sage: 'Ungeheuer'. Ich sehe
Polizei, und ohne etwas getan zu haben, zittere ich schon. Warum?" (fliegender Händler,
S. 43). Nach dem Gespräch zwischen Arzt und fliegendem Händler kommt der Hausbesitzer
vorbei und verlangt, daß Jiannis die überfällige Miete zahlen soll. Erneut wird der Zuschauer
Zeuge einer Unterhaltung sozio-politischen Inhalts mit konkretem Bezug auf die Alltagsprobleme der Handelnden.
Beide Szenen sind von der Dramatik her auf heuristische Weise aufgebaut: Kambanellis
skizziert zu Beginn jedesmal erst den allgemeinen gedanklichen Hintergrund, doch nicht in
einfacher Abbildung, sondern mit lebendigen Kontrasten, die sich durch dialektische Gegenüberstellung der Personen verdeutlichen. Im Anschluß wird das Interesse von diesen eher
abstrakten Themen hin zum Einzelschicksal der Hauptperson gelenkt. So erscheint das Leben
der Hauptperson als Widerhall und Spiegelung sozialpolitischer Umstände. Auf diese Weise
wird der Hof dramaturgisch eingesetzt.
Menschen mit verschiedener Herkunft, verschiedenen Meinungen und Bedürfnissen
unterhalten sich auf eine Weise, die an die antike Agora erinnert. Die hier behandelten
sozialen Sachverhalte sind nicht von der dramaturgischen Entwicklung abgeschnitten, sondern
gehören voll und ganz dazu. Auf diese Weise verbindet sich das Klima jener Zeit mit dem
Lebensweg der Hauptperson. Diese Technik der kreisförmigen Bewegung hat auch noch eine
andere Funktion. Die Konfrontation zwischen Altem und Neuem, wie sie sich zwischen Vater
und Sohn (der Hauptperson) abspielt, verweist gleichzeitig auf den Konflikt zwischen
Konservativismus und Fortschritt, der in der griechischen Gesellschaft akut ist.
Teil 1, 3. Bild:
Die beiden Jugendlichen, die sich in der ersten Szene ineinander verliebt hatten, sind nun
verheiratet. Wir sehen sie in ihrem Zimmer, das als Ehewohnung dient. Dies ist eine lyrische
Szene, in der sich wieder die Liebe als Fluchtmöglichkeit anbietet. Dramaturgisch wirkt diese
Szene als Gegengewicht zu den vorherigen zwei, in denen Gegenüberstellung und Uneinigkeit
vorherrschten.
Teil 1, 4. Bild:
Im Verlauf dieser Szene geht der Hauptakteur zu der Zementfabrik, der er die Pläne seiner
Erfindung vorlegt. Hiermit hatte er gehofft, als Erfinder anerkannt zu werden. Doch die Ingenieure lehnen ihn und seine Idee ab. Hart mit der Wirklichkeit konfrontiert, zerbricht der
Traum von Alexis. Hier beginnt der Fall des Helden.
Teil 2, 5. Bild:
Nachdem der Traum verweht ist, greift Alexis nun zur Lüge, um den Gegensatz zur harten
Realität wieder zu überbrücken. Christina berichtet von ihrem angeblichen Besuch in der
Zementfabrik und der angeblich so guten Arbeit und Zukunftsaussichten, die Alexis dort hat.
Danach kommt der Gerichtsvollzieher vorbei, der den Räumungsbefehl aushändigen will. Auf
diese Weise wird die nächste Szene, eben jene Räumung, vorbereitet. Sie wird um so dramatischer, als Christina es schafft, die Aushändigung des Räumungsbefehls auf später zu verschieben. Damit hält sie auch die Auflösung des Dramas zurück.
Teil 2, 6. Bild:
Es ist der Tag, an dem die Räumung nicht mehr zu verhindern ist. Man hört Glocken
schlagen, sie klingen trauriger als sonst. Der Gerichtsvollzieher teilt der Familie von Jiannis
den unangenehmen Sachverhalt mit, indem den Räumungsbefehls in der trockenen
Juristensprache einfach vorliest. Nun muß Alexis die Lügen aufdecken. Es folgt eine Krise der
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 45
Selbsterkenntnis bei ihm, schließlich nimmt er all seinen Wirklichkeitssinn zusammen und
beschließt, als Bauarbeiter zu arbeiten.
Teil 2, 8. Bild:
In diesem letzten Bild des Stückes werden wir informiert, daß die Hauptperson gestorben ist.
Der Arzt und Eleni206, jene beiden Personen, die für den Konservativismus stehen, befinden
sich zum Ende auf der Bühne und symbolisieren damit, daß die konservativen Ideen sich
durchgesetzt haben. Dieser "Sieg" ist freilich ein bitterer. Das Ende des Stückes ist geprägt
durch die tiefe, stumme Trauer aller über die Hauptperson, die nicht mehr lebt.
3.3.7 Autobiographische Elemente im Stück "Der siebte Tag der
Schöpfung"
Kambanellis ist ein autodidaktischer, kein ausgebildeter Schriftsteller. Als er in jenen ersten
Jahren nach dem Bürgerkrieg schrieb, die für das Land wie auch für ihn persönlich sehr
schwierig waren, waren die Anreize dafür direkte Wahrnehmungen gesellschaftlicher
Gegebenheiten und eigene Erlebnisse. Er selbst äußerte in einem Gespräch mit der Autorin zu
der "Trilogie des Hofes": "In diesem Zyklus ist das autobiographische Element sehr wichtig.
Schließlich wird man ja nicht durch Zusehen, sondern durch Erleben zum Schriftsteller."207
Alexis, der zentrale Held in "Der siebte Tag der Schöpfung", ist die Person mit den meisten
autobiographischen Zügen des Autors in der gesamten Trilogie. Seine Armut, seine Herkunft
aus einer kleinbürgerlichen Gesellschaftsschicht, die Arbeitslosigkeit und die traumatischen
Erlebnisse, die mit diesen Umständen einhergehen, lassen sich zweifellos direkt aus der Biographie des Autors herleiten, daneben aber auch die dichterischen Ambitionen dieser Figur.
Alexis möchte Ingenieur werden. Kambanellis hatte in jungen Jahren eine Ausbildung als
Bauzeichner gemacht. Eine weitere Gemeinsamkeit zeigt sich beim zweiten Blick: Alexis
möchte Ingenieur werden zu dem Zeitpunkt, als Griechenland neu aufgebaut wird.
Kambanellis möchte Schriftsteller werden in einem Moment, da auch das griechische Theater
'wiederaufgebaut' wird. Beide haben den Wunsch, sich von der Umgebung abzuheben. Das
war der Moment, in dem Kambanellis mit großem Eifer einen Charakter entwickelte, mit dem
er sich identifizieren konnte.
Anfangs spielte man die Stücke von Kambanellis nicht. Ständig wurden sie abgelehnt, weswegen er gezwungen war, auch anderer Erwerbsarbeit nachzugehen. Er schaffte es nicht, in der
Theaterwelt Fuß zu fassen. Also kreierte er eine Hauptfigur, die typisch für die neue Generation war, verträumt und voll Drang, schöpferisch aktiv zu werden, doch ohne Erfolg, da alle
ihre Versuche wie auch ihre Träume abgelehnt werden. Anläßlich der Aufführung
"Jahrmarkt"208 von Kechaidis im Jahr 1964 analysiert Kambanellis, wie die neugriechischen
206
207
208
Eleni ist die Schwester von Christina. In gewisser Weise verkörpert sie den gegenteiligen Aspekt ihrer
Schwester: sie ist ein Wesen, welches dramaturgisch nötig war, um mit einem Gegengewicht gegen Christina
eine Symmetrie der weiblichen Rollen zu erhalten. Christina baut mit Alexis Luftschlösser und leistet seiner
Verrücktheit noch Vorschub. Alexis verliebt sich in sie und heiratet sie. Wir erkennen, daß auch ihre
Schwester Eleni sich in ihn verliebt hatte, obwohl sie das nie offen zugibt. Nachdem Alexis und Christina
zum Liebespaar werden, verläßt sie die ehemals gemeinsame Wohnstätte.
Eleni ist die vernünftige, realistische Frau. Hätte Alexis sie geheiratet, so wäre sein Leben sicher anders
verlaufen. Überhaupt gibt es eine Gruppe von Personen in diesem Stück, die sich mit Alexis´ verrücktem
Traum identifizieren und dahinter verstecken. Sie unterstützen den Traum und bauschen ihn weiter auf
(Christina, der fahrende Händler). Ihnen gegenüber steht die andere Gruppe, die ihm den Traum auszutreiben
versuchen (Vater, Arzt, Eleni) oder nicht ernst nehmen (die Ingenieure im Werk, der Hausbesitzer, der
Gerichtsvollzieher etc.).
Information von Iakobos Kambanellis im Gespräch mit der Autorin am 20.05.1998.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 65.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 46
Theaterautoren dem "Theatro Technis" die Idee des Tragischen nahebrachten: "Im 'Theatro
Technis' begriffen wir, wie groß der Abstand zwischen den Sittengemälden und dem
poetischen Realismus war. Ohne daß der Realismus die sittenmalerischen Elemente verachtet
hätte. Auch sahen wir, daß der Realismus nicht zu Naturalismus verkam. Nein, er hielt an
einer tragischen Beziehung zu unserem Leben fest und erhielt zusätzliche Dimensionen."209
Das ist der Moment, in dem Kambanellis selbst sich von seiner Figur auch wieder entfernt.
Mag auch Alexis am Ende des Stückes zum Opfer werden und seinen Ruin erleben, als er die
harte Wirklichkeit zu akzeptieren und sich an sie anzupassen versucht. Kambanellis dagegen
überlebte seine schwierige Zeit mit den vielen Hindernissen nicht nur, sondern konnte seinen
persönlichen Kampf sogar mit verstärkter Kraft weiterführen, besonders natürlich, nachdem er
sein Stück "Der siebte Tag der Schöpfung" auf der Bühne des Nationaltheaters sehen konnte.
Das war seine große Chance, um allgemein als einer der wichtigsten Dramatiker für das
Theater im neueren Griechenland anerkannt zu werden.
3.3.8 Morphologie und Funktion des Raumes
Der Ort, an dem sich fünf der sieben Szenen abspielt, und in dem auch die Hauptpersonen
wohnen, ist der Hof eines Hauses.210 Morphologie und Funktion dieses offenen Raumes
verweisen auf die Orchestra des antiken griechischen Amphitheaters, auf die antike Agora und
den Gemeinderat. Auch klingt die Erinnerung an Klosterhöfe mit an, und selbst auf die heutigen Schulhöfe und freien Plätze in Dörfern wird angespielt.
In den ersten Nachkriegsjahren hatten fast alle Wohnhäuser in Athen, wie auch in den anderen
Städten Griechenlands, solche Höfe. Wir haben es also mit einem Raumelement zu tun, das
die ganze lange Geschichte Griechenlands als architektonisches Element mitgeprägt hat. Der
Autor richtet seinen Blick zu jenem Zeitpunkt auf diesen Raum, da er einen rasanten
Bedeutungsverlust erfährt. Wir erleben die Dekadenz der Zeit und damit auch dieses Raumes
und der Gesellschaft, die in ihm lebt. Wir spüren, wie er seiner endgültigen Zerstörung
entgegengeht, welche dramaturgisch im nächsten Stück der Trilogie vollendet wird, nämlich
im Stück "Der Hof der Wunder".
Mit folgenden Mitteln wird die Dekadenz des Raumes in den szenischen Anweisungen des
Stückes verdeutlicht: "Der Hof hat eine dramatische und keinesfalls idyllische Farbe. Die
Wände sind nackt, es gibt keinen einzigen Blumentopf. Ein-zwei farblose Zargen verrotten,
irgendwo hingelehnt, und ein paar alte Eisenteile rosten mit den Regenfällen dahin."
(Szenische Anweisungen, S. 21). In diesem Raum treffen sich die handelnden Personen des
Stückes, sie wohnen in Zimmern, die diesen Hof umgeben. Wenn sie in soziale Interaktion
treten wollen, gehen sie aus ihren Zimmern hinaus auf den Hof, der die Funktion des
Wohnzimmers übernimmt. So wird der Hof zu einem öffentlichen Bereich, der an das Private
angrenzt, da sich Wohnräume unmittelbar an ihn anschließen.
Der Hof ist so gestaltet, daß alle dort lebenden Personen fast ständig Zeugen dessen sind, was
sich hier abspielt. Selbst die kleinsten Begebenheiten im Leben jedes Einzelnen werden so zu
gemeinsamen Erlebnissen, die alle betreffen. Die anderen geben Kommentare ab oder
schlagen Lösungen vor, was an den Chor des antiken Dramas erinnert. Die Personen, die einst
als Chor von den Seiten her auf die Bühne traten, kommen nun aus ihren Zimmern heraus.
Dadurch, daß die Menschen einen solchen Raum miteinander teilen, bekommen sie einige
gemeinsame Eigenschaften. Beispielsweise geraten sie in ihren meist sonnendurchfluteten
209
210
Kambanellis, Iakobos, wie FN 65.
Nur die dritte Szene, Teil I, spielt sich in dem Zimmer von Christina und Alexis ab, und die vierte in einem
Büro der Zementfabrik.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 47
Höfen leicht ins Träumen, können diese Träume aber nur schwer in Taten umsetzen. In
diesem Stück ist es die Hauptperson, die von der Flucht eben aus diesem Raum träumt.
Der Ort des technischen Fortschritts, an den sich die Hofbewohner hinträumen möchten, ist
vom Hof aus sichtbar. Sie haben die Möglichkeit, der verlockenden Welt zuzusehen, in die sie
sich gerne flüchten würden. Der Raum des Hofes ist nicht nur ein Ort zum Träumen, sondern
gleichzeitig ein Gefängnis. Er ist zu eng, um den Bewohnern Kreativität zu erlauben, und um
die Träume junger Menschen in Realität umzusetzen. Und doch ist er optimistisch, da die
Sicht auf den offenen Himmel und die Außenwelt jenem, der in ihm sitzt, Gedanken an andere
Möglichkeiten erweckt. Jiannis, der Vater der Hauptperson, charakterisiert die Welt des Hofes
auf folgende Weise: "... unseren Hof, Gott sei gelobt, durchflutet die Sonne! Ihr seht, daß Gott
allen gibt, göttliche Gerechtigkeit. Es regnet auf Gerechte und Ungerechte, und die Sonne
scheint für alle!" (Jiannis, S. 26).
Der Hof weckt gleichzeitig zentrierende und zentrifugale Kräfte. Hier ist der Anreiz, wegen
des harten einfachen Lebens fortzugehen, etwas anderes zu tun, um den Traum zu verwirklichen. Draußen jedoch wird der Traum enttäuscht, so daß die Hauptfigur doch wieder in den
Hof zurückkehren muß. Wie für die anderen Personen wird der Hof nun zum Gravitationszentrum, wo sie zusammenkommen, um Gefühle wie Liebe und Freude miteinander zu teilen und
um sich gegenseitig zu helfen.211 Im Hof wohnt das, was dem Leben Freude gibt: die Kinder,
die Träume, die Liebe, der Dialog, die kreativen Gegenüberstellungen zwischen den Personen,
die menschliche Kommunikation und die Einzigartigkeit der Hauptperson wie auch aller
anderen Beteiligten. Hier ist es, wo Alexis das Zentrum des Interesses bilden kann, wo er
anerkannt und gerechtfertigt wird. Hier besprechen alle gemeinsam seine Probleme. Im Hof
erfährt Alexis die väterliche Fürsorge (von Jiannis), die Freundschaft (mit Kostas), die
Ermutigung (vom Arzt), die Wahrheit (vom fliegenden Händler) und die Liebe (mit
Christina). Außerhalb des Hofes lauert die Ablehnung auf ihn.
3.3.9 Die Nebenschauplätze des Stückes
Es gibt einen Ort, über den zwar gesprochen wird, den wir aber nie zu sehen bekommen. Das
sind die Gerüste, auf die Alexis zu Beginn des Stückes stieg und wo er sich dann vorstellte, er
sei nun der überwachende Bauleiter. Hier ist es auch, wo er zum Schluß den tragischen Sturz
erleben wird. Die Zementfabrik ist ein Ort, den wir auch sehen. Hier werden die Träume und
Sehnsüchte von Alexis über seine beruflichen Möglichkeiten und Entwicklungen unerbittlich
mit der Realität konfrontiert. Als Alexis erstmals an diesen Ort kommt, ist er begeistert: "Hier
bin ich in meinem Element. Diese überschäumende Energie, diese rhythmischen Töne, die die
Luft zum Schwingen bringen ..." (Alexis, S. 54). Auch später, als er mit der Zeichnerin im
Büro spricht, versucht er sie davon zu überzeugen: "Lieben Sie dieses Getöse, es ist auch der
Puls des Lebens! Gibt es denn etwas Kälteres, Unmenschlicheres als die Stille, die Unbeweglichkeit ..?" (Alexis, S. 54-55). An diesem Ort wird Alexis dann erleben, daß die Ingenieure,
die sich die Zeichnungen und Entwürfe seiner Erfindung angesehen haben, seine Ideen ablehnen werden.
Am Ende des Stückes gibt es noch einen dritten Ort, der ebenfalls nur in der Vorstellung
existiert. Es ist das Haus, in dem sich Christina vorstellt, als Gattin von Alexis zu leben. Es
211
Grammatas, Thodoros (Γραµµατάς, Θόδωρος): Neugriechisches Theater und Gesellschaft. Die Kollision der
neuen Generation mit dem System des Theaters im 20. Jahrhundert (Νεοελληνικό θέατρο και κοινωνία. Η
σύγκρουση των νέων µε το σύστηµα στο θέατρο του 20ου αιώνα), Athen 1990, S. 86. Grammatas spricht
davon, daß der Hof ein Ort der Zusammenkunft und der Verschwörung der Kleinbürger ist, eine Dimension
der Einheit und gegenseitigen Bestärkung, die der systemimmanenten Tendenz der Marginalisierung
entgegenwirkt.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 48
bildet einen klaren Gegensatz zu ihrem kleinen, armseligen Kämmerchen. Das ist ein reiner
Phantasieort, auch gedanklich nicht so sehr als möglicher Wohnraum ausgemalt, sondern vor
allem eine ideelle Zuflucht für ein anderes Leben. Ab dem Moment, da die Lügen enttarnt
werden, mit denen sich das Paar gegenseitig das Leben leichter zu machen versuchte, wird
dieser Raum nicht einmal mehr in ihren Träumen denkbar.
Die Orte, die in dem Stück vorkommen, haben alle symbolische Bedeutungen und Funktionen
in der emotionalen Welt der Personen. Als der Gerichtsvollzieher ankündigt, daß Alexis durch
die Zwangsräumung sogar sein Zimmer verlieren wird, wird deutlich, daß die Sehnsucht nach
anderen Räumen, um diesem Hof zu entkommen, eigentlich die Sehnsucht nach einem
anderen Leben ist. Das wird auch durch Alexis' Worte deutlich, als er sein Leben bilanziert
und sagt: "Schluß jetzt mit dem Selbstbetrug. Nicht einmal eine Aufschubfrist kann uns jetzt
noch retten. Selbst wenn sie uns ins Gefängnis werfen würden, hinterher wären wir doch
wieder obdachlos." (Alexis, S. 78).
3.3.10 Die Identität des Kleinbürgers
Die Hauptperson dieses Stückes, Alexis, gehört zur Gesellschaftsschicht der Kleinbürger. Sein
Vater war in früheren Jahren Beamter gewesen. Er hatte öffentliche Gelder unterschlagen, um
seine schwangere Frau zu retten, deswegen wurde er vom Dienst suspendiert. Alexis mag wie
sein Vater Kleinbürger sein, mit wenig Geld und ohne wohlklingende Berufsbezeichnung oder
adelige Herkunft, dennoch ist es sein größter Wunsch, sozial aufzusteigen.
Alexis ist ein Amateurmaler, als Amateur hat er Grundkenntnisse der Berufe des Elektrikers
und des Ingenieurs. Dennoch stellt er sich vor, er könnte sein Berufsproblem lösen, wenn er in
einem Industriebetrieb als 'Erfinder' beschäftigt würde. Dabei möchte er aber nicht nur kleiner
Angestellter sein, wie es seiner Herkunft entspräche, sondern eine Führungsposition einnehmen. Diese Träume des Alexis haben auch sehr viele andere junge Griechen jener Zeit, die
eine bessere Arbeit als ihre Eltern haben wollen. Damit soll ein tief in ihnen verwurzelter
Traum des Aufstiegs wahr werden.212
Die Schwierigkeiten, die Alexis beim Versuch der Realisierung seines Traumes bekommt,
sind aber nicht nur die allgemeinen Hindernisse, die durch die gesellschaftliche Realität
aufgebaut werden, sondern es sind auch ganz speziell seine eigenen Probleme, da er nicht die
nötigen Qualifikationen besitzt, die ihn zum Erfolg führen könnten. Er vertut seine Zeit und
seine Kräfte mit verschiedenen Beschäftigungen. Er studiert nicht, weil dazu das Geld nicht
reicht, sondern träumt und plant statt dessen herum, , ohne seine Fähigkeiten dabei realistisch
einzuschätzen. Es gibt einen Moment, wo er selbst die Irrealität seiner Erwartungen erkennt:
"Ich bin zu klein, um etwas zu werden, und zu groß, um nichts zu werden." (Alexis, S. 51).
Noch zum Zeitpunkt dieser Selbsterkenntnis bleibt Alexis in der Träumerei und der Romantik
stecken. Immerhin ist er sich der Tatsache bewußt, daß er in erster Linie selbst daran schuld
ist, daß er so unverhältnismäßig langsam vorankommt, da er von mehr träumt, als für ihn
erreichbar ist. "Jeden Start, den ich unternehme, überfrachte ich so sehr mit Träumen, daß er
sie nicht mittragen kann und daher stehenbleibt." (Alexis, S. 52). Doch er kann das Träumen
nicht aufgeben. Die sprunghafte technische Entwicklung um ihn herum, die die ganze Welt
außerhalb des Hofes (als Sinnbild der typischen Identität des Griechen) zu verändern scheint,
macht ihn immer wieder träumen. Denn typischerweise strebt der Grieche in seiner unsicheren
Existenz nach Sicherheit, und auch die Jugend wird mit dem Traum gleichgesetzt.
212
Über diesen Traum vom Aufstieg in der griechischen Gesellschaft spricht Tsoukalas, Konstantinos, wie
FN 21, S. 240.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 49
Die Realität funktioniert dagegen nach anderen Rhythmen. Durch die Zwangsräumung wird
Alexis alles verlieren, was er bisher noch hatte, und sich auf der Straße wiederfinden. Auf
diese Weise wird die ganze Aneinanderreihung von Lügen und Phantasiegebilden deutlich,
mit denen er seinen Alltag bisher gefüllt hatte. Seine falsche Welt stürzt ein, und noch immer
versucht er, seine Gedankengebilde in Schutz zu nehmen. Der Vater fragt ihn: "Wozu denn
dieser Turm zu Babel an Lügen?" (Vater, S. 79), worauf er antwortet: "Weil das Leben nicht
nur ein Teller voll Essen sein kann" (Alexis, S. 79). Nach der Räumung spricht Alexis lobend
von seinem Unglück, das ihn nun dazu zwingt, die Dinge zu sehen, wie sie sind, und seine
Träume als trügerisch zu erkennen. Deswegen werde er nun versuchen, einen anderen Weg
einzuschlagen. Alexis fügt sich. Er gliedert sich ein, und übernimmt Verantwortung als
Arbeiter auf dem Bau. Sein eigentliches Ziel bleibt dabei die Rückkehr zum Traum, aber über
einen sicheren Weg:
"Gebranntes Kind scheut das Feuer! Träume, hört ihr mich? Glaubt nicht, daß ich euch dem
Erbarmen Gottes überlasse. Ich komme nun über einen anderen Weg, über einen sicheren
Weg! Mit Methodik, mit System, mit einem einigermaßen gefüllten Bauch..." (Alexis, S. 82)
Statt daß Alexis seinen Traum verwirklichen könnte, kommt er bei der Arbeit auf der Baustelle zu Tode. Er stürzt vom Gerüst. Sein Versuch, in eine andere gesellschaftliche Klasse aufzusteigen, erweist sich als Utopie. "Nicht nur steigt er nicht auf, sondern er ist sogar unfähig, den
Abstieg in eine niedrigere Gesellschaftsschicht zu vollführen. Er versucht, zum Proletariat zu
gehören, welches sozial zwar unter ihm steht, ideologisch aber reifer und gefaßter ist. Sein
Sturz vom Gerüst ist eine sehr gelungene symbolische Darstellung der Figur des Kleinbürgers."213
So interpretiert Grammatas den Schluß des Stückes aus soziologischer Sicht. Damit gibt er
gleich auch eine Antwort auf die heftigen Angriffe der Theaterwissenschaftler, die
Kambanellis vorwarfen, er habe einen verträumten Glücksritter zur Hauptperson gemacht, der
deswegen nicht von einem dramatischen in einen tragischen Charakter zu verwandeln wäre.
Da das Stück deutliche autobiographische Züge trägt und übrigens auch das erste ist, in dem
der Autor sich um persönliche und soziale Tiefe bemüht, ist es kein Wunder, daß der Autor
eine Figur schuf, die "von einem poetischen Symbolismus erleuchtet ist, ein eher volksnaher
Charakter und keiner, der mit soziologischem Blick sieht."214
3.3.11 Die moderne Version der Tragik in diesem Stück
In diesem Stück sieht sich Kambanellis der aristotelischen Anforderung an das Drama gegenüber, daß jedes Drama innerhalb der Grenzen einer Familie 'wohnen' soll: "Wir wollen
nunmehr betrachten, welche Ereignisse als furchtbar und welche als bejammernswert
erscheinen. ... Sooft sich aber das schwere Leid innerhalb von Naheverhältnissen ereignet
(z. B. ein Bruder steht gegen den Bruder oder ein Sohn gegen den Vater oder eine Mutter
gegen den Sohn oder ein Sohn gegen die Mutter; ...) - nach diesen Fällen muß man Ausschau
213
214
Grammatas, Thodoros (Γραµµατάς, Θόδωρος): Das Kleinbürgertum und die Marginalisierung als
ideologische Verwebungen im zeitgenössischen griechischen Theater (Ο µικροαστισµός και η
περιθωριοποίηση ως ιδεολογικές συνιστώσες στο σύγχρονο ελληνικό θέατρο), Essay aus seinem Buch:
Neugriechisches Theater. Geschichte und Dramaturgie (Νεοελληνικό θέατρο. Ιστορία-∆ραµατουργία), Athen
1987, S. 156 - 181, hier: S. 159.
Georgousopoulos, Kostas (Γεωργουσόπουλος, Κώστας) in einem Gespräch mit Mavromoustakos, Platon
(Μαυροµούστακος, Πλάτων), veröffentlicht unter dem Titel "Charaktere und Rollen im neugriechischen
Theater" (Χαρακτήρες και ρόλοι στο νεοελληνικό θέατρο), Zeitschrift "Ekkyklima" (Εκκύκληµα), Heft 24
mit Schwerpunkt über das neugriechische Theater, Januar - März 1990, S. 32 - 36, hier S. 33.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 50
halten."215 Kambanellis erwähnt auch im Vorwort: "Es geht hier um das Drama einer
griechischen Familie"216. Allerdings geraten die Familienmitglieder in dem Fall nicht, wie
meistens in der antiken Tragödie, in Konflikte um Hierarchie und Machtstrukturen, sondern
Vater und Sohn sind sich uneins, welchen beruflichen Weg der Sohn einschlagen soll. Die
anderen Personen des Stückes nehmen zu diesen unterschiedlichen Ansichten Stellung. In
ihrer Art der dialektischen Gegenüberstellung übernehmen sie die Rolle des Chores im
antiken Theater. Jeder unterstützt eine der beiden entgegengesetzten Meinungen.
Der Fortgang des Dramas wird dadurch festgelegt, wie diese beiden Ansichten die
Handlungen beeinflussen. Der Hauptperson werden zwei verschiedene Wege 'angeboten'. Der
eine ist der vielbegangene, den der Vater vorschlägt: sich anzupassen, seine großen Ideen
beiseitezulassen und, sei es auch unter Zuhilfenahme von Bestechung, eine sichere Stellung
als Beamter zu bekommen. Diese Lösung erscheint Alexis wie ein Alptraum: "Was soll ich
denn tun? Mich in ein Loch verkriechen und an einem Tisch mit drei anderen
Protokollnummern schreiben?" (Alexis, S. 30). Der andere Weg ist, seinen Träumen
hinterherzujagen und seinen größten Wunsch zu verwirklichen: einen Beruf zu ergreifen, der
seinen Vorstellungen entspricht, etwas Besonderes zu tun, etwas Besseres als die anderen.
Was der Vater vorschlägt, verspricht ein angepaßtes, doch sicheres Leben. Der Weg, den ihm
seine Wünsche ausmalen, läßt ihn zwischen die Mahlsteine des modernen Lebens geraten, und
dies ist eigentlich der zentrale Konflikt des Stückes. Er erfährt die Ablehnung durch die
Ingenieure, worauf er Zuflucht bei Hirngespinsten und Lügen sucht. Es folgt die
Zwangsräumung der Wohnung, und die Tragödie erreicht durch seinen Tod ihren
Kulminationspunkt. Auf diese Weise läßt sich die Tragödie in eine moderne Version
umwandeln, wie es auch Simmel beschreibt: "Die ernsthaftesten Probleme des modernen
Lebens entstehen durch das Bestreben des Einzelnen, seine Autonomie und seine
Einzigartigkeit zu verteidigen gegen die zermahlenden sozialen Kräfte, das historische Erbe,
die umgebende Kultur und die Vorgänge des Alltags".217
Die Flucht aus dem bescheidenen Leben erwies sich als unmöglich, doch noch tragischer ist
für Alexis, daß er die Erfüllung seiner beruflichen Erwartungen mit seinem ganz allgemeinen
Glück verknüpft hat. "Wieso machen Sie sich Sorgen um einen Menschen, der 18 Stunden am
Tag lacht? Es gibt Menschen, die zum Glücklichsein geboren wurden, und ich bin einer von
ihnen. Sehr geehrte Damen und Herren, beruhigen Sie Ihre unruhigen Stimmen." (Alexis,
S. 32). Unser Held verwirklicht also seine Träume nicht, sondern fügt sich der harten Realität
und wird Bauarbeiter. Die Spielregeln des Theaters lassen diesen Kompromiß aber nicht
gelten. Der Autor akzeptiert nicht, daß die Hauptperson ihre Träume verrät, und verweigert
dem Stück daher das Happy End, er zieht den theatralischen Ausgang vor. Dafür setzt er einen
bekannten Topos der dramaturgischen Tradition ein und führt seine Hauptperson in den Tod.
Der physische Tod des Helden folgt auf seinen psychischen Tod, der mit dem Verrat seiner
Träume eintrat.
Der Tod der Hauptperson ist der Punkt, an dem die Handlung kulminiert. Sie erreicht hier eine
heroische und gleichzeitig poetische Dimension, indem sie dem dramatischen Helden eine
letzte Flucht- und Ausweichmöglichkeit vor dem banal angepaßten Leben bietet. Der
Mehrzahl der Menschen gelingt es nicht, der Realität zu entkommen. Alexis, der dafür
gekämpft hatte, flüchtet sich schließlich symbolisch in den Tod. Der Autor bezeichnet diesen
215
216
217
Aristoteles: Poetik. Übersetzt und herausgegeben von Manfred Fuhrmann. Stuttgart 1982. Absatz 1453b,
S. 42 und 43.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 189.
Simmel, Georg: Die Großstädte und das Geistesleben. In: Jahrbuch der Gehe-Stiftung zu Dresden, 1903,
9. Jahrgang, S. 1.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 51
Weg des Alexis nach der Aufgabe seiner Träume als "tödlichen Tanz ins Leere"218, womit er
ein sehr szenisches Bild für das kommende Ende bietet. Die Szene des Sterbens wird, wie im
antiken Vorbild, nicht auf der Bühne gezeigt. Über den Tod des Alexis werden wir
unterrichtet, wir sehen ihn nicht direkt.
3.3.12 Die Verfilmung des Stückes zehn Jahre nach der Uraufführung
Zehn Jahre nach der ersten Aufführung des Stückes "Der siebte Tag der Schöpfung" im
Nationaltheater bearbeitet Kambanellis den Stoff neu, er schreibt das Drehbuch für den Film
des Regisseurs Vasilis Georgiadis. Anscheinend war die Reaktion auf das Stück doch
überwiegend positiv gewesen, sonst wäre wohl weder der Autor selbst noch die Filmindustrie
bereit gewesen, sich ihm nach so einer langen Zeit wieder zuzuwenden.
In den zehn Jahren, die inzwischen vergangen waren, hatte sich allerdings Griechenland
verändert, ebenso Kambanellis selbst. Die Technik des Filmemachens erfordert immer einen
gewissen Realismus. Auch hat sich Kambanellis in den zehn Jahren seit der Erstaufführung
des Stückes innerlich etwas von den autobiographischen Elementen entfernt. Zum anderen
wollte er in dieser Fassung auch auf die veränderten gesellschaftlichen Realitäten eingehen auf diese Weise wollte er auch der Kritik begegnen, die seinem Theaterstück
entgegengeschlagen war und ihm vorgeworfen hatte, er hätte die gesellschaftlichen
Gegebenheiten nicht genau genug beschrieben. Daher schärfte der Autor für die Filmversion
besonders seinen sozialkritischen Blick. Das fällt sofort auf, wenn man Theaterstück und
Drehbuch nacheinander liest. Detailliert aufgearbeitet hat den Unterschied Eliza-Anna
Delveroudi, welche die beiden Versionen systematisch vergleicht.219
Die Unterschiede der beiden Versionen lassen sich wie folgt skizzieren: Aus Alexis, dem
Helden des Theaterstückes, wird im Film Alekos. Das heißt, anstelle des Namens, der an die
heroische Gestalt von Alexander dem Großen erinnert, fehlt dessen umgangssprachlich abgekürzter Form jede Anspielung auf Höheres. Dies ist einer von mehreren Kunstgriffen, um den
poetischen Akzent mehr in das kleinbürgerliche Milieu zu verschieben. Mit dem Namen der
Person nähert sich auch seine ganze Aussage den Menschen seiner Generation und dem
aktuellen griechischen Alltag.
Im Film sitzt Alekos nicht sorglos in seinem Hof, wie es im Theaterstück der Fall war,
sondern befindet sich in einer kritischen Umbruchsphase seines Lebens. Er kommt vom
soeben abgeschlossenen Militärdienst zurück, steht also am Übergang von der Pubertät zum
Erwachsensein. Sein Vater erwartet von ihm, daß er sich nun den Anforderungen der
Gesellschaft im allgemeinen anpassen wird. Das Problem des Alekos ist nicht mehr, daß er
sich Luftschlösser baut. Es ist auch nicht mehr nur, daß er selbst arbeitslos ist, sondern daß in
der ganzen Gesellschaft Arbeitslosigkeit herrscht. Im Theaterstück hatte Alexis keine
Ausbildung. In der Filmbearbeitung lernt Alekos Bauzeichner, nur, daß die Arbeitslosigkeit in
jener Zeit ausgebildete wie ungelernte Arbeitskräfte gleichermaßen betrifft. Trotz dieser
Änderungen bleiben die Träumerei und die Lüge als wichtiges Element den Bearbeitungen für
Theater und für Film bestehen, wobei die Lüge der Hauptperson als Ausfluchtsmöglichkeit
dient.
Auch wenn die Darstellung der Probleme mit einigen der liebsten Stilmittel des Autors
verbunden wird (so etwa Flucht in den Traum und Flucht in die Lüge als Verteidigung gegen
218
219
Kambanellis, Iakobos, wie FN 189.
Delveroudi, Eliza-Anna (∆ελβερούδη, Ελίζα-Άννα): Iakobos Kambanellis und der griechische Film (Ο
Ιάκωβος Καµπανέλλης και ο ελληνικός κινηµατογράφος), herausgegeben von der Universität Kreta,
Rethymno 1994, S. 165 - 195, hier S. 181 - 183.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 52
die wirklichen Schwierigkeiten des Lebens), so kommt Eliza-Anna Delveroudi doch zu dem
Schluß, daß es sich hier um eine durchaus realistische Darstellung von Menschen und Problemen handelt. In Zusammenhang mit der durchaus traumerfüllten Welt von Kambanellis
spricht sie sogar von seinem vielleicht realistischsten Schaffensabschnitt.220
3.3.13 Die Umsetzung des Stückes auf der Bühne
3.3.13.1 Zweite Bühne des Nationaltheaters, Athen 1956
Die erste Aufführung des Stückes "Der siebte Tag der Schöpfung " von Kambanellis hatte das
Glück oder auch das Pech, ein für alle Male mit der Eröffnung der Zweiten Bühne des Nationaltheaters verbunden zu werden. Diese Bühne war räumlich identisch mit der normalen
Bühne des Nationaltheaters. Zweck ihrer Gründung war die Unterstützung des
neugriechischen Theaterwesens und der Autoren. Kriterium der Auswahl der Stücke, die hier
gespielt werden sollten, war vor allem, daß sie aus Griechenland stammen sollten.
Kambanellis legte damals sein Stück der künstlerischen Auswahljury des Nationaltheaters
vor, und Aimilios Chourmouzios, der Intendant, kommentierte es so: "Endlich habe ich ein
Stück gefunden, mit dem die Zweite Bühne ihre Arbeit beginnen kann."221 Tatsächlich findet
am 23. Januar 1956 die erste Aufführung auf der Zweiten Bühne statt, zu deren Anlaß der
Intendant die folgende Rede hält:
"Heute weiht das Nationaltheater seine Zweite Bühne ein. Diese Bühne soll in erster Linie die
Beschäftigung neugriechischer Autoren mit dem Theater fördern. Deswegen widmet sich die
Organisation des Nationaltheaters ihrer mit besonderer Aufmerksamkeit. Ist sie auch heute
noch gezwungen, sich die Spielstätte mit dem Nationaltheater zu teilen, so ist die Leitung
doch bestrebt, ihr bald einen eigenen Ort zu geben, damit sie uneingeschränkt funktionieren
kann. Doch bis zur Umsetzung dieser Pläne, wobei wir hoffen, daß die finanziellen Mittel
recht bald zur Verfügung stehen, wird die Zweite Bühne eine feste Institution auf der
Hauptbühne sein. Es ist zu bemerken, daß die Gründung und Vorbereitung der Zweiten Bühne
auf die einhellige Zustimmung und Mitarbeit der künstlerischen und anderen Beteiligten
gestoßen ist und wir daher davon ausgehen können, daß ihre regelmäßige Bespielung
gewährleistet ist. (...)"222
Es wäre zu erwarten gewesen, daß diese neue Gründung von der Kunstszene erfreut aufgenommen würde. Statt dessen wird die Eröffnung dieser Bühne anfangs sehr stark angegriffen.
Dadurch wird eine alte Diskussion darüber, wie das Nationaltheater mit neugriechischen
Stücken umgeht, neu entfacht. Diese Debatte läßt sich gut nachvollziehen, da sie zu einem
großen Teil in Form von Artikeln in der Tageszeitung "Ta Nea" geführt wurde. Dramatiker
und Theaterleuten äußerten sich hier, um darauf hinzuweisen, was der ursprüngliche
Gründungszweck des Nationaltheaters selbst gewesen war, und daß es einer gründlichen
Bereinigung bedürfte.
Manolis Skouloudis klagte in einem Artikel223 die Leitung des Nationaltheaters an, sie kümmere sich nicht um die eigene Produktion des Landes und sei zum "wasserkopfartigen Vertreter zur Verbreitung ausländischer Stücke" geworden. Auch warf er dem Nationaltheater vor,
220
221
222
223
Delveroudi, Eliza-Anna, wie FN 219.
Chourmouzios, Aimilios (Χουρµούζιος, Αιµίλιος): Artikel zur Eröffnung der Zweiten Bühne des
Nationaltheaters, in der Zeitung "Kathimerini" (Καθηµερινή) vom 19.01.1956.
Chourmouzios, Aimilios (Χουρµούζιος, Αιµίλιος): Rede zur Eröffnung der Zweiten Bühne des
Nationaltheaters, Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα), 24.01.1956.
Skouloudis, Manolis (Σκουλούδης, Μανώλης): Artikel zur Eröffnung der Zweiten Bühne des
Nationaltheaters, in der Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα), 17.01.1956.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 53
das griechische Theater von der Hauptbühne auf die Zweite Bühne zu verdrängen. Er schlug
vor, eine Quote von 50 % der Aufführungen auf der Hauptbühne für griechische Stücke zu
reservieren, und eine Zweite Bühne für experimentelles griechisches Theater zu schaffen. Der
Schriftsteller Pandelis Prevelakis224 berief sich auf die bei der Gründung des Nationaltheaters
festgelegte Regelung (Gesetz Nr. 4615/1930), wonach das Nationaltheater griechisches
Theater aus allen Schaffensperioden aufführen sollte (Antike, Mittelalter und Neuzeit), und
dazu die besten ausländischen Stücke. Er warf dem Nationaltheater vor, diese Vorgabe nur
mangelhaft umgesetzt zu haben. In einem wenig später folgenden Artikel nannte Manolis
Skouloudis die Umgangsweise der Leitung des Nationaltheaters griechenfeindlich, da die
griechischen Stücke nun auf die Zweite Bühne verdrängt würden.225 In einer
zusammenfassenden Betrachtung aller Kommentare, die zu diesem Thema einen Monat lang
in der Zeitung Ta Nea erschienen waren, kamen die Redakteure zu dem Schluß, daß fast alle
Kommentatoren das Nationaltheater beschuldigten, das griechische Drama zu
vernachlässigen, und daß sie forderten, die neuen griechischen Stücke auf die Hauptbühne zu
bringen, welche genau zu diesem Zweck gegründet worden war.226 Am 26.02.1956 trafen sich
die griechischen Theaterautoren auf einer Konferenz, auf der sie die Aktivitäten des
Nationaltheaters nochmals heftig kritisierten, was am nächsten Tag sofort in vielen Zeitungen
zu lesen war. Es habe seinen Zweck verfehlt, da es "griechische Autoren, die im freien
Theater Erfolg haben, nicht beachtet, weil es sich den einheimischen Stücken gegenüber
feindselig verhält und weil es systematisch die hiesige Produktion untergräbt."227 Aus diesem
Grunde sollte von einer weiteren staatlichen Subventionierung dieses Theaters abgesehen
werden.
Die Gegenposition hierzu wurde in einer anderen Zeitung formuliert228: Das neugriechische
Theater sei zu steril, und es sei eine seltsame Ansicht, zu fordern, daß das staatliche Theater
einheimische Stücke aufführen müsse, selbst wenn sie nicht gut seien. Achilleas Mamakis
stellte seine Meinung in der Radiosendung "Radioprogramma" am 04.03.1956 dar: Die Wahrheit sei sicher irgendwo in der Mitte, daß nämlich weder das Nationaltheater sich genug um
das griechische Theater gekümmert hätte, daß es aber auch wirklich nicht sehr viele neugriechische Stücke gebe, die es verdient hätten, im Nationaltheater aufgeführt zu werden. Die
Autoren hätten demnach übersteigerte Erwartungen. Chourmouzios229 begrüßte die Eröffnung
der Zweiten Bühne: Sie sei mit Erfolg gelungen, und nun wäre der Weg für
nichtkommerzielle griechische Stücke bereitet.
Der für den Spielplan des Nationaltheaters verantwortliche Aggelos Terzakis drückte
einerseits seine Freude darüber aus, daß das Interesse des Publikums an griechischen Stücken
so groß sei, wollte aber keine Rivalität zwischen dem Nationaltheater und den privaten
Theatern aufkommen lassen. Er betonte, es sei auf jeden Fall ein Fehler, wenn keine
griechischen Stücke im Nationaltheater aufgeführt würden. Er wünschte der Zweiten Bühne
224
Prevelakis, Pandelis (Πρεβελάκης, Παντελής): Artikel zur Eröffnung der Zweiten Bühne des
Nationaltheaters, in der Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα), 01.02.1956.
225
Skouloudis, Manolis (Σκουλούδης, Μανώλης): Artikel zur Eröffnung der Zweiten Bühne des
Nationaltheaters, Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα), 09.02.1956.
226
Skouloudis, Manolis, wie FN 225.
227
Mamakis, Achilleas (Μαµάκης, Αχιλλέας): Artikel zur Eröffnung der Zweiten Bühne des Nationaltheaters,
Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα), 27.02.1956.
228
Kostaw Ikonomidis (Κώστας Οικονοµίδης) Das Nationaltheater und die Griechische stückte (Το Εθνικό
Θέατρο και τα ελληνικά έργα), “Ethnos“ (Έθνος), 03.03.1956.
229
Chourmouzios, Aimilios (Χουρµούζιος, Αιµίλιος): Artikel zur Eröffnung der Zweiten Bühne des
Nationaltheaters, Zeitung "Empros" (Εµπρός), 28.01.1956.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 54
viel Erfolg, war allerdings nicht allzu optimistisch, weil die Aufführungen hier schon
nachmittags stattfanden.230
Im Jahr ihrer Eröffnung gab die Neue Bühne 36 Aufführungen des Stückes von Kambanellis.
Sie war noch im nächsten Jahr tätig und stellte dann ihre Aktivitäten ein. In den etwa zehn
Monaten, in denen sie bestand, half sie immerhin einigen neugriechischen Autoren, bekannt
und anerkannt zu werden.
Es verdeutlicht die Wichtigkeit der Debatte über die neugriechische Dramatik, daß
Chourmouzios zwei Jahre später zwei weitere Artikel dazu schrieb.231 Darin legte er seine
Ansicht dar, daß Entwicklung im Theater stets von den "Théâtres d'Essai", "Théâtres de
Poche" oder den "Kleinen Bühnen" ausgehe. Da es im Falle Griechenlands der gleiche
Aufführungsraum und im allgemeinen das gleiche Publikum sei, habe man die Bezeichnung
"Zweite Bühne" gewählt, was nicht herabsetzend gemeint gewesen sei. Noch bevor sie
überhaupt zu arbeiten begonnen hätte, sei diese Zweite Bühne angefeindet worden. Man habe
dem Nationaltheater vorgeworfen, damit die griechischen Theaterautoren verdrängen und
benachteiligen zu wollen. Chourmouzios habe erkannt, daß es ein Fehler war, die beiden
Bühnen nicht räumlich getrennt zu haben. Jenen, die gegen die Zweite Bühne opponiert
hatten, warf er vor, sie seien der Grund gewesen, weswegen diese Bühne schließen mußte, die
sich doch um das neugriechische Theater verdient hätte machen können, hätte man sie weiter
bestehen lassen. In diesem Artikel kam Chourmouzios zu dem Schluß, es sei notwendig, die
Zweite Bühne wiederzubeleben.
Kambanellis' Stück "Der siebte Tag der Schöpfung" wurde nur zweimal inszeniert, und das
mit einem sehr großen zeitlichen Abstand. Das erste Mal war die Aufführung auf der
"Zweiten Bühne" 1956, das zweite Mal 33 Jahre später, 1989 im "Di.Pe.The. Verias"232 in
Nordgriechenland. Die Aufführung im Nationaltheater war von besonderer Bedeutung, da sie
die erste Inszenierung darstellte, die im Rahmen eines Förderungsprogrammes für das
neugriechische Theater lief. Ihre Wirkung wurde dadurch verstärkt, daß jene heftige Debatte
um diese Form der Förderung entbrannte.
Wenige Jahre nach dieser ersten Inszenierung kommentierte der Direktor des Nationaltheaters
den Versuch, die "Zweite Bühne" aufzubauen: "Die griechischen Bühnenautoren sollten ermutigt werden. Es sollte ihnen die Möglichkeit gegeben werden, ihr Stück realisisert zu sehen:
mit erstklassigen Bühnenbildnern und Regisseuren, mit hervorragenden Schauspielern, mit
guter technischer Ausstattung und ohne permanente materielle Beschränkung. So können
230
231
232
Chourmouzios, Aimilios (Χουρµούζιος, Αιµίλιος): Artikel zur Eröffnung der Zweiten Bühne des
Nationaltheaters, Zeitschrift "Nea Estia" (Νέα Εστία) Bd. 66, Heft 768, 1956, S. 845 - 847.
Chourmouzios, Aimilios (Χουρµούζιος , Αιµίλιος): Notizen vom Theater zusätzlich über die Zweite Bühne
(Σηµειώσεις για το θέατρο συµπληρωµατικά για την δεύτερη σκηνή), Zeitschrift "Nea Estia" (Νέα Εστία) Bd.
66, Heft 771, 1959, S. 1091 - 1093.
Di.Pe.The. (∆η.Πε.Θε.) ist eine gebräuchliche Abkürzung für die Bezeichnung "Dimotiko periferiako
theatro", (∆ηµοτικό Περιφερειακό Θέατρο), also Kommunales Theater in der Peripherie. Diese Theater
wurden 1981 von der damaligen Kulturministerin, Melina Merkouri, in verschiedenen Regionen
Griechenlands ins Leben gerufen. Damit sollte der Bevölkerung außerhalb der beiden urbanen Ballungsräume
Athen und Thessaloniki ebenfalls die Möglichkeit bekommen, regelmäßig ein gutes Theater zu besuchen.
Bisher hatte sich das Theaterleben in Griechenland im wesentlichen in diesen beiden mit Abstand größten
Städten abgespielt. Diese staatlichen Provinztheater werden zur Hälfte vom Staat, zur anderen Hälfte von der
jeweiligen Kommune getragen.
In Anlehnung an ihren griechischen Namen werden diese Theater in der vorliegenden Arbeit als
"Peripherietheater" bezeichnet. Der Namensbestandteil 'Peripherie' darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß
viele dieser Theater in bedeutenden Städten mit oft 200.000 bis 500.000 Einwohnern eingerichtet wurden, so
etwa in Patras, Volos und Korfu.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 55
ihnen neue Wege geöffnet werden."233 Die Aufführung von Kambanellis' Stück schien diesen
Erwartungen gerecht geworden zu sein. Jedenfalls waren damals zahlreiche sehr gute
Schauspieler beteiligt (Rollendarsteller und Typendarsteller), so etwa Kotsopoulos, Glinos
und Zervos. Neben ihnen traten einige junge Schauspieler zum ersten Mal auf, die später
große Namen im griechischen Theater wurden.
Bezüglich der szenischen Umsetzung und der Art der Darstellung scheint es, daß man sich
größtenteils an den Stil des Nationaltheaters hielt.234 Dieser Stil war etwas klassizistisch. Er
neigte dazu, die Dinge auszuschmücken und zu beschönigen. In dem Stück von Kambanellis
führte das dazu, daß der soziale Hintergrund etwas verwischt wurde: es wurde nicht mehr klar
herausgearbeitet, daß von ihm die Probleme hervorgebracht wurden, mit denen sich die
Hauptpersonen des Stückes konfrontiert sahen. Zu der verniedlichten Umsetzung der
Aufführung und zur Verwischung der wichtigen Gegensätze trug auch bei, daß man die
bisherige Tradition des Nationaltheaters nicht ablegen konnte, welche sich bisher auf
klassische Stücke konzentriert hatte. So war die Sprechweise der Schauspieler relativ steif,
was den anderen Stücken, die das Nationaltheater aus dem klassischen Fundus auswählte,
durchaus angemessen war. Sie war aber ungeeignet, die Verzweiflung und Lebhaftigkeit
dieses neorealistischen Stückes zu verkörpern, in dem Handlungen und Emotionen auf der
Bühne nicht nur vorgeführt, sondern erlebt werden mußten.
Chourmouzios erkannte im Nachhinein an, daß es falsch war, die Aufführung neugriechischer
Stücke auf diese Bühne zu verbannen: "Wenn der Zuschauer auf der gleichen Bühne am einen
Abend 'Maria Stuart' von Schiller oder Shakespeares 'Hamlet' anschaut und am nächsten Tag
den 'Siebten Tag der Schöpfung' unseres Freundes Kambanellis, können Auge und Ohr diese
beiden Stücke nicht erfassen, ohne sie direkt miteinander zu vergleichen. Der Zuschauer ist im
gleichen Raum, den er kennt, er sieht auf den gleichen Vorhang, und in dem Moment, wo der
sich hebt, sind unvermittelt bestimmte Werte da. Die Kriterien werden automatisch strenger,
anspruchsvoller und damit, in letzter Betrachtung, ungerecht."235
Die eigene Tradition des Nationaltheaters, die allgegenwärtige Zensur, die damals noch
herrschte, in Kombination mit dem Umstand, daß das Stück auf einer staatlichen Bühne
gespielt wurde, führten dazu, daß diese erste Aufführung nicht das ganze Potential des
Stückes ausschöpfen konnte und den aktuellen sozialkritischen Bezug nicht so deutlich wie
gewünscht darstellen konnte, wie es der Handlungshintergrund des Stückes eigentlich vorgab.
3.3.13.2 "Di.Pe.The. Verias", Veria, 1989
1989 war es Kambanellis selbst, der sein Stück inszenierte. Nun war es nicht mehr von der
mystischen Aura der Erstinszenierung umgeben, und die jungen Schauspieler, die daran beteiligt waren, kannten den Bezug zu der Zeit, in der es geschrieben wurde, sehr gut. So konzentrierte er sich nun darauf, den politischen Bezugsrahmen des Stückes herauszuarbeiten. Um
das umzusetzen, fügte er der Aufführung fiktive Nachrichtenmeldungen aus dem Radio bei,
die er selbst verfaßte. Dabei verwendete er Material, das aus der Zeit stammte, in der das
Stück geschrieben worden war. Diese Radionachrichten wurden zwischen den Szenen
abgespielt. Sie berichteten von einzelnen Streiks, von Zusammenstößen mit der Polizei, von
Krediten, die eine Firma aufgenommen hatte und nie zurückzahlte etc. Sie ließen die
Stimmung jener Zeit sehr deutlich wieder auferstehen, welche eindeutig gegen das einfache
233
234
235
Chourmouzios, Aimilios, wie FN 231.
Die Tradition, die im Nationaltheater von Fotos Politis (Φώτος Πολίτης) und Dimitris Rodiris(∆ηµήτρης
Ροντήρης) (beide sowohl als Regisseure wie auch als Intendanten tätig) aufgebaut wurde, basiert vor allem
auf der Schule von Max Reinhardt.
Chourmouzios, Aimilios, wie FN 231.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der siebte Tag der Schöpfung"
S. 56
Volk war. Eine solche Nachricht war beispielsweise: "Gestern füllten sich die Straßen mit
Studenten, die, angeführt von Zyprioten, riefen: 'Vereinigung! Vereinigung von Griechenland
und Zypern!' "236
Ziel war dabei nicht, im Rahmen dieser Vorstellung eine vergangene Zeit in Erinnerung zu
rufen, sondern zu zeigen, daß viele dieser Themen auch bei dieser zweiten Aufführung und
nach so langer Zeit noch immer aktuell waren, und damit zu verdeutlichen, daß sich in manchen Bereichen das Leben der Griechen seither kaum weiterentwickelt hatte.
236
Information von Iakobos Kambanellis im Gespräch mit der Autorin am 20.05.1998.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 57
3.4 Das Stück "Der Hof der Wunder"
3.4.1 Inhaltsangabe237
Dieses Stück spielt in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts in der kleinbürgerlichen Nachbarschaft Vironas in Piräus. Eine kleine Anzahl Menschen hat sich zufällig hier zusammengefunden, sie leben miteinander auf engstem Raum. Sie haben sich in einzelne kleine Zimmer
eingemietet, die nebeneinander liegen und alle auf den gleichen Hinterhof hinausgehen. Es
läßt sich nicht vermeiden, daß hier jeder über jeden Bescheid weiß; jeder nimmt am Leben der
anderen teil und ist schnell bereit, selbst darin einzugreifen.
Hier lebt ein Flüchtling aus Kleinasien, der alles verloren hat, mit seiner Familie. Eine etwas
leichtsinnige Dame hat fest vor, Filmstar zu werden. Eine Seemannsfrau wartet sehnsüchtig
auf die Rückkehr ihres Ehemannes. Ein Ehepaar verbringt seine Zeit damit, sich lautstark zu
streiten und zu versöhnen, während sie auf ihre Papiere warten, um endlich nach Australien
auswandern zu können. Der Mann, um den sich alles dreht, ist ein junger Kartenspieler und
Traumtänzer, der auf den großen Gewinn hofft. Dann würde es ihm auch wieder gelingen, die
frühere romantische Liebe zu seiner Ehefrau wiederzufinden, deren Tugendhaftigkeit von
einem neu hinzukommenden Mieter ins Wanken gebracht wird.
Obwohl alle diese Menschen einiges unternehmen, um ihre Träume zu verwirklichen,
kommen sie doch nicht recht von der Stelle, das Leben fließt genauso eintönig und trostlos
weiter wie bisher. Einzig der Kartenspieler ändert seine Lage wirklich radikal, indem er den
Freitod wählt. Das erzwungene Zusammenleben der anderen wird sich erst gewaltsam ändern,
als der Grundbesitzer die Zimmer einreißen läßt, um statt dessen ein Hochhaus zu bauen. Nun
werden alle Bewohner des Hinterhofes aus ihrem bisherigen Rhythmus gerissen und müssen
von ihren liebgewordenen Träumen Abschied nehmen.
3.4.2 Kommentar zum Titel
Wie schon erwähnt, legt Kambanellis großen Wert auf die Titel seiner Stücke, weswegen wir
auch diesen etwas näher ansehen sollten. 'Cours des Miracles' heißt ein Ort in Paris seit dem
13. Jahrhundert. Damals glaubte man an Wunderheilungen, und hier gaben übel beleumundete
Personen tagsüber vor, an Krankheiten zu leiden, von denen sie dann scheinbar durch ein
Wunder geheilt wurden. Diese Zustände inspirierten Victor Hugo zu seinem Roman "Der
Glöckner von Nôtre Dame", sie waren die historische Basis, auf der er seine persönliche
Darstellung entwickelte. Mit folgenden Worten beschreibt er diesen Ort:
"Der arme Dichter blickte sich um. Er befand sich in der Tat in jenem furchtbaren Hof der
Wunder, in dem noch niemals ein anständiger Mensch zu solcher Studen eingedrungen war;
in diesem magischen Kreis verschwanden die Offiziere des Châtelets und die Sergeanten der
Professorie spurlos, wenn sie sich hereingewagt hatten. Es war die Stadt der Diebe, eine
scheußliche Beule im Angesicht der Stadt Paris, die Kloake, aus der allmorgendlich alle
Laster der Welt, Bettelei und Vagabundentum in die Straßen der Hauptstadt hinausfluteten,
um abends zurückzukehren, der unheimliche Bienenstock, in den die Hornissen der
menschlichen Gesellschaft allabendlich ihre Beute trugen, das Spital, in dem der Zigeuner, der
entlaufene Mönch, der verlotterte Student, alle Gauner aller Nationen, Spanier, Italiener,
Deutsche, Menschen jeglichen Glaubens, Juden, Christen, Mohammedaner, Heiden mit
237
Die Seitenzahlen beziehen sich, wie in FN 9 erwähnt, auf die Veröffentlichung des Stückes von Kambanellis,
Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): "Der Hof der Wunder" (Η αυλή των θαυµάτων), in (ders.): Theater, Bd. 1,
Athen 1978, S. 95 - 188.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 58
falschen Wunden bedeckt waren und des Tages bettelten, um des Nachts zu rauben und zu
plündern - kurz, es war das gewaltige Gerderobenzimmer, in dem zu jener Zeit die Darsteller
jenes Schauspiels ihre Kleider wechselten, das Diebstahl, Prostitution und Mord auf dem
Pflaster von Paris aufführte."238
Was hat nun "Der Hof der Wunder" von Kambanellis mit dem Hof der Wunder zu tun, den
Hugo beschreibt? Wieso wählt Kambanellis diesen Titel, der geschichtlich und literarisch so
vorbelastet ist? Meiner Meinung nach ist das eine Reverenz an die Grundprinzipien des Naturalismus, also der literarischen Richtung, an der sich Kambanellis in diesem Stück orientiert.
Der erwähnte Roman von Victor Hugo ist das herausragendste Stück Literatur, das aus dieser
Schule hervorgegangen ist. "Der Hof der Wunder" wird nun von Kambanellis aber in dem
Taufbecken des neugriechischen Alltags und des neugriechischen Dramas getauft. Seine negativen Eigenschaften werden von vielen positiven Eigenschaften abgemildert. Mit
nostalgischem Blick hält er ein Bild des neugriechischen Lebens fest, welches schon am
Aussterben ist, es wird geläutert und wiedergeboren. Die Gemeinsamkeit dieser beiden 'Höfe'
ist das Schicksal der Menschen, die dort leben und die Zuflucht, die sie ihnen inmitten der
Großstadt bieten. Abgesehen davon verbindet sie aber nichts weiter. Wenn in den Hof von
Hugo kein ehrlicher Mensch seinen Fuß gesetzt hat, so leben in dem von Kambanellis im
Gegensatz hierzu nur ehrliche Leute, arbeitsame Kleinbürger, die ihr Brot im Schweiße ihres
Angesichts verdienen.
Während Hugos Hof ein häßliches Muttermal im Gesicht von Paris ist, ist dagegen der Hof
von Kambanellis ein letztes Überbleibsel einer menschlichen Architektur in einer Stadt, die
erstickt wird von den baulichen Ungetümen der aufstrebenden Gesellschaft. Wenn in Hugos
Hof das Laster und die Unverschämtheit hausen, so haben die ehrlichen Gefühle der hier
wohnenden Menschen noch die Fähigkeit, das Wunder tiefer Beziehungen zu ermöglichen.
3.4.3 Atmosphäre des Stückes
Persephones Alptraum
Dort, wo Heilkraut und wilde Minze wuchsen
und die Erde das erste Alpenveilchen hervorbrachte,
verschachern Bauern nun Zement
und die Vögel stürzen tot in den Hochofen.
Dort, wo die Eingeweihten ihre Hände vereinten,
ehrfurchtsvoll, bevor sie in den Zeremonienraum traten,
werfen nun Touristen ihre Zigarettenstummel fort
und sehen sich die neue Raffinerie an.
Dort, wo das Meer zur Segnung wurde
und das Blöken auf den Weiden guter Segen waren,
zerren nun Lastwagen zu den Werften,
schleppen leere eiserne Körper, Kinder und Bleche.
Schlaf nur, Persephone, in der Umarmung der Erde,
auf den Balkon der Welt tritt nur nie mehr heraus.
(Nikos Gatsos)239
238
239
Hugo, Victor: Der Glöckner von Notre Dame. Hg.: Vitalis-Verlag, nach einer Übersetzung von G. Trinker
1928. Prag 2002, S. 96.
Gatsos, Nikos (Γκάτσος, Νίκος): "Persephones Traum" (Το όνειρο της Περσεφόνης), in (ders.): Nikos
Gatsos. Alle Lieder (Γκάτσος Νίκος. Όλα τα τραγούδια) Athen 2000, S. 293. Dieses Gedicht wurde in den
70er Jahren von Manos Chatzidakis vertont. Es ist bemerkenswert, daß Gatsos, wie auch Kambanellis, zu
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 59
Dieses Lied thematisiert die Überfremdung als Reaktion auf die rasante technologische
Entwicklung, welche nicht nur die natürliche Umgebung, sondern auch die zwischenmenschlichen Beziehungen überformt. Wo einst die Götter der Erde und der Fruchtbarkeit verehrt
wurden, herrschen nun die Fabriken mit ihren Abgasen und der allgemeinen
Umweltzerstörung. Als besonders drastisches, aber nicht untypisches Beispiel für diese
Veränderungen wird hier das Schicksal der Stadt Eleusis in der Nähe von Athen thematisiert,
die im Altertum berühmte Mysterienfeiern abhielt, ab den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts
jedoch in Raffinerien und Hochöfen förmlich erstickte.
3.4.4 Zielsetzung des Autors
Es ist interessant, die beiden Vorworte zu vergleichen, die der Autor zu zwei Aufführungen
dieses Stückes schrieb (1957-1958 "Theatro Technis", 1975-1976 "Thessaliko Theatro").
Dadurch wird nicht nur die Intention des Autors deutlich, sondern man sieht auch, wie diese
sich im Laufe der Zeit verändert hat. Das erste Vorwort beginnt mit den folgenden Sätzen:
"Wenn mich jemand fragte, was ich als Autor wünsche, so gäbe ich zur Antwort: 'Stücke zu
schreiben, deren Herkunft so deutlich wie möglich unser Land ist.' Und wenn er weiter fragte,
was ich beim Theater erreichen möchte, würde ich sagen, daß ich in einer Reihe von Stücken
den Griechen als zeitgenössischen Menschen entdecken möchte."240 Mit dieser Zielsetzung
gehört Kambanellis zu jenen Künstlern, die in den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende versuchten, mit ihren Werken das Wesen des heutigen Griechen zu entdecken, da sie davon überzeugt waren, daß nur ein Volk, das sich selbst kennt, auch kulturell voranschreiten kann.
Es ist kein Zufall, daß vier der wichtigsten Vertreter dieser Bewegung bei der ersten Aufführung des 'Hofes der Wunder' zusammenkamen. Das Stück von Kambanellis wurde von
Karolos Koun inszeniert, das Bühnenbild entwarf der Maler Jiannis Tsarouchis, und
musikalisch wurde es von Manos Chatzidakis ausgestattet. Beim Vergleich der beiden
Vorworte stellt sich die Frage, ob Kambanellis sein 'strategisches' Ziel, den modernen
Griechen darzustellen, erreicht hat. Zu Beginn befaßte er sich mit einem hervorstechenden
inneren Widerspruch der griechischen Gesellschaft. Das Leben des heutigen Griechen wird
einerseits durch ein Fehlen von Stabilität und Sicherheit oder eine Flüchtigkeit seiner
Lebensbedingungen gekennzeichnet. Das gilt besonders für die ersten Jahre nach dem Zweiten
Weltkrieg und nach Beendigung des Bürgerkriegs, der weitere fünf Jahre in ganz
Griechenland tobte. Auf der anderen Seite ist ihm "... in seinem mediterranen Charakter ein
unerschütterlicher Optimismus gegeben".241
Dann wandte sich Kambanellis den Charakteren seiner Figuren zu. Diese leben den Widerspruch aus, sie können daher nicht umhin, selbst widersprüchlich zu sein. Das ist besonders
belebend für das dramaturgische Element, denn: "... in ein und derselben Person sieht man
Gefühle entstehen, die völlig gegensätzlich zueinander sind, und die die gesamte Palette von
gut bis schlecht abdecken. Man kann dies eine unaufhörliche Darlegung innerer Vielfalt
nennen, also eine Reihe kleiner Wunder."242
Es ist diese dialektische Beziehung zwischen einer instabilen gesellschaftlichen Realität und
dem von Natur aus optimistischen Charakter des modernen Griechen, die Kambanellis in
diesem Stück zu ergründen versuchte. Das war es wahrscheinlich auch, was er meinte, als er
240
241
242
jener Zeit schon die Zerstörung der Umwelt thematisierten, welche bis heute noch nicht wirklich als Problem
in das Bewußtsein der griechischen Öffentlichkeit eingedrungen ist.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Vorwort im Programmheft zur Uraufführung des Stückes
"Der Hof der Wunder" am "Theatro Technis" 1957. In (ders.): Theater, Bd. 1, Athen 1978, S. 91 - 92.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 240.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 240.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 60
davon sprach, er "habe sehen wollen, wie die gesellschaftlichen Bedingungen den Griechen
dazu zwingen, als innerer Mechanismus zu funktionieren."243 Welche Kräfte setzt der Mensch
frei, der unter diesen konkreten Umständen leben muß, auf welche Weise versucht er, dieser
banalen Realität gegenüberzutreten? Unter dem Einfluß des amerikanischen Neorealismus,
der zu jener Zeit am "Theatro Technis" vorherrschte, und entsprechend dem Neorealismus,
wie Kambanellis ihn interpretierte, versuchten die Hauptpersonen des Stückes, sich in Gefühle
für ihre unmittelbare Umgebung und Träumereien zu flüchten.244
Die Technik, die Kambanellis anwandte, um den inneren Zusammenhalt der
gesellschaftlichen Mechanismen und der menschlichen Verhaltensweisen aufzuzeigen, war
eine Abfolge alltäglicher Episoden und nicht die Auswahl eines Mythos. Er baute sein
Fotostativ auf und hielt damit unscheinbare Geschichten seiner Helden fest. Dabei richtete er
den Fokus besonders auf die einfachen Gesellschaftsschichten, weil er der Ansicht war, daß
sich in ihr die typischen Charaktere der neugriechischen Realität deutlicher darstellten.
Diese Gesellschaftsschichten wurden von der Entwicklung in der Nachkriegszeit nicht besonders begünstigt. "Die politische Leidenschaftlichkeit, Ängste und deren Ausnutzung verhinderten eine gerechtere und weniger ungleiche Verteilung jener Güter, die der wirtschaftliche
Aufschwung mit sich brachte. Die Kluft zwischen dem, was ein Arbeiter oder kleiner Angestellter verdiente, und dem Einkommen eines Geschäftsmannes, des Unternehmers, der Darlehen bekam, und des Reeders wuchs in der Zeit des Wiederaufbaus beträchtlich."245
Der Platz, den Kambanellis aussuchte, um von dort aus das Kleinbürgermilieu zu
fotografieren, war einmal mehr der Hof, der Ort, an dem das Leben der Kleinbürger seine
vielfältigen Erscheinungsformen offenbarte. Dabei war es ihm wichtig, von der Idylle und
Romantisierung wegzukommen, mit der die Gedankenlosigkeit der Zeit vor dem Krieg diese
Höfe stets verbunden hatte. Nun wollte er nicht davor zurückscheuen, ihre harte Realität
darzustellen, in der es "Elend zuhauf"246 gab. Die Nachkriegsentwicklung erreichte auch diese
Höfe, doch in der Form "einer Sehnsucht nach Auswanderung und als Bulldozer, der die
Hinterhöfe niederriß, um den Grundstückswert zu erhöhen."247
Indem er gewissermaßen den unerwarteten Erfolg des Stückes bei seiner ersten Aufführung
interpretierte, schrieb Kambanellis anläßlich der Tatsache, daß es 18 Jahre später in gleicher
Frische wieder aufgeführt wurde, in seinem Vorwort im Programmheft: "Als 'Der Hof der
Wunder' geschrieben wurde, war es der Schwanengesang einer Welt, die zutiefst die unsere
und eine zutiefst menschliche war."248
3.4.5 Reaktion der Kritik auf die Uraufführung des Stückes "Der Hof der
Wunder"
Die Uraufführung fand im Jahr 1957 am "Theatro Technis" statt. Die Kritik war sich
insgesamt einig, daß man den Einfluß und eine gewisse Ähnlichkeit dieses Stückes zu Werken
wie "Straßenszenen" von Elmer Rice und "Das große Spiel" von Aggelos Terzakis erkennen
243
244
245
246
247
248
Kambanellis, Iakobos, wie FN 240.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Vorwort im Programmheft des "Thessaliko Theatro" zur
Aufführung des Stückes "Der Hof der Wunder" 1975 - 1976. In (ders.): Theater, Band 1, Athen 1978, S. 92 93.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 244.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 244.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 244.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 244.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 61
könne, wie auch eine allgemeine Nähe zu Theaterstücken von Arthur Miller, Tennessee
Williams und Arthur Kingsley.
Um so erfreuter stellten die Kritiker fest, daß es Kambanellis gelungen sei, trotz dieser Vorbilder nicht in ihre Stereotypen zu verfallen, obwohl er doch vordergründig betrachtet ein Thema
wählte, das weltweit so oft bearbeitet worden sei, daß eigentlich zu befürchten wäre, es könnte
nichts Neues mehr hergeben. Doch Kambanellis sei das Kunststück gelungen, dieses Thema
aufzufrischen und neu zu interpretieren. Welche sind nun die Mittel, die er einsetzte, um den
alten Topos von Menschen unterschiedlicher Herkunft, die auf engem Raum zusammenleben
und im Alltag ihre jeweiligen Beschäftigungen, Träume, Lieben, ihre Sehnsüchte und Streitigkeiten haben, neu zu bearbeiten, damit das Stück aktuell und interessant blieb? Diese Frage
beantworten die Kritiker fast einstimmig, indem sie Kambanellis zugestehen, daß es ihm in
diesem Stück gelang, auf originelle Weise internationale und griechische Typen zu
verarbeiten, so daß das Ergebnis in vollem Ausmaß griechische Proportionen erhielt.
Der Kritiker Marios Ploritis stellte fest: " 'Der Hof der Wunder' erinnert an Rice, Kingsley,
Miller, hat aber den Zauber, daß es eine rein griechische, eine rein Athenische Nachbarschaft
ist. Und diese Einfärbung hat nichts mit der Oberflächlichkeit eines Sittengemäldes zu tun. Es
ist nicht so sehr vom Aussehen her griechisch als in der Seele."249 Aggelos Terzakis bemerkte:
"Wenn Kambanellis mit 'Der siebte Tag der Schöpfung' das Drama eines Menschen darstellen
wollte, will er nun das Drama einer Nation zeigen: der griechischen."250
Ein solches Ziel ließ sich natürlich nicht mit einem einfachen Psychogramm der
Hauptpersonen erreichen, dazu mußte eine Beschreibung der Gesellschaft bis hin zur
soziologischen Analyse gegeben werden, und es war eine große Anzahl unterschiedlicher
Charaktere nötig, um die ganze Bandbreite an möglichen Typen darzustellen. Kambanellis
wählte diese Möglichkeit, und tatsächlich gelang es ihm, eine große Anzahl Personen in ihrer
Beziehung zur Realität und zueinander darzustellen. So legte er ein großflächiges Puzzle der
griechischen Realität an, wie der Kritiker Karagatsis analysierte: "Der erfolglose Kleinhändler,
der zum Spieler verkommt und im Zuge seines gesellschaftlichen Abstiegs auch sittlich
verfällt. Das leichtsinnige Mädchen, das im Angesicht drohenden Hungers zum Kokottchen
wird. Die Frau des heruntergekommenen Spielers, die sich nach Erwiderung ihrer Liebe zu
einem ehrlichen Arbeitsmenschen sehnt. Der alte Tagelöhner, der keine andere Zuflucht mehr
hat als seinen Wein und seine einfachen Philosophien. Die von ihrer einzigen Tochter
verlassene Alte, die von ihrem Kummer getrieben wird, Zwietracht säende Pfeile in alle
Richtungen zu schießen. Die Frau des Matrosen, der ständig auf See ist, welche vor
körperlichem Drang nach Ehebruch in großen seelischen Zwiespalt gerät. Und der junge
Mann, der das Leben erst kennenlernt, und dessen kreative Neigungen von der unerbittlichen
Realität auf die Hoffnung zurechtgestutzt werden, eine Stelle als kleiner Angestellter zu
finden ... "251
Einige der vom Autor eingesetzten Mittel, so etwa die der griechischen Identität oder der
soziologischen Aufzeichnung, wären freilich leer geblieben, wäre es Kambanellis nicht auch
gleichzeitig gelungen, den wichtigsten Grundsatz jedes Bühnenautors zu erfüllen: echtes und
249
250
251
Ploritis, Marios (Πλωρίτης, Μάριος): Kritik der Uraufführung des Stückes "Der Hof der Wunder" am
"Theatro Technis", in der Zeitung "Eleftheria" (Ελευθερία), Dezember 1957, in: Kambanellis, Iakobos:
Theater, Band 1, Athen 1978, S. 302 - 305.
Terzakis, Aggelos (Τερζάκης, Άγγελος): Kritik der Uraufführung des Stückes "Der Hof der Wunder" am
"Theatro Technis" in der Zeitung "To Vima" (Το Βήµα), Dezember 1957, in: Kambanellis, Iakobos: Theater,
Bd. 1, Athen 1978, S. 290 - 291.
Karagatsis, M. (Καραγάτσης, Μ.): Kritik der Uraufführung des Stückes "Der Hof der Wunder" am "Theatro
Technis" 1957 in der "Vradyni" (Βραδυνή), Dezember 1957, in: Kambanellis, Iakobos: Theater, Band 1,
Athen 1978, S. 299 - 301.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 62
gehaltvolles Theater zu schreiben. Nach Meinung der Kritik gelang ihm das, indem er eine
Reihe von dramaturgischen Techniken einsetzte.
Als erstes vermied er das sattsam bekannte Stilmittel des Sittengemäldes, welches bisher zur
Darstellung solcher Sachverhalte eingesetzt wurde. Zweitens suchte er sich keinen einzelnen
Charakter mehr als Hauptperson, sondern fokussierte den ganzen Mikrokosmos eines Hofes in
einem einfachen Stadtviertel. Damit folgte er der Neigung zur "Gruppenthematik" des neueren
Theaters.252 So gelang ihm ein realistisches Stück über eine Gemeinschaft mit gewollt weit
gestreutem Material, welches Akkorde erklingen ließ und keine Soli. Träger des Dramas
waren nun nicht mehr nur die Lebensumstände, sondern auch die Zusammenstöße der
Menschen.253 Auf dieser Basis konnten die Charaktere sich mehrdimensional entwickeln und
blieben keine reinen Karikaturen.
Doch es war nicht nur die Darstellung der Gesamtheit, die Kambanellis gut gelang. Beispielsweise wird das Stück besonders spannend, als in der 3. Szene das persönliche Drama einer
Person autonom wird. Das Stück und die Charaktere sind von einer in besonderem Maße griechischen Note durchzogen. Anderswo verwandeln Mangel und Misere den Menschen zum
Wolf; hier geben Hoffnung und unbeirrbarer Optimismus den Figuren Kraft.254
Doch wie sehr gelang es Kambanellis, anstatt einer plakativen Wandmalerei der neugriechischen Gesellschaft ein dramatisches Stück mit dramatischen Charakteren aufzubauen? Bei der
Beantwortung dieser Frage teilten sich die Meinungen der Kritiker. Leon Koukoulas und andere begrüßten, daß Kambanellis mit einem soliden Aufbau vermeiden konnte, das Stilmittel
der Bruchstückhaftigkeit aus dem Kino jener Zeit zu übernehmen, welches viele neue internationale Theaterstücke beeinflußte.255 Vasos Varikas bemängelte freilich, daß Kambanellis in
seinem Bestreben, einen Sachverhalt gleichzeitig fotografisch festzuhalten und dramatisch zu
komponieren, weder das eine noch das andere gelungen sei.256
Die Kritik forderte ihn auf, seine Technik noch weiter auszubauen, um in Zukunft zu vermeiden, daß einzelne Szenen isolierte Momentaufnahmen bleiben. Dann bekäme sein Stück mehr
inneren Zusammenhalt und eine klarer durchgehende Linie, die hier teilweise verlorengehe.
So verlagere sich das eigentliche Thema, die Instabilität im Leben des Griechen, in der 3.
Szene auf das Thema des Ehebruchs, um in der 4. Szene wieder zum eigentlichen Gegenstand
zurückzukommen.257
Zusammenfassend läßt sich dennoch sagen, daß die Kritik das Stück insgesamt sehr begeistert
als Zeichen der Reifung von Kambanellis aufnahm und seinen soliden Aufbau und seine Echtheit anerkannte.
3.4.6 Dramaturgischer Aufbau des Stückes
Teil A
252
253
254
255
256
257
Ploritis, Marios, wie FN 249.
Terzakis, Aggelos, wie FN 250.
Varikas, Vasos (Βαρίκας, Βάσος): Kritik der Uraufführung des Stückes "Der Hof der Wunder" am "Theatro
Technis" in der Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα), Dezember 1957, in: Kambanellis, Iakobos: Theater, Band 1,
Athen 1978, S. 293 - 296.
Koukoulas, Leon (Κουκούλας, Λέων): Kritik der Uraufführung des Stückes "Der Hof der Wunder" am
"Theatro Technis" in der "Athinaiki" (Αθηναϊκή), Dezember 1957, in: Kambanellis, Iakobos: Theater, Band
1, Athen 1978, S. 292 - 293.
Varikas, Vasos, wie FN 254.
Ploritis, Marios, wie FN 249.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 63
Wir befinden uns in einem Hof, der von vielen Zimmern umgeben wird. Die weitere
Umgebung ist eine einfache Nachbarschaft in Athen. Dieser Hof stellt den gesamten
szenischen Raum dar, auf dem sich das Geschehen abspielen wird. Das Stück beginnt zur Zeit
der Abenddämmerung an einem Tag im Frühsommer. Im ersten Teil werden die Figuren
vorgestellt, aus denen sich das Puzzle der handelnden Personen zusammensetzt. Den Anfang
machen die Nebenfiguren258, und dann rundet sich die Szene mit dem Auftritt jener ab, die
den größten Anteil an der Entwicklung der Geschichte haben werden. Die Personen werden
vorgestellt, indem man jede von ihnen in einer typischen Alltagssituation sieht. Jeder hat
etwas Einzigartiges, etwas, das ihn von allen anderen unterscheidet. Dennoch leben sie alle
zusammen in einem gemeinsamen Leben, in einem Alltag, der langsam und einförmig
dahinfließt. Zu Beginn des Stückes ist es ein Tag wie jeder andere. Der Blick des
Dramaturgen konzentriert sich auf jeden einzelnen und auf seine momentane Beschäftigung.
Der Flüchtling Iordanis, vom Beruf her Ziegelmacher, geht hinauf an seinen Lieblingsplatz,
eine kleine Dachterrasse, wo er den größten Teil seiner Freizeit verbringt. Maria, die Frau
eines Heizers, deren Mann seit Jahren auf See fährt und die daher alleine lebt, arbeitet an ihrer
Stickerei. Voula, die Frau von Babis, versucht, sich selbst die Haare zu schneiden, während
Jiannis, der älteste Sohn von Iordanis, über seinen Büchern sitzt. Er hat gerade das
Gymnasium abgeschlossen und schreibt nun Liebesbriefe an Dora, ein unverheiratetes und
sehr lebhaftes junges Mädchen hier im Hof. Außerdem treffen wir im Hof die Frau von
Iordanis an, Asta. Sie ruft immer wieder nach ihrem kleinen Sohn Joakim, der vom Spielen
zurückkommen soll, doch er wird kein einziges Mal auf der Bühne erscheinen.
Annetto ist eine sechzigjährige Witwe, deren Tochter nach England geheiratet hat. Sie packt,
um nach Paros zu fahren - sie stammt von dieser Insel. Sie überlegt sich sogar, ihr Zimmer
unterzuvermieten. Als sie dieses Vorhaben den anderen Frauen im Hof mitteilt und sagt, daß
sie schon einen Interessenten hat, geraten diese außer sich und verlangen von ihren Männern,
ihn zu vertreiben, bevor er sich überhaupt einnisten kann. Währenddessen stürmt Babis auf
die Bühne, mit Geld in der Tasche und Geschenken in den Händen. Gutgelaunt möchte er
seine Frau überreden, einkaufen und sich amüsieren zu gehen. Nun kommt auch Stratos, der
neue Untermieter, und fragt nach Annetto. Doch als er sieht, daß das zu vermietende Zimmer
keinen direkten Ausgang auf die Straße hat, sondern nur über den Hof zu betreten ist, reagiert
auch er skeptisch, ähnlich wie die Frauen im Hof, er möchte gleich wieder gehen. Als Stelios
erscheint, bitten die Frauen ihn sofort, diesen Mieter zu entfernen, und er verspricht es ihnen.
In dem Moment läuft ein junger Mann dazu, der hinter Stelios her ist. Er wirft ihm vor, er
hätte ihm eben beim Kartenspiel im Café 20 Drachmen gestohlen, und möchte diese
wiederhaben. Stelios tut so, als wüßte er von nichts, worauf ihn der andere verprügelt.
Da dies alles im Beisein von Stelios' Frau Olga geschieht, welche glaubte, ihr Mann habe
definitiv mit dem Spielen aufgehört, sieht Stelios keine andere Möglichkeit, sich zu wehren,
als, nach der Gerichtsbarkeit zu rufen. Es ist Stratos, der neue Untermieter, der nun den
jungen Mann mit Faustschlägen bearbeitet und vom Hof jagt.
Die Episode mit dem jungen Mann, der Stelios verfolgt, hat vielfache dramaturgische
Funktionen. Sie stellt uns Stelios vor, eine der wichtigsten Figuren im Stück, und weist auch
gleich auf eine seiner hervorstechendsten Eigenschaften, daß er nämlich ein Spieler ist, und
das in einem Maße, daß er sich gleich zu Beginn des Stückes vor allen Bewohnern des Hofes
lächerlich macht. Außerdem bekommt Stratos damit eigene Charakterzüge. Er ist ein neuer
258
Es ist eigentlich irreführend, bei diesem Stück überhaupt von Haupt- und Nebenfiguren zu sprechen. Hier
sind die auftretenden Charaktere alle fast gleich wichtig, was den Aufbau des Stückes betrifft. Es ist nur der
Fortgang der Geschichte, der es unumgänglich macht, daß einige wenige von ihnen häufiger in den
Vordergrund treten.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 64
Bewohner des Hofes, der anfangs die 'Sippe' der Hofbewohner zu bedrohen scheint. Dennoch
gelingt es ihm, seinen Verbleib im Hof sicherzustellen, da er sich auf äußerst mutige Weise
für einen anderen Hofbewohner einsetzt, indem er jemanden vertreibt, der für die
Gemeinschaft noch bedrohlicher ist als er selbst. Damit ist auch schon ein wichtiger Kontrast
im Verlauf des Stückes dargestellt: die Feigheit von Stelios gegenüber dem Mut von Stratos.
Teil B
Zwei Monate später, es ist ein Sonntag Morgen, sieht man wieder den Hof. Auch dieser Teil
des Stückes scheint wie mit einem flüchtigen Schnappschuß aufgenommen und verdeutlicht
die finanziellen Rahmenbedingungen der Menschen, die hier leben. Stelios spricht mit Stratos
und Dora darüber, daß das Wetten bei Pferderennen eine gute Möglichkeit bietet, zu Geld zu
kommen, auch erzählt er, daß er während der deutschen Besatzungszeit zwei Läden hatte und
wie er sie verlor, und welche wunderbare Geschäftsideen er hat, die nur leider aufgrund von
Kapitalmangel nicht verwirklicht werden können.
Mangel an Geld ist es auch, der das Paar Babis und Voula, das in der vorigen Szene noch so
harmonisch aufgetreten war, nun streiten läßt. Enttäuscht von seiner finanziellen Lage und der
hohen Arbeitslosigkeit beginnt Babis nun ein Gespräch mit Stelios, in dem sie die
Möglichkeiten einer Auswanderung nach Australien erörtern. Sie beschließen, Babis solle als
erster gehen, dann würde ihm Stelios in dieses Land folgen, welches ihnen wie das Gelobte
Land vorkommt, in dem alle ihre Probleme gelöst sein werden. In diesem Moment, in dem die
Spannung sehr hoch ist, wird ein Brief gebracht, der sich an alle Bewohner des Hofes richtet
und ihnen Freude macht. Er ist von Annetto, die ihnen Grüße von der Insel schickt und sie
vereint, indem sie sie alle "meine Kinder" nennt und kleine Geschenke dazu verteilen läßt.
Gerade jetzt, als den Bewohnern des Hofes klar wird, daß sie in Armut leben und wenige
Chancen auf Besserung ihrer Lebensumstände haben, kommen von draußen, aus der fremden
Welt, zwei Unbekannte dazu. Sie stellen sich in dieser theatralischen Szene den Bewohnern
des Hofes gar nicht erst vor, sondern stürmen einfach herein und fangen sofort an, das
Grundstück auszumessen, zu dem auch der Hof gehört. Die Bewohner des Hofes erfahren
nun, daß dieses Grundstück verkauft wurde und daß der ganze Häuserblock, in dem auch sie
wohnen, abgerissen werden soll. Auf diese Weise wird die wirtschaftliche Lage mit einem
Mal noch schlechter. Doch die Bewohner des Hofes nehmen dies als Schicksalsschlag und
kehren zu ihren bisherigen Problemen und Beschäftigungen zurück.
Babis möchte aus dem Hof ausziehen und sich von Voula trennen. Iordanis macht seine philosophischen Kommentare zu dem ganzen Geschehen, indem er von der göttlichen
Gerechtigkeit spricht, welche die ganze Himmelswelt für die Gerechten geschaffen habe, und
die materielle Welt als Strafe für jene, die ungerecht handelten. Stratos gibt Stelios Geld zum
Kartenspielen. Stelios kann damit nicht aufhören, da er fest überzeugt ist, damit bald seine
schwierige Vermögenslage zu verbessern. Auf diese Weise vergißt er, daß er nicht imstande
ist, sein finanzielles Problem selbst zu lösen. Olga hat inzwischen eine ehebrecherische
Beziehung mit Stratos begonnen, sie möchte ihrem Liebhaber aber nicht erlauben, daß er
demütigend über ihren Mann spricht. Olga und Stratos verlassen gemeinsam den Hof. Dieses
Mal geht Stelios aber nicht zum Kartenspielen in das Café. Er kehrt in den Hof zurück,
nachdem er auf der Straße Babis trifft, den er zu überreden versucht, er möge sich doch
wieder mit seiner Frau versöhnen.
Als das geschieht und Babis und Voula wieder zueinander zurückkehren, löst das bei Stelios
eine Krise der Selbsterkenntnis. Es gefällt ihm zwar nicht, daß seine Frau gerade wieder
gegangen ist und er nicht weiß, wo sie sich überhaupt aufhält. Dennoch rechtfertigt er sie,
eingedenk der vielen Male, wo er selbst ihr Kummer zufügte, die ihm selbst durchaus bewußt
sind. Stelios greift die Idee von Australien und von der Auswanderung wieder auf, er stellt es
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 65
dar als ein Land, welches ihn von seinen Problemen befreien wird und von der Lächerlichkeit,
in die ihn sein Geldmangel treibt. Er ist sich sicher, daß dieses Land ihn freudig empfangen
wird, da er doch so ein guter Mensch sei. Dann würde auch seine Beziehung zu Olga wieder
eine ganz neue Grundlage bekommen.
Teil C
Dieser Teil spielt eineinhalb Monate später an einem Abend im Hof, im Vordergrund steht die
Liebesbeziehung von Stratos und Olga. Es ist die Tageszeit, zu der alle Bewohner des Hofes
abwesend sind, die Babis und Voula nutzen, um nach Australien abzureisen. Die Anteilnahme
der Anderen an ihrer Abreise symbolisiert sich in ihrer Abwesenheit. Babis und Voula sind
diejenigen, die es schaffen werden, zu fliehen - wovon alle anderen Bewohner des Hofes
heimlich oder offen träumen. Zum gleichen Zeitpunkt treffen sich Stratos und Olga heimlich,
doch vor den Augen der Zuschauer, im Hof, um ihre Beziehung zu besprechen. So werden wir
Zuschauer Zeugen der Zärtlichkeit, die zwischen diesen beiden Verliebten besteht. Diesmal ist
es Olga, die die Initiative dazu übernimmt. Danach sehen wir, wie Stratos sich bemüht, sie
zum gemeinsamen Auszug vom Hof zu überreden. Dies scheitert aber an dem Gefühl des
Mitleids, welches Olga für ihren Mann hegt.
Um den Mythos weiter zu bündeln, kommt ein anderer Vorfall hinzu. Anneto möchte versuchen, Stratos aus dem Zimmer zu vertreiben. Sie droht ihm dabei, indem sie andeutet, daß sie
über seine Beziehung zu Olga Bescheid weiß. Stelios kehrt in den Hof zurück; er ist niedergeschlagen, weil er es verpaßt hat, sich von seinem Freund Babis zu verabschieden. Er trifft
Stratos, und in dem Gespräch der beiden Männer, das jetzt folgt, zeigt sich ein weiterer
Charakterzug von Stelios. Voll romantischer Schwärmerei spricht er von seinem starken
Wunsch, ebenfalls nach Australien zu gehen. Stelios ist nicht nur ein Schnorrer und unfähig,
ein Geschäft aufzubauen, sondern auch zärtlich und romantisch, und er denkt sehr ernst über
das Glück seiner Familie nach. Indem dieser Charakterzug von Stelios beleuchtet wird,
gewinnt diese Szene an dramatischer Tiefe.
Nun rückt wieder ein anderes zentrales Motiv des Stückes in den Vordergrund. Asta und
Iordanis unterhalten sich über die Bauingenieure, die wieder in den Hof gekommen waren und
weiter vermessen hatten. Stelios kommt aus seinem Zimmer und hält in der Hand eine Halskette mit einem Kruzifix, die er dort gefunden hat. Sie gehört Stratos. Auf seine Verwunderung über diesen Fund reagiert Annetto, indem sie ihm von der Beziehung zwischen Stelios
und Olga erzählt. Stelios möchte weitere Beweise, denn allmählich werden ihm einige Dinge
klar. Sobald Annetto alleine bleibt, stellt sie in einem Selbstgespräch dar, auf welch gemeine
Weise ihr Schwiegersohn in England sie vertrieben hatte, als sie ihre Tochter besuchen wollte.
Mit diesem Kunstgriff möchte der Autor ein Alibi für ihre verbitterte Klatschsucht geben.
Offensichtlich war in England auch nicht alles so friedlich und schön, wie sie es am Anfang
des Stückes und bis jetzt immer wieder dargestellt hatte. Währenddessen nimmt diese Szene
einen dramatischeren Verlauf, als Babis und Voula zurückkehren, doch nicht aus Australien,
sondern vom Hafen von Piräus. Der Mann, der ihnen versprochen hatte, Pässe zu besorgen,
hatte sie betrogen. Wie der Chor in der antiken Tragödie scharen sich die anderen Bewohner
des Hofes um sie und versuchen, herauszufinden, was geschehen ist, um das tragische
Geschehen begreifen zu können.
Inzwischen hat Stratos sich auch aus anderen Quellen bestätigen lassen, daß sein Verdacht,
Ehefrau Olga sei ihm untreu, berechtigt ist. Mit diesem Wissen kehrt er heim und mischt sich
unter seine aufgeregten Freunde. Er sagt voller Verwunderung: "Aber warum denn - Australien ist doch da!" (Stelios, S. 163). Dann wendet er sich an Stratos und verlangt von ihm eine
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 66
Erklärung unter Männern bezüglich seines Verdachts, von dem er inzwischen überzeugt ist.
Als Antwort wirft ihm Stratos Geld ins Gesicht. Das ist die tiefste Demütigung, den der
Liebhaber dem betrogenen Ehemann vor den Augen aller zufügen kann. Stelios ist nun ganz
am Ende. Er hat alles verloren, außer seinem Ehrgefühl und einem Messer. Wir stehen vor
dem Höhepunkt des zweiten dramatischen Vorfalls dieser Szene, als Stelios geht. Er stürmt
davon, das Messer in der Hand.
Teil D
Einen oder zwei Monate später, an einem Abend. Kurz vorher hatte es geregnet. Gepäckballen
in der Mitte des Hofes zeigen, daß die Bewohner dabei sind, auszuziehen. Sie werden
gezwungen, ihre Behausungen zu verlassen, sie werden vertrieben. Es ist der Abschluß des
Stückes. Das Schicksal, das sich schon lange vorher angekündigt hatte, ist nun
hereingebrochen, wir befinden uns gewissermaßen auf der Zielgeraden. Die vorherrschende
Anwesenheit der Bauingenieure zu Beginn dieser Szene machen es sehr deutlich. Sie haben es
eilig, ihren Auftrag zu erledigen: Sie müssen die Bewohner aus dem Hof herausbekommen,
damit der Abriß des Gebäudes rechtzeitig durchgeführt werden und das neue Bauvorhaben
beginnen kann.
Iordanis ist der letze, der sich noch festklammert. Er sitzt auf seiner kleinen Terrasse und weigert sich, zu gehen. Diese letzte Stunde ist für alle Anlaß, sich nochmals ihren Träumen zu
stellen. Neben ihren Klagen über die Vertreibung zeigt sich auch die Hoffnung auf einen
neuen Anfang. Annetto stellt sich vor, für immer auf ihre Heimatinsel Paros zurückzukehren.
Jiannis verabschiedet sich von Dora und erzählt ihr, er habe sich immer gewünscht, Hafenwächter zu werden. Dora sagt, sie habe sich immer eine Karriere beim Film erhofft. Jiannis'
Liebe zu Dora bleibt weiterhin unausgesprochen. Babis bedauert, daß Stelios abwesend ist.
"Wenn er jetzt hier wäre, wäre alles anders. Wir würden nicht so ... er würde sagen ... er
würde sagen, daß ... ich weiß nicht, was er sagen würde, aber etwas würde er sagen, und alles
wäre anders ... wir würden hoffen, wir kämen irgendwohin, wo es besser wäre ... vielleicht mit
einem Witz, vielleicht mit einer Lüge ... vielleicht, weil er ein Schaumschläger war, ein
Traumtänzer ... irgend etwas mischte er den Dingen bei, und sie wurden erträglich ... ach,
Stelios ..." (Babis, S. 175). Babis, der früher vom Auswandern träumte, weiß nun, daß er
hierbleiben wird und sich bemühen wird, in seinem Land zu überleben. Das gleiche verspricht
auch Jiannis. Die Liebe zum Heimatland wird wieder stark. Auch wenn dieses Land ihnen
keine Arbeit bietet, keine Wohnung und keine Möglichkeiten, Wurzeln zu schlagen, sie
bleiben ihm weiter treu. Die Sozialkritik dieser Menschen, die so viel erdulden mußten und
doch voll Hoffnung sind, bekommt eine besondere Tiefe.
Die folgende Episode ist dramaturgisch besonders raffiniert. Der Briefträger kommt und hat
einen Brief für Stelios. Mit diesem Trick werden wir davon informiert, daß Stelios nicht mehr
lebt. Die Episode hat aber auch noch eine andere Funktion. Babis verbietet Olga, den Brief in
Empfang zu nehmen, da er der Meinung ist, daß sie der eigentliche Auslöser für dessen Tod
ist. Maria dagegen unterstützt sie und redet ihr zu, sie solle ruhig tun, was sie selbst wolle.
Durch Hinzukommen des Briefträgers werden die Zuschauer nicht nur über den Tod von
Stelios informiert, sondern sie bekommen auch die Reaktionen der anderen Personen darauf
mit. Was sich daraufhin begibt, war zu erwarten. Stratos und Olga trennen sich. Das ungeschriebene Gesetz der Hofgemeinschaft trifft in ihr Gewissen und läßt nicht zu, daß sie
zusammenbleiben. Sie verabschieden sich voneinander, indem sie ihre Liebe nochmals
deutlich aussprechen. Doch nach dem Selbstmord von Stelios muß wenigstens ihre
Liebesbeziehung dem Toten zum Opfer gebracht werden.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 67
Nun versuchen alle, Iordanis davon zu überzeugen, daß er seine Terrasse verlassen soll. Nachdem sich auch ein Polizist an diesen Bemühungen beteiligt, läßt er sich überzeugen.
Schließlich sind alle in der Mitte des Hofes vereint. Der Autor möchte sie so als eine Arche
Noah der griechischen Werte zeigen, die am Verschwinden sind. Die Bewohner des Hofes
werden nun aus ihrem kleinen Ort geworfen, der zerstört wird. Sie verstreuen sich in alle
Winde, an neue Orte, sie suchen nach einem neuen Leben. Doch nicht einmal in diesem
Moment verlieren sie ihren Optimismus. Iordanis ist nun der vorderste, der auf zu neuen
Ufern drängt. Vertrieben, doch hoffend.
In dieser gemeinschaftlichen Flucht oder ihrem Abtreten ist auf beste dramaturgische Weise
ihre Geschichte verpackt: vor ihnen die Vergangenheit, hinter ihnen das Jetzt und weiter
hinten die Zukunft: vorne Iordanis, hinten die Personen des mittleren Lebensalters und ganz
hinten der junge Jiannis.
So versammeln sich typische Vertreter des neugriechischen Lebens zu einem neuen Anfang.
Sie gehen, um im letzen Bild des Stückes die Nachfolgenden zu zeigen; die Bauingenieure,
optimistisch und mit einem Kinderlied auf den Lippen. Mit diesem Abschluß wird die Stimmung deutlich leichter.
3.4.7 Die Suche nach dem 'typischen Griechen' in den düsteren 50er Jahren
in einem Puzzle von Einzelpersonen
Diese Suche war die treibende Kraft beim Schreiben dieses Stückes, meinte Kambanellis: Die
Charaktere und ihr Zusammentreffen untereinander und mit dem Dramatiker. "Der Anstoß zu
den Stücken, die ich geschrieben habe, ist nie eine Geschichte. Es ist die Person, die eine
Geschichte macht ... wenn es zehn Personen sind, so sind es auch zehn Geschichten, mit
denen man es zu tun hat."259
Die Figuren, deren Geschichte Kambanellis in diesem Stück zum Thema macht, sind ihm
besonders vertraut. Er mußte sie nur soweit bearbeiten, daß sie dramaturgisches Interesse
wecken würden. " 'Der Hof der Wunder' ist eine Welt, die ich von der Terrasse meiner Wohnung aus sehen konnte. Das alleine reichte natürlich nicht. Ich mußte noch begreifen, welches
das gemeinsame Schicksal all dieser Menschen war. Als ich ihr gemeinsames Schicksal innerhalb eines gegebenen Raumes begriffen hatte, nämlich innerhalb unseres Landes, und als ich
verstanden hatte, was diese Menschen als Teile des Volkes darstellen, da konnte ich den 'Hof
der Wunder' schreiben".260
Der Autor nutzt die Tatsache, daß sich das Leben dieser Menschen an einem gemeinsamen
Ort abspielt, um so eine große Zahl von Mitgliedern der griechischen Gesellschaft
darzustellen, eine möglichst repräsentative Auswahl. Besondere dramatische Dynamik
entfaltet sich in diesem Mikrokosmos des Hofes, weil die Bewohner sich vom Charakter her
in vieler Hinsicht unterscheiden. Sie ergänzen sich gegenseitig, und jeder einzelne hat eine
reichhaltige Persönlichkeit mit inneren Widersprüchen.
Im Mikrokosmos dieses Hofes bildet sich ein Panorama von Handlungsschemata, die für die
griechische Gesellschaft ausschlaggebend sind. Mit Authentizität und ohne Beschönigungen
stellt dieses Stück die griechische Gesellschaft der Gegenwart dar.
259
260
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): In zweiter Person (Σε δεύτερο πρόσωπο). Interview mit
Antonis Fostieris (Αντώνης, Φωστιέρης) und Thanassis Niarchos (Θανάσης Νιάρχος), Zeitschrift "I Lexi" (Η
Λέξη), Heft 34, Mai 1984, S. 369 - 375, hier S. 371.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 13, hier S. 40.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 68
Oft ist es so, daß Kunst, die unverfälschter Ausdruck der Umgebung ist, in der sie entstand,
auch die Stärke hat, weltweit anerkannt zu werden. "In 'Der Hof der Wunder' hat der Grieche
aufgehört, sich wie in einem Sittengemälde schablonenhaft zu verhalten. Obwohl die
Handelnden eindeutig Griechen sind, haben ihre Konflikte doch einen allgemeinerern
Horizont erreicht. Ich glaube, dies ist ein besonderer Vorzug dieses Stückes. Es ist deutlich,
daß Maria, Iordanis, Stelios und Babis in ähnlicher Weise mit Problemen konfrontiert werden,
wie die Menschen, die in den Vorstädten von London oder einer beliebigen anderen Großstadt
auf dieser Welt leben."261
Iordanis , der romantische Trinker
Iordanis ist ein armer Flüchtling aus Kleinasien262, der in einer Ziegelei arbeitet. Er hat die
Angewohnheit, sich auf seine kleine Terrasse zurückzuziehen, wo er seine freie Zeit zwischen
Wein und Philosophie verbringt. Von dort aus beobachtet er das Leben der anderen im Hof,
ohne selbst zu sehr daran teilzunehmen. Dennoch ist er überzeugt, diese Lebensweise
schützen zu müssen, wie er die Mäuse beschützt, indem er auf Katzen schießt. Auf seiner
'Sternwarte' sitzend, wie es die anderen Hofbewohner ausdrücken, erinnert Iordanis deutlich
an den alten Ekdal in Ibsens "Wildente". Er ist ein Gegenpol zu der Katastrophe des Abrisses,
der Bulldozer und Straßenwalzen, die diesen Hof bald hinwegfegen werden. Iordanis pflegt
seine kleine Terrasse als letztes Fenster zur Utopie, als Rückzugsmöglichkeit für jene uralten
Werte, die den Griechen heilig waren und die auch die Flüchtlinge aus ihren fernen
Heimatorten mitbrachten. Auf diesen Werten basiert im Wesentlichen der kulturelle Aufbau
des heutigen Griechenlands.263
Iordanis verleiht dem Stück eine einzigartig poetische Stimmung. Er, der in seinem Leben so
oft den Wohnort wechseln mußte, ist im Stück selbst sehr statisch. Er ist das Sinnbild des
Flüchtlingselends, und als solches gewinnt er an Format, wie er an seiner Terrasse festhält.
Gleichzeitig steht er für das kollektive Gedächtnis eines Volkes, welches im Laufe seines
Bestehens immer wieder Ortswechsel erlebte. Das Gewicht seiner Erinnerungen und der
Geschichte, die auf ihm lastet, lassen ihn die Gegenwart nicht deutlich sehen, er bleibt der
Vergangenheit verhaftet. Seine Worte sind die Essenz des menschlichen Leidens: "Höre mir
einmal zu. Mit meinem Schweiß sind Tausende von Dächern gebaut worden. Einen eigenen
Dachziegel, um mein Haupt zu bedecken, habe ich nicht. Was sagst du, mein Freund: Werde
ich gut bezahlt?" (Iordanis, S. 112).
Seine Kommentare werden noch heftiger, wenn er stumm, wortlos das Geschehen verfolgt.
Als symbolischer Ausdruck eines gemeinsamen Schicksals der Menschen, die in dem Hof
leben erinnert die Figur des Iordanis an den Chor in der antiken Tragödie, die Kommentare
tauchen mit poetischer Stimmung in die tiefe geschichtliche Erfahrung.264 Als die Bewohner
des Hofes verjagt werden, weigert sich Iordanis, die Terrasse zu verlassen. Er hält sich mit
Händen und Füßen an den Steinen fest. In dem Moment, wo er mit Gewalt fortgerissen wird,
ist auch das Schicksal des Hofes besiegelt. Da er nun erneut gezwungen ist, wegzugehen,
261
262
263
264
Kambanellis, Iakobos, wie FN 13, hier S. 50.
Iordanis gehört zu jenen Flüchtlingen, die 1922 aus Kleinasien vertrieben wurden, nachdem die Griechen dort
den Krieg gegen die Türkei verloren. Etwa 1,4 Millionen Flüchtlinge mußten daraufhin Kleinasien verlassen,
in dem ihre Vorfahren seit Jahrtausenden ansässig waren, und im relativ fremden "Mutterland", das selbst nur
insgesamt ca. 3 Millionen Einwohner zählte, integriert werden.
Die kleinasiatischen Flüchtlinge waren Träger einer hochentwickelten Kultur, deren Wurzeln bis in die
Antike reichten. Ihre Werte wirkten wie Hefe bei der Ausformung der neugriechischen Kultur.
Georgousopoulos, Kostas und Mavromoustakos, Platon, wie FN 214, hier S. 34.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 69
übernimmt er die Aufgabe, die anderen zu führen, und zwar nicht nur seine eigene Familie,
sondern die gesamte 'Familie 'des Hofes.
Asta, die Frau von Iordanis, ist ganz geduldige Mutter und Ehefrau. Sie ist die Quintessenz
des Guten, durch den menschlichen Schmerz gefiltert. Sie beklagt sich nicht und ist insgesamt
wortkarg, doch durch ihre geduldige Zärtlichkeit und ihre ständige Präsenz gelingt es ihr, die
Misere des Hofes erträglich zu machen. Sie hat nicht den Mut zu schreien. Selbst ihren
kleinen Sohn, der ständig außerhalb des Hofes spielt, ruft sie nur mit gedämpfter Stimme. Nur
zum Ende des Stückes, als auch sie mit den anderen Iordanis anfleht, von seiner Terrasse
herunterzukommen, äußert sie auf einmal eine eigene Meinung und stellt sich auf die Seite
ihres Mannes: "Er hat recht. Selbst wenn wir nur Wasser wären, hätten wir eine Bleibe
gefunden." (Asta, S. 171). Iordanis und Asta sind die beiden Zweige, um die der unerreichbare
Traum gesponnen wird. Da sie selbst diesen Traum nicht mehr hegen, sind sie weniger
tragische Figuren als die anderen, die noch lange in der Hoffnung, der Leidenschaft, der
Erwartung und der Enttäuschung leben werden.
Jiannis, der junge Hoffnungsträger
Jiannis ist der Sohn von Iordanis und Asta. Da seine Eltern sich dafür aufopferten, konnte er
das Gymnasium beenden. Er ist die Person, die dem Autor autobiographisch am nächsten
kommt. Die Auswege, über die er nachdenkt, sind realistischer als die der anderen Hofbewohner. Er ist vor allem Beobachter des Geschehens und nimmt selbst nicht oft teil. Er gibt sich
seiner platonischen Liebe an Dora hin und träumt davon, Hafenwächter auf einer Insel zu werden, wo sich dann auch seine Eltern würden ausruhen können. Der junge Jiannis ist das
Symbol des Fortschritts und der Hoffnung. Er sucht seine Zukunft innerhalb der Grenzen
seiner Heimat. "Es ist doch ein wunderbares Land! Doch wenn jeder meint, es sei nicht gut
genug, und es hinter sich läßt, was soll dann daraus werden?" (Jiannis, S. 180).
Joakim - die entfernte Hoffnung
Joakim ist der zehnjährige Sohn von Iordanis und Asta. Wir sehen ihn kein einziges Mal auf
der Bühne, d.h. er entzieht sich dem ärmlichen Leben im Hof. Damit versinnbildlicht er die
dauerhafte Hoffnung auf ein schöneres Leben, die jedes Kind in sich trägt, auch für die
anderen Bewohner des Hofes.
Stelios - ein barfüßiger Held
Stelios stellt die Hauptfigur dieses Stückes dar. Er arbeitet als Schreiber in einem
Ministerium, nachdem er die beiden Läden, die er früher hatte, schließen mußte. Nun
verbringt er seine Zeit mit Kartenspielen und damit, sich Geschäftsideen auszudenken, die er
doch alle nicht umsetzen kann, da er nicht das nötige Geld hat. Stelios ist ein Träumer. Er
sehnt sich nach Wohlstand, da er seiner Frau, die er liebt, ein besseres Leben bieten können
möchte. Er ist Spieler, doch er hat auch Gefühle. Der Grundkonflikt, unter dem dieser Mensch
leidet, ist die Unvereinbarkeit von dem, was er zu werden träumt, und dem, was ihm in der
Realität möglich ist. Die Tragik entsteht dadurch, daß er sich dieser Lage bewußt ist, und daß
er sogar noch daran schuld ist, daß Olga ihn verrät. Er vermeidet die direkte Konfrontation mit
der Realität. Kleine Zufluchten sind für ihn das Kartenspielen und die Träumerei; schließlich
sieht er sich zum definitiven Abschied aus dem Leben gedrängt: zum Selbstmord.
Dieser Charakter ist in sich widersprüchlich. Träumer und kleiner Gauner, Liebender und Verratener, in der Falle Gefangener und doch auch großzügiger Mensch, aufgespalten zwischen
Logik und Gefühl, Liebe und Geld, Wahrheit und Lebenslüge. Ein Halunke, der doch auch an
das Wunder glaubt: "Ich glaube, wenn ich nur meinen Fuß auf Australien setze, werde ich
auch sofort die Sprache dort sprechen." (Stelios, S. 150). Stellvertretend für alle anderen
Personen in dem Stück verwandelt er das Drama aller zur persönlichen Tragödie. Er beendet
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 70
sein Leben in einer großen Geste, die den absoluten Glauben des Griechen an seine höchste
Tugend, das Ehrgefühl, bis zum bitteren Ende verdeutlicht.
Stratos - der Gegenpol zu Stelios
Stratos ist von Beruf Klempner und zieht neu in den Hof ein. Er steht für Einflüsse der
Außenwelt, die immer wieder das Gleichgewicht der Beziehungen zwischen den Bewohnern
des Hofes bedrohen. Er wird die Beziehung des Paares Stelios und Olga umwerfen. Stratos
verdient ausreichend Geld, ihm fehlt aber die Frau, um seine eigene kleine Ausflucht zu
finden. Er bittet Olga, mit ihm zusammen wegzulaufen, und begründet das so: "Ich möchte
nicht, daß du mir die Dinge, die du mir sagst, hier sagst. Es scheint mir, dann treten Asta,
Iordanis und dein Mann mit ihren schmutzigen Füßen darauf herum." (Stratos, S. 142). Stratos
ist das genaue Gegenteil von Stelios, dem Zocker. Er steht mit beiden Beinen auf den Boden
der Tatsachen und gewinnt Olga, indem er ihr Stetigkeit und Absicherung bietet. Er ist Realist
und Zyniker. Obwohl er in seiner Liebe zu Olga eine starke Romantik zeigt, so ist er doch
überzeugt, daß der Zweck die Mittel heiligt. Indem er Stelios lächerlich macht, treibt er ihn in
den Selbstmord.
Olga - eine Russin im Hof
Olga ist die Frau von Stelios. Sie stammt aus einer verarmten Adelsfamilie, die aus Rußland
einwanderte. Nach ihrem eigenen sozialen Abstieg fühlte sie sich bei Stelios abgesichert. Als
sie aber merkte, daß er Karten spielte, trank und vom Charakter her schwach und ängstlich
war, wandte sie sich Stratos zu. Eine unschuldige und sensible Figur, die schon von ihrer
Herkunft her besonders empfindlich ist: Olga ist eine Reminiszenz an Tschechow in diesem
Stück. In dieser Hofgemeinschaft ist sie ein fremdes Element.
Die Fluchtmöglichkeit, die sie wählt, ist der Verrat ihrer Ehe. Dennoch hofft sie eigentlich auf
eine gute Beziehung mit Stelios. Sie versucht, Ausreden für ihr Verhalten zu finden, indem sie
das Fehlverhalten ihres Mannes betont. Dennoch möchte sie eigentlich mit ihm
zusammenbleiben. Sie sieht sich als letzte Stütze auf dem Weg der Selbstzerstörung, den er
eingeschlagen hat. Die Verbindung zu Stratos ist nur eine vorübergehende Lösung, deswegen
geht sie auch nicht auf seinen Vorschlag ein, den Hof ein für allemal zu verlassen. Weiterhin
liebt sie einen idealisierten Stelios und träumt von ihm. Nach seinem Tod opfert sie das
Leben, das sie an der Seite von Stratos hätte führen können.
Annetto - die Klatschbase
Annetto ist eine sechzigjährige Frau, die nach dem Tod ihres Mannes und der Heirat ihrer
Tochter nach England hier alleingeblieben ist. Ihre Ausflucht ist der permanente Klatsch. Sie
träumt davon, auf ihre Heimatinsel zurückzukehren. Gleichzeitig spricht sie immer wieder
von einem idealisierten England. Manchmal werden ihre Kommentare dazu direkt komisch:
"Wir in England hatten überhaupt keinen Staub." (Anneto, S. 101). Der Klatsch, den sie
verbreitet, hat immer mehr vergiftende Wirkung. Ihr Alibi dafür ist der Schwiegersohns in
England, der sie angeblich bei ihrem Besuch dort schlecht behandelt und aus England
vertrieben hatte.
Babis und Voula - das verliebte Paar
Immer, wenn dieses Paar Geld zur Verfügung hat, weil Babis gerade Gelegenheitsarbeit
gefunden hatte, schwimmt es scheinbar im Glück. Sobald das Geld aufgebraucht ist, beginnt
der Streit, der oft auch in Prügeln gipfelt. Sie hoffen, ihre Probleme zu lösen, indem sie nach
Australien auswandern. Dabei werden sie von Mittelsmännern betrogen und müssen wieder
zurückkommen. Die Stimmungsschwankungen in ihrer Beziehung zueinander wie auch zu
den anderen Personen reflektieren ganz offensichtlich die psychologische Eigenart der
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 71
Menschen, die heute im griechischen Raum leben: in raschem Wechsel folgen aufeinander
Orkane und Sonnenschein. Babis verkörpert den Optimismus, weshalb er ja am Ende des
Stückes auch sagt: "Halt dich fest, Chef, andere sind schon fast auf dem Mond gelandet!"
(Babis, S. 186).
Dora - das Kokottchen
Das ist der kleine Schmetterling des Hofes. Mit ihrer jugendlichen Schönheit wird sie zum
Ziel der Sehnsucht von Jiannis. Auch sie hofft, daß sie durch ein Wunder eine Ausnahme sein
wird und das Unmögliche schaffen wird. Ganz im Ernst und voller Unschuld fragt sie Jiannis:
"Was meinst du, wäre ich gut im Film?" (Dora, S. 174).
Maria - die Seemannsfrau
Maria ist die Frau eines Heizers auf einem Dampfschiff, der ständig auf Reisen ist. Maria
leidet an dem Kummer eines Menschen, der lange Zeit alleine ist. Sie nimmt am Leben der
Mitbewohner im Hof teil, um darüber hinwegzukommen, wodurch sie dann ein eigenes Leben
findet, in dem die Rückkehr des Gatten nicht mehr wichtig ist.
Die Anderen
Als Kontrast zu den Bewohnern gibt es noch die anderen Menschen, die außerhalb des Hofes
leben. Sie versuchen, von den Früchten des neu beginnenden Lebens zu profitieren. Das sind
die Bauingenieure, die den Hof ausmessen, um seinen Abriß vorzubereiten. Es sind die
Gauner, die Babis und Voula betrügen. Dazu gehört auch der Polizist, der Iordanis von seiner
Terrasse vertreibt, und der junge Mann, der fragt: "Werden die Zargen verkauft?" (Junger
Mann, S. 182).
Indem er das Puzzle der griechischen Gesellschaft aus all diesen Personen zusammensetzt,
gelingt es Kambanellis, den typischen Griechen zu skizzieren und die Farben seiner
psychischen Welt darzustellen. Er zeigt auf, wie er sich im Laufe von für ihn wichtigen
Ereignissen verhält und versucht, die Widersprüche der griechischen Gesellschaft auf diese
Weise zu interpretieren. Ein Kritiker faßte die Quintessenz dieser Komposition in folgenden
Worten zusammen: "Sie leben in einem Gefängnis. Dennoch träumt jeder davon, aus diesem
Gefängnis zu entkommen. Der eine geht dafür in Richtung Australien, der andere in Richtung
Liebe. Freilich ist der graue Schleier, der ihren Alltag bedeckt, ihnen so fest angeheftet, daß
keiner das ersehnte Leben erreicht, zu welchem das einzigartige, idealisierte und einsame Ich
strebt."265
3.4.8 Das Milieu der Hofbewohner
Das Theaterstück "Der Hof der Wunder" und konsequenterweise der Raum, in dem es spielt,
nämlich der Hof, werden von Menschen bewohnt, die einer einfachen sozialen Schicht
angehören. Der Autor selbst erklärt, warum: "Das einfache Milieu drückt die Charakteristiken
des Lebens stets am deutlichsten aus. Deswegen ist es kein Zufall, daß ich dieses Stück dort
angesiedelt habe."266 Diese Gesellschaftsschicht hatte es im Griechenland der 50er Jahre nicht
265
266
Federspiel, K.: Ein Hinterhof voller Talente. Kritik der Aufführung "Der Hof der Wunder" am MaxReinhardt-Seminar Wien. In: Arbeitszeitung, Wien, 21.06.1966.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 240. Um Athen herum wurden ganze Stadtviertel ausgewählt, in denen sich die
Flüchtlinge aus Kleinasien ansiedeln sollten, die sich in der Stadt zusammengefunden hatten. Sie mußten in
Baracken oder kleinen, selbstgebauten Häuschen leben.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 72
leicht. Sie hatte die Kriegsschäden aufzufangen und mußte den schrecklichen Bürgerkrieg
aufarbeiten. Der Kalte Krieg begann, die politische Intoleranz und ein ungezügelter
Fortschritt, der nicht für alle gleich war. Dazu kam Armut, die Misere, Arbeitslosigkeit oder
Arbeit, von der man nicht leben konnte, und ein starker Auswanderungsstrom.
Pierrat beschreibt die großen Probleme der einfachen Bevölkerung Griechenlands in jener Zeit
sehr knapp und doch deutlich, als er das Lied "Bewölkter Sonntag" bespricht: "Indem das
Griechenland der 50er Jahre das erschütterndste Lied von Tsitsanis zu seinem Triumph
machte, wählte es richtig. Denn was es lebt, ist nichts anderes als ein unendlicher
wolkenverhangener Sonntag, einer jener Tage mit instabilem Wetter, den Tränen nahe, wo
man in der Wohnung im Kreis geht wie in einem Käfig, wobei die einzige Perspektive ist, daß
wieder eine Woche kommen wird gleiche jener, die gerade zu Ende ging. Nach dem Gewitter
bringt uns die Geschichte eine ausgeblichene Vorstadt in Erinnerung, die Endstation einer
Bahnlinie, die schon lange stillgelegt wurde und wo kein Zug mehr fahren wird.
Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und die Erwartung möglicher Auswanderung erhöhen
das Gewicht der Stunden und unterstreichen noch mehr, wie sehr alles im Schlamm steckt."267
Dies sind die Grenzen, innerhalb derer sich die Welt der Bewohner des "Hofes der Wunder"
abspielt. Dies sind die Bedingungen, unter denen sie leben. Dies ist der realistische Teil ihres
Lebens, denn natürlich gibt es auch noch einen anderen, den Teil des Traumes, welchen jeder
für sich auch zur Realität hinzufügen möchte, um diese erträglich zu machen.
Die Personen des Stückes wohnen in Zimmern oder Wohnungen, die auf einen gemeinsamen
Hof eines kleinen Hauses im Athener Stadtteil Vironas hinausgehen. Einige von ihnen sind
Flüchtlinge (die Familie von Iordanis), andere sind auch durch Binnenwanderung nach Athen
gelangt.
3.4.9 Einsatz der multifokalen Technik
In seinem Buch "Jenseits des Absurden" beschreibt M. Esslin268 die Merkmale des für den
Naturalismus grundlegend wichtigen Stückes "Die Weber" von Gerhart Hauptmann. Er zeigt
auf, wie es dem Autor gelingt, in einer Reihe von Vorfällen, die nur locker aneinandergereiht
sind, und in einer Ansammlung von Charakteren, die aus der Menge auftauchen, um danach
wieder darin zu versinken, nicht nur das Schicksal einer einzelnen Person, sondern einer
ganzen gesellschaftlichen Klasse darzustellen. Esslin nennt diese Technik multifokal und
nennt weitere Beispiele dafür: "Nachtasyl" von Maxim Gorki, "Straßenszenen" von Elmer
Rice und "Der Eismann kommt" von Eugene O'Neill.
Kambanellis stellt in seinem Stück "Der Hof der Wunder" die griechische Adaption dieser
Technik in der Dramaturgie dar. Beim genauen Hinsehen kann man feststellen, daß alle Kriterien, die Esslin für diese Methode angegeben hat, erfüllt sind. Kambanellis setzt die
multifokale Technik ein, indem er die technischen Möglichkeiten, die ihm der szenische
Raum bietet, also den Hof, so weit wie möglich ausnutzt. Diese Möglichkeiten waren ihm ja
schon durch die Erfahrungen mit seinem Stück "Der siebte Tag der Schöpfung" vertraut.
Damals hatte der Autor sich besonders auf das Leben einer Familie konzentriert, wozu noch
einige Mitbewohner kamen. Zentrales Interesse waren die Leidenschaften und Geschehnisse
innerhalb der Familie, während die Mitbewohner nur in dem Maße wichtig waren, wie sie das
267
268
Pierrat, Gérard: Théodorakis, le roman d'une musique populaire. Paris 1977. Übersetzung ins Griechische von
Kritikos, Jiannis (Κρητικός, Γιάννης): Die Legende einer Musik des Volkes (Ο θρύλος της λαϊκής µουσικής).
Athen 1979, S. 110.
Esslin, Martin: Jenseits des Absurden. Aufsätze zum modernen Drama. Übersetzung aus dem Englischen ins
Deutsche von Marianne Falk. Wien 1976, hier S. 99.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 73
Leben der Hauptpersonen mit beeinflußten. Im "Der Hof der Wunder" dagegen sind alle
Bewohner des Hofes gleich interessant, auch wenn sie unterschiedlicher Herkunft sind und
teilweise auch untereinander nur schwache Bindungen haben. Was der Autor durch den
Einsatz dieser Technik in seinem Stück gewinnt, ist vor allem die Schaffung eines
Gesamttheaters, in dem eine ganze Gruppe von Menschen beleuchtet wird. Dadurch entsteht
eine "einzigartige szenische Poesie".269
3.4.10 Die Dynamik des Raumes
Der Ort des Hofes mit seinem geschichtlichen Hintergrund und der Bedeutung, die er besonders für das griechische gesellschaftliche Leben hat, wurde schon im Zusammenhang mit dem
ersten Stück der "Trilogie des Hofes", dem "Hof der Wunder", erörtert. Er kann eine immense
dramaturgische Bandbreite einnehmen. In diesem Stück geht Kambanellis auf das starke theatrale Potential dieses Ortes ein und nutzt es vielfältiger als bisher270.
Hier kamen Menschen zusammen, die eine unterschiedliche Herkunft hatten und die doch
gezwungen waren, in diesem Raum eine Art Wohngemeinschaft bildeten. Hier hängten sie
ihre Leintücher auf, verliebten sich, tranken Kaffee, lebten ihre Leidenschaften aus, und das
alles stets unter den Augen der Nachbarn. An diesem Ort konnte man den Rhythmus im Leben
dieser Menschen fühlen, denn hier schlug das Herz ihres Hauses. Schon an den szenischen
Anweisungen, die Kambanellis am Anfang des Stückes gab, sieht man, wie wichtig es ihm
war, die reichen theatralen Möglichkeiten dieses Stückes auszuschöpfen, und auch die
vielfältigen menschlichen Beziehungen, die darin entstanden, darzustellen. So schreibt er
anfangs über den Raum: "Es soll der Eindruck entstehen, daß der Raum vor Leben nur so
wimmelt, daß das Leben hier unverpackt und lose ausgebreitet wurde." (Szenische
Anweisungen, S. 96).
Den Griechen ist der Hof ein vertrauter Raum, wie auch alle offenen Räume zur Leinwand
werden, vor der sich die mannigfaltigen Manifestationen ihrer Seelenzustände darstellen. Das
psychische Leben der Menschen im Hof kann insofern als reich charakterisiert werden, was in
einem deutlichen Gegensatz zu ihrer materiellen Lage steht. So bietet dieser Raum genau die
Theatralik und Dynamik, die nötig sind, um auch die Dynamik der menschlichen Beziehungen
aufzuzeigen, die hier hervorgebracht werden und die als eine Reflexion des mediterranen
Temperaments weiterentwickelt werden. Egal, ob die Bewohner des Hofes im Zuge der
Landflucht von ihrem Dorf kommen oder aus fernen Städten, aus denen die Zeitgeschichte sie
hinauskatapultiert hat: die Entwurzelten sind anpassungsfähig, sozial und neugierig auf das
Neue. Diese typischen Eigenschaften, die vom Milieu des Hofes nicht nur erhalten, sondern
sogar noch verstärkt wurden, wurden hier mit der Sympathie und Anteilnahme am Problem
des Anderen verwoben.
Aus dramaturgischer Sicht ist es besonders interessant, daß die Menschen, die auf der Suche
nach einem besseren Leben vom Land in die Stadt kamen, und die dort ähnlich wie die
Flüchtlinge mit großer Enttäuschung feststellen mußten, daß nur Elend und Demütigung auf
sie warteten, dennoch an ihren Werten festhielten, so etwa dem Ehrgefühl, der gegenseitigen
Hilfe und der gemeinsamen Anteilnahme an den Problemen aller im Überleben.
269
270
Esslin, Martin, wie FN 268, S. 105. Die Darstellung einer einzigartigen szenischen Poesie ist für Esslin die
wichtigste Leistung des neorealistischen Theaters.
Platon Mavromoustakos beschäftigt sich in seiner Dissertation ausführlich mit der Dynamik des Raumes in
der griechischen Dramaturgie nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei geht er besonders auf die Dynamik des
Raumes in Kambanellis' Stück "Der Hof der Wunder" ein. Mavromoustakos, Platon: Espace dramatique dans
le théâtre Néohellénique contemporain. Thèse de doctorat de 3e cycle, Université de Paris III, 1987.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 74
Seitdem wurde der Raum des Hofes zu einem Zufluchtsort, in dem diese Menschen
versuchten, sich gegen die marginalisierenden Tendenzen des gesellschaftlichen Systems zur
Wehr zu setzen. So wurde dieser Ort ein idealer Hort, um die Werte zu stärken, die im
gemeinschaftlichen Leben notwendig sind. An diesem Ort entwickelte sich eine besondere
Form von Demokratie . Jeder breitete vor den anderen seine persönlichen Probleme und
Fragen aus und wartete auf die Einschätzungen der Gemeinschaft. Diese wiederum beteiligte
sich an seinem Drama und versuchte, soweit möglich, ihn zu unterstützen.
Dieser Raum stellte ein Zwischenglied dar zwischen dem erdrückend engen kleinen Raum im
Hintergrund und der harten Gesellschaft, die außerhalb des Hofes lauert. Er hatte den Effekt
einer Druckausgleichskammer für seine Bewohner. Entgegen den harten Gesetzen des
Marktes konnte innerhalb des Hofes das menschliche Element erhalten bleiben. Im Hof
geschah noch das Wunder des gemeinschaftlichen Lebens, hier war noch Raum für Träume
gegeben. In dem Moment, wo die humanistischen Werte von der neuen Zeit niedergewalzt
wurden, verwandelte sich der Hof in eine Arche Noah, in der dies Werte einen letzten
Zufluchtsort fanden.
Sowie Stratos in das Stück eintritt, lädt Iordanis ihn ein, gemeinsam ein Glas zu trinken, um
zumindest diese banale Erfahrung einmal miteinander erleben zu können. Olga gibt allen Anwesenden bekannt, daß Stelios versprochen hat, mit dem Kartenspielen aufzuhören, was sich
als wenig glaubhaft herausstellt. Ebenso wird Stelios vor allen anderen von dem jungen Mann
lächerlich gemacht, und alle werden Zeuge, wie Stratos ihn zu unterstützen versucht. Babis
und Stelios fassen gemeinsam den Entschluß, nach Australien auszuwandern.
Babis mag Stelios vorwerfen, er nähme nicht einmal Ratschläge an, doch er ist es auch, der
am Schluß des Stückes heroisch das Andenken an ihn verteidigt und daran erinnert, welchen
seelischen Reichtum dieser doch besessen hatte. In einer einheitlichen Bewegung
verabschieden die Bewohner des Hofes Babis und Voula, als sie nach Australien abreisen, und
genauso sind alle gemeinsam traurig und enttäuscht, als die beiden unverrichteter Dinge
zurückkehren und eingestehen müssen, daß es ihnen nicht gelungen war, zu fliehen.
Am Ende ist auch der Abgang aller gemeinsam, mit dem sie nach einem Neuanfang suchen.
Die Wege, die die einzelnen Personen gehen, kreuzen und treffen sich immer wieder. Ihr
Kummer, ihre Freude, ihr Schicksal sind gemeinsam. So wird der Hof zum öffentlichen
Raum.271 In dem Maße, wie der Hof zugebaut wird, ändert sich auch die psychische
Landschaft seiner Bewohner. Anders als in dem Stück "Der siebte Tag der Schöpfung" macht
Kambanellis hier von der gesamten Mythologie jener Zeit Gebrauch, die ja inzwischen auch
legendär geworden ist. So wurden damals im griechischen Raum architektonisch sehr
interessante Denkmäler geschaffen, und daraus entstand ein besonderes Mikroklima, in dem
auch die menschlichen Kontakte eine ganz bestimmte eigene Prägung bekamen. Kambanellis
beschreibt gewissermaßen den Schwanengesang des Lebens im Hof, bevor dieses ausstirbt. Es
ist der Moment, wo die seelische Befindlichkeit der Menschen sich zum letzten Mal
ausdrückt.
Die neue Art von Beziehungen, die sich im Anschluß dort entwickeln werden, wo bisher die
Höfe waren, werden schon angedeutet in der Art, wie die Bauingenieure dazukommen: Sie
brechen brutal mit ihrem Zollstock herein. Die Behausungen der Menschen, die in dem Hof
leben, nehmen sie nur als Baugrund war. Deswegen sagt der eine von ihnen ganz ohne
Zögern: "Ist das Grundstück schon verkauft worden?" (Erster Bauingenieur, S. 127). Das
271
Kambanellis, Iakobos, wie FN 13, hier S. 45.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 75
Drama der Aufwertung272 beginnt. Aufwertung und Raffgier auf Kosten des einfachen Bodens
werden ohne Unterschied Hinterhöfe und neoklassische Villen dahinraffen und an deren Stelle
Platz schaffen für Hochhäuser mit engen, kleinen Wohnungen. Dieser Wechsel ist für die
griechische Landschaft und das griechische Leben eine wahre Katastrophe. Griechenland wird
im Taumel der Gewinnmaximierung seine gewachsenen Werte für menschliche Beziehungen
über Bord werfen, die bis dahin gedeihen konnten, weil sich ein Hof oder sonstiger offener
Raum als gemeinsamer Aufenthaltsort anbot. Der Zollstock der Aufwertung hat gesiegt. Die
neue Architekturlandschaft entsprach weder ästhetisch noch in der Funktion als menschliche
Behausung der seelischen Verfassung des Griechen.
3.4.11 Das Leben als Traum: In Erwartung des Wunders
Die Bewohner des Hofes mögen außerhalb des Hofes alle ein hartes Leben führen, doch in
seinem Inneren finden sie einen Zufluchtsort, hier können sie ihre alten Werte noch
aufrechterhalten. Es ist der Zufluchtsort der Gemeinsamkeit und die Kraft der Einheit, die
ihnen hier den Rücken stärkt, da sie einem gemeinsamen Schicksal verhaftet sind. In dieser
Umgebung fühlen sich die Bewohner des Hofes zumindest sicher genug, um träumen zu
können. Sie warten auf das Wunder, doch das Wunder ist schon da: Das Wunder ist die
Tatsache, daß sie träumen können. Der Traum von Annetto besteht darin, daß sie nach
England gehen möchte, wo ihre verheiratete Tochter lebt. Nachdem sie von dort auch
enttäuscht wird, möchte sie zurück auf die Insel, von der sie stammt. Olga sieht in der Liebe
die Möglichkeit zur Flucht. Dora möchte entkommen, indem sie Filmstar wird. Stelios wählt
die kurzlebigen Fluchten in das Kartenspiel und den Alkohol. Nachdem er es von Babis
gehört hat, möchte auch er nach Australien auswandern, wohin Babis und Voula auf jeden
Fall gehen wollen. Jiannis träumt davon, in seine Liebe zu flüchten und mit Hilfe des Berufs
als Hafenwächter dem Hof entkommen zu können. Alle diese Träume werden enttäuscht.
Annetto wird von ihrem Schwiegersohn vertrieben und wird daher nicht in England bleiben;
Stelios bringt sich selbst um und hinterläßt seine Träume unvollendet. Babis und Voula fallen
Betrügern zum Opfer und müssen umkehren. Olga kann ihre Beziehung zu Stratos nicht aufrechterhalten, da sie ihren Mann verliert und sich Vorwürfe macht, mit an seinem Tod schuld
zu sein. Stratos, der die Tür dieses Hofes offenlassen möchte, um auch symbolisch jederzeit
davongehen zu können, ist stets zur Flucht bereit, da er von der Liebe enttäuscht wurde, wenn
er auch beruflich einigermaßen abgesichert ist. Die Enttäuschung all dieser Personen wird um
so interessanter, je mehr der Traum an Dynamik zunimmt. Sie glauben an ihre Kraft, zu träumen. Deswegen weigert sich ja auch Iordanis, seine Terrasse zu verlassen. Er befürchtet, dann
auch die Freiheit des Traumes zu verlieren, dem er dort nachhängt. Hier konnte er an seinem
Weinglas nippen, zu den Sternen hochsehen und über die Vergangenheit nachsinnen. Schließlich war er auch der älteste der Bewohner des Hofes. Bemerkenswert ist, daß die
Hofbewohner sogar dann noch träumen, als sie schon gezwungen wurden, den Hof zu
verlassen. In diesem Moment begreifen sie die Großartigkeit ihrer Heimat. Hier wechseln
Orkane mit sonnendurchfluteten Tagen. Die immerwährenden Wetterumschwünge
hinterlassen auch im Seelenleben der Bewohner ihre prägenden Spuren.
272
Die Aufwertung verlief in Griechenland oft nach einem ganz bestimmten Schema. Grundstücke ohne
Bebauung oder mit Gebäuden, die als wertlos galten, wurden vom Besitzer an Bauunternehmen abgetreten.
Als Gegenwert bekam der vormalige Besitzer hinterher einige Wohnungen in dem Mehrfamilienhaus,
welches der Bauunternehmer darauf errichtete. Diese Taktik wurde in ganz Griechenland sehr häufig
praktiziert; am allermeisten natürlich in Athen, wo sie als Katalysator für die Umgestaltung der Stadt wirkte.
Diese Umgestaltung wurde dann auch von den anderen Städten schrittweise übernommen.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 76
Der Mangel an Sicherheit und die Reichhaltigkeit der Träume sind es, welche die Hauptpersonen von Kambanellis auszeichnet. Hierin unterscheiden sie sich von den meisten Personen in
zeitgenössischen westeuropäischen oder amerikanischen Theater. Diese Verfassung nannte ein
Kritiker "Verismus ohne Pessimismus."273 Selbst im letzten Moment, in dem die Bewohner
des Hofes vertrieben werden, hoffen sie noch darauf, einem besseren Schicksal
entgegenzugehen. So sagt Babis auf bezeichnende Weise, wobei er den mit Gepäck beladenen
Karren meint: "Chef, wirf die Motoren an!" (Babis, S. 186). Aus ihrer Heimat vertrieben,
bleiben sie doch optimistisch und leben weiter wie bisher. Das verdeutlicht Babis in seinen
Worten: "... wieso soll ich woanders hingehen? ... hier ist meine Heimat ... hier muß ich
Arbeit finden, Brot, ein Haus ... hier will ich das haben ... hier ... hier." (Babis, S. 180). Weiter
unten sagt Jiannis: "Es ist doch ein wunderbares Land." (Jiannis, S. 180).
Der Regisseur Michailidis faßt die Situation wie folgt zusammen: "Im Hof, mitten unter
Tyrannei und Flüchtlingselend, wächst ein paradoxer Optimismus, der aber echt ist. Ohne
dazu im Heute einen erkennbaren Grund zu haben, bleiben die Hauptpersonen dabei, zu rufen,
daß es ihnen gut gehe."274
3.4.12 Leben als Flüchtling
Der Hof verändert sich, seine psychische Landschaft verödet. Doch auch Griechenland insgesamt geht es wie seinen Höfen. Auch dieses Land ist nichts als eine endlose Baracke. Die
Zementwüste ersetzt jene Stadt, die einst Gesicht, Geschichte und Ästhetik besaß. Die bunte
Vielfalt der menschlichen Beziehungen geht verloren, das, was den inneren Reichtum des
griechischen Lebens einst ausmachte, wird zerstört. In der Art, wie selbst Iordanis, das
Symbol des ewigen Flüchtlings, wieder weitergetrieben wird, wird der Grieche von seinem
Land entwurzelt und schließlich sich selbst fremd.
Im Inneren des Hofes ist er mit seinen unverwirklichbaren Träumen ins Exil geraten. Unter
der Bedrohung von Arbeitslosigkeit und Ausweglosigkeit nehmen die Träume, die nicht
gelebt werden können, Formen wie das Kartenspiel um Geld, Alkoholkonsum und
erzwungene Auswanderung an. Die Stadt aus Beton wird ihm noch die letzte Freiheit rauben,
die Freiheit zu träumen, denn der Himmel, der die Flachdächer und Terrassen der Häuser
einreißt, raubt den Träumen ihre bisherigen Zufluchtsorte, an denen sie sicher sein konnten.
Einen sicheren Winkel für seine Träume suchte beispielsweise Iordanis auf seiner kleinen
Terrasse: "... ein Dach nie ... nie ... der Himmel ist ein besseres Dach ... dreimal hat man mir
das Dach genommen ... den Himmel wird mir keiner nehmen ..." (Iordanis, S. 111 - 112).
Die Bewohner des Hofes werden sich gegen Ende des Stückes allmählich bewußt, daß ihr
Schicksal mit dem der Abwanderung verbunden ist. Deswegen sagt Annetto zu Iordanis: "Als
Flüchtlinge sind wir schon geboren, hast du das immer noch nicht verstanden?" (Annetto,
S. 173). Die Geschichte Griechenlands wird weitergehen, sie wird einen großen Teil der eigenen Bevölkerung in ein politisches, soziales oder ökonomisches Exil treiben. (Das ist auch das
vorherrschende Motiv des Stückes "Das Alter der Nacht", das im Anschluß besprochen wird.)
Das Motiv der Vertreibung beginnt hier mit der Aufwertung von Bauland, um zur Nutzung
des Lebens selbst zu führen. Dieser Prozeß begann in den 50er Jahren, und Kambanellis
beschrieb ihn in seinem "Der Hof der Wunder". Um nicht nur die menschliche, sondern auch
273
274
Jürg: Stück und Regisseur zu entdecken. Kritik der Aufführung des Stückes "Der Hof der Wunder" am MaxReinhardt-Seminar Wien, Volksblatt Wien, 21.06.1966.
Aus einem Interview des Regisseurs Georgos Michailidis mit Iakobos Kambanellis, in: Michailidis, Georgos
(Μιχαηλίδης, Γιώργος): Neugriechische Theaterautoren (Νέοι Έλληνες θεατρικοί συγγραφείς), Athen 1975,
S. 25 - 32, hier S. 30.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 77
die ökologische Dimension dieses Vorgangs deutlich zu machen, greift der Autor das Thema
Jahrzehnte später nochmals in seinem Stück "Der Weg geht mitten hindurch" auf.
Die Hauptperson dieses Stückes macht anläßlich des Abrisses eines alten Hauses folgende
Feststellung: "... doch das Tragischste geschah in der Abenddämmerung, als die Vögel
zurückkehrten, die in der Ulme gewohnt hatten ... als es dunkler wurde, kamen noch mehr ...
es wurden Tausende ... sie kreisten und kreisten um den Ort, an dem der Baum gestanden
hatte, sie konnten es nicht glauben, daß er nicht mehr da war ... sie verfielen in einen Zustand
der Verzweiflung, der Kopflosigkeit ... es wurde dunkel, doch sie flogen weiter im Kreis um
die verschwundene Ulme und riefen ... viele prallten auf die Glasscheiben von erleuchteten
Fenstern, um Hilfe zu finden ... ich habe alle Lichter angezündet und alle Fenster aufgemacht,
doch wie hätte ich ihnen helfen können, was hätte ich ihnen sagen sollen ... wir verbrachten
eine entsetzliche Nacht - nein, viele Nächte! Bis die Vögel verstanden hatten, daß die
Katastrophe endgültig war, und dann nahmen sie den Weg ins Exil, doch viele hielten es nicht
aus. Man hat vor Ort um die 700 tote Vögel gefunden, ungefähr weitere tausend in den
Straßen Thiras und Stavropoulou, nochmal vierhundert weiter weg! Stellen Sie sich also vor,
was passiert, wenn ein Haus abgerissen wird ... nein, das werde ich nie tun." (Poriotis, S. 113 114).275
Wie sehr die Themen auch in der Wirklichkeit sich immer neu wiederholen, wird deutlich,
wenn man heute den Platz besucht, an dem einst Kambanellis wohnte und der ihn zu dem
Stück "Der Weg geht mitten hindurch" inspirierte. Noch immer steht wenige Häuserblocks
weiter ein altes Theater, in dem das Stück immer wieder einmal aufgeführt wird. Auf der Freifläche des Platzes übernachten nun obdachlose kurdische Flüchtlinge.
3.4.13 Das tragische Element
Kambanellis selbst sagt dazu: "Im 'Theatro Technis' haben wir Realismus gesehen, der nicht
zum Naturalismus verkam, sondern eine tragische Beziehung zum Leben aufrechterhielt und
damit zu anderen Dimensionen vordrang."276
Dieser tragischen Dimension im Leben wollte auch er selbst nachspüren und sie dokumentieren. So versammelte er eine Gruppe Bewohner des zeitgenössischen Griechenlands, die eine
besonders schwere Zeit zu durchleben hatten, in einem fest umrissenen Raum. Er gab den
Figuren Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, also eine historische Dimension. Iordanis ist
gewissermaßen Träger des kollektiven Gedächtnisses, und mit Asta zusammen steht er für die
Vergangenheit. Jiannis und Joakim verkörpern die Zukunft, und alle übrigen Personen sind in
einigermaßen erwachsenem Alter und stehen gemeinsam für die Gegenwart in Griechenland
in den 50er Jahren. In dem Puzzle von Personen, das Kambanellis hier anlegte, gelang es ihm,
ein lebendiges Bild des modernen Griechen zu schaffen, in dem auch die Widersprüche und
die Vielseitigkeit deutlich werden. So erfüllte er in seinem Stück ein ganz wichtiges Kriterium
des Naturalismus, wie Holz es beschrieben hat: "Die Bedeutung liegt offensichtlich auf dem
'ganzen Menschen', dem Gesamtbild eines Charakters in allen seinen feinen Beziehungen zur
Welt um sich und in sich."277 Ploritis charakterisiert die Erlebnisse der Menschen in diesem
Hof folgendermaßen: "Die Kümmernisse, die Probleme, die Agonie dieser Menschen sind die
Agonie eines ganzen Volkes, das schon seit Jahrhunderten gegen die Unstetigkeit des Schicksals ankämpft. Not und Mangel tyrannisieren ihn, sie töten ganz langsam die Träume, die
275
276
277
Kambanellis, Iakobos, wie FN 145, hier S. 113 - 114.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 92, hier S. 24.
Holz, Arnold: Das Werk. Bd. X: Die neue Wortkunst. Eine Zusammenfassung ihrer ersten grundlegenden
Dokumente. Berlin 1925, S. 215.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 78
Liebe, die Freundschaft ab, sie machen den Mensch zum Wolf."278 Dennoch ist die Reaktion
der Menschen auf diese Lebensumstände entsprechend der Einzigartigkeit der Umgebung, in
der sie leben, wo Sturm und schmeichelnder Sonnenschein, der alles beschönigt, sich immer
wieder miteinander abwechseln.
So hat der Mangel den Charakter des modernen Griechen abgehärtet, er hat ihm die Zähigkeit
gegeben, Widerstand zu leisten und immer noch zu hoffen. Zusammen mit dem tief eingewurzelten Optimismus ist es diese Kraft, die ihn immer noch stützt und ihm hilft, sich auf diesem
windgepeitschten Flecken Erde zu halten."279 Der in sich widersprüchlichste jener Charaktere,
die uns in dieser Gemeinschaft vorgeführt werden, ist Stelios. Er ist es, der sich zur tragischen
Person wandelt. Stelios entzieht sich dem Heroismus der Hoffnungslosigkeit, für den Standfestigkeit und konsequente Orientierung an dem griechischen Wertmerkmal der Ehrenhaftigkeit
nötig wären.
Die Mehrzahl der Hofbewohner lebt im Elend der Alltäglichkeit. Dennoch hoffen sie weiter,
und jede neue Hoffnung wird zunichte gemacht, so daß sie dann zu einer weiteren Enttäuschung wird. Stelios unterliegt den gleichen Leiden, Hoffnungen und Enttäuschungen wie die
anderen. Doch in einer Welt, die sich unaufhörlich wandelt, erhebt er das Kreuz und fordert
für das bisherige Wertesystem, das am Verschwinden ist, wenigstens die Erweisung einer
letzten großen Ehre, und er möchte diese Ehrerbietung auch durch konkrete Taten sich
manifestieren sehen. Es sind dies Werte wie die Scham, die Ehrenhaftigkeit, der Respekt
gegenüber der Frau in ihrem besonderen Bereich und schlußendlich auch der Respekt sich
selbst gegenüber. Somit wird sein Selbstmord zum letzten Gruß an das griechische Ehrgefühl
und die Überlegenheit der Unterlegenen. Stelios erhebt sich über die Alltagsmisere und setzt
damit, wie Miller es ausdrückt280, die Tragödie außer Kraft.
Kambanellis scheint mit diesem für das griechische Publikum geschriebenen Stück die
Anforderungen, die Arthur Miller an ein Drama stellt, zu erfüllen: "Das Drama wird ein
griechisches sein, denn die gezeigten Menschen werden nicht Selbstzweck sein, sondern wie
in der Antike Teile eines Ganzen bilden, eine Art Hausgemeinschaft, welche die Menschheit
ist. In einem Wort, die ganze Welt sitzt im gleichen Boot. In einer Zeit - vielleicht der
glücklichsten, die sie je kannten - saßen auch die Griechen im gleichen Boot - ihrer Polis."281
In diesem Schiff, welches Hof genannt wird, stürzt auf einmal alles ein. Und in diesem
Moment setzt Stelios die Energie der Gruppe, die noch menschliche Würde ausstrahlen oder
hervorrufen kann, zu einer Tat um und begeht Selbstmord. Der Freitod von Stelios zeigt
Griechenland als leidende Person in einer Umgebung, die politische Phänomene und damit
soziale Gegebenheiten hervorbringt. All diese Eigenschaften sind auf einen gegebenen Raum
und Zeit konzentriert, dennoch stehen sie für die tief verwurzelten Eigenschaften und
Besonderheiten dieser Nation.
3.4.14 Die Umsetzung des Stückes auf der Bühne
3.4.14.1 "Theatro Technis", Athen 1957
Zu einer Zeit, in der die Aufführung eines neugriechischen Stückes auch in der Theaterszene
Griechenlands gleichbedeutend war mit finanziellem Fehlschlag für die Truppe, die das
278
279
280
281
Ploritis, Marios, wie FN 249.
Ploritis, Marios, wie FN 249.
Miller, Arthur: Das soziale Theater (Το κοινωνικό θέατρο), übersetzt von Solomos, Alexis (Σολοµός,
Αλέξης, Zeitschrift "Theatro" (Θέατρο), Bd. 2, 01.03.1962, S. 26 - 29.
Miller, Arthur, wie FN 280.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 79
wagte, beschloß Karolos Koun, das Stück "Der Hof der Wunder" des jungen Schriftstellers
Kambanellis aufzuführen. Koun schätzte das Stück als so wichtig ein, daß er ab dem ersten
Mal, wo er es zu lesen bekam, überzeugt war, daß er es aufführen mußte. Obwohl er
normalerweise keine solchen Risiken einging, sagte er die Aufführung zu, obwohl der vierte
Teil des Stückes noch nicht einmal geschrieben war. Die Fertigstellung geschah dann auch
unter seinem stetigen Druck.282
Koun hatte die szenischen und schauspielerischen Kodizes seiner Schule schon auf weltweit
berühmte Dramatiker angewandt, so etwa auf Tennessee Williams, Arthur Miller, Thornton
Wilder, Federico Garcia Lorca und Eduardo de Fillipo. Da es ihm gelungen war, das griechische Publikum mit diesen Autoren bekanntzumachen, ging er davon aus, daß das Stück von
Kambanellis ihm nun die Chance geben würde, nach der er seit Jahren suchte, um ein
wichtiges Ziel des "Theatro Technis" zu erreichen: "... sich mit den Charakteren und den
Problemen der direkten Umgebung auseinanderzusetzen"283 Es sollte sich mit der alltäglichen
Realität in Griechenland befassen und so ein modernes neugriechisches Repertoire begründen.
Mimis Koujoumtzis, ein Schüler von Koun am "Theatro Technis", hat Jahre nach jener
Aufführung festgehalten, was Koun an diesem Stück so wichtig war: "Zu jener Zeit, als der
'Hof' geschrieben wurde, waren Flucht und Auswanderung ein ständiges Thema in der
griechischen Gesellschaft. Anläßlich dieser Realität hatte Kambanellis sich dazu inspirieren
lassen, dieses Stück zu schreiben. Wir lasen es, und Koun war der Meinung, daß dieses Stück
den Zuständen entsprach, die zu jener Zeit herrschten."284
Die Inszenierung konzentrierte sich besonders darauf, alle Schauspieler einzusetzen und dabei
die Atmosphäre des Stückes hervorzurufen. Die Qualität des Stückes sollte durch eine Art des
Schauspielens deutlich werden, die das reichhaltige Puzzle an Rollen entfaltete. Koun selbst
war von dem Stück begeistert, und als großer Lehrer hatte er die Fähigkeit, seinen Enthusiasmus für die Dinge, die er liebte, an die Schauspieler weiterzugeben, die er auch als seine
Schüler betrachtete. Hier konnte er eine große Stärke seiner Schauspieltruppe einsetzen,
welche für das Gelingen des Stückes ausschlaggebend war: sie bildete eine schon gut
aufeinander eingestimmte Gemeinschaft. Russische Theatermenschen, welche die Vorstellung
des "Hofes der Wunder" am "Theatro Technis" besuchten, waren hingerissen davon, "den
Begriff eines Gesamttheaters so unverfälscht umgesetzt zu sehen"285.
Dieses Ensemble des Gesamttheaters arbeitete also unter dem Dirigentenstab von Koun. Es
gelang ihm, die vielen Farbstufenen des Mikrokosmos im Hinterhof durch die Interpretationen
der Schauspieler umzusetzen. Sie stellten die Figuren nicht einfach nur dar, sondern gaben
ihnen Tiefe: "Herrn Kostas Bakas, der den größten Teil des Stückes auf seinen Schultern trägt,
gelingt es, eine sehr überzeugende theatrale Figur aus diesem unentschiedenen und
komplexbeladenen Mann zu machen, der persönlich für die Auflösung steht. Eine lebendige
Figur - die des Babis - schafft auch Chatzimarkos, der kunstvoll die ganzen psychologischen
Umschwünge herausarbeitet, die die Figur durchmacht, welche er darstellt. Verhalten,
feinfühlig und vielseitig das Spiel des Fräulein Zavitzianou. Ich denke, daß die geplagte
Existenz der Olga, ihre Bitterkeit und ihre Leidenschaft für Stratos nicht besser hätten
wiedergegeben werden können. Sehr gut ist auch Frau Aggelidou als Annetto. Sie ist die
282
283
284
285
Kambanellis, Iakobos, wie FN 259, hier S. 371.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 240.
Koujoumtzis, Mimis (Κουγιουµτζής, Μίµης), Interview in der Zeitschrift "Theatro ke Horos" (Θέατρο και
χώρος), Sonderband für Karolos Koun, Sonderband für Karolos Koun, Hg.: Verband der Architekten
(Σύλλογος Αρχιτεκτόνων), Athen 1987, S. 11 - 19.
Ouranis, Kostas (Ουράνης, Κώστας): Kritik der Uraufführung des Stückes "Der Hof der Wunder" am
"Theatro Technis", Zeitung "Ethnos" (Έθνος), 08.01.1958.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 80
traurige und eigentlich nicht wirklich bösartige Frau, die von ihrem Alter, ihrer Einsamkeit
und ihrer Armut zu bestimmten Anlässen böse gemacht wird. Frau Aggelidou stellt dies sehr
gelungen dar. Die ganze Interpretation ist sehr gelungen, es ist eine der besten, die sie bisher
zeigte. Stratos, der von Birbilis verkörpert wird, ist von einem drängenden Drama gequält: er
verbindet sich mit einer verheirateten Frau, die im gleichen Hof wie er lebt, und er möchte sie
heiraten. Dieses tiefe innere Problem wird in der unbeugsamen Strenge des Birbilis voll zum
Ausdruck gebracht."286 Die Inszenierung nimmt den zeitgenössischen Charakter des Stückes
zum Ausgangspunkt, sie betont das sozialpolitische Element, ohne darüber die ihm
innewohnende Poesie zu vergessen. Als Methode der Interpretation wird der poetische
Realismus gewählt.
In seiner einleitenden Rede zur 100. Aufführung des Stückes faßt der Theatermensch Aggelos
Terzakis sein Fazit folgendermaßen zusammen: "Wir haben einen Schriftsteller gefunden, der
die Menschen liebt. Er hat die Fähigkeit, die Poesie, die in ihrem bescheidenen Alltag steckt,
ans Licht zu holen."287 Die Qualität des Stückes liegt darin, daß es nicht nur eine Aneinanderreihung von Streiflichtern auf die griechische Gesellschaft zeigt, sondern diese mit anderen
Dimensionen versieht. Das war nur möglich, weil die Bühne des "Theaters der Kunst" ein
Kellerraum war, in dem das Publikum der Bühne nicht nur gegenübersaß, sondern ihr dreidimensional begegnete. Damit konnte die poetische Dimension in diesem Stück besonders gut
vermittelt werden.
Das Bühnenbild hatte der bedeutende Maler Tsarouchis entworfen, es stellte einen
griechischen Hinterhof dar. Es wirkte sehr authentisch und überzeugend, ohne realistische
Requisiten einzusetzen. Das ist die besondere Art von Tsarouchis, ein realistisches Ergebnis
zu erzielen, obwohl er die ungewöhnlichsten Materialien einsetzt, so etwa Blumentöpfe aus
Papier. Im Laufe der Aufführung wurde die Bühne dann immer voller. Wenn am Anfang
durch die Gemälde von Tsarouchis noch eine gewisse Idylle zu spüren gewesen war, so
verblaßte diese immer mehr, je mehr Alltagsgegenstände den Hof füllten. Kambanellis
erzählte dazu: "Zur Generalprobe rannten wir noch herum und suchten nach dem Karren von
Iordanis, den Möbeln, dem zerbrochenen Spiegelchen."288 An den Wänden herrschte ein
Ockerfarbton vor, der an die Patina erinnerte, mit welcher die Zeit die alten
neoklassizistischen Häuser von Neapolis (einem Viertel im Zentrum Athens) überzogen hatte,
wohinein sich auch Merkmale des Verfalls wie abgesprungener Putz und darunter sichtbare
Ziegel mischten. Die Kritik sprach von einem Bühnenbild, das in seiner Einfachheit äußerst
raffiniert sei.289
Manos Chatzidakis schrieb die Musik zu dem Stück. Zu jeder Szene komponierte er eine Einleitung, die aus musikalischen Anleihen am Rembetiko-Musikstil bestand. Den Stil des
Kunstliedes, für den er später berühmt werden sollte, hatte er damals noch nicht entwickelt.
Die Inszenierung betonte also die Akkorde und nicht die Soli, denn die Akkorde waren auch
Basis des Stückes. Koun "... gelingt es, die ganzen Vorzüge des Stückes optimal
herauszuarbeiten. Rhythmen, Auf- und Abbewegungen, Temperaturen, alles wird in
286
287
288
289
Paraschos, Kleon (Παράσχος, Κλέων): Kritik der Uraufführung des Stückes "Der Hof der Wunder" am
"Theatro Technis" in der Zeitung "Kathimerini" (Καθηµερινή), Dezember 1957.
Terzakis, Aggelos (Τερζάκης, Άγγελος): Einleitende Rede zur 100. Aufführung des Stückes "Der Hof der
Wunder" am "Theatro Technis", Zeitung "Ethnos" (Έθνος), 08.01.1958.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Artikel in der Zeitschrift "I Lexi" (Η Λέξη), Februar - Mai
1987, Heft 62, S. 180 - 189.
Kalkani, Irini (Καλκάνη, Ειρήνη): Kritik der Uraufführung des Stückes "Der Hof der Wunder" am "Theatro
Technis" in der in der Zeitung "Apogevmatini" (Απογευµατινή), Januar 1958, in: Kambanellis, Iakobos:
Theater, Bd. 1, Athen 1978, S. 288 - 290.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 81
Perfektion reguliert."290 Es gelang Koun auch, jegliche Übertreibung und Schwülstigkeit im
Schauspiel zu vermeiden.291
Diese Inszenierung wurde vom Publikum sehr erfreut aufgenommen. Sie wurde 168 Mal
gespielt und war auch ein wirtschaftlicher Erfolg. 168 Vorstellungen waren für jene Zeit und
schon gar für ein neugriechisches Stück ein wahrer Triumph. Das "Theatro Technis" war
genau der richtige Ort für dieses Stück von Kambanellis, und die Charaktere im Stück ergaben
sich auch aus der parallel laufenden Arbeit von Autor und Schauspielern.292
Doch es scheint, daß der Enthusiasmus von Koun, der überzeugt war, hier einen Brillanten
gefunden zu haben, seine perfekte Inszenierung, die ideale Besetzung mit den richtigen
Schauspielern das Stück auch auf gewisse Weise festgelegt hat. Die Schauspieler erfüllten
ihre Rollen mit Stanislawski'scher Technik, sie ließen persönliche Erlebnisse einfließen,
welche ebenfalls mit dem Griechenland jener Zeit verbunden waren. Jede spätere
Inszenierung mußte sich an diesem hohen Maß an Perfektion messen lassen und konnte nicht
darüber hinweggehen.
Diese Inszenierung wurde zu einem wichtigen Meilenstein nicht nur für die weitere Rezeption
des Stückes, sondern auch für den Autor, die Schauspieler, und überhaupt für das neugriechische Kulturschaffen. Der Kritiker Kostas Georgousopoulos ist der Ansicht, daß Koun mit dem
Stück "Der Hof der Wunder" das optimal passende Stück gefunden hatte, um seinen
"volktümlichen Expressionismus" auszuformen. Die Aufführung des Stückes im "Theatro
Technis" wirkte dennoch wie eine Falle für alles, was darauf folgte; So, wie Stanislawski als
Falle für Tschechow wirkte. Jedenfalls fand keiner den Mut, eine Aufführung zu wagen, die
die Methode von Koun revolutionieren könnte.293
3.4.14.2 "Theatro Neas Ionias", Athen 1965
Mit dem Abstand von acht Jahren zur ersten und so bedeutsamen Inszenierung am "Theatro
Technis" wurde "Der Hof der Wunder" neu aufgeführt. Dieses Mal war es Georgos Michailidis, ein junger Regisseur am "Theatro Neas Ionias" (einem für Kleinasien-Flüchtlinge gegründeten Vorort von Athen), der sich mit einem neu gegründeten Schauspielerensemble zutraute,
sich an der Erstinszenierung messen zu lassen. "Der Hof der Wunder" war allerdings nicht die
erste Inszenierung dieses Ensembles, doch es war sicher diejenige, mit der es in das Bewußtsein des Publikums und der Kritiker vordrang. Die Gründung dieses Ensembles war ein
"historischer Moment für den Übergang von der Phase der unorganisierten Schauspieltruppen
in die Phase der organisierten und sehr wichtigen Dezentralisierung."294
Die Einweihung dieses neuen Theaters wie auch seine Arbeitsweise waren gewagt. "Es war
damals avantgardistisch, in einem einfachen Stadtviertel ein Theater zu eröffnen. Für einige
Bürger schon ein Skandal, für manch andere Grund zur Begeisterung. Die Auswahl eines
290
291
292
293
294
Terzakis, Aggelos, wie FN 250.
Kalkani, Irini, wie FN 289. Ohne es direkt auszusprechen, scheint die Kritik anzudeuten, daß das Stück von
Kambanellis, welches im Jahr zuvor am "Theatro Technis" aufgeführt worden war, etwas zu schwülstig
gespielt worden sei.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 259, hier S. 375. Kambanellis erzählt in diesem Interview: "Da ich unbedingt
wollte, daß dieses Stück am "Theatro Technis" gespielt würde, und da ich das dortige Schauspielerensemble
gut kannte, nahm ich einige der Schauspieler auch ein bißchen als Modell. Manche mögen dagegenhalten,
damit würde man sich zu sehr festlegen, doch ich glaube, daß es hilft."
Georgousopoulos, Kostas und Mavromoustakos, Platon, wie FN 214.
Meraklis, Michalis G., wie FN 27, hier S. 131.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 82
unspektakulären Stadtteils allein war schon ein politischer Akt. Das Publikum dort war andererseits nicht daran gewöhnt, ins Theater zu gehen. Deswegen war auch die Auswahl der
dargebotenen Stücke ein Problem. Wir begannen ohne Geld. Bei uns kostete der Eintritt 15
Drachmen, während er in den anderen Theatern bei 40 Drachmen lag. Wir zogen es vor, ein
Programmheft zu drucken und gratis zu verteilen, anstatt unsere Schauspieler zu bezahlen.
Auch organisierten wir im Foyer des Theaters Fotoausstellungen und Sonderveranstaltungen
zu Ehren von Schriftstellern. Nach der Aufführung folgte eine Diskussion mit dem
Publikum."295
Michailidis, der dieses Ensemble zusammengebracht hatte, das Stück inszenierte und selbst
mitspielte, war ein ureigenes Kind dieses Stadtviertels, in dem das neue Theater 1965 gegründet wurde. Er gehörte zur linken Szene und hatte sich zum Ziel gesetzt, in diesen Zeiten, die
für die Linke in Griechenland besonders schwer waren, ein politisches Theater zu begründen,
oder wenigstens ein Theater mit einer gesellschaftlichen Mission, in der Tradition der
"Volkstheater von Planchon, Brecht und Villars".296
Es ist kein Zufall, daß das Theater in diesem Stadtviertel, welches von Flüchtlingen aus
Kleinasien gegründet wurde und anfangs ausschließlich von ihnen bewohnt wurde, sich dieses
Stück aussuchte. Michailidis war davon überzeugt, daß "das Theater ein Spiegel des
gesellschaftlichen Raumes"297 ist. Das Ensemble wählt auch deswegen Kambanellis' Stück,
weil es darin seine eigene ideologische und ästhetische Richtung wiederfindet, wobei die
Erinnerung an das Leben als Flüchtling auch für das hier lebende Publikum von Bedeutung
war. Für Michailidis, der diese ganze Aktivität ins Leben gerufen hatte, ist Kambanellis der
Dramaturg, der das neugriechische Theater "wieder festen Schrittes in die Realität treten läßt,
ohne Verschönerungen oder für griechentümelnde Idealisierungen."298 In einem wichtigen
Gespräch, das Michailidis mit Kambanellis wenige Jahre später führte, betont Michailidis, wie
griechisch dieses Stück ist: "Ich glaube, Ihr Stück ist griechisch. Vielleicht das griechischste,
das je geschrieben wurde. Ihr Raum ist das Griechenland nach dem Krieg, ein geschlagenes
Griechenland, blutend und desorientiert, chaotisch, ohne feste Grundlagen, ohne ein
bestimmtes Gesicht. Dieses Griechenland lese ich in Ihren Stücken."299 Davon ausgehend, daß
im Stück von Kambanellis die Wahrheit über das damalige Griechenland geschrieben wurde,
und daß das Publikum das Bedürfnis hatte, seine eigenen Erlebnisse auf der Bühne zu sehen,
zielte die ästhetische Ausrichtung der Inszenierung darauf ab, das Einfache nicht simpel
darzustellen und das Volksnahe nicht volkstümlich werden zu lassen. Zielsetzung war, daß
das Theater trotz allem Theater blieb und nicht zu plakativ linkslastig erschien.300
Die Inszenierung orientierte sich am Naturalismus, der nach Meinung des Ensembles die
einzig passende Linie für dieses Stück bot, wie auch für das Publikum, an das man sich
wandte. "Das ändern zu wollen, das wäre, als wolle man das Publikum auf den Arm nehmen,
welches Dir zusah und nichts anderes sah als sein eigenes hartes Leben."301, sagt Michailidis.
"Außerdem lebte ich ja selbst in so einem Hof. Es war nicht nötig, wie ein Tourist in eine
fremde Umgebung zu gehen und zu sehen, wie das Leben dort ist. Der Schauspieler, der
295
296
297
298
299
300
301
Gespräch der Autorin am 10.08.1997 mit Georgos Michailidis (Γιώργος Μιχαηλίδης), dem Regisseur der
Aufführung "Der Hof der Wunder" am "Theatro Neas Ionias" 1965.
Interview mit Georgos Michailidis (Γιώργος Μιχαηλίδης), dem Regisseur der Aufführung "Der Hof der
Wunder" am "Theatro Neas Ionias" 1965, Zeitung "Ethnos" (Έθνος), 14.06.1996.
Michailidis, Georgos, wie FN 274, S. 11.
Michailidis, Georgos, wie FN 274, S. 11.
Michailidis, Georgos, wie FN 274, S. 17.
Michailidis, Georgos, wie FN 274, S. 27.
Gespräch der Autorin am 10.08.1997 mit dem Regisseur der Aufführung, Georgos Michailidis.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 83
Iordanis darstellte, mußte nur zu einem Freund gehen, der noch besser Türkisch als Griechisch
sprach, und dessen Ausdrucksweise beobachten, um die Ausdrucksweise des Kleinasiaten
Iordanis zu sehen."302
Die Schauspieler wurden zum extremen Realismus verleitet, zu einem Naturalismus, der das
Leben dieser Menschen so wahrhaftig und so lebhaft wie nur irgend möglich auf die Bühne
bringen sollte. Selbst die Bühne, auf der das Stück aufgeführt wurde, wurde den Gesetzen des
Naturalismus unterworfen. Es war eine sehr originelle Bühne, für griechische Verhältnisse
jener Zeit direkt bahnbrechend. Sie bildete eine gerade Linie mit den vordersten Zuschauersitzen. Es war nicht mehr die erhöhte italienische Bühne, sondern Parkett und Bühne gingen
ineinander über. Die Bühne wirkte so naturalistisch, daß die Zuschauer sich beim Einlaß nicht
auf die vorderen Plätze trauten. Sie befürchteten, der Bühne im Wege zu stehen. Andererseits
war sich das Theater nicht zu schade, seine Scheinwerfer auch während der Vorstellung sichtbar zu lassen, womit es daran erinnerte, daß es sich trotz allem Naturalismus hier doch um
eine Theateraufführung handelt.
Für die Musik holte sich das Ensemble einen jungen Komponisten aus Thessaloniki, Dionysis
Savvopoulos, welcher zur Jugendbewegung der Linken gehörte. Er sollte begleitende Lieder
zu dieser Aufführung schreiben. Eines der Lieder, die in die Aufführung integriert wurden,
und die eine besonders interessante Optik dazugaben, war ein Lied, das für das griechische
Kunstlied richtungsweisend und legendär wurde, nämlich das Lied "Ganz Griechenland ist
eine endlose Baracke". Dies ist der Text dazu:
"Ganz Griechenland ist eine endlose Baracke. Baracke.
Baracke im Winter, und noch immer redest Du.
Das Volk auf der Straße verteilt Sesamkringel und Lose,
Anträge zur Auswanderung nach Deutschland,
Evanthoula weint am Abend, bevor sie einschläft.
In den Sportstadien stöhnt Griechenland,
in den Kaffeehäusern Zigaretten, Spaß und Kartenspiel,
Nein, nein, dies ist kein Lied,
es ist das löchrige Dach einer Baracke,
es ist die Kippe, die ein Kerl aufgelesen hat
und der Spitzel, der uns verfolgt."
In dieser Atmosphäre und dieser Realität mit ihren Kümmernissen, ihren kleinen
Bedürfnissen, den Kontroversen, den Witzen, dem Spaß, den Liebschaften zeigte sich der
Mikrokosmos des Hofes, und besonders der Charakter von Stelios wurde sorgfältig
herausgearbeitet, denn immerhin ist es sein Selbstmord, der entscheidend mit dazu beiträgt,
daß das Stück mehr ist als nur ein Sittengemälde - es enthält eine tragische Note.
Die Kritik bemerkte anläßlich dieser Inszenierung, daß es zum ersten Mal einem Theater
gelänge, die Aufmerksamkeit, das Interesse und die Sympathie auf sich zu lenken, indem es
genau das richtige Stück zum richtigen Zeitpunkt ausgewählt hätte. Wieder wurde lobend
erwähnt, wie umfassend das Stück von Kambanellis sei, auch wenn die Umsetzung bei dieser
Aufführung bei weitem nicht so gut gelungen sei wie jene am "Theatro Technis", besonders
bezogen auf die Interpretation der Schauspieler. 303 Jedenfalls waren die 350 Zuschauerplätze
in dem Theater über Monate hinweg stets besetzt, und das Publikum stammte nicht nur aus
diesem Stadtteil. Menschen aus ganz Griechenland kamen, um das Stück zu sehen.
302
303
Gespräch der Autorin, wie FN 301.
Thrylos, Alkis (Θρύλος, Άλκης): Kritik der Aufführung des Stückes "Der Hof der Wunder" am "Theatro
Neas Ionias" in der Zeitschrift "Nea Estia" (Νέα Εστία), Band 81, Heft 952 vom 01.03.1965, S. 347 - 348.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 84
3.4.14.3 Max-Reinhardt-Seminar, Wien 1966
Das Stück wird übersetzt und zum ersten Mal im Ausland gespielt, hier im deutschsprachigen
Raum. Es war die Abschlußarbeit des Studenten der Regie, Georgos Remundos, und der
Schauspielstudenten am Reinhardt-Seminar. In einem Gespräch mit der Autorin erklärte
Georgos Remundos, daß dieses Stück nicht aufgrund von politisch-sozialen Überlegungen
ausgewählt worden war. Weder die Ideologie des Ensembles noch die Ästhetik dieses
bestimmten Stückes seien ausschlaggebend gewesen.304 Das war statt dessen die große
Bandbreite an Rollen, die dem Regisseur die Gelegenheit gab, Rollen zu vermitteln, was in
der Schule von Reinhardt ein wichtiges Ziel war. So waren in diesem Fall die Elemente, mit
denen das Stück aufgebaut wurde, von Bedeutung, die Vertreibung, das Flüchtlingsdasein, die
Darstellung des Raumes. Doch im Mittelpunkt des Interesses lag der Versuch, die
menschlichen Beziehungen darzustellen, wie sie sich aufbauen und wieder zerstört werden.
Die Regie versuchte, diesen Aufbau der persönlichen Beziehungen und Konfrontationen besonders herauszuarbeiten. Wie funktionieren die Chimären für diese unterdrückten
Menschen? Wie schaffen es diese Tagelöhner, mehr in ihrer Phantasie als in der Realität zu
leben? Wie gelingt es ihnen, sich dennoch immer im Leben zu halten? Die Regie hielt sich
buchstabengetreu an den Neorealismus von Kambanellis, wodurch die Aufführung zum
poetischen Realismus kam, anstatt die Zustände mit fotografischem Realismus
wiederzugeben. Die menschlichen Beziehungen und Konfrontationen wurden so dargestellt,
daß sie direkt abhoben. Diese dynamische Richtung war so interessant, daß es gelang, in
einem Publikum, dem die Umstände fremd waren und das noch nie einen griechischen
Hinterhof kennengelernt hatte, das Interesse und den Enthusiasmus an diesen Dingen zu
wecken. Die Aufführung fand auf einer kleinen Studiobühne des Reinhardt-Seminars statt.
Das Bühnernbild wurde aus Resten jener Materialien gestaltet, die bedürftige Menschen
nehmen können, um sich eine Baracke zu bauen: Holz, Steine, Bleche. Aus diesen Materialien
wurden auch hier diese Hütten aufgebaut, ärmliche Gebilde, die den Hof säumten. In ähnlich
sparsamer Weise wurden auch die umgebenden Hochhäuser angedeutet: einige Gerüste, ein
paar weiß und phosphoreszierend angemalte Hölzer weiter hinten, und ganz entfernt die
Skyline der ferneren Hochhäuser, die andeuteten, was auch hier geschehen würde. Die Hütten
waren niedrig, nicht höher als die Menschen selbst.
Die Kritik lobte diese räumliche Lösung: "Die Handlung spielt auf einem Hinterhof, den
ringsum kleine Wohnhäuser mit Dachterrassen begrenzen. Wolfgang Müller-Karbach (zum
Glück ein versierter Bühnenbildner) ist dabei das unglaubliche Kunststück gelungen, in der
Mitte des Hofes einen Platz auszusparen, der groß genug ist, daß insgesamt 18 Personen aufund abtreten können, ohne einander auf die Zehen zu treten."305
Musikalisch wurde das Stück zu einem großen Teil mit Liedern aus dem Rembetiko-Bereich
ausgeschmückt, doch es waren auch Kunstlieder von Theodorakis und Xarchakos dabei, deren
Musik damals in Griechenland den Höhepunkt des Erfolges erreicht hatte. Wurzeln dieser
Musik war die griechische Volksmusik in Kombination mit Rembetiko-Musik und dem
Einsatz von Bouzoukis. Die Schauspielkunst interpretierte alle Rollen sehr stark vom
Körperlichen her, d. h. die Ausdrucksmöglichkeiten des Körpers wurden so umfassend wie
möglich bearbeitet. Wieder wurde in der Inszenierung des Stückes als ganzheitliches Theater
angestrebt. Deswegen wurde auch allen Rollen gleichviel Bedeutung zugemessen. Auch wenn
Stelios die Hauptfigur des Stückes ist, so fiel an einigen Momenten das Hauptaugenmerk doch
304
305
Gespräch der Autorin mit Georgos Remundos, dem Regisseur des Stückes, am 04.03.1997.
Kuranek, Lotte: Kritik der Aufführung vom 21.06.1966 in einer Wiener Zeitung (der Ausschnitt wurde der
Autorin von dem Regisseur Georgos Remundos persönlich übergeben, der genaue Name der Zeitung ist daher
leider nicht mehr rekonstruierbar).
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 85
manchmal auch auf Annetto, dann wieder auf Iordanis. Sogar der Polizist wurde so
dargestellt, daß er auch eine Hauptfigur hätte sein können. Auch wenn Astas Rolle
ursprünglich recht klein ausgelegt war, war sie doch ständig auf der Bühne anwesend, in
gewisser Weise nahm sie die Position des Chores in der antiken Tragödie ein. Sie erinnerte an
jene stummen und wartenden Frauen, die in diesen geschlossenen und ärmlichen Kolonien
leben. Ihr Schweigen war richtungsweisend.
Die Originalität dieser Aufführung lag in der letzten Szene des Stückes, welche die Zuschauer
in Begeisterung ausbrechen ließ. Als in der letzten tragischen Szene Iordanis von seiner Terrasse entwurzelt wird und alle sich zum Gehen fertigmachen, liegt er wie ein Wrack in der
Mitte. Um ihn herum stehen die anderen Schauspieler, mit Papiertüten und Töpfen aus Papier,
sie sammeln sich in der Mitte des Hofes und singen gemeinsam das zu jener Zeit sehr
populäre griechische Protestlied von Stavros Xarchakos306: "Habe Geduld".
Einer gewissen Rhythmik gehorchend, wurde dieser Gesang immer lauter. Jeder Schauspieler
griff sich, was er gerade vor sich fand, und drängte in die Gruppe im Zentrum, die immer
größer wurde. Es bildete sich allmählich ein Kreis, eine Orchestra, und Iordanis richtete sich
wieder auf. Er wurde zum Anführer der Gruppe, der Kreis öffnete sich langsam und verließ
die Bühne. Dieser Moment rief starke Rührung hervor, der trotzige Optimismus begeisterte
das Publikum und auch die Schauspieler selbst, viele weinten. Die Kritikerin Lotte Kuranek
beschrieb diese Stimmung: "Applaus für Regisseur und Darsteller, die fröhlich singend (von
rhythmischen Schlägen auf Kochtöpfe und Waschrumpeln begleitet) und mit Sack und Pack
ihre alten Häuser zu verlassen sich anschicken."307 Allgemein reagierte die Kritik auf das
Stück, die Aufführung, Regisseur und Schauspieler begeistert. Ein Kritiker sprach von einem
Hof voller Talente308, ein anderer schlug all jenen, die eine Krise der Dramaturgie
diagnostizierten, vor, sie sollten sich dem Stück von Kambanellis zuwenden309.
An anderer Stelle wird festgestellt: "G. Remoundos, der 26jährige Athener, der am ReinhardtSeminar Regie und an der Wiener Universität Theaterwissenschaft studiert, hat mit der Inszenierung dieses so komplexen, vielfältigen Stückes eine enorme Talentprobe abgelegt.
Remoundos ist nicht mehr im Kommen, er ist schon da. Wie er seine 21- bis 25jährigen
Kolleginnen und Kollegen dazu bringt, ohne Outrage bis ins Detail die richtige Linie zu
halten, ja, wie er diese Linie herausarbeitet und in den Griff bekommt, das ist eine reife
Leistung. Es gibt keine Mätzchen, keine Gags, alles ist ausgewogen, sicher, überzeugend,
konzentriert. 17 junge Leute spielen einen Querschnitt durch alle Generationen. Natürlich
fehlt da und dort der innere Hintergrund für das, was sie tun, aber das hindert sie nicht daran,
das Richtige zu tun".310
306
307
308
309
310
Stavros Xarchakos (Σταύρος Ξαρχάκος) wurde 1939 geboren. Er schrieb Musik für Theater und Film. Er ist
der dritte wichtige Liederkomponist in Griechenland in den 1960er Jahren, neben Mikis Theodorakis und
Manos Chatzidakis. Für seine Lieder nutzte er Stilelemente aus allen bisher dagewesenen Musikrichtungen.
Seine Musik mag oft genauso dynamisch klingen wie jene von Theodorakis, gleichzeitig ist sie aber mit der
von Chatzidakis vergleichbar, was die Liebe zum Detail betrifft. In seinen Melodien und Orchestrierungen
kreierte er einen unverwechselbaren, eigenen Klang. Neben seinen Liederwerken komponierte er auch immer
wieder Stücke für Orchester. Wie Theodorakis und Chatzidakis war er besonders in den 1960er Jahren sehr
aktiv, in den 1980er Jahren hatte er jedoch zwei Erfolge mit Filmmusik, die über die Grenzen Griechenlands
hinaus beachtet wurden: Die Musik zum Film "Rembetiko" von Kostas Ferris (Κώστας Φέρρης) 1983, sowie
zum Film "Süße Heimat" von Michalis Kakojiannis (Μιχάλης Κακογιάννης) 1986. Das Lied "Habe Geduld"
wurde 1962 / 1963 geschrieben.
Kuranek, Lotte, wie FN 305.
Jürg, wie FN 273.
Federspiel, K., wie FN 265.
Jürg, wie FN 273.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 86
3.4.14.4 "Theatro Vimata", Piräus 1969
1969 gründete ein junger Regisseur, Thanassis Papageorgiou, ein Theater ("Theatro Vimata"
bedeutet übersetzt "Theater Schritte") in dem größtenteils von einfachen Menschen
bewohnten Viertel Kokkinia bei Piräus und spielte als erstes "Der Hof der Wunder". Dieser
Regisseur hatte seitdem in der griechischen Theaterwelt eine lange und sehr wirkungsvolle
Präsenz. Er befaßte sich mit ganz wenigen Ausnahmen bis heute nur mit dem neugriechischen
Theater. Dieser Regisseur und Schauspieler begründet seine Vorliebe für das neugriechische
Repertoire folgendermaßen: "Die Xenomanie ist nicht unbedingt Snobismus, sie kann auch
dazu dienen, gewisse Defizite zu decken. Wenn man nicht das Problem seines Nächsten
analysieren kann, ist es besser, sich mit fernen Problemen zu beschäftigen, die den meisten
Zuschauern fremd sind; auf diese Weise wird ihre Kritikfähigkeit getrübt."311
Da der Regisseur eine Vorliebe für neugriechische Theaterstücke hatte, lag es nahe, dieses
Stück von Kambanellis aufzuführen. Auch das Stadtviertel rund um das Theater wurde zu
einem großen Teil von Kleinasienflüchtlingen bewohnt, bei denen eine politisch 'linke'
Ausrichtung vorherrschte. Die überwiegende Mehrheit der Bewohner sympathisierte mit den
Kommunisten. Unter diesen Umständen war die Inszenierung eines solchen Theaterstückes in
einer solchen Umgebung während der Diktatur als politische, ja revolutionäre Tat zu verstehen. Dennoch überraschte die Wahl dieses Stückes, wie er selbst sagte, sogar den Autor,
welcher annahm, das Stück sei überholt oder zumindest nicht mehr so aktuell wie 1957.312
Das Ensemble bestand aus jungen Menschen, die Spaß am Kreativen hatten, und denen der
Aufbau einer schauspielernden Gemeinschaft sehr am Herzen lag. Sie wollten vor allem ein
"Theater außerhalb der Mauern" begründen, und so fiel ihre gemeinsame Wahl auf dieses
Stück. Als Anhänger der Schule des Naturalismus befolgte Papageorgiou als Regisseur
genauso wie als Schauspieler "die naturalistische dramaturgische Schule, genau wie sie vom
'Theatro Technis' entwickelt wurde".313 Er versuchte mit einfachen und sparsamen Mitteln an
die tieferen Wahrheiten heranzukommen, aufzudecken, welche Wahrheiten in dem Stück von
Kambanellis steckten.
Das Bühnenbild spiegelte die Armut und die Sparsamkeit der Menschen im Stück wie auch
des Ensembles selbst wider. Da das Ensemble kein Geld hatte, um die Bühnenbildner zu
bezahlen, wurde das Bühnenbild zum größten Teil aus zufällig vorhandenem Material
improvisiert. Es bestand nur aus ein paar Baracken und, in der Mitte, der Hütte des Iordanis.
Als Musik wählte man Lieder, die aus Kleinasien stammten, bekannte Taksim-Klänge314 von
Markos Vamvakaris, einem legendären Komponisten und Interpreten von Rembetiko-Musik,
dessen Sohn dabei das Bouzouki spielte. Zur Einleitung erklang die Melodie
"Frangkosyriani", dann "Deine schwarzen Augen", zwei äußerst bekannte und populäre
Lieder. Es wurde viel Musik eingesetzt. Das Finale wurde von einer sehr traurigen Musik
begleitet, und während Iordanis nachgab und wegging, weinten die zutiefst ergriffenen
Menschen im Publikum. Der Regisseur war selbst in solchen Stadtvierteln aufgewachsen, wie
das Stück sie darstellt, und wollte seine eigenen Erfahrungen in der Darstellung der
311
312
313
314
"Theatro Stoa" (Θέατρο Στοά) (Hg.): Das Theatro Stoa (Το Θέατρο Στοά), Festschrift zum 15jährigen
Jubiläum des Theatro Stoa. Athen 1990. (Das "Theatro Stoa" wurde 1975 von Thanassis Papageorgiou
(Θανάσης Παπαγεωργίου) gegründet und existiert bis heute.)
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Programmheft zur Aufführung des Stückes "Der Hof der
Wunder" am "Theatro Vimata" (Θέατρο Βήµατα, Athen 1969).
Ziogas, Vasilis (Ζιώγας, Βασίλης), in der Jubiläumsschrift des "Theatro Stoa". Hg.: "Theatro Stoa", Athen
1990. Vasilis Tziogas ist ebenfalls Dramatiker.
Taksim (Ταξίµι) heißen die Einleitungen traditioneller griechischer Volkslieder, die sich zwar an gewisse
Schemata und Versatzstücke halten, aber auch viel Raum zur Improvisation bieten.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 87
Charaktere von seiten der Schauspieler umsetzen. Ihre Interpretation der Rollen sollte rein und
direkt sein.
Am Eingang des Theaters wartete zur Zeit des Einlasses ein Polizist. So mancher Zuschauer
ließ sich davon einschüchtern und blieb fern, andere waren mutiger und nahmen Teil an der
Mischung und dem gemeinsamen Widerstand von Theater und Publikum. Mitten in der
Diktatur wagte man es, durch ein Stück von Kambanellis in einer als 'links' bekannten Gegend
auf die schwierigen Wahrheiten des Alltags hinzuweisen. Es überrascht nicht, daß die Polizei
dieses Theater bald wieder schloß.
3.4.14.5 Griechische Arbeiterbühne, München 1970
Eine Gruppe von griechischen Darstellern, die sich aus Arbeitern, Studenten und Berufsschauspielern zusammensetzte, beschloß 1970, dieses Stück von Kambanellis im Kolpinghaus in
München aufzuführen. Die treibende Kraft dieser Idee war Jiannis Kyriakidis, ein
Schauspieler, der beim Staatstheater von Nordgriechenland, Thessaloniki, angestellt war. Er
wurde von der Junta verfolgt und hatte sich nach München geflüchtet, um der Festnahme zu
entgehen. Was diese Gruppe am meisten zusammenhielt, war der gemeinsame Glaube an eine
gesellschaftliche Aufgabe des Theaters. Dies fühlte man um so stärker, da man der
griechischen Gesellschaft verbunden war, die unter der Diktatur litt, während man in
München zwar in Sicherheit, aber doch auch in der Fremde befand.
Diese Kraft vereinte Menschen, die aus ganz verschiedenen Milieus kamen, und von denen so
mancher bisher nicht das Geringste mit dem Theater zu tun hatte. Sie machten das Zitat von
Federico Garcia Lorca zu ihrem Motto: "Das Theater, welches nicht den Pulsschlag der
Gesellschaft wiedergibt, den historischen Pulsschlag und dazu noch die besondere Farbe der
Heimat und ihres Geistes, hat nicht das Recht, sich Theater zu nennen. Es soll Halle für Spiele
heißen, oder Ort, an dem diese schreckliche Tat geschieht: 'Ich schlage meine Zeit tot' "315
Unter diesen Gesichtspunkten ergab sich die Auswahl des "Hofes der Wunder" durch die
Schauspieltruppe fast von selbst: "Wir haben 'Der Hof der Wunder' ausgewählt, weil er viele
jener Elemente enthielt, die für unsere Arbeit wichtig waren. Zum einen ist das Stück sehr
griechisch: die arme Wohngegend, der Hof ist ein vertrauter Raum, und in jener Zeit verband
jeder Grieche damit eigene Erfahrungen."316
Die Inszenierung möchte hier aber einen Aspekt betonen, von dem sie findet, daß er bisher zu
sehr vernachlässigt wurde. "Es war nötig, mehr die andere Seite des Stückes zu betonen, die
nur wenig ausgeleuchtet wurde - vielleicht, weil Kambanellis es zu einer Zeit schrieb, wo er
nicht deutlicher über diese Dinge sprechen durfte ... wir haben also ein neues Ende gemacht.
315
316
Griechische Arbeiterbühne München (Ελληνική Εργατική Σκηνή Μονάχου), Programmheft zur Aufführung
des Stückes "Der Hof der Wunder", München 1970.
Interview "Eine Unterhaltung mit Jiannis Kyriakidis" (Μια συζήτηση µε τον Γιάννη Κυριακίδη). Zeitschrift
"Theatrika" (Θεατρικά), Heft 20, November 1974, S. 36 - 41.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 88
In dem Moment, wo alle Leute ihre Siebensachen packten und davonzogen, wieder einmal
vertrieben wurden, stellten wir ein tableau vivant dar: Die Schauspieler erstarren in einer Position, und jeder einzelne spricht nochmals die Worte, die seine Rolle am deutlichsten zusammenfassen. So etwa Iordanis: "Höre mir einmal zu. Mit meinem Schweiß sind Tausende von
Dächern gebaut worden. Einen eigenen Dachziegel, um mein Haupt zu bedecken, habe ich
nicht." (Iordanis, S. 112). Babis sagt: "Mein Vater wurde im Krieg getötet, mein Bruder wurde
in der Besatzungszeit getötet, ich habe gekämpft, und doch werde ich gezwungen, mich
entwurzeln zu lassen. Warum?" (Babis, S. 180).
In der schauspielerischen Darstellung hielt man sich an den Realismus, doch die Aufführung
insgesamt hatte eine leicht expressionistische Blickrichtung, um tiefere Schichten dieses
Stückes zu erhellen. Das Bühnenbild ging über die Grenze der eigentlichen Bühne hinaus und
reichte bis ins Parkett. So saßen die Zuschauer gewissermaßen mit im Hof. Als die Bauingenieure den Hof ausmaßen, um den Abriß vorzubereiten, gingen sie durch das Parkett und vermaßen auch die Seite, auf der die Zuschauer saßen. Zum Ende des Stückes hin nahm dieser
expressionistische Touch überhand. Die musikalische Ausstattung enthielt international
bekannte Klänge, deutsche und italienische Musik verdeutlichte die Atmosphäre des Gastarbeiters in der Fremde. Die Gastarbeiter waren auch die hauptsächliche Zielgruppe als
Publikum. Es wurden auch einige Lieder neu geschrieben, die mit dem Schicksal des
Gastarbeiters zu tun hatten, so eines mit dem folgenden Text:
"Der Schmerz wird an die Wand geschrieben
BELGIEN, DEUTSCHLAND, KANADA
und in unserem Hof der Wunder
Wunder erwarte nicht, Freund"317
Für die Ausgewanderten unter den Schauspielern wie auch im Publikum wird die ganze Welt
zu einem Hof.
Die Aufführung lebte von der Aufrichtigkeit und Spontaneität der Laien und von der
Erfahrung der Berufsschauspieler. Sowohl die Gastarbeiter wie auch das deutsche Publikum
nahmen das Stück sehr warmherzig auf. Der Nachhall, den das Stück hatte, zeigte sich
deutlich in einem Gespräch, das nach der Aufführung stattfand und von dem der Regisseur
später erzählte: "In dem Gespräch geschah das, was in solchen Situationen immer geschieht.
Einige scheinbar politisch Interessierte oder Möchtegern-Intellektuelle spielten sich auf und
versuchten, die Dinge dahin zu biegen, wo sie sie haben wollten. Ich persönlich wollte nicht,
daß sich das Gespräch so entwickelte. Ich versuchte, das Gespräch wieder auf das Thema des
Stückes zurückzubringen, damit im Laufe des Gespräches deutlich werden konnte, auf welche
Weise wir das Stück angingen, was die Lieder für eine Bedeutung hatten etc. Ich wollte, daß
aus diesem Gespräch Schlüsse gezogen würden. Währenddessen wurde es laut, und ich entzog
den Studenten das Wort, da ich direkt zu den Arbeitern sprechen wollte. Einige Arbeiter
standen auf und wollten wissen, was vorgefallen war. Irgendein Student warf ein, diese
Vorgehensweise sei nicht demokratisch. Da fragte ein Arbeiter zurück: 'Wer bist du denn, daß
du in meinen Namen reden kannst? Laß doch mich selbst sagen, was ich verstanden habe!'
Wir haben richtig gestritten."318
3.4.14.6 “Theatrikos Organismos Kyprou”, Nikosia 1972
Es ist das erste Mal, daß das Stück in griechischer Sprache außerhalb Griechenlands gespielt
wird. Diese Aufführung kann nur in engem Zusammenhang mit der sozio-politischen Lage der
317
318
Griechische Arbeiterbühne München, wie FN 315.
Interview mit Jiannis Kyriakidis, wie FN 316.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 89
Insel zu jener Zeit betrachtet werden. 1960 war Zypern aus der englischen Kolonialmacht entlassen worden und bildete erstmals einen unabhängigen Staat. Doch zu jener Zeit, als hier das
Stück von Kambanellis aufgeführt wurde, war dieses junge Land mitten in einer Zerreißprobe.
In der Innen- wie auch in der Außenpolitik bestanden immense Probleme. Parallel zur politischen Entwicklung, die mit Erreichen der Unabhängigkeit begann, nahm auch die kulturelle
Segregation ihren Lauf. Als Weiterentwicklung des einzigen Theaterverbandes, den es auf der
Insel gab, wurde 1971 der "Theatrikos Organismos Kyprou" gegründet. Er fungiert als
Nationaltheater Zypern. Sein Sitz ist im Theater der Stadt Nikosia, und er engagiert sich bis
heute stetig und sehr aktiv in der Gestaltung des Theaterlebens von Zypern.
Die kurze Zeit seit der Erlangung der Unabhängigkeit, die Nähe der Zeit, als das Stück
geschrieben wurde (1955), mit der politischen Annäherung Zyperns an Griechenland wie auch
die Tatsache, daß wichtige Mitglieder des Nationaltheaters Zypern Schüler von Karolos Koun
in Athen gewesen waren, führte dazu, daß man sich sehr bald auf die Wahl dieses Stückes
einigte, welches in Griechenland ein Element der Identitätsfindung geworden war und
welches mehrfach sowohl finanziell als auch kulturell ein großer Erfolg gewesen war. Ein
Jahr nach Gründung des Nationaltheaters Zypern führt er den "Der Hof der Wunder" auf.
Kambanellis beschreibt die historische Grundlage des Stückes, wobei er die ähnlichen und
manchmal sehr nahen Wege Griechenlands und Zyperns in der Geschichte betont: "1957:
Griechenland ist um 12 Jahre vom Ende des Zweiten Weltkrieges entfernt, und um 8 Jahre
von dem Ende des Bürgerkriegs. 1957 befinden wir uns in der entscheidenden Lage, in der das
Land sich bemüht, wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen. Doch nicht alle kommen
gleich solide zum Stehen. Der Fortschritt zeigt sich ungleich. Manche werden nach oben
gebracht, andere bleiben an dem Fleck, wo sie sich befinden, stehen. Genau zu diesem
Zeitpunkt, wo die Hoffnungen erfüllt werden sollen, um die man blutig gekämpft hat, werden
sie enttäuscht - das ist um so bitterer. Und da diese so frische Enttäuschung aller Hoffnungen
für die Griechen weder die erste noch die zweite war, werden alle früheren wieder wach."319
Der Prozeß von Zyperns Umgestaltung ist in vollem Gange. Studenten und andere Menschen
demonstrieren in großer Menge auf den Straßen von Athen. "Die zypriotischen Kämpfer für
die Freiheit werden zu allgemein griechischen Symbolen."320 Stelios Kavkaridis war der Darsteller des Stelios im Stück, und Bruder des sehr jung verstorbenen Regisseurs Vladimiros
Kavkaridis: "Für uns war Kambanellis damals der Erneuerer des griechischen Theaters, der
Beispiele für eine neue Ästhetik brachte. Er machte Vorschläge für eine neue Architektur des
Theaters, er untersuchte den Griechen unter verschiedenen Umständen. Die Probleme, die
Griechenland damals hatte, waren auch die Zyperns. Das Problem der Flüchtlinge war auch
bei uns drängend. In der Nähe von Nikosia waren ganze Städte von Menschen errichtet
worden, die mit Gewalt aus ihren Häusern vertrieben worden waren. Auch hier gab es Arme
und Bewohner von Baracken, und gleichzeitig die bürgerliche Klasse, die zur Zeit der
englischen Kolonialisierung die anderen für ein Stück Brot ausbeuteten. Und parallel dazu gab
es natürlich auch die Auswanderungswelle in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft
woanders. Deswegen hört es sich in Zypern besonders ergreifend an, wenn Anneto in
Gedanken an ihre Tochter beklagt, England habe den Zyprioten die Kinder weggenommen.321
Schließlich war England hier die Besatzungsmacht gewesen und hatte der örtlichen
Plutokratie die Möglichkeiten ausgebaut, die einfachen Menschen auszubeuten. So wurde
England auch der Anziehungspunkt für viele zypriotische Auswanderer.
319
320
321
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Artikel in der Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα), 27.02.1972.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 319.
Gespräch der Autorin mit dem Schauspieler, Stelios Kafkaridis, in Nikosia am 01.05.1997.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 90
Da die Darsteller für viele Jahre im griechischen "Theatro Technis" gespielt und gelernt
hatten, brachten sie nicht nur die dort gelernte Interpretation der Rollen dieses Stückes mit,
sondern auch ihre Erfahrungen des Lebens in Athen, der Hinterhöfe dort im Stadtzentrum, des
Lebens im Griechenland der 60er Jahre. Dazu kam die Methode des "Theatro Technis", daß
die Schauspieler persönliche Erlebnisse mit einbringen sollten. Die Schauspieler verbanden
die Athener Atmosphäre des Stückes mit ihren Erfahrungen in Zypern, und diese Mischung
konnten sie gut weitervermitteln. Die Aufführung folgt dem abgehobenen Realismus, der
bisher bei allen Aufführungen des Stückes mit eingeflossen war. Der Regisseur hatte früher
bei Koun als Schauspieler gearbeitet und auch in Rußland Theater studiert, deswegen basierte
seine Vermittlung der Rollen auf dem System Stanislawskis. Stelios Kafkaridis sagte in einem
Gespräch322, er habe zur Zeit der Proben Kontakt mit einem Menschen gehabt, welcher der
Figur des Stelios in vielem ähnlich war, und von dem er viele Details übernehmen konnte, die
ihm in der Gestaltung seiner Rolle halfen.
Kritik wie auch Publikum waren von dieser Aufführung begeistert. Die Kritik zollte jedem
einzelnen der Darsteller hohe Anerkennung für seinen persönlichen Beitrag zur Gesamtheit
des Aufführung. "Insgesamt brachten die Darsteller dem Publikum eine große Bandbreite an
Gefühlen und persönlichen Auf- und Abwärtsbewegungen, und das in einer Atmosphäre von
farblicher und theatralischer Harmonie, die sich mit der gelebten Realität vereinte".323 Das
Publikum gewährte dem Stück ein weiteres Mal einen großen Erfolg. Obwohl das Nationaltheater Zypern erst kürzlich gegründet worden war, konnte es dieses Stück siebzig Abende
spielen. Diese Vorstellungen waren ständig ausverkauft. Die gleiche Aufführung wurde mit
geringen Abänderungen 1974 nochmals aufgenommen, kurz bevor die Türkei in Zypern
einmarschierte.324
1995 fand eine neue Aufführung am "Satiriko Theatro", Nikosia, statt, einer Bühne, welche
von Vladimiros Kafkaridis gegründet und vom “Theatrikos Organismos Kyprou” gefördert
wurde. Zu jener Zeit waren Menschen, die immer wieder ihren Lebensort ändern mußten,
Entwurzelte, Menschen ohne eigenes Heim in der geteilten Stadt Nikosia Realität. Dieses Mal
betonte die Aufführung das Grau, das über der Seele der Personen lag. Das Bühnenbild gab
Härte wider. Es erinnerte eher an eine Löwengrube als an einen Hof. Die Terrasse des Iordanis
lag diesmal im Zentrum des Hofes. Iordanis stand für die naiven Künstler, ihre Werte und ihre
Welt, die am Verschwinden war. Das gesamte Bühnenbild hatte diese Ästhetik, es schien, als
hätte es dieser Iordanis selbst gemalt. Auch während des Stückes beschäftigte er sich auf
seiner Terrasse mit Holzschnitzerei.
3.4.14.7 "Thessaliko Theatro", Larissa 1975
Das "Thessaliko Theatro" ist der erste ernsthafte Versuch, ein griechisches Theater außerhalb
der Hauptstadt Athen zu gründen. Eine Gruppe von Künstlern, von denen viele aus Thessalien
stammten (und viele heute zu den wichtigsten Theatermenschen in Griechenland gehören),
beschloß, in die Provinz zurückzukehren und sich an den Bemühungen zu beteiligen, die
extreme Ausrichtung des Landes auf das Zentrum Athen aufzulockern. Dies war ein zu seiner
Zeit sehr fortschrittlicher Gedanke, der erst im folgenden Jahrzehnt zu einer allgemeinen
322
323
324
Gespräch der Autorin, wie FN 321.
Amelia (Αµέλεια), Kritik der Aufführung "Hof der Wunder" am “Theatrikos Organismos Kyprou”
"Eleftheria" (Ελευθερία) in Nicosia, 01.03.1972.
Das Publikum nahm irgendwann aktiv an der Aufführung teil. Kambanellis beschreibt: "Gegen Ende des
Stückes kommt der Auszug. Dabei geschah einst folgendes: Als das Stück 1974 wiederholt wurde und die
Schauspieler den Schluß mitten unter den Zuschauern spielten und sich gegenseitig aufforderten, aus dem Hof
fortzugehen, standen die Flüchtlinge unter den Zuschauern mit auf und verließen hinter den Schauspielern das
Theater!". Siehe Kambanellis, Iakobos, wie FN 13, hier S. 52.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 91
Tendenz in Griechenland werden konnte. Zur Einweihung des Theaters wurde als erste
Aufführung das Stück "Der Hof der Wunder" von Kambanellis ausgewählt. Diese
"Dezentralisierung" manifestierte sich in den achtziger Jahren auf der Ebene der Verwaltung,
der Wirtschaft und der Kultur. Dabei wurde, wie schon erwähnt, für das Theater die Instanz
der "Di.Pe.The." geschaffen. Noch ganz in der Ära des Zentralismus begann also das
"Thessaliko Theatro" seine Arbeit. Man war sich bewußt, daß man nun nicht nur für ein
städtisches, sondern auch ein bäuerliches Publikum spielte. Viele der Zuschauer waren
vielleicht noch nie in einem Theater gewesen. Zielsetzung des Theaters war dabei, zur
dauerhaften Einrichtung werden zu können und die bisher umherreisenden Ensembles zu
ersetzen. Um das zu erreichen, wurde als erstes Stück der "Der Hof der Wunder" von
Kambanellis genommen.
Der Regisseur des Stückes, Diagoras Chronopoulos, teilte im Gespräch mit: "Es war unsere
ausdrückliche Entscheidung, daß wir als erstes ein griechisches Stück aufführen wollten, und
eines, das das Publikum verstehen kann. Das Stück von Kambanellis war dafür ideal, denn es
verband Realismus und Poesie. Diese Wahl half uns auch sehr bei der weiteren
Zusammenstellung unserer Stücke, denn wir wollten damals herausfinden, welche Stücke wir
spielen sollten, wie das Publikum darauf reagieren würde. Das Stück von Kambanellis gab
uns eine Antwort auf diese Fragen."325
Die Mitwirkenden und die Schauspieler waren voll Enthusiasmus bei der Sache, was während
der Aufführungen als Euphorie zutage trat. Dieser Enthusiasmus wurde durch zwei Dinge hervorgerufen. Da war zum einen das Gefühl, an bahnbrechender Theaterarbeit beteiligt zu sein,
die auch noch in einer Gegend stattfand, wo es bisher kaum eigene Theatererfahrungen gab.
Die Tatsache, daß ihr Publikum bisher nur unregelmäßig durchreisende Gruppen zu sehen
bekommen hatten, erhöhte das Bewußtsein ihrer Verantwortung. Es war das erste Mal, daß in
dieser Region ein festes Ensemble engagiert war und dem Theater dauerhaft ein Gebäude
zugeteilt werden konnte. Zum anderen war es ihre Freude, als Künstler nach sieben Jahren
Diktatur endlich wieder frei reden zu können, denn vorher hatte eine strenge und allgegenwärtige Zensur geherrscht.
Der Versuch, in jener Zeit in der Stadt Larissa ein Theater aufzubauen, bedeutete einen
Beginn am absoluten Nullpunkt, denn in dieser Gegend gab es nicht einmal Räumlichkeiten
mit den minimalen materiellen und technischen Voraussetzungen für ein Theater. Die
Schwierigkeiten waren manchmal so groß, daß die Beteiligten den Mut verloren und aufgeben
wollten. In solchen Momenten engagierte sich Kambanellis persönlich, der zu den
Gründungsmitgliedern des Ensembles gehörte (wie auch viele andere Intellektuelle), und
motivierte sie mit Worten wie diesen: "Ihr seid die Avantgarde! Ihr habt eine neue Ebene des
griechischen Theaters geschaffen. Euer Beispiel wird bald Nachahmer finden, und die
griechische Provinz wird viele weitere Theater wie das Eure bekommen. Ihr habt nicht das
Recht, nochmal aufzuhören."326 Der Versuch wurde mit voller Kraft weitergeführt, denn das
Ensemble legte Wert darauf, ein "Volkstheater zu schaffen, bei dem jede Aufführung eine
Bedeutung wie ein Jahrmarkt bekommen sollte, und es sollte den Bewohnern dieser
rückständigen Gebiete ein reiches Theaterleben und echte Gefühle bescheren."327
325
326
327
Gespräch der Autorin mit dem Regisseur des Stückes, Diagoras Chronopoulos (∆ιαγόρας Χρονόπουλος), am
30.07.1996.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Artikel in der Zeitschrift "Epilogos" (Επίλογος), Jahrgang
1992, S. 132.
Information von Tsianos, Kostas (Τσιάνος, Κώστας), dem damaligen Intendant des "Thessaliko Theatro",
welches später in "Peripheriako Theatro Larissas" umbenannt wurde. Aus dem Vorwort von Tsianos, Kostas,
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 92
Dieses Publikum, welches in vielen Theaterdingen völlig uninformiert war, wurde sehr ernst
genommen, nicht nur bei der Auswahl des Stückes selbst, sondern auch bei der Auswahl der
ästhetischen Linie, die die Aufführung verfolgen sollte. "Wir haben ihre Sprache gesprochen.
Wir haben sie in den Kaffeehäusern und in den Trinkhallen kennengelernt, wir haben mit
ihnen auf den Jahrmärkten getanzt. Wir sind welche von ihnen geworden und gaben uns
Mühe, so weit es geht, mit ihnen Schritt zu halten. Wir lernten die populären Theaterformen
kennen, und voll Nostalgie dachten wir an die Theatergruppen, die uns als Kinder auf den
berühmten Basaren in Thessalien verzaubert hatten."328 Schließlich fand man einen Platz für
die Aufführung im Kommunalen Odeon, der Musikschule von Larissa. Die Bühne war klein,
mit einer Breite von 5,60 m und einer Tiefe von 5,20 m. Man mußte Sitzreihen aus dem
Zuschauerraum entfernen und einen Vorbau für die Bühne installieren, um ein bißchen mehr
Platz zu schaffen. Das Bühnenbild mußte leicht und transportabel sein, da man ja auch an
anderen Orten auftreten wollte, doch mußte es auch stabil genug sein, da die Schauspieler ja
auch auf die obere Ebene stiegen. Die Kostüme wurden vom Kostümbildner aus der
Umgebung gesammelt. Er bat die Frauen von Larissa, ihre alten Truhen zu öffnen und ihn aus
den dort vorhandenen alten Kleidungsstücken die geeigneten für das Stück auszuwählen. Es
waren die Kleider von einfachen Menschen, die zu Kostümen für die Aufführung wurden.
Die Musik, zusammengestellt und arrangiert von dem Komponisten Loukianos Kilaidonis,
sollte dazu beitragen, die Atmosphäre der 50er Jahre wiedererstehen zu lassen. Dazu wurden
Schlager jener Zeit ausgewählt, so der berühmte "Laß doch dein Haar". Die Wiedergabe der
Lieder wurde so bearbeitet, daß sie klangen, als kämen sie von alten Platten aus jener Zeit.
Das Ende des Stückes, bei dem Iordanis in der Mitte der Bühne stand und dann alle
gemeinsam abtraten, strahlte Optimismus aus. Dabei erklang das populäre Lied "Mein
Häuschen mit dem weißen Jasmin".
Das Publikum kam aus allen Ecken der Stadt und aus allen Teilen der Umgebung, wenn man
auf Tournee war. Es war warmherzig und spontan, und jeden Abend füllten sich die verfügbaren 220 Plätze. Das Stück wurde begeistert aufgenommen. Der Bühnenbildner Georgos Ziakas
erinnert sich: "Unten im Parkett drängten sich unsere Freunde, Verwandte und Unbekannte
aus Larissa auf den Sitzen und in den Gängen. Gerührt und stolz klatschten sie Beifall. Ein
Theater war geboren."329 Unter dem Eindruck dieser allgemeinen Begeisterung erlebten die
Schauspieler einzigartige Glücksmomente, und viele nannten dies den wichtigsten Punkt ihrer
Karriere. Die Athener Kritik griff zu dem Wortspiel in Anspielung auf den Titel des Stückes
und sprach von einem 'Wunder in der Provinz'.330
3.4.14.8 Nationaltheater, Athen 1982
Jahre nach der sehr erfolgreichen Aufführung im Nationaltheater, in Anknüpfung an die vielen
und sehr erfolgreichen weiteren Aufführungen im professionellen wie auch im Laienbereich,
wurde das Stück von Kambanellis "Der Hof der Wunder" nochmals vom Nationaltheater
aufgeführt. Regisseur und Darsteller der zentralen Rolle war Kostas Bakas. In erster Reaktion
nahm man es dem Nationaltheater übel, daß es ein Stück aufführte, welches doch sowieso oft
gespielt würde. Kostas Nitsos, der Intendant des Nationaltheaters, begründet diese Entschei-
328
329
330
in der Festschrift: "15 Jahre 'Thessaliko Theatro' " (15 χρόνια Θεσσαλικό Θέατρο" ('15 chronia Thessaliko
Theatro'). Herausgegeben vom "Thessaliko Theatro Larissas" 1991, S. 19.
Information von Tsianos, Kostas, wie FN 327.
Ziakas, Georgos (Ζιάκας, Γιώργος), in der Festschrift: '15 chronia Thessaliko Theatro' (15 χρόνια Θεσσαλικό
Θέατρο). Herausgegeben vom "Thessaliko Theatro Larissas" 1991, S. 21.
Parlas, Kostas (Πάρλας, Κώστας): Kritik der Aufführung des Stückes "Der Hof der Wunder" am
Thessalischen Theater in der Zeitung "To Vima" (Το Βήµα), 14.01.1976.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 93
dung mit drei Argumenten. Zum einen soll das neugriechische Theater geehrt werden, zum
anderen soll der Autor geehrt werden, der an der Spitze einer ganze Generation von Dramatikern steht, und zum dritten soll das Jubiläum der 25 Jahre seit jener ersten Aufführung
gefeiert werden.331 Doch das Stück hatte selbst 1982 seine Aktualität nicht verloren.
Das Nationaltheater nahm diese Aufführung zum Anlaß, auch seine Pläne für eine innere
Veränderung umzusetzen. Anstatt wie bisher Stücke auszusuchen, deren Hauptrollen einigen
Schauspielern auf den Leib geschrieben waren, sollten nun wichtige Stücke aufgrund ihres
Inhalts ausgewählt werden, in denen alle Schauspieler einsetzbar waren, egal, ob nun in einer
kleinen oder einer großen Rolle. Die Vorstellungen sollen vom gesamten Ensemble getragen
werden. Der Regisseur wollte das Stück nun nicht mehr in der Atmosphäre von 1957 sehen,
sondern in der von 1982. Deswegen wurde das Bühnenbild um einiges härter interpretiert.
"Wir versuchten, dem Stück einiges seiner Zärtlichkeit und der komischen Situationen zu nehmen. Es sollte eine härtere Stimmung aufkommen, da ja auch unsere Zeit dahin tendiert. Es
interessierte uns, den Grund oder die Gründe zu untersuchen, wieso diese kleine Gesellschaft
entwurzelt werden mußte. Unser Ziel ist es, die gesellschaftlichen Wahrheiten, die schlußendlich auf der ökonomischen Lage der Personen basieren, ohne jede Romantik aufzuzeigen."332
Aus diesem Grunde wurde die Aufführung an der 'Neuen Bühne' des Nationaltheaters gespielt
und nicht im Hauptsaal. So sollte der Schauspieler die Möglichkeit bekommen, direkt mit
dem Zuschauer zu kommunizieren, ohne daß sie wie bei der italienischen Bühne getrennt
würden. Jegliches Element, das malerisch hätte wirken können, wurde aus dem Bühnenbild
entfernt. Es wirkte nun nicht mehr so romantisch wie einst. Die Baracken des Hofes grenzten
mit dem Rücken an eine Fabrik, von der man hinten die Schornsteine sah. Sie rauchten die
ganze Zeit über und verbreiteten eine sehr depressive Stimmung auf der Bühne. Man sah vier
bis fünf Türen, die zum Ende des Stückes geöffnet blieben und wie leere Särge wirkten. Die
Strenge und Schwere des Bühnenbildes wurde den Zuschauern sofort deutlich, sobald sie den
Zuschauerraum betraten. Die Wahrheiten, um die es hier ging, waren hart. Die musikalische
Bearbeitung konzentrierte sich darauf, an die Stimmung Griechenlands der 50er Jahre zu
erinnern.
Die Kritik war sich hier nicht ganz einig, überwiegend nahm sie das Stück aber wieder positiv
auf. Georgousopoulos schrieb: "Das Stück ist kraftvoll und anrührend wiederauferstanden und
zeigte keinerlei Falten. ... Die Aufführung ist vom Stück her und von der Zielsetzung her
gehaltvoller als die frühere von Koun."333 Minas Christidis war anderer Meinung. Er fand, daß
hier das Stück nicht genug respektiert wurde, da "jene Elemente verlorengingen, die den Problemen einen universellen Charakter gaben, weil das Bühnenbild die falschen Dinge
beleuchtete und so meiner (Christidis') Meinung nach das Stück auf das Niveau einer
rührenden Fernsehserie und eines tränengetränkten Liebesdramas herabgemindert wurde."334
Christidis, der selbst in jener legendären Aufführung des "Theatro Technis" den Ersten
Bauingenieur dargestellt hatte, lenkte die Diskussion auch wieder auf die vielen Aufführungen
des "Hofes der Wunder", als er in einem Gespräch mit Kambanellis, welches veröffentlicht
331
332
333
334
Nitsos, Kostas (Νίτσος, Κώστας), Kritik der Aufführung des Stückes "Der Hof der Wunder" am
Nationaltheater, Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα), 01.12.1982.
Nitsos, Kostas, wie FN 331.
Georgousopoulos, Kostas (Γεωργουσόπουλος, Κώστας): Kritik der Aufführung des Stückes "Der Hof der
Wunder" am Nationaltheater, Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα), 23.12.1982.
Christidis, Minas (Χρηστίδης, Μηνάς): Kritik der Aufführung des Stückes "Der Hof der Wunder" am
Nationaltheater 1982. Zeitung "Ethnos" (Έθνος), 17.12.1982.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 94
wurde, wiederholte, daß das Niveau des Stückes hier auf das einer Schnulze gesenkt worden
sei.335
Kambanellis unterstützte die Inszenierung und antwortete, diesmal seien die gesellschaftlichen
Faktoren besser betont worden, das Publikum sei deutlich am Geschehen beteiligt gewesen
und von allem, was geschah, wirklich berührt gewesen. In diesem Rahmen sei auch das
Liebesdrama durchaus berechtigt. Zur Darstellung des Charakters von Stelios sagte er: "Bakas
hat die Rolle besser gelehrt, als er sie selbst gespielt hat."336
3.4.14.9 "Kratiko Theatro Voriou Ellados", Thessaloniki 1983
Ein Jahr nach dem erneuten Erfolg des Stückes im Nationaltheater wurde dieses Stück von
Kambanellis am "Kratiko Theatro Voriou Ellados" (Staatstheater Thessaloniki) inszeniert. Es
war auch das erste Mal, daß ein Stück von Kambanellis von einer Frau inszeniert wurde. Das
Stück wurde noch immer als aktuell empfunden, da die Entwurzelung des Einzelnen immer
noch ein wichtiges Thema der griechischen Gesellschaft war, wie auch das Motiv des
unerfüllbaren Traumes. Diese beiden Themen blieben über die Zeit hinaus aktuell, auch wenn
die äußeren Umstände, unter denen sie sich abspielen, sich veränderten. In Thessaloniki,
einem Ort, der ganz besonders stark von Flüchtlingen besiedelt wurde, wurde dies deutlich
nachempfunden, und die Schauspieler selbst kannten die Situation zumindest aus Erzählungen
von einer oder zwei Generationen vor ihnen.
Die Bühne des "Kratiko Theatro Voriou Ellados" wird von Samtvorhängen flankiert, und man
befand, daß das ganze Theater von seiner Ausstrahlung her nicht zu diesem Stück paßte,
welches von der Agonie und Verzweiflung der Bewohner des "Hofes" geprägt ist. Der Bühnenbildner versuchte, den akademischen Charakter des Theaters aufzubrechen. Um einen
direkteren Kontakt zwischen Zuschauer und Bühne herzustellen und leichter Emotionen
fließen zu lassen, wurde die Szene außerhalb des abgeschlossenen Raumes der italienischen
Bühne aufgebaut. Man nahm die ersten zwei Sitzreihen des Publikums weg und vergrößerte
so den verfügbaren Raum. Der gesamte Mittelgang des Zuschauerraums wurde als
geschlossener Raum verbaut, über dessen Dach die Schauspieler zum Schluß des Stückes wie
über eine Rampe hinausgingen, in Richtung des Foyers. Der größte Teil der Handlung spielte
sich auf einem Vorbau vor dem Hof ab, der die Straße außerhalb darstellen sollte. Er teilte
Bühne und Parkett der Länge nach in zwei gleich große Bereiche auf. Das Bühnenbild
vermied, soweit das möglich war, beschreibende Elemente. Es war mehr die Synthese
bestimmter Materialmengen und Stoffe, die sehr alltäglich sind. Farben und Licht sollten die
Stimmung hervorrufen, die der Autor beschwört.
In der Musik wurden bewußt keine Taksim-Rhythmen oder Rembetiko-Musik eingesetzt, die
wieder ein malerisches Element sein könnten, und man vermied auch Musikinstrumente, die
auf die Zeit verweisen könnten, zu der das Stück geschrieben wurde. Statt dessen verwendete
man die Musik mit als Illustration des Geschehens. Insgesamt wurde angestrebt, die Zeit, in
der das Stück spielt, so wenig wie möglich festzulegen. Bei der Rollenverteilung wurden alle
Personen außer Iordanis und Annetto mit sehr jungen Schauspielern besetzt. Die jungen
Schauspieler sollten mit ihrem Instinkt auch die Technik der älteren lenken. Es gab auch noch
einen zweiten Gedanken bei dieser Auswahl: Wenn die Schauspieler die Frische der Jugend
ausstrahlen würden, so würde der Verlust all ihrer Hoffnungen noch tragischer bei ihnen
wirken.
335
336
Gespräch zwischen Christidis, Minas (Χρηστίδης, Μηνάς) und Kambanellis, Iakobos: Zeitung "Ethnos"
(Έθνος), 19.12.1982.
Christidis, Minas, wie FN 335.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 95
Das Publikum war auch dieses Mal von dem Stück begeistert. Ein Theater, das 900 Zuschauern Platz bot, war eine ganze Saison lang jeden Abend voll.
3.4.14.10 Di.Pe.The. Ioanninon, Ioannina 1984
Der Regisseur Vouteris inszeniert das Stück zum zweiten Mal. Er hatte es schon vor einigen
Jahren für eine Laiengruppe in den ehemaligen Gefängnissen von Ägina bearbeitet. Das war
eine Aufführung in einem ganz besonderen Raum. Der wichtige Erneuerer und Reformator
Kapodistrias337 hatte das Gebäude ursprünglich als Waisenhaus für die Kinder gebaut, deren
Eltern im Freiheitskampf der Griechen gestorben waren. Später wurde daraus das berüchtigte
Gefängnis. Intensive Erinnerungen hatten die Atmosphäre also von vornherein aufgeladen.
Die Menschen des Hofes lebten innerhalb der Eisengitter, die das Gefängnis abschlossen. Dort
hatten sie ihre Baracken gebaut. Durch den vorbelasteten Ort bekam die Aufführung dort eine
ganz eigene Dynamik.
Als der Regisseur Vouteris nun dieses Stück für eine berufliche Bühne wieder inszenieren
sollte, legte er erneut Wert auf eine außergewöhnliche Lokalität. Er kam nach Ioannina und
fuhr gleich weiter in die Berge, wo eine Gruppe von sehr malerischen Dörfern liegt, die
Zagorochoria. Diese Dörfer sind durch ihre traditionelle, sehr originelle Bauweise und
aufgrund der Tatsache, daß sehr viele dieser Bauten noch erhalten sind, berühmt geworden.
Dort suchte er nach einem geeigneten Ort für die Aufführung. Schließlich entschied er sich für
das antike Odeon von Nikopolis. In dieser Wahl zeigt sich auch seine Ansicht, daß dieses
Stück nicht für geschlossene Räume geeignet ist. Seiner Meinung nach wäre es dort viel zu
eingeschlossen und festgelegt.
Als szenischer Hintergrund für diese Inszenierung boten sich die Ruinen des antiken Odeons
an. Die Ruinen des antiken Theaters wurden durch Bleche miteinander verbunden und stellten
so die Behausungen der Menschen im Hof dar. Hinter dem Odeon wurden riesige Gerüste mit
einer Höhe von ca. 20 - 25 Metern gebaut und mit Sackleinen verhangen. Sie gaben der Vorstellung eine besondere Dynamik. Man hatte den Eindruck, dieser Raum sei akut von der Einnahme durch den Fortschritt, von der Vernichtung bedroht. Die Orchestra wurde stark einbezogen, hier spielten sich Opferszenen, Liebesszenen und Tod ab. Das antike Odeon wirkte als
Behausung der Menschen des Hofes so bedrohlich, daß man den Eindruck hatte, irgend
jemand hätte diese Personen hier hineingeworfen, und andere schicken sich nun an, sie wieder
zu vertreiben, um das Hochhaus zu bauen.
Selbst die Darstellungsart, die realistisch war, wie es zu dem Stück paßte, bekam in dieser
Umgebung eine weitere Dimension. Es herrschte eine große Angst, die Menschen schienen
wie winzige Pünktchen in einem riesigen All, und sie waren von der Furcht vor dem
Unbekannten ergriffen, oder auch Furcht vor dem sehr wohl Bekannten, welches zwar eher
unangenehm ist, aber doch immer wiederkommt. An diesem erinnerungsschweren Ort
wiederholte sich die Geschichte. Und die Menschen wußten, was da kam.
Aus diesem Grund wurde der Abgang wie durch mehrere Cuts getrennt gestaltet. Und die
Worte am Ende der Aufführung waren nicht optimistisch. Es waren die Worte, die Helden
sprechen, um das zu beschwören, was wieder und immer wieder kommt. Sie gingen voll
Trauer, getrieben von der unbeantworteten Frage nach dieser ungerechten Bewegung, die sie
gefangenhält. Ziel dieser Inszenierung war, vor diesem deutlich gestalteten Hintergrund die
feine Psychologie dieser Personen um so klarer herauszuarbeiten. Die Kleidung war ganz
337
Ioannis Kapodistrias (Ιωάννης Καποδίστριας), war der erste Regent Griechenlands nach seiner Befreiung
vom Osmanischen Reich. 1927 wurde er vom dritten Staatsrat gewählt, er regierte Griechenland von 1928 bis
zu seiner Ermordung 1931 in Nauplia, der damaligen Hauptstadt Griechenlands.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 96
aktuell gehalten, sie verwies auf keine andere als die aktuelle Epoche. Es war eine neue Musik
speziell für das Stück geschrieben worden, eine minimalistische Musik: Ein Kontinuum, das
keine bestimmten Momente hervorhob, sondern die Schauspieler anregte und innere
Spannungen aufbaute.
3.4.14.11 "Di.Pe.The. Komotinis", Komotini 1987
Der Intendant dieses Theaters ("Di.Pe.The. Komotinis" bedeutet 'Provinztheater der Stadt
Komotini'), Basilis Kyritsis, inszenierte das Stück und spielte selbst die Hauptrolle. Seine
Inszenierung griff eine Idee auf, die der Kritiker Georgousopoulos einmal als reines
Gedankenspiel äußerte: Es wäre für die Geschichte des neugriechischen Theaters besonders
interessant, wenn am gleichen szenischen Ort die drei Stücke "Der Schößling" (Pandelis
Chorn, 1921), "Der Hof der Wunder" (Iakobos Kambanellis, 1957) und "Trauring und
Backgammon" (Dimitris Kechaidis, 1972) aufgeführt würden.338 Der Regisseur sprach
mehrmals mit dem Kritiker über diese Idee und setzte sie dann in die Tat um. Der
Bühnenbildner bekam dann die Aufgabe, sich ein Bühnenbild auszudenken, welches für drei
verschiedene Stücke zu verwenden wäre.
Die Stücke wurden nacheinander aufgeführt. Dabei muß man wissen, daß die Bewohner der
Stadt Komotini religiös und ethnisch sehr gemischt sind. Hier leben Orthodoxe und Muslime
miteinander, viele von ihnen stammen aus anderen Gegenden und sind erst im Laufe der
Grenz- und Bevölkerungsverschiebungen besonders in der ersten Hälfte des zwanzigsten
Jahrhunderts nach Komotini gekommen. Die Orthodoxen unter ihnen, die sich von der
Abstammung ihrer Vorfahren her als Griechen verstehen, stammen aus diversen Gebieten im
heutigen Bulgarien oder der Türkei. Auch die Muslime haben unterschiedliche ethnische und
lokale Provenienzen.
Die Szene der Kleinen Bühne war überwiegend im Schwarz-Weiß-Kontrast gehalten. Die
Kleine Bühne sollte das psychologische Gefühl der Enge betonen, das sich auch aus den
beschränkten finanziellen Möglichkeiten der Charaktere ergab, die keine Möglichkeit hatten,
sich mehr Wohnraum zu leisten. Iordanis war ein begeisterter Holzschnitzer. Während der gesamten Vorstellung saß er auf seiner kleinen Terrasse und schnitzte vor sich hin.
Die Musik des Komponisten Thanasis Gaifilias war überwältigend. Sie verwendete keine konkret erkennbaren Melodien, baute aber auf den Rhythmen der traditionellen thrakischen Musik
auf. An manchen besonders dramatischen Stellen untermalte sie auf äußerst bewegende Weise
das Geschehen. Die Inszenierung wurde auch finanziell ein großer Erfolg für dieses Theater.
Es schien, als sei es ein Verlangen des Publikums, daß dieses ihnen so nahe Stück ein Erfolg
würde. Das Stück wurde erst abgesetzt, als dies aufgrund der weiteren Vorausplanung des
Repertoires nicht mehr aufzuschieben war.
3.4.15 Fazit aus den Aufführungen des Stückes "Der Hof der Wunder"
Das vorangehende Kapitel basiert auf eigenen Untersuchungen in der "Vivliothiki Theatrou"
(Theaterbibliothek) in Athen, wo reiches Archivmaterial über diese Aufführungen zu finden
ist, wie auch auf persönlichen Gesprächen mit den Regisseuren dieser Aufführungen, soweit
dies möglich war. In dieser Untersuchung sollte die ideologische und ästhetische Position der
Ensembles herausgestellt werden, welche dieses Stück aufführten. Jedes von ihnen traf sehr
eigene und klare Entscheidungen darüber, wie es aufzuführen sei.
338
Georgousopoulos, Kostas, wie FN 99, hier S. 11.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Der Hof der Wunder"
S. 97
Aus dieser Übersicht lassen sich einige Interpretationen ableiten: Das Stück von Kambanellis,
"Der Hof der Wunder", weist eine große und vielfältige Anzahl von Aufführungen auf,
sowohl im beruflichen wie auch im Amateurbereich339. Sehr oft war die Aufführung dieses
Stückes direkt verbunden mit der Einrichtung neuer Theater. Wie es scheint, bildete dieses
Stück einen festen Bestandteil in der Auswahl der Repertoires. Auch wegen der Möglichkeit,
es mit einfachen Mitteln aufzuführen, war es bei den finanziell schwachen Theatern beliebt,
außerdem stellte es sich mit der Zeit heraus, daß der Erfolg schon mit der Wahl dieses Stückes
fast sicher war. Das Stück wurde oft in Städten oder Stadtteilen gespielt, in denen viele
Flüchtlinge lebten. Diese Tatsache zeigt, daß die grundlegende Thematik dauerhaft aktuell
blieb.
Der Wunsch des Ensembles, die Kodizes der Darstellung der griechischen gestaltenden Kunst
mit diesem Stück zu ergründen, welches bekannte Zustände und Erlebnisse darstellte, traf sich
optimal mit dem Bedürfnis des Publikums, sich selbst besser kennenzulernen. Die Zuschauer
kannten das Stück im Laufe der Zeit immer besser, da es so oft gespielt wurde. Und es scheint
ihnen ein großes Bedürfnis gewesen zu sein, jede Aufführung des Stückes zu einem Erfolg zu
machen. Die Identität der Ensembles, der szenischen Umsetzungen und des Publikums übertrug auch auf das Stück im Nachhinein einen ganz bestimmten eigenen Charakter, welcher
trotz der Unterschiedlichkeit der Aufführungen sich von Mal zu Mal deutlicher ausprägte.
Die erste und sehr erfolgreiche Aufführung von Koun am "Theatro Technis" stellte auch eine
gewisse Festlegung dar, die man unter gewissen Gesichtspunkten sogar als Falle interpretieren
kann.340 Doch im Laufe der Zeit entwickelten sich die Aufführungen weg von dieser malerischen szenischen Interpretation und suchten mit der fortschreitenden Entwicklung der griechischen Gesellschaft Schritt zu halten.
So wurde in den späteren Aufführungen immer mehr die harte Seite des Stückes betont. Die
Inszenierung war darauf ausgelegt, die Beständigkeit des Themas durch lange Zeiten zu betonen, wobei der poetische Realismus als äußerer ästhetischer Rahmen stets von Bedeutung war.
Im Laufe der Zeit und der vielen Aufführungen wurde das tragische Element in der Welt des
Hofes immer deutlicher herausgearbeitet, und mit ihm die Identität des psychisch obdachlosen
Flüchtlings, welche die griechische Gesellschaft charakterisiert.
339
340
Eine Untersuchung der Rezeption dieses Stückes durch Laienschauspieltruppen wäre sehr interessant, leider
sind diese Informationen aber nur noch sehr bruchstückhaft vorhanden, da in diesem Bereich keinerlei
Archivierung existiert.
Georgousopoulos, Kostas und Mavromoustakos, Platon, wie FN 214, hier S. 36.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Das Alter der Nacht"
S. 98
3.5 Das Stück "Das Alter der Nacht"
3.5.1 Inhaltsangabe341
In einem alten, vornehmen Haus am Koumoundourou-Platz in Athen wohnen Menschen ausgesprochen unterschiedlicher Herkunft. Im Obergeschoß wohnt die Familie des Unternehmers
Karras, dem das ganze Haus gehört. Im Erdgeschoß leben Menschen, die im Krieg aus ihren
Wohnungen in Piräus ausgebombt wurden und nun seitdem hiergeblieben sind, weil das
Mietrecht342 sie schützt.
Dimitris, der Sohn des Unternehmers Karras, ist gerade aus Paris zurückgekehrt, wo er studiert hatte. In Athen wird er mit seinen Eltern konfrontiert, die ihn übermäßig beschützen wollen. Er wird von seinen Freunden enttäuscht, die nichts als Phrasendrescherei und Gleichgültigkeit für den Rest der Welt kennen. Später sieht er zufällig seine Liebste, die ihn mit einem
Matrosen betrügt. Sein Vater möchte die Bewohner des Erdgeschosses mit Gewalt vertreiben.
Außerdem treibt er mit seinem zynischen Verhalten den Händler Sarris in den Selbstmord, indem er ihm in einer schwierigen finanziellen Lage jeglichen Beistand verweigert, um den
jener verzweifelt fleht. Währenddessen leben die Menschen im Erdgeschoß mit der Angst,
einer ihrer Angehörigen, der aus politischen Gründen gefangengenommen wurde, könnte
hingerichtet werden.
Am letzten Abend vor der Hinrichtung besucht Dimitris, der von der ganzen Welt enttäuscht
wurde, die Menschen im Erdgeschoß, die die Nacht durchwachen und sich um den jungen
Mann sorgen, den sie zu verlieren fürchten. Hier sieht Dimitris einen freundlichen Umgang
miteinander und Menschlichkeit. Notgedrungen kommt es zum Konflikt zwischen den beiden
Welten, er gerät in eine Krise seiner inneren Werte. Nachdem der Vater sich weigert, den
Menschen von unten in diesem so tragischen Moment zu helfen, nimmt Dimitris sich das
Leben.
3.5.2 Kommentar zum Titel
Der Titel dieses Stückes hat wieder symbolische Bedeutung, er deutet die Umstürzung der
natürlichen Ordnung der Dinge an. Die Nacht und das Dunkel werden üblicherweise mit dem
Alter, dem Greisentum und dem Tod assoziiert. Doch in diesem Stück finden zwei sehr junge
Menschen den Tod. Das Schwarz des Todes war für den politisch unliebsamen jungen Mann
von seinen Gegnern schon vorbereitet. Er gehörte zu den Bewohnern der Zimmer im Erdgeschoß, ein einfacher Mensch des Volkes.
Dimitris dagegen, ein junger Mann aus gutbürgerlichem Hause, der im oberen Stockwerk
wohnt, beschließt von sich aus, das Schwarz des Todes für sich zu wählen, da er das
heuchlerische Leben seiner Gesellschaftsschicht nicht erträgt. So umarmt das Alter der Nacht
und des Todes auf tragische Weise das Alter der Jugend.
341
342
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): "Das Alter der Nacht" (Η ηλικία της νύχτας), in (ders.):
Theater, Bd. 1, Athen 1978, S. 195 - 276.
Das Mietrecht wurde vom Staat zum Schutz der Mieter eingeführt. Der Mieter sollte dadurch unterstützt
werden, daß man von Gesetz her eine Höchstmiete festschrieb, die nicht überschritten werden durfte. Die
Inflation führte dazu, daß diese einmal festgelegte Höchstmiete im Vergleich zu den anderen
Lebenshaltungskosten immer günstiger wurde. Daher hatten Mieter, die schon längere Zeit in einer Wohnung
lebten, keinerlei Interesse mehr, auszuziehen - jedes neue Mietverhältnis würde viel teurer werden. Diese
Politik wurde in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg in weiten Teilen Griechenland angewandt.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Das Alter der Nacht"
S. 99
3.5.3 Die Atmosphäre des Stückes
Ich ging durchs Leben und hatte die Sonne als Morgengabe.
Nur konnte ich das Licht nicht halten, Trost, Trost fand ich keinen.
An dem steilen Weg der Welt nach oben bereiteten sie mir einen Hinterhalt,
und der Freund wurde zur Feuersbrunst, und der Bruder zum Messer.
Ich nahm Abkühlung und goß die verwelkte Brust.
Doch das Herz, welches ich fragte, antwortete mir nie.
An dem steilen Weg der Welt nach oben bereiteten sie mir einen Hinterhalt,
und der Freund wurde zur Feuersbrunst, und der Bruder zum Messer.
Aus dem Liederzyklus von Kambanellis über Mauthausen
Dieses Gedicht, 1965 von Iakobos Kambanellis geschrieben, behandelt ein Thema, welches
die griechische Gesellschaft der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts mehr prägte und
traumatisierte als irgendein anderes. Der Bürgerkrieg, der in den Jahren 1944 bis 1949 das
gesamte Land erfaßt hatte, spaltete die gesamte Bevölkerung in die Lager 'links' und 'rechts',
die sich unversöhnlich gegenüberstanden. Dieser Haß, der noch viele Jahre anhielt und mit
ausschlaggebend dafür war, daß sich Griechenland nicht rasch erholen und entwickeln konnte,
ist ein zentrales Motiv in dem Stück "Das Alter der Nacht".
3.5.4 Die Zielsetzung des Autors343
In seinem Vorwort im Programmheft zur Uraufführung 1959 gab der Autor selbst an, daß er
sich weiterhin der 'Waffe' des Naturalismus bediene. Diesmal nehme er jedoch die bürgerliche
Gesellschaftsschicht unter die Lupe. Hier sprach er auch zum ersten Mal davon, daß mit diesem Stück ein Zyklus geschlossen werde. (Dieser wird später Trilogie genannt werden.) Da
Kambanellis diese drei Stücke erstmalig als zusammengehörig betrachtete, zeigte er auch die
Achsen auf, die sie miteinander verbinden. Seiner Ansicht nach sind es Stücke, die eigentlich
alle vom gleichen Problem handeln: Sie betreffen Menschen, die am gleichen Ort und unter
ähnlichen sozialen Bedingungen leben. Außerdem gibt es in diesen Stücken ein "dramatisches
Zentrum aus gleicher Substanz, nämlich die Auflehnung bei Suche nach einem Ausweg, verbunden mit dem tragischen Wunsch, selbst etwas erschaffen zu können."344 Die sozialen
Zwänge, welche die Träume besonders der jungen Leute zunichte machen, doch auch die
Natur des Menschen, der Griechen, der jungen Menschen, die etwas bewirken wollen, sind die
Konfliktstoffe aller drei Stücke.
Im Programmheft zu dieser Aufführung345 analysierte Kambanellis auch den sozio-politischen
Hintergrund seiner Stücke genauer. Während er dieses Stück schrieb, drohte die lange schwelende Zypernkrise zu eskalieren. Zypriotische Freiheitskämpfer wurden von den Engländern
gehenkt; kurz darauf erhöhte sich auch der Druck von der Seite der Türkei auf Griechenland.
343
344
345
Diese Informationen entstammen den Vorworten, die Kambanellis jeweils in den beiden Programmheften für
die Aufführung des Stückes "Das Alter der Nacht" schrieb:
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Vorwort im Programmheft zur Uraufführung am "Theatro
Technis" (1959), in (ders.): Theater, Bd. 1, Athen 1978, S. 191 - 192, und
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Vorwort im Programmheft zur Aufführung am "Elefthero
Theatro Kallitheas" (Ελεύθερο Θέατρο Καλλιθέας) (1976), in (ders.): Theater, Bd. 1, Athen 1978, S. 192 194.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Vorwort im Programmheft zur Uraufführung des Stückes
"Das Alter der Nacht" am "Theatro Technis" (1959), in (ders.): Theater, Bd. 1, Athen 1978, S. 191 - 192.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Vorwort im Programmheft zur Aufführung des Stückes "Das
Alter der Nacht" am "Elefthero Theatro Kallitheas" (Ελεύθερο Θέατρο Καλλιθέας), Athen 1976, in (ders.):
Theater (Θέατρο), Band 1, Athen 1978, S. 192 - 194.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Das Alter der Nacht"
S. 100
Gleichzeitig gab es im Inneren des Landes Probleme: die rechtsgerichtete Regierung verfolgte
alle Personen, von denen bekannt war, daß sie politisch nicht rechts standen, und sperrte sie
ein. Alleine schon der Kauf einer Zeitung war ein politischer Akt und mußte wohl überlegt
sein. Streiks, Lohnforderungen der Gewerkschaften und Wohlstand für einige Wenige, diese
Zustände prägten die Zeit. Die bürgerliche Schicht war die einzige, die zumindest scheinbar in
sich stabil blieb.
Der Autor war der Meinung, dies sei die wichtigste Grundaussage der Stücke. In dieser
scheinbar so stabilen und wohlhabenden Gesellschaftsschicht gehorchten die Kinder nicht immer ihren Eltern und waren auch nicht immer einer Meinung mit ihnen. Diese Kinder
"beginnen den Verfall der bürgerlichen Schicht zu riechen und merken, daß sie in einer Welt
leben, die die Gespenster der Vergangenheit aufgebaut haben."346 Um also das Verhalten
dieser Menschen zu beschreiben, schrieb er diese Stücke. Diese Jugendlichen hatten demnach
die Melancholie und einige Paradoxa gemeinsam.
Von dramaturgischer Seite auch sehr interessant ist folgende Tatsache: "Es war für sie nicht
einfach, von einer Ablehnung zu einer Meinung zu gelangen, ohne daß dazwischen eine Krise
mit einer gewissen selbstzerstörerischen Tendenz auftritt."347 In diesem Punkt sah
Kambanellis auch die Gemeinsamkeit 'seiner' Jugendlichen mit jenen, die wenig später im
französischen Avantgarde-Film auftauchten, und die man erst 'Tricheurs' und später 'Hippies'
nannte.
3.5.5 Reaktion der Kritik auf die Uraufführung des Stückes "Das Alter der
Nacht"
Das Stück wurde 1959 am "Theatro Technis" uraufgeführt. Das Publikum kannte den Autor
von den vorherigen zwei Stücken und ging inzwischen schon ganz selbstverständlich davon
aus, daß er ein besonderes Talent hatte, die Wirklichkeit des Lebens für das Theater umzusetzen. So schrieb beispielsweise der Kritiker Karagatsis: "Es ist zweifelsohne sicher, daß er der
interessanteste, der bemerkenswerteste, der talentierteste Theaterschreiber ist, den wir im
Moment haben."348
Die ideologische Ausrichtung des Stückes freilich spaltete die Kritik. Die einen lobten
Kambanellis, daß er von der Ebene des Sittengemäldes nun zu komplexeren Problemen
käme.349 Dem Autor sei es gelungen, die Probleme der griechischen Gesellschaft, besonders
die Arbeitslosigkeit, die mangelnde kreative Ausrichtung und die furchtbare Kluft zwischen
den Armen und den wenigen Reichen, klar anzusprechen.350
Andere Kritiker freilich warfen dem Schriftsteller vor, er "... spanne seine Kunst unter das
Joch einer seltsamen Ideologie, welche der Kunst abverlangt, daß sie mit der politischen
Propaganda im Gleichschritt gehe".351 Die ideologischen Neigungen des Autors wirkten sich
346
347
348
349
350
351
Kambanellis, Iakobos, wie FN 344.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 344.
Karagatsis, M. (Καραγάτσης, Μ.): Kritik der Aufführung des Stückes "Das Alter der Nacht" am "Theatro
Technis" in der "Vradyni" (Βραδυνή), Februar 1959, in: Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd. 1, Athen 1978,
S. 310 - 311.
Karagatsis, M., wie FN 348.
Stavrou, Jerasimos (Σταύρου, Γεράσιµος): Kritik der Aufführung des Stückes "Das Alter der Nacht" am
"Theatro Technis", Zeitung "Avgi" (Αυγή), Februar 1959, in: Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd. 1, Athen
1978, S. 305 - 308.
Ouranis, Kostas (Ουράνης, Κώστας): Kritik der Aufführung des Stückes "Das Alter der Nacht" am "Theatro
Technis" in der Zeitung "Ethnos" (Έθνος), Februar 1959, in: Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd. 1, Athen
1978, S. 309 - 310.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Das Alter der Nacht"
S. 101
nach Meinung dieser Kritiker auch auf die Qualität der Dramaturgie in diesem Stück aus. Er
begann mit der These, daß die bürgerliche Gesellschaftsschicht ihre historische Rolle
ausgespielt habe, da sie nun ihre Mitglieder in eine Sackgasse manövriert hätte. Seine
Intention, diese These zu beweisen, hätte ihn dazu gebracht, an das Stück einen ganzen Teil B
anzufügen, der nur diesem Zweck diene (zumindest nach der Meinung von Vasos Varikas).352
Der Autor fühlte sich veranlaßt, an die Rolle des Hofes in der traditionellen griechischen
Gesellschaft zu erinnern und ein Stück davon in die Welt des neuen Stückes mitzunehmen.
Varikas meinte, das stelle überflüssigen Ballast für das Stück dar.353 Die anderen Kritiker, die
sich auf die Seite von Kambanellis als Autor des Stückes "Das Alter der Nacht" geschlagen
hatten, führten diese Anwürfe auf sein unbestreitbares Talent zurück, welches in so manchen
Menschen den Wunsch erweckte, ihn zu töten.354 Auch war es Kambanellis nach Meinung
derer, die sich ihm hier anschlossen, gelungen, die bürgerliche Gesellschaft in düsteren Farben
zu malen.
3.5.6 Der sozio-politische Hintergrund des Stückes
1959 schrieb Kambanellis sein Stück "Das Alter der Nacht". Ein Jahr zuvor hatten die Wahlen
auf eine dramatische Weise ein Stück Geschichte der griechischen Nachkriegszeit neu
auferstehen lassen. Den Bürgern wurde in ihrem normalen Alltag der gerade wenige Jahre
zuvor beendete Bürgerkrieg wieder ins Bewußtsein gerufen, da die Linke, die eigentlich
verboten und zerstört war, einen beachtlichen Stimmenanteil erringen konnte.
Obwohl zur Zeit dieser Wahlen ein Klima des Staatsterrors gegen alles, das in irgendeiner
Form politisch links scheinen konnte, herrschte, bekam die Linke dennoch 25 % der
abgegebenen Stimmen.355 Dieser den Umständen entsprechend sehr hohe Prozentsatz zeigte
deutlich, daß jene, die den Bürgerkrieg verloren hatten, noch immer eine wichtige Rolle in der
griechischen Gesellschaft spielten. Auch wenn sie jeden Tag die schreckliche Rachsucht der
Gewinner zu spüren bekamen, gaben sie weder ihre Ideologie noch ihre Streitbarkeit auf, die
ihnen den Mut gaben, sich bei diesen Wahlen so deutlich zu äußern. So wurde die politische
Polarisierung, die die Gewinner der Staatsmacht abbauen wollten, erneut verstärkt.
Unter dem Eindruck dieses Geschehens schrieb Kambanellis sein Stück "Das Alter der
Nacht", in dem er die nationale Spaltung zum Thema machte, welche die griechische
Gesellschaft so viele Jahre entscheidend beeinflußte. So schrieb er sein "vielleicht einziges im
engen Wortsinn politisches Stück."356
3.5.7 Die Bedeutung des Raumes bei der Kartierung der gesellschaftlichen
Spaltung
Um die ideologische, politische und soziale Kluft beschreiben zu können, die quer durch die
gesamte griechische Gesellschaft ging, nahm Kambanellis auch hier die Dynamik eines für
352
353
354
355
356
Varikas, Vasos (Βαρίκας, Βάσος): Kritik der Aufführung des Stückes "Das Alter der Nacht" am "Theatro
Technis" in der Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα), 05.02.1959.
Varikas, Vasos, wie FN 352.
Stavrou, Gerasimos (Σταύρου, Γεράσιµος): Kritik der Aufführung des Stückes "Das Alter der Nacht" am
"Theatro Technis" in der Zeitung "Avgi" (Αυγή), Februar 1959, in: Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd. 1,
Athen 1978, S. 305 - 308.
Jianoulopoulos, N. Jiannis (Γιανουλόπουλος, Ν. Γιάννης): Die Nachkriegswelt. Griechische und europäische
Geschichte (1945 - 1963) (Ο µεταπολεµικός κόσµος. Ελληνική και ευρωπαϊκή ιστορία (1945 - 1963). Athen
1992, S. 319.
Chourmousiadis, Nikos, wie FN 16, hier S. 8.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Das Alter der Nacht"
S. 102
den griechischen Alltag realistischen Raumes zu Hilfe, den er auf eine dramatische Stufe
erhob.
Zu jener Zeit gab es in Athen noch viele zweigeschossige Einfamilienhäuser, in denen sich oft
eine besondere Art von erzwungener Hausgemeinschaft zusammenfand. Im Obergeschoß
wohnten die Bürger, die Besitzer des Hauses. Im Erdgeschoß lebten Proletarier, deren Einquartierung der Staat angeordnet hatte, die aus unterschiedlichen Gründen (oft verursacht
durch die politischen Wirren der letzten Jahrzehnte) obdachlos geworden waren. Der griechische Staat griff damit auf ein Mittel zurück, das schon früher zu solchen Gelegenheiten eingesetzt wurde357. In geräumige Häuser reicher Athener wurden per Dekret Obdachlose eingewiesen, um das Problem der Obdachlosigkeit zumindest vorläufig in den Griff zu bekommen.
Wie sich herausstellte, war diese Lösung, die als Provisorium gedacht war, dann überraschend
langlebig, da sie noch 1953 weit verbreitet war.
Ein solches Einfamilienhaus bildet den dramatischen Raum des Stückes. Das 'Zusammenwohnen' der Menschen im oberen und im unteren Stockwerk gibt die Möglichkeit, die beiden Pole
der Zerrissenheit der Gesellschaft im direkten Vergleich und Kontakt zu untersuchen. Parallel
dazu bietet sich Kambanellis auf diese Weise die Gelegenheit, die Zeit zu zeigen, in der die
offenen Räume (Hinterhöfe) als Raum der sozialen Interaktion weggefalle waren. Diese
Räume hatten in den vorherigen Stücken dieser Trilogie den Mittelpunkt dargestellt, während
hier die Auswirkung der Tatsache gezeigt wurde, daß diese Räume nicht mehr existierten.
Dadurch veränderte sich auch das soziale Verhalten und die Lebensweise der Menschen.
Der Bezug zu dem verlorenen Raum, der vergangenen Welt wurde um so deutlicher, als
zusätzlich zu den beiden dargestellten geschlossenen Orten in Ober- und Untergeschoß des
Hauses die Erinnerung an die früheren offenen Räume immer wieder lebendig wurde. Diese
gehörten nun zur Vergangenheit der griechischen Gesellschaft und auch des Theaterwerkes
von Kambanellis. "Das Bühnenbild muß sich auf solche Weise aufteilen, daß ein offenes Eck
auf dem Platz vor dem Haus ständig sichtbar ist, auf dem auch eine Bank steht." (Szenische
Anweisungen, S. 197).
3.5.8 Das Problem der Wohnungsnot
Das Problem der Wohnsituation war schon bei den anderen beiden Stücken dieser Trilogie
wichtig, hier tritt es nun erneut auf. Im Untergeschoß des Wohnhauses des Unternehmers
Karras wohnen Arbeiter, deren Häuser in Piräus bei den Bombardements 1944 zerstört
worden waren. Der Unternehmer Karras, Eigentümer des Hauses und Bewohner des
Obergeschosses, möchte diese Personen möglichst wieder vertreiben, und mit diesem Konflikt
beginnt das Stück. "Bis wann wird man sie noch als Bombenopfer und Flüchtlinge
betrachten? Seit fast zehn Jahren gilt nun diese Einquartierung! Es ist Zeit, daß sie von hier
verschwinden. Das hier ist ein Haus, ein Einfamilienhaus, oder soll es eine
Gemeinschaftsunterkunft sein? Wir sind ihnen 1944 sehr entgegengekommen, aber nun, zum
Teufel, haben wir das Jahr 1953...!" (Karras, S. 205). Er mag damals eine gewisse
Großzügigkeit gezeigt haben, doch nun soll bitte wieder jeder den Platz einnehmen, den er
verdient hat: "... der Krieg ist doch für uns alle aus und nicht nur für die Hälfte" (Karras,
S. 206).
357
Die angeordneten Einquartierungen waren schon eingesetzt worden, als in den 20er Jahren Flüchtlinge aus
Kleinasien Athen überschwemmt hatten. Siehe dazu Nikolaidou, Silia (Νικολαΐδου, Σίλια): Die
gesellschaftliche Organisation des städtischen Raumes (Η κοινωνική οργάνωση του αστικού χώρου), Athen
1993, S. 104.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Das Alter der Nacht"
S. 103
Natürlich sind auch die Bewohner des Untergeschosses nicht besonders glücklich über diese
Art des Zusammenwohnens. Die Lebenssituation in diesem sehr beengten Raum ist auch für
sie nicht besonders angenehm. Doch ihre eigene wirtschaftliche Lage erlaubt ihnen keine
Alternative, und eine Fürsorge von seiten des Staates gibt es so gut wie gar nicht. "Gefällt es
denn uns, so eingeengt zu sein, eine Familie in jedem Zimmer? Meine Kinder schlafen im
Schrank, weil wir keinen anderen Platz haben. Aber wo sollen wir denn hin?" (Christos,
S. 205).
Neun Jahre nach der politischen Strategie der Einquartierungen werden die Bewohner des
unteren Stockwerks vom Mietrecht geschützt und bleiben deswegen im Hause des Karras.
Nach Ansicht des Unternehmers legalisiert der Staat eine Abnormität, indem er diese Flüchtlinge einfach durch das Mietrecht deckt. Aus diesem Grunde ist er entschlossen, nach juristischen Mitteln zu greifen, um diese Menschen zu vertreiben.
So werden die Bewohner des unteren Stockwerks zu Flüchtlingen im eigenen Land, erneut
werden sie von einem Mitbürger vertrieben. In dieser Situation trifft sich die tatsächliche
Existenz dieser Menschen als Flüchtlinge mit der emotionalen Heimatlosigkeit des Dimitris,
des Sohns von Karras, der sich psychisch obdachlos fühlt. Als er vergebens versucht, den
Standpunkt seines Vaters zu verändern, muß er über sein eigenes Haus feststellen: "... es ist
ein Haus, welches mich erdrückt. Wie soll ich hinaufgehen ...? Es ist ein Haus, das ich nicht
will ... das mich erdrückt ...!" (Dimitris, S. 268).
3.5.9 Die kannibalische Welt des oberen Stockwerkes
Im Obergeschoß des Hauses wohnt der Unternehmer Karras mit seiner Familie. Karras ist der
Vertreter der Bürgerschicht in diesem Stück. Diese Schicht wird durch zwei weitere Personen
allerdings auch in einem anderen Licht dargestellt: da ist der gerade aus der Haft entlassene
Spitzel der Besatzungszeit, Mexis, und der Händler Sarris, der direkt vor dem Verlust seines
ganzen Vermögens steht.
Karras, der par excellence Bürgerliche dieses Stückes, regiert als pater familias in einer
Familie, in der die Frau nicht einmal weiß, welche Ziele ihr Mann verfolgt und welche Mittel
er zu ihrer Erreichung einsetzt. Seinem Sohn gegenüber glaubt er damit Genüge getan zu
haben, daß er ihm Geld bietet und die Möglichkeit, bequem im Ausland zu studieren. Er
meint, damit sein Glück garantiert zu haben. Der Vater des Unternehmers Karras war verarmt
gewesen. Karras baute nach der damals gängigen Sichtweise ein neues Vermögen als
Emporkömmling auf, da er eine wohlhabende Frau heiratete und dieses Vermögen im Laufe
seiner Aktivitäten vermehrte. Seine Vorgehensweise ist ohne jegliche Skrupel, er dürstet nach
Geld und hat keinerlei Verständnis für die Notlage seiner Mitmenschen. Er tritt auf die Ruinen
der anderen, um selbst noch weiter aufzusteigen. Formell ist er freilich in jeder Hinsicht ein
ehrlicher Bürger.
Diese Ehrlichkeit betont er auch, als sein Sohn ihm sein Verhalten vorwirft und ihn bittet, es
zu ändern. "Du hast doch keine Ahnung und kennst dich überhaupt nicht aus ... die Aktien, die
ich besitze, habe ich gekauft ... alles ist ehrlich, legal ... ich bin ein ehrlicher Unternehmer ...
absolut ehrlich ... Alles, was ich erreicht habe, habe ich mit Hilfe meiner Klugheit erreicht"
(Karras, S. 269). Etwas weiter unten sagt er: "Ich schulde niemandem etwas, keiner Bank,
keiner Steuerbehörde, niemandem. Mein Führungszeugnis ist völlig unbelastet, und meine
politischen Überzeugungen358 sind jedermann bekannt" (Karras, S. 270).
358
Allein schon die Tatsache, eine linksgerichtete politische Meinung zu haben, galt in jenen Jahren in
Griechenland als Straftatsbestand.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Das Alter der Nacht"
S. 104
Allein die Tatsache, daß Karras sich an den Buchstaben des geschriebenen Gesetzes hält,
heißt noch lange nicht, daß er auch die ungeschriebenen Gesetze einer gewissen Ethik einhält.
Das beweist sein Verhalten gegenüber den Flüchtlingen im Untergeschoß, welche er mit
Gewalt vertreiben möchte, obwohl er genau weiß, daß sie keinen anderen Ort zum Wohnen
haben. Es zeigt sich auch in der Art, wie er Sarris behandelt, welcher ihn mehrfach vergeblich
um Hilfe bittet, um nicht finanziell völlig ruiniert zu werden. Karras hört sich dessen Problem
nicht einmal richtig an. Er versagt ihm jegliche Hilfe, wodurch der andere keine andere
Lösung mehr sieht als den Freitod. Das Verhalten seines Vaters ruft bei Dimitris Entsetzen
hervor. Er fragt sich: "Wieso muß der eine den anderen auffressen?" (Dimitris, S. 269).
Als Antwort auf diese Frage nach den Gründen für das Handeln von Karras werden im Laufe
des Stückes mehrere soziologische Interpretationen geboten, welche Kambanellis im Ablauf
des Geschehens und der verschiedenen Personen hervorscheinen läßt.
Es ist bekannt, daß das wohlhabende Bürgertum in Griechenland nicht dadurch entstand, daß
eine Modernisierung und Industrialisierung einige reicher machte als andere oder durch eine
Umstrukturierung der Wirtschaft. Die meisten Personen, die im Laufe der Nachkriegszeit in
Griechenland reich wurden, waren Wucherer und Schwarzmarkthändler, die aus dem Krieg
mit Reichtümern und Luxusgütern hervorgingen.359
Eine ganze Reihe von ihnen schaffte es nicht, sich nach dem Krieg eine weiße Weste zu beschaffen, so etwa der Spitzel Mexis im Stück. Die Deutschen hatten seinen Sohn getötet und
ihn ins Gefängnis gesteckt. Seine Familie verleugnete ihn, und nun ist er auf dem Weg in die
Psychiatrie. Andere schafften es bis an die Spitze der gesellschaftlichen Pyramide, doch ohne
besondere Bildung und immer noch in der Geisteshaltung des Hasses und der Mißgunst, welche ihnen durch den Bürgerkrieg in Fleisch und Blut überging. Ein solcher Bürger ist Karras.
Der Dichter Manolis Anagnostakis schreibt über die gesellschaftlichen Zustände in Griechenland nach dem Bürgerkrieg: "Ich glaube, die Zeit des Bürgerkriegs war die schlimmste, die
tragischste für die griechische Geschichte, und ich könnte noch viele Adjektive mit anfügen.
Denn so dramatisch auch die Besatzungszeit durch die Deutschen war, es gab doch zumindest
eine Hoffnung und eine Auflehnung.
Die Menschlein wurden auf einmal zu Menschen, das kleine anonyme Volk erhob sich und
wurde fast zur Glorie. In der Zeit des Bürgerkrieges wurden die Menschen dazu erpreßt, wieder zu Menschlein zu werden, die Großen mußten sich beugen, sich erniedrigen lassen, um
zur anonymen Masse zu werden."360
Diese Werte konnten in den nachfolgenden Jahren nicht so leicht überwunden werden, besonders, da der Staat im Prinzip die gleiche Gewalt gegen einen Teil seiner Bürger einsetzte, so
daß dieser Zustand nicht abgeschafft, sondern noch tiefer eingeprägt wurde. Im Stück entspricht die Gewalt, die Karras den anderen Menschen gegenüber und irgendwann sogar bei
seinem Sohn anwendet, der staatlichen Gewalt, welche im Stück darin gipfelt, daß ein
Andersdenkender hingerichtet wird.
Auch das erzwungene Zusammenleben auf engem Raum, welches im Stück beschrieben wird,
trägt nicht dazu bei, die Reibung zwischen den verschiedenen Interessensgruppen zu vermin-
359
360
Tsoukalas, Konstantinos, wie FN 21, S. 19.
Anagnostakis, Manolis (Αναγνωστάκης, Μανώλης): Σε δεύτερο πρόσωπο. Μια συνοµιλία του Μανώλη
Αναγνωστάκη µε τον Αντώνη Φωστιέρη και τον Θανάση Νιάρχο. "I Lexi" (Η Λέξη), Heft 11, Januar 1982,
S. 54 - 59, hier S. 55.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Das Alter der Nacht"
S. 105
dern, sondern schreibt Feindseligkeit und Vorurteile zwischen den gesellschaftlichen
'Lagern'361 noch weiter fest.
Eine vergleichbare Thematik behandelte schon Johann Nestroy in seinem Stück "Zu ebener
Erde und erster Stock, oder, Die Launen des Glückes", welches 1838 in Wien erschien und
dort viel diskutiert wurde. Auch dort ist das zentrale Thema der gesellschaftliche Gegensatz
zwischen den Bewohnern eines Hauses im Erdgeschoß und im ersten Stock. Bei Nestroy wird
der Konflikt dadurch auf die Spitze getrieben, daß sich eine Liebesgeschichte zwischen einem
jungen Mann aus dem Erdgeschoß zu einer jungen Frau aus dem Obergeschoß entspinnt.
Jedoch nimmt die Geschichte ein ganz anderes Ende: Aufgrund sozialer Umschichtungen und
persönlicher Fehlspekulationen finden sich die Bewohner des ersten Stockwerkes am Ende
mittellos, während die Bewohner des Erdgeschosses unverhofft zu etwas Vermögen gekommen sind. So werden die scheinbar unumstößlichen sozialen Gegensätze aufgelöst und als
doch sehr vergänglich entlarvt.
Von der Struktur her kann man das Stück von Nestroy als Partitur für einen Chor lesen. Die
räumliche Verdichtung des Plots wird besonders drastisch vor Augen geführt, indem die
beiden Ebenen gleichzeitig übereinander auf der Bühne präsent sind.
Es ist nicht ganz klar, ob Kambanellis das Stück von Johann Nestroy kannte. Zwar gehörte es
Mitte des 20. Jahrhunderts, als Kambanellis sein Stück "Das Alter der Nacht" schrieb, in Mitteleuropa schon zum klassischen Fundus der Theaterliteratur, doch man sollte die Isolation, in
der sich das gesamte griechische Kulturschaffen damals noch befand, nicht unterschätzen.
Eine strenge Zensur, wirtschaftliche Schwäche und ein schlechtes Erziehungssystem machten
es den griechischen Intellektuellen damals schwer, an den kulturellen Umbrüchen jener Zeit in
West- und Mitteleuropa sowie in Amerika zu partizipieren.
3.5.10 Die menschlich orientierte Welt des unteren Stockwerkes
Die Bewohner des unteren Stockwerkes stehen in dem Theaterstück für die Arbeiterklasse. Es
sind die Menschen, die unter Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung leiden, die die starken
Einkommensunterschiede und das harte Steuersystem gleichermaßen schmerzhaft zu spüren
bekommen. Zusätzlich dazu werden sie auch noch ihrer politischen Gesinnung wegen vom
Staatsapparat verfolgt. Diese Menschen sind im Griechenland der 50er Jahre eindeutig Bürger
zweiter Klasse. Sie müssen oft ihren Ausweis vorzeigen, wenn sie auch nur über eine Brücke
gehen wollen. Spitzel folgen ihnen auf Schritt und Tritt, und sie haben nicht einmal das Recht,
die Zeitung ihrer Wahl ungestört zu lesen.
Während jedoch im Obergeschoß die Moral der neuen Zeit ungehindert weiter wüten kann,
hält sich in der Welt des Untergeschosses trotz aller Probleme und Unterdrückung der Wert
der Menschlichkeit, der auch die Welt des Hofes geprägt hatte. Das Untergeschoß des Einfamilienhauses ist ähnlich aufgeteilt, wie der Hof es war: Kleine Zimmer, in denen jeweils eine
Familie wohnt, umgeben einen Raum im Zentrum, der als gemeinsames Wohnzimmer für alle
dient. Das untere Stockwerk des Hauses orientiert sich an den gleichen Werten, die auch in
der Welt des Hofes gegolten hatten.
Unter dem neuen Himmel der jungen Stadt und des für sie ungewohnten Hauses, in dem sie
leben, versuchen diese einfachen Menschen mit allen Mitteln, ihre verlorene Identität wiederzufinden. Sie leben alle miteinander, sie haben sich gerne, und die Probleme jedes Einzelnen
gehen alle an, es entsteht eine gewisse Urform der Demokratie. Am Problem des einen
nehmen alle Anteil.
361
Nikolaidou, Silia, wie FN 357, S. 104.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Das Alter der Nacht"
S. 106
An jenem Abend, wo die Exekution des jungen Sohnes einer dieser Familien stattfinden soll,
versuchen alle anderen, den Eltern Mut zuzusprechen und sie zu trösten. An dem gleichen
Abend sucht Karras verzweifelt seinen Sohn, der aus der oberen Wohnung verschwunden ist.
Karras sucht ihn dann auch im Erdgeschoß, wo er ihn allerdings nicht findet. Bei der Gelegenheit kommt er zu folgender Ansicht über die Bewohner des Erdgeschosses: "Zum Glück seid
ihr alle beieinander und habt Gesellschaft ... Das Miteinander ist ein Segen Gottes ... Kein
Mensch kann alleine solche Bitterkeit ertragen." (Karras, S. 254). Selbst in dem Moment, als
Karras sie lächerlich machen will, spricht er eine Wahrheit ihres Lebens aus: "Das ist doch
unverständlich bei euch! Ihr sagt, ihr seid arme Flüchtlinge ... ja, seid ihr ja ... aber ich habe
nicht das Gefühl, daß euch irgend etwas fehlt! Ihr habt eure Feiern, eure Freuden, ihr verlobt
euch, feiert, heiratet, bekommt Kinder und sterbt heroisch!" (Karras, S. 214).
In ihrem einfachen, und entbehrungsreichen Leben können sich diese Menschen noch
verlieben, sie bauen Freundschaften auf, und für ein Ideal sind sie bereit zu sterben. Die
Dynamik ihres Lebens macht es ihnen sogar möglich, selbst in dieser harten und bitteren
Stunde noch Witze über die Konzentrationslager zu machen.362 Selbst im bittersten Moment
sind sie noch lebensbejahend. Es ist ihnen bewußt, daß ihr Schicksal am Rande der
Gesellschaft liegt, doch selbst im Gefängnis sind sie noch lernfreudig, sie lernen Lesen und
bemühen sich darum, sich selbst und ihre Welt zu verbessern. "Hättest du Ärmster doch die
Welt verkommen lassen - du hattest sie aufbauen wollen!" (Die Alte, S. 265). Sie wissen, daß
sie unerfüllbaren Träumen nachhängen. "Wir bauen unerfüllbare Träume" (Marina, S. 266).
Doch der Traum gehört zu ihrem ureigensten Ich, er sitzt in jeder einzelnen Körperfaser als
vielleicht einzige Möglichkeit, ein besseres Morgen zu erreichen. "Sie schlafen und träumen
wie die Vögel", sagt die Mutter über ihre kleinen Kinder. (Anna, S. 260).
3.5.11 Die zweigeteilte Jugend
Zwischen den beiden Menschenwelten und Lebenswerten, die im oberen bzw. im unteren
Stockwerk des Hauses existieren, fühlt sich Dimitris, die Hauptperson des Stückes, hin- und
hergerissen. Sie kommen in ihm zum Konflikt. Dieser Konflikt wird dramaturgisch noch verstärkt durch die Haltung der anderen jungen Menschen, die dieses Stück 'bewohnen'. Jeder
von ihnen gehört zu einem der beiden Teilbereiche dieses Kosmos. Die Jugendlichen des
unteren Stockwerkes, ganz übereinstimmend mit den Werten der Schicht, zu der sie gehören,
sind sehr bildungshungrig; sie möchten leben, Familien gründen, für die Vision einer besseren
Welt kämpfen und mit eigenen Händen ein besseres Morgen aufbauen. Politisch interessiert,
Revolutionäre aus Überzeugung, bejahen sie das Leben. Sie sind voll von seiner Energie.
Zusammen mit dem Autor stehen sie für die Überzeugung, daß das Leben schön ist.
Dieser Jugend des Proletariats steht die Jugend der bürgerlichen Klasse gegenüber. Außer
Dimitris gibt es noch drei von ihnen in diesem Stück. Sie bilden eine poetisch angehauchte
Freundesgruppe mit Todessehnsucht und tauchen immer wieder in dramatischen Momenten
auf, wo sie das Geschehen mit weltfremden Sprüchen kommentieren. Diese Jugendlichen
sieht Kambanellis selbst als Vorläufer jener Bewegung, die später als Hippies bzw. Tricheurs
des französischen Avantgarde-Films bekannt wurden. Es ist die Spiegelung jenes Teils der
Jugend in der griechischen Gesellschaft, die zu einem entscheidenden Teil das Europa der
60er Jahre umformen werden. Es ist die Generation, die sich aufgegeben hat, übersättigt von
Konsumwaren, doch ohne eine Ideologie oder eine Perspektive für die Zukunft.
362
Unter den verschiedenen Geschichten, die die Bewohner des Erdgeschosses erzählen, um die betagten Eltern
des zu Tode Verurteilten vergessen zu lassen, daß ihr Sohn hingerichtet wird, ist auch eine voller lustiger
Begebenheiten aus einem Konzentrationslager, wo einer der heutigen Mitbewohner gefangen gehalten worden
war.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Das Alter der Nacht"
S. 107
Die Bewohner des Erdgeschosses mögen ihr Leben für die Vision eines besseren Morgen
hingeben, doch diese Jugendlichen haben schon sehr früh aufgehört, sich jugendlich zu
fühlen. Sie selbst sehen in ihrem Leben keinerlei Sinn, und es kommen auch keine Ereignisse
vor, die sie selbst interessieren würden. Einer von ihnen, Kimon, schlägt vor: "In diesem
Leben passiert überhaupt nichts Ergreifendes mehr. Also, laßt uns selbst dieses Ergreifende
machen. Es ist eine Lösung. Ich werde selbst mein eigenes Manuskript verbrennen - verstehst
du?" (Kimon, S. 239). Das Manuskript selbstgeschriebener Gedichte, welches er verbrennen
will, ist gleichzusetzen mit seiner inhaltslosen Existenz. Der Namen des Zyklus ist
bezeichnenderweise "Schweigen".
Käti, die Freundin von Dimitris, hat eigentlich kein Interesse an einer Beziehung mit ihm im
Jetzt, wo beide jung sind, sondern verlegt die Liebe in eine Erinnerung an die Zeit nach dem
Tod. "Wenn du dich umgebracht hast, darf ich dann hinterher erzählen, daß ich wahnsinnig in
dich verliebt war?" (Käti, S. 223). Am Ende des Stückes heißt dieser seltsame 'Freundeskreis'
sogar den Selbstmord von Dimitris gut. Es scheint eine Lösung zur Flucht aus der Langeweile
zu sein. Kimon hat dazu einen besonders interessanten Kommentar: "Dieses Muttersöhnchen!
Bravo, er hat eine wunderbare Begründung dafür gefunden. Gebe Gott, daß wir alle so eine
gute finden mögen." (Kimon, S. 275).
3.5.12 Ein junger Mann im Widerstreit zwischen Sein und Schein
Der Konflikt zwischen den Bewohnern des oberen und denen des unteren Geschosses, wie
auch die Gegenüberstellung der beiden Gruppen von Jugendlichen, sind zwar nur nebensächliche Konfrontationen, dennoch sind sie für den dramaturgischen Unterbau des Stückes
unerläßlich. Der zentrale Konflikt spielt sich in der Psyche von Dimitris ab, in einer Zeit, zu
der dieser junge Mann aus gutem Hause im Begriff ist, erwachsen zu werden. Der
Zusammenprall von zwei Welten stürzt den sensiblen Dimitris in ein moralisches Dilemma.
Er muß sich entscheiden, ob er zu der Welt seines Vaters gehören möchte, die reich wurde,
indem sie über die Leichen der anderen ging, und die zwar vielen Besitz anhäufen konnte,
aber die wichtigsten menschlichen Beziehungen mit Füßen tritt, während die Menschen im
Erdgeschoß darauf größten Wert legen.
Dimitris wird bewußt, daß in der Welt, aus der er kommt, die Wahrhaftigkeit in allen
Bereichen der zwischenmenschlichen Kontakte fehlt, sei das nun die Familie, die Liebe oder
die Freundschaft. Es scheint ihm eine Welt, in der das "Glück" völlig falsch begriffen wird,
und er bekommt eine Art Neid auf das Elend derjenigen, die im Erdgeschoß wohnen. "Unser
Leben ist wie meine Mutter ... eine unglückliche Adlige, die sich ständig mit Cremes, Pudern
und Parfüms einschmiert ..." (Dimitris, S. 266), und an anderer Stelle: "Euer Schmerz hat
zumindest einen Sinn! Meiner hat keinen und ist nichts anderes als eine Krankheit." (Dimitris,
S. 267). Die Welt des Erdgeschosses wirkt auf seine Seele wie ein Vergrößerungsglas, das
sich auf das Negative im Leben seiner Welt fokussiert.
Die Übergehung des Menschen im Namen des Geldes, die Ungerechtigkeit schockieren ihn.
Im Namen seines Vaters und seiner ganzen Gesellschaftsschicht fühlt er sich schuldig an den
schlechten materiellen Bedingungen, unter denen die Leute im Erdgeschoß leben müssen.
"Denk doch nur darüber nach, aus welchem Grund sie heute nacht nicht schlafen, und warum
wir nicht schlafen, und du wirst den Unterschied erkennen! ... Wir sterben, weil wir uns
gegenseitig töten, und sie sterben, weil wir sie töten" (Dimitris, S. 273). Umzingelt von der
allgegenwärtigen Verlogenheit in seiner eigenen Welt, von den im faulen Kompromiß
erstickten Beziehungen und der Ungerechtigkeit zum Nachteil der anderen unten fühlt er sich
gezwungen, in irgendeiner Form zu handeln.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Das Alter der Nacht"
S. 108
Er findet keine Entschuldigung mehr für das Verhalten seiner Gesellschaftsschicht, besonders
wenn er daran denkt, wie viele Verbrechen begangen werden, um deren Glück zu erhalten.
Sein Handeln zeigt, daß er am Leben der Unteren teilhaben möchte. Deswegen möchte er
seinen Vater dazu bringen, auf eine andere Weise als bisher mit ihnen umzugehen. "Bitte,
säubere mein Leben, säubere das Essen, das ich esse, sonst will ich gar nichts mehr von dir ..."
(Dimitris, S. 273). Er hat eine letzte Hoffnung, daß sein Vater seine Haltung ändern wird, und
das ist auch die letzte Enttäuschung, die er von seiner Welt erfahren muß. "Verschwinde aus
meinen Augen, Undankbarer, Elender! Geh, ertränke dich, hänge dich auf, hau ab, daß ich
dich nicht sehe und dich nicht kenne" (Karras, S. 273).
Doch es ist Dimitris wichtig, seinen richtigen Platz in der Welt zu finden. Das ist für ihn
untrennbar damit verbunden, daß gewisse ethische Werte eingehalten werden, ohne diese
kann es für ihn keine Selbstachtung geben. Mit dieser Einstellung hält er es nicht mehr aus, in
einer Welt zu leben, die ihre eigene Jugend kastriert363, die ihre Träume verbietet und die
echten Gefühle leugnet. Die Welt des Geldes versucht vergebens, seine Leidenschaftlichkeit
und seine Emotionen abzutöten.
Mit der Welt derjenigen, die unten wohnen, fühlt er sich besser im Einklang, denn sie haben
Ideale, die er in seiner eigenen Welt vergeblich sucht. Da er sich nicht damit abfinden kann,
daß in seiner Welt kein Platz für Ideale und Träume ist und statt dessen die reine Macht
herrscht und enttäuscht davon, daß es ihm nicht gelingt, in diese Welt auch nur einen Spalt
Menschlichkeit hineinzubringen, sieht er keinen anderen Ausweg mehr als den Selbstmord.
Damit erreicht er die Dimension eines heutigen tragischen Menschen, denn "der
allerdurchschnittlichste Mensch kann tragische Größe erreichen, wenn er entsprechend der
Intensität seines Willens alles gibt, was er kann, um in dieser Welt den Platz zu erkämpfen,
der für ihn richtig ist."364
In diesem Kräftemessen kann Dimitris nichts anderes einsetzen als sein Leben. Er kann den
Menschen im unteren Stockwerk nichts anderes bieten, deswegen schenkt er ihnen sein
Leben. Gleichzeitig nimmt er es damit seinem Vater weg, der meinte, nach Belieben darüber
verfügen zu können. Dieses Verhalten von Dimitris ist auch soziologisch begründbar, da es zu
erwarten ist, daß besonders in einer so jungen bürgerlichen Schicht wie der griechischen
damals die Jugendlichen noch nicht dazu kamen, eine eigene klare Weltsicht zu entwickeln365.
Sein Tod ist das Gegenstück zu dem Tod jenes jungen Mannes, der aus politischen Gründen
hingerichtet werden soll. Dennoch sind es nicht viele, die den Freitod wählen, um die
menschlichen Werte zu unterstützen und triumphieren zu lassen. Dimitris ist hier sicher eine
der seltenen Ausnahmen. Die anderen Menschen seiner Klasse leben weiter nach ihren
bekannten Normen. Vielleicht werden sie den Gewissenskonflikt, unter dem Dimitris leidet,
zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls empfinden.
In Kambanellis' späterem Stück "Das unsichtbare Ensemble"366 findet sich ein solcher Fall.
Die wichtigste Person des Stückes erlebt ein Kräftemessen mit ihrem Gewissen, welches auf
sehr harte und enthüllende Weise verläuft. "Tagsüber bin ich ein vielbeschäftigter einsamer
Mensch. In der Nacht werde ich von den Dingen, die ich übergangen habe, geplagt. Wenn ihr
hinter den Möbeln sucht, unter dem Bett, dann könnt ihr sie sehen..." (Der Hausherr, S. 93),
363
364
365
366
Dimitris ist schon volljährig. Dennoch wollen seine Eltern immer noch Kinderspiele mit ihm spielen. Sie
bestimmen sein Leben, seine Freundschaften, sein Studium und seinen Beruf.
Miller, Arthur, wie FN 280.
Kondylis, Panagiotis. wie FN 28. Nach Ansicht von Kondylis ist die griechische Gesellschaft so
unzusammenhängend und heterogen zusammengewürfelt, daß es nur logisch ist, daß sie noch keine gefestigte
Ideologie hat.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 144.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Das Alter der Nacht"
S. 109
und weiter unten: "Sie glauben, das, was ich geworden sei, wäre ich aufgrund meiner Klugheit
geworden. Das ist falsch, ich wurde es aus Haß ... um nicht unter denen zu stehen, die ich
haßte ... meine glänzende Karriere ist nur eine Geschichte des Hasses ... ich habe mich über
Konkurrenten gefreut, die sich ruiniert haben, über jemanden, der in frühen Jahren starb, einen
anderen, der in einem Frontalunfall sein Leben verlor. In diesem speziellen Fall hatte ich mir
schon vorher ausgemalt, davon geträumt, wie es wäre, wenn er aus dem Weg geräumt würde,
dann hätte ich freie Bahn ... und es kam so ... ist denn nicht auch der Gedanke eine Tat ... ich
hatte nicht die mindesten Gewissensbisse" (Der Hausherr, S. 98).
3.5.13 Die Umsetzung des Stückes auf der Bühne
3.5.13.1 "Theatro Technis", Athen 1958
Mit dieser Aufführung setzte Karolos Koun seine interpretatorische Arbeit des Werkes von
Iakobos Kambanellis fort. Diesmal wählte er einen komplexeren Aufbau als bei seiner vorigen
Arbeit, dem Stück "Der Hof der Wunder". Dem setzte er eine Ästhetik in Schwarzweiß gegenüber, womit der politisch-historische Hintergrund dargestellt wurde, den die damaligen Zuschauer gerade überstanden hatten: Den Bürgerkrieg. Koun setzte hierfür kräftige
Pinselstriche ein, zum anderen betonte er die unterschiedliche Denk- und Handlungsweise, die
im oberen Stockwerk und im Erdgeschoß herrschten.
Die szenische Lösung begnügte sich mit äußerst sparsamen Mitteln. Sie bestand aus vier
Räumen: Dem Inneren und dem Äußeren des oberen Stockwerkes, den Innenraum des unteren
Stockwerkes und einen öffentlichen Platz. Die Inszenierung lebte von der Interpretation. In
einem einzigartigen Zusammenspiel der Schauspieler wurde das Puzzle der Personen zusammengesetzt, womit ein authentisches Stück des damaligen Lebens in der griechischen Gesellschaft wiedergegeben wurde. Einige Rollen bzw. Darsteller stachen besonders heraus, so
Karras als äußerst strenger Vater, eine halbverrückte Gattin, der romantische Dimitris mit
seiner unausgesprochenen Liebe, die in diskreter Gutmütigkeit und Reinheit angedeutet
wurde, sowie die reichhaltige psychologische Landschaft der Bewohner des unteren
Stockwerkes.
Dennoch wurde das Stück damals sofort mit der vorigen Inszenierung von "Der Hof der
Wunder" durch Karolos Koun verglichen; Kritiker wie Publikum waren sich einig, daß diese
Inszenierung viel schwächer sei.
3.5.13.2 "Elefthero Theatro Kallitheas", Athen 1976
Das neu gegründete Theater "Elevthero Theatro Kallitheas"367 wollte ganz bewußt vermeiden,
einzelne Schauspieler als Stars herauszustellen. Sie wählten das Stück von Iakobos
Kambanellis, weil es ihnen für diese Art von Gemeinschaftstheater368, in dem alle
Schauspieler gleich wichtige Rollen spielen sollen, besonders geeignet schien. Die politische
Landschaft in Griechenland war damals noch stark davon geprägt, daß erst zwei Jahre vorher
die Militärjunta gefallen war. Entsprechend den Bedürfnissen des damaligen Publikums
wurde das Stück sehr politisch interpretiert, indem Parallelen zu jener Zeit hergestellt wurden,
in der Kambanellis das Stück spielen läßt. Im Programmheft schrieb der Regisseur Jiannis
367
368
Kallithea ist ein sehr alter Vorort von Athen direkt am Meer, in unmittelbarer Nähe zum Hafen von Piräus.
Hier leben größtenteils alteingesessene, gutbürgerliche Familien. Gleichzeitig ist Kallithea (der Name
bedeutet "Schöne Aussicht") aufgrund seiner landschaftlichen Schönheit auch von je her ein beliebtes
Ausflugsziel.
Griechische Bezeichnung für Gemeinschaftstheater ist "θέατρο συνόλου".
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Das Alter der Nacht"
S. 110
Kokkolis dazu folgenden Kommentar: "... die symbolträchtige Nacht, deren Dunstkreis eine
ganze historische Epoche Griechenlands umarmt, noch allgemeiner die tiefe menschliche
Nacht der ganzen Erde. Diese Nacht bildet den zeitlichen Rahmen für Kämpfe und
Auseinandersetzungen einer ramponierten, dekadenten Welt gegen das Neue. Solange diese
Nacht andauert, werden sie ewig kämpfen um die Erlösung der Welt und des Menschen von
Unterdrückung und Ausbeutung."369
Das Bühnenbild war sehr karg und funktional, gleichzeitig aber auch sehr dominant.
Nebeneinander wurden die beiden Wohnungen, in denen das Stück spielt, aufgebaut, mit
erdrückend hohen Wänden von drei Metern Höhe, die auch noch mit schwarzem Stoff
bespannt wurden. So entstand eine erschreckende und beeindruckende Atmosphäre. Die
Menschen muteten zwischen diesen hohen Wänden wie kleine Zwerge an, verloren im
Schrecken des Bühnenbildes, welches sie durch seine immense Höhe zu erdrücken drohte. Die
musikalische Untermalung erinnerte das Publikum an Lieder der Aufständischen, die im 23
Jahre zurückliegenden Bürgerkrieg die Zentralmacht bekämpft hatten. Einige Elemente der
ursprünglichen Fassung des Stückes wurden ausgelassen, da sie zu süßlich und inzwischen
überholt schienen. Dadurch wurde eine dramatische Verdichtung erreicht. Zudem wurde den
Bewegungen der Schauspieler mehr Gewicht gegeben, damit das Stück etwas weniger statisch
wirke. Zur wichtigsten Figur dieser Aufführung geriet der Unternehmer Karras, ein in
Widersprüche mit sich selbst verwickelter tragischer Charakter. Dramatischer Höhepunkt
dagegen war der Selbstmord seines Sohnes Dimitris, welcher sich hinter den schwarzen
Stoffbahnen ereignete. Der Held stieg auf die höchste Stelle des Hauses. Plötzlich leuchtete
ihn ein riesiger Scheinwerfer an. Mit einer langsamen, fast tänzerischen Bewegung gab er sich
den Tod. Man hörte den trockenen Klang eines Schusses, die Beleuchtung fror ein. So wurde
das Ende des Stückes zu einem Schock für die Zuschauer.
3.6 Epilog zur Trilogie des Hofes
Diese Trilogie entstand, als der Autor noch in einem sehr jugendlichen Alter war, und ist eindeutig sehr autobiographisch geprägt. Der Autor setzte die Jugend in die Mitte des dramatischen Kerns aller drei Stücke. Er selbst stellte sich stets auf die Seite derer, denen Unrecht
geschieht, er beobachtete den Fortgang der griechischen Gesellschaft in den 60er Jahren und
hielt ihn fest. In jener Zeit, als die griechische Gesellschaft aufgebaut wurde, schuf
Kambanellis parallel dazu die Grundlagen für einen Aufbau des neugriechischen Theaters. Als
Autor mit gesellschaftlichem Verantwortungsgefühl gelang es ihm, das griechische Theater
aus dem Stadium der Farcenkomödie und der griechischen Revue, wo es stehengeblieben war,
herauszuführen. Er wollte die griechische Gesellschaft analysieren und aufzeigen, wie der
Alltag direkt und indirekt auf die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse einwirkte.
Abschließend lassen bei der Betrachtung dieser Trilogie folgende Schlußfolgerungen ziehen:
In einer Zeit, in der die Zensur allgegenwärtig ist, benennt der Autor die Verantwortlichen der
gesellschaftlichen Mißstände nicht direkt, er macht kein sozialkritisches oder didaktisches
Theater. Er zieht dem ein Theater vor, welches nahe an der Charakterisierung der
Einzelpersonen und ihrem Psychogramm bleibt, wobei er gleichzeitig die sozialen Ursachen
ins Licht stellt, die zu diesen jeweiligen Verhaltensweisen führen. Er beschreibt den Griechen
jener Zeit und sein Inneres und versucht, die Ursachen zu analysieren, die seinen Charakter
prägen. Indem er in allen drei Stücken Gesamttheater macht, gelingt es ihm, auf umfassende
Weise die psychische Identität des Griechen darzustellen. In dieser Trilogie prallt die neue
Welt, die über die griechische Gesellschaft hereinbricht, mit jener zusammen, die zerstört
369
Artikel des Regisseurs Jiannis Kokkolis (Γιάννης Κοκκόλης) im Programmheft zu der Aufführung des
Stückes "Das Alter der Nacht" am "Elefthero Theatro Kallitheas" (Ελεύθερο Θέατρο Καλλιθέας) 1976.
Kambanellis - Trilogie des Hofes, Stück "Das Alter der Nacht"
S. 111
wird. Die Jüngeren kommen in Konflikt mit den Älteren, und schließlich konfrontieren sich
Traum und Realität. Kambanellis führt seine Personen im Raum des Hofes zusammen, wo er
die Gesamtheit und Vielfalt des griechischen sozialen Lebens, welches am Erlöschen ist, auf
engem Raum dramaturgisch umsetzen kann. In der Welt jener Werte, die neu kommen, sieht
Kambanellis vor allem die Werte des Geldes. In dem Hof, wo jedes private Problem allgemein
bekannt wird und das, was den Einzelnen beschäftigt, in einem ständigen Dialog mit dem
Kollektiven ist, sieht er nur eine griechische Version des Tragischen als Lösung.
Das tiefere Thema, das den Autor in dieser Trilogie beschäftigt, kündigt sich schon in seinem
frühen Stück "Stella mit den roten Handschuhen" an, welches zwar nie aufgeführt wurde, aber
die Vorlage zu dem Film "Stella"370 gab. Darin drückt die Titelheldin das Thema vor allem in
beeindruckenden Liedern aus: "Über das Leben, die Liebe und den Tod." (Dieses Motto ist
auch im Film zu sehen: es steht auf der Reklametafel, mit der der Nachtclub, in dem Stella
auftritt, für ihr Programm wirbt). Das Leben der Menschen ist bestimmt von der unermüdlichen Bemühung, eine eigene Identität zu erlangen, eine Persönlichkeit und eine berufliche
Chance, doch tun sie sich schwer, mit einer immer mehr rationalisierten Welt Schritt zu
halten. Die Liebe ist noch immer ein wichtiges Element für die Helden der Trilogie, doch am
Ende wird sie zwischen den Mühlsteinen des Alltags zerrieben.
Der Tod ist der gemeinsame Ausweg für die Hauptpersonen in jedem der drei Stücke. Ihr Tod
symbolisiert den Sieg der Realität über die Utopie. Die Werte eines wirklich gemeinschaftlichen Lebens und der Liebe werden in einer immer kälter werdenden Welt mit Füßen getreten.
Hier, in diesen Stücken, haben sie gewissermaßen ihren letzten Auftritt.
370
Der Film "Stella" (Στέλλα) wurde von Michalis Kakojiannis (Μιχάλης Κακογιάννης) gedreht, Kambanellis
selbst schrieb sein ursprüngliches Theaterstück "Stella mit den roten Handschuhen" (Η Στέλλα µε τα κόκκινα
γάντια) zum Drehbuch um. Dieser Film wurde zu einem der herausragendsten Beispiele des griechischen
Neorealismus. Melina Merkouri spielte und sang die Stella und blieb bei dem griechischen Publikum für
immer mit dem Image dieser Rolle verbunden.
Kambanellis - Trilogie des Krieges
S. 112
4 Einleitung zur Trilogie des Krieges
4.1 Das geistige Klima der Entstehungszeit
"Die Literatur muß so leicht werden, daß sie auf der Waage der heutigen
Literaturkritik nichts mehr wiegt. Nur so wird sie wieder gewichtig".
Friedrich Dürrenmatt371
In den 50er Jahren ereignete sich als Reaktion auf die neuen gesellschaftlichen und politischen
Gegebenheiten der Nachkriegsgesellschaft eine 'Revolution' im Bereich der Theaterliteratur:
das Absurde Theater entstand. Die Autoren thematisierten in dieser Form den Schwindel, der
sie angesichts einer zusammenbrechenden Gesellschaft überfiel, in der alle bisherigen Werte
verloren gingen. Der Sinn von Zielsetzungen, der Glaube an Ideen zerbröckelte, während die
Herstellung materieller Güter in großen Mengen anhielt372. Während diese Entwicklung in
Westeuropa zu den brillanten Stücken des Absurden Theaters führte, wie sie beispielsweise
Beckett und Ionesco schrieben, entstanden in Osteuropa aufgrund der völlig anderen politischen Gegebenheiten auch ganz andere Formen. Hier nahmen die Autoren das Absurde Theater nicht als ein Mittel, um durch seine träumerischen Elemente das Innere der Welt auszudrücken, sondern fanden darin eine Möglichkeit, indirekt politische Allegorien darzustellen373.
Eine ganze Reihe von Theaterautoren aus Osteuropa verfolgte diese Richtung und schrieb
dabei äußerst bemerkenswerte Stücke. Der wichtigste Vertreter dieser Richtung ist der Pole
Slavomir Mrozek.
Auch die deutschsprachige Satire der 50er Jahre griff diese Tendenz auf, wobei sie die Tradition von Brecht bis zum Absurden Theater mit einbezog. Die wichtigsten Vertreter dieser
Richtung waren Dürrenmatt und Frisch. Hierzu schreibt Esslin: "Diese bedeutenden Dramatiker bekennen sich zum Einfluß Brechts, nur unabhängig von dessen politischem Engagement
und am Marxismus ausgerichteter Ästhetik; beide sind jedoch weltanschaulich wie auch in der
fallweise von ihnen angewandten Methodik offensichtlich dem Theater des Absurden verwandt."374 Dürrenmatt beschrieb in seinem theoretischen Text "Theaterprobleme" die Theaterwelt des zeitgenössischen Autors - ein Text, der für das Verständnis des damals herrschenden
Geistes äußerst wichtig ist.
Seiner Meinung nach sei es unmöglich, eine moderne Tragödie zu schreiben, zur heutigen
Zeit passe hingegen die Komödie: "Die Tragödie setzt Schuld, Not, Maß, Übersicht,
Verantwortung voraus. In der Wurstelei unseres Jahrhunderts, in diesem Kehraus der weißen
Rasse, gibt es keine Schuldigen und auch keine Verantwortlichen mehr. Alle können nichts
dafür und haben es nicht gewollt. Es geht wirklich ohne jeden. Alles wird mitgerissen und
bleibt in irgendeinem Rechen hängen. Wir sind zu kollektiv schuldig, zu kollektiv gebettet in
die Schulden unserer Väter und Vorväter. Wir sind nur noch Kindeskinder. Das ist unser
Pech, nicht unsere Schuld: Schuld gibt es nur noch als persönliche Leistung, als religiöse Tat.
Uns kommt nur noch die Komödie bei. Unsere Welt hat ebenso zur Groteske geführt wie zur
Atombombe, wie ja die apokalyptischen Bilder des Hieronymus Bosch auch grotesk sind."375
Doch auch im Bereich der Komödie bleibt dem heutigen Theaterautor nur eine Möglichkeit
des adäquaten Ausdrucks, die tragische Farce: "Wenn es keine Schuld und keine persönliche
371
372
373
374
375
Dürrenmatt, Friedrich: Theaterprobleme. Zürich 1963, S. 60.
Esslin, Martin, wie FN 268, S. 51.
Esslin, Martin, wie FN 268, S. 52.
Esslin, Martin, wie FN 268, S. 203.
Dürrenmatt, Friedrich, wie FN 371, S. 60.
Kambanellis - Trilogie des Krieges
S. 113
Verantwortung für unsere Taten mehr gibt, ähneln unsere Schicksalsschläge dem Hinfallen
auf dem Boden, weil man auf einer Bananenschale ausgerutscht ist. Das ist der Grund,
weshalb die Theaterstücke in unserer Zeit zu einem Theater mit solchen Ausrutschern werden
müssen, sie müssen tragische Farcen werden."376 Die Personen, die der Autor als
stellvertretend für die Gesellschaft setzen kann, und die zu Handlungsträger in seinen Stücken
werden, um die aktuellen Zustände zu beschreiben, sind laut Dürrenmatt die folgenden: "Die
echten Repräsentanten [des Staates, Anmerkung der Autorin] fehlen, und die tragischen
Helden sind ohne Namen. Mit einem kleinen Schieber, mit einem Kanzlisten, mit einem
Polizisten läßt sich die heutige Welt besser wiedergeben als mit einem Bundesrat, als mit
einem Bundeskanzler. Die Kunst dringt nur noch bis zu den Opfern vor, dringt sie überhaupt
zu Menschen, die Mächtigen erreicht sie nicht mehr."377 Diese Personen können alle Arten
von Handlungen ausführen, selbst die allertragischsten. "Die erschreckendsten und traurigsten
Ereignisse unserer Zeit geschehen in Form von gigantischen Unfällen, und solche Unfälle sind
fast immer komisch oder zumindest lächerlich. In unserer Zeit wurden selbst die tragischsten
Handlungen - der Terror von Stalin, die Vernichtung der Juden durch die Nazis - von
idiotischen Bürokraten ausgeführt, die sich in den Speichen der immensen Maschinerie der
Macht verfingen, welche sie benutzte, als seien sie nur seelenlose Puppen. Solche Personen
können nicht tragisch sein. Sie müssen immer groteske Menschlein bleiben."378
Im Rahmen dieser neuen Gegebenheiten, in der "neuen Ordnung der Dinge" schlägt Dürrenmatt dem Theaterautor den Weg der Parodie vor, den er gehen muß, wenn er seine künstlerische Freiheit wiedergewinnen will. "Aus diesem Grunde muß denn auch der Künstler die Gestalten, die er trifft, auf die er überall stößt, reduzieren, will er sie wieder zu Stoffen machen,
hoffend, daß es ihm gelinge: Er parodiert sie, das heißt, er stellt sie in bewußten Gegensatz zu
dem dar, was sie geworden sind. Damit aber, durch diesen Akt der Parodie, gewinnt er wieder
seine Freiheit und damit den Stoff, der nicht mehr zu finden, sondern nur noch zu erfinden ist,
denn jede Parodie setzt ein Erfinden voraus."379 Die Parodie annulliert nicht das Tragische,
sondern bringt es erst recht durch die Hintertür wieder ins Spiel: "Doch ist das Tragische
immer noch möglich, auch wenn die reine Tragödie nicht mehr möglich ist. Wir können das
Tragische aus der Komödie heraus erziehen, hervorbringen als einen schrecklichen Moment,
als einen sich öffnenden Abgrund, so sind ja schon viele Tragödien Shakespeares Komödien,
aus denen heraus das Tragische aufsteigt."380
4.2 Die Notwendigkeit der Satire für Iakobos Kambanellis
Um wieder zu Kambanellis zurückzukehren, soll nun seine "Trilogie der Satire" (oder auch
"Trilogie des Krieges") untersucht werden, in der folgende Stücke zusammengefaßt sind:
"Odysseus, geh heim", "Papa, der Krieg" und "Das Märchen ohne Namen". Der eine Überbegriff dieser Trilogie bezieht sich auf ihre Form, der andere auf den behandelten Inhalt.381 Die
376
377
378
379
380
381
Dürrenmatt, Friedrich, wie FN 371, S. 47 - 48.
Dürrenmatt, Friedrich, wie FN 371, S. 44.
Esslin, Martin, wie FN 268, S. 202.
Dürrenmatt, Friedrich, wie FN 371, S. 55.
Dürrenmatt, Friedrich, wie FN 371, S. 48.
Georgos Pefanis nennt dies die "Trilogie des Krieges, oder Trilogie der satirischen Allegorie". Siehe: Pefanis,
Georgos (Πεφάνης, Γιώργος): Kleine Wanderung durch das Land von Kambanellis (Μικρό οδοιπορικό στη
χώρα του Καµπανέλλη), Zeitschrift "Nea Estia" (Νέα Εστία), Athen, 15.03.1977.
Chourmousiadis spricht dagegen von allegorischen oder historischen Satiren. Siehe: Chourmousiadis, Nikos,
wie FN 16.
Walter Puchner bezeichnet diese Stücke als Satiren in freiem surrealem Stil. Siehe: (Puchner, Walter): Das
Theatergeschehen im Griechenland der Nachkriegszeit. Eine Annäherung (Το θεατρικό έργο στην
Kambanellis - Trilogie des Krieges
S. 114
beiden ersten Stücke entstanden 1952 in ihrer Urfassung, wurden aber noch mehrfach umgearbeitet. Schließlich wurde das erste, "Odysseus, geh heim", 1966 am "Theatro Technis" uraufgeführt, das zweite, "Papa, der Krieg" erst 1979. Das dritte Stück der Trilogie wurde 1959 auf
Bestellung des Theaters "Neo Theatro" geschrieben und uraufgeführt. Zumindest in ihrer
ersten Version stammen also alle drei Stücke aus den 50er Jahren.
Die kulturelle Isolation Griechenlands am Rande Europas, die natürlich auch den Bereich des
Theaters betraf, schließt aus, daß Iakobos Kambanellis in direktem Dialog mit den internationalen Strömungen, die wir weiter oben geschildert haben, stand. Natürlich waren ihm die
Techniken des modernen Theaters nicht unbekannt, und sie erweiterten den Horizont des
zeitgenössischen Theaterautors. Er selbst sagt dazu: "Allmählich begann ich, die
schriftstellerische Freiheit zu finden und Stücke zu schreiben, in denen die Mythen und die
Sprache recht frei eingesetzt wurden - ein Erbe von Brecht, Ionesco und Weiß. Eine
Entfernung vom poetischen und psychologischen Theater. Dramatische Komödien mit starker
Reduktion und Schematisierung."382
Wie dem auch sei, die Gedankenwelt von Kambanellis, sein persönlicher Erfahrungshorizont
und die Notwendigkeit, in der griechischen Gesellschaft jener Zeit zu bestehen, führten ihn zu
ähnlichen Stilmitteln wie die westeuropäischen Theaterautoren jener Zeit. Offensichtlich identifizierten sie alle sich in einem hohen Maße mit der Epoche, in der sie lebten. Kambanellis
war ein Mensch, der von einer Insel stammte, auf der er eine Kindheit voll spielerischer und
optimistischer Lust auf Leben genoß, bevor er in schon jungen Jahren die "grotesken
Alpträume" der Konzentrationslager kennenlernen mußte. Als Schriftsteller, der seine eigenen
Erfahrungen mit thematisierte und zu gesellschaftlichen Fragen klar Stellung bezog, entschloß
er sich für die Form der Satire. Er selbst beschrieb383, daß sie ihm am geeignetsten schien, um
genau das zu beschreiben, was er selbst erlebt hatte und was ihn im Griechenland der Nachkriegszeit am meisten erschütterte: "Meine einzigen Materialien waren die zweieinhalb Jahre
Mauthausen und die Realität hier, die in keiner Weise auszuhalten war, sowie eine Welt, die
ihre ethische Basis verloren hatte. Mit anderen Worten, ich reagierte sehr direkt auf soziale
Gegebenheiten."384 Die griechische Gesellschaft jener Zeit stand unter dem starken Eindruck
einer zunehmenden Absurdität. Als hätte man nicht genug unter den klaffenden Wunden des
Bürgerkrieges zu leiden, unter dem Verlust so vieler Menschen, unter Armut und Elend,
führte die anhaltende politische Spaltung und der Fanatismus den von Parteipolitik
beherrschten Staat täglich in neue absurde Situationen, die immer weniger kontrollierbar
waren. Kambanellis selbst berichtet ein Beispiel, wie sich diese Absurdität manifestierte: "Ich
382
383
384
µεταπολεµική Ελλάδα. Μια προσέγγιση), Zeitschrift "Ekkyklima" (Εκκύκληµα), Heft 24 mit Schwerpunkt
über das neugriechische Theater, Januar - März 1990, S. 422 - 433.
Papandreou, Nikiforos (Παπανδρέου, Νικηφόρος) sieht in diesen Stücken die allegorische Verwendung von
Mythen, Parabeln, sowie die Benutzung von Geschichte als Farce und parodistische Elemente. Siehe:
Papandreou, Nikiforos (Παπανδρέου, Νικηφόρος): Gruß an Iakobos Kambanellis (Χαιρετισµό στον Ιάκωβο
Καµπανέλλη), Zeitung "To Vima" (Το Βήµα), 17.04.1993.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Schließlich war ich gezwungen zu schreiben (Χαιρετισµό
στον Ιάκωβο Καµπανέλλη). In: Von der Bühne und vom Parkett aus (Από σκηνής κι από πλατείας), Athen
1990, S. 32 - 35, hier S. 33.
Aus einem Interview des Iakobos Kambanellis durch Georgos Michailidis, in: Michailidis, Georgos, wie FN
274, hier S. 26.
Siehe auch Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): "Von der Bühne und vom Parkett aus", Athen
1990, hier S. 33. Dort betont Kambanellis: "Was auch geschehen mag, das sind die Stücke, die ich am
meisten schätze, da ich weiß, wie tief und in welcher Reinheit sie mir entsprechen."
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Weil ich will, nicht weil ich kann (Επειδή θέλω, όχι επειδή
µπορώ), in (ders.): Von der Bühne und vom Parkett aus (Από σκηνής κι από πλατείας), Athen 1990, S. 55 60, hier S. 56.
Kambanellis - Trilogie des Krieges
S. 115
nahm regelmäßig den Bus in den Stadtteil Vironas, in dem ich eine Zeit lang lebte. An der
Stadionbrücke stiegen Polizisten ein und machten Ausweiskontrollen."385
Ein weiterer Grund für Kambanellis, sich für Andeutungen und die symbolische Sprache der
Satire zu entscheiden, war das Damoklesschwert der Zensur. Kambanellis war tief in der geistigen Tradition seiner Heimat verwurzelt, von wo aus er durch die Satire zu Stücken geleitet
wurde, in denen absurde Elemente vorkommen, "wobei das Absurde mehr in den Umständen
als im Wort steckt"386. Dieses Absurde läßt sich zurückführen auf Aristophanes und das populäre Karagiozis-Schattentheater, es findet sich wieder in der griechischen Revue387 und kulminiert in der griechischen Farcenkomödie, interpretiert durch einige Darsteller, die darin legendär wurden. Kambanellis nun integrierte es in sein eigenes Stück und gab ihm dabei eine
Form, die für griechische Theaterstücke völlig neu war. In den Satiren von Kambanellis
finden sich anti-Kriegs-Gedanken, und die Scheinheiligkeit der Mächtigen wird aufgedeckt,
die so schädlich für die Völker ist. Diese Stücke sind im weiteren Sinne politisch und
erwarten vom Publikum eine aktive Teilnahme; zumindest wollen sie es wachrütteln.
Kambanellis bedient sich in diesen Stücken Mythen oder historischer Ereignisse aus der griechischen Geschichte, die er auf den Kopf stellt und parodiert, um aus ihnen jene Inhalte zu extrahieren, die ihm wichtig sind. Der Autor fokussiert dabei besonders die Machthaber, mit
dem Seziermesser der Satire stellt er sie bloß und parodiert sie. Die für das Geschehen
Verantwortlichen werden ins Königreich der Groteske verpflanzt, wo sie in ihrer farcenhaften
Verwandlung "feige, schicksalsbestimmt und willenlos werden"388. Zum Beginn der 50er
Jahre war die Rezeption von Theater allerdings noch nicht reif für die Aufführung von so
gewagten Stücken wie "Odysseus, geh heim" oder "Papa, der Krieg". "Selbst jene, die
eigentlich über die neuen Tendenzen im Theater informiert sein sollten, nahmen die Stücke
mit Mißtrauen auf."389 Nach Ansicht von Kambanellis "hätte zuerst das zeitgenössische
ausländische Repertoire auf den griechischen Bühnen gespielt werden müssen, damit diese
Art von Theater ein Fundament bekäme, da es eigentlich politisch war."390 Als diese Stücke
endlich das Licht der Bühne erblickten, wurden sie freudig begrüßt, ihre Problemstellungen
wurden in weiten Kreisen diskutiert. Unter diesem Aspekt ist es um so bedauerlicher, daß man
nicht wissen kann, was es für diese Stücke und auch für die schriftstellerische Zukunft von
Kambanellis selbst und das neugriechische Theater allgemein bedeutet hätte, wenn sie schon
zu jener Zeit aufgeführt worden wären, in der sie geschrieben wurden.391
385
386
387
388
389
390
391
Kambanellis, Iakobos, wie FN 259, hier S. 373.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Vorwort im Programmheft zur Aufführung des Stückes
"Odysseus, geh heim" am "Theatro Technis" 1966, nachgedruckt in (ders.): Theater, Bd. 2, Athen 1979,
S. 207 - 209, hier S. 207.
Erläuterungen zur Griechischen Revue, siehe FN 52.
Varnalis, Kostas (Βάρναλης, Κώστας): Die Schicksalshaften (Οι µοιραίοι). In: Gedichte. Auswahl (Ποιήµατα,
Εκλογή), Athen 1954, S. 16 - 17.
Michailidis, Georgos, wie FN 274, hier S. 26.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 13, hier S. 42.
Diese Frage stellt Iliadi, Maria (Ηλιάδη, Μαρία): Die griechische Dramaturgie (Η ελληνική δραµατουργία),
Zeitschrift "Epistimoniki Skepsi" (Επιστηµονική σκέψη), Heft 34, Juli - August 1987, S. 67 - 76, hier S. 73.
Puchner stellt ebenfalls fest: "Die Mechanismen, welche die Repertoireauswahl bestimmen, haben oft eine
verzögernde Wirkung auf das Schaffen neuer Theaterstücke". Siehe Puchner, Walter, wie FN 381, hier
S. 424.
Kambanellis - Trilogie des Krieges
S. 116
4.3 Das Stück "Odysseus, geh heim"
4.3.1 Inhaltsangabe392
1. Bild: Das Stück beginnt in einer Strandbar, auf welcher der Name "Odysseus" steht. Hier
halten sich seine sieben Gefährten auf und schmieden die siebzehnte Meuterei gegen ihn für
den Fall, daß er nicht nach Ithaka zurückkehren möchte, wie sie es wollen. Odysseus wacht
auf dem Flachdach der Bar auf und trifft dort auf Nefeli, seine Geliebte zur Zeit des Krieges.
Sie teilt ihm mit, daß er sich auf der Insel der Circe befindet, wo Odysseus verehrt wird.
Nefeli übernimmt es auch, den hiesigen Ministerpräsident namens Evandros darüber zu
informieren, daß Odysseus als Schiffbrüchiger auf dieser Insel gelandet ist. Lysandros
informiert Odysseus über die geplante Meuterei. Dieser nimmt sie aber nicht ernst und
befiehlt Lysandros, das havarierte Schiff ganz zu versenken. Die Meuterei mißlingt sofort,
denn Odysseus wehrt sich überhaupt nicht und verwirrt seine Gefährten damit völlig. So ist er
wieder frei, als Nefeli zurückkehrt. Mit ihr zusammen kommt der Ministerpräsident Evandros.
Dieser sieht Odysseus in schlechten und zerlumpten Kleidern und glaubt anfangs gar nicht,
daß es wirklich Odysseus ist, mit dem er zu tun hat. Er schreit ihn an, wieso er denn nicht
früher Bescheid gegeben hätte, daß er kommen würde. Auch stellt er fest, daß sein Aussehen
enttäuschend sei, statt seiner sollte besser Elpinoras die Gruppe anführen. (Elpinoras ist einer
der Gefährten, ein sehr gutaussehender, aber dummer Mann.) Odysseus möchte die Insel
wieder verlassen, da kommt Lysandros zurück und man hört, daß das Schiff gesprengt wird.
2. Bild: Der Ministerpräsident Evandros spricht vor dem Parlament. Er erklärt, warum es
nötig war, im Staat die Verehrung eines Idols wie Odysseus aufzubauen. Da eine andere Persönlichkeit nicht zu finden war, die die Massen so begeistern konnte, wurde dieser Mythos des
Odysseus entworfen und mit allen vorhandenen Mitteln der Propaganda verbreitet, wodurch er
zu einem Volksheld wurde. Da jedoch der wirkliche Odysseus weder vom Alter her noch von
seinem Erscheinungsbild her diesem Heros entspricht, müssen weitere Maßnahmen ergriffen
werden.
3. Bild: Dieses Bild spielt sich im Palast von Circe ab. Man hört, daß über Radio alle Bürger
aufgerufen werden, an einem großen Fest teilzunehmen, das anläßlich der Übergabe des
goldenen Schlüssels der Stadt an Odysseus veranstaltet wird. Circe hat neben sich den
hübschen Elpinoras, der den häßlichen Odysseus ersetzt. Evandros geht zu Odysseus und
bittet ihn um Entschuldigung; er habe leider keine Möglichkeit gehabt, anders zu handeln, da
Odysseus zu einer öffentlichen Einrichtung geworden sei. Nikias, den keiner hier vermutet
hatte, nähert sich heimlich Odysseus und erinnert ihn an damals, als er als einfacher Soldat
Odysseus die Idee mit dem hölzernen Pferd gegeben hatte. Nach dem überragenden Erfolg
dieses Tricks hatte Odysseus nicht mehr den Mut gefunden, zu sagen, wessen Idee dies
wirklich gewesen war. Nun möchte Odysseus aber die Wahrheit ans Licht bringen, da die
Feierlichkeiten sowieso zu Ehren eines falschen Odysseus abgehalten werden.
4. Bild: Wir befinden uns wieder im Parlament. Der Regierung droht ein Mißtrauensvotum, da
sie das Auftauchen des wirklichen Odysseus nicht hatte verhindern können. Um wieder Ruhe
392
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Odysseus, geh heim (Οδυσσέα, γύρνα σπίτι) in (ders.):
Theater, Bd. 2, Athen 1979, S. 210 - 295.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 117
in das Land zu bringen, beschließt die Regierung, zu verbreiten, daß es angeblich eine
Epidemie gebe, gegen die strenge Maßnahmen zu ergreifen wären. So könnte man wieder
Ruhe bekommen. Währenddessen wird das Volk von einer 'Ehrlichkeitskrise' heimgesucht,
die in dem Moment ausbricht, als Odysseus die Wahrheit sagt. Nun reist auch noch ein
Diplomat von Ithaka an, der mit der Insel von Circe gemeinsam Maßnahmen ergreifen will,
um mit Odysseus zurechtzukommen, der sich von allen Kompromissen losgesagt hat. Der
Ministerpräsident versucht, Odysseus dazu zu bringen, daß er seine Aussage widerruft. Dann
werde er ihm auch bei seiner Rückkehr nach Ithaka helfen. Odysseus möchte nun nach Ithaka
zurückkehren und auch dort die Wahrheit verkünden. Aufgrund der angeblichen Seuche
wurde jedoch der Kontakt der Insel von Circe mit der Außenwelt unterbrochen, weswegen
man auf Ithaka niemals von den Vorfällen der letzten Tage hier erfahren wird. Odysseus wird
bis ans Ende seiner Tage auf der Insel festgehalten. Der wirtschaftliche Aufschwung und der
Tourismus auf Ithaka würden Schaden leiden, käme Odysseus nicht als Held zurück.
Evandros und Diplomat bringen Odysseus in Fesseln herein. Sie richten ihn in der Mitte der
Bühne auf, wie eine Statue auf einem Sockel. Fräulein Klio setzt ihm einen Kranz auf,
während die anderen ihm mit festlichem Lärm zujubeln.
4.3.2 Kommentar zum Titel
Der Titel des Stückes verweist auf die Intention des Autors, den klassischen homerischen Mythos des Odysseus zu stürzen und zu parodieren. Mit diesem Titel wird ein "Held" angedeutet,
der sich nicht etwa von selbst aufmacht, in die Heimat zurückzukehren, sondern dem das erst
befohlen werden muß. Doch ein "Held", der Befehle entgegennimmt, kann nur eine satirische
Figur sein. Der Befehl wird Odysseus in letzter Konsequenz vom Autor selbst gegeben, welcher Odysseus in eine ironisch-satirische Version des Mythos holt. Gleichzeitig fordert er das
Publikum dazu auf, sich eine umgekehrte Version der Sage anzusehen. In dieser Version sind
es die Adligen auf der Insel der Zauberin Circe, die einen Helden brauchen und daher
Odysseus bitten, bei ihnen zu bleiben. Doch danach tragen sie ihm auf, heimzugehen, da sie
feststellen, daß der einst so strahlende, nun aber heruntergekommene Held ihnen nicht mehr
paßt. Da schicken sie ihn fort und ersetzen ihn durch einen anderen. Es ist der einzige
Moment, wo der umherirrende, arme, obdachlose und darbende Odysseus sich selbst sagen
wird, daß es besser wäre, heimzugehen, um vielleicht, wenn möglich, noch ein paar Überreste
des einstigen großartigen Heldentums zu retten.
4.3.3 Die Atmosphäre des Stückes
Die Kameraden im Hades
Es blieben uns ja nur alte Brotreste,
was kam uns da für eine dumme Idee,
an den Strand zu gehen
und der Sonne späte Kühe zu essen.
Für jede müßtest du doch eine Burg einnehmen,
vierzig Jahre lang,
und ein Held und ein Stern werden!
Wir hungerten auf dem Rücken der Erde,
doch als wir reichlich gegessen hatten,
fielen wir hier in die Untiefen,
stumpfsinnig und satt.
Georgos Seferis
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 118
Dieses Gedicht393, welches Georgos Seferis in den 60er Jahren schrieb, spricht von der Hybris
der Gefährten des Odysseus gegenüber dem Sonnengott Helios, welche ihnen so viel Unglück
brachte. Die Sage von Odysseus kehrt in vielen literarischen Stücken jener Zeit wieder, stets
mit einem ironisch-kritischen Blick. Denn dieser Held wird gleichgesetzt mit dem Griechen
der Neuzeit. Auch Iakobos Kambanellis sieht ihn so. Odysseus ist hier kein reiner Held,
sondern ein Mensch, der tut, was er kann, um aus seinem Mythos und seinem Ruhm ganz
handfeste Vorteile zu erlangen.
4.3.4 Die Zielsetzung des Autors
Es dauerte lange und erforderte Kambanellis viel Mühe, um diesem Stück seine endgültige
Form und Gestalt zu geben. Es wurde erstmals 1952 geschrieben. Da es aber erst so lange Zeit
später aufgeführt wurde, und da die bewegte politische Geschichte Griechenlands dem Autor
immer weiter neues Material lieferte, während auch dieser einen kontinuierlichen
Reifungsprozeß durchmachte, so entstanden nacheinander vier verschiedene Fassungen dieses
Stückes. Die vierte Fassung war dann die endgültige, und sie war es, die erstmals 1966
aufgeführt wurde.
Wenn man Kambanellis' eigene Einleitung zu dem Stück394 liest, läßt sich herausarbeiten, daß
ihm selbst drei Punkte besonders wichtig sind:
1.
Stilrichtung des Stückes: Daß das Element des Absurden in diesem Stück mehr in den
Situationen als in den Worten steckt;
2.
Ort des Stückes: Es ist geprägt durch eine Vorliebe für öffentliche Räume und öffentliche
Themen, in denen die Personen ein gemeinsames Schicksal haben;
3.
Auftretende Personen: Er wollte wegkommen von der Darstellung alltäglicher Menschen
und statt dessen allgemeiner gültige Figuren schaffen.
Diese Ansprüche führten den Autor zu einem stilisierten Theater. Da sein Augenmerk hauptsächlich der Gesellschaft galt, ließ er die Handlung im Griechenland der Nachkriegszeit stattfinden. Hier führt er die Idole öffentlich nackt vor, um damit seinen tiefen Zweifel am Sinn
des Opfers auszudrücken, eine Problematik, die zum Ende eines jeden Krieges unweigerlich
aktuell wird.
Kambanellis bedient sich für dieses Stück bei der antiken Mythologie: hier findet er die
Person des Odysseus und dessen Erlebnis auf der Insel der Zauberin Circe. Doch bearbeitet er
den Mythos neu, um damit eine aktuellere Aussage treffen zu können. In dieser Neufassung
verliert Odysseus seinen Status als Heros und steht für jedem beliebigen Menschen, der sich
anschikkte, irgend ein Ziel zu erreichen, und der auf dem Weg dahin Ruhm erlangte. Doch
dieser Ruhm ist nicht immer segensreich. Der ruhmreiche Mensch kann mit der Zeit
korrumpiert werden, seine ursprünglichen Ziele und Ideale aus den Augen verlieren und
seinen Ruhm mißbräuchlich einsetzen. Doch in diesem Moment wird der Träger des Mythos
schwach und schleppt schwer an dieser Bürde. Dann werden vielleicht die Ideale und Träume
in jedem Odysseus wieder wach, doch dann sind die Träume gefährlich "für den Tourismus
und eine ausgeglichene Zahlungsbilanz".395
393
394
395
Seferis, Georgos (Σεφέρης, Γιώργος): Gedichte (Ποιήµατα). Athen 1981, S. 14.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 386.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 386.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 119
4.3.5 Reaktion der Kritik auf die Uraufführung des Stückes "Odysseus,
geh heim"
Das Stück "Odysseus, geh heim" wurde 1966 am "Theatro Technis" uraufgeführt. Die Kritik
war allgemein der Ansicht, daß der Autor nicht den ganzen Spielraum nutzte, den die Form
der Satire geboten hätte. Für den Kritiker Stathis Dromazos betrat Kambanellis mit diesem
Stück den Bereich des politischen Theaters. Auf die Weise, wie die handelnden Personen
gezeigt wurden, stellten sie seiner Meinung nach eine katalytische Satire der bürgerlichen
Gesellschaft dar.396 Babis Klaras lobte die satirische Kraft, mit der Kambanellis jene
demaskiere, die die Macht unter sich aufteilen.397 Die Kritik hob positiv hervor, daß
Kambanellis die Satire auf kluge Weise einsetzte; er habe sehr interessante Elemente als
Grundlage genommen und die Handlung auf meisterliche Weise entwickelt.398 Irini Kalkani
konstatierte, daß der Autor Streifzüge ins Absurde unternommen habe.399 Gerügt wurde
Kambanellis für die ideologische Unklarheit des Stückes: "Es ist nicht klar, wohin er seine
Pfeile richtet, auch macht der Autor keinen Gegenvorschlag an Stelle dessen, was er
angreift."400 Nach Ansicht des Kritikers Marios Ploritis war es dem Autor nicht gelungen, die
dargestellten Konflikte in ihrer Tiefe auszuleuchten, er bliebe an ihrer Oberfläche.401 Babis
Klaras kritisierte, der übermäßige Wortreichtum schwäche den Aufbau des Stückes und
mache es schwer spielbar.402 Vasos Varikas mißfiel die, wie er fand, nihilistische
Grundtendenz des Stückes.403
396
397
398
399
400
401
402
403
Dromazos, Stathis (∆ροµάζος, Στάθης): Kritik der Uraufführung des Stückes "Odysseus, geh heim" 1966 am
"Theatro Technis" in der Zeitung "Avgi" (Αυγή), Januar 1967, in: Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd. 2,
Athen 1979, S. 336 - 340.
Klaras, Babis (Κλάρας, Μπάµπης): Kritik der Uraufführung des Stückes "Odysseus, geh heim" 1966 am
"Theatro Technis" in der "Vradyni" (Βραδυνή), Dezember 1966, in: Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd. 2,
Athen 1979, S. 332 - 333.
Skalioras, Kostas (Σκαλιώρας, Κώστας): Kritik der Uraufführung des Stückes "Odysseus, geh heim" am
"Theatro Technis" in der Zeitschrift "Tachidromos" (Ταχυδρόµος), Januar 1967, in: Kambanellis, Iakobos:
Theater, Bd. 2, Athen 1979, S. 328 - 330.
Chourmousios, Aimilios (Χουρµούζιος, Αιµίλιος): Kritik der Uraufführung des Stückes "Odysseus, geh
heim" am "Theatro Technis" in der Zeitung "Kathimerini" (Καθηµερινή), Dezember 1966, in: Kambanellis,
Iakobos: Theater, Bd. 2, Athen 1979, S. 334 - 335.
Kalkani, Irini (Καλκάνη, Ειρήνη): Kritik der Uraufführung des Stückes "Odysseus, geh heim" am "Theatro
Technis" in der Zeitung "Apogevmatini" (Απογευµατινή) im Januar 1967, in: Kambanellis, Iakobos: Theater,
Bd. 2, Athen 1979, S. 346 - 348.
Dromazos, Stathis, wie FN 396.
Ploritis, Marios (Πλωρίτης, Μάριος): Kritik der Uraufführung des Stückes "Odysseus, geh heim" am
"Theatro Technis" in der Zeitung "To Vima" (Το Βήµα) im Dezember 1966, in: Kambanellis, Iakobos:
Theater, Bd. 2, Athen 1979, S. 330 - 332.
Klaras, Babis, wie FN 397.
Varikas, Vasos (Βαρίκας, Βάσος): Kritik der Uraufführung des Stückes "Odysseus, geh heim" am "Theatro
Technis" in der Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα), Januar 1967, in: Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd. 2, Athen
1979, S. 342 - 343.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 120
4.3.6 Odysseus: Der Held, der heimkehrt, und seine literarischen
Abenteuer
Die homerische Odyssee beschreibt bekanntlich die Rückkehr des mythischen Königs von
Ithaka in seine Heimat nach dem Ende des Trojanischen Krieges. Daß dieses Epos so berühmt
wurde, die Jahrhunderte überdauerte und so oft literarisch weiterentwickelt wurde, mag auf
seine doppelte Ebene zurückgehen, wie es Jacqueline de Romilly beschreibt: "Während dieses
Stück einerseits mit absolutem Realismus eine Fülle an Abenteuern beschreibt, ist es doch
gleichzeitig ein Stück mit symbolischem Charakter, in dem sich das Leben des Menschen
spiegelt, seine Erlebnisse, seine Kämpfe, sein vorherbestimmtes Schicksal."404
Odysseus als Person ist ein typischer Vertreter des Griechen: ein äußerst vielgesichtiger Reisender, mit viel praktischem Verstand und Neugierde. Er ist immer unterwegs, er sammelt
verschiedene Meinungen und transportiert Ideen. Er versucht, auf die bestmögliche Weise
durchzukommen, wobei er nicht nur mutig, sondern manchmal auch tollkühn wird. Odysseus
ist bei Homer ein Symbol für das menschliche Leben und speziell für die Griechen, aber er ist
auch mehr als das. Schon in der Odyssee finden wir bei ihm einige Eigenschaften, die sein
Heldentum gleichzeitig untergraben. Odysseus ist nicht mehr der siegreiche Feldherr der alten
Sage, sondern ein Held, der auch leidet und umherirrt.
Da der Tod im Epos selbst für die größten Helden nicht süß ist, bleibt die Frage offen, inwieweit heroische Taten allgemein vergeblich sind405. Die negativen Seiten des Helden werden
besonders in der späteren Literatur betont. Pindaros und Euripides "stigmatisierten den politisch eventuell vorteilhaften, doch in letzter Konsequenz unmenschlichen Zynismus des Helden".406 Jacqueline De Romilly hält fest: "Der listenreiche Odysseus des Homer wird bei den
Dichtern der klassischen Tragödien zu einem Lügner und Demagogen."407 Jede Generation
schreibt auf das Palimpsest des homerischen Mythos ihren eigenen Abenteuer. Obwohl sich
also die Präsenz von Odysseus als literarischer Person über die Jahrhunderte verliert, gerät in
der Literatur des 20. Jahrhunderts besonders der Aspekt der Vielseitigkeit ('polytrop') in das
Zentrum der Aufmerksamkeit. Odysseus ist ein Mensch der Aktion, der Taktik, ein Ränkeschmied und ein ständig rastlos umherziehender Held, der es schließlich nicht schafft, in seine
Heimat zurückzukehren. Diese Eigenschaften passen sehr gut zu den Besonderheiten und der
Befindlichkeit des 20. Jahrhunderts. Diese moderne Version des Mythos wird beispielsweise
von Giraudoux (Elpinore, 1919), Joyce (Ulysses, 1922) und anderen Schriftstellern betont.
Gerne benutzen sie ironische Mittel wie die Parodie und die Satire, um diesen
zeitgenössischen Aspekten des Odysseus gerecht zu werden.
Im heutigen Griechenland sitzen die Bilder der Odyssee, jenes "Epos durchtränkt von
ägäischer Salzigkeit"408 fest in der Erinnerung der Schriftsteller. Sie fahren aufs Neue auf dem
Floß des Odysseus mit, um den Mythos im Licht der heutigen Bedürfnisse neu zu entwickeln.
Die wichtigste Neubehandlung des Mythos durch einen griechischen Schriftsteller erfolgte
durch Nikos Kazantzakis: Odyssee (1938). Nach Ansicht von Georgos Stamatiou "...
beschreibt die Odyssee von Kazantzakis statt des homerischen Mythos, in welchem die
404
405
406
407
408
De Romilly, Jacqueline: Homère (Όµηρος). Que sais-je, Les Presses Unies de France, ins Griechische
übersetzt von Flora Vraninou (Φλώρα Βρανίνου), Athen 1974, S. 60.
Stella, Luigia Achillea: Die Odyssee und der Krieg (Η Οδύσσεια και ο πόλεµος), Zeitschrift "Apopsis"
(Απόψεις), Athen 1985, hier S. 47.
Maronitis, Dimitris (Μαρωνίτης, ∆ηµήτρης): Der Blick des Odysseus (Το βλέµµα του Οδυσσέα), Zeitung
"To Vima" (Το Βήµα) vom 03.12.1995.
De Romilly, Jacqueline, wie FN 404, S. 119.
Leonti, Artemis (Λεοντή, Άρτεµις): Topographien des Griechentums. Eine Kartierung der Heimat
(Τοπογραφίες του Ελληνισµού. Χαρτογραφώντας την πατρίδα). Athen 1998, S. 168.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 121
Heimkehr des Odysseus nach Ithaka das Hauptthema ist, eine zweite große Reise des
'Weltenbummlers' von Ithaka ans Ende der Welt."409 Kazantzakis nimmt den homerischen
Held an der Stelle in Empfang, wo ihn Homer zurückgelassen hatte, und führt ihn durch neue
Länder, mit neuen Menschen, auf Reisen, die ihn nicht mehr nach Ithaka führen werden.
In ähnlicher Weise kommentiert Artemis Leonti die Gedichtsammlung "Kichlis" von Georgos
Seferis, worin ebenfalls das Drama der Heimkehr wieder auflebt: "Die instabilen Personen,
die Umherziehenden, die Kriege miterleben (...) bewegen sich immer zwischen den gleichen
Ungeheuern und den gleichen Sehnsüchten. So bewahren wir die Symbole und die
Bedeutungen, die uns der Mythos gegeben hat, solange wir sicher sind, daß die typischen
Charaktere entsprechend der inzwischen verstrichenen Zeit und den neuen Gegebenheiten
angepaßt wurden."410
Auch im Film kommt das Thema des Odysseus wieder zur Sprache. 1995 dreht Theo Angelopoulos den Film "Der Blick des Odysseus". Dieser Held, der immer wieder weiterzieht, ohne
ankommen zu wollen, möchte weder nach Ithaka noch zu Penelope, er sucht auch nicht 'den
Weg nach Ithaka', sondern die Reise um der Reise willen, das ziellose Umherziehen, das bis
zum Tod führen kann.411 Leonti beschreibt die Quintessenz des zeitgenössischen Odysseus
folgendermaßen: "... er ist zu einem anonymen Mieter im riesigen Hotel unserer Zeit
geworden, der moderne Odysseus, in seiner vorläufigen Unterkunft betrachtet er die heutige
Welt, wie sie in sein Zimmer strömt. Anstatt in exotische Häfen zu reisen, wartet er darauf,
daß die Anderen ihn besuchen, wobei er hofft, daß irgend jemand ihm den Schlüssel bringen
wird, den er braucht, um zu seiner verlorenen Heimat zurückzukehren."412 Der Odysseus von
heute hat jegliches Interesse und Kampfgeist aufgegeben, vielmehr sucht er eine neue Rolle
im Leben und in der Literatur. In unserer Zeit, in der Ideale und Idole zu Lumpen zerschlissen
sind, erhebt sich Odysseus aus dem Palimpsest der Literatur, um sich mit dem Mittel der
Satire umformen zu lassen und um den Zielen von Kambanellis zu dienen, welcher einen Held
in heutigen Dimensionen schafft, also Odysseus als einen weiteren Anti-Held.
4.3.7 Der Weg des Odysseus von Kambanellis und die demaskierten Idole
Kambanellis begegnet seinem Held auf der Insel der Circe. Odysseus möchte nicht nach
Ithaka zurückkehren. Nach langjährigem Umherziehen ist sein Aussehen und sein Verhalten
inzwischen nur noch als malerisch zu bezeichnen. "Odysseus öffnet eines der Fenster von
seiner Strandbar und tritt auf den Balkon hinaus. Er trägt einen Matrosenanzug. Um seinen
Hals hängt ein Fernglas und ein Fotoapparat. Er läßt den Blick schweifen und gähnt, klopft
sich Staub ab und macht sich zurecht. Wie er umherschaut, sieht er seinen Namen als Namen
des Lokals. Das ist ihm eine angenehme Überraschung. Er hebt das Fernglas an seine Augen,
um sich auch die fernere Landschaft anzusehen." (Szenische Anweisungen, S. 220). Wir sehen
hier einen Mann mittleren Alters, der es allmählich leid ist, von Ort zu Ort ziehen. Ein
"Gauner" (Pyrrhos, S. 215) und "geborener Glücksritter" (Pyrrhos, S. 217), wie seine
Gefährten behaupten. Als er auf die Insel der Circe gelangt, hofft er, dort anonym bleiben zu
können, um sich aller erreichbaren Genüsse zu erfreuen, ohne irgend jemandem darüber
Rechenschaft geben zu müssen. "Ich habe so ein starkes Bedürfnis nach Menschen, die ich
nicht kenne und die mich nicht kennen" (Odysseus, S. 224).
409
410
411
412
Stamatiou, Georgos (Σταµατίου, Γιώργος): Kazantzakis und die Alten Griechen (Ο Καζαντζάκης και οι
Αρχαίοι), Athen 1983, hier S. 122.
Leonti, Artemis, wie FN 408, S. 241.
Rafailidis, Vasilis (Ραφαηλίδης, Βασίλης): Der Blick des Dichters (Το βλέµµα του ποιητή), Athen 1996,
S. 35.
Leonti, Artemis, wie FN 408, S. 241.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 122
Der Odysseus von Kambanellis hat keinerlei Sehnsucht nach seiner Heimat, das einzige, was
ihn interessiert, sind Konsum und Gewinn. Odysseus strebt nicht nach einem ideellen Wert,
wie ihn die Heimkehr darstellt, sondern hat nur seine Bequemlichkeit im Sinn, den Genuß und
das Konsumieren. Seine Gefährten dagegen sind dieses Leben leid. Sie fühlen sich im Laufe
der Reisen gealtert und wünschen, nach Ithaka zurückzukehren. "Aber wir wollen
zurückfahren. Wir sind unterwegs alt geworden, Teufel nochmal!" (Pyrrhos, S. 217).
Als Odysseus ihnen die Rückkehr unerbittlich verweigert, meutern die Gefährten mehrmals
gegen ihn. Zu Beginn des Stückes sind sie bei ihrer inzwischen siebzehnten Meuterei
angelangt. Doch Odysseus ist äußerst schlau: wie wir ihn schon aus dem alten Mythos kennen,
hat er die Fähigkeit, die allgemeine Stimmung zu seinen Gunsten zu wenden. Seine passive
Haltung entwaffnet die Gefährten und veranlaßt sie, von der gegen ihn geplanten Aktion
abzusehen. Es hat keinen Sinn, zu kämpfen, wenn der Feind nicht existiert. Und dieser Held
wurde einst ausgewählt, um als Repräsentant der ganzen Stadt nach Troja zu fahren, das Volk
dort endgültig zu besiegen und so zu einem Idol der Massen zu werden!
Im Laufe der Zeit, die er fern von Ithaka weilte, und auf dem Weg, den er zurücklegte, entstand aus dem ständigen Druck, das Bild des Idols zu nähren, ein richtiges Monster: "Nach
dem ersten Erfolg mußte ich noch einen haben, und noch einen und noch einen. Mein Ruhm
war ein Monster geworden, das immer mehr Futter von mir verlangte. Schließlich begannen
auch andere, es zu füttern, ohne um meine Erlaubnis auch nur zu fragen." (Odysseus, S. 266).
Mit den Jahren wurde Odysseus so ein berufsmäßiger Anführer ohne besondere Qualitäten,
der gelernt hatte, die Arbeit der Menschen um ihn herum für sich zu nutzen. Sogar die Idee
mit dem hölzernen Pferd hatte er von Nikias gestohlen. Nikias macht sich darüber seine
eigenen Gedanken: "Ich beschwere mich nicht. Unser Ziel war ja, zu siegen. Ob nun der
Ruhm für das hölzerne Pferd einen General oder einen Feldwebel auszeichnet, ist eigentlich
egal, denn es läuft ja immer so." (Nikias, S. 265). Odysseus sieht, daß seine Korruptheit in
immer weitere Bereiche vordringt: "Wir wurden zu Dieben, Lügnern, Gotteslästerern, wir
haben unsere Seele dem Teufel verkauft." (Odysseus, S. 287). Doch es kommt der Moment,
da dieser Angst einflößende Odysseus, der in der Ferne war und leicht täuschen konnte,
wieder zurückkommt. Und da sieht man, es ist ein würdeloser Mann in Lumpen, klein und
schiefwüchsig, gealtert und häßlich, ein richtiges Wrack. "Eine lächerliche Karagiozis-Figur
durch und durch."413 Odysseus selbst ist sich des Zustandes, in dem er sich inzwischen
befindet, bewußt: "Sieh nur, was geblieben ist, ein riesiges Nichts" (Odysseus, S. 263).
Er weiß auch, daß seine Rückkehr nach Ithaka jenen die Wahrheit zeigen würde, die ihn noch
als strahlenden Held verehren. Daher es ihm lieber, noch als Schiffbrüchiger zu gelten. Als
Nefeli ihn fragt: "Hast du denn nicht vor, nach Ithaka zurückzukehren?" (Nefeli, S. 224),
antwortet er: "Die Zeit ist noch nicht gekommen." (Odysseus, S. 224). Doch die plötzliche
Ankunft auf der Insel der Circe, wo er ebenfalls als Held bekannt ist, bedeutet den Moment,
wo Odysseus enttarnt wird. Dieser Überrest eines Helden, der sich so von jenem Odysseus
unterscheidet, der einst weggefahren war, befriedigt die Regenten nicht mehr. Dieser Held, der
sich den Genüssen ergeben hat und von ihnen zerstört wurde, erfüllt nicht die Erwartungen,
die das Publikum an ihn stellt. Deswegen wird Odysseus durch einen gutaussehenden,
dummen Jüngling namens Elpinoras ersetzt, dessen äußere Erscheinung ausreichen wird, um
überzeugend einen Held darzustellen. Den echten Odysseus will man dagegen als verrückt
darstellen. Odysseus wird sich nun bewußt, daß man ihm seinen Namen aufkündigen will:
"Sie haben mir meine Identität geraubt... bin ich denn nicht mehr der Odysseus? Und wer bin
413
Panagopoulos, Andreas (Παναγόπουλος, Αντρέας): Odysseuse in der Literatur und Odysseus bei Kambanellis
(Οι Οδυσσείς στην λογοτεχνία και ο Οδυσσέας του Καµπανέλλη). Zeitschrift "Aiolika Grammata" (Αιολικά
Γράµµατα), Mai - August 1994, S. 24 - 25, hier S. 25.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 123
ich denn dann? Darf ich bitte erfahren, wer ich bin? Sie haben mein Hab und Gut gestohlen,
meinen Ruhm, sie lebten mein Leben und nannten mich einen Narren. Nun, da habe ich ihnen
einen solchen Odysseus gezeigt, daß sie sofort alles Gestohlene zurückbrachten" (Odysseus,
S. 257).
Wir treffen hier wieder auf ein Grundmotiv von Kambanellis' Dramaturgie. Der aus sich
selbst und aus seiner Heimat exilierte Mensch erscheint hier in der Form eines Idols, das aus
seiner sozialen Situation und aus seinem Namen "exiliert" wurde, aus allem, was es für die
Allgemeinheit bedeutet hatte. Dieses Idol reagiert seltsam, doch nicht ungebührlich für eine
Person aus der Satire. Wenn die Herrschenden die Fähigkeit haben, Homunculi zu basteln, um
das Spiel nach ihrem Sinne zu lenken, kann er das auch: "Sollen sie doch einen machen, dann
mache ich viele Odysseuse" (Odysseus, S. 257). An diesem Punkt wandelt sich Odysseus, er
sucht nun nach seinem inneren Ich, weit ab von den Kompromissen, die er bisher der
öffentlichen Meinung wegen eingegangen war. Er teilt seinem Volk die Wahrheit mit und
sagt, er sei nie ein Held gewesen. Er legt seine echten und nur normalmenschlichen
Eigenschaften dar, die nichts von den übernatürlichen Dimensionen haben, die man ihm
zuschrieb.
Als der Diplomat ihn fragt, wieso er denn nun die Wahrheit aufdeckt, antwortet Odysseus:
"Ich mußte mich wehren, sie haben mich aus meinem Namen vertrieben." (Odysseus, S. 280).
Seine existentielle Niederlage führt ihn zu einem Moment der äußersten Ehrlichkeit, und er
hat die ganze Stadt mit in diese Stimmung versetzt. Er behauptet: "Den Odysseus, den die
Menschen ehrten, habe weder ich noch sonst irgend jemand jemals getroffen. Das ist eine
nicht existierende Person, und ich bin es auf keinen Fall." (Odysseus, S. 280). Nun möchte er
nach Ithaka zurückfahren und dort das gleiche sagen, auch dort die Wahrheit offenlegen. Doch
die Herrschenden machen ihn zum Denkmal. In diesem Stück sehen wir die zertrümmerte
Ikone des Antihelden Odysseus. Als Odysseus von Ithaka aufbrach, glaubte er an Ideale und
Werte. Diesen Glauben verlor er mehr und mehr, je weiter der Weg wurde, den er zurücklegte.
Statt an Ideale glaubte er nur noch an den Gewinn. Und die einzige Quelle für Gewinn, über
die er verfügte, war die Vermarktung seines Rufes. Schließlich wird er selbst jedoch zum
Opfer seines Ruhms. Da er sein eigenes Ich vermarktet, hat er auf einmal die erforderliche
Ware nicht mehr zur Hand. Odysseus wird alt, die Ware verdirbt. Deswegen wird er auf der
Insel der Circe nicht akzeptiert, dort zieht man einen gesunden und starken Mann vor.
In einer Zeit des Kalten Krieges ist kein Raum mehr für heroische Taten. So bleibt Odysseus
nichts anderes, als in einem kulminierenden Moment des Heldentums zuzugeben, daß er kein
Held ist. Der bloßgestellte, zerlumpte Held, der von der Insel der Circe vertrieben wird, steht
symbolisch für die Tatsache, daß alle Helden verraten wurden und selbst Verrat übten. Die
Ideale und Hoffnungen auf eine friedvollere und ehrlichere Welt nach Ende so vieler Kriege
erwiesen sich als trügerisch. Doch das ruft man dem Volk nicht offen zu. Die öffentliche
Beichte des Odysseus, daß er kein Held sei, ist für die Herrschenden sehr schädlich.
Deswegen muß er zum Denkmal werden und verstummen.
4.3.8 Dramaturgische Motive und historischer Rahmen
Dieses Stück ist einer der wenigen Fälle in der neugriechischen Dramaturgie, in dem die dramaturgischen Intentionen des Autors bezüglich Raum und Zeit der dramatischen Personen so
klar festzumachen sind. Mit großer Eindeutigkeit lassen sich Orte, Momente und Personen
dem Griechenland um 1950 zuordnen. In der ersten szenischen Anweisung zu dem Stück
schreibt der Autor: "Das Stück spielt in der jetzigen Zeit, etwa 20 Jahre nach dem Ende des
Zweiten Trojanischen Krieges." (Szenische Anweisungen, S. 213).
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 124
Die Zeit, zu der das Stück spielt, wird durch einen Widerspruch gekennzeichnet: heutige Zeit
und Zweiter Trojanischer Krieg. Auch wenn wir den Einwand des Theaterwissenschaftlers
Georgos Pefanis414 nicht übergehen wollen, daß der Zweite Trojanische Krieg nicht unbedingt
für den Zweiten Weltkrieg stehen muß, ist doch eindeutig klar, daß der Autor in diesem Stück
auf jeden Fall eine Nachkriegssituation in der Geschichte der Menschheit beschreiben möchte
und die Schwierigkeiten, welche diese mit sich bringt415. Kambanellis ist erschüttert über die
Katastrophen, die in Griechenland auf den Zweiten Weltkrieg und den Bürgerkrieg folgten.
Daher möchte er seinen Mythos in einen Raum versetzen, der seinen Ansichten entspricht,
und die Umstände so frei interpretieren, wie das für ein satirisches Stück unabdingbar ist doch gleichzeitig in eine Zeit, die eindeutig auf die aktuell herrschenden Zustände im
Griechenland nach dem Zweiten Weltkrieg bezogen ist.
Der dramatische Ort der Handlung in "Odysseus geh heim" ist die Insel von Circe, während
Ithaka nichts weiter ist als ein ferner Bezugspunkt aller handelnden Personen, ohne jemals den
konkreten Hintergrund für eine Szene zu bieten. Pefanis vertritt die Ansicht, daß "weder das
mythische Troja, noch das Ithaka der Sehnsucht" Räume der Handlung bilden416. Das ist
sicher kein Zufall. Der Autor vermeidet diese Orte, die aufgrund ihrer mythischen
Vergangenheit ganz bestimmte Assoziationen heraufbeschwören, und läßt seine Figuren statt
dessen lieber frei auf der Insel der Circe umherschweifen. Diese Insel steht stellvertretend für
sein eigentliches Hauptthema, das Ziel seiner Parodie: Das zeitgenössische Griechenland. Die
Handlung nutzt auch nicht die ganze Ausdehnung der Insel von Circe, sondern spielt sich nur
an wenigen Orten ab: In den Innenräumen des Palastes, im Parlament und bei der Statue von
Truman. Es sind Orte, die wir so auch im Griechenland der Nachkriegszeit wie auch der
heutigen Zeit antreffen können: Der Palast, das Parlament und die Statue des Truman finden
sich auch im heutigen Athen im Abstand von wenigen Planquadraten zueinander. Auf diese
wenigen Bauten konzentriert der Autor die Beschreibung von Stadt und Gesellschaft.
Diese realen Machtzentren von Griechenland der Nachkriegszeit auf die Insel der Circe zu
verlagern, macht klar deutlich, daß die neugriechische Geschichte in den Mythos eingeht, und
daß im Grunde genommen der Mythos nur dazu dient, den Bezug zur aktuellen Zeitgeschichte
des Landes herzustellen, oder, anders ausgedrückt, der Mythos ist nichts weiter als eine Verkleidung der aktuellen griechischen Gesellschaft. Wenn Circe die Königin der Verwandlung
ist und ihre Insel die Insel der Verwandlung, so wird in "Odysseus, geh heim" eine ganz
herausragende Verwandlung stattfinden. Der Ministerpräsident Evandros weigert sich, den
zerlumpten Odysseus bei seiner Rückkehr als Held anzuerkennen, und wird daher mit Circes
Unterstützung den jugendlichen Elpinoras in Odysseus verwandeln. Auch im Griechenland
der Nachkriegszeit und des Bürgerkrieges gab es Orte der Verwandlung. Es ist durchaus nicht
ungerechtfertigt, so die Inseln zu bezeichnen, auf welche zwangsweise all jene verbannt
wurden, deren Ansichten der Regierung widersprachen. Man wollte die Kommunisten dort
hinschaffen, um sie in 'Nationalisten' zu verwandeln.
414
415
416
Pefanis, Georgos, wie FN 17, hier S. 83.
Dinou, Mary (Ντίνου, Μαίρη) und Rentzepi, Mari (Ρεντζέπη, Μαρή): Iakobos Kambanellis: Momente aus
seinem schöpferischen Werk (Ιάκωβος Καµπανέλλης: Στιγµές από τη δηµιουργία του) Interview in der
Zeitschrift "Theatrographies" (Θεατρογραφίες), Heft. 1, März 1998, S. 65 - 70 (hier S. 69). Dort sagt
Kambanellis: "Vagenas (Βαγενάς) erwähnt, in 'Odysseus, geh heim' käme das Absurde heraus, um damit zu
begründen, daß hier das Moderne und das Postmoderne vorkommen. Doch es gibt noch etwas viel Stärkeres
als das: den Krieg."
Pefanis, Georgos (Πεφάνης, Γιώργος): Landschaft in der Landschaft: Metamorphosen des dramatischen
Raumes im Werk von Iakobos Kambanellis (Τοπίο µέσα στο τοπίο: Πρωτεϊσµοί του δραµατικού χώρου στο
έργο του Ιάκωβου Καµπανέλλη). Zeitschrift: "Dromena" (∆ρώµενα), Heft 14 (Sonderheft zu Iakobos
Kambanellis) von Mai - Juni 1995, S. 31 - 40, S. 37.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 125
Diese Inseln der Propaganda, auf denen ein unglaublicher ideologischer Terror ausgeübt
wurde, beschreibt Artemis Leonti im Detail: "Von 1946 bis 1949 war Makronissos das Exil
für etwa 60.000 politische Gefangene. Die Regierungsorgane sprachen von einem 'nationalen
Taufbecken', denn sie stellten sich die Insel als einen Ort vor, an dem die Gefangenen aus der
Zeit des Bürgerkrieges sich von ihren ketzerischen politischen Überzeugungen freiwaschen
könnten und so zu überzeugten nationalistischen Bürgern werden könnten. Der Philosoph und
Politiker Panagiotis Kanellopoulos417 beschrieb die Insel Makronissos als einen Ort, an dem
die Griechen neue Parthenon-Tempel bauen würden. Immerhin hatten die Gefangenen die
Aufgabe, auf einer Insel, die nur als extensives Weideland taugte, mit hier verfügbaren
Mitteln nicht nur Verwaltungsgebäude zu bauen, sondern auch Villen für die Leiter, ein
Offizierskasino, und dazu noch eine Abfüllanlage für Obstsäfte, einen Radiosender, eine
Krankenstation, Großküchen, Wasserspeicher, Straßen und sechs Kirchen. Dazu kamen vier
Theater, die zur ideologischen Erstarkung der Gefangenen beitragen sollten, sowie Statuen,
Reliefs, Gräber aus Kieseln und Mosaiksteinchen, sowie verkleinerte Kopien der
geschichtsträchtigen griechischen Bauwerke, des Parthenon und der Hagia Sophia-Kirche in
Istanbul."418 Panagiotis Kanellopoulos, der spätere Verteidigungsminister, nannte dieses
gesamte Projekt also den "Neuen Parthenon". Sie begann direkt nach dem Bürgerkrieg und
entwickelte sich einige Jahre lang durchaus dynamisch. Dazu gehörten Folterungen, Isolation
und Erpressungen, um den Gefangenen Treuegelübde gegenüber dem Staat und Lossagungen
vom Kommunismus abzuringen.419
Falls die Insel der Circe in diesem Stück für einen Ort steht, an dem die Herrschaft dermaßen
gewaltsam ausgeübt wird wie über die aus politischen Gründen Exilierten, dann steht das
Ithaka von Kambanellis allgemein für das Griechenland der 50er Jahre. Der zerlumpte Odysseus hätte Ithaka geschadet, wenn er dorthin zurückgekehrt wäre. So sieht es auch der abgesandte Diplomat: "Dank ihres legendenumwobenen Kindes konnte [die Insel] einen lebhaften
Handel und einen erfolgreichen Tourismus aufbauen. Diesem ist zu verdanken, daß der Haushalt seit Jahren ausgeglichen ist. Diese Stabilität dürfen wir nicht opfern." (Diplomat, S. 293).
Ab 1952 und für viele Jahre regierte in Griechenland eine Partei der Rechten; dazu kamen
Gelder vom Marshall-Plan. Beides gemeinsam führte zu einem Klima der Kontinuität, in dem
auch der Wohlstand stieg. In Griechenland selbst sollen sie vornehmlich eingesetzt werden,
um den kommerziellen Tourismus zu stabilisieren. "Diese Entwicklung sollte eine
beträchtliche Auswirkung auf Sitten und Gebräuche des Landes wie auch auf seinen
Finanzhaushalt haben."420
In diesem Stück treten folgende Personen auf:
Die Königin Circe: Die mythische Gestalt der Circe ist die Zauberin, die die tapferen Gefährten von Odysseus in Schafe, Stiere und Schweine verwandelte. Bei Kambanellis dagegen ist
sie die Königin, die es vorzieht, Glanz und Luxus zu genießen; sie ist bereit, Elpinoras zu
heiraten, der sich in Odysseus verwandeln will. Als dramatische Figur entspricht Circe der
Königin Friederike421, die darauf bestand, in die politischen Geschicke Griechenlands
417
418
419
420
421
Kanellopoulos, Panagiotis (Κανελλόπουλος, Παναγιώτης), geb. 1912, war politischer Führer, Soziologe,
Philosoph und Mitglied der Akademie von Athen, einem streng begrenzten Kreis von Intellektuellen, ähnlich
wie die Académie Française. Neben seinem umfangreichen literarischen Schaffen war er von 1937 bis 1985
sehr aktiv in der griechischen Politik, er engagierte sich besonders in der Bekämpfung der Kommunisten.
Sein literarisches Hauptwerk ist eine Europäische Geistesgeschichte.
Leonti, Artemis, wie FN 408, S. 348.
Tsoukalas, Konstantinos, wie FN 20, Athen 1981, S. 133.
Clogg, Richard, wie FN 24, hier S. 158.
Die Königin Friederike von Griechenland war die Frau des Königs Paul von Griechenland (1947 - 1964). Sie
nahm sehr großen Einfluß auf die griechische Politik und verärgerte damit Politiker sowohl der
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 126
einzugreifen und sich die Politiker unterzuordnen, obwohl das wider die Verfassung war. Eine
sehr wichtige politische Persönlichkeit jener Zeit, Georgios Papandreou422, der in seinem
Leben die schlimmsten Behandlungen durch Königin Friederike erleiden mußte, nannte sie
"Circe des Hofes"423.
Evandros, der Ministerpräsident und promovierte Philosoph: Er ist es, der die Verwandlung
von Elpinoras zu Odysseus übernimmt, um den elend aussehenden Held durch eine Gestalt zu
ersetzen, die sowohl der Stadt wie auch ihm selbst nützt. Kambanellis teilte mir während eines
persönlichen Gespräches424 mit, daß er bei Evandros deutliche Ähnlichkeiten mit dem
damaligen Verteidigungsminister und Professor der Philosophie, Panagiotis Kanellopoulos,
sehe. Kanellopoulos war ein wichtiger Meinungsträger der antikommunistischen Hysterie und
wollte mit jedem nur erdenklichen Mittel die Linke "bekehren". Es finden sich einige Sätze im
Text des Stückes, die gut von Kanellopoulos stammen könnten. So sagt Evandros: "Ihr habt
mir mein ganzes Leben genommen, mein ganzes Leben bin ich mit euch beschäftigt."
(Evandros, S. 286). An einer anderen Stelle erklärt er: "... Wenn Sie dem abschwören, was Sie
gerade gesagt haben, wenn Sie diese inakzeptablen Enthüllungen neutralisieren können nennen wir es einmal so - indem Sie erklären, daß alles, was Sie da eröffnet haben, nur eine
psychologische oder gedankliche Übung war ... also, eine Bezeichnung finden wir schon dafür
... dann lassen wir Sie wieder frei, Sie werden wieder der antike Odysseus sein, und wir
werden Ihnen helfen, nach Ithaka zurückzukehren." (Evandros, S. 285). Was Evandros hier
sagt, erinnert an die "Mühen" des Kanellopoulos, die Linken ins Abseits zu drängen und sie
dazu zu bringen, sich von ihren Überzeugungen zu distanzieren.
Elpinoras, der gutaussehende, aber dumme Gefährte von Odysseus: Elpinoras wird dazu
ausersehen, Odysseus zu ersetzen. In der "Odyssee" von Homer wird Elpinoras folgendermaßen beschrieben: "Ein gewisser Elpinor, der jüngste von allen, weder im Kampf mutig noch
im Gehirn allzu verständig." (Rhapsodie k, Vers 559 - 560). In der Weiterbearbeitung von
Kambanellis steht er stellvertretend für alle jene, die sich willenlos der Macht beugen, die
jegliche Ideale opferten, um nur möglichst viel von den materiellen Gütern zu ergattern, die
Mitläufer von ihr erhalten können.
Odysseus: Er zeigt sich in diesem Stück in zwei verschiedenen Phasen: Anfangs ist er der
Anti-Held, doch zum Schluß veranlaßt ihn die Einwirkung äußerer Umstände zu einer Tat
äußersten Heldentums. Der Odysseus des Anfangs nutzt den ihn umgebenden Mythos aus. Da
er erschöpft, zerlumpt und alt geworden ist und nichts anderes mehr zu 'verkaufen' hat, zieht
er es vor, sein Leben auf verschiedenen Durchgangsstationen zu verbringen, statt nach Ithaka
zurückzukehren. Die oben beschriebenen Personen könnte man als Repräsentanten der Herrschaft bezeichnen. Solange Odysseus mit ihnen gemeinsame Sache macht und selbst bemüht
ist, von seinem Mythos zu profitieren, gehört auch er auf ihre Seite. Der Kritiker Dromazos
drückt diesen Sachverhalt so aus: "In der Gestalt des Odysseus gibt er eine Satire jener, die
einst Ideale für eine bessere Welt hatten."425
Zentrumspartei als auch der Konservativen. Sie blieb in der Erinnerung des Volkes der Inbegriff des
zänkischen, bösen machtbesessenen Weibes.
422
Georgios Papandreou (Γιώργος Παπανδρέου) war 1944 - 1945 und 1963 - 1965 Ministerpräsident von
Griechenland. Das waren zwar nur recht kurze Zeiten, doch für zu äußerst entscheidenden Wendepunkten der
neueren griechischen Zeitgeschichte.
423
Ploritis, Marios (Πλωρίτης, Μάριος): Circe und die Tapferen (Η Κίρκη και οι Γενναίοι). Zeitung "To Vima"
(Το Βήµα), 30.07.2000.
424
Gespräch der Autorin mit Iakobos Kambanellis am 20.05.1998.
425
Dromazos, Stathis (∆ροµάζος, Στάθης): Kritik der Aufführung des Stückes "Odysseus, geh heim" in der
Zeitung "Kathimerini" (Καθηµερινή), 07.12.1980.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 127
Könnte Kambanellis hier eine Kritik an der Linken Griechenlands äußern wollen? Die Linke
hatte während ihrer Kämpfe in den Bergen gegen die deutsche Besatzung und später im Bürgerkrieg viel Sympathie bei breiten Schichten der Bevölkerung gefunden. Doch ihr Verhalten
nach dem Vertrag von Jalta, die Tatsache, daß sie so manch weiteren Vertrag unterzeichneten,
ließ immer stärker die Vermutung aufkommen, daß die einstigen Anführer die gemeinsamen
Ansichten und Ideale verraten und verkauft hatten. Vielleicht spielt Kambanellis auf jene
Linken an, die nach Ablauf der wilden Zeiten versuchten, als Belohnung für ihren früheren
Kampf eine staatliche Rente oder eine Beamtenstelle zu bekommen. Doch wenn diese
Interpretation stimmt, was für einen Sinn hat es dann, daß Odysseus sich plötzlich in einen
Held wandelt, der die Wahrheit sagt? Wieso soll Odysseus sich gerade in dem Moment an die
Bürger wenden und ihnen gestehen, wie unbedeutend er ist, als die Machthaber versuchen, ihn
als verrückt zu erklären und ihn auszutauschen? Identifiziert sich dadurch das Volk wieder mit
ihm, und er wird wieder zum Volksheld? Das Dilemma verdeutlicht sich in folgendem
Dialog:
"Sie zogen also jenen vor, der selbst sagte, er sei ein Dieb, ein Lügner und nichtig?"
(Diplomat, S. 257). "Wir haben ihn zu einem Gott erklärt..." (Kellner, S. 257).
Man sieht deutlich, daß sich hinter dem Verhalten des Helden wie auch des Volkes die lächerliche Stalinsche Selbstkritik verbirgt, die schon an Irrsinn grenzt. Doch ich persönlich bin der
Ansicht, daß Kambanellis nicht nur Odysseus' Wahrheit verdeutlichen will - eine Wahrheit,
die sich deutlich von jener der Mächtigen unterscheidet - sondern, daß er hier ganz konkret
auch einen Kommentar zur Hinrichtung von Belojiannis gibt. 1952 wurde Griechenland von
dieser Hinrichtung erschüttert. Ihr fiel ein Mensch zum Opfer, der ein Symbol der
europäischen Linken geworden war, auf den die Völker mit der Hoffnung auf eine bessere
Zukunft geblickt hatten. Belojiannis war Mitglied der griechischen KP, er hatte viel Ruhm
nicht nur als Kämpfer, sondern auch als Mensch errungen. Später nannte man ihn den Mann
mit der Nelke. Seine Verurteilung mobilisierte zweieinhalb Millionen Menschen in ganz
Europa, die gesamte europäische Intelligenz (unter ihnen Sartre und Picasso) setzte sich für
seine Begnadigung ein. Sie übten starken Druck auf die griechische Regierung aus, von der
Hinrichtung abzusehen. Man wird bei dieser Persönlichkeit an den Titelheld im Film von
Andrzej Wajda "Mensch aus Marmor" (1977) erinnert: Er trägt in sich den Keim der Wahrheit
und gefährdet die Obrigkeit. Dies ist also der Odysseus des Kambanellis nach seiner
Umwandlung. Wird nicht auch er schließlich zur Statue?
Solche gedanklichen Verbindungen mögen gewagt erscheinen, doch so wird es möglich,
dieses Stück trotz seines klassischen Themas auch unter einem aktuellen Aspekt zu lesen. Wie
es bei Satire üblich ist, werden auch hier Zustände, Personen und Vorfälle aufgegriffen und
bloßgestellt, ohne daß ihre Namen genannt würden. Damit bleibt die Möglichkeit, Ort und
Zeit des Stückes auf verschiedene Weisen zu interpretieren.
4.3.9 Die Techniken der Desillusionierung und die Zielrichtung des Stückes
Das Stück "Odysseus, geh heim" ist eine Parabel. Der Autor möchte die Geschichte nicht als
wirklich, sondern als Vehikel der Satire darstellen. Dabei vermeidet er die grundsätzliche Vorspiegelung falscher Tatsachen, die im illusionistischen Theater den Zuschauer glauben
machen will, daß das, was auf der Bühne geschieht, wirklich vor seinen Augen stattfindet, da
ihm das gleiche auch in seinem Alltagsleben begegnen kann. Wir haben es hier mit einer
Fiktion zu tun, einer konstruierten Wirklichkeit, deren Ort, Zeit und Situationen gar nicht
intendieren, dem Alltagsleben zu entsprechen. Im Gegensatz dazu wählt Kambanellis hier als
Zeit die griechische Antike, vor deren Hintergrund er seine aktuellen satirischen Spitzen
setzen kann. Er selbst beschreibt folgendermaßen die Spielräume, die er bei einer solchen
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 128
Zeitwahl zusätzlich gewinnt: "Ich habe einen alten Mythos verwendet, um etwas Aktuelles
auszusagen, denn ich brauchte Personen und Situationen, die über die alltäglichen politischen
Gegensätze hinausgingen. Für den Schriftsteller ist der alte Mythos ein weiterer möglicher
Weg, mit seiner eigenen Zeit zu korrespondieren. Für den Zuschauer andererseits ist es ein
Erlebnis, das es ihm leichter macht, mit der Bühne zu kommunizieren."426
Es ist also gewollt, daß diese Allegorie zwar indirekte Rückschlüsse auf die politischen Zustände der 50er Jahre in Griechenland zuläßt, welche im vorigen Kapitel analysiert wurden,
doch sie hat nicht die Form einer Komödie im Sinne des Aristophanes, d. h. der Autor nennt
nicht öffentlich die Namen jener, die dem Staat Schaden zugefügt haben, sondern beschäftigt
sich mit allgemeineren Problemen und Fragestellungen im politischen Leben und der Gesellschaft. Solche Fragestellungen sind beispielsweise die Ausübung der Macht, die Verwendung
von Idolen, die Rolle der Propaganda, ja, sogar die Frage der Verantwortung der Menge. Die
Darstellung der Ereignisse in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort, die auf der Bühne
zur Realität werden, sind der Beweis dafür, daß hier ein Spiel stattfindet, und zwar kein anderes als das Spiel der Macht. In folgenden Worten läßt sich zusammenfassen, wie der Ministerpräsident Evandros seine Politik beschreibt: Da die Attraktivität der Regierenden mangelhaft
war, die Öffentlichkeit aber sehr nach Unterhaltung verlangte, dachte man sich den Mythos
des großen Helden Odysseus aus, der durch die immer weiter wachsende Propaganda ganz
neue Dimensionen annahm und immer neue Elemente bekam, die das Publikum emotional
anrührten. (Evandros, S. 242 - 244).
Die Königin Circe steht für die völlige Obszönität und die äußerste Lächerlichkeit der
Adligen. Circe sagt im Stück: "Hier haben wir es gut, Sie werden es selbst sehen. Das Volk ist
glücklich, jedes Haus hat seine eigenen Möbel" (Circe, S. 251). "Wie sehr muß doch die
Menschheit gelitten haben, bevor man Klaviere, Canasta und Möbel erfand! Damals war viel
Traurigkeit auf der Welt" (Circe, S. 252). "Zum Glück hat die Gesellschaft sich
weiterentwickelt, die Menschen sitzen nun zu Hause und spielen Canasta ... man sagt, vor
dem Krieg sei der Fußball noch nicht so gut entwickelt gewesen wie heute." (Circe, S. 253).
Kambanellis zeigt auf, daß Geschichte eine Angelegenheit ist, in der die Kriege vorherrschen,
die Verherrlichung der Helden, die Lügen der Starken und ihre Propaganda. Doch die Parabeltechnik gestattet es dem Autor, die ganze Verkettung der verschiedenen Verantwortlichkeiten aufzudecken. Diese Freiheit hätte er weder, wenn er den antiken Mythos unverändert
übernähme, noch, wenn er einen ganz neuen modernen Mythos zu gestalten versuchte. Verantwortlich sind also auch jene Personen, die zu Trägern des antiken Mythos werden und so
das Recht verlieren, sie selbst zu sein und ihre eigenen Wahrheiten zu verkörpern. Das zeigt
sich deutlich in den Worten des Evandros: "Das Recht [du selbst zu sein, die Autorin] hast du
an dem ersten Tag verloren, an dem du zugelassen hast, daß man dich beklatscht und dir zujubelt." (Evandros, S. 281). Die Form der Parabel gibt dem Autor die Möglichkeit, zu
kritisieren, und dabei zu allen Seiten gleich viel Distanz zu halten: Zu denen, die im ehrlichen
Kampf eine bessere Welt herbeiführen wollten und dann doch ihre Ideale verrieten (Odysseus
und seine Gefährten), wie auch zu den bürgerlichen Werten (in den Personen des
"Saltimbanque als Ministerpräsidenten und der hohl schwafelnden Königin")427. Die Figuren,
die Kambanellis hier geschaffen hat, erinnern in ihrer Lächerlichkeit an die Zeichnungen von
Georg Grosz.
Freilich ist es am Ende Schuld der Allgemeinheit, daß das Spiel der Propaganda und die Erhebung von Nichtsnutzen zu Helden so gut läuft. "Die Leute haben auch ihren Spaß daran.
426
427
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Interview in der Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα), 27.11.1980.
Dromazos, Stathis, wie FN 425.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 129
Wenn ihnen das alles nicht gefallen würde, würden sie es auch nicht glauben." (Nefeli,
S. 225). Die phantastische szenische Realität gibt dem Spiel in ihrer farcenhaften
Übertreibung besonders gefährliche Dimensionen. Indirekt möchte der Autor das Publikum
dazu anregen, sich über die Geschichte zu beugen und aus ihr unentbehrliche Schlüsse zu
ziehen, denn: "Ein Ithaka, das keine Ahnung davon hat, was in Troja geschah, wird neue
Trojas erleiden müssen." (Odysseus, S. 287 - 288). Dieses Fazit mutet innerhalb der Satire
sehr seltsam, fast tragisch an. Neben Raum und Zeit wirken auch die Personen, und besonders
ihre zusätzlich ausschmückenden Bezeichnungen, als Distanz schaffende Effekte. So werden
alle Personen im Skript vor Beginn des eigentlichen Textes mit Beinamen aufgelistet.
Odysseus wird als "Berufsheld" bezeichnet, Nikias ist einer "der von da kommt, wo man ihn
nicht erwartet", und Penelope eine "anständige Gattin, die Pech hatte" (alle S. 210 - 211).
Die Räume verzichten auf die illusionistische Technik der vierten Wand, es sind Orte, an
denen sich die Menge sammelt und Gegensätze miteinander konfrontiert werden. Intrigen
werden gesponnen, und jeder versucht, den anderen nervlich zu destabilisieren. Solche Orte
sind das Parlament, der Palast, die öffentlichen Plätze, das Schiff, die Dachterrasse eines
Hotels. Diese Orte werden nur durch wenige szenische Elemente angedeutet: Ein Steg für eine
Taverne am Meeresufer bezeichnet den Ort, an dem Odysseus landet. Ein Raum, der laut der
szenischen Anweisung "... nach Lust und Laune des Regisseurs und des Bühnenbildners"
(Szenische Anweisungen, S. 245) zu gestalten ist, stellt den Palast der Circe dar. Ein mit
Strahlern erleuchtetes Pult ist genug, um das Parlament anzudeuten. Um diesen dramatischen
Räumen Gestalt zu geben, muß der Zuschauer seine eigene Phantasie arbeiten lassen.
Die Szenen werden eine nach der anderen gezeigt, ohne daß sie miteinander verwoben
werden. Der Autor läßt die Handlung auf dem Schiff darstellen, wo die Gefährten die
Meuterei gegen Odysseus planen. Dann beleuchtet er das Verhalten der Königin in ihrem
Palast, danach wiederum die starken Worte des Ministerpräsidenten im Parlament. Diese
Szenen folgen einfach aufeinander, ohne daß sie miteinander verknüpft werden. Einzige
Gemeinsamkeit der Szenen ist die erwartete Ankunft von Odysseus, doch die Sprecher
machen ständig Angaben zu der Art und Weise, wie man auf der Insel der Circe lebt. Auch
beschreiben sie, wie der Mythos um Odysseus entstand und verwendet wurde, und daß er nun
mit Odysseus' Ankunft in Gefahr ist.
Die spielerische Stimmung hält an; die Gefährten werden sich zu Ministern machen lassen,
Elpinoras wird Odysseus' Kopfschmuck tragen, Umzüge werden stattfinden, er wird den
Goldenen Schlüssel der Stadt überreicht bekommen. Circe bereitet sich darauf vor, Elpinoras
zu heiraten, und der wirkliche Odysseus wird die Narrenkappe aufgesetzt bekommen.
Nach Ansicht von Lignadis ist die spielerische Grundhaltung in diesem Stück so stark, daß
man "... mit äußerst geringen dramaturgischen Anpassungen der Handlungen und mit der
Umlenkung der proletarischen Besatzung auf dem Schiff zu einem Tanz der Satyrn, Tänzer
und Sänger, ein modernes satyrisches Drama hätte."428
Die Hauptperson des Stückes, Odysseus, animiert sicher keinen Zuschauer dazu, sich mit ihm
zu identifizieren. Sein Verhalten widerspricht dem typischen Vorbild des Helden.429 In der
Gestalt des Odysseus finden wir einen Brecht'schen Anti-Helden, dessen Benehmen ihn aber
geradewegs zu dem Anti-Helden des griechischen Theaters führt, zu Karagiozis, dem Held
428
429
Lignadis, Tasos (Λιγνάδης, Τάσης): Odysseus, geh heim (Οδυσσέα, γύρνα σπίτι) Artikel in der Zeitung
"Kathimerini" (Καθηµερινή), 09.10.1998.
Lignadis geht darauf ein, daß Odysseus in der Antike auch in das satyrische Drama Eingang fand. Er ist ein
satyrischer Held und spielt da die Hauptrolle, wo sich die Bedingungen des Spieles der Parodie wegen
umkehren. Lignadis, Tasos, wie FN 428.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 130
aus dem traditionellen Schattentheater.430 Karagiozis ist das romantische, traumtänzerische,
quasselnde und lügende Schlitzohr und die Hauptfigur des Schattentheaters. Seine Person ist
eine Karikatur des Armen, der umherzieht und faul herumlümmelt. Der Odysseus, den
Kambanellis hier zeichnet, ähnelt ihm sehr.431 Als zerlumpter Mann legt er mit seinem halb
vermoderten Schiff auf der Insel von Circe an. Hier hofft er etwas zu essen zu finden und eine
Frau, und er denkt nicht im geringsten daran, nach Ithaka zurückzukehren. Er gibt zu, die Idee
des Trojanischen Pferdes von Nikias gestohlen zu haben. Die Meuterei seiner Gefährten gegen
ihn legt er durch eine trickreich passive Haltung lahm. Seine angestrengten Bemühungen, zu
beweisen, daß er ein Nichts ist, erinnern an Karagiozis, als er sagt: "Ach komm, Chatzatzari,
immerhin habe ich es geschafft, zu leben; da werde ich es doch wohl auch schaffen, zu
sterben!"432
Das Konzept des Brecht'schen Anti-Helden wurde hier ins Gegenteil verkehrt. Bei
Kambanellis begegnet uns Odysseus ein weiteres Mal in dem Drehbuch für den Film "Der
Drache" von Nikos Koundouros. Dort gibt es einen Kleinbürger, einen unscheinbaren
namenlosen Angestellten, der äußerlich einem schrecklichen Verbrecher ähnelt. Die Unterwelt
sieht ihn als Mafiaboß. So wird er zu einer respektierten Persönlichkeit erhoben und sogar
geliebt. Er stellt fest: "Es ist immer noch besser, ein 'Drache' zu sein als ein Nichts."433 Dieser
Film ist eine naive und verdrehte Vision um gesellschaftliche Anerkennung und Belohnung in
einer Gesellschaft, die Einzelne sehr voreilig ablehnt und marginalisiert.
Als echter Brecht'scher Anti-Held besteht Odysseus aus einem ganzen Bündel widersprüchlicher Verhaltensweisen. Anfangs versucht er, seinen Mythos auszunutzen, wo es noch irgend
möglich ist, obwohl der gar nichts mehr wert ist. Als er später völlig am Ende ist, isoliert und
von den Mächtigen ins Abseits gedrängt, sammelt er in dem Moment der endgültigen
Niederlage seinen ganzen heroischen Mut zusammen und gesteht seinen Anhängern, wie
nichtig er ist. "Hast du nun also aufgehört, ein Held zu sein?" (Diplomat, S. 280), worauf
Odysseus antwortet: "Nein, ich habe nicht aufgehört, aus dem einfachen Grund, daß ich nie
einer war." (Odysseus, S. 280). Das Stück endet mit einem Verfremdungseffekt des epischen
Theaters. In einer pantomimischen Szene versteinert der inzwischen völlig machtlose und
unfähige Odysseus bei lebendigem Leibe und wird wie eine Statue aufgestellt, wozu das
Orchester Triumphmärsche spielt. Odysseus wird 'zerstört', da er den Herrschenden nicht
mehr nutzt. Im Gegenteil, indem er sich dem Volk zugesellt hatte und von diesem verehrt
wurde, stellte er für die Mächtigen sogar eine Gefahr dar. Die farcenhafte Umwandlung des
Mythos wird tragisch. In diesem tragischen Moment wird das Publikum dazu aufgerufen,
angesichts der angestrahlten und bewegungslosen Figur oder eigentlich Statue des Odysseus
(Szenische Anweisungen, S. 295), über die Schicksale der Helden und die Spielchen der
Mächtigen nachzudenken. Der Schlußeffekt läßt den Zuschauer mit kritischerem Auge als
bisher betrachten, was um ihn herum vorgeht, und sich eine eigene Meinung zu bilden. Die
Art und Weise, wie hier das Komische auf einmal ins Tragische umschlägt, erinnert an einen
Satz von Ionesco: "Meine Komödien habe ich Anti-Stücke genannt, komische Dramen oder
430
431
432
433
Holst, Gail: Mikis Theodorakis. Mythos und Politik im modernen Griechenland. (Μίκης Θεοδωράκης. Μύθος
και πολιτική στη σύγχρονη ελληνική µουσική). Athen 1980, S. 253.
Kambanellis selbst betont, daß das Stück auch ein deutlich absurdes Element beinhaltet, welches sehr typisch
griechisch ist und an die Karagiozis-Stücke erinnert. Siehe Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος):
Vorwort im Programmheft zur Aufführung des Stückes "Odysseus, geh heim" 1966 am "Theatro Technis".
Chatzakis, Michalis (Χατζάκης, Μιχάλης): Karagiozis-Stück "Ein Grieche ohne Schuhe" (Ένας Έλληνας
χωρίς παπούτσια), Zeitschrift "Ekkyklima" (Εκκύκληµα), Heft 7, April/Juni 1985, S. 23 - 27, hier S. 25.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Drehbuch zum Film Der Drache (Ο δράκος) von Nikos
Koundouros (Νίκος Κούνδουρος), 1956.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 131
dramatische Farcen, denn mir scheint, das Komische ist tragisch und die Tragödie des
Menschen lächerlich."434
4.3.10 Die erneute Beschäftigung von Kambanellis mit Odysseus in seinem
Stück "Letzter Akt" (1990)
Daß das Stück "Odysseus, geh heim" 1990 vom "Theatro Technis" im antiken Herodes-Attikus-Theater aufgeführt wurde, berührte Kambanellis so sehr, daß er beschloß, sich ein
weiteres Mal mit dem Mythos des Odysseus zu beschäftigen.435, der ihn immerhin schon seit
seiner Kindheit fasziniert hatte.436 So schrieb er das Stück "Letzter Akt".437
Während das Stück "Odysseus, geh heim" Odysseus schließlich auf der Insel der Circe
zurückläßt, wird im Stück "Letzter Akt" dargestellt, daß er nach Ithaka zurückkehrt. Als
Odysseus dort ankommt, bedeutet er für Ithaka freilich nicht mehr als eine ferne Erinnerung
und eine Statue vor dem Parlament. Doch selbst diese Statue ist vergessen und sich selbst
überlassen, sie ist mit Vogelkot bedeckt. Über diesen Odysseus, der da zurückkehrt, kursieren
Gerüchte, er sei verrückt geworden, und er zeige sich nirgends, da ihn die Angst beherrsche,
irgend jemand könnte ihm etwas Böses antun. Daher engagiert sein Sohn Telemach eine
umherziehende Schauspieltruppe und läßt sie ein Theaterstück aufführen (Theater innerhalb
des Theaters!), um die ruhmreiche Vergangenheit seines Vaters wieder allgemein in
Erinnerung zu rufen. Diese Aufführung stellt die Enttarnung des Odysseus in den Mittelpunkt,
möchte ihn aber auch von seinen Ängsten zu befreien, indem die Schauspieler die fünf
politischen Gegner des Odysseus (Anführer von Parteien) spielen, welche dem Anschein nach
getötet werden. In einer Kombination von "Realität und Kunst" lassen die Schauspieler
zusammen mit Telemach und Penelope das Leben des Odysseus wieder erstehen. Odysseus
kommt in sein Haus - wobei man ihn bis aber nicht auf der Bühne sieht - und begreift sofort,
welche Falle ihm gestellt wurde. Es folgt die große Umwälzung. Er bittet darum, mit der
Schauspieltruppe als Schauspieler weiterziehen zu dürfen, er möchte dort für immer eine
Rolle darstellen, nämlich den Odysseus - also sich selbst.
In "Letze Handlung" geht Kambanellis noch einen Schritt weiter. Hier ist es Telemach, Sohn
des Odysseus, der zu psychotherapeutischen Zwecken eine Aufführung organisiert. Telemach
glaubt, daß damit sein Vater von der Angst, daß ihm etwas Schlimmes passieren wird, geheilt
werden kann. Freilich unternimmt Telemach das nicht alles aus Nächstenliebe. Er entschließt
sich dazu, weil er davon ausgeht, daß die Mühe sich für ihn lohnen wird. Einerseits will er den
Mythos um seinen Vater, der ihm sein eigenes Leben schwer macht, gerne wieder auf normale
Dimensionen reduzieren, andererseits möchte er sich und seine Mutter davon befreien, ständig
die 'Geiseln' eines Abwesenden zu sein. Sie sollen beide aufhören, in dessen Schatten zu
434
435
436
437
Merchant, Moelwyn: Komödie (Κωµωδία). Ins Griechische übersetzt von Aristea Parisi (Αριστέα Παρίση).
Athen 1992, S. 103.
Kambanellis selbst beschreibt diese Anregung in seinem Vorwort zum Stück "Letzter Akt" (Τελευταία
πράξη). In (ders.): Theater, Band 7, Athen 1998, S. 165 - 169, hier S. 167.
Takopoulos, Paris, spricht über die Liebe, die Kambanellis zu diesem Thema hegt: "Ich möchte nur aus
Gründen der historischen Genauigkeit erwähnen, daß Odysseus eine der ersten Geschichten war, die jene
Gruppe von Leuten in der Zeit unter Renos Apostolidis (Ρένος Αποστολίδης) nach Beendigung der deutschen
Besatzung in Griechenland las - und sie amüsierten sich köstlich darüber. Kambanellis war bei ihnen
Mitglied; wenn ich mich nicht täusche, seit der Zeit der Varvakio-Schule." Takopoulos, Paris (Τακόπουλος,
Πάρης): Ohne Manuskript (Άνευ χειρογράφου), In: Gemeinde Zografou, Geistiges Zentrum (∆ήµος
Ζωγράφου, Πνευµατικό κέντρο): Iakobos Kambanellis. (Festschrift zu Ehren von Iakobos Kambanellis), Juni
1994, S. 33 - 37.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): "Letzter Akt" (Τελευταία πράξη). In (ders.): Theater, Band
7, Athen 1998, S. 170 - 242.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 132
leben, sie haben ein Recht darauf, endlich ein eigenes Leben zu führen. "Sowohl ich als auch
meine Mutter und noch einige andere - wir alle müssen endlich einsehen, daß er doch auch
nicht gerade ein Gott war." (Telemach, S. 219). Penelope beschreibt die Situation so: "Wir
sind zu 'Geiseln' der Verpflichtung, auf ihn zu warten, geworden. Wir müssen ständig
informiert sein, ob er lebt, ob er gestorben ist, ob er zurückkehrt oder nicht." (Penelope,
S. 173).
In diesem Stück ist Odysseus mehr eine Person und weniger ein soziales Wesen. Hier erwartet
ihn die Gemeinschaft nicht als Retter, sie interessiert sich nicht im Geringsten für ihn. Hier ist
er schon seit langem zur Statue geworden und hat alle Bedeutung verloren. Daß er im
Theaterkosmos des Kambanellis doch wieder zu Fleisch und Blut wird, hat nur den Grund,
daß diese Figur des Theaters noch einen anderen Weg zu beschreiten hat. Bedingung für die
Rückkehr des Odysseus ist hier seine sofortige erneute Abreise. Er möchte mit der
Theatertruppe fortziehen. Was ist der Grund hierfür? In "Letzter Akt" wird anerkannt, daß die
Kraft des Theaters hilft, sich selbst besser kennenzulernen. Penelope sagt dem Leiter der
Schauspieltruppe: "Wie tief können Sie sehen ... Wer bin ich, ich flehe Sie an, ich halte es
nicht mehr länger aus, nicht zu wissen, wer ich bin!" So sucht auch Odysseus die
Selbsterkenntnis über das Theater. Indem er im Repertoire der Schauspieltruppe immer wieder
und wieder die Rolle des Odysseus darstellt, wird er vielleicht schließlich erkennen, wer er ist.
Odysseus ist nichts weiter als eine weitere Personifizierung des typischen Griechen, der im
Stück von Kambanellis umherzieht und der es schafft, zu überleben, indem er dazu verschiedene Techniken einsetzt. Im Stück "Odysseus, geh heim" wird Odysseus von den
Machthabern in eine existentielle Krise geführt, worauf er sich dem Publikum zuwendet, sich
mit ihm identifiziert und ihm enthüllt, wie wertlos er sei. In dem Stück "Letzter Akt"
versuchen die Vertrauten des Odysseus, ihn in ihre Nähe zu ziehen und sich unter
Zuhilfenahme des Theaters, indem sie eine Aufführung inszenieren, von seinem Schatten zu
befreien. Odysseus wird ihnen seine Antwort ebenfalls mittels des Theaters geben: er wird
von nun an seine Arbeitskraft einer Schauspieltruppe zur Verfügung stellen, wo er selbst den
Odysseus geben wird. So hat er wenigstens dessen weitere Erscheinungen unter seiner
Kontrolle und überläßt sie nicht anderen, die sie je nach persönlichem Vorteil ändern können.
Gleichzeitig wird aber auch deutlich: Odysseus zieht es vor, seine eigene Person in einer
umherziehenden Schauspieltruppe zu spielen, als auf der echten Insel Ithaka wirklich er selbst
zu sein. Das ist logisch, denn wenn der Konflikt existentieller Natur ist, so kann Ithaka nie
gefunden werden: "Wenn alle jene, die uns an der Mole erwarteten, die Klugheit besäßen, zu
verneinen, wer sie sind und wo sie sich befinden, dann wäre dort vielleicht wirklich jenes
Naxos, nach dem wir uns sehnen."438
Kambanellis gibt damit indirekt zu, daß er immer wieder Gründe haben wird, zum Mythos des
Odysseus zurückzukehren, mit dessen Hilfe er den Griechen an sich untersucht, aber auch sein
eigenes Selbst. Dennoch beschließt er, mit diesem Stück den "Letzten Akt" über Odysseus zu
schreiben. Er übergibt ihn damit dem Pantheon der Theaterhelden, nachdem er ihn vom Mythos umgewandelt hat in eine Rolle.
438
Varveris, Georgos (Βαρβέρης, Γιώργος): Der Hof geht mitten hindurch (Η αυλή περνά από µέσα), In:
Gemeinde Zografou, Geistiges Zentrum (∆ήµος Ζωγράφου, Πνευµατικό κέντρο): Festschrift zu Ehren von
Iakobos Kambanellis, Juni 1994, S. 17 - 19, hier S. 19. In diesem Artikel werden folgende Zeilen aus einem
Gedicht von Kambanellis zitiert:
"Es wird stets irgend welche inneren Stimmen geben, die uns daran hindern, unser eigenes Ithaka zu
erreichen."
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 133
4.3.11 Die Umsetzung des Stückes auf der Bühne
4.3.11.1 "Theatro Technis", Athen 1966
Um besser zu verstehen, warum das "Theatro Technis" sich 1966 dazu entschloß, dieses Stück
aufzuführen, und um die Reaktionen darauf einordnen zu können, muß man sich
vergegenwärtigen, in welcher Situation sich Griechenland 1966 befand. Die politische
Landschaft war 1965 und 1966 reif für eine solche Aufführung. Immerhin hatte auch das
vorausgegangene Repertoire des "Theatro Technis" seit 1958439 den Boden dafür vorbereitet.
1966 war ein entscheidendes Jahr in der neugriechischen Geschichte. Es ist das Bindeglied
zwischen den Unruhen mit dem Namen "Iouliana" 1965, einem sogenannten "Putschversuch
durch den König", und dem "Militärputsch" der Junta 1967, welcher keinesfalls wie ein Blitz
aus heiterem Himmel geschah, sondern nichts weiter als die Besiegelung einer ungewissen
Situation seit dem Ende des Bürgerkrieges bedeutete.
Das mit "Iouliana" bezeichnete Ereignis spielte sich folgendermaßen ab: Am 15.07.1965
zwang der König Konstantin die gesamte Regierung unter dem Ministerpräsident Georgios
Papandreou zum Rücktritt. An ihrer Stelle setzte er eine Ersatzregierung aus drei Personen
ein. Das löste jedoch Protestdemonstrationen und Reaktionen im Volk aus, wie es sie noch nie
so heftig in Griechenland gegeben hatte. Die am häufigsten gehörte Forderung war dabei
"Nieder mit der Monarchie!". Auf einer dieser Demonstrationen wurde der linke Student
Sotiris Petroulas ermordet, worauf die Emotionen noch mehr hochkochten. Der abgesetzte
Premier, Georgios Papandreou, beschuldigte die drei Abgeordneten, sie hätten ihn verraten,
um Ministerämter zu erhalten. Währenddessen ließ der König erklären: "Der Kommunismus
ist eine zersetzende Krankheit, die außerhalb Griechenlands entstanden ist, sich außerhalb
Griechenlands entwickelt hat und von außerhalb gelenkt wird (...) Er ist ansteckend und macht
jeden, der mit ihm in Berührung kommt, zu einem möglichen Feind des Vaterlandes. Von nun
an wird der Palast wie auch die amerikanische Macht in das politische Geschehen des Landes
eingreifen, um es vor der kommunistischen Gefahr zu schützen."440
In dem Stück "Odysseus, geh heim" wird also die politische Situation parodiert, besonders die
Rolle der Monarchie. Gleichzeitig wird die schlimme Funktion der Straflager betont. Man
kann sicher kein, daß der Intendant Karolos Koun, ein bekanntermaßen feinfühliger
Beobachter der politischen Szene, mit dem Entschluß, dieses Stück zu dieser Zeit zu spielen,
bewußt provozieren wollte. Er wollte die Aufführung übrigens 1970 wiederholen, zur Zeit, als
die Militärjunta am stärksten war. Diese verbot es ihm jedoch. Abgesehen vom Inhalt und der
Gestalt interessierte das Stück Koun auch deswegen, weil seine indirekte Schreibweise gute
Chancen hatte, die Klippen der Zensur zu umgehen. Auch konnte man davon ausgehen, daß
das Publikum, welches schon die Bekanntschaft mit Stücken von Pirandello, Ionesco, Beckett,
Albee, Arrabal und Pinter gemacht hatte, mit dieser Art von Texten umzugehen wußte.
Immerhin wurde hier der Realismus beiseite gelassen, die damals aktuellen Themen wurden
mit absurden Elementen und Andeutungen adäquater dargestellt.
439
440
Am "Theatro Technis" wurden vor "Odysseus, geh heim" unter anderem die folgenden Stücke gespielt: 1958
"Das Patent" von Luigi Pirandello; 1958 "Die Zoogeschichte" von Edward Albee; 1962 "Der König stirbt"
und "Der Anführer", beide von Eugène Ionesco; 1962 "Picknick im Felde" von Fernando Arrabal; 1964
"Jakob und die Unterwerfung" von Eugène Ionesco; 1965 "Der Aufseher" von Harold Pinter. Des weiteren
führte das Theater Stücke von Max Frisch, Eduardo De Filippo und Bertolt Brecht auf.
Das Zitat wie auch die Darstellung der Ereignisse folgen der historischen Sonderbeilage der Zeitung
"Kathimerini" (Καθηµερινή): Sieben Tage: Griechenland im 20. Jahrhundert. 1965 - 1970 (Επτά ηµέρες. Η
Ελλάδα τον 20ο αιώνα, 1965 - 1970), Athen 1999.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 134
Karolos Koun sagt über das Stück "Odysseus, geh heim": "Es ist ein Stück mit in sich konsequentem Aufbau, aber keinesfalls ein realistisches Stück".441 Die vorrangige Intention von
Kambanellis war, dem Publikum vor allem ein griechisches Stück anzubieten: "Mir scheint,
diese Eigenschaft (er meint: des Odysseus), auf halbem Wege stehen zu bleiben, ist sehr griechisch. Natürlich kommt das auf der ganzen Welt vor, aber mir reicht es, mich speziell mit
Griechenland zu befassen. Und meine ganze Hoffnung richtet sich darauf, daß ich griechische
Stücke schreibe."442 Der moderne Schreibstil, kombiniert mit dem griechischen Charakter,
welche das Stück auszeichnen, machten es auf der Bühne interessant. So geschah es, daß
dieses Stück aufgeführt wurde, welches in dieser Fassung mit einiger Deutlichkeit auf
Mißstände im Griechenland jener Zeit hinwies. Die Kritik sprach denn auch von "politischem
Theater"443: "... die nationalen Bedürfnisse", welche die physische Ermüdung (des Odysseus)
mit sich bringen, werden mit einer sardonischen Zungenfertigkeit dargelegt und erklärt. Und
die ungezählten satirischen Spitzen, die sarkastischen Anachronismen und Parallelen, die
Andeutung von schmerzhaften oder lächerlichen Ereignissen des öffentlichen Bewußtseins
sind meistens zielgenau und von oft peinigender Findigkeit.444 Während dieser schwierigen
Zeit wagte Kambanellis es, Kritik an dem Geschehen zu üben und das Publikum zu einer
ebenfalls kritischen Haltung aufzurufen. Die Satire erreicht ihren Zweck.445 Diese Aufführung
zeichnet sich durch rasche Rhythmen aus. Die Inszenierung ist äußerst erfindungsreich, das
Bühnenbild trägt mit dazu bei, daß das Stück in raschem446, "unermüdlichem Galopp
dahinfliegt. Gleichzeitig gelingt es, das Gleichgewicht zwischen dem Tragischen und dem
Grotesken zu finden."447
Auch bei dieser Aufführung bleibt Koun dem Konzept des Gesamttheaters verbunden. Er
investiert viel Energie in das Einstudieren jeder einzelnen Rolle, weswegen "selbst die
Statisten dank der zielgerichteten Einübung eine interessante Bühnenpräsenz erreichen."448
Der Darsteller Lazanis skizziert einen Odysseus, der eigentlich ein Penner ist. Körperlich ist er
entkräftet, und sein Äußeres läßt an "ein in seiner Hoffnungslosigkeit trauriges und
beklagenswertes Wrack"449 denken. Er spult seine Rolle nicht eindimensional ab, sondern
nutzt die gesamte Bandbreite der möglichen Verwandlungen. "Während er in den ersten
Szenen sehr geschäftig ist, macht er auf der Bühne alle Phasen der Verwandlung durch, bis er
mit zwingender Konsequenz sein tragisches Ende erreicht."450 Chatzimarkos, der den
Ministerpräsidenten Evandros spielt, wird von dem Kritiker Dromazos als
441
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Koun, Karolos (Κουν, Κάρολος): Artikel zur Uraufführung des Stückes "Odysseus, geh heim" am "Theatro
Technis" in der Zeitung "Kosmos" (Κόσµος) vom 06.10.1966.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Artikel zur Uraufführung des Stückes "Odysseus, geh heim"
am "Theatro Technis" in der Zeitung "Mesimvrini" (Μεσηµβρινή), 06.10.1966.
Dromazos, Stathis, wie FN 396.
Ploritis, Marios, wie FN 401.
Georgousopoulos, Kostas (Γεωργουσόπουλος, Κώστας) schreibt in seiner Kritik der Aufführung am
Nationaltheater in Athen: "Das Stück blieb in den Gedanken jener, die es damals gesehen hatten, hängen. Als
nihilistische Satire, wie ein Rammbock gegen alle Werte anrennend, wie eine Entmythologisierung des
Heldentums." Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα), 24.12.1980.
Ploritis, Marios, wie FN 401.
Kambanis, Fanis (Καµπάνης, Φάνης): Kritik der Uraufführung des Stückes "Odysseus, geh heim" am
"Theatro Technis" in der Zeitung "Dimokratiki Allagi" (∆ηµοκρατική Αλλαγή), Januar 1967, in:
Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd. 2, Athen 1979, S. 348 - 350.
Chourmouzios, Aimilios (Χουρµούζιος, Αιµίλιος): Kritik der Uraufführung des Stückes "Odysseus, geh
heim" am "Theatro Technis" in der Zeitung "Kathimerini" (Καθηµερινή) im Dezember 1966, in:
Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd. 2, Athen 1979, S. 334 - 335.
Varikas, Vasos, wie FN 403.
Kambanis, Fanis, wie FN 447.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 135
Maskenschauspieler bezeichnet.451 Diese Maske paßt optimal zu der Rolle des
Ministerpräsidenten, welche er "in leicht stilisierter Manier" und "mit erfindungsreicher
Pantomime"452 spielt. Seine Methode der Darstellung führt weiter fort, wie er schon 1962 die
Titelrolle von Ionescos Stück "Der König stirbt" am "Theatro Technis" gespielt hatte. Die
Kritik vergleicht denn auch gerne, inwiefern er die beiden Rollen unterschiedlich umsetzte.453
E. Sokou gab die Circe als verantwortungslose Königin, die in verblüffender Leichtigkeit
einen ständigen Seiltanz zwischen Logik und Absurdität vollbringt.454 "Um der Rolle vollends
gerecht zu werden, setzt sie unglaubliche Tonhöhen und Ausdrücke ein."455 Katsaridis spielt
Lysander, als wäre es eine Comic-Figur aus dem Hause Disney.456
Der Tenor der Kritik belegt, daß Koun seine Schauspieler dazu ermunterte, jede Art von Parodie, Pantomime und Buffo-Technik einzusetzen, um der vielseitigen Satire des Textes von
Kambanellis gerecht zu werden. "Koun benutzte seinen ganzen Einfallsreichtum, seine Meisterhaftigkeit und seine Erfahrung mit dem modernen Theater, von dem auch der Autor nicht
unbeeinflußt geblieben ist, um diese Satire umzusetzen und glaubhaft zu machen."457 Wenn
man die Aufführung des Stückes "Der Hof der Wunder" am "Theatro Technis" 1957 als prägend für alle weiteren Inszenierungen ansehen will, so muß man der Aufführung des Stückes
"Odysseus, geh heim" am "Theatro Technis" 1966 die gleiche Bedeutung zumessen. Auf diese
Weise wurde das Stück integraler Bestandteil des neugriechischen Repertoires.458
4.3.11.2 Nationaltheater, Athen 1980
Das Nationaltheater feierte 1980 sein 50jähriges Bestehen mit einem 'Mammutprogramm'. Als
erstes Stück der Wintersaison innerhalb dieses Programms wird "Odysseus, geh heim"
gespielt. Die Wahl dieses Zeitpunkts soll nicht nur demonstrieren, daß das wichtigste Theater
des Landes ein griechisches Stück an den Anfang setzt, um inländische Stücke allgemein
aufzuwerten, sondern auch die Rückkehr von Kambanellis an das Nationaltheater, 25 Jahre
nach der vorigen Aufführung. Auch diesen Sachverhalt wollte die Leitung des
Nationaltheaters hiermit deutlich betonen. Denn seit Kambanellis ein namhafter Autor
geworden war, wollte er neue griechische Stücke dadurch fördern, daß er den staatlichen
Bühnen untersagte, seine Stücke zu spielen, wenn sie nicht die notwendigen Bedingungen
erfüllten, um auch andere Autoren gebührend zu würdigen und zu fördern. Obwohl das Nationaltheater seit 1974 immer wieder eindringlich danach strebte, Stücke von ihm aufzuführen,
451
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Dromazos, Stathis, wie FN 443.
Kambanis, Fanis, wie FN 447.
Kalkani, Irini, wie FN 399.
Dromazos, Stathis, wie FN 443.
Kambanis, Fanis, wie FN 447.
Kalkani, Irini, wie FN 453.
Varikas, Vasos, wie FN 403.
"Alle, die die Aufführung 1966 am 'Theatro Technis' gesehen hatten, schätzten sie als eine der wichtigsten des
großen Meisters ein", schrieb Mimis Koujoumtzis (Μίµης Κουγιουµτζής). Zeitschrift "Theatro ke Horos"
(Θέατρο και χώρος), Sonderband für Karolos Koun, Hg.: Verband der Architekten (Σύλλογος
Αρχιτεκτόνων), Athen 1987.
Georgousopoulos schrieb zum anläßlich der Neuinszenierung des Stückes 1990 im Herodes-Attikus-Theater
in Athen: "Die erste Aufführung 1966 am 'Theatro Technis' mit der phantasievollen Inszenierung von Koun
hat uns den bleibenden Eindruck eines Meisterwerkes hinterlassen, von dessen Nachwirkung das große Spiel
aufgedeckt wurde, das offen vor den Augen aller Leute gespielt wird, oft mit deren unbewußter Zustimmung,
ihrer Gleichgültigkeit und gar ihrer Mitschuld." Georgousopoulos, Kostas (Γεωργουσόπουλος, Κώστας),
Kritik der Aufführung des Stückes im Herodes-Attikus-Theater in Athen, Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα),
24.12.1990.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 136
gab er seine Zustimmung erstmals 1980, nachdem damals ein Gesetz gewählt wurde, in dem
die Bedingungen für griechische Theaterstücke verbessert wurden:
1. Griechische Theaterautoren sollten an der Leitung der staatlichen Theater beteiligt sein.
2. Es sollten genauso viele griechische wie ausländische Stücke aufgeführt werden.
3. Die Bezahlung der Theaterautoren ist sicherzustellen, wobei ein Autor für die Aufführung
seines Stückes mindestens so viel erhalten soll wie der Regisseur, der die Aufführung
leitet.459
Kambanellis gibt der Bitte der scheidenden Leitung unter Alexis Minotis des Nationaltheaters
nach, sein Stück aufzuführen. Die neue Leitung unter Alekos Solomos beschließt zusätzlich,
daß mit diesem Stück die Eröffnung der Saison gemacht werden soll. Kambanellis selbst, der
ebenfalls Mitglied der neuen Leitung des Nationaltheaters wurde, hält das Genre der dramatischen Satire nicht für geeignet, um von einem Nationaltheater gespielt zu werden. Er begründet dies folgendermaßen: "Da ich der Ansicht bin, daß Theater von den allermeisten
verstanden werden muß, finde ich, daß die dramatische Satire zu dem guten Volkstheater (im
besten Sinne) gehört. Der beste Lehrmeister hierzu war der unübertroffene Aristophanes."460
Der Regisseur Kostas Bakas las das Stück als tragische Satire über das Schicksal des Menschen, wie es von der Gesellschaft und der herrschenden Klasse in jedem Moment geprägt
wird. Er sah darin ein hohes theatralisches Potential, "eine Mischung aus Brecht'scher Haltung
und Pirandelli'scher Denkweise".461 Er interpretierte es weniger als theoretische Konstruktion,
denn als gleichzeitig einfaches und stilisiertes Stück, so wie das Schattentheater des
Karagiozis. So inszenierte er mit einer reduzierten Linie "offensichtliches Theater"462: ohne
die Härte des Themas zu verharmlosen, wollte er sie doch mittels einer scheinbar kindlich
einfachen Bilderwelt darstellen463. In einem Gespräch sagte der Regisseur der Autorin: "Das
Stück wurde schematisch konzipiert. Die zentrale Person des Odysseus entsprach für mich
dem Karagiozis. Mit seiner Schlauheit, seinen Lügen, seinen Streichen, seinen Märchen. Eine
eindeutig griechische Lebenshaltung. Auch sah ich in ihm Peistheteros aus den 'Vögeln' [des
Aristophanes]. Seine Gefährten werden zu Ministern des Evandros, sie ziehen den Frack an
und bewegen sich auf stilisierte Weise, welche nach einer Ausführung als Satire schreit".464
Das Stück wurde auf einem Speicher aufgeführt. Das Bühnenbild zeigte ein Café, an dessen
Stelle manchmal das Innere eines Palastes trat. Es war relativ realistisch, wenn auch reduziert.
Die Kleidung der Schauspieler war modern, was einen deutlichen "Kontrapunkt zur
homerischen Zeit"465 setzte.
Die Kritik war sich uneins darüber, ob der Regisseur seine Interpretation erfolgreich
umgesetzt hatte. Dromazos urteilte: "Für ein solches Stück hat das Nationaltheater keine
Schauspieler, die Mimen sind, keine Akrobaten. Es verfügt über keine Schauspieler, die mit
der ätherischen Beweglichkeit eines Zauberers vom Grotesken zur Parodie übergehen
459
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Interview von Kambanellis mit Sofia Alexandropoulou (Σοφία Αλεξανδροπούλου) in der Wochenendzeitung
"Kyriakatiki Eleftherotypia" (Κυριακάτικη Ελευθεροτυπία) 12.12.1980.
Interview von Kambanellis mit Sofia Alexandropoulou, siehe FN 459.
Bakas, Kostas (Μπάκας, Κώστας): Artikel in der Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα), 27.11.1980.
Bakas, Kostas (Μπάκας, Κώστας): Interview in der Zeitung "Exormisi" (Εξόρµηση), 29.11.1980.
Er selbst drückte es mit folgenden Worten aus: "... Wie ein Text, den ein Erwachsener für Kinder geschrieben
hat, und den sich nachher aber Erwachsene ansehen." Bakas, Kostas, wie FN 461.
Gespräch der Autorin mit Kostas Bakas am 26.08.1996.
Danou, Eleni (Ντάνου, Ελένη): Kritik der Aufführung des Stückes "Odysseus, geh heim" am Nationaltheater
in der Zeitung "Nea Poria" (Νέα Πορεία), 13.12.1980.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 137
können."466 Doch es liegt nicht nur an der Unfähigkeit der Darsteller, die den Anforderungen
des Stückes nicht gerecht werden konnten. Der gleiche Kritiker machte den Regisseur auch
dafür verantwortlich, daß das Stück zu schwerfällig ablief, "es floß langsam dahin, träge, ohne
die Flinkheit, die bei einem Theaterstück voll ironischer Phantasie zu erwarten wäre." Kostas
Bakas habe "nicht den 'Kern' des Stückes gefunden und daher eine Aufführung inszeniert, die
sich nicht zwischen realistischem Drama und 'Comedy' entscheiden kann."467 Der Kritiker
Georgousopoulos betont bei seiner Beurteilung des Stückes, daß es an der Oberfläche
geblieben sei, auch wenn deutlich wäre, daß viel daran gearbeitet wurde. Auf die Einzeldetails
sei so viel Mühe verwendet worden, daß es an der Kohärenz mangele.468 Ganz im Gegensatz
hierzu bemerkte Theodoros Kritikos: "Die Fröhlichkeit des Textes ist so überbordend, daß sie
es endlich einmal geschafft hat, die Schauspieler des Nationaltheaters aus ihrer
Beamtenlethargie zu reißen. Unter der Leitung von Kostas Bakas erfüllt die Truppe mit
Freude ihre Aufgabe, zu unterhalten."469 Babis Klaras schrieb zu der Aufführung: "Der
Regisseur interpretierte das Stück gemäß dem Geiste, in dem es geschrieben wurde, und
versetzte es in die heutige Zeit."470
Die Kritiker der einen wie auch der anderen Meinung scheinen immerhin darin übereinzustimmen, daß die Rolle des Odysseus mit Stelios Vokovitsch von einem durch und durch fähigen
Schauspieler gespielt wurde, auch wenn ihm diese Rolle nicht wirklich paßte. "Vokovitsch ist
ein hervorragender Schauspieler, doch er ist kein Komiker, kein Mime, und auch kein Magier
des satirischen Wortes."471 "Vokovitsch ist kein Clown, und der Odysseus von Kambanellis
braucht einen Clown"472 Daher hat sich Vokovitsch offensichtlich in seiner Interpretation auf
dramatische Töne konzentriert: "...es war zu erwarten, daß das Hauptaugenmerk auf das
Drama des Helden fallen würde und nicht auf das Komödiantische, denn dafür hätte es einen
komischen Schauspieler gebraucht."473 Bakas selbst erläuterte der Autorin im Gespräch, daß
er von vornherein nichts anderes machen konnte, als die Hauptrolle Vokovitsch zu geben. Das
war ab dem Moment klar, als beschlossen wurde, das Stück überhaupt aufzuführen, denn die
Wichtigkeit, die Vokovitsch durch seine früheren Arbeiten am Nationaltheater erlangt hatte,
machten undenkbar, daß jemand anderes statt seiner die Hauptrolle spielen könnte, auch wenn
die Rolle des Odysseus hier einen Interpreten braucht, der von seinem Naturell her ein
Gaukler ist - eine Eigenschaft, mit der Vokovitsch sicher nicht aufwarten kann.474
4.3.11.3 "Theatro Technis" im antiken Herodes-Attikus-Theater, Athen 1990
Diese Aufführung entstand zum 40-jährigen Jubiläum des Schaffens von Kambanellis für das
Theater, und gleichzeitig waren es nun 24 Jahre seit seiner ersten Zusammenarbeit mit dem
"Theatro Technis". Gleichzeitig wurde damit das Athener Festival eröffnet; zum ersten Mal
kam dabei ein neugriechisches Stück in dem antiken römischen Theater zur Aufführung. Der
Regisseur Mimis Koujoumtzis hatte bei der Aufführung 1966 als Schauspieler mitgewirkt; er
versuchte nun, das Stück aus einem ganz anderen Blickwinkel heraus zu inszenieren. Er
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Dromazos, Stathis, wie FN 425.
Dromazos, Stathis, wie FN 425.
Georgousopoulos, Kostas, wie FN 445.
Kritikos, Thodoros (Κρητικός, Θόδωρος), Kritik der Aufführung des Stückes "Odysseus, geh heim" am
Nationaltheater in der Zeitschrift "Tachidromos" (Ταχυδρόµος) vom 18.12.1980.
Klaras, Babis (Κλάρας, Μπάµπης): Kritik der Aufführung "Odysseus, geh heim" am Nationaltheater in der
"Vradyni" (Βραδυνή), 04.12.1980.
Dromazos, Stathis, wie FN 425.
Georgousopoulos, Kostas, wie FN 468.
Klaras, Babis, wie FN 470.
Gespräch der Autorin mit Kostas Bakas (Κώστας Μπάκας) am 26.08.1996.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 138
wollte so wenig wie möglich von der früheren Aufführung übernehmen und statt dessen das
Stück in eine ganz neue Richtung lenken, da er meinte, der Text sei vielseitig genug für eine
völlige Neuinterpretation.475 Er fokussiert besonders die Idee der abgenutzten Idole, die das
Volk nicht mehr akzeptiert. Um diese neue Sichtweise aufzuzeigen, konstruiert er das ganze
Stück aus einem neuen Blickwinkel: "...das ist die ganze Thematik des Stückes. Die
Menschen können Idole nicht anders akzeptieren als in dem einen Bild, welches sie von ihnen
entwickelt haben. Sie können nicht zulassen, daß ihr Idol verblaßt, Falten bekommt. Sie
können nicht, wie bei einem Menschen, kleine Schwächen, Fehler, Kleinlichkeit oder
Leidenschaften zulassen. Die Tragödie des Helden von Kambanellis ist genau diese: ein 'Idol',
das an seinen Mythos gefesselt ist. Einen Mythos, den es selbst einst gezüchtet hat, und mit
ihm alle jene, die von dem Idol profitierten."476
Um diese Quintessenz des Stückes herauszustreichen, entschied er sich für den expressionistischen Blick, wodurch dramatische und komische Situationen besonders ins Licht gerückt würden. Das gesamte Spektakel sollte viele optische und akustische Reize enthalten, viele Farben,
Bewegung und Musik. Auch der Ort der Aufführung legte eine solche Interpretation nahe:
dieses große Freilichttheater bot sich nicht nur dafür an, sondern schien geradezu für eine solche Lesart des Stückes prädestiniert. "So wurde aus der Allegorie ein großes Fest der Farben,
ein Spiel, in dem die Ernsthaftigkeit der Ideen einer Fröhlichkeit an Bildern gewichen war, wo
die Schauspieler mit großer Freiheit sich selbst auf die Schippe nahmen, miteinander und mit
dem Publikum scherzten."477 Die Aufführung strahlte eine "groteske Atmosphäre" aus, während ihr rascher Rhythmus, die Reduktion und die Stilisierung der Schauspieler die ganze
Bandbreite von Karikaturskizzen der Helden zeigte. Wichtige Akzente der in Griechenland
sehr berühmte Maler Alekos Fasianos, der für die Gestaltung des Bühnenbildes gewonnen
werden konnte. Um den Charme der Ruinen des antiken Theaters nicht zu verdecken,
entschloß man sich statt eines vertikalen Bühnenbildes für ein Bodenbild. Das würde dem
Publikum gewisse Zitate aus der Mythologie in Erinnerung rufen, auch kam es der Architektonik des Ortes entgegen, denn in diesem Amphitheater sieht das Publikum von oben auf die
Bühne herab. Der Speicher, eine Erweiterung der Szene, wurde durch Fliesen in starken,
erdigen Farben von Ocker und Rot markiert, denn laut dem Maler Fasianos "nähern sich
erdige Farben den Charakteren des Stückes besser".478
Es gab keine festen Bühnenbilder für die verschiedenen Szenen. Das Bühnenbild bestand aus
verschiedenen Requisiten, welche die Schauspieler selbst hin und her trugen. Sie stellten sie
auf dem Boden ab, und dann standen sie als Zeichen für die verschiedenen Räume, je
nachdem, wo sich die nächste Szene abspielen sollte: der Strand, die Veranda, das Schloß etc.
Der Szenenwechsel war so in die Aktionen der Schauspieler integriert. Das war eine sehr
sinnvolle Weise, um das Bühnenbild funktional einzubinden in die raschen Rhythmen der
Szenenwechsel, die der Regisseur hier erreichen wollte. Trotz der scheinbar spärlichen Mittel
war es ausreichend, auf diese Weise jeweils die Präsenz eines bestimmten Raumes zu
erinnern: "Es reichte der kariert gemusterte Bodenbelag, die Tischchen des Cafés, ein Schirm
in der Sonne oder ein paar malvenfarbige klassische Säulen, um eine einzigartige Atmosphäre
zu gestalten."479 Elemente des Alltags fügen sich unter einem neuen Gesichtspunkt in das
475
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479
Gespräch der Autorin mit Mimis Koujoumtzis (Μίµης Κουγιουµτζής) am 05.04.1997.
Koujoumtzis, Mimis (Κουγιουµτζής, Μίµης): Interview in der Zeitung "To Vima" (Το Βήµα) vom
29.07.1990.
Pagkourelis, Vaios (Παγκουρέλης, Βάιος): Kritik der Aufführung des Stückes "Odysseus, geh heim" am
Herodes-Attikus-Theater in der Zeitung Eleftheros Typos (Ελεύθερος Τύπος) vom 31.08.1990.
Fasianos, Alekos (Φασιανός, Αλέκος): Programmheft zum Stück "Odysseus, geh heim" am Herodes-AttikusTheater in Athen 1990.
Kangelari, Dio (Καγγελάρη, ∆ηώ): Kritik der Aufführung in der Zeitung "Ethnos" (Έθνος) vom 06.08.1990.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Odysseus, geh heim"
S. 139
Bühnenbild: "Ich benutzte auch diese modernen Plastikstühle, die man jetzt zuhauf in allen
Kneipen direkt am Meer sieht - nachdem ich sie natürlich in den gleichen Farbharmonien
gestrichen hatte."480 Der Pinselstrich des Malers zeigt besonders in seinen kleinen
Eigenmächtigkeiten seinen individuellen Ton: So malt er einen Fisch mit einem Stuhl, oder es
sitzen drei blaue Vögel auf einer Marquise.481 Die lebhafte Farbigkeit des Bühnenbildes wird
ergänzt durch die vielfarbige Kleidung der Darsteller. Sie sind nicht nach antikem Vorbild
gekleidet, sondern nach der Mode der 60er Jahre. Dabei sind sie besonders bunt, um den
satirischen Charakter des Stückes zu unterstreichen.
Auf der Bühne befindet sich auch eine Musikerformation, die "Philharmonie des Kulturellen
Zentrums von Theben".482 Sie spielen eine Zusammenstellung aus verschiedenen Melodien.
Ihre Bandbreite reicht von dem Walzer "An der schönen blauen Donau" bis zu der
griechischen fröhlichen Ballade "Laß doch Dein Haar zerzaust", die der Komponist Christos
Leontis ausgewählt und arrangiert hatte. Mit Hilfe all dieser eingesetzten Mittel gelang es,
"auf fröhliche und bunte Weise die verschiedenen Anklänge an die Vergangenheit in diesem
Stück miteinander zu verschmelzen".483 Die Hauptlast an Schauspielerei hatte G. Lazanis auf
sich genommen. Mit seinem sehr persönlichen Ausdruck formte er die Rolle neu, sie bewegte
sich nun zwischen Komik und Groteske, mit einigen dramatischen Elementen.484 Dieser
Odysseus ist zerstört, unscheinbar, ein Angeklagter, der in sich selbst sein Exil gefunden
hat.485
Zu den anderen Schauspielern läßt sich sagen, daß Circe dagegen eine sorglos dumme Colombine war, während die Nebenrolle der Nefeli, die als erste auf der Bühne erscheint, überschäumend und sehr originell war. Telemach erinnerte an Gemälde des griechischen Malers Tsarouchis und zeigte gewissermaßen expressionistische Anklänge. Die Gefährten des Odysseus
wiesen durchaus einen gewissen "volkstümlichen Expressionismus" auf. Die kleineren Rollen
(Polizisten, Journalisten, Kellner, Passanten und Läufer erinnerten in ihrer Umsetzung an
Meyerholdt.486 Die Tanzeinlagen mit der bunten Musik schufen kleine Zwischenpausen,
welche die Szenenwechsel begleiteten. Dies gab der gesamten Aufführung einen fröhlichen
und leichten Tonfall. Diese Aufführung betonte den anti-illusionistischen Charakter des
Stückes, indem sie viele Lieder verwendete, um Stimmungen anzudeuten, und dafür umso
weniger szenische Elemente einsetzte.
480
Fasianos, Alekos, wie FN 478.
Kangelari, Dio, wie FN 479.
482
"Philharmonie des Kulturellen Zentrums von Theben" (Φιλαρµονική του Πολιτιστικού Κέντρου Θηβών).
483
Danou, Eleni (Ντίνου, Ελένη): Kritik der Aufführung des Stückes "Odysseus, geh heim" am Herodes-AttikusTheater in der Zeitung "Ελευθερία" (Eleftheria) vom 09.08.1990.
484
Danou, Eleni, wie FN 483.
485
Kangelari, Dio, wie FN 479.
486
Kangelari, Dio, wie FN 479.
481
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
S. 140
4.4 Das Stück "Papa, der Krieg"
4.4.1 Inhaltsangabe
Das Stück "Papa, der Krieg"487 spielt auf der Insel Rhodos, die einen eigenständigen Staat
bildet. Seinen Wohlstand verdankt er dem florierenden Tourismus. Selbst die Tempel und
Regierungsgebäude wurden zu Hotels umgebaut, das Land hat nun keine Regierung und keine
Parteien mehr. Sollten doch irgendwelche Probleme von allgemeiner Bedeutung vorfallen, so
werden sie vor dem obersten Hotelrat behandelt. Dieses Land wird nun von Dimitrios dem
Belagerer bedroht, der sich schon in Bewegung gesetzt hat. Der Regent von Rhodos, Philoxenos, sieht das anfangs in keiner Weise als Bedrohung; dann versucht er, Demetrius mit friedlichen Mitteln und Listen entgegenzutreten. Von einem Bildhauer läßt er ein Portrait des
Belagerers anfertigen und schickt es ihm zusammen mit einem Koch, der die besten Speisen
kochen soll, und einer schönen jungen Frau, die ihn umgarnen soll. Wenn sie ihn dann zu
Wachs in ihren Händen gemacht hat, soll sie ihn dazu bringen, seine Waffen nicht mehr gegen
Rhodos zu richten, sondern gegen andere Staaten. Doch Dimitrios liegt gar nicht viel daran,
Rhodos zu erobern, denn es hat für ihn keinerlei strategische Bedeutung, auch wenn seine
Ratgeber und Helfer ihn dazu drängen, weil sie sich von der Eroberung Rhodos' materiellen
Gewinn versprechen. Der Koch und die junge Frau begeistern Dimitrios tatsächlich, doch
bewirken sie damit das Gegenteil von dem, was sie ursprünglich wollten. Nun will Demetrius
gerade wegen der Frau Rhodos erobern.
In der Zwischenzeit überreden ein Waffenhändler, ein Berater und Lamia (die Ehefrau des
Demetrius), den Philoxenos, doch zu den Waffen zu greifen. Als Dimitrius beschließt, den
entscheidenden Angriff gegen die Rhodier zu machen, ist es für ihn zu spät. Die als Geiseln
genommenen Rhodier bedanken sich bei ihm, daß er ihnen so gut die Kriegskunst beigebracht
hat, wollen aber in diesem Fall nicht an seiner Seite kämpfen, da er schon so viele Siege
errungen hat, während sie als Neulinge es viel nötiger haben, in dieser Disziplin einen Erfolg
vorzuweisen. Rhodos ist nun ein wehrhafter Staat, Demetrius wird geschlagen. Doch der
Koch und der Bildhauer wollen ihn retten. Zusammen mit der jungen Frau bitten sie
Philoxenos, einen Waffenstillstand zu vereinbaren. Philoxenos will davon erst nichts wissen,
stimmt dann aber zu, unter der Bedingung, daß Dimitrios ihn als Sieger anerkennt; außerdem
bekommen der Koch und der Bildhauer ab sofort Berufsverbot. Dimitrios erklärt schließlich,
er sei glücklich, zu wissen, daß die Staffel des Krieges von seinem in würdige andere Hände
weitergegeben wurde.
4.4.2 Kommentar zum Titel
Zwei frühe Arbeitstitel des Stückes lauteten "Demetrius der Belagerer" und "Die Neutralität"488. Der endgültige Titel "Papa, der Krieg" ist ein ironischer Kommentar zu dem antiken
Philosophen Heraklit, "der ersten dialektischen Äußerung in der Geschichte des menschlichen
Geistes"489, von dem das Zitat überliefert ist: "Der Krieg ist der Vater aller Dinge". In der altgriechischen Sprache erhält die Formulierung dieser philosophischen These von Heraklit eine
große Ernsthaftigkeit und Gefährlichkeit. Sie besagt, daß es der Krieg ist, der jegliche
487
488
489
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): "Papa, der Krieg" (Ο µπαµπάς ο πόλεµος), in (ders.):
Theater, Bd. 3, Athen 1981, S. 183 - 265.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 382, hier S. 33.
Georgousopoulos, Kostas (Γεωργουσόπουλος, Κώστας): Kritik der Uraufführung des Stückes "Papa, der
Krieg" am "Theatro Technis", in der Zeitung "To Vima" (Το Βήµα), Juni 1980, in: Kambanellis, Iakobos:
Theater, Bd. 3, Athen 1981, S. 312 - 313.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
S. 141
menschliche Aktivität verursacht, in der Gegenwart wie auch des Zukunft des Menschen. Bei
Kambanellis wird der Krieg zum Papa jedes Militärfürchtigen, jedes blöden und
unverständlichen Kriegsfanatikers, der an den Krieg glaubt und an alles, was er mit diesem
Mittel ergattern und erreichen kann.
4.4.3 Die Atmosphäre des Stückes
Die Barbaren erwartend
"Was erwarten wir, auf dem Markt zusammengedrängt?"
Daß die Barbaren heut eintreffen werden!
"Warum eine solche Untätigkeit im Senat?
Was sitzen die Senatoren und gesetzgeben nicht?"
Weil die Barbaren heut eintreffen werden.
Was für Gesetze werden die Senatoren noch machen?
Die Barbaren, kommen sie nur, werden Gesetzgeber sein.
"Warum erhob sich unser Kaiser so früh
Und sitzt an der Stadt erhabenstem Tor
Hoch auf dem Thron, als Herrscher die Krone tragend?"
Weil die Barbaren heut eintreffen werden.
Und der Kaiser wartet darauf, ihren Häuptling
Zu empfangen. Besonders bereitete er
Ein Pergament vor zur Überreichung. Darin
Läßt er jenen mit vielen Titeln und Namen einschreiben.
"Warum erschienen unsre zwei Konsuln und die Prätoren
Heut mit den roten, mit den bestickten Togen?
Warum legten sie Armbänder an mit so viel Amethysten
Und Ringe mit hellen, glitzernden Smaragden?
Warum mußten sie heut kostbare Stäbe ergreifen
Mit herrlich graviertem Silber- und Goldwerk?"
Weil die Barbaren heut eintreffen werden:
Und derlei Dinge blenden die Barbaren.
Warum kommen, wie sonst nicht, die würdigen Rhetoren auch,
Ihre Worte vorzubringen, das Ihrige zu sagen?
Weil die Barbaren heute eintreffen werden, und
die brummen bei Schönsprüchen und Volksreden.
"Warum auf einmal, daß diese Unruhe ausbricht
Und Verwirrung? (Die Gesichter - wie ernst sie wurden!)
Warum leeren sich so schnell die Straßen und Plätze,
Und alles strebt in die Häuser sehr nachdenklich?"
Weil es Nacht wurde und die Barbaren nicht kamen.
Und Leute trafen ein aus dem Grenzbezirk
Und sagten, daß es Barbaren nicht mehr gibt.
"Und jetzt - was ohne Barbaren aus uns wird!
Diese Menschen waren eine Art Lösung."
Konstantinos Kavafis
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
S. 142
Eine ironische Grundstimmung zieht sich durch das Gedicht "Die Barbaren"490, das
Konstantin Kavafis um 1904 geschrieben wurde, genauso wie durch das Stück von Iakobos
Kambanellis. Wie Rom im Zeitalter der Dekadenz auf die Barbaren wartet und darin eine
gewisse Existenzberechtigung findet, so wartet auch Rhodos in diesem Theaterstück auf
Demetrius den Belagerer, um einen neuen Anfang zu finden, und um in einem neuen Beruf
ausgebildet zu werden, der zukunftsweisend scheint: der Krieg.
4.4.4 Zielsetzung des Autors
Im Programmheft zur Aufführung des Stückes am "Theatro Technis" beschreibt der Autor,
was für ihn der Anlaß war, dieses Stück zu schreiben; wie oft er es überarbeitete und jeweils
unter welchen Vorzeichen; er erklärt auch, wieso es so lang dauerte, bis es seinen Weg auf die
Bühne endlich finden konnte, und inwiefern es sich auf die jetzige Aktualität bezieht. Kambanellis wollte "die Spannung des Kalten Krieges" thematisieren, "welche die großen Erwartungen ablöste", nachdem der Zweite Weltkrieg zu Ende war. Das Thema war von vornherein
nicht für eine Komödie geeignet; dennoch entschied der Autor sich für diese Form, nachdem
er das Buch von Paparrigopoulos491 über die Belagerung von Rhodos durch Demetrius den
Belagerer im Jahre 305 v. Chr. gelesen hatte. Dort entdeckte er, daß auch in den historischen
Fakten jede Menge komische Elemente zu finden sind.
Kambanellis schrieb die erste Fassung des Stückes 1952, zu einer Zeit, in der die Theaterensembles realistisch geschriebene Stücke bevorzugten; des weiteren kamen in dieser ersten
Fassung eine sehr große Anzahl von Personen vor. Aus diesen beiden Gründen wurde dieses
Stück erst einmal nirgends aufgeführt. Eine zweite Fassung erarbeitete Kambanellis 1960,
eine dritte während der Militärdiktatur (die von 1967 bis 1974 dauerte). Koun, der Direktor
des "Theatro Technis", wollte das Stück zwar aufführen, doch die Zensur der Diktatur verbot
es. Eine vierte Fassung des Stückes, die dann auch die endgültige wurde, entstand 1980,
worauf es dann auch tatsächlich vom "Theatro Technis" inszeniert wurde. Der Autor legte
Wert darauf, zu verdeutlichen, daß die verschiedenen Neubearbeitungen nicht etwa Mängel
des Stückes zu verbessern suchten, sondern, daß er jeweils die neuen Zeitgeschehen mit
einbauen und berücksichtigen wollte, um "die Charaktere und den Mythos des Stückes
deutlicher und reichhaltiger zu gestalten"492.
4.4.5 Reaktion der Kritik auf die Uraufführung des Stückes "Papa, der
Krieg"
Die Kritik sah in diesem Stück ein beispielhaftes Exemplar der "kambanellischsten" Phase des
Autors. Es wurde positiv hervorgehoben, daß es ihm gelang, ein Stück zu schreiben, das
direkt die griechische Realität betraf493, während er gleichzeitig erfolgreich die Problematik
490
491
492
493
von den Steinen, Helmut (Hg.): Gedichte des Konstantin Kavafis. Aus dem Neugriechischen übertragen und
herausgegeben von Helmut von den Steinen. Frankfurt am Main, 1965, hier S. 19 - 20.
Paparrigopoulos, Konstantinos (Παπαρρηγόπουλος, Κωνσταντίνος): Geschichte der griechischen Nation.
Von Alexander bis Augustus (Ιστορία του Ελληνικού Έθνους. Από τον Αλέξανδρο ως τον Αύγουστο), Band
2, Teil 1, Athen 1932, S. 198 - 207.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Vorwort im Programmheft zur Uraufführung des Stückes
"Papa, der Krieg" am "Theatro Technis" 1980, in (ders.): Theater, Bd. 3, Athen 1981, S. 181 - 182.
Kritikos, Thodoros (Κρητικός, Θόδωρος): Kritik der Uraufführung des Stückes "Papa, der Krieg" am
"Theatro Technis" 1980 in der Zeitung “Eleftherotypia” (Ελευθεροτυπία), Juni 1980. In: Kambanellis,
Iakobos: Theater, Bd. 3, Athen 1981, S. 316 - 319.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
S. 143
des beschriebenen Geschehens "aus den engen innergriechischen Grenzen befreit".494 Dem
Autor wurde attestiert, trotz der Behandlung tragischer Vorfälle zum Lachen zu verleiten495
und die Balance zwischen Satire und Komödie zu halten.496 Vournas interpretierte, daß der
Autor den Krieg als eine ansteckende Krankheit beschreibe, die die Menschen dazu brächte,
in einer Weise zu handeln, die sie nach ihrer früheren Art zu leben gehaßt hatten.497
Lignadis498 sah hier den Krieg als ein Symptom der menschlichen Dummheit dargestellt.
Georgousopoulos war der erste, der sah, daß dieses Stück zusammen mit "Odysseus, geh
heim" und "Das Märchen ohne Namen" eine Trilogie bildete; für ihn wurde hier die
dialektische Bewegung der Geschichte beschrieben, in welcher "hinter der Satire eine
melancholische und optimistische Ansicht von Geschichte als Falle hervorspringt".499
Gleichzeitig deckte er die Mechanismen auf, die zu gewissen Gesetzmäßigkeiten in der
Abfolge geschichtlicher Ereignisse führen. Laut Dromazos ging Kambanellis so weit, die
Geschichte zu interpretieren, auch wenn das nicht sein ursprüngliches Ziel war.500 Kritikos
fand in dem Stück zeitlose Grundsätze über die Natur des Krieges und darüber, wie der
militaristische Geist sich auswirkt, indem er die Zeit der hellenistischen Reiche als eine Zeit
interpretiert, die auf die heutigen Verhältnisse ein durchaus erhellendes Licht wirft501.
Dennoch hatte die Kritik an einigen Seiten des Stückes auch etwas auszusetzen. Kritikos
bemängelte, daß die satirischen Spitzen in diesem Stück nicht immer ein eindeutiges Ziel hätten; so schienen sie mehr auf die touristische Entwicklung als auf den Militarismus hin zu zielen502. Diese Ungenauigkeit erklärte Thymeli folgendermaßen: "Es ist schwierig, eine
satirische Art und Weise zu finden, um einem so tragischen Gegenstand wie dem
Kapitalismus zu begegnen, dessen Ideologie und Methoden alles andere als lächerlich
sind."503 Diese Unzulänglichkeit des Stückes bringt weitere Schwächen mit sich, denn
Botschaft und komisch-graphische Form kommen sich immer wieder in die Quere. Der
Aufbau des Stückes verliert dadurch an Stringenz, und die aufgebauten Charaktere sind nicht
konsequent durchgeführt. Thymeli ging in ihrer Kritik auf die schwache Ausarbeitung der
Charaktere ein und fand auch die farcenhaft-lächerliche Darstellungsart des Regisseurs nicht
494
495
496
497
498
499
500
501
502
503
Varveris, Georgos (Βαρβέρης, Γιώργος): Kritik der Uraufführung des Stückes "Papa, der Krieg" am "Theatro
Technis" in der Zeitschrift "Tomes" (Τοµές), August 1980, in: Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd. 3, Athen
1981, S. 323 - 324.
Taxiarchis, Dinos (Ταξιάρχης, Ντίνος): Kritik der Uraufführung des Stückes "Papa, der Krieg" am "Theatro
Technis" 1980 in der Zeitschrift "Erevna" (Έρευνα), Juli 1980. In: Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd. 3,
Athen 1981, S. 320 - 321.
Lignadis, Tasos (Λιγνάδης, Τάσος): Kritik der Uraufführung des Stückes "Papa, der Krieg" am "Theatro
Technis" 1980 in der Zeitung “Mesimvrini” (Μεσηµβρινή), Juli 1980. In: Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd.
3, Athen 1981, S. 315 - 316.
Vournas, Tasos (Βουρνάς, Τάσος): Kritik der Uraufführung des Stückes "Papa, der Krieg" am "Theatro
Technis" in der Zeitung "Avgi" (Αυγή), Juni 1980. In: Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd. 3, Athen 1981,
S. 310 - 312.
Lignadis, Tasos, wie FN 496.
Georgousopoulos, Kostas, wie FN 490.
Dromazos, Stathis (∆ροµάζος, Στάθης): Kritik der Uraufführung des Stückes "Papa, der Krieg" am "Theatro
Technis" in der Zeitung "Kathimerini" (Καθηµερινή), Juni 1980. In: Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd. 3,
Athen 1981, S. 313 - 315.
Kritikos, Thodoros, wie FN 493.
Kritikos, Thodoros, wie FN 493.
Thymeli (Θυµέλη): Kritik der Uraufführung des Stückes "Papa, der Krieg" am "Theatro Technis", Zeitung
"Risospastis" (Ριζοσπάστης), Juni 1980. In: Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd. 3, Athen 1981, S. 309 - 310.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
S. 144
passend.504 Auch Varveris bemängelte die unvollständigen Charaktere, hob als lobende
Ausnahme jedoch die Figur des Bildhauers Charis hervor.505
4.4.6 Der historische Hintergrund des Stückes
Kambanellis' Stück "Papa, der Krieg" spielt in der historischen Epoche der hellenistischen
Diadochenreiche (ca. 4. Jh. v. Chr.). Die Belagerung durch einen Dimitrios gab es tatsächlich,
wenn auch Kambanellis die Details des historischen Geschehens506 für die Komödie völlig
umarbeitet. Rhodos war damals ein bedeutendes Zentrum für Handel, Geldgeschäfte und
Handwerk. Aufgrund der wirtschaftlichen Blüte war auch die politische Lage ungewöhnlich
stabil. Selbst als die Diadochen Antigonos und Ptolemaios in Ägypten miteinander im Krieg
lagen, blieb Rhodos neutral und ging unbeeindruckt seinen Handelsgeschäften nach, was
Antigonos ein Dorn im Auge war. Also befahl er, alle rhodischen Handelsschiffe zu kapern.
Unter diesem Druck willigten die Rhodier ein, auf seiner Seite mit in den Konflikt
einzugreifen. Sie stellten sogar Statuen zu Ehren des Antigonos wie auch des Demetrius auf
und baten, sie nicht zu zwingen, aktiv an den Kämpfen in Ägypten teilzunehmen. Als
Argument führten sie an, daß niemand etwas davon habe, wenn der Handel auf Rhodos leiden
müßte. Um die Rhodier doch zur Teilnahme zu bringen, schickte Antigonos schließlich 305 v.
Chr. seinen Sohn Dimitrios gegen sie. Erst dann waren sie bereit, mit ihm in Ägypten gegen
Ptolemaios zu Felde zu ziehen. Als er jedoch befahl, sie müßten ihre Loyalität beweisen,
indem sie ihm sofort 100 der wichtigsten Männer der Insel unterstellten, war für die Rhodier
das Maß voll. Am nächsten Tag beschlossen sie statt dessen, bis zum Tode gegen Dimitrios
Widerstand zu leisten.
Demetrius hatte eine beeindruckende Flotte, mit der er ein Jahr lang Rhodos belagerte. Neben
seinem mitgeführten Kriegsgerät ließ er vor Ort weitere Mechanismen bauen, die in der damaligen Zeit einzigartig waren. Aus jener Zeit blieb ihm der Beinamen "der Belagerer". Die Rhodier konnten gegen ihn gewinnen, da sie diplomatisch geschickter waren und ihre Führung
politisch reifer. Auch wenn die Flotte des Dimitrios sehr stark war, scheint sein Herrschaftssystem doch wenig politisches Verständnis gezeigt zu haben. Er hätte ohne Belagerung die
Rhodier auf seiner Seite haben können, hätte er nicht gleich am Anfang überzogene Forderungen gestellt. So verlor er nun die Belagerung, denn sein Vater brauchte bald dringend seine
Hilfe in einer Front gegen Griechenland, so daß er sein Abenteuer auf Rhodos abbrechen
mußte. Schließlich unterschrieb er 304 v. Chr. einen Vertrag mit Rhodos, der für ihn sehr ungünstig war: Er erkannte ihre Unabhängigkeit an und verzichtete auf ihre aktive Teilnahme an
seinem Krieg gegen Ptolemaios. Immerhin beendeten die beiden Parteien, die Rhodier und
Antigonos, ihre Differenzen in einem gentleman agreement, und tatsächlich gelangen Demetrius anderweitig noch einige wichtige Siege, während die Rhodier für geraume Zeit weiter
ungestört ihren Handel treiben konnten.
Um zu erklären, warum der starke Dimitrios gegen die Rhodier verloren hat, muß man zum
einen deren große nautische und politische Fähigkeiten berücksichtigen, zum anderen aber
auch den Charakter der Person Dimitrios. Dieser Mann, der zu Zeiten des Krieges so aktiv
war wie kaum ein anderer, ergab sich in Phasen des Friedens völlig dem Wein und den
Frauen. Er war unfähig, sein eigenes Reich zu führen, weswegen er auch wie ein erfolgsloser
Glücksritter endete. Auf Lamia traf er bei seiner Belagerung von Salamis. Sie war berüchtigt
504
505
506
Thymeli, wie FN 503.
Varveris, Georgos, wie FN 494.
Die Darstellung der historischen Ereignisse folgt im Wesentlichen Johann Gustav von Droysen: Geschichte
des Hellenismus. Zweiter Teil, Geschichte der Diadochen. Gotha 1878. Zitiert nach der griechischen
Übersetzung von Apostolidis, Renos (Αποστολίδης, Ρένος), Athen 1993, S. 475 - 503.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
S. 145
für ihre Liebhaber und älter als er, dennoch schlug sie ihn mit ihren Reizen völlig in ihren
Bann. Man kann sagen, daß sich in Dimitrios der makedonische mit dem vorderasiatischen
Charakter vereinte; Schlauheit kennzeichnete ihn genauso wie unermüdlicher Tatendrang,
aber auch Lüsternheit. An allem war er unmäßig: An Mut ebenso wie an Verschlagenheit, an
groß angelegten Plänen wie auch Dummheiten. An der Liebe schätzte er nur den Genuß;
Krieg und Herrschaft interessierten ihn nur als Mittel zur Macht. Sein einziger Sinn und Ziel
waren er selbst.
So eine Persönlichkeit eignet sich wunderbar für eine Biographie, hat jedoch wenig
geschichtlichen Erfolg. Um diese Figur auszugestalten, hatte sich Kambanellis intensiv mit
allen historischen Details befaßt. Er griff in seinem Stück die Belagerung wie auch die
Niederlage des Dimitrios auf, und die anfängliche Neutralität der Rhodier, die schließlich
doch in den Krieg eingreifen mußten. Tatsächlich unterstrichen die Rhodier ihre Neutralität,
indem sie Stelen zu Ehren beider kriegsführenden Parteien aufstellten. In "Papa, der Krieg"
nehmen sie zusätzlich noch die Dienste eines Kochs und einer Frau in Anspruch, um den
Belagerer versöhnlich zu stimmen. Der historisch verbürgte "ritterliche" Abschied des
Demetrius von den Rhodiern wird in dem Theaterstück als freundlicher Abschied zwischen
Demetrius und Philoxenos aufgegriffen. Die einzigen wirklich historischen Figuren sind
Demetrius, seine Geliebte Lamia und der Bildhauer Charis aus Lindos. Pefanis analysiert
ausführlich die Personen des Stückes und ihren Bezug zur historischen Wirklichkeit. Er
kommt zu dem Schluß, daß die Vorgeschichte der handelnden Personen des Stückes eine
Mischung aus Geschichte und Mythologie darstellen.507 Ihm zufolge ist in der Satire von
Kambanellis genug Platz für alle Epochen und alle menschlichen Charaktere. Historische
Vorfälle vermischen sich so sehr mit mythischen Themen, daß ihre Spuren sich unentwirrbar
ineinander verlieren.508
Die Elemente, die Kambanellis für seine Satire einsetzt, kann man so zusammenfassen: Das
ist Charakter eines Mannes, der zwar Anführer eines großen Heeres ist, doch in den Händen
einer Frau und falscher Berater weich wie Wachs wird; der den Krieg als ein reines Spiel zur
Bestätigung seines Ego sieht, und der vor lauter einzelnen Kriegshandlungen das Gesamtziel
aus den Augen verliert. Das für jene Zeit hervorragend organisierte Heer wird besiegt und der
Lächerlichkeit preisgegeben. Auf der anderen Seite stehen Menschen, die anfangs vehement
gegen den Krieg waren und nun genauso vehement in ihn einziehen; zum Schluß und nach
Beendigung der feindlichen Handlungen geben sich die Anführer der beiden Seiten jedoch
freundlich die Hand, als wäre gerade ein schönes gemeinsames Fest zu Ende gegangen.
4.4.7 Vergleichende Analyse von zwei parallelen Anti-Kriegs-Satiren:
Friedrich Dürrenmatt: "Romulus der Große" und Iakobos Kambanellis:
"Papa, der Krieg"
Das Stück "Romulus der Große"509 von Dürrenmatt ist, wie auch der Untertitel besagt, "Eine
ungeschichtliche historische Komödie" in vier Akten. Sie wurde 1948 geschrieben, 1949 in
Basel uraufgeführt und danach noch mehrfach umgearbeitet, bis sie in ihrer endgültigen Fassung in der Gesamtausgabe von Dürrenmatts Stücken im Verlag Arche 1980 erschien. Es ist
die Geschichte des letzten römischen Kaisers, der in Wirklichkeit Romulus Augustus hieß,
während bei Dürrenmatt daraus Romulus der Große wurde. Auf dessen Geschichte wurde
Dürrenmatt aufmerksam, als er Strindbergs Stück "Attila" las. An dieser Novelle faszinierte
507
508
509
Pefanis, Georgos, wie FN 17.
Pefanis, Georgos, wie FN 17.
Dürrenmatt, Friedrich: "Romulus der Große". In (ders.): Gesammelte Werke, Band I, Stücke, Zürich 1991.
S. 245 - 345.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
S. 146
ihn, daß der letzte römische Kaiser seinen Lebensabend mit einer Leibrente von 6.000 Goldmünzen verbringt, auf einem Landgut in Campanien, das einst Lucullus gehört hatte.510 Um
den Untergang des Römischen Reiches zu beschreiben, läßt Dürrenmatt sein Stück 476 n.
Chr. einsetzen, als die letzten römischen Kräfte entscheidend von den Germanen geschlagen
werden. Zu diesem Zeitpunkt lebt Romulus auf seinem Landgut in Catania und beschäftigt
sich ausschließlich mit der Aufzucht von Vögeln. Auch als er hört, daß die Germanen Rom
bedrohen, beschließt er, nicht einzugreifen. Er findet, dieses Reich solle ruhig untergehen, da
es seinen Ruhm nur erreichen konnte, indem es die Leben vieler Unschuldiger gekostet hatte.
Er läßt also die Germanen einmarschieren. Odoaker, ihr Anführer, will sich ergeben und bittet
Romulus, Kaiser von Rom und Germanien zu werden, da er selbst Angst hat, an der Stelle des
versinkenden blutigen Reiches würde ein neues, ebenso blutiges Reich entstehen. Doch
Romulus lehnt ab. Sie einigen sich schließlich darauf, daß Romulus in Rente geht und
Odoaker der neue Herrscher wird, was den beteiligten Völkern einige Jahre des Friedens
schenken wird.
Dürrenmatt parodiert hier mittels der Satire und der Parodie die 'Ideale' und 'Werte', welche
die Grundlage der heutigen Welt bilden, und welche auch zum Grund für viele blutige Kriege
wurden. In Romulus schafft er eine Person, "nicht, damit ihn seine Zeit versteht, sondern,
damit er selbst seine Zeit versteht"511. Dürrenmatt versucht, die harte Wirklichkeit der
Nachkriegszeit in Europa durch die "Neurose der Neutralität"512 zu verarbeiten, die die
Schweizer befallen hatte und sie veranlaßte, die eigene Zeitgeschichte in einer farcenhaften
Umformung wahrzunehmen. Obwohl jene Zeit neuer Helden bedurfte, ist Romulus ganz klar
ein Anti-Held. Die Schlüssel zum Verständnis des Stückes wie auch zu seiner Persönlichkeit
sind die Sätze, die jeweils am Ende der vier Akte stehen: "Rom hat einen schändlichen
Kaiser." (Spurius Titus Mama, S. 280), "Dieser Kaiser muß weg." (Ämilian, S. 303), "Wenn
dann die Germanen da sind, sollen sie hereinkommen." (Romulus, S. 328), und "Damit, meine
Herren, hat das römische Imperium aufgehört zu existieren." (Romulus, S. 349). Die ersten
beiden dieser Sätze werden von Offizieren gesprochen, die Romulus dienen; die letzten
beiden Sätze sagt er selbst. Dieser peinlich gewordene Kaiser, der laut seinen eigenen
Führungskräften verschwinden muß, bevor der Staat zerstört wird, bietet sein ganzes Reich
kampflos den Eroberern an und weiht es damit dem Untergang. Dieser Kaiser und
Geflügelzüchter, der sich nicht im geringsten darum kümmert, daß sein Reich gerettet wird,
ja, der es sogar bewußt zerschlagen lassen will, hat für seine Haltung handfeste Gründe Dürrenmatt verwendet diese Konstellation, um einige sehr ernste Probleme zu behandeln.
Verweichlichung und Genußsucht sind typische Eigenschaften der römischen Kaiser, auch
Romulus frönt diesen Lastern. Doch Dürrenmatt setzt diese Schwächen auf eine sehr ungewöhnliche Form ein: Nicht Dekadenz und Gleichgültigkeit sind es, die ihn ab seiner
Amtsübernahme dazu verleiten, immer gut zu essen, zu trinken und zu schlafen. Nein, es ist
die neue Rolle als Kaiser, die ihn dazu verleitet, und es ist auch genau dies der Grund, warum
er Kaiser wurde: Um Rom richten zu können, denn Rom sollte wegen seiner Verbrechen
verurteilt werden. Welche Verbrechen das sind, beschreibt Romulus seinem durch und durch
patriotischen Schwager Emilian auf äußerst anschauliche Weise: "Soll ich deine Augen
510
511
512
Dürrenmatt, Friedrich: Dritter Kommentar zu "Romulus dem Großen". In (ders.): Komödien, Zürich 1973.
Dürrenmatt, Friedrich: Erster Kommentar zu "Romulus dem Großen". In (ders.): Theaterschriften und Reden.
Zürich 1966, S. 175 - 176. Dieser Kommentar wurde 1949 anläßlich der Uraufführung des Stückes im
Volkstheater von Basel geschrieben.
Varveris, Georgos (Βαρβέρης, Γιώργος): Friedrich Dürrenmatt. Spaziergang im farcenhaften Paradoxon
unserer Zeiten (Φρήντριχ Ντύρενµατ. Περιήγηση στο φαρσικό παράδοξο των καιρών µας). Zeitschrift
"Diavaso" (∆ιαβάζω), Heft 70, Themenschwerpunkt ist das Theater im Deutschland der Nachkriegszeit.
01.06.1983, S. 30 - 34, hier S. 30.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
S. 147
berühren, daß du diesen Thron siehst, diesen Berg aufgeschichteter Schädel, diese Ströme von
Blut, die auf seinen Stufen dampfen, die ewigen Katarakte der römischen Macht?" (Romulus,
S. 325 - 326). Rom hat einen Weg gewählt, der nach seiner Ansicht nun makellos sein sollte,
denn: "Es kannte die Wahrheit, doch es wählte die Gewalt, es kannte die Menschlichkeit, aber
es wählte die Tyrannei." (Romulus, S. 325). Weiter unten stellt er eindeutig und wohlbegründet fest: "Wir haben fremdes Blut vergossen, nun müssen wir mit dem eigenen wieder
zurückzahlen" (Romulus, S. 326).
Der Anti-Held, das heißt in diesem Falle der faule Held, verwandelt sich in jenem Moment in
einen richtigen Helden, als seine Untertanen und jene Menschen, die ihm nahestehen (Julia,
Rhea und Emilian) in blinden Patriotismus verfallen. Er rebelliert und öffnet dem Belagerer
sozusagen Tor und Tür, um so der Sache ein Ende zu verschaffen, eine gerechte Lösung. Damit geht ein Teil der Verantwortung für die blutigen Greueltaten am Römischen Reich auch
auf sein Konto. Sein Aufstand gewinnt an Bedeutung durch den Umstand, daß er, noch bevor
er das Reich opfert, seine eigene Existenz opfert. "Die Germanen werden mich töten. Ich habe
immer mit diesem Tod gerechnet. Das ist mein Geheimnis. Ich opfere Rom, indem ich mich
selbst opfere." (Romulus, S. 316). Allerdings scheint Odoaker, der nun die Herrschaft hat, sich
bei der Geflügelzucht wohler zu fühlen als im Krieg oder im Regieren, deswegen bittet er
Romulus, er möge doch weiterhin regieren. Beide sind 'schiffbrüchige Politiker', die am Ende
Frieden miteinander schließen. Nachdem der siegreiche Gegner Romulus nicht töten will,
kann dieser in Rente gehen. "Das ist das Schrecklichste dieses kaiserlichen Hühnerzüchters,
dieses als Narren verkleideten Weltenrichters, dessen Tragik genau in der Komödie seines
Endes, in der Pensionierung liegt, der dann aber - und nur dies macht ihn groß - die Einsicht
und die Weisheit hat, auch sie zu akzeptieren."513
Kurz nach dem Entstehen dieses Stückes von Dürrenmatt schreibt auch Kambanellis 1952
sein Stück "Papa, der Krieg", eine Komödie in sechs Bildern und Epilog. Auch hier ist der
verwendete Mythos ein geborgter, allerdings nicht aus der Literatur wie bei Dürrenmatt,
sondern aus der Geschichtsschreibung. Die Anregung dazu fand er in der Schilderung der
Belagerung von Rhodos durch Demetrius den Belagerer im Jahr 305 v. Chr. in dem
Geschichtswerk von Paparrigopoulos514. Es amüsierte Kambanellis spontan, sich dieses
Geschehen bildhaft vorzustellen.515 In der Handlung stellt sich die Belagerung von Rhodos so
dar, daß Demetrius eigentlich gar kein Interesse daran hat, die Insel anzugreifen. Als er jedoch
mit seiner Flotte in die Nähe der Insel kommt, flehen ihn die dortigen Machthaber an, sie nicht
anzugreifen, denn sie werden durch die schiere Präsenz dieser überlegenen militärischen
Macht in Angst und Schrecken versetzt. Sie versuchen mehrere Tricks, um ihn von dem
Überfall abzuhalten, womit sie genau das Gegenteil erreichen. In Rhodos selbst tut sich ein
Waffenhändler mit einem Unterhändler für die Waffenruhe zusammen. Sie entmachten den
pazifistischen Philoxenos, den bisherigen Herrscher der Insel. Nun wird Krieg die neue
Hauptbeschäftigung auf Rhodos. Die Rhodier erweisen sich darin als erstaunlich geschickt, so
daß die Auseinandersetzung in eine Waffenruhe mündet. Philoxenos führt danach gegen
andere Parteien weiter Krieg, wobei er sich bei Dimitrios immer wieder Rat holt.
In beiden Stücken ist die Gesamttendenz satirisch. Sowohl in Rom als auch auf Rhodos
herrscht ein apolitisches, nicht wirklich wehrfähiges und sehr lockeres Leben. Geflügelzüchter
und Hotelbesitzer sind es, die ganze Völker regieren. Auf der anderen Seite steht der Krieg,
eine wirklich sehr ernste Angelegenheit, die alles in Frage stellt: im Stück "Romulus" steht
das Schicksal eines ganzen Reiches auf dem Spiel, im Falle von "Papa, der Krieg" die
513
514
515
Dürrenmatt, Friedrich: Erster Kommentar zu "Romulus", siehe FN 511.
Paparrigopoulos, Konstantinos, wie FN 491.
Kambanellis selbst schildert dies in dem Vorwort zu dem Stück, siehe FN 492.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
S. 148
Vorherrschaft über das Mittelmeer. Beide Stücke spielen in ferner Vergangenheit: Dürrenmatt
wählt das Römische Kaiserreich als historischen Hintergrund, Kambanellis die hellenistischen
Diadochenreiche. In beiden Fällen haben wir es also mit Orten und Zeitpunkten zu tun, die der
Satire sehr entgegenkommen, da in ihnen Luxus und Überfluß herrscht, einhergehend mit
Dekadenz, lockeren Sitten, lukullischen Gelagen und Müßiggang. Beide Autoren nutzen das
satirische Potential, das hierin geboten wird.
Die Hauptpersonen, namentlich der römische Kaiser Romulus und Dimitrios der Belagerer,
sind als Kinder ihrer Zeit auch zu sehr den Genüssen aller Art zugetan und erweisen sich als
den Anforderungen der Geschehnisse nicht gewachsen. Romulus ist nicht fähig, Rom zu
retten, und Dimitrios nicht, die Vorherrschaft über die Meere zu erhalten, die sein Vater
aufgebaut hatte. Dennoch gibt es einen wichtigen Unterschied in der Zielrichtung ihres
Handelns, denn bei Romulus ist das Nicht-Handeln und die Faulheit eine bewußte Wahl. "Es
ist meine politische Einsicht, nichts zu tun." (Romulus, S. 310). Sie ist das letzte Siegel auf
einen Zustand, der schon feststeht: "Rom ist längst gestorben." (Romulus, S. 280). In "Papa,
der Krieg" ist Dimitrios ein Berufskrieger, der den Beinamen "Belagerer" erhielt, da er
versuchte, den heroischen Feldzug Alexanders des Großen fortzuführen: "Wenn Alexander bis
nach Indien kam, muß ich dann nicht bis zu den Säulen des Herakles fahren?" (Dimitrios,
S. 213). Dennoch gibt ihm das keine wirkliche innere Erfüllung mehr. In der Zwischenzeit
befindet er sich in unerträglicher Einsamkeit und Öde; seine einzige Abwechslung sind
Kriegszüge und Kriegsmaschinen, die er gerne seinen jeweiligen Begleiterinnen vorführt.
Wenn Rom bei Dürrenmatt untergehen muß, um das große Blutvergießen abzubezahlen, muß
Rhodos in dem Stück von Kambanellis auf jeden Fall gerettet werden, wenn auch um den
Preis seiner wertvollen Neutralität. Der Kaiser Romulus opfert sein Reich und sich selbst, um
so die blutige Vergangenheit zu sühnen. Dimitrios opfert sich in gewisser Weise auch selbst,
wodurch Rhodos zu seinem gelehrigen Schüler in Kriegsangelegenheiten wird - auch wenn er
das sicher nicht beabsichtigt hatte. Er muß besiegt werden, damit die Rhodier, die im
Kriegführen Neulinge sind, beweisen können, daß sie gut sind. Der Bildhauer Charis, eine der
Hauptpersonen des Stückes, formuliert es so: "Nun ist es vorbei, es gibt keinen Sieg, den
kannst du vergessen. Du bist besiegt worden, mein lieber Dimitrios, und zwar seit dem
Moment, wo du die Rhodier dazu zwangest, dir gleich zu werden." (Charis, S. 251). Während
bei Romulus die Wiederherstellung der Gerechtigkeit das zentrale Motiv ist, steht bei "Papa,
der Krieg" die Idee des Krieges als Beruf im Mittelpunkt. In keinem von beiden Stücken wird
die Welt einer glücklicheren Zukunft entgegengehen, auch wenn in "Romulus" eine kurze
ruhige Phase kommt.
In Dürrenmatts Stück wechselt die Weltherrschaft vom einen zum anderen. Die alten Kräfte
haben ausgedient, neue und stärkere treten an ihre Stelle. Bei Kambanellis dagegen wird das
'Rezept des Krieges' ausgetauscht. Dürrenmatt richtet sein Stück in erster Linie an ein deutschsprachiges Publikum nach Ende des Zweiten Weltkrieges, vielleicht schließt deswegen sein
Stück mit einem vorläufigen Frieden. "Schenke den Germanen und Römern Frieden. An deine
Aufgabe denn, Fürst der Germanen! Herrsche nun Du. Es werden einige Jahre sein, die die
Weltgeschichte vergessen wird, weil sie unheldische Jahre sein werden - aber sie werden zu
den glücklichsten Jahren dieser wirren Erde zählen." (Romulus, S. 346).
Kambanellis dagegen wendet sich an ein griechisches Publikum, das gerade anfängt, sich von
dem Bürgerkrieg zu erholen, der gleich im Anschluß an den Zweiten Weltkrieg dort wütete,
und den ausländische Mächte schürten, die noch immer unterschwellig präsent waren, als das
Stück geschrieben wurde. Er wählt als Ende seines Stückes einen Waffenstillstand zwischen
zwei Heerführern, in dem aber schon der Keim der nächsten Auseinandersetzung schlummert,
was Demetrius deutlich ausspricht: "Beende den Krieg nicht, du hast viel Talent! Was auch
immer du dabei für Fragen haben wirst, komm einfach und frage mich." (Dimitrios, S. 265).
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
S. 149
Romulus drückt es in folgenden Worten aus: "Die Wirklichkeit hat unsere Ideen korrigiert."
(Romulus, S. 346). In beiden Stücken werden die Hauptpersonen gezwungen, von den politischen Ideen und persönlichen Überzeugungen, die sie am Anfang haben, Abstand zu nehmen.
So gesehen sind Romulus und Odoaker zwei tragische Figuren. Romulus muß dem Übergang
ins Rentnerdasein zustimmen, das für ihn schlimmer als der Tod ist, während Odoaker Kaiser
werden und ein verfaultes Reich regieren muß.
Die Realität verändert auch in "Papa, der Krieg" die Ansichten der Anführer der beiden
Gegner. Philoxenos muß das Ende der Neutralität akzeptieren und Anhänger des Krieges
werden, während Dimitrios sich damit abfinden muß, daß er kein Krieger mehr sein wird,
sondern nur noch Berater des Philoxenos in Kriegsangelegenheiten.
Doch sollte man auch die weniger zentralen Figuren und andere Details der beiden Stücke
genauer betrachten. In "Romulus" wird die Befürchtung vor dem Heldentum ausgedrückt, da
es wieder zu neuen Bächen voll Blut und zu neuen Katastrophen führen wird. Der Sieger
Odoaker fleht den besiegten Romulus an: "Dann werden wir endgültig ein Volk der Helden
geworden sein. Rette mich, Romulus, du bist meine einzige Hoffnung." (Romulus, S. 342). In
"Papa, der Krieg" ist das Heldentum die unabwendbare und erwünschte neue Realität. Der
Krieg muß ohne Pause weitergehen. Die siegreiche Zukunft baut unausweichlich auf dem
Krieg auf, weswegen Philoxenos sagt: "Wenn wir den Waffenstillstand akzeptieren, werden
wir arbeitslos sein." (Philoxenos, S. 261). In Dürrenmatts Stück wird auch die Idee des
Vaterlandes als rein rhetorische Floskel dargestellt: "Vaterland nennt sich der Staat immer
dann, wenn er sich anschickt, auf Menschenmord auszugehen." (Romulus, S. 315). Bei
Kambanellis ist der Begriff Vaterland ein Synonym für Gewinn. Solange Rhodos seine
Neutralität aufrechterhalten will und Demetrius mit friedlichen Mitteln entgegentreten
möchte, muß es seine Untertanen mühevoll dazu überreden, für das Vaterland aktiv zu
werden. Sobald jedoch der Reichtum von Rhodos vom Kriegführen herrührt, werden jene, die
für das Vaterland gekämpft haben und mit dem Angebot eines Waffenstillstandes
wiederkehren, so rasch wie möglich zum Schweigen gebracht, sie werden ohne viel
Federlesens vertrieben.
In beiden Stücken treten auch Nebenfiguren auf, die für den Verlauf der Satire durchaus entscheidend sind. Romulus nennt seinen Koch den wichtigsten Menschen in seinem Kaiserreich,
und er scheut keine Mühe, um genügend Geld aufzutreiben, ihn zu bezahlen. Eine wichtige
Person ist auch ein Kunstsammler, dem Romulus Büsten von Kaisern verkaufen kann. Nur so
bekommt er die Mittel zusammen, um seine Geflügelzucht aufrechtzuerhalten. Schließlich hat
er auch noch eine Tochter namens Rhea, die Rom retten könnte. Sie selbst wäre bereit, zu diesem Zweck einen Fabrikbesitzer zu heiraten, der Hosen herstellt. Er hätte dann mit seinem
Vermögen Rom wieder stark machen können. Sogar ihr Liebhaber Emilian ist damit einverstanden, doch ihr Vater lehnt diese Idee strikt ab und vereitelt sie. Romulus begründet seiner
Frau Julia gegenüber seine Entscheidung so: "Wir haben durch die Jahrhunderte hindurch so
viel dem Staat geopfert, daß es jetzt Zeit ist, daß sich der Staat für uns opfert."(Romulus,
S. 278). Rhea sagt er, ihre Liebe zu ihrem Mann sei viel wichtiger als ihre Liebe zum Vaterland: "Wenn Du ihn liebst, so ist er wichtiger als so ein verlottertes Imperium." (Romulus,
S. 313).
In "Papa, der Krieg" ist es ein Koch, der als Spion im Heer des Demetrius eingesetzt wird.
Indem er ihn mit den erlesensten Speisen betört, gelingt es ihm, die ganzen Kriegsgeheimnisse
des Gegners in Erfahrung zu bringen. Des weiteren soll ein Bildhauer dem Belagerer schmeicheln, indem er ein übertrieben gutaussehendes Denkmal von ihm schafft. Die schöne Urania
soll die schlechte Beziehung des Dimitrios zu seiner Gattin nutzen und ihn mit ihren Verführungskünsten dazu bringen, sich von Rhodos abzuwenden und irgend einen anderen Ort ins
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
S. 150
Visier zu nehmen. Urania wird es sein, die den Mangel an Liebe, unter dem der große Stratege
leidet, auffüllt. "Ist es nicht unmenschlich? So viele Völker zittern vor mir, doch kein Mensch
schätzt mich wirklich, keiner sieht mich so wie du mit Verehrung an, und ich brauche das,
denn ich bin ein Mensch wie alle anderen... " (Dimitrios, S. 215).
Das Stück "Romulus der Große" brandmarkt die Morschheit der Werte, derer sich die Macht
bedient. Es ist eine unlogische Ordnung der Dinge, daß Rom sich ausschließlich deswegen die
Weltherrschaft sichern kann, weil es einen Kaiser hat. "Das römische Weltreich besteht seit
Jahrhunderten nur noch, weil es einen Kaiser gibt." (Romulus, S. 311). " Ein Pseudo-Kaiser,
dessen Hände noch von Blut dampfen, wird hier zum Richter über die Geschichte und zum
Ruin für sein daran unschuldiges Heimatland. Dieser "gefährliche Typ, der sich seinen
eigenen Tod zum Ziel gesetzt hat"516, kann sich dem Gang der Ereignisse nicht widersetzen.
Er gibt sich als Richter über die Zeitläufte, um schließlich das korrupte und dekadente
Herrschaft ihrem natürlichen Ende entgegenzuführen. "Ich möchte die Weltgeschichte nicht
stören, liebe Julia" (Romulus, S. 279). An Stelle der Kräfte, die gehen, werden neue kommen,
stärkere, die mit der gleichen Eitelkeit regieren werden, mit der gleichen blinden Gewalt,
ebenfalls infiziert mit der ansteckenden Krankheit der Macht. Im Angesicht des irren Richters
der Geschichte wird ein Schnitt gemacht, eine Haltung innerhalb der menschlichen Geschichte
und der Art der Machtausübung wird hervorgehoben, und der Pessimismus darüber, daß
weitere Katastrophen nicht ausbleiben können, da sie direkt aus der sinnlosen Eitelkeit des
Geschehens resultieren. Patriotismus, Militarismus, Kapitalismus, Materialismus und Diktatur
des Proletariats: Alle diese Schlagworte werden in dem Stück einer kritischen Analyse
unterzogen.
Eine Morschheit der Werte finden wir auch bei Kambanellis vor. Die Geldgier, welche der
Tourismus nährt, führt in Rhodos dazu, daß die Politik keine Rolle mehr spielt und daß sogar
Tempel und Regierungsgebäude in Hotels umgebaut werden. Alles wird in den Dienst des
Gewinns gestellt. Was keinen sofortigen Gewinn abwirft, wird zerstört. Die Regierung wird
allmählich zu einem Nothelfer oder einer Feuerwehr, die bei sozialen Problemen der Hotelbesitzer direkt eingreifen soll. "Eine Regierung im herkömmlichen Sinne wird als nutzlos und
gefährlich angesehen." (Philoxenos, S. 188). Auf der anderen Seite sind die mazedonischen
Wucherer mit aller Kraft dabei, ein Gleichgewicht des Schreckens aufrechtzuerhalten.
Demetrius greift schließlich an, um einem Angriff des Gegners zuvorzukommen. Deswegen
hat er einen Vorteil in diesem Kräftemessen, auch wenn er den eigentlich gar nicht verdient.
Der Krieg erscheint in dem Stück von Kambanellis wie eine ansteckende Krankheit.
Demetrius, von den vielen Genüssen erschöpft und verweichlicht, gibt die Staffel des Krieges
an Rhodos weiter, welches noch jung ist und voll Lust auf den Krieg gewissermaßen als
'sportliches Kräftemessen'. Dadurch wird Rhodos auch einen sprunghaften 'Fortschritt' erleben
- wenn man es Fortschritt nennen will, daß es rasch von der Verteidigung zum Angriff
übergeht und sich einer unbändigen Eroberungsmanie hingibt. Es tritt sehr klar zutage, daß
das Stück die Hysterie des Kalten Krieges brandmarkt; es beschreibt, 'aus welchem Stoff der
Krieg ist', und wie empfänglich der Mensch für expansionistische Ideologien. Es zeigt, wie
kurzsichtig und töricht die Menschen sich von den möglichen Gewinnen des Krieges
faszinieren lassen, ohne die ungleich größeren Schäden zu beachten, die durch ihn entstehen
können, und unter denen sie selbst ebenfalls leiden werden.
516
Dürrenmatt, Friedrich, Komödie I, Zürich 1957.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
S. 151
4.4.8 Handel und Krieg, zwei entgegengesetzte und doch ähnliche Welten
In diesem Stück "Papa, der Krieg" spielt sich die Handlung an insgesamt zwei Orten ab: Auf
der Veranda eines Hotels in der Hauptstadt von Rhodos, einer Insel, die von ihrer Neutralität
profitiert und ungeachtet aller rundherum tobenden Kriege in Sicherheit ihrem Gelderwerb
nachgehen kann, den sie mit dem Tourismus betreibt; und auf dem Kriegsschiff von Dimitrios
dem Belagerer, welches in der Nähe von Rhodos im Meer liegt. Von hier aus wird der
Feldzug gegen Rhodos gesteuert, man ist mitten im kriegerischen Geschehen. Demetrius der
Belagerer hat anfangs nichts anderes als den Krieg im Sinn.
Das Stück spielt in der Zeit der hellenistischen Diadochenkriege. Man sollte nicht vergessen,
daß es 1952 geschrieben wurde. Es stellt eine Parabel auf die traumatische Realität der ersten
Nachkriegsjahre in Griechenland dar, als der Kalte Krieg den Zweiten Weltkrieg ablöst. Er
dauert länger und hat schlimmere Auswirkungen auf die betroffenen Länder und Völker, und
er durchdringt bei ihnen jeden Bereich des Lebens. Damit sollte die Kraft und der Einfluß der
beiden rivalisierenden Mächte demonstriert werden; sie prägten nach dem Zweiten Weltkrieg
die Machtverhältnisse auf der ganzen Welt. Kambanellis zeigt in seinem Stück, daß Handel
und Krieg in diesem Machtkampf unmittelbar zusammenhängen. Die beiden Hauptakteure
stehen jeweils für eine dieser beiden Kräfte, was auch in ihren Namen deutlich wird.
Philoxenos ('der die Fremden liebt'), der Regent von Rhodos, empfängt die Touristen, die auf
seiner Insel Ferien machen wollen, gerne als Gäste. Daß Dimitrios dagegen den Beinamen 'der
Belagerer' trägt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Immerhin belagerte er Rhodos ein Jahr
lang ohne Erfolg. Schon zu Beginn des Stückes zeigt sich, wie eng Krieg und Handel
miteinander verwoben sind: Rhodos profitiert von den Kriegen der anderen untereinander, da
es als neutrales Land mit allen Kriegsparteien einen sehr profitablen Handel treiben kann. Um
eben diese Neutralität zu erhalten, hat Rhodos alle normalen Regierungsinstrumente wie auch
das Militär abgeschafft, sie könnten ihm gefährlich werden. Sollte tatsächlich einmal ein
politisches Problem von Belang auftreten, so kann der Oberste Hotelrat zu seiner Lösung
einberufen werden. Die Einwohner von Rhodos genießen ihre Neutralität bewußt und stehen
dazu: "Es leben die Neutralität von Rhodos!" (Philoxenos, S. 201).
Selbst als die Anzeichen sich verdichten, daß der Krieg auch Rhodos droht, denkt Philoxenos
erst einmal nur an den Profit. Als er hört, daß sich Dimitrios nähert, sagt er: "Hoffentlich! Wir
werden unsere Strände mit Nachtclubs füllen, und wir werden darum bitten, daß die Soldaten
ihren Sold auf Rhodos ausgezahlt bekommen." (Philoxenos, S. 191). Er sieht im Krieg
"fremde Angelegenheiten", geht allerdings davon aus, daß auch Dimitrios in der Kategorie
Profit denkt, und daß er deswegen Rhodos nicht angreifen wird, weil er daraus keinen Gewinn
ziehen kann. Unter dem Eindruck von immer verworreneren Nachrichten über Demetrius, und
unter dem Einfluß seiner Kollegen läßt er sich im Laufe der Zeit allerdings überzeugen, einen
Angriff auf Dimitrios zu wagen, um diesem zuvorzukommen. Da Philoxenos in erster Linie
Hotelier und Unternehmer ist, möchte er anfangs alle verfügbaren friedlichen Mittel ("die
Freundlichkeit, die Schönheit und die Grazie") nutzen, um die profitable Neutralität von
Rhodos zu erhalten. Konkret nimmt er dafür einen Bildhauer zur Hilfe, der Statuen der beiden
Gegner anfertigen soll, also von Dimitrios dem Belagerer wie auch von seinem Gegenspieler,
Ptolemaios. Des weiteren stellt er den besten Koch ab, um Demetrius von ihm nach Kräften
verwöhnen zu lassen, und er schickt ihm eine bildhübsche Frau, um seine sonstigen Wünsche
zu befriedigen. Der kriegslüsterne Dimitrios soll damit unmerklich zu einem Touristen
umgekrempelt werden, der auf Rhodos freies Essen und Trinken bekommen soll, um von dem
süßen Leben der Rhodier langsam gefangen genommen zu werden. Schließlich soll auch er
ihrem epikureischen Lebensstil frönen, der sich in seiner obszönsten Form in folgendem
Spruch ausdrückt: "Dann laßt uns mal nach Kräften essen, trinken und scheißen." (Philoxenos,
S. 197). Philoxenos ist überzeugt, daß er ein leichtes Spiel mit Dimitrios haben wird. Die
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
S. 152
Agenten müssen ihn nur persönlich nach Rhodos locken, der Rest wird dann von alleine
kommen. Dimitrios würde, einmal an das süße Leben hier gewöhnt, jedes Interesse an einem
Angriff verlieren. Philoxenos sagt dazu: "Soll er doch ruhig kommen! Wenn dieser
Unruhestifter nicht binnen zwei Wochen durch ein ausschweifendes Leben dazu gebracht
wird, herumzukriechen wie eine trächtige Sau, dann will ich meinen ehrlichen Anzug des
Hoteliers wegwerfen und mich dem Militär zur Verfügung stellen." (Philoxenos, S. 203).
Doch seine Bemühungen bringen nicht die erwünschten Ergebnisse. Dimitrios neigt immer
mehr dazu, doch anzugreifen, und die Feriensaison geht zu Ende, die Gäste reisen ab. Ein
Waffenhändler, der zur Zeit sehr billige Angebote hat, und ein Unterhändler für den Waffenstillstand drängen Philoxenos in ihre Richtung. Dazu kommt dann noch eine Nachricht von
Ptolemaios, der den Rhodiern droht, wenn sie nicht selbst ihre Neutralität tatkräftig unterstützen könnten, würde notgedrungen er das tun. Auch die schöne Lamia hat einige Überzeugungskraft, wenn sie ihm einredet, Krieg sei die einzige Sprache, die Dimitrios verstehe. Das
alles treibt auch Philoxenos dazu, im Krieg eine Möglichkeit zu sehen. "Mein Gott," sagt er,
"wieso drängen uns alle dazu, Krieg zu führen?" (Philoxenos, S. 232). An diesem Punkt
verwandelt er sich, wie versprochen, vom Hotelier zum Heerführer. Er ruft die Bürger von
Rhodos zusammen, die Slogans wie "Es lebe Rhodos" brüllen sollen. Er gräbt in seiner
Erinnerung nach Sprüchen, die die Bereitschaft, in den Krieg zu ziehen, erhöhen. Da
Dimitrios inzwischen den Alltag auf der Insel bedroht, verliert auch Philoxenos allmählich die
Nerven - er geht schließlich so weit, aus Gabeln und Messern Angriffswaffen gegen Dimitrios
zu bauen.
Philoxenos wandelt sich im Laufe des Stückes von einem Verfechter der Neutralität zu einem
äußerst überzeugten Heerführer, denn im Krieg sieht er nun seinen neuen und gewinnbringenden Beruf oder Unternehmen. Es ficht ihn keinen Moment an, darüber nachzudenken, ob das
richtig oder falsch von ihm ist. Nicht nur das: Am Anfang des Stückes ist er Demokrat, doch
im Laufe seiner Annäherung an die kriegerische Auseinandersetzung neigt er zusätzlich zu
den Mazedoniern und ihrer Monarchie. Allmählich wird Philoxenos hart und unmenschlich.
Zu Beginn des Stückes hatte er Agenten ausgesandt und angefleht, sie sollten sich für die
Beibehaltung der Neutralität einsetzen. Schließlich wird er jedoch zu einem richtigen
Diktator. Er bestimmt, daß kein "ehrbarer" Mensch auf Rhodos mehr das Wort
"Waffenstillstand" in den Mund nehmen darf. Auch können seine Militärs nun, da sie sich
einmal an den Krieg gewöhnt haben, angeblich keinen anderen Beruf mehr ausüben.
Deswegen werden auch alle Schulen des Landes zukünftig den Krieg als vorrangiges
Ausbildungsziel haben. Der blinde Ehrgeiz wird Philoxenos schließlich dazu führen, sich
nicht mehr nur der Verteidigung zu widmen, sondern auch dem Angriff. "Wenn ich Demetrius
vertrieben habe, werde ich Kreta einnehmen, Naxos, die Peloponnes; und ich werde
Lysimachos schlagen." (Philoxenos, S. 268).
Die Figur des Philoxenos weist Parallelen zu "Mutter Courage" auf, welche im Krieg ein
gewinnbringendes Geschäft sah. Noch näher ist sie Brechts Stück "Mann ist Mann", wo der
Packer Galli Gay in eine schreckliche Maschine im Dienste der englischen Truppen zum
Schutze des Kolonialgeschäfts verwandelt wird. In "Papa, der Krieg" verwandelt sich auch
Philoxenos auf der Bühne, vor unseren Augen. Da er der Regent eines ganzen Landes ist, steht
sein Wandel gewissermaßen für den Wertewandel seines gesamten Volkes von pazifistisch zu
kriegslüstern. Er übertrifft schließlich Dimitrios an Bereitschaft zum Krieg. Er zeigt, daß der
Krieg wie eine ansteckende Krankheit ist, die während des Kalten Krieges Menschen auf der
ganzen Erde befallen hatte. Ihre hysterische Ideologie der Expansion kennt keine Grenzen.
Der einzige Wert, der Dimitrios wirklich etwas bedeutet, ist der des Gewinns; ansonsten spielt
es für ihn aber keine Rolle, ob er ihn wie in friedlichen Zeiten durch Handel erzielen kann,
oder durch den Krieg.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
S. 153
Diese Ansicht wird in den Regieanweisungen zur 6. Szene deutlich: "Wo vorher das Schild
'Hotel Ios' hing, liest man nun die Aufschrift 'Oberste Heeresleitung'." (Szenische Anweisungen, S. 253). Die Hoteliers haben ihre eleganten Anzüge abgelegt, sie tragen nun Rüstungen
"fast genau wie die in Mazedonien" (Szenische Anweisungen, S. 253). Die Verwandlung des
Philoxenos und seines Volkes, also ihr Stimmungswechsel, wird mit allen dem Theater zur
Verfügung stehenden Mitteln verdeutlicht. Es geht so weit, daß die als Geiseln genommenen
Rhodier sich anschließend bei Dimitrios bedanken, daß er sie zu guten Kriegern machte. Sie
werden von nun an Dinge erleben und betreiben, die sie in ihrem früheren Leben verabscheut
hatten. Die Tapferkeit und der Mannesmut im Krieg sind allerdings nicht fähig, Ideale wie die
Freiheit oder den Frieden ernsthaft zu schützen. Der Krieg wird schließlich nur um des
Krieges willen geführt, und um Profit zu machen. Während einerseits aus einem bisherigen
Hotelier ein überzeugter Militarist hervorgeht, wird ein anderer, der seit Jahren den Krieg als
sein Handwerk betrachtet (nämlich Dimitrios), in den Hintergrund treten, um seine Stelle
jemand anderem zu übergeben. Dieser Andere ist ein heruntergekommener Heeresführer, der
in dem Moment, als der Feind zurückgedrängt wird, gerade Kartoffeln schält.
Im Heerlager des Dimitrios ist der Krieg das Mittel, mit dem die Menschen sich durchzusetzen gelernt haben. Dimitrios ist gezwungen, Krieg zu führen, sonst sind seine mazedonischen
Truppen arbeitslos. Das geht klar aus den Worten von Lamia hervor: "Es sind ja auch seine
Generäle - zum Teufel mit ihnen, die sind schlimmer als er! Ständig piesacken sie ihn mit
Bemerkungen, daß man ein so großes Heer nicht füttern und tatenlos herumsitzen lassen
kann." (Lamia, S. 232). Dimitrios selbst hingegen hat ein ganz anderes Verhältnis zum Krieg
gewonnen. Er sieht ihn vor allem als theoretische Herausforderung und hat daraus eine
Wissenschaft gemacht, er entwirft Strategien und Kriegsmaschinen, er setzt hier seine geistige
Kreativität ein, was ihm eine äußerst abgehobene Befriedigung gibt. Daß Lamia und seine
Generäle dafür so wenig Interesse aufbringen, erklärt er mit der "unintellektuellen
Umgebung", in der sie leben und welche seine Sicht des Krieges als Quell der Freude, als
geistige Übung und emotionale Bereicherung nicht teilen kann.
Rhodos möchte er schon deswegen nicht belagern, da es, wie er meint, keinerlei strategische
Herausforderung bietet. Er möchte sich nicht mit "Zuckerbäckern" anlegen. Deswegen gibt er
dem Drängen seiner Generäle, die hier gewaltige Beute wittern, nicht nach. Diesem vom
Krieg durchdrungenen Herrscher Dimitrios fehlt jeglicher Sinn für die 'kleinen weisen
Freuden des Lebens'. Er selbst ist sich dessen bewußt, daß man ihn auch in seiner Umgebung
zwar schätzt, doch nicht liebt. Als er jedoch den schönen Augen von Urania verfällt, die die
Rhodier genau zu diesem Zweck als Agentin auf ihn ansetzten, wächst in ihm der Wunsch,
Rhodos zu erobern, um es ihr zu Füßen zu legen. Die Generäle nennen dies eine "Belagerung
aus Liebe". Doch da ist es schon zu spät. Die Rhodier hatten lange genug Zeit, sich auf die
Situation eines kriegerischen Kräftemessens einzustellen, und ihr Plan gelang, Dimitrios über
die Schiene des Verwöhnens und der Verweichlichung zu schwächen.
Schon ab dem dritten Bild, nachdem Dimitrios Urania begegnet ist, legt er seine Rüstung ab
und zieht sich ein bequemes Gewand an. Im fünften Bild sieht die Generalstabsleitung schon
aus wie ein Fünf-Sterne-Hotel. Überbordender Luxus in Form von teuren Vasen, Vogelvoilieren und Obstschalen verzieren nun die Räume. Dimitrios selbst, mit einer Eleganz gekleidet,
die in keiner Weise mehr an das Militär erinnert, gießt seine Blumen und rezitiert Poesie
dabei. Als ihn der Bildhauer Charis antrifft, ruft er aus: "He, schau doch mal in einen Spiegel,
sieht so ein Heerführer aus?" (Charis, S. 251). Nicht nur seine Erscheinung, sondern auch sein
ganzes Verhalten und seine Haltung zeigen, daß Dimitrios unter diesen Umständen keinesfalls
gewinnen kann. Lamia interpretiert die Situation dahingehend, Dimitrios sei immer nur ein
Stück Kork gewesen, der nicht viel eigene Macht hatte. Charis diagnostiziert, es sei die
Feigheit gewesen, die Dimitrios bisher zum Angreifen gebracht hatte, womit er "die ganze
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
S. 154
Welt aus der Ruhe gerissen" habe. Er griff bisher stets an, weil er seinerseits einen Angriff
fürchtete und diesem zuvorkommen wollte. Seine Feinde hingegen ließen sich durch die
Geschwindigkeit blenden, bekamen Angst vor ihm und streckten die Waffen. "Wenn ich sie
nicht als erstes schlage, werden sie mich schlagen! Kann ich mit so einer quälenden Angst
leben? Anstatt daß ich von den anderen zittere, ist es doch besser, sie zittern vor mir!"
(Dimitrios, S. 250)
Dennoch machte er selbst den großen Fehler, sich der Liebe mit Urania hinzugeben und seine
militärischen Angelegenheiten aus dem Blick zu verlieren. So gab er den Rhodiern die Gelegenheit, ihrerseits die Initiative zu ergreifen. "Du wurdest besiegt, mein lieber Dimitrios, und
zwar in dem Moment, als du die Rhodier zwangest, es dir gleichzutun." (Charis, S. 251). Der
Krieg, der für ihn bisher nur ein Spiel gewesen war und der ihm Freude gemacht hatte, wird
nun für ihn ernsthaft gefährlich. "Wir sprachen von einem Triumph, und erlitten eine totale
Katastrophe" (Evelpidis, S. 237), beschweren sich die Generäle nun bei ihm. Dimitrios wird
zum Opfer seines Charakters und seiner eigenen Aktivitäten. Er ist eine tragische Gestalt; als
der Feind schließlich da ist, ruft er aus: "Ich brauche einen Tragödienschreiber!" (Dimitrios,
S. 247). Im gleichen Moment erreicht er schon das höchste Stadium der Lächerlichkeit, denn
er bittet die gefangengenommenen Rhodier, ihn gewinnen zu lassen, da er doch ihr
Lehrmeister sei und sie ihn verehrten.
Es ist nun Zeit für Dimitrios, seine Position aufzugeben. Den Krieg soll jemand führen, der
ihn nicht mehr als Spiel sieht, sondern als Geschäft, als Beruf, und der bereit ist, sich dafür
einzusetzen. Frei nach Brecht, "Zwischen den Kanonen tauchten nun die Händler auf". Die
Händler sind es, welche die neue Ordnung der Dinge begründen. Das eine Volk gibt
anscheinend endgültig die Ideologie der Neutralität auf und nimmt statt dessen eine
kriegerische Haltung an, während der Monarch des anderen Volkes sich einer neuen Lebensart
in Luxus und Poesie hingibt, was ihn und sein Volk gemeinsam vom Triumph zum Verderben
führt.
Ein besonders spielbarer Aspekt entsteht dadurch, daß die Verwandlung der beiden Prinzipien
in Gestalt ihrer Herrscher sehr eindrucksvoll auf der Bühne zu verfolgen ist. Sie beeinflussen
sich gegenseitig, jeder nimmt immer mehr Elemente aus dem Leben des anderen auf, und
doch begegnen sie sich erst in der allerletzten Szene, die in ein "Grand Finale" mündet. Um
die Waffenruhe zu besiegeln, reichen sich die beiden die Hände. Philoxenos entschuldigt sich
gleichzeitig bei Dimitrios, daß er ihn nicht gewinnen gelassen hatte. Im gleichen Atemzug
drückt er auch seinen Wunsch aus, von Dimitrios noch mehr über den Krieg zu lernen.
Dimitrios rät ihm also, den Krieg möglichst nie mehr zu beenden. Er solle auf sein eigenes
kriegerisches Talent hören und seine, des Dimitrios, Ratschläge befolgen. Der Epilog endet
mit folgenden Worten: "Dimitrios, weißt du, daß ich dich wie einen Vater sehe?" (Philoxenos,
S. 265)
"Wenn ich einen Sohn hätte, würde ich wünschen, daß er dir gleicht." (Dimitrios, S. 235). In
diesem Kulminationspunkt des Stückes, mit diesem tragikomischen Finale wird der Schüler
Philoxenos seinem Lehrer Dimitrios gleichwertig, der Krieg wird zum Vater aller, die Geschichte wiederholt sich. Dieser Epilog ist eine unglaubliche Farce und gleichzeitig eine
Elegie über den Krieg. In der neuen Gemeinschaft, deren Bildung von den Einflußreichen
einstimmig beschlossen wird, in dieser neuen Kultur, in der der Krieg mit dem Handel
vermengt wird, wird Krieg von nun an eine ganz einfache und alltägliche Wirklichkeit sein,
die niemanden mehr stören wird. Hier scheint die 'Prophezeiung' von Kambanellis aus seinem
Stück "Die vier Beine des Tisches" wahr zu werden: "Kinder haben wir keine, aber einen Papa
haben wir." (Kostas, S. 178).517 Die Zukunft ist ungewiß, doch auf jeden Fall geprägt von der
517
Siehe Kambanellis, Iakobos, wie FN 142, hier S. 178.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
S. 155
"Ausbildung zum Krieg". Die Anspielungen auf das politische Weltgeschehen sind
unübersehbar: Die Ereignisse von Hiroshima und Nagasaki waren damals noch frisch, das
Abkommen von Jalta war gerade geschlossen worden, der Kalte Krieg mit seinen
unglaublichen Rüstungsvorhaben begann, und eine traurige Reihe von peripheren
Regionalkriegen setzte gewissermaßen als Ablösung der schrecklichen konzentrierten
Vernichtung, die der Zweite Weltkrieg mit sich brachte, ein. Dieses Stück von Kambanellis
läßt sich in die Reihe der großen Anti-Kriegs-Stücke einreihen, in welchen die Idiotie des
Krieges in grotesker Übertreibung vorgeführt wird.
In den "Acharnern" des Aristophanes (geschrieben 425 v. Chr.) fangen die Alten wüst das
Fluchen gegen jenen an, der es wagte, Frieden zu schließen, und ihnen nicht die Freude
gönnte, den Gegner zu bestrafen. In "Papa, der Krieg" stellt Kambanellis den Krieg ebenfalls
als eine gewinnbringende Aktion dar, der auch noch eine verändernde Kraft hat. Der Krieg ist
ein Spiel, das Spaß macht, ein Spiel, für das man keinen Glauben an Ideale braucht, sondern
einfach Talent, der Krieg ist Wissen, welches die Menschen zu erlangen streben, eine Art, zu
leben, die man kaum mehr ablegen kann, wenn man sie sich einmal verinnerlicht hat. In einer
solchen Welt werden die Personen zu Karikaturen ihrer selbst, sie verlieren jegliche Ernsthaftigkeit und jedes Gewicht. Sie haben keine Persönlichkeit mehr, sondern werden zu bewegten
Anhängseln jener sinnlosen Angelegenheit, die sie angeblich selbst bewegen sollen: Des
Krieges. Es gelingt ihm sehr leicht, die Menschen zu seinen Spielfiguren zu machen.
Bezeichnend für diese Problematik sind besonders zwei Menschentypen aus dem Stück von
Kambanellis: Der eine ist der Bildhauers Charis, dessen Text in dem Stück wie eine aristophanische Einfügung wirkt. Er ist ein Künstler und Intellektueller, der sich als: "Charis aus
Lindos, Bildhauer und 'gesunder Menschenverstand' " (Charis, S. 247) vorstellt. Er bewegt
sich mit eigenem Willen, er macht sich respektlos über die beiden Machthaber lustig und
überbringt in der letzten Szene voll Begeisterung die Nachricht vom Frieden. Doch sein Wort
ist nicht stark genug, um die neue Ordnung der Dinge zu verändern. Ein ganz gegensätzlicher
Typus ist beispielsweise Pythias, der rasch in das Heerlager des jeweils Stärkeren springt.
Keinerlei Skrupel oder ethische Überlegungen hindern ihn daran, sich dahin zu wenden, wo er
jeweils seinen materiellen Vorteil sieht. Dort werden Leute wie er sofort wieder oben
schwimmen und aus der veränderten Lage das für sich persönlich Beste machen. Jene, die
dagegen gesunden Menschenverstand und Frieden predigen, haben keinerlei Platz mehr.
Der nimmersatte Krieg hat alles gefressen, obwohl seine Sinnlosigkeit auch historisch belegt
ist. Durch die große Katastrophe, die der Krieg mit sich bringt, verändern sich nicht nur die
Menschen, sondern auch die Dinge. Aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzung schmolzen die Rhodier ihre Gabeln, ihre Löffel und jegliches Metall, das sie besaßen, ein. Was
vorher das Niveau ihres Lebensstils ausgemacht hatte, wurde nun zu Kriegsmaterial. Sie
haben keine andere Möglichkeit mehr, zu leben, außer, daß sie in den Krieg ziehen. Es ändern
sich dadurch die Menschen, ihre Lebensweise, ihre Einstellung zur Welt und auch die
materielle Umgebung, einfach alles. Der Krieg wird zu einer Gewohnheit, durch ihn kann man
ganz konkrete und alltägliche materielle Vorteile anstreben. Der Schriftsteller Stelios
Xefloudas faßt diesen Sachverhalt in folgende Worte: "Der Krieg ist nicht nur furchtbar, weil
er uns Menschen dazu bringt, uns gegenseitig abzuschlachten, sondern auch, weil er uns in
seine Form preßt, er wandelt uns um in Krieg ... Wir können also keine Menschen mehr sein,
da wir komplett zu Krieg geworden sind. Wir sind jeder menschlichen Substanz verlustig
gegangen. Niemand ist mehr er selbst."518
518
Xefloudas, Stelios (Ξεφλούδας, Στέλιος): Menschen des Mythos. Hefte aus dem Krieg mit Albanien
(Άνθρωποι του µύθου. Τετράδια από τον πόλεµο της Αλβανίας), Athen 1946, hier S. 60 - 61.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
S. 156
Im Stück von Kambanellis verändert die Begegnung, ja der Zusammenstoß, die beiden
Gegner. Die Rhodier haben den großen Imperialist besiegt, der sich ganz dem Genuß und dem
Luxus hingibt. Gleichzeitig sind sie in Sachen Krieg zu Musterschülern geworden. Die
Vorherrschaft des Militärs einerseits und der Hang zum Luxus andererseits vermischen sich
als Ideologien und als Lebensstil. Die wichtigste Aussage des Autors ist, daß das Ausbreiten
einer militärischen Grundstimmung den Frieden permanent bedroht. Das unbewaffnete
Rhodos ließ sich den Krieg wie ein Spiel beibringen, wurde dadurch aber mit der Ideologie
des Belagerers infiziert. Handel und Krieg sind schließlich einfach zwei Seiten ein und
derselben Münze. Es sind zwei gegnerische und doch strukturell so ähnliche Welten, daß der
eine rasch in den anderen übergehen kann. Sie können sich vermischen oder ersetzen. Der
Krieges beruht im Grunde auf den gleichen Prinzipien wie der Handel. In diesem Stück
kollidiert der Handel mit dem Krieg, woraus eine dialektische Synthese beider entsteht, die in
ihrer Koexistenz kulminiert. Der Krieg wird eine sichere Quelle des Reichtums für die
Zukunft.
4.4.9 Die Umsetzung des Stückes auf der Bühne
4.4.9.1 "Theatro Technis", Athen 1980
Diese Uraufführung wurde in einer sehr harmonischen und engen Zusammenarbeit zwischen
Autor und Schauspielern realisiert. In seiner Einleitung zu dieser Aufführung schrieb Kambanellis, die Elemente des Absurden in diesem Stück ließen zu, daß das Publikum das
behandelte Thema ohne Sentimentalitäten analysieren könne. Aufgrund der Dichte des
Stückes müßten seiner Ansicht nach die Mittel des Dialogs, der Schauspielkunst und optische
Effekte stärker eingesetzt werden, um die Quintessenz klar genug herauszustellen. Daß das
Stück sich die Gewänder einer anderen Zeit überstreife, sei nichts weiter als ein deutlicher
Protest gegen die Aufrüstung.519 Der Regisseur Georgios Lazanis übernahm diese
Argumentation und versuchte, dem realistischen Element und dem gesunden
Menschenverstand genausoviel Spielraum zu gewähren wie dem Expressionismus, welcher
sich besonders darin äußerte, daß die einzelnen Rollen keine realistischen Personen
darstellten, sondern symbolisch und satirisch überzeichnete Typen.520
Der szenische Raum wurde mit sparsamen Requisiten angedeutet. Auf Sitzgarnituren aus Bambus saßen
die Hoteliers von Rhodos, sie trugen die heute übliche Straßenkleidung. Nur wenige Elemente wurden
hinzugefügt (Trennwände, Taue etc.), um in der folgenden Szene das Schiff der Mazedonier
anzudeuten, die römische Soldatenuniformen trugen. Demetrius war genauso gekleidet, nur zierten
moderne Epauletten seine Uniform nach antikem Schnitt. Dieses Element verdeutlichte die Absurdität
wie auch die Zeitlosigkeit des Geschehens. Nachdem die Rhodier und die Mazedonier ihre Haltungen
vertauschten, tauschten die Heerführer auch ihre Kleidung aus, während das übrige Personal, ohne jeden
Unterschied, Soldatenuniformen trug. Philoxenos, der Schüler des Krieges, blieb bis zum Schluß ein
Bewunderer von Dimitrios. Am Ende des Stückes, als der Friedensvertrag unterschrieben wurde, trank
er darauf ein Glas Wein.
Ungeachtet der scheinbar fernen Vergangenheit, in der es spielte, stellte dieses Stück eine
aktuelle und anklagende Allegorie dar.521 Diese Anti-Kriegs-Satire522 und Kriegs-Jahrmarkt523
519
520
521
522
523
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Interview in der Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα), 07.05.1980.
Gespräch der Autorin mit dem Regisseur Georgos Lazanis (Γιώργος Λαζάνης) am 08.03.2000.
Thymeli, wie FN 503.
Vournas, Tasos, wie FN 497.
Dromazos, Stathis, wie FN 500.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
S. 157
sah die Geschichte in einem melancholischen, pessimistischen Licht.524 "Wie in einer
überzeitlichen satirischen Gravur werden die vom Autor skizzierten und in ihrer
oberflächlichen Fröhlichkeit gefährlichen Symbolpersonen lebendig und bereiten
unterschwellig den Krieg vor."525 Der Regisseur spielte selbst auch die Rolle des Dimitrios,
die er auf eine umfassende Weise interpretierte. Es gelang ihm sehr ausdrucksvoll, dieses im
Grunde armselige Menschlein darzustellen, dem zufällige Gegebenheiten das Löwenfell des
Eroberers umgehängt haben, der aber in seinem Innersten von Mißgunst, Durchtriebenheit,
Schäbigkeit und menschlicher Schwäche erfüllt ist.526 Sein Gegenpol, Philoxenos, wurde von
Georgios Armenis gespielt. Er machte daraus ein passendes Pendant zu Dimitrios,527 die
Karikatur eines in sich selbst widersprüchlichen Menschen, der sich jederzeit von einem
Moment auf den nächsten in ein bluttriefendes Monster verwandeln könnte.528
4.4.9.2 “Theatrikos Organismos Kyprou”, Nikosia 1985
Der Intendant des Nationaltheaters Zypern hatte in jener Zeit das Repertoire ganz auf politische Stücke
fokussiert. Daher beschloß er, dieses Stück selbst zu inszenieren. Er vermied dabei eine realistische
Darstellung, die ihm hierzu nicht zu passen schien. Sie würde sonst zu plakativ, mit einem zu dicken
erhobenen Zeigefinger. Immerhin handelte es sich ja um eine Parabel mit einer eindeutigen Botschaft.
So wurden deutliche groteske Elemente eingesetzt, um eine stilisierte und spielerische Vorstellung zu
geben.529 Die gleichzeitige Präsentation von Kriegsmaschinen, wie man sie früher zu Belagerungen
einsetzte, und moderner Schußwaffen verdeutlichte in der Aufführung den zeitlosen Aspekt des Stückes.
Rhodos wurde dargestellt, indem sich überall Abbildungen von menschlichen Umrissen befanden, wie
sie der Maler Gaitis im Laufe seines Lebens entwickelt hatte.530 Solche Männerfiguren waren an einem
Eisengerüst im Hintergrund des Bühnenbildes angebracht, andere saßen auf Stühlen. Vorne sah man den
Herrscher von Rhodos und Dimitrios an einem Tisch Karten spielen. Sie trugen gleiche Kleidung. Die
Rhodier, die sich ganz der Manie des Tourismus hingegeben hatten, waren zu einer anonymen
Menschenmasse verschmolzen, gefangen im Netz der materiellen Nutzbarmachung.
Doch auch das Kommandozentrum des Dimitrios war äußerst surrealistisch. Seine Gefährtin
Lamia lag auf einem Bett, was den Eindruck erweckte, sie läge im Wasser. Dimitrios selbst
war umgeben von Ringen und Gewichten, er machte seine 'Kriegsgymnastik' und wirkte dabei
wie ein Zirkusjongleur. Er erinnerte an den Film "Der Große Diktator" von Chaplin. Seine
Generäle machten den Eindruck, als seien sie die Heerführer Hitlers, die sich mit seiner
Anwesenheit in Marionetten verwandelten. Dimitrios gibt sich gerne der Faulheit und der
Langeweile hin, er beginnt, elegant geschnittene Anzüge zu tragen, und effeminiert
allmählich. Der Raum, in dem er sich aufhält, wird immer mehr mit Blumentöpfen gefüllt.
Zusammen mit seinen Beratern tritt er in Phantasiekostümen orientalischer Potentaten auf, sie
sehen aus wie identisch gekleidete Puppen. Dimitrios ist hier ein typischer Anti-Held, der von
den Umständen in die Falle des Heldentums gedrängt wird, welches aber kein einziges
Problem löst, sondern im Gegenteil dem Krieg und seinen Begleiterscheinungen neue Nahrung
524
525
526
527
528
529
530
Georgousopoulos, Kostas, wie FN 490.
Thymeli, wie FN 503.
Vournas, Tasos, wie FN 497.
Dromazos, Stathis, wie FN 500.
Vournas, Tasos, wie FN 497.
Gespräch der Autorin mit dem Regisseur Evi Gavriilidi (Εύη Γαβριηλίδη) am 15.05.1998.
Gaitis ist ein in Griechenland sehr bekannter Maler, der vor allem für seine schematischen
Männerdarstellungen berühmt wurde, die er über Jahre hinweg in unzähligen Variationen entwickelte. Es
handelt sich dabei um kerzengerade stehende oder sitzende Männer in einem schwarz-weiß längsgestreiften
Anzug (die Streifen füllen den zweidimensionalen Körperumriß stets vertikal aus), auf dem Kopf eine
schwarze "Melone", deren Gesicht nur eine weiße Fläche darstellt.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
S. 158
gibt. Am Ende des Stückes treffen sich Dimitrios und Philoxenos und unterschreiben den
Friedensvertrag mit der gleichen sachlich-feierlichen Haltung, wie man wichtige Politiker heutzutage
Abkommen unterschreiben sieht. Danach umarmen sie sich und nehmen diverse Posen ein, damit die
Journalisten sie fotografieren können. Sie steigen auf einen Tisch, nachher noch auf Stühle, und strecken
sich, denn jeder möchte den anderen an Größe überragen und auf dem Foto weiter oben zu sehen sein.
In Wirklichkeit jedoch will jeder den anderen an Kriegslist und unvermeidlichem, wenn auch albernem
Heroismus übertreffen.
Der Regisseur bemühte sich, die Botschaften des Stückes deutlich in den Vordergrund zu
stellen. Er betonte die farcenhaften Elemente besonders, wogegen die komischen dann etwas
in den Hintergrund traten.531 Der Gesamteindruck der Aufführung war sehr harmonisch und in
einem lebhaften Rhythmus, man hätte allerdings mit etwas sparsamer eingesetzten Mitteln
eine weniger übertriebene Wirkung haben können.532
4.4.9.3 "Kratiko Theatro Voriou Ellados", Thessaloniki 1987
Dies ist eines der wenigen Male, wo Kambanellis selbst ein Stück inszeniert. Kambanellis
wollte diesmal den Text, das gesprochene Wort, mehr in den Vordergrund rücken und die
Darstellung weniger bildlich machen. Die Schauspieler und ihre Fähigkeiten sollten wieder in den
Mittelpunkt rücken, um die Quintessenz des Stückes vorrangig durch Mittel der Schauspielkunst zu
verdeutlichen.533 Das Bühnenbild war karg, es bestand aus verschieden hohen, übereinander liegenden
Ebenen, die sich um die zentrale Handlungsebene in der Mitte gruppierten. Um diese mittlere Fläche
herum war der Boden mit einem Material bedeckt, welches an eine Wasseroberfläche gemahnte. Die
Kleidung der Darsteller entsprach moderner Straßenkleidung, allerdings trugen sie dazu antike Helme,
was eine sehr ungewöhnliche Kombination ergab. Bei der Vergabe der Rollen war darauf geachtet
worden, daß jeder Schauspieler tatsächlich ungefähr so alt war, wie er es in seiner Rolle darzustellen
hatte, damit jeder tatsächlich vergleichbare persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen mit einbringen
konnte. Auch ihr sonstiges Erscheinungsbild (Figur, Gesicht) sollte zur dargestellten Rolle passen.
Kambanellis selbst gab an, mit dieser Inszenierung und Umsetzung wollte er deutlich machen, was 1952
seine Beweggründe gewesen waren, dieses Stück zu schreiben.534 Die Zeit der Naziherrschaft war damals
noch nicht lange vergangen, und ihr Eindruck wirkte noch stark. Daß ein Führer wie Hitler sich auf so viele
Menschen stützen konnte, die alle genau taten, was er anordnete; daß sie machtvoll genug waren, um jeden
Widerstand schon im Keim zu ersticken, und die ihm blind gehorchten - diese kollektive Blindheit war ein
wichtiger Grund, warum der Krieg überhaupt beginnen konnte. Die Blindheit machte aus den Handelnden
reine Marionetten, die ihre Persönlichkeit verloren hatten und, ohne zu wissen, warum, gemeinsam in den
Tod zogen und so viele andere Menschen wie möglich mit sich nahmen. Andererseits hätte der Krieg so
nicht stattfinden können, wenn nicht die anderen demokratischen Länder eine leichtsinnige Neutralität und
Sorglosigkeit an den Tag gelegt hätten, die es Hitler erlaubten, zu einem gigantischen Machtfaktor
aufzusteigen. Und selbst als dieser Zweite Weltkrieg beendet war, hatten die Menschen nicht viel Zeit, sich
an dem neu eingetretenen Frieden zu freuen, da begann schon die nächste Tragödie, der Kalte Krieg. Die
Kräfte, die sich zusammengeschlossen und mobilisiert hatten, um gegen den brutalen Militarismus der
Nazis zu kämpfen, wurden gewissermaßen deren vorbildliche Schüler, die schließlich um ein Vielfaches
stärker ausgerüstet waren und mit dem Kalten Krieg die ganze Menschheit über Jahrzehnte in ein
531
532
533
534
Diese Ansicht vertritt jedenfalls eine Kritik der Aufführung des Stückes "Papa, der Krieg" in der
zypriotischen Zeitung "Haravgi" (Χαραυγή), Nikosia/Zypern, 16.12.1984.
Georgiou, Christos (Γεωργίου, Χρήστος), Kritik der Aufführung des Stückes "Papa, der Krieg" in Nikosia am
"Theatrikos Organismos Kyprou" (Θεατρικός Οργανισµός Κύπρου) in der zypriotischen Zeitung "Ta Nea"
(Τα Νέα), 08.01.1985.
Kambanellis in einem Interview in der Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα), 25.07.1987.
Gespräch der Autorin mit Iakobos Kambanellis am 10.12.2000.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Papa, der Krieg"
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'Gleichgewicht des Schrecken' versetzten, in dem jederzeit die komplette physische Vernichtung der Erde
denkbar sein mußte. Kambanellis wollte diese seine Beweggründe verdeutlichen, ohne zu viele Effekte
einzusetzen. Ein Kritiker beschrieb das Ergebnis denn auch folgendermaßen: "Die Schauspieler mußten
sich auf eine deutliche Aussprache des Textes konzentrieren. Anders gesagt, sie mußten mehr 'aufsagen' als
'darstellen' ".535
4.5 Das Stück "Das Märchen ohne Namen"
4.5.1 Inhaltsangabe
535
Kitsopoulos, Jiannis (Κιτσόπουλος, Γιάννης): Kritik der Aufführung "Papa, der Krieg" am Staatstheater
Nordgriechenland in der Zeitung "Makedonia" (Μακεδονία), 15.07.1987.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 160
Das Stück "Das Märchen ohne Namen"536 spielt in einem Königreich, in dem zur Zeit große
Armut herrscht. Der Palast erwartet die rettende finanzielle Hilfe aus dem Ausland. Der König
geht stehlen, um zu überleben, und läßt für seine Diebstähle Unschuldige verurteilen. Die versprochene Hilfe entpuppt sich als falsches Versprechen, statt dessen droht das Nachbarland
nun mit Krieg. Doch es ist kein Heer mehr da, welches das Vaterland verteidigen könnte. Der
Prinz und einige Vordenker in seiner Umgebung erkennen, wie ernst die Lage ist. Sie versuchen, das Volk aufzurütteln und ihm klarzumachen, daß es kämpfen und sein Vaterland, seine
Freiheit verteidigen muß. Tatsächlich gelingt es, das bisher faule und teilnahmslose Volk zu
überzeugen. Der Erfolg ist unerwartet beeindruckend. Das Volk kann den Feind verjagen und
feiert den Beginn einer neuen Friedensära.
4.5.2 Kommentar zum Titel
Dieser Titel wurde schon von Penelope Delta gewählt, der Autorin jener Erzählung, auf der
dieses Stück von Kambanellis beruht. Kambanellis übernahm den Titel unverändert, es gefiel
ihm, daß er vorab keinerlei Assoziationen ermöglichte, wie sie normalerweise bei Titeln von
Märchen anklingen. Die revolutionäre satirische und allegorische Einstellung, die das Stück
kennzeichnet, ist also schon am Titel erkennbar. Dieses Märchen hat also keinen Namen.
Hätte es einen Namen, so könnte es seinem Inhalt nach "Griechenland" heißen, oder "Armes
Griechenland", oder "Verratenes Griechenland".
4.5.3 Die Atmosphäre des Stückes
Griechenland
Unserer Frau Mutter wollen wir keine Hilfe geben,
nicht einmal eine Krücke neben ihr Kopfkissen,
denn sie wird jeden Tag ihre Kinder prügeln,
und sollte ich sprechen, wird sie mich einen Taugenichts schimpfen.
Auch wenn sie täglich prügelt, wen sie gerade will,
werden wir alle geknechtete Händler.
Unsere Jugend verliert sich in schmutzigen Gäßchen,
mit unserer Körperlänge vermessen wir die Erde.
Und wenn ich möchte, daß nun meine Stimme erklingt,
packt mich die Angst vor fernen Schatten.
Wertvoll wie Gold ist mir Deine Gesellschaft im Leben,
und Deine Schönheit heilt meinen Kummer.
Ach Alter, setz Dich und erzähle uns die Geschichte,
wie unser Mütterchen damals war, in alter Zeit.
Bekamen wir Schläge, sobald es einmal Geschrei gab,
oder wiegte sie uns mit Küssen und Zärtlichkeit.
Lengo, Lengo, Lengo, Lengo,
Du bedrückst mein Herz so sehr,
Lengo, Lengo, Lengo, Lengo,
Du verdirbst mir jede Freude.
536
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): "Das Märchen ohne Namen" (Παραµύθι χωρίς όνοµα), in
(ders.): Theater, Bd. 2, Athen 1979, S. 17 - 124.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 161
Dann wurde der Alte ein wenig ernster,
kratzte sich am Schädel und bestellte einen Kaffee.
Die Mutter, sagte er, war eins ein süßes Mädchen,
ein Waisenkind, und pflückte Blumen im Garten.
Die Blumen schmückten ihren stolzen Kopf,
doch wenn sie schlief, rutschten sie wieder zur Erde.
Und von jenen Blumen, die Charon hinzugefügt hatte,
durfte nur ich das Leben sehen.
So also, Kinder, war früher das Mütterlein,
nicht später, als sie von Räubern überlaufen wurde.
Unser süßes Mädchen wurde als Greisin verkleidet,
durch ihre Lumpen sah man ihre Wunden.
Auch wenn sie hemmungslos auf uns eindrischt und schreit,
wägt sie doch viele Interessen gegeneinander ab.
Der Traum, der entschwindet, erschreckt sie,
da sie sieht, sie sucht nach einer verlorenen Freiheit.
Lengo, Lengo, Lengo Mama,
im Schornstein das Feuer,
Lengo, Lengo, Lengo Mama,
sag uns noch einmal, was Du wirklich willst.
Musik und Text von Jiannis Markopoulos537
Wie Jiannis Markopoulos in seinem Gedicht, so gibt Iakobos Kambanellis in diesem Stück ein
Bild von Griechenland. Griechenland ist das Land der Widersprüche, in dem viele und
sinnlose Kriege einander ablösen, wo junge Menschen sterben müssen und Geschwister sich
hassen. Griechenland ist wie eine Mutter, die ihre Kinder abwechselnd streichelt und prügelt.
Ihre Schönheit und ihr Reichtum an Emotionen steht in einem scharfen Kontrast zu der
blutigen Geschichte des Landes.
4.5.4 Zielsetzung des Autors
Das 1959 neu gegründete Schauspielensemble "Neo Theatro"538 bestellte bei Kambanellis ein
Stück, mit dem es seine Auftritte beginnen wollte. Es sollte auf der gleichnamigen Kindererzählung der Autorin Penelope Delta basieren, die sehr bekannt war und von Jung und Alt mit
Begeisterung gelesen wurde, "Das Märchen ohne Namen"539. Seine Handlung entsprach
ziemlich genau dem, was man unter 'Volkstheater' verstand.540 Kambanellis komplettierte
537
538
539
540
Dieses Lied wurde wenige Jahre nach der Entstehung des Stückes "Das Märchen ohne Namen" von dem
Komponisten Jiannis Markopoulos (Γιάννης Μαρκόπουλος) geschrieben und komponiert. Es hat keinen
direkten Bezug zu Kambanellis' Stück, sondern gehört zu Markopoulos' Liederzyklus "Chronik" (Χρονικό),
fertiggestellt gegen Ende der 60er Jahre. Darin wird Griechenland auf eine vergleichbare Weise wie bei
Kambanellis personifiziert. Dieses Selbstbild war in Griechenland in jener Zeit sehr weit verbreitet, es
illustriert das Gefühl von Machtlosigkeit angesichts wechselnder Militärregime, der Bedrohung durch die
Türkei und indirekt durch die USA.
Informationen zu diesem Ensemble siehe FN 124.
Delta, Penelope (∆έλτα, Πηνελόπη): Das Märchen ohne Namen (Παραµύθι χωρίς όνοµα). Athen 1985
(Neuauflage).
Kambanellis selbst wie auch die meisten Mitglieder des Ensembles stimmten darin überein, daß "... die
Erzählung 'Das Märchen ohne Namen' von Penelope Delta optimal den Kriterien des Volkstheaters
entsprach", welches hoffte, viel zur Erneuerung des griechischen Theaters beitragen zu können. Siehe
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 162
hiermit seine Trilogie von allegorisch-historischen Satiren, die "Trilogie des Krieges" genannt
wird, da der Krieg in allen drei Stücken eine wichtige Achse des Geschehens darstellt.
Die Leiter des Ensembles entschieden sich für Kambanellis als Autor für ihr erstes Stück,
denn trotz seiner Jugend war er schon damals sehr erfolgreich. Ein Stück von ihm war schon
am Nationaltheater gespielt worden, während sein Stück "Der Hof der Wunder" vor knapp
zwei Jahren am "Theatro Technis" überwältigenden Erfolg gehabt hatte. In dem Vorwort541,
welches Kambanellis anläßlich der ersten Aufführung des Stückes im Programmheft schrieb,
führte er aus, daß der Text der ursprünglichen Vorlage das Beispiel einer sehr gelungenen
literarischen Arbeit darstelle, denn er beinhalte nicht nur Satire, Poesie, mitreißende Dramatik
und in sich widersprüchliche Charaktere, sondern wahre auch stets den Bezug zur Realität.
Alle diese Eigenschaften, auf denen die Inszenierung beruhte, seien schon in der Vorlage
enthalten. Grundthema des Stückes ist die Krise, die unter Mitwirkung Aller zu einem neuen
Anfang führt, und die harmonische Vermischung von Satire und Poesie mit dem Realismus.
4.5.5 Reaktion der Kritik auf die Uraufführung des Stückes "Das Märchen
ohne Namen"
Fast die gesamte Kritik verglich das Stück von Kambanellis mit der Vorlage, der fast 50 Jahre
älteren Erzählung von Penelope Delta. Irini Kalkani meinte, der Text von Delta passe genau in
die Zeit seiner Entstehung, denn damals mußte Griechenland die Niederlage des Krieges von
1897 verdauen, die es erlitt, weil eben die erwartete Hilfe fremder Kräfte nicht eintraf. Die
Zielsetzung im Stück sei klar, sie verleihe ihm gewissermaßen ein Rückgrat, welches in
Kambanellis´ Version fehle. Der Dramatiker habe sich die undankbare Aufgabe gestellt, seine
eigenen Gedanken mühsam in die Form der schon vorhandenen Erzählung zu pressen. Nach
Kalkani's Ansicht ist das Stück daher "ohne Zusammenhalt, ohne Fluß, ohne Anfang und
Ende, und daher ohne innere Notwendigkeit und ohne Begründung."542 Auch Aggelos
Terzakis war sich über die theatralische Wirksamkeit nicht ganz im Klaren. Immerhin
versuchte Kambanellis seiner Ansicht nach, indem er die Bedeutung des Stückes weiter faßt,
etwas sehr Schwieriges: "Wenn der Sinn des Stückes sehr programmatisch herausgearbeitet
würde, bekäme es eine Schwere. Würde es in der Form seiner Entstehungszeit fest bleiben,
würde es vielleicht den Kontakt zum heutigen Leben verlieren".543
Stathis Spiliotopoulos kritisierte, die Themen des Theaterstückes seien nicht mehr besonders
aktuell. Das national inzwischen durchaus selbstbewußte Griechenland hätte keinerlei Grund
mehr, als jenes verelendete Märchenland beschrieben zu werden, in dem Penelope Deltas
"Das Märchen ohne Namen" spielt. Seiner Meinung nach hätte das Stück nur dann eine
Chance gehabt, aus sich selbst heraus tragfähig zu sein, wenn es durch Kambanelli's
Umarbeitung ganz ohne einen konkreten Bezug zu einem realen Raum und Zeit spielte.544
541
542
543
544
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Vorwort im Programmheft zur Aufführung des Stückes "Das
Märchen ohne Namen" am "Kratiko Theatro Voriou Ellados" in Thessaloniki, 1978.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Vorwort im Programmheft zur Uraufführung des Stückes
1959 am "Neo theatro", in (ders.): Theater, Bd. 2., Athen 1979, Seite 16.
Kalkani, Irini (Καλκάνη, Ειρήνη): Kritik der Uraufführung des Stückes "Das Märchen ohne Namen" am "Neo
theatro" 1959, in der "Apogevmatini" (Απογευµατινή), Oktober 1959, in: Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd.
2, Athen 1979, S. 309 - 312.
Terzakis, Aggelos (Τερζάκης, Άγγελος): Kritik der Uraufführung des Stückes "Das Märchen ohne Namen"
am "Neo theatro" 1959, in der Zeitung "To Vima" (Το Βήµα), Oktober 1959, in: Kambanellis, Iakobos:
Theater, Bd. 2, Athen 1979, S. 312 - 314.
Spiliotopoulos, Stathis (Σπηλιωτόπουλος, Στάθης): Kritik der Uraufführung des Stückes "Das Märchen ohne
Namen" am "Neo Theatro" 1959, in der Zeitung "Akropolis" (Ακρόπολις), Oktober 1959, in: Kambanellis,
Iakobos: Theater, Bd. 2, Athen 1979, S. 315 - 316.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 163
Kostas Ouranis war ebenfalls der Ansicht, man hätte das Stück besser an die Aktualität
anpassen sollen. Dennoch äußerte er seine Anerkennung dafür, daß es sich um eine wirklich
beißende Satire handele, die noch dazu eine gewisse Botschaft der Hoffnung sende.545 Die
Einschätzung des Kritikers Kleon Paraschos ging ebenfalls in diese Richtung, er begrüßte, daß
diese mutige Satire nichts unausgesprochen ließ.546 Jerasimos Stavrou war der einzige, der das
Stück nicht mit seiner Vorlage verglich, sondern nur für sich alleine betrachtete. Er sah darin
ein Panorama des griechischen Lebens mit "reinen Stücken der umgebenden Wirklichkeit,
dargestellt mit unvergleichlicher Frische". Dennoch bemängelte er, daß ein inneres Gerüst des
Stückes fehle und daß es nur rein formal die Regeln des epischen Theaters erfülle, auch wenn
gewisse Brecht'sche Einflüsse erkennbar seien.547 Er war dennoch von dem Stück so
begeistert, daß er seine Leser aufforderte, es ohne Vorbehalte zu akzeptieren als ein weiteres
Theaterstück von Kambanellis, der die griechische Theaterlandschaft schon so oft bereichert
hatte.
Die Kritik schwankte also zwischen der Einschätzung, es handele sich um eine mißlungene
Adaptation ("überschwemmt von gedankenloser Unendlichkeitslaberei")548, und der Anerkennung für "ein Experiment im Vakuum".549 In jedem Fall gestand man Kambanellis zu, in
diesem Stück einige sehr überzeugende Charaktere geschaffen zu haben, die einem noch lange
im Gedächtnis blieben (so nach Ansicht von Kalkani die Rollen des Lehrers und der Armen
Mutter550). Man lobte ihn dafür, den Frieden als oberstes Gut darzustellen.551
4.5.6 Die dramaturgische Entwicklung des Stückes von der
Bewegungslosigkeit zur Aktion, und der Krieg als Retter
Das Stück bewegt sich im Raum der Märchen, nichts weist eindeutig darauf hin, in welchem
Raum und in welcher Zeit es spielt. Die handelnden Personen stammen aus der Erzählung von
Delta, auch wenn ihre Namen und ihre Charaktere verändert wurden. Das Stück ist in zwei
Akte gegliedert, davon umfaßt der erste fünf Bilder, der zweite vier. Zwischen den Bildern
erklingt jeweils ein Lied. Auch hat jedes Bild einen eigenen Titel, der darauf hinweist, in welcher räumlichen Umgebung sie sich abspielt.
Das erste Lied stellt einen Prolog dar, in dem wir in ein Land mitgenommen werden, in dem
einst ein König herrschte, der ein "gutes Menschlein" war, mit Schwächen wie der Neigung
zum Rausch und zur Faulheit. Diese erweisen sich auch als fatal für sein Reich. Es verfällt
zusehends, die Menschen leiden unter Armut, Hunger und dem Druck, auszuwandern, um
Arbeit zu finden.
Das erste Bild spricht schon alle diese Motive an. Sein Titel lautet "Im Palast" (S. 21), und
damit ist der Ort bezeichnet, an dem es stattfindet. Allerdings ist der Palast sehr heruntergekommen, es herrscht schreckliche Armut. Die Türen sind herausgerissen, es ist keine Einrich545
546
547
548
549
550
551
Ouranis, Kostas (Ουράνης, Κώστας): Kritik der Uraufführung des Stückes "Das Märchen ohne Namen" am
"Neo Theatro" 1959, in der Zeitung "Ethnos" (Έθνος), Oktober 1959, in: Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd.
2, Athen 1979, S. 316 - 318.
Paraschos, Kleon (Παράσχος, Κλέων): Kritik der Uraufführung des Stückes "Das Märchen ohne Namen" am
"Neo Theatro" 1959, in der Zeitung "Kathimerini" (Καθηµερινή), Oktober 1959, in: Kambanellis, Iakobos:
Theater, Bd. 2, Athen 1979, S. 314 - 315.
Stavrou, Gerasimos (Σταύτου, Γεράσιµος): Kritik der Uraufführung des Stückes in der Zeitung "Avgi"
(Αυγή), Oktober 1959, in: Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd. 2, Athen 1979, S. 318 - 321.
Spiliotopoulos, Stathis, wie FN 544.
Terzakis, Aggelos, wie FN 543.
Kalkani, Irini, wie FN 542.
Paraschos, Kleon, wie FN 546.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 164
tung mehr vorhanden, alles löst sich auf. In dem Moment, als der Vorhang hochgeht, sieht
man den König, der schläft, die Königin beim Bügeln und den Prinz, der zwischen Stapeln
von Büchern herumsucht. Das Bild wird von dem Motiv des Hungers geprägt, der im Palast
herrscht. Die königliche Familie hat nichts anderes im Kopf als das Problem, satt zu werden.
Eine kräftige Übertreibung liegt darin, daß die Palastbewohner noch hungriger dargestellt
werden als ihre Untertanen. Ihre Unfähigkeit, ihren Lebensunterhalt zu sichern, zwang sie
dazu, einen Gesandten um Hilfe ins Ausland zu schicken, doch dieser ist nun schon sechs
Jahre lang fort.
Der König träumt im Schlaf von üppigsten Tafeln und interpretiert dies als gutes Omen dafür,
daß die Hilfe bald kommen wird. Wenn er allerdings darüber nachdenkt, wer an dieser mißlichen Lage schuld ist, kommen die Untertanen in sein Blickfeld: "Es ist eine Schande! Ein
ganzes Volk, und es ist nicht fähig, eine königliche Familie zu ernähren! Eine Schande für ein
solches Volk mit so einer glorreichen Vergangenheit!" (König, S. 25). Der König war deswegen sogar schon selbst zwischenzeitlich ausgewandert. Er ging zu einem Onkel, der seinerseits
König in einem reichen Land war; dort mußte unser König wenigstens nicht hungern - nach
dem Motto 'Rette sich, wer kann'.
Da kommt das Mädchen Maria, welches dem König aus Mitleid gelegentlich etwas zu essen
bringt. Sie hat ein Problem: Ihr Vater wird fälschlicherweise wegen Diebstahls angeklagt. Sie
bittet den König, ihn zu begnadigen: "Bitte rette meinen Vater" (Maria, S. 29). Seine Antwort
darauf ist: "Kann ich noch ein bißchen Spinatquiche haben?" (König, S. 29). Um zu etwas
Essen zu gelangen, wird er einen Unschuldigen der Justiz vorführen. Dabei kommt heraus,
daß jene Lebensmittel, die man dem Eisenschmied gestohlen zu haben vorwirft, tatsächlich
vom Obersteuermann des Königs entwendet wurden, und zwar am Geburtstag des Prinzen.
Hier zeigt sich deutlich, welche Haltung der König einnimmt: Sein persönlicher Profit ist
allemal wichtiger als die Gerechtigkeit. Nachdem er alles nach Wunsch eingerichtet hat,
verkündet er, daß er sich in das Werk der Justiz nicht einmischen wird, und zieht sich zurück.
Gegen diesen König, dem sein persönlicher Nutzen über jeden anderen Wert geht, und schon
gleich über jegliches Interesse der Allgemeinheit, und dessen wichtigste Strategien der
Diebstahl, die Lüge und die Flucht sind, erhebt sich nur eine ehrliche Stimme, nämlich die des
Prinzen. "Und wer wird hingehen und sagen, daß ihr Vater kein Dieb ist?" (Prinz, S. 31). Der
Ministerpräsident erwidert ihm darauf: "So etwas sagt man nicht, Eure Hoheit."
(Ministerpräsident, S. 31). Die Werte, man sollte besser sagen 'die Antiwerte', auf die sich die
Regentschaft bisher gestützt hatte, sind einfach gegeben, niemand möchte das Risiko eingehen
und sie umwerfen.
Wenn nach dem Ende des ersten Bildes der Vorhang fällt, erklingt das Lied des Eisenschmiedes, in dem erwähnt wird, wie traurig sein Schicksal ist, da es so schwierig ist, der Wahrheit
zu ihrem Recht zu verhelfen, so sehr er auch darum kämpft. Damit kündigt sich auch schon
die Wendung des zweiten Bildes an, welches als Thema die Gerichtsverhandlung hat.
Das zweite Bild hat den Titel "Gerichtsverhandlung auf dem offenen Platz" (S. 32). Die Verhandlung gegen den Eisenschmied wird im Freien gehalten, unter Teilnahme der
Öffentlichkeit. Viele Bürger sind anwesend, die den Vorgang verfolgen. Der Richter baut
seine Fragen so auf, als wäre der Eisenschmied schon vorher rechtskräftig verurteilt worden,
und er habe dies nur noch einmal zu bestätigen. Er bedient sich einer hochoffiziellen Sprache
und fragt den Eisenschmied immer wieder eindringlich: "Schwörst du, daß du die Wahrheit
gesagt hast?" (Richter, S. 33). Er kennt weder die Personen noch die Dinge, um die es geht,
möchte darüber auch gar nichts erfahren. Er hält sich an kurze Zusammenfassungen und hat es
eilig, zu den Schlüssen zu gelangen, die offensichtlich schon vorher gefaßt wurden. Als der
Prinz kommt, der als Zeuge zugunsten des Eisenschmieds auftritt, sagt der Richter, die Zeit
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
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sei abgelaufen, denn sein Plan für dieses Verfahren sieht keine Zeugen zugunsten des
Eisenschmiedes vor. So nimmt er nun den Prinzen ins Kreuzverhör, um die Enthüllung der
Wahrheit weiter zu hintertreiben. Die satirische Verve des Autors macht den Richter
lächerlich, als er so weit geht, zu fragen, ob das Huhn, das im Palast gegessen worden war,
das gleiche sei wie das gestohlene. Er kommt daraufhin zu dem Schluß, daß nicht genug
Beweise für diese Annahme vorliegen und bricht die Verhandlung deswegen ab.
Neben dieser Gerichtsverhandlung, die mit einem offiziellen Richter und nach dem
Buchstaben des Gesetzes abläuft, findet in der gleichen dramatischen Zeit und im gleichen
dramatischen Raum eine weitere Verhandlung statt, die wie ein Volkstribunal abläuft. Dessen
Richter ist die Arme Mutter, welche über die richterliche Hoheit, über die Anwesenden und
über den Prinzen richtet. Ihr ist vollkommen bewußt, daß die Wahrheit dem Eisenschmied
bisher noch kein bißchen geholfen hat. "Diese [die Wahrheit] sprach er in seinem ganzen
Leben, erkennst du das nicht an seinem Elend?" (Arme Mutter, S. 33). Dennoch wird weder
der Eisenschmied noch sie selbst sich ändern können. Die Arme Mutter bezweifelt die
ehrliche Haltung und die Neutralität des offiziellen Gerichts und spricht selbst Recht, indem
sie mit ihren Kommentaren ständig den Ablauf stört. Sie greift auch das Volk an, das mit
seiner Passivität und seiner Duldsamkeit die Ungerechtigkeit der Justizinstanzen ermöglicht
und das schweigt, anstatt für den Eisenschmied Partei zu ergreifen, der doch stellvertretend
für alle anderen Untertanen vorgeführt wird.
Sie möchte die ethischen Reflexe des Volkes ansprechen und macht den Menschen klar, daß
es auch ihre eigene Unbeweglichkeit ist, die nicht nur verhindert, daß dieses Gericht gerecht
arbeitet, sondern auch jeglichen sonstigen Ansatz für Fortschritt zunichte macht. "Also, ich
sage euch, daß ihr deswegen hungert und elend lebt und keine Rettung habt. Weil ihr eure
persönliche Ehre und eure Lebendigkeit verloren habt." (Arme Mutter, S. 64). Als nun unerwartet der Prinz auftritt, ist das für die Arme Mutter nichts weiter als noch ein Argument für
ihre Sichtweise. Ihre Logik wird noch entwaffnender. Daß er sich weigert, die Wahrheit mutig
aufzudecken, gibt ihr die Sicherheit, zu wissen, wo die Verantwortung für die Mißstände liegt.
Die Adligen geben das Beispiel, die Untertanen folgen ihnen. "Und ich bereue, daß ich jene
armen Kerle beschuldigt habe. Es ist ungerecht, wenn ich von ihnen erwarte, daß sie besser
sein sollen als Deine Hoheit." (Arme Mutter, S. 36). Die Verantwortung der Menge wird
gleichgesetzt mit der Haltung des Prinzen, der die Ungerechtigkeit zwar sieht und erkennt,
aber nicht den Mut hat, sie anzuprangern. Ein beredter Gegensatz baut sich auf zwischen dem
bedauernswerten Prinzen, der nach dem Angriff der Armen Mutter nun sprechen muß, und der
spürt, daß ihre Worte in ihm eine Resonanz an Menschlichkeit finden, und der Armen Mutter
selbst, die ganz bewußt für die Wahrheit kämpft, indem sie in die verlogene Verhandlung
eingreift und sie entlarvt.
In diesem Moment wird nun die Verhandlung unterbrochen, eine weitere Überraschung tritt
ein: Die Menge erfährt, daß die so flehentlich herbeigesehnte Hilfe des Onkels des Königs
eingetroffen sei. Während sie bisher das Geschehen in völligem Schweigen verfolgte, wird sie
nun laut. Freudenrufe, laute Trommelschläge und Schreie sind zu hören. Doch nun tritt zum
ersten Mal ein Einzelner aus der Masse der Menge: Michalis distanziert sich auch räumlich
von den dümmlichen, raschen Freudenbekundungen seiner Mitbürger und äußert seine
Zweifel, ob diese Hilfe denn wirklich gewährt wurde. Die Menge ärgert sich über sein
Mißtrauen und verprügelt ihn. Dieses Motiv unterstreicht das Schicksal jener Bürger, die sich
nicht den Aufforderungen der Masse unterordnen. In der nächsten Szene wird dann auch klar
werden, daß die Hilfe tatsächlich doch nicht gewährt wurde.
Die zweite Szene endet mit einem Lied des Michalis, in dem er den Rat gibt, man solle die
Wahrheit lieber für sich behalten und, auch wenn man es besser wisse, nicht den Vielen
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 166
widersprechen. Dieses Lied wirkt als Gegenentwurf zum Lied des Eisenschmiedes. Während
der Eisenschmied die Wahrheit beschwor, die aber keiner wissen wollte, wird hier die
Meinungsfreiheit nicht zugelassen, sobald sie von den Ansichten der anderen abweicht.
Das dritte Bild hat den Titel "Vor dem Palast" (S. 40). In diesem Bild treffen Adlige und
Untertanen aufeinander. Der König und seine Familie schicken sich gerade an, den Palast zu
verlassen; sie haben Angst, die Menge könnte den Palast stürmen, nachdem herauskam, wer in
Wahrheit das Huhn gestohlen hatte. Die Angehörigen des Volkes haben sich aber nur deswegen vor dem Haus versammelt, weil sie gehört hatten, der Onkel des Königs hätte seine Hilfe
geschickt. Während sie nun warten, erinnern sie gemeinsam die Vergangenheit, nämlich jene
Zeit, als der heutige König noch jung war und gerade den Thron bestiegen hatte. Alle hofften
damals auf eine glückliche Zeit in Frieden, nachdem sie gerade den Horror des Krieges hinter
sich gelassen hatten. "Und was sagten wir damals?" (Obermeister, S. 42). Worauf Spyros
antwortet: "Daß wir den Krieg gewonnen haben, daß Frieden und Freiheit uns nun sicher sind,
daß wir nun einen neuen König haben ... daß in diesem Land nun Milch und Honig fließen
werden" (Spyros, S. 42). Um die Erinnerungen zu intensivieren, öffnet einer nach dem
anderen seine Kleidung und zeigt vernarbte Kriegswunden. So dämmert langsam das Motiv
des Krieges herauf, mit dem die Szene auch enden wird.
Der König bekommt angesichts der Volksmenge die Panik, beruhigt sich aber, als er erfährt,
wieso die Menschen gekommen sind. Unter ihrem lautem Jubel wird der Brief des Onkels
vorgelesen, der dem Paket beigelegt war. Darin schreibt er, daß offensichtlich die finanzielle
Hilfe, die er schon seit längerer Zeit immer wieder gewährt, nicht ausreiche. Deswegen habe
er beschlossen, ihnen nun eine ein für alle Male genügende Unterstützung zu senden. Als nun
das Paket geöffnet wird, springt daraus ein Eselskopf hoch. In seinem Maul hält er einen
weiteren Brief, der klarmacht, welcher Art diese Hilfe sein soll: Erst sollten sie sich ohne
Gegenwehr ergeben, dann bekommen sie alle Hilfe, die sie brauchen. Die Szene ist sehr
theatralisch und verbindet groteske Wirkungsabsichten mit der Dramatik. Der König und das
verelendete Volk haben gemeinsam alle ihre Hoffnungen auf das Paket gesetzt, und diese wird
völlig enttäuscht. Es bleibt nur ein Hauch von böswilligem Karneval. Diese Clownerie
veranlaßt die Menschen in der Menge zu unterschiedlichen Reaktionen, beispielsweise: "Der
Tavernenwirt bricht in gellendes Gelächter aus, hält sich den Bauch und geht hinaus, während
die anderen ihm kummervoll zusehen." (Szenische Anweisungen, S. 47).
Das Lächeln gefriert auf den Gesichtern der Zuschauer, während auf der Bühne die königliche
Familie bis auf den Prinzen eilig in den Palast geht. Das Volk möchte nun wissen, was dieses
Geschenk des Onkels bedeutet. Der Obermeister sagt knapp: "Krieg." (Obermeister, S. 48).
Das, was ihnen eben noch so fern der Realität geschienen war, schließlich lag der vorangegangene Krieg schon 24 Jahre zurück. Schließlich gehen auch die Menschen in ihre Häuser
zurück, allein die Stimme des Obermeisters erklingt noch, der sie aufruft: "Landsleute!..."
(Obermeister, S. 48). Als er nun alleine auf der Bühne zurückbleibt, nimmt er den Eselskopf
in die Hände und singt das Lied der Schande, welches diese Szene beendet. Scham und
Schmerz fügen sich zusammen zu einer verzweifelten Zukunftsangst. Der griechische
Zuschauer im Jahr 1959 sah natürlich sofort die Parallelen zu seiner Aktualität: In jenem
Jahrzehnt war Griechenland in die NATO aufgenommen worden. Der Absender des
Eselskopfes ist also gleichzusetzen mit Amerika, das Griechenland wirtschaftlich und
militärisch durchaus großzügig unterstützte, aber um den Preis einer völligen Aufgabe all
dessen, was man eine autonome, selbstbestimmte nationale Politik hätte nennen können. Statt
dessen fand sich Griechenland in einem Netz von immer engmaschigeren Verpflichtungen
und Abhängigkeiten wieder.552
552
Jianoulopoulos, N. Jiannis, wie FN 355, S. 157.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 167
Das vierte Bild heißt "Im Militärlager" (S. 49). In jedem der bisherigen Bilder war eine wichtige Instanz des Miteinanders kritisch beleuchtet worden (Bild 1: Exekutive, Bild 2:
Rechtssprechung, Bild 3: Die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Ausland). Nun ist das Militär
an der Reihe. Der König fährt zum Militärlager und ruft zum Appell, doch keiner erkennt ihn,
keiner hört auf ihn. Schließlich erscheint ein Hinkender und erklärt: "Heer anwesend"
(Hinkender, S. 52), und ein Einhändiger meldet: "Marine anwesend" (Einhändiger, S. S, 53).
Diese beiden sind tatsächlich die letzten Überreste des einst stolzen Heeres. Immerhin, so
lächerlich sie auch sein mögen, sie haben in den letzten Jahren alleine die Grenzen des Landes
verteidigt. Der Hinkende sah sich im Laufe von 30 Jahren im Dienst gezwungen, viele andere
Berufe auszuüben, um seine Aufgabe treu zu erfüllen. Und auch jetzt, wo wieder ein Feind
anrückt, erklärt er: "Der Feind kann nur über meine Leiche kommen." (Hinkender, S. 53).
Dieser heroische Mensch, der gleichzeitig durchaus lächerlich ist, setzt den Palast über seine
eigenen Pflichten, doch der König erkennt das weiterhin nicht an. Ihm sind immer noch seine
persönlichen Interessen wichtiger als die des Landes. "Wo können wir noch andere Menschen
wie dich finden?" (Theodoros, S. 53). Der Hinkende antwortet: "Gebt das gute Beispiel, dann
findet ihr sie." (Hinkender, S. 53). "Ich nehme meinen Premierminister und gehe ... ich habe
Hunger, ich bin müde!" (König, S. 53).
In diesem Moment kommen der Eisenschmied und die Arme Mutter dazu. Der Prinz zeigt
dem Eisenschmied den Eselskopf, und dieser entgegnet: "Das darf nicht unvergolten bleiben."
(Eisenschmied, S. 55). Da ihm bei dem Gerichtsverfahren Unrecht geschehen war, bereitet er
sich gerade vor, sein Heimatland zu verlassen. Doch nun hat er einen wichtigen Grund,
hierzubleiben und um sie zu kämpfen. Das Symbol der Schmach, den Eselskopf, erhebt er wie
eine Fahne, und bittet König und Prinz, rechts und links von ihm in der vordersten Reihe
einen Marsch anzuführen. Er kennt die Psychologie der Massen und weiß, daß diese sich sehr
davon beeinflussen lassen, was der König und sein Gefolge tun. Gleichzeitig testet er, ob
seine eigene Überzeugung ansteckend genug ist, um auch den König mitzureißen. "Bei
meinem Glauben, Ihr Herren, auch wenn Ihr nicht mitkommt, ist es mir egal. Ich gehe auf
jeden Fall, und sei es auch alleine." (Eisenschmied, S. 57). Der König ist sich genau bewußt,
wie viel schwächer seine Position ist als die seines Onkels. Feige und unterwürfig, ohne
Rückgrat, weigert er sich, in dieser Situation Stellung zu beziehen. Er flüstert nur: "Wenn das
der Onkel erfährt, ist es unser Ende." (König, S. 56). Der Prinz dagegen faßt allmählich Mut
und distanziert sich langsam immer mehr von der Haltung seines Vaters. Er zeigt, daß er
bereit ist, an der Seite jener zu bleiben, die die Schande abwaschen wollen. Er stellt seine
persönlichen Interessen hintan und ist bereit, zu kämpfen. "Nein, wir werden alle zusammen
gehen." (Prinz, S. 57).
Es folgt das fünfte Bild, welches, wie der Titel besagt, "In der Taverne" (S. 57) spielt.
Zwischen viertem und fünftem Bild gibt es kein Lied. Der Autor hat mit der Bewußtwerdung
des Volkes und der Notwendigkeit einer Handlung eine starke Spannung aufgebaut, die er bis
zum Ende des sechsten Bildes ohne Unterbrechung hält. Erst danach wird wieder ein Lied
erklingen, in welchem ein alter Seemann als Held gefeiert wird. Bis dahin sieht man, wie sich
die Bewußtwerdung immer mehr in konkrete Handlung umsetzt. Nachdem im vierten Bild die
Meinung der Herrscher und des Militärs zum möglichen Krieg beleuchtet wurden, ist nun die
Meinung des Volkes über die hereinbrechende Bedrohung das zentrale Motiv des Bildes. Die
Menschen sammeln sich in der Taverne, in der sie offensichtlich überhaupt viel Zeit
verbringen, da sie alle anderen Beschäftigungen aufgegeben haben. Sie sind erstarrt und
fürchten, daß die Bedrohung durch Krieg ihr kleines Leben, so wie sie es eingerichtet haben,
gefährden wird. Sie hoffen, das bewaffnete Heer des Feindes möge rasch einmarschieren,
damit wenigstens dieser unklare Schwebezustand beendet wäre. Gleichzeitig freuen sie sich,
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 168
daß sie von einem faulen König regiert werden, der sie nicht zu einem Kampf für das
Vaterland zwingen wird.
"Meine armen Schlucker, stellt euch mal vor, wir hätten einen dynamischen Haudrauf zum
König, der euch nun mit Gewalt zu eurer Pflicht schleift. Liebt euren König!" (Spyros, S. 58).
Tatsächlich lieben sie ihren König, denn in Unbeweglichkeit und Gleichgültigkeit ist er, wie
sie selbst sind. Sie lieben diese Einstellung, während sie die Bereitschaft, um die Nation zu
kämpfen, als Verrat einschätzen.
Der Prinz trifft nun mit dem Eisenschmied und den anderen Menschen, die zu handeln bereit
sind, in der Taverne ein. Der Prinz versucht, die Stammgäste dort ebenfalls zu mobilisieren,
indem er sie zum Kampf um die Ehre des Vaterlandes und um die Ehre der Waffen auffordert.
Doch der Eisenschmied unterbricht ihm, denn er als Mann aus dem Volk weiß besser, mit
welchen Argumenten man die Menschen motivieren kann. Er rät dem Prinzen, ihre Aufmerksamkeit lieber auf die alltäglichen Probleme zu richten, die der Feind im Falle eines Sieges
bereiten würde, als auf abstrakte Werte. "Was soll ich denn noch sagen?" (Prinz, S. 62). Der
Eisenschmied antwortet: "Wahrheiten. Daß der Feind unerträglich hohe Steuern einfordern
wird, daß er ihnen ihre Felder und ihre Kinder wegnehmen wird." (Eisenschmied, S. 62). Der
Eisenschmied ist es auch, der seinen Mitbürgern spontan ein neues Werkzeug der demokratischen Mitbestimmung anbietet. "Wann waren denn vorher der König und sein Sohn zu uns
heruntergestiegen? Wann hatten wir bisher je die Chance, auch einmal das Wort zu
ergreifen?" (Eisenschmied, S. 63).
Der Obermeister übernimmt stellvertretend für alle nun die Aufgabe, die Lage aus der Sicht
der einfachen Menschen zu schildern. Das Leben in der Taverne und die Zuflucht zum
künstlichen Traum des Alkohols sind Folgen der Arbeitslosigkeit, welche im Inneren jedes
Betroffenen Einsamkeit und Kummer hervorruft, doch auch den Gedanken, daß nicht nur
jeder einzeln für sich betroffen ist, sondern die ganze Stadt, die wie ein untergehendes Schiff
scheint. Der Obermeister selbst steigt in die Diskussion darum ein, welche Motivation das
Volk haben kann, sich zu mobilisieren, und fragt konkret, mit welchen Gründen man ihn
persönlich dazu bringen möchte. Der Prinz antwortet ihm: "Damit du wieder so wirst wie
früher." (Prinz, S. 65). Der Eisenschmied bringt das Gespräch auf den Höhepunkt, indem er
darauf hinweist, daß nun die letzte Gelegenheit besteht, sich noch einmal zusammenzutun,
bevor die endgültige Katastrophe über sie hereinbricht. Es sollten nun also alle Kräfte vereint
werden, um den Feind abzuwehren und danach einen neuen, demokratischen Anfang zu
finden: "Entweder jetzt oder nie mehr ... Zum Teufel, seht ihr denn nicht auch, daß heute
Abend etwas geschieht, was nie zuvor geschehen ist?" (Eisenschmied, S. 65).
Ist es der Eisenschmied, der den Sinn einer neuen Bewegung formuliert, so überzeugt der
Prinz durch seine Taten, daß er wirklich auf der Seite dieser Bewegung ist und auch die
Möglichkeit hat, sie zu verwirklichen. Er gibt die Krone seines Vaters her, um die verkaufen
zu lassen. Von dem Erlös werden Waffen und Weizen gekauft. Der Prinz schlägt vor,
derjenige soll Anführer werden, der am vernünftigsten redet. Tatsächlich schlägt die
allgemeine Stimmung nun um, die Menschen rufen "Vivat" und begeistern sich für den König
als Symbol für die neuen Werte, an die sie nun glauben. Sie laufen an den Fluß und an die
Grenze, dorthin, wo später die Kämpfe stattfinden werden.
Das sechste Bild hat den Titel "Am Flußufer in der Sonne" (S. 69). Es folgt ohne Lied direkt
auf das fünfte Bild. Zu Beginn werden Momentaufnahmen aus dem Alltag während des Krieges gezeigt, die Waffenherstellung, die Austeilung von Essen durch den König und die Arme
Mutter, die Ankunft von Illegalen, die um Essen betteln. Danach reist der Lehrer an, welcher
auf eine Einladung vom Palast kommt. Er hatte bisher auf dem Lande gelebt und die Kinder
nicht unterrichtet, sondern für seine Zwecke ausgenutzt. Sie bearbeiteten sein Feld und
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 169
sammelten ihm Nahrungsmittel aus dem Wald. Der Staat hatte ihn vergessen und ihm auch
kein Gehalt mehr gezahlt, so daß er nur auf diese Weise sein Leben fristen konnte. Man hatte
ihn vergessen. In diesem sich auflösenden Staat war offensichtlich auch die Instanz der
Bildung heruntergekommen. Niemand kümmerte sich mehr darum, daß die Kinder auch nur
Schreiben und lesen lernten. Doch da nun das Land in der Hand des Prinzen und seiner
Mitstreiter ist, wird der Lehrer zurückgeholt und gebeten, das Bildungsniveau wieder
anzuheben. Er soll die analphabetischen Bürger leiten und ihrem Kampf eine geistige
Dimension geben. Der Prinz begründet seine Bitte folgendermaßen: "Lehrer, wir brauchen
dich. Wir alle sind Analphabeten." Weiter unten wiederholt er: "Wir sind auf dich
angewiesen." (Prinz, S. 81). Doch der Lehrer ist schon so desillusioniert, daß er nicht mehr
unterrichten und gar Werte weitergeben kann: "Ich bin so verbittert, daß ich nun nutzlos bin.
Sie irren sich, wenn Sie an mich glauben, Sie irren sehr... " (Lehrer, S. 81).
Als ein Intermezzo kommt nun die Unterhaltung der früheren heimlichen Liebenden, Alte
Mutter und Lehrer. Sie macht sich darüber lustig, daß er inzwischen so ein einsames Leben
führt. Danach wird der Lehrer, der kein Lehrer mehr ist, mit dem Admiral konfrontiert, der
kein Admiral mehr ist. Sozusagen als einen Test für die Haltung der anderen fordert der
Lehrer den Admiral auf: "Dann geh doch wieder zur See, wenn du den Mut hast!" (Lehrer,
S. 85). Tatsächlich bricht der Admiral in die Schlacht auf, er übernimmt sogar die gefährliche
Aufgabe, Schießpulver und Nahrungsmittel vom gegenüberliegenden Ufer zu holen, welches
schon der Feind erobert hat. Diese Haltung überzeugt nun auch den Lehrer. Nachdem er dieses
löbliche Beispiel gesehen hat, spricht er nun mit dem König und erklärt ihm, warum dieses
Land so niedergegangen ist, warum alle Menschen hier so gleichgültig geworden sind und
sich nur durchwursteln wollen, anstatt sich aufzuopfern. Es fehlen Ideen, die das Volk zu
gemeinsamer Handlung aufrütteln, und es fehlt das gemeinsame Handeln, denn vom Palast
angefangen bis in die ärmlichste Hütte hinunter versucht jeder nur, seine eigene Lage zu
verbessern.
Dieses Bild schließt mit dem Lied des Alten Seemanns, welches erklingt, während der
Admiral zum Kampf aufbricht. Die Hoffnung des ganzen Volkes ruht auf ihm. Dieses Lied
fungiert als Gegengewicht zu dem Lied der Scham, welches am Ende des vierten Bildes
erklungen war. Der Wunsch des Volkes, die Scham abzuwaschen und sich zu wehren, erreicht
hier seinen Höhepunkt in Gestalt eines Menschen, der aufgrund seines Alters eigentlich hinter
den Reihen bleiben sollte, und der sich doch in die vorderste Kampflinie einreiht.
Das siebte Bild heißt "Am Flußufer im Regen" (S. 88). Der Kampf mit dem Feind wird immer
verzweifelter. Die Soldaten verlieren allmählich den Mut, denn der Feind ist stärker als erwartet. Auch verbreiten sich Nachrichten: Der König habe seine Krone nicht verkauft, er wolle sie
lieber behalten für den Fall, daß er selbst fliehen wolle; eine erwartete militärische Unterstützung trifft nicht ein. Der Eisenschmied erkennt, daß in dieser schwierigen Lage jemand die
Leitung übernehmen muß, der durch sein Beispiel und seine Person überzeugt. Er bittet den
Prinz, aus der Menge der Kämpfenden herauszutreten und sie zu lenken. "Daß du keine Angst
hast, hast du schon gezeigt. Aber weißt du was, Prinzchen ... wenn du Anführer werden willst,
ist nun deine Stunde gekommen ... erinnerst du dich an jenen Abend, wo wir mit dem
Eselskopf wie mit einer Fahne loszogen?" (Eisenschmied, S. 96). Die bisher wenigen
Gefährten werden mehr und immer mehr. Nach Ansicht des Eisenschmiedes muß jetzt ein
Anführer her, der auch die Verantwortung übernimmt. Er schlägt vor, daß nur die im Kampf
bleiben sollen, die sich von Anfang an nicht gefürchtet haben. Wenn die anderen blieben,
wäre es nur ein sinnloses Opfer. Da auch der Obermeister und der Prinz diese Ansicht teilen,
rufen sie das Volk auf, es solle besser wieder zurückgehen.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 170
Genau in diesem Moment der Wende beschließt auch der Lehrer, sich dem Kampf anzuschließen. Damit soll ausgedrückt werden, daß man diesen Kampf eben nicht nur einem
erleuchteten Anführer und einer entschlossenen Avantgarde überlassen soll. Der Lehrer sagt
nun den alles entscheidenden Satz, mit dem er an das Gewissen jedes einzelnen appelliert:
"Entweder bleiben wir alle, oder es bleibt keiner ... Schluß mit den Ausnahmen. Es gibt nicht
mehr die Wenigen und die Vielen ... wir essen die gleiche miese Suppe und wir träumen den
gleichen Traum!" (Lehrer, S. 98). Da dieser Traum gemeinsam ist, soll auch die Mühe
gemeinsam sein, die aufgewandt wird, um ihn zu erreichen. Dieser Gedanke wird sämtliche
Kräfte des Reiches sammeln und bündeln, Selbsttäuschungen und billige Beruhigungen
zählen nicht mehr. "War es vielleicht doch falsch, alles von anderswo her zu erwarten?
Vielleicht gibt es ja doch in diesem Land schon alles, was wir brauchen, wieso haben wir nach
rechts und links geschielt?" (Eisenschmied, S. 98). Das ist die zentrale Frage, die sich jeder
einzeln und alle gemeinsam beantworten müssen. Damit wird das Volk reif für einen neuen,
verantwortungsvollen Weg. In den szenischen Anweisungen am Ende dieses Bildes steht:
"Von ganz fern, fast wie gemurmelt, hebt das 'Lied des Jungen Helden' an, das langsam lauter
wird und schließlich zu einem explosiven, überzeugten 'Nein' jedes Einzelnen und aller
gemeinsam wird." (Szenische Anweisungen, S. 99).
Der Junge Held, Theodoros, hatte den Admiral in die Schlacht begleitet und war dort gefallen.
Das "Lied des Jungen Helden" ist ein Schwur auf seinen Leichnam und auf sein Opfer, welches auf dem Weg zum Sieg nicht ohne Sinn bleiben soll. Die Menge ist dazu fest
entschlossen und verspricht dem Jungen Helden: "Mit weißen Flügeln lasse ich dich
auferstehen, oder wir legen uns umarmt nieder."553 (Lied des Jungen Helden, S. 99).
Im achten Bild "Am Fluß am Nachmittag" (S. 100) werfen sich alle, dem Versprechen folgend, gemeinsam in den Kampf. Doch es gelingt ihnen nicht, die Schlacht zu ihren Gunsten
zu wenden. Nachrichten treffen ein, daß die Front zurückweichen muß. Der König wird
gebeten, er solle ebenfalls abdanken. Der König, müde und faul wie immer, weigert sich und
erklärt seiner Frau, er werde da bleiben, wo er jetzt wäre: "Ich möchte lieber hierbleiben,
sterben, zur Ruhe kommen. Verstehen die denn nicht, daß deine Pumps abgetreten sind, daß
meine Füße dick angeschwollen sind, daß wir alt sind und nicht gelernt haben, mit einem
Bündel auf dem Rücken herumzurennen?" (König, S. 107). Die Menschen, die von dieser
seiner Haltung erfahren, sehen darin jedoch einen heroischen Zug, die tapfere Weigerung,
aufzugeben. Sie lobpreisen ihn und schicken diese Nachricht auch an die Truppen auf dem
Schlachtfeld, die ihn dafür ebenfalls hochleben lassen.
Nun rückt das Motiv des alltäglichen Lebens wieder in den Vordergrund, das von den Kriegshandlungen ganz an den Rand gedrängt wurde, ein Motiv, das in der folgenden Szene noch
wichtiger wird. Eine Gruppe von Frauen erinnert sich sehnsuchtsvoll an die schönen Abende
früher, als sie darauf warteten, daß ihre Männer von der Arbeit kommen würden, um ihnen
einen Gruß zu sagen. Die Arme Mutter erzählt dem König von ihrer Liebe zum Lehrer, die
leider unerfüllt geblieben war.
Dieses Stück fungiert als Einschub, der dem Zuschauer ermöglicht, sich von dem Lärm des
Krieges zu erholen. Statt dessen wird der Blick wieder auf die Freuden des täglichen Lebens
gerichtet, auf die Kommunikation der Menschen untereinander und ihre Liebe. Die Erinnerungen der Frauen an die geregelten Zeiten vorher geht langsam in das Lied der Armen Mutter
über, die einen Soldaten besingt, der ohne Ausrüstung in den Kampf gezogen war, und der
nun seit drei Tagen kein Lebenszeichen mehr gegeben hat. Die Szene endet mit dem
'erotischen' Lied der Frauen, in dem sie sich Gedanken machen, was sie selbst dazu beitragen
553
Das Lied "Des Jungen Helden" heißt auf Griechisch "Του παλικαριού".
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 171
können, das Leid der Soldaten in der Schlacht zu lindern. Sie betonen ausdrücklich, daß ihre
Männer zwar fern sind, daß aber jeder Gedanke der Frauen ihnen gilt.
Das neunte Bild hat den Titel "Auf dem gleichen Feld eines Abends" (S. 112). Es wird verkündet, daß die Soldaten gewonnen haben. Ein Soldat macht klar, daß der entscheidende
Anstoß dafür die Nachricht war, daß der König nicht weichen würde. Diese seine eher unfreiwillige Haltung gab den Soldaten Mut, so nahmen sie alle ihre Kräfte zusammen und errangen
den Sieg. Im Laufe dieses Bildes weicht die vorherige kriegerische Atmosphäre langsam
immer mehr einer leichteren Stimmung, die friedfertiger und liebevoller ist. Die siegreichen
Soldaten kehren zurück und singen, als wollten sie ihren Kampf noch rechtfertigen: "Soldat,
willst du die Schlacht gewinnen, so mußt du nach einem Mädchen sinnen." (Lied "Hektor und
Andromache", S. 118)554.
Das Motiv der Liebe, das die Moral der Soldaten tatkräftig unterstützt hatte, führt nun zur
Knüpfung von Liebesbeziehungen: Der Lehrer und die Arme Mutter finden endlich
zueinander, und auch der Prinz mit Maria, der Tochter des Eisenschmiedes.
Das Volk verlangt in seinem Siegestaumel, den Krieg fortzusetzen und nun in den Angriff
überzugehen, damit der fremde Onkel-König deutlich merke, daß sie sich nichts bieten lassen
wollten. Doch da ergreift der Lehrer das Wort und erinnert die Menschen in einem
aristophanische "Parabase", welcher der wirkliche Sinn ihres Kampfes gewesen war: Nicht der
Krieg um des Krieges willen, sondern der Krieg, um bestimmte Grundwerte zu sichern, so
etwa die Ausbildung der Kinder, ihre eigene Arbeit, ihre Häuser und ihre Menschen, die auf
sie warteten. Er betont, welche symbolische Rolle die Bedrohung durch den fremden König
gespielt hatte, ja sogar die Zusendung des Eselskopfes. Er faßt die wichtigste Botschaft des
Stückes nochmals zusammen, wie ein Volk angesichts der schlimmsten Bedrohung, wenn es
nur an sich selbst glaubt und alle Kräfte aufbietet, gewissermaßen neu geboren werden kann.
An den Feind gerichtet spricht er: "Und vergiß nicht, ihn [den Pferdekopf, Anmerkung der
Autorin] uns einmal wieder zu schicken, wenn du meinst, daß wir ihn mal wieder brauchen
könnten ... was nicht auszuschließen ist! Wir wären dir sehr dankbar." (Lehrer, S. 123).
Das Lied, welches diese Szene und das gesamte Stück abschließt, erklingt nun. Es ist von den
Abschlußgesängen der aristophanische Komödien inspiriert: Es beschreibt einen fröhlichen
Jahrmarkt, in dem das Volk die mörderischen Waffen weit von sich wirft und die Freuden des
Friedens hervorhebt: "Der Sieg hat recht, doch das verliert er, wenn der Sieger es übertreibt."
(S. 124, Epilog-Lied).
In "Das Märchen ohne Namen" sind die Schicksale von Königen und Volk absolut gleichgesetzt: Die gleichen Themen beschäftigen sie, sie leiden unter den gleichen Problemen. Schon
zu Beginn des Stückes hat die Haltung der einen und der anderen das gleiche Ziel. Der König
ist ein Halunke, der versucht, mit billigen Tricks sein Brot zu 'verdienen', indem er stiehlt und
verleumdet, wo es nur geht. Das Volk übernimmt aber auch nicht seine Pflichten gegenüber
seinesgleichen und gegenüber dem Staat. Volk wie auch König haben stets nur ihr
persönliches, kurzfristiges Interesse im Blick.
Im weiteren Fortgang des Stückes hängen die Bilder inhaltlich nicht direkt zusammen. Der
größte Teil der Handlung spielt sich sowieso nicht auf der Bühne ab. Dort werden hauptsächlich die Verhaltensweisen der Personen und ihre Begegnungen beziehungsweise Konflikte
miteinander gezeigt, die manchmal auch zur Änderung von Verhaltensweisen führen können.
Zu den Zeiten der Inaktivität kümmerte sich jeder hauptsächlich um sich selbst, Werte und
Prinzipien wurden nicht mehr respektiert. Weder die Arbeit noch die Liebe fanden fruchtbaren
Boden. Die Macht des Königs war genauso in eine Krise geraten wie die Bildung oder die
554
Das Lied "Hektor und Andromache" heißt auf Griechisch "Ο Έκτορας και η Ανδροµάχη".
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 172
Gerechtigkeit. Als in dieser Situation die Bedrohung durch einen Krieg näher kam, wirkte sie
wie ein Katalysator, der einerseits den Prinz - gewissermaßen stellvertretend für die Könige und andererseits das Volk beziehungsweise seine Vorreiter erwachsen wurden. Sie alle ändern
ihr bisheriges Verhalten und beschließen, von der Aktionslosigkeit überzugehen zur Aktion.
Dabei ist es nicht so sehr die Stärke der Kriegsgefahr, welche in diese Richtung wirkt, sondern
wie wenig ihr Leben in Zeiten des Friedens wert ist. Der kollektive Nutzen wird wichtiger als
der für Einzelne. Insofern ist der Krieg das rettende Element, denn er löst alle diese Handlungen aus.
Die griechische Geschichte jener Zeit ist auch in diesem Stück von Kambanellis wieder der
Hintergrund. Kambanellis möchte dem Volk Mut machen, es soll nicht die Hoffnung
verlieren, daß es sich auch aus einer ausweglos scheinenden Situation wieder hocharbeiten
kann. Dies ist wohl auch eine Anspielung auf den damals schwelenden Zypernkonflikt.
Zypern war eine britische Kolonie, die griechische Bevölkerung der Insel litt unter dieser
'Besatzung'. Die Menschen sammelten sich daher um den geistigen und politischen Führer
Makarios, sie hörten auf, ständig auf fremde Hilfe zu warten und begannen selbst einen
bewaffneten Aufstand. Dieser fand 1955 bis 1959 statt und mündete, wenn auch nicht für
allzu lange Zeit, in der Unabhängigkeit.555 Die Parallelen sind unübersehbar.
4.5.7 Die Erzählung von Penelope Delta als Vorlage für das Theaterstück
1910 schrieb Penelope Delta ihre Erzählung für Kinder "Das Märchen ohne Namen"556, die
sehr weit verbreitet wurde und deren Quintessenz zum literarischen Allgemeingut in
Griechenland gehörte. Diese herausragende Kinderschriftstellerin hatte bis dahin schon
mehrere Romane für Kinder geschrieben, die auf ihre ethische und nationale Erziehung
abzielten. Zu den gleichen Zwecken schrieb sie auch "Das Märchen ohne Namen", ein
allegorisches Märchen, welches dazu dienen sollte, den Griechen wieder bewußt zu machen,
welches Potential zur Wiedererstarkung in ihnen steckte.
Die Handlung ist einfach: Der König Pflichtbewußt der Erste regiert seine
schicksalsergebenen Untertanen und schenkt ihnen Wohlergehen. Auf den Thron kommt nun
sein Sohn Ziellos, und mit ihm versinkt das Land in eine katastrophale Lage. Stehlen,
Faulenzen, Ungerechtigkeit sind an der Tagesordnung. Man hofft auf Hilfe vom Ausland,
doch vergeblich. Der Onkel des Königs Ziellos, der über ein anderes Land herrscht, erklärt
unserem Land den Krieg mit dem Ziel, es zu erobern. Da sieht sich der junge Prinz zum
Handeln genötigt. Er bündelt alle kreativen Kräfte des Reiches, um dem Feind widerstehen zu
können. Tatsächlich geht es dem Land bald wieder besser, und es kann seine Feinde schlagen.
Auch wenn Delta jeden direkten Bezug zur aktuellen politischen Lage vermeidet, ist doch ihre
persönliche Haltung sehr deutlich spürbar. Die mißliche Situation, in der sich Griechenland zu
jener Zeit befindet, wird ihr zu einem persönlichen Anliegen. Die Ereignisse rund um den
türkisch-griechischen Krieg von 1897 und seine unmittelbaren Folgen sind hier eingearbeitet.
Dieser Krieg557 wird in Griechenland 'der glücklose' genannt, da das Heer fast völlig
555
556
557
Jianoulopoulos, N. Jiannis, wie FN 355.
Delta, Penelope, wie FN 539.
1987 werden die Aufstände der christlichen Bevölkerung auf Kreta gegen die osmanische Herrschaft immer
heftiger. Die öffentliche Meinung in Griechenland empört sich wieder einmal, doch das Land ist
wirtschaftlich ruiniert und militärisch unvorbereitet. Dennoch schickt die griechische Regierung Soldaten zur
Unterstützung der Aufständischen nach Kreta, und zur gleichen Zeit Truppen nach Epirus (ein Gebirge, heute
größtenteils zu Nordgriechenland gehörend) und nach Makedonien. Daraufhin erklärt die Türkei
Griechenland den Krieg. Das Kräftemessen endet mit einer restlosen Niederlage des griechischen Heeres. In
der Folge muß Griechenland der Türkei hohe Kriegsreparationen zurückzahlen. und sich internationaler
Kontrolle unterstellen. Aus: Svoronos, Nikos G., wie FN 20, S. 109 - 110.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 173
vernichtet wurde, danach mußte die Wirtschaft des Landes unter internationale Kontrolle
gestellt werden. Nach diesem Krieg war das Land nicht nur moralisch und in seinem
Nationalstolz gekränkt, auch die Wirtschaft litt unter einer ungemeinen Schuldenlast. Der
immer stärker werdende Druck führte schließlich 1909 dazu, daß einige Offiziere zur
Revolution aufriefen. Dabei hörte man zum ersten Mal den Namen eines vielversprechenden
jungen Offiziers, Elevtherios Venizelos. Dieser fähige und tatkräftige Politiker sollte noch
sehr polarisierend wirken. Er würde später Verhandlungspartner ganz unterschiedlicher
Richtungen an einen Tisch bringen. Seine expansionistischen Vorstellungen würden mit zum
Ausbruch der die Balkankriege um 1913 führen, mittels derer Griechenland seine nationalen
Grenzen deutlich erweitern konnte. Es ist auch im Rückblick vom 21. Jahrhundert aus sicher
nicht falsch, ihn den wichtigsten griechischen Politiker des 20. Jahrhunderts zu nennen.558
Penelope Delta gehörte zu einer reichen, königstreuen Familie, die Griechenland in die Katastrophe von 1897 geführt hatte. Penelope Delta ging daraufhin für viele Jahre ins Ausland,
nach Alexandria und Frankfurt am Main. Erst als sie 1916 nach Griechenland zurückkehrte,
wurde sie zu einer überzeugten Anhängerin und Unterstützerin von Venizelos, was sie bis zu
seinem Tode blieb. Es ist anzunehmen, daß sie 1910, beim Schreiben ihrer Erzählung und ein
Jahr nach dem Offiziersaufstand, schon anfing, die Qualitäten von Venizelos zu erkennen, und
daß die Person des jungen Prinzen nicht ohne den Eindruck zu verstehen ist, den Venizelos
auf sie machte. Wahrscheinlich erahnte sie damals schon die Fähigkeiten, die in diesem
jungen Mann steckten. In ihrem Privatarchiv findet sich aus jenem Jahr folgende Notiz über
ihn: "Venizelos beeindruckte uns sehr. Er hörte mehr, als daß er sprach, er hörte alle an, selbst
den Geringsten und den Unwichtigsten, ohne zu unterbrechen. Doch wenn er selbst das Wort
ergriff und sprach, war er wie ein Sturzbach. Seine Argumente räumten jedes anders gelagerte
Argument aus dem Weg, sie spülten seinen Gegner zur Seite, sie überzeugten selbst den
ungläubigsten Thomas. Sein Glaube an die Zukunft Griechenlands kannte keine Grenzen. Wir
hatten Kräfte, die uns vorher selbst nicht bekannt gewesen waren. Es war Aufgabe des
Regenten, sie aufzuzeigen und zu nutzen."559
Penelope Delta setzte viel Hoffnung in einen 'charismatischen' Herrscher, der den allgemeinen
Willen verkörpern sollte und den Mut und die Kraft hätte, die alten, störenden Gegebenheiten
hinwegzufegen und etwas Neues aufzubauen. Diesen Gedanken findet man in ihrem Werk
immer wieder. Gleichzeitig ist für sie aber auch wichtig, daß jeder Einzelne mit dazu beiträgt,
dieses Ziel zu erreichen. In einem Schreiben an ihre Eltern drückt sie das so aus: "Jeder von
uns denkt weiterhin in erster Linie nur an sein eigenes Ich. Wir können es nicht vergessen,
nicht beiseite lassen, uns im gemeinsamen Interesse disziplinieren und zum Nutzen von
Griechenland. Die Erziehung, die wir unseren Kindern oft angedeihen lassen, zerstört nicht
nur die Begeisterung, die Ideale, die Freude an der Aufopferung, welche in vielen jungen
Herzen aufkeimen, und welche, richtig gefördert, Wunder vollbringen und Nationen neu
erstehen lassen können. Statt dessen werden sie als etwas Lächerliches dargestellt, so hört das
Kind oft, daß jemand als lächerlich oder dumm bezeichnet wird, der 'sein eigenes Wohl' einer
Idee, einem Glauben opfert".560 In ihren Erzählungen wendet sich Penelope Delta deutlich mit
dem Ziel an die Kinder, sie in dieser Hinsicht zu belehren. Der Prinz ist eine heldenhafte
Figur, ohne Fehl und Tadel. Auch die anderen Personen in "Das Märchen ohne Namen" haben
558
559
560
Clogg, Richard, wie FN 24, S. 108 - 114.
Archiv von Penelope S. Delta (Αρχείο της Πηνελόπης Σ. ∆έλτα), Bd. 1, Penelope S. Delta - Elevtherios
Venizelos. Tagebücher - Erinnerungen - Zeugnisse - Briefwechsel (Πηνελόπη Σ. ∆έλτα – Ελευθέριος
Βενιζέλος. Ηµερολόγια – αναµνήσεις – µαρτυρίες – αλληλογραφία. Επιµέλεια Παύλος Α. Ζάννας. Bearbeitet
von Pavlos A. Zannas (Παύλος Α. Ζάννας), Athen 1978, S. 1 - 10.
Delta, Penelope S. (∆έλτα, Πηνελόπη Σ.): Στοχασµοί περί της ανατροφής των παιδιών µας (Überlegungen
zur Erziehung unserer Kinder), Athen, 1932, S. 37 - 41, hier S. 37.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 174
symbolischen Gehalt. "Ziellos verkörpert das verhaßte Regime, und der Prinz das junge
Griechentum, so wie ich es gerne hätte, eine Person, die in sich selbst die Kraft suchen wird,
sich zu erneuern, nicht außerhalb, indem der eine dem anderen seine Verfehlungen vorhält."561
Der große Dichter Kostis Palamas, in jener Zeit auch der wichtigste Literaturkritiker
Griechenlands, begeisterte sich an Penelope Deltas Werk, besonders an ihren optimistischen
Glauben, mit dem sie die kollektiven Wunden enthüllte, um sie dadurch zu heilen. Dennoch
stellt er in einem Brief an die Autorin fest, nach einer ersten Lesung würde er sich wünschen,
"... (Ihr) Märchen wäre einfacher, und seine satirische und ethologische Dimension wären
nicht so durchsichtig".562 Kambanellis spricht in der Einleitung zur Uraufführung seines
Stückes "Das Märchen ohne Namen" deutlich an, daß es sich hier um eine Umarbeitung von
Deltas Erzählung für das Theater handelt, er habe dem Lesestück nun eine "Theaterform"
gegeben.563 Das Lesestück von Penelope Delta, wenn auch für Kinder geschrieben, erfreut
auch Erwachsene, denn es enthält Poesie, Satire und heftige Dramatik564, Zutaten, die
Kambanellis seinen eigenen Angaben zufolge unbedingt braucht, um es weiterbearbeiten zu
können. In einem späteren Artikel bemerkt Kambanellis: "Was die anderen in dem Buch
'kindlich' fanden, war für mich 'zum Volke gehörend', und da ich an ein Theater für das Volk
glaube, waren für mich der Mythos und die Menschen in Deltas Stück der notwendige Stoff,
der es wert war, ein Theaterstück zu werden."565
Neben diesen Elementen und der 'Theatertauglichkeit' der Erzählung von Penelope Delta ist
die allegorische Form des Märchens in Zeiten einer Zensur sehr hilfreich, um vieles indirekt
sagen zu können. Auch setzte die Erzählung "Das Märchen ohne Namen" einen Schlußstrich
unter die bis dahin übliche inhaltlich angepaßte Erzählweise. Aus diesen Gründen erschien es
Kambanellis durchaus angebracht, das Stück für das Theater zu bearbeiten.
Gleichzeitig war zu erwarten, daß ein überwiegender Großteil des Publikums das Stück selbst
gelesen hatte, es ging also primär nicht darum, ganz neue Inhalte zu verbreiten, sondern
auszuprobieren, wie ein solches Allgemeingut in neuer Bearbeitung neu wirken kann.
Schon der Dichter und Kritiker Kostis Palamas erkannte in seiner Kritik zum Erscheinen der
Erzählung von Penelope Delta, daß diese sich bestens zur Bearbeitung für die Bühne eigne:
"Diese Erzählung, ins Theater gebracht, würde ihre Dynamik noch besser zeigen, vielleicht
besonders, wenn nicht Schauspieler, sondern Marionetten spielen würden. Das schreibe ich
nicht, um es herabzusetzen. Im Gegenteil, ich wollte seinen Wert betonen. Es gibt einige
Stücke und Kunstwerke, die nur von Marionetten passend gespielt werden können, da sie aus
Gestalten bestehen, die einfach, unbeugsam und eindeutig sind, primitiv."566
In seiner Bearbeitung des Stückes für die Bühne behielt Kambanellis den grundlegenden
Inhalt des Mythos bei, ebenso die wichtigsten Rollen und Handlungen. Veränderungen nahm
561
562
563
564
565
566
Delta, Penelope S. (∆έλτα, Πηνελόπη Σ.): Brief an Alexandros Delmouzos (Αλέξανδρος ∆ελµούζος) in
Frankfurt, datiert 27.12.1910./09.01.1911; in: Levkopatridi, X. (Hg.) (Λευκοπατρίδη, Ξ. (Επιµέλεια):
Briefwechsel von Penelope Delta 1906 - 1940, (Αλληλογραφία της Πηνελόπης ∆έλτα 1906 - 1940), Athen
1956, S. 222 - 224, hier: 222 - 223.
Palamas, Kostis (Παλαµάς, Κωστής): Brief an Penelope Delta, datiert 03.07.1910, in: Levkopatridi, X. (Hg.)
(Λευκοπατρίδη, Ξ. (επιµέλεια): Briefwechsel von Penelope Delta 1906 - 1940, (Αλληλογραφία της
Πηνελόπης ∆έλτα 1906 - 1940), Athen 1956, S. 31 - 35, hier: S. 34.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 541.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 541.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Wie ich "Das Märchen ohne Namen" schrieb (Πώς έγραψα
το παραµύθι χωρίς όνοµα). Zeitschrift "Theatrika" (Θεατρικά), Heft 4, Oktober 1972, S. 11.
Palamas, Kostis (Παλαµάς, Κωστής): Das neue Buch von Frau Delta. Kritik. (Το νέο βιβλίο της κυρίας ∆έλτα
Κριτική), geschrieben 1910. In: Palamas, Kostis (Παλαµάς, Κωστής): Gesammelte Werke. Herausgegeben
von der "Stiftung Kostis Palamas" (Ίδρυµα Κωστή Παλαµά), Bd. 8, Athen 1960, S. 81 - 87, hier S. 85.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 175
er vorrangig bei der Dynamik der Personen vor, auch der zentrale Schwerpunkt wurde etwas
verschoben. Das war nötig, damit das Stück, das ja für Kinder geschrieben war, auf der Bühne
und vor einem erwachsenen Publikum bestehen konnte. Außerdem wurden einige
Änderungen dadurch erforderlich, daß seit dem Entstehen des Stückes immerhin 49 Jahre
vergangen waren. Zum dritten zielte Kambanellis auf der ideologischen Ebene in eine andere
Richtung als Penelope Delta.
Hauptperson ist bei Penelope Delta der Königssohn, um den sich die gesamte Handlung dreht.
Verlassenheit, Verelendung, Stehlen, Ungerechtigkeit, Faulheit und Gleichgültigkeit über die
Geschicke des Landes herrschen in dem Königreich vor. Allein der Königssohn hat ein Gefühl
für Würde und ein Gewissen; um daran nicht völlig zu zerbrechen, möchte er in ein anderes
Land gehen, wo die Begleitumstände nicht so schlimm wären. Doch als er sich auf den Weg
macht, um auszureisen, begegnen ihm die allegorischen Frauengestalten Wissen und
Vernunft, die ihm klar machen, daß sein Land ihn braucht. Diese Begegnung wirkt katalytisch
auf die Gedanken und Wünsche des Königssohnes. Er wird umkehren und in Aktion treten,
um sein Land wieder stark zu machen. Wie eine Signalglocke erklingt sein Satz "Die Zeit ist
gekommen, da wir Opfer zu bringen haben." (Königssohn, S. 108), mit dem er sich an die
Bürger wendet. Damit wird er jeden guten Menschen aufrütteln, in seinen Diensten dazu
beizutragen, das Land vorwärts zu bringen. Natürlich reicht dieser Fanfarenstoß nicht, um die
Arbeit und den Kampf auch zu realisieren - dafür muß der Königssohn noch viel mehr in
Aktion treten. Als er fragt: "Macht es denn Sinn, daß ich mir wegen solcher Leute Mühe
gebe?" (Königssohn, S. 126), antwortet die Allegorie Wissen: "Dein Volk ist wie alle anderen,
nicht besser und nicht schlechter, doch es bedarf der Leitung." (Wissen, S. 126).
So kommt ihm die schwere Aufgabe zu, das Land neu zu organisieren. Er wird von seinem
Vater namens Ziellos die Führung übernehmen, zum Schluß des Stückes bekommt er den
Namen 'Pflichtbewußt der Zweite' verliehen, da er sich der Aufgabe, die das Schicksal für ihn
vorgesehen hat, in aufrichtigster Ernsthaftigkeit widmet. "Ich werde bleiben, um sie zu retten,
selbst wenn sie selbst das gar nicht wollen." (Königssohn, S. 126). Seine Existenz wird
schließlich so stark auf die anderen wirken, daß jeder Mensch in seiner Umgebung zum Held
wird, alle werden die Werte annehmen, die er weiterverbreitet. Er kontrolliert schließlich die
seelische und ethische Welt seiner Untertanen, und er verwandelt die einfachen Bürger zu
Helden: "... in seiner (des Königssohnes) Seele war so viel Schönheit und Kraft, daß er von
einem durchschnittlichen Menschen zum Helden wurde." (Erzähler, S. 171). So wird der
junge Mann beschrieben, bevor er in der Schlacht fällt.
Der Königssohn, der charismatische Anführer, der sein Volk durch seinen Charme dazu
bewegt, zu eigenen Taten aufzustehen, ist in der Erzählung eine idealisierte literarische Figur.
Dahinter steckt ein deutlich sichtbarer erhobener Zeigefinger, der den jungen Griechen zeigen
soll, welchen ideologischen Weg sie nach dem Willen der Autorin einzuschlagen hätten - den,
welchen sie für den einzig richtigen hält, um das Land zu retten. Der Königssohn ist hier ein
Anführer, der außer seiner Bereitschaft, zu kämpfen, jegliche Anzeichen von Jugend abgelegt
hat. Selbst der kleinste Rückzieher, die geringste Feigheit würden sofort mit seiner Jugend
begründet. Deswegen steht er hoch über jeder menschlichen Schwäche und führt mit
Entschlossenheit sein Volk an.
Bei Kambanellis ist der Prinz nicht mehr der absolute Dreh- und Angelpunkt des Geschehens,
er wird einfach nur "Prinz" genannt. Auch ist seine Ausstrahlung nicht stark genug, um die
Bürger des Landes zu einem anderen Verhalten anregen kann. Er ist einer unter Vielen, die
zur Avantgarde der inneren Kämpfe gehören. Auch folgen ihm Menschen, die aufgrund ihrer
Lebenserfahrungen noch viel mehr als er davon überzeugt sind, daß es nun Zeit zum Handeln
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 176
wäre. Beispiele finden sich etwa in den Liedern "Arme Mutter" (S. 112) und "Der Eisenschmied" (S. 32).
Im Gegensatz zum Prinz in Deltas Erzählung kann dieser Prinz lesen (er bittet zu Beginn des
Stückes um ein Buch zur Römischen Rechtslehre) (Prinz, S. 21), doch das Wissen alleine
reicht nicht aus, um seinen Willen zu festigen, sich intensiv in den Kampf zu stürzen und
wirklich etwas zu bewegen. Freilich ist auch er ein positiver Held. Er erkennt die
Ungerechtigkeit, die dem Eisenschmied angetan werden soll, und fragt sich, auf welche Weise
der Palast, wo der wirklich Schuldige für diesen Diebstahl sitzt, zu dieser Wahrheit stehen
wird. Immerhin findet der Prinz genug Mut, um zur Gerichtsverhandlung gegen den
Eisenschmied zu gehen. Doch traut er sich nicht, die Wahrheit zu sagen. Erst die
Ausführungen der Armen Mutter machen ihm seine Verantwortung so deutlich, daß er sich
schließlich gezwungen fühlt, zu sprechen: "Wenn Du Dich traust, dann geh doch da rauf und
schrei es raus" (Arme Mutter, S. 35) (gemeint ist die Unschuld des Eisenschmiedes).
Der Prinz wird auch nicht der erste sein, der bemerkt, daß sein Onkel, König eines anderen
Reiches, ihn beleidigte. Das geht ihm erst auf, nachdem der Eisenschmied sagt: "Das darf
nicht ungesühnt bleiben" (Eisenschmied, S. 55). Nun sieht er, welch ernsthafte Beleidigung
und auch Drohung hier ausgesprochen wurde, und erst jetzt wird er sich in die Reihe der
Widerstandskämpfer begeben, ja, sogar die übrigen Bürger zu überzeugen versuchen, daß es
notwendig ist, aktiv zu werden. Tatsächlich wird es ihm gelingen, diesen Kampf siegreich zu
Ende zu führen. Der Prinz ist jedoch nur einer von vielen, die beschließen, aus der Passivität
hinauszutreten und etwas zu tun. Das Ideal des erleuchteten Anführers, dem Penelope Delta
nachhing, wird abgelöst durch ein realistischeres, das Bild eines Menschen, der durchaus
widersprüchliche Tendenzen in sich vereint, der aber aufgrund von ideologischen
Überzeugungen handelt.
In der Kindererzählung fordert der Königssohn die Bürger zum Handeln auf, sie folgen ihm,
von seinem Charme verzaubert. In der Bühnenversion besteht die Volksmenge aus lauter
Individuen, von denen jeder sich nur von seinem eigenen Gewissen leiten läßt. Die Autorin
der Erzählung führt ihre Figuren auf idealtypisch vorbestimmten Wegen, schließlich sind auch
ihre Namen darauf ausgelegt, ihre persönlichen Eigenschaften zu betonen.567 So heißen die
Bewohner des Palastes Ziellos und Irre, ihre Kinder sind die Prinzessinnen Gallenbitter und
Neide, der Königssohn und Irene ("die Friedensbringerin"). Diese beiden letztgenannten
entschließen sich für einen anderen Weg; der Königssohn nimmt seine Schwester Irene mit
auf seinem Weg in den Widerstand. Die Hofherren heißen Schlitzohr und Hasenherz, die
einfachen Menschen tragen Namen wie Armer Schlucker, Ärmlicher, Geplagter, Besitzloser.
Bei Kambanellis dagegen haben weder die Personen noch ihre Namen etwas Märchenhaftes,
sie heißen mit ganz normalen griechischen Vornamen etwa Spyros, Theodor, Philipp etc.
Die 'Typen', welche Delta skizziert, fassen nach Ansicht des Kritikers Palamas die jeweilige
Situation schon in sich zusammen. "Diese Typen geben einem manchmal den Eindruck
eigenen Lebens, an anderen Stellen wiederum erkennt man in ihnen nur die Hand des
Schöpfers, der hinter ihnen steht und seine Kreaturen an einem Faden bewegt."568 Das heißt,
diese Figuren sind reine Märchenwesen und werden einzig von den ideologischen Motiven
der Schriftstellerin bewegt. Bei Kambanellis dagegen werden sie zu komplexen Charakteren.
Hier haben die 'einfachen Menschen' individuelle Namen, während die Herrscher namenlos
bleiben, sie heißen einfach König und Königin. Die 'einfachen Menschen' dagegen haben ein
Bewußtsein ihrer selbst, welches im Laufe des Geschehens von den Umständen weiter
567
568
Palamas, Kostis, wie FN 562, hier: S. 34.
Palamas, Kostis, wie FN 562, hier: S. 34.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 177
geschärft wird und sie zum Handeln veranlaßt. Die Rolle des Anführers, die der Prinz spielt,
verliert an Bedeutung; dagegen fällt viel Licht auf das Volk in seiner Gesamtheit. "Die
Menschen nehmen an der Geschichte teil, ohne darin eine führende Rolle zu spielen. Das
Volk ist nicht mehr ohne Gesicht, es kommt in den Vordergrund der Geschichte."569 Alle
diese Personen in ihrer Gesamtheit stellen die griechische Gesellschaft dar. Der Autor hält
nicht nur ihr Verhalten fest, sondern macht einen realistischen Vorschlag, auf welche Art und
Weise sie agieren könnte.
In diesem Rahmen läßt sich auch erklären, warum Kambanellis die Episoden und Personen
anders einsetzt. In der Kindergeschichte ist die Gerichtsverhandlung gegen den Eisenschmied
ein Geschehen, welches die Nutzlosigkeit der Justiz andeutet, welches aber nicht im Detail
beschrieben wird. Im Theaterstück dagegen ist dieser Gerichtstermin ein zentraler Punkt, der
Ablauf wird genau geschildert und hat einen ganz anderen Zweck. Die Verderbtheit der
Führung ist hier nicht so wichtig, im Vordergrund steht das Verhalten und das Ethos des
Volkes.
In Delta's Erzählung treten zwei Frauen auf, die als Katalysatoren der Handlung fungieren, die
Allegorien von Wissen und Vernunft. Diese beiden Figuren haben eine didaktische Funktion
und sollen abstrakte Begriffe verkörpern. Dennoch übernahm Kambanellis sie nicht in seine
Theaterfassung, sondern führte statt dessen eine andere Frauengestalt ein, die den Ablauf der
Handlung entscheidend beeinflußt, die Arme Mutter. Sie steht für den mündigen Bürger mit
Würde und dem Mut, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Sie ist bodenständig und
scheut sich nicht, im ständigen Überlebenskampf auch weniger elegante Tricks einzusetzen.
Emotionale Bindungen sind ihr wichtig; sie unterstützt nicht nur tatkräftig die Menschen, die
ihr nahestehen, sondern setzt auch viel Energie in die Suche nach einer alten, verlorenen
Liebe. Der Lehrer bei Penelope Delta übte seinen Beruf anfangs nicht aus, später übernahm er
in Einzelverantwortung die Erziehung jenes Königssohns, der einst zum erleuchteten
Anführer werden sollte. Kambanellis dagegen skizziert den Lehrer als einen Charakter mit
deutlichen inneren Widersprüchen, der anfangs glaubt, er sei nicht fähig, sich im Kampf
nützlich zu machen. Später gewinnt er Glauben an den Kampf und an die Notwendigkeit, daß
er die Bürger unterrichten muß, um ihnen genau das klarzumachen. So setzt er sich für die
nationale Wiedergeburt ein und wird schließlich am Ende des Stückes der Lehrer und große
Unterstützer des Friedens.
Was zwischen den beiden Stücken auch deutlich unterschiedlich ist, sind die unterstützten
Wertesysteme. Bei Penelope Delta sind oberste Werte der gute König, das Vaterland, und der
Unerkannte Held, der bereit ist, sich egal unter welchen Umständen aufzuopfern. Kambanellis
setzt an ihre Stelle den Wert der Gemeinsamkeit: Die gemeinsame Aktion aller Bürger zum
Wohle des Landes, Anteilnahme an Fragen, die alle betreffen. Das Wohl des Landes ist dabei
kein abgehobener abstrakter Begriff, das Vaterland wird hier als eine Art Arche Noah
gesehen, deren innere Verhältnisse eine Lebensqualität und Sicherheit garantieren. Die Bürger
haben daran aktiv teil, denn je mehr sie sich jetzt engagieren, desto besser können sie auch in
Zukunft die Fragen mitbestimmen, die das Leben der Bürger betreffen. Die Zeiten sind vorbei,
in denen die Bürger verschiedener Länder bereit waren, für abstrakte Ideen und Werte in den
Krieg zu ziehen. "Vergeßt die Ehre der Waffen... " (Prinz, S. 63), sagt nun der Prinz und lenkt
die Aufmerksamkeit des Volkes auf reale materielle Gegebenheiten, welche der Feind
beeinflussen kann. "Doch bedenkt, daß der Feind nicht mit dem Kreuz in der Hand kommen
wird, sondern mit einem Schwert, und mit dem Recht des Siegers wird er abschlachten und
plündern. Er wird uns unter die Knute zwingen, und was unsere Kunstfertigkeit, unsere Erde,
unser Fluß hervorbringen werden, wird seines sein." (Prinz, S. 63).
569
Mavromoustakos, Platon, wie FN 11.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 178
Was die Menschen jedoch wirklich bewegen wird und sie dazu bringen wird, den Kampf zu
gewinnen, kann nichts anderes sein als die Liebe, und die Liebe zu den Freuden des Lebens.
Und wenn sie an einem Punkt vom Feuer des Krieges erfaßt werden und den bisherigen
Verteidigungskrieg in einen Angriffskrieg umwandeln wollen, bremst sie der Autor in Gestalt
des Lehrers wieder aus: "Hier haben wir gesiegt, ja. In diesem Tal. Doch unser Sieg erwartet
uns an unseren Haustüren, in unseren Hinterhöfen und auf den Türschwellen unserer Häuser.
Keine Messerstechereien mehr in Trunkenheit, kein Feuer und kein Mordinstrument. Nicht
das ist euer Sieg. Aber eure Frauen, die einen Ehemann wollen und ein Kleid ... es sind die
Kinder, die auf ihre Bildung warten und auf die Berufsausbildung, es sind eure Häuser, die
darauf warten, wieder bewohnt zu werden. Es sind eure Arbeitsstellen - das ist unser Sieg!"
(Lehrer, S. 122)
Zu den Zeiten der Romantik, in denen das Stück von Delta entstand, war die "Große Idee" in
Griechenland weit verbreitet, daß man der Türkei noch ein gutes Stück ihrer Westküste
entreißen könnte. So hofften immer noch viele, daß ein Anführer und Neuerer der Nation
auftauchen würde. Delta schrieb ihr Stück in dieser Stimmung und zu einer Zeit, als man
überzeugt war, man müsse die jungen Griechen von solchen Ideen durchdringen lassen, sie
sollten die Ideale von Patriotismus und Heldentum verinnerlichen. Als Kambanellis die
Erzählung bearbeitete, war der Zweite Weltkrieg vergangen, die Stimmung wurde durch den
Kalten Krieg geprägt. Die großen Hoffnungen der Griechen auf ihre Große Idee waren
vergangen, ebenso die Illusion, daß einzelne erleuchtete Führergestalten die Geschicke der
Menschheit verbessern könnten. Man hatte gesehen, welches Unglück solche Personen über
die Menschen bringen konnten. Daher haben in seinem Stück Werte Vorrang, wie etwa ein
qualitätsvoller Alltag, die Bereitschaft zur Unruhe, und die Notwendigkeit, daß Völker aus
ihrer Vergangenheit lernen sollten - und natürlich der Frieden.
Hat Delta in der Erzählung "Das Märchen ohne Namen" den Stoff unter einem epischen
Betrachtungswinkel bearbeitet, so tritt bei Kambanellis nun die dialektische Auseinandersetzung des Menschen mit seinem Selbst in den Vordergrund, ihre Auseinandersetzung mit den
Beziehungen, die sie mit anderen verbinden, und die Auseinandersetzung des Menschen mit
seiner Geschichte.
4.5.8 Einflüsse des Brecht'schen Theaters
Sowohl die Kritik wie auch die theaterwissenschaftliche Analyse bestätigte den Einfluß des
Brecht'schen Theaters auf das Theaterstück "Das Märchen ohne Namen". Dromazos war der
Ansicht, daß Kambanellis die Anforderungen des Brecht'schen Theaters erfüllt und mit dem
damaligen Zeitgeist des poetisch-sozialen Realismus kombiniert hätte, dadurch würde "Das
Märchen ohne Namen" "... eine Synthese Brecht'schen Theaters und poetisch-sozialen
Realismus', die diesem Autor zu eigen ist. ... Der Autor hat das Brecht'sche Theater nicht
nachgemacht noch direkt kopiert."570
Sotiris Chaviaras beschäftigte sich ausführlich mit der Analyse der Beziehung zwischen
Kambanellis und Brecht. Er erinnerte daran, daß das griechische Publikum Brecht kaum
kannte, als 1959 Kambanellis sein Stück schrieb. Die erste Brecht-Aufführung in
Griechenland war gerade 1957 gewesen, als das "Theatro Technis" Brechts "Der kaukasische
Kreidekreis" aufführte. Chaviaras war überzeugt, daß Kambanellis dadurch mit Brecht
konfrontiert wurde, und daß diese Begegnung sich direkt darin auswirkte, wie er sein "Das
Märchen ohne Namen" bearbeitete. Chaviaras nannte dies ein "nützliches Kennenlernen";
durch diese Aufführung sei in Kambanellis das Interesse geweckt worden, ein
570
Dromazos, Stathis, wie FN 14.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 179
"gewissermaßen Brecht'sches Rezept" auszuprobieren. Er bezeichnete das so entstandene
Stück ein "Brecht'sches Märchen".571 Mavromoustakos dagegen konnte in Kambanellis' "Das
Märchen ohne Namen" nur einen fernen Nachhall der Aufführung des "kaukasischen
Kreidekreises" bemerken. Einen Einfluß sah er nur in der Einarbeitung einiger Elemente,
"welche aus anderen Betrachtungsweisen stammen, aber mit der theaterbezogenen
Fragestellung übereinstimmen".572 Georgousopoulos sah in "Das Märchen ohne Namen" eine
"Theater-Ballade", die auf der Ebene der Formgebung durchaus von Brecht beeinflußt sei,
besonders auch in ihren "orientalischen Allegorien", die aber ansonsten auf ganz andere Weise
arbeitet als das Brecht'sche Theater. Seiner Meinung nach wollte Kambanellis "weder die
Epik Brechts übertragen, noch seine unbeugsame Dialektik".573
Wie man also sieht, unterscheiden sich die Ansichten über die Gewichtung des Brecht'schen
Einflusses. Es scheint nötig, den Einfluß, den die Aufführung des "Kaukasischen Kreidekreises" 1957 auf Kambanellis hatte, genauer zu untersuchen, da sie doch mindestens gewisse
dramaturgische Auswirkungen auf die Bearbeitung des Stückes "Das Märchen ohne Namen"
hatte. Und dies, obwohl sich die Aufführung des "Kaukasischen Kreidekreises" am "Theatro
Technis" nicht streng an Brecht hielt, sondern das Stück an die griechischen Gegebenheiten
anpaßte. Das mag mit dazu beigetragen haben, daß Kambanellis sich rasch mit diesen neuen
Techniken anfreunden konnte, die ihm für das "Das Märchen ohne Namen" sehr nützlich
schienen. Vielleicht ist es diesem Einfluß zu verdanken, daß er überhaupt ein Thema bearbeitete, in dem die Öffentlichkeit, die Gesellschaft insgesamt eine so wichtige Rolle spielt und in
dem die persönlichen Vorkommnisse nicht sehr wichtig sind.574
Karolos Koun, der jene erste Brecht-Inszenierung in Griechenland leitete, schrieb dazu: "Ich
nehme Brecht und passe ihn an unsere emotionalen Elemente an. So geschah es auch mit dem
'Kaukasischen Kreidekreis'. Sowohl ich als auch die Schauspieler verließen uns auf unseren
Instinkt, um so nahe wie möglich an Brecht zu kommen, nachdem wir alle bisher nichts von
ihm gelesen oder gesehen hatten. Das Ergebnis war wie gewünscht: daß Brecht zu dem
griechischen Publikum spricht."575 Das "Theatro Technis" spielte Brecht, ohne sein gewaltiges
theoretisches Werk zu kennen, die wichtigsten Beispiele des didaktischen, epischen und
dialektischen Theaters. Genauso wenig kannten sie die szenischen Lesungen der Stücke
Brechts vom Berliner Ensemble oder die vielen anderen schon durchgeführten Inszenierungen
Brecht'scher Stücke in Westeuropa. So vertraute Karolos Koun die Übersetzung des "Kaukasischen Kreidekreises" dem Dichter Odysseas Elytis an, mit der Musik bzw. Vertonung der
Lyrik beauftragte er den Komponisten Manos Chatzidakis.
Wie sich aus den damaligen Kritiken ablesen läßt, hinterließ die Aufführung einen starken
Eindruck. Dennoch wurde der anti-aristotelische Grundtenor des Brecht'schen Theaters wie
auch seine Dialektik kaum verstanden, was angesichts der Begleitumstände nicht verwundert.
Die Aufführung und die Kritik setzten sich weitaus mehr mit dem Dichter Brecht auseinander
als mit dem Revolutionär.
571
572
573
574
575
Chaviaras, Sotiris (Χαβιαράς, Σωτήρης): Ein Brecht'sches Märchen (Ένα µπρεχτικό παραµύθι), in der
Zeitschrift "Theatrika Tetradia" (Θεατρικά Τετράδια), Themenschwerpunkt Iakobos Kambanellis. Heft 25,
März 1993, S. 30 - 32.
Von dem selben Autor stammt die Dissertation: Haviaras, Sotirios: La réception de Brecht en Grèce 1955 1981. Thèse de doctorat par Sotirios Haviaras, Paris 1989.
Mavromoustakos, Platon, wie FN 11, hier S. 30.
Georgousopoulos, Kostas (Γεωργουσόπουλος, Κώστας): Kritik der Aufführung "Das Märchen ohne Namen"
am Nationaltheater in der Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα) vom 22.01.1996.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 382, hier S. 35.
Koun, Karolos (Κουν, Κάρολος): Interview in der Zeitschrift "Pantheon" (Πάνθεον), Februar 1978.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 180
Typisch für die Reaktion war der Kommentar von Varikas: "Die stärkste Kontrolle gegen die
Theorien des deutschen Schriftstellers Bertolt Brecht über das moderne Theater übt sein eigenes Stück aus. Zwischen seinen Dogmen über das epische Theater und seiner geschriebenen
Stücke besteht eine Distanz. Und vielleicht am deutlichsten sieht man diese Distanz an dem
'Kaukasischen Kreidekreis', dem Stück, welches am deutlichsten Brechts Theorie umsetzt. Die
Szenen, in denen die Einfühlung überwiegt, sind im 'Kaukasischen Kreidekreis' nicht nur
nicht wenige, sondern sie sind ganz klar auch die schönsten."576 Die meisten Kritiken teilten
diese Ansicht, sie ließen sich von den menschlichen und emotionalen Momenten des Stückes
beeindrucken, "dessen größter Reiz nicht so sehr die technische Eigenart ist, als seine ehrliche
Gutmütigkeit und seine reine Dichtung."577 Koukoulas interpretierte die Aufführung in der
gleichen Richtung: "Programmatisches Theater also? Ja, aber das Gefühl von Leben ist so
überschäumend, ebenso die Poesie, die hindurchfließt, daß schließlich der Eindruck beim
Zuschauer überwiegt, den all diese Emotionen hinterlassen."578 Nur Stavrou folgte nicht der
Einschätzung seiner Kritikerkollegen, die einen Unterschied zwischen Theorie und Praxis bei
Brecht monieren. Er sah in ihm einen Revolutionär des Theaters und erkannte als Quintessenz
des "Kaukasischen Kreidekreises": "Die Welt gehört, wie im 'Kreis' dem Kinde, jenen, die sie
in Liebe, Hingabe und mit Arbeitseinsatz erobern".579
Kambanellis lernte also das Brecht'sche Theater so kennen, wie es Koun in Griechenland einführte. Als das "Neo Theatro" ihn jedoch damit beauftragte, ein Stück zu schreiben, sollte es
vor allem ein rein griechisches Stück sein. Diamantopoulos, Gründer und Regisseur jenes
Theaters, kommentierte das so: "Wenn wir für die erste Aufführung des 'Neo Theatro' ein
Stück von Pirandello oder Brecht ausgewählt hätten, oder eines anderen ausländischen Autors,
hätte die Gefahr bestanden, daß man dem 'Neo Theatro' 'Pirandellische', 'Brecht'sche' oder
sonstige Tendenzen nachsagte. Die Auswahl eines griechischen Stückes ersparte uns das."580
Es war also deutlich, daß Kambanellis zwar Elemente anderer Autoren in stilistischer oder
ideologischer Hinsicht mit einarbeiten konnte, daß diese aber von der griechischen Realität zu
filtern wären, wie ja auch ausländische Stücke am "Theatro Technis" noch gefiltert wurden,
um sie an die Erwartungen der griechischen Realität anzupassen. Das "Theatro Technis" war
immerhin jenes, welches die Ästhetik jener Zeit am stärksten prägte.
So war auch das Material, welches Kambanellis bearbeitete, ein rein griechischer Stoff. Dazu
gehörten Augenzeugenberichte von Menschen, die zu Helden wurden, da sie mit geringsten
Mitteln gegen die deutsche Besatzungsmacht Widerstand leisteten. Kambanellis sammelte
damals solche Berichte, da er plante, eventuell das Drehbuch eines Films mit diesem Thema
zu schreiben. Andererseits lag ihm die Erzählung von Delta vor, welche ihm als Basis für sein
Stück diente. Aus diesen beiden Quellen entsteht bei ihrem Zusammenfluß "Das Märchen
ohne Namen". Kambanellis selbst beschrieb dies so: "Der Film, den ich mit Nikos
Koundouros plante, fand keinen Sponsor und wurde daher nie gedreht, doch als ich beschloß,
die Erzählung von Delta zu bearbeiten, kamen all diese 'bescheidenen Helden', die ich
576
577
578
579
580
Varikas, Vasos (Βαρίκας, Βάσος): Kritik der Aufführung "Der kaukasische Kreidekreis" am "Theatro
Technis" in der Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα) vom 31.01.1957.
Ploritis, Marios (Πλωρίτης, Μάριος): Kritik der Aufführung des Stückes "Der kaukasische Kreidekreis" am
"Theatro Technis" in der Zeitung "Eleftherotypia" (Ελευθεροτυπία) vom 21.01.1957.
Koukoulas, Leon, wie FN 204.
Stavrou, Gerasimos (Σταύρου, Γεράσιµος): Kritik der Aufführung "Der kaukasische Kreidekreis" am
"Theatro Technis" in der Zeitung "Avgi" (Αυγή), 29.01.1957.
Diamantopoulos, Vasilis (∆ιαµαντόπουλος, Βασίλης): Vasilis Diamantopoulos spricht über das 'Neue
Theater' (Ο Βασίλης ∆ιαµαντόπουλος µιλάει για το Νέο Θέατρο). Zeitschrift "Epitheorisi Technis"
(Επιθεώρηση τέχνης), Bd. 60, November/Dezember 1959, S. 190 - 193, hier S. 192.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 181
kennengelernt hatte, mit ihren 'selbstgebauten Waffen', die sie mir beschrieben hatten, und
vermischten sich mit den Menschen und den Geschehnissen im 'Märchen'."581
Die Sichtweise von Kambanellis kann als überwiegend episch bezeichnet werden.
Gleichzeitig setzt sich Kambanellis das Ziel, in seinem Schreiben dem Vorbild Bertolt Brecht
nahezukommen, welcher in seinen Stücken versuchte, die soziale Realität zu beeinflussen, ja,
sie sogar zu verändern. Kambanellis sagte dazu: "Was mich dazu brachte, zu schreiben, war
der Kummer um den Anderen und das Abdriften der menschlichen Existenz."582 Ein
vorherrschendes Thema war für ihn auch "... das Problem der Übergabe an die nachfolgende
Generation, welches auf seine Weise an den Niedergang erinnert, und an die mögliche
Wiedergeburt nach einer Krise, wenn alle daran teilhaben; das ist die kreisförmige Bewegung,
die das Leben und die Geschichte weiter vorwärtsbringt."583 Aus diesem Grunde gab er der
Menge die Hauptrolle.584 Wie Brecht versuchte er, das gesellschaftliche Problem des
Zuschauers zu lösen, damit der Zuschauer Herr seines eigenen Schicksals werden konnte.585
Kambanellis setzte aufgrund seiner epischen Sichtweise das Material so ein, daß Themen
behandelt wurden, die nicht nur eine Einzelperson betrafen, sondern die ganze Gesellschaft.
Das Volk wurde zur Hauptrolle, der Zuschauer nahm eine kritische Haltung zum Geschehen
ein. So interpretierte Kambanellis den Widerhall der Brecht'schen Idee, Ziel des Theaters solle
sein, im Zuschauer den Wunsch zu wecken, die Gesellschaft, in der er lebt, zu verstehen, und
ihm das Bedürfnis zu vermitteln, an ihrer Veränderung teilzunehmen. Die Bühne wird zu
einem Schauplatz, auf dem eine Veränderung der Gesellschaft als möglich dargestellt wird,
indem die Verhaltensweisen der Menschen sich ändern.
Freilich sind die Themen der beiden Stücke "Der Kaukasische Kreidekreis" und "Das
Märchen ohne Namen" vollkommen verschieden. Die Niederschrift des "Kaukasischen
Kreidekreises" erfolgte 1943, wobei das Stück in Aufbau und Handlung deutlich von der
Vorlage abwich. Brecht versuchte im "Kaukasischen Kreidekreis", in einer Welt, die sich
langsam vom Nazismus und dem Krieg erholte, die Quelle der Güte zu finden, die
unschuldige erste Unbekümmertheit, und die Gesellschaft mit ihr zu konfrontieren586. "Das
Märchen ohne Namen" behandelt dagegen eine Gesellschaft in Verfall, die sich aufgrund einer
äußeren Bedrohung wieder neu formiert und unter Mitwirkung des gesamten Volkes wieder
erfolgreich wehren kann. Trotz dieser vordergründigen Unterschiede sind auf der Ebene von
Form und Zielsetzung doch auch viele Gemeinsamkeiten festzustellen. Beide Thematiken
basieren auf Inhalte, die in der literarischen Tradition existieren. Brecht entleiht sich sein
Thema aus einem chinesischen Werk des 14. Jahrhunderts, welches er in der Bearbeitung von
Klabund von 1925 kennenlernt.
Kambanellis nahm den Stoff der Kindererzählung "Das Märchen ohne Namen" aus dem Jahre
1910 von Penelope Delta, um auf dieser Basis 1959 sein gleichnamiges Theaterstück zu
schreiben, wobei er viele Änderungen vornahm, wie im vorherigen Kapitel dargelegt wurde.
"Das Märchen ohne Namen" ist ebenfalls in Bilder aufgeteilt, freilich nicht in sechs Bilder wie
581
582
583
584
585
586
Kambanellis, Iakobos, wie FN 565, S. 11.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Interview in der Zeitung "Eleftherotypia" (Ελευθεροτυπία),
22.10.1995.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 541.
Kambanellis, Iakobos, wie FN 382, hier S. 35.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Das politische Theater ( Το πολιτικό θέατρο), in: Von der
Bühne und vom Parkett aus (Από σκηνής κι από πλατείας), Athen 1990, S. 61 - 67, hier S. 64. Dies ist
offensichtlich die Art und Weise, wie Kambanellis selbst die Zielsetzung von Brecht versteht.
Dort, Bernhard: Brecht lesen (Ανάγνωση του Μπρεχτ). Griechische Übersetzung von Anna Frangoudaki
(Άννα Φραγκουδάκη), Athen 1981, S. 185.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 182
der "Kaukasische Kreidekreis", sondern in zwei Akte, von denen der erste fünf und der zweite
vier Bilder umfaßt. Zwischen den meisten Bildern kommt ein Lied als Zwischen- und
Bindeglied. Einzige Ausnahmen sind die Übergänge zwischen dem vierten und dem fünften
Bild des ersten Aktes, wie auch der Beginn des zweiten Aktes; hier gibt es keine Lieder. Das
Lied des Prologs führt uns an den Ort des Märchens, es beginnt mit den Worten "Wie gesagt,
es war einmal..." (Lied im Prolog, S. 20). Damit wird sofort deutlich, daß es sich um eine
konstruierte Realität handelt. Es gibt eine Einführung in die folgende epische Erzählung und
ihre menschlichen Gegebenheiten. Eines nach dem anderen folgen nun die Bilder, die nur sehr
locker inhaltlich miteinander verbunden sind. Wie in einer Montage stehen sie nebeneinander.
Wie im Brecht'schen Vorbild hat jede Szene einen Szenentitel, in dem der Ort der Handlung
beschrieben wird. Die zeitliche Abfolge wird damit aufgelöst. Bei Kambanellis heißen die
Titel: Szene 1: "Im Palast", Szene 2: "Das Gericht auf dem freien Platz", Szene 3: "Vor dem
Palast", Szene 4: "Beim Militär", Szene 5: "In der Taverne", Szene 6: "Am Flußufer in der
Sonne", Szene 7: "Am Flußufer im Regen".
Daß die Handlung zu einer Zeit und an einem Ort außerhalb der Realität stattfindet, läßt das
Theaterstück wie ein Spiel erscheinen. In diesem unlogischen Königreich herrscht die Armut,
die Könige hier haben seit Jahren vergessen, wo die Türen sind, die aus ihrem Palast nach
draußen führen. Diese königliche Familie erinnert eher an Gestalten, die sich vielleicht Kinder
ausgedacht haben, an Puppen eines Puppentheaters. Die Königin näht und bügelt, und der
König vertreibt sich die Zeit damit, aus Papier kleine Schwalben zu schneiden. Der Feind ist
für sie keine besondere Bedrohung, es ist doch nur der Mann von Melpo, einer Verwandten.
So sagt die Königin zu dem König: "Ich hätte nie gedacht, daß der Mann von Melpo dich
besiegen würde! " (Königin, S. 116). Auch der eigentliche Kampf wird nur in seiner Qualität
als Spektakel gesehen: "Warum hast du ihnen nicht gesagt, sie sollen hier kämpfen, dann
hättest du auch zusehen können!" (Königin, S. 101). Daß hier um Werte und Inhalte gekämpft
wurde, um das Vaterland und die Freiheit, scheint nicht im geringsten von Bedeutung zu sein.
Der Hinkende antwortet auf die Einladung durch den König: "Militär ist anwesend, Hoheit"
(Der Hinkende, S. 52). Einhändiger, der letzte Überrest dessen, was einst eine Flotte gewesen
war, stellt sich neben Hinkenden und meldet: "Heer und Flotte anwesend." (Einhändiger,
S. 52).
Eine groteske und komische Szene, ähnlich wie die der Hochzeit im "Kaukasischen Kreidekreis", ist, als der Eselskopf eintrifft, das Geschenk jenes Onkels, den man um Hilfe gebeten
hatte. Der Eselskopf kommt sechs Jahre danach an! Der Königssohn wird aufgerufen, dieses
Geschenk auszupacken, als wäre es ein Spielzeug. Der König sagt dazu: "Gib es dem Kind,
laß auch das Kind etwas machen" (König, S. 46). Das ganze Stück hat etwas Spielerisches.
Die Helden tragen in sich die Unschuld, doch auch die Gefährlichkeit, die in so einem Spiel
liegen kann. Kambanellis bestätigt, daß er selbst während des Schreibens von dieser
spielerischen Atmosphäre erfaßt gewesen war. "Als ich es schrieb, muß ich sehr viel Lust auf
ein orgiastisches Theater-Spiel gehabt haben, mit der Buntheit und Fröhlichkeit, die
Volksmalerei, Malerei von Kindern hat, ebenso auf die Mehrstimmigkeit und die
Bewegungsfreude, die das Leben im Freien mit sich bringt."587
Es gibt kein großes Bühnenbild, funktionelle Requisiten allein sind es, die die verschiedenen
Orte der Handlung kenntlich machen. Wie im Brecht'schen Theater verzichtet Kambanellis
auch in seinem Stück "Das Märchen ohne Namen" auf überflüssige Requisiten zur Illustration
der Szenen. Die wenigen Elemente regen die Phantasie des Zuschauers um so mehr aus, einfache Gebrauchsgegenstände genügen für die Ortsbestimmung: Ein Thron, ein Bügelbrett und
587
Kambanellis, Iakobos (Καµπάνελλης, Ιάκωβος): Die Märchen, die nicht altern (Τα παραµύθια που δεν
γερνάνε), Zeitung "To Vima" (Το Βήµα) vom 19.11.1995.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 183
ein Stapel Bücher reichen aus, um den zerfallenden Palast anzudeuten. So beginnt das Stück,
indem man sieht, wie der König auf seinem Thron eingeschlafen ist, während die Königin
bügelt. Der Prinz kniet vor einem Stapel Bücher (Szenische Anweisungen, S. 21).
Ein sehr wichtiges verbindendes Element in diesem Stück sind auch die Lieder. Sie stehen als
Einleitung, als Abschluß und teilweise zwischen den Szenen als Übergang. Dromazos
interpretiert Kambanellis' Arbeit mit dem Liede hier so: "Er verwendet es als ein organisches
Mittel des erzählenden Theaters. Die Poesie, vermischt mit der weisen Gerechtigkeit und
angereichert mit genuin griechischen Erfahrungen stellt eine besondere Heranführung an das
Lied im Theater Brechts dar."588 Das Lied des Prologs führt in die Handlung ein, während das
Abschlußlied zum Epilog den Triumph des Friedens über den Krieg besingt, in einer
tumultartigen Freude drückt es das Fazit des Stückes aus:
"... sie werfen die Drecksmesser weg in Freuden und gehen...
Der Sieg beinhaltet eine Gerechtigkeit, doch die geht verloren,
wenn der Sieger es übertreibt." (Lied, S. 123-124).
Die anderen Lieder, die sich jeweils mit einzelnen Szenen beschäftigen, stellen eine Rekapitulation oder einen Kommentar zum Geschehen dar und machen dem Zuschauer deutlich, welches Handlungselement nun zum Tragen kommt, sei es die Machtlosigkeit des Armen, der
sein Recht finden will (im Lied des Eisenschmieds), oder um den Schwur zum Kampf, den
sich alle über dem toten Leib des Tapferen Jünglings geben. Auf diese Weise schließen die
Lieder die Handlung ab, wie es im Brecht'schen Vorbild der Fall ist. Sie kommentieren die
Handlung nicht nur, sondern nehmen auch Stellung dazu.589 Zusätzlich gibt es auch Lieder,
entsprechend den Brecht'schen "Songs", welche die Handlung unterbrechen und die
Aufmerksamkeit der Zuschauer auf etwas anderes richten, das eigentlich außerhalb der
jetzigen Handlung liegt. Dazu gehört beispielsweise folgendes Lied:
"Von der trojanischen Burg aus
rief Andromache Hektor,
der in die Schlacht ziehen wollte,
mit bitterer Stimme zu:
Mein Soldat, den Kampf wird gewinnen,
wer sich sehr danach sehnt, zu leben ...! (Lied, S. 117 - 118)
Eine Gemeinsamkeit der Stücke "Der Kaukasische Kreidekreis" und "Das Märchen ohne
Namen" ist, daß eine Gerichtsverhandlung von zentraler Bedeutung ist. Im "Kaukasischen
Kreidekreis" hält der Dorfschreiber Azdak, ein Wilderer und nicht offiziell vereidigter Laienrichter, auf seine Weise Gericht, wobei er die Armen zu bevorzugen versucht. Zwar ist er
selbst korrupt und lasterhaft, doch hat er einen untrüglichen, wenn auch naiven Sinn für
Gerechtigkeit. So urteilt er zu Gunsten von Michael, dem Sohn von Gruscha, und honoriert
dadurch dessen Mühe und Liebe.590 Das Theater als Gericht, im Brechtschen Theater in das
Zentrum der Verfremdung gerückt und als Theater innerhalb des Theaters, sozusagen Theater
an sich, findet seine Entsprechung auch bei Kambanellis.591 Im "Kaukasischen Kreidekreis"
dreht Azdak das Gesetz so lange, bis es die Armen begünstigt.
588
589
590
591
Dromazos, Stathis, wie FN 14.
Hahnengress, Karl-Heinz: Der kaukasische Kreidekreis. Eine Einführung in das epische Theater. Stuttgart
1989, S. 43.
Dort, Bernhard, wie FN 586, S. 189.
Roudinesco, Elisabeth: Brecht avec Freud, Zeitschrift L'Herne, Heft 35/1, 1979, ins Griechische übersetzt und
veröffentlicht in der Zeitschrift "Theatrika Tetradia" (Θεατρικά Τετράδια), Themenschwerpunkt Bertolt
Brecht. Heft 23, März 1992, S. 19.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 184
In "Das Märchen ohne Namen" wurde die Person des Dorfschreibers aufgewertet. Er ist nun
ein Richter, welcher versucht, die Logik der Justiz so zu verändern, daß die Reichen davon
profitieren. Er setzt sich so sehr für sie ein, daß er sich schließlich im Laufe des Prozesses
selbst äußerst lächerlich macht. So versucht er, mit an den Haaren herbeigezogenen Argumenten den Prinzen davon abzuhalten, seine Aussage wahrheitsgemäß zu machen, denn sie hätte
die Unschuld des Eisenschmiedes bewiesen. Schon zu Beginn dieses Verfahrens weiß der
Zuschauer, wer schuldig und wer unschuldig ist. Doch zusätzlich dazu wird im TheaterGerichtsverfahren auch noch enthüllt, welche Arten von Gewissen den verschiedenen
beteiligten Menschen zu eigen sind. Die Rechtsfindung obliegt hier nicht nur dem Richter,
sondern auch der Armen Mutter, ja, sogar dem Angeklagten selbst, dem Eisenschmied.
Die Arme Mutter hat einen besonders starken Gerechtigkeitssinn und kritisiert deswegen die
Feigheit der anderen Bürger. Schon zu Beginn der Verhandlung beklagt sie, daß viele von
ihnen gleichgültig sind und aus Angst, selbst Nachteile dadurch zu erleiden, gar nicht an der
Verhandlung teilnehmen wollen. Durch Einwürfe stört sie immer wieder den geregelten
Ablauf. So sagt sie zum Richter: "Du richtest über diesen, ich über jene" (Arme Mutter,
S. 33). Auf einmal schreit der verunsicherte Richter auf und stellt sein eigenes Unwissen bloß,
als er sagt: "Ja, was ist denn hier los, zum Teufel? Ich richte über dich, sie über jene, und nun
du über mich?" (Richter, S. 34). Die Rechtssprechung wird eine Angelegenheit, die alle
angeht, jeder ist aufgerufen, dazu Stellung zu nehmen. Auch der Prinz, dem die
Unrechtmäßigkeiten bewußt sind, die im Palast auftreten, wird wegen seiner Feigheit ins
Kreuzfeuer genommen. "Er kommt und sagt uns, wir hätten Recht, gleichzeitig traut er sich
aber nicht, uns Recht zu geben. Ganz wie sein Vater." (Arme Mutter, S. 37). Die
Gerichtsverhandlung gegen den Eisenschmied wird zu einem Volksgericht, an dem alle
teilhaben und bei dem über alle gerichtet wird. Sie ist eine Probe, um zu testen, welche
Haltung das Volk einnehmen wird, wenn es darum geht, das Land gegen einen äußeren Feind
zu verteidigen. Wird es sich aufgeben, wird es gleichgültig sein oder bereit, gegen den Feind
zu kämpfen? Das ist die wirklich unbeantwortete Frage, die sich nicht nur die Helden auf der
Bühne stellen, sondern auch die Zuschauer. Wie im Brecht'schen Stück hängt die Reaktion der
Einzelnen von ihrer sozialen Stellung und vor allem von ihrem materiellen Interesse ab.592
Beide Stücke haben ein Happy End. "Der kaukasische Kreidekreis" ist das einzige Brecht'sche
Stück, daß einen solchen Ausgang hat: Grusche "gewinnt" das Kind, welches sie aufgezogen
hat, und heiratet ihren Geliebten. Eine neue optimistische Welt beginnt hervorzudämmern, in
der Arbeit und Liebe das wichtigste sind. "Die Geschichte versteinert nie vor Schreck. Die
Welt ist offen. Eine unendliche Bewegung ist zwischen Geschichte und Utopie zu erahnen.
Eine Anfreundung bekommt Gestalt."593 In "Das Märchen ohne Namen" ist das Happy End
gleichzusetzen mit der Friedensschließung, die eine logische Konsequenz darstellt auf den
Beschluß der Bürger, gemeinsam eine erfolgreiche Kampffront aufzubauen, welche den
Belagerer vertrieb und die Kräfte zur Erneuerung im Lande wieder stärkte. Indem das Ganze
als Märchen dargestellt wird, kann es auch als Utopie begriffen werden. Ein faules Volk
gewann einen großen Sieg. Es nahm die Angelegenheit in seine eigenen Hände und konnte die
Dinge erfolgreich verändern, obwohl es sich kurz vorher noch in reiner Dekadenz befunden
hatte. Das Märchen übersteigt die Grenzen der Realität und kann so eine besonders
optimistische Botschaft verbreiten.
Beiden Stücken ist auch gemeinsam, daß die wichtigsten Personen Widersprüche in sich
tragen. Der Prinz ist ein Unterstützer der Wahrheit, und doch auch mutlos und feige. Der
Eisenschmied ist ehrlich und tapfer, zeigt sich aber autoritär und gewalttätig gegenüber jenen,
592
593
Hahnengress, Karl-Heinz, wie FN 589, S. 68.
Dort, Bernhard, wie FN 585, S. 152.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 185
die seiner Überzeugung nicht folgen. Der Lehrer ist gleichzeitig fertig mit dem Leben und
doch durstig danach. Die Arme Mutter schafft es zwar, die Menge hinter sich zu scharen, doch
ist sie nicht fähig, ihre eigene Liebe zum Lehrer zu erhalten. Die Personen verändern sich, sie
haben viele Seiten und Kanten. Gesellschaftliche Umstände sind für ihr Verhalten ausschlaggebend. Die Menge, die anfangs willenlos ist und sich aufgegeben hat, wird im Verlauf des
Stückes immer handlungsfähiger, schließlich mutig und dann auch erfolgreich.
Im "Kaukasischen Kreidekreis" ist der Krieg nur eine ferne Randerscheinung, während er in
"Das Märchen ohne Namen" fast ein Grundbedürfnis der menschlichen Natur darstellt. Die
Gesellschaft ist durch und durch faulig, der Krieg bedroht endgültig ihre Existenz. Die Gefahr,
von fremden Mächten beherrscht zu werden, wird der Anlaß, um dagegen vorzugehen. Man
spürt in "Das Märchen ohne Namen" den Nachhall davon, wie Brecht in "Mutter Courage"
den Krieg beschreibt: "Der Feldwebel: 'Man merkts, hier ist zu lang kein Krieg gewesen. Wo
soll da Moral herkommen, frag ich? Frieden, das ist nur Schlamperei, erst der Krieg schafft
Ordnung. Die Menschheit schießt ins Kraut im Frieden. Mit Menschen und Vieh wird
herumgesaut, als wärs gar nix. Jeder frißt, was er will, einen Ranken Käs auf Weißbrot und
dann noch eine Scheibe Speck auf den Käs. Wie viele junge Leut und gute Gäul diese Stadt da
vorn hat, weiß kein Mensch, es ist niemals gezählt worden. Ich bin in Gegenden gekommen,
wo kein Krieg war vielleicht siebzig Jahr, da hatten die Leut überhaupt keine Namen, die
nannten sich selbst nicht. Nur wo Krieg ist, gibts ordentliche Listen und Registraturen, kommt
das Schuhzeug in Ballen und das Korn in Säck, wird Mensch und Vieh sauber gezählt und
weggebracht, weil man eben weiß: Ohne Ordnung kein Krieg!' " (Feldwebel, S. 63 - 64).594
Freilich ist der Krieg in "Das Märchen ohne Namen" kein Krieg nur um seiner selbst Willen,
sondern er stellt ein Mittel dar, um wieder Handlung einsetzen zu lassen, ein Grund, wieder
die Werte des Lebens umzusetzen: Die Zuneigung, der Kampf um das Leben, das Produktive,
die Liebe. Die Welt, die nach dem Krieg auftaucht, wird wieder gedankenlos und unschuldig
passiv werden. Im gesamten Stück wird ein Gefühl für soziale Verantwortung spürbar. Als der
Krieg beginnt, wie eine ansteckende Krankheit alle zu befallen, findet der Lehrer auf einmal
zu dem wahren Sinn des Kampfes: Der Frieden als allerhöchstes Gut. Der Zuschauer wird
dazu gebracht, über den Gegensatz zwischen Krieg und Frieden nachzudenken und sich seine
eigene Meinung darüber zu bilden. Wichtigstes Gegengewicht zum Krieg ist hier die Liebe,
während die unüberlegte Selbstaufopferung als Unsinn gilt. Diese Ansicht gipfelt in
Kambanellis' Worten "Wer nicht auf seine Wiederkehr schwört, mein Soldat, der verliert den
Krieg." ('Das Märchen ohne Namen', Lied, S. 118).
Menschheitsumspannende Werte tragen beide Stücke, und "der Mythos wird ein Stück über
die Menschheit in unmenschlichen Zeiten."595
4.5.9 Die Umsetzung des Stückes auf der Bühne
4.5.9.1 "Neo Theatro - Thiasos Diamantopoulou - Alkaiou", Athen 1959
Das Stück "Das Märchen ohne Namen" wurde auf Bestellung für dieses Ensemble
geschrieben, das sich damit zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentierte. Diese neue
Schauspieltruppe war sehr ambitioniert, mit ihrer zukünftigen Arbeit die Kluft zwischen
Unterhaltung und Niveau zu überbrücken. Die Zuschauer sollten nicht nur unterhalten,
sondern auch gebildet werden. Der Mitbegründer Vasilis Diamantopoulos beschreibt die
Zielsetzung folgendermaßen: "Natürlich wurde das 'Neo Theatro' nicht gegründet, um einfach
594
595
Brecht, Bertolt: Mutter Courage. In: Stücke aus dem Exil, 2. Band, Berlin 1957, hier: S. 63 - 64.
Hahnengress, Karl-Heinz, wie FN 589, S. 53.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 186
noch ein Ensemble mehr als bisher zu haben. Es möchte neue Elemente in das Klima des
Theaters in Griechenland einführen, es möchte das Theater und ganz allgemein die Kunst den
Menschen näher bringen." Weiter unten setzt er fort: "Wie man es auch sehen mag, das
Theater ist eine Art des Vergnügen, welches nicht nur erfreut, sondern auch den Menschen
bildet, um sie so stärker zu machen."596 Diese Ziele der Gruppe machen eine sorgfältige
Auswahl der Stücke notwendig. Man sucht nach Stücken, die den Puls der neugriechischen
Gesellschaft jener Jahre erfassen, die sich aber auch im Sinne eines 'Volkstheaters' aufführen
lassen. Die beiden Schauspieler, unter deren Name die Gruppe heute bekannt ist, kamen beide
von den besten Bühnen des Landes. Diamantopoulos war einer der wichtigsten Schauspieler
in der Gruppe um Karolos Koun am "Theatro Technis", während Alkaiou im Nationaltheater
verwurzelt war. Gemeinsam beauftragten sie Kambanellis damit, ihr erstes Stück zu
schreiben; einen damals sehr jungen, aber schon erfolgreichen Theaterautor, dessen erstes
Stück schon am Nationaltheater gespielt worden war, während sein Stück "Der Hof der
Wunder" schon vor knapp zwei Jahren am "Theatro Technis" riesigen Erfolg gehabt hatte. Er
sollte nun seine Fähigkeiten zeigen, indem er eine Erzählung bearbeitete, die allen bekannt
und geschätzt war, "Das Märchen ohne Namen" von Penelope Delta. Seine Handlung
entsprach ziemlich genau dem, was man unter 'Volkstheater' verstand.
Diese Aufführung war für die damalige Zeit in Griechenland eine sehr aufwendige
Produktion, an der dreißig Schauspieler teilnahmen. Das Bühnenbild war karg und
reduktionistisch. Ein spärlich möblierter Raum war der Palast des Königs; um die anderen
Orte darzustellen, senkten sich Wände mit entsprechenden Abbildungen herab. Der König
trug schäbige Kleidung und eine lächerliche Perücke. Der Ministerpräsident trat in Kleidung
auf, die einstmals gutbürgerlich gewesen war, während der Prinz ein historisierendes Gewand
hatte, welches an die traditionellen Hamlet-Inszenierungen erinnerte. Das Volk trat in ganz
normaler Arbeitskleidung auf. Dazu wirkten die von Chatzidakis komponierten Lieder sehr
intensiv, die auf der Bühne von einem Cymbalum und einer Gitarre begleitet wurden;
gesungen wurden sie von einer Stimme (entweder einem Schauspieler oder dem eigens dafür
anwesenden Sänger). Der Gitarrist beschrieb dies später so: "Die Musik war für ihre Zeit sehr
originell und vereinnahmte mich sofort. Die Worte von Kambanellis verbanden das vorige
Bild mit dem nächsten und drückten dabei all die Bitterkeit aus, die Hoffnung, die Erwartung,
die Verzweiflung, und doch auch die Schönheit der menschlichen Natur, die enttäuscht wird
und doch wieder Hoffnung schöpft, die sich von ihren eigenen Vorzügen und Schwächen
belehren läßt."597 Die Musik verdeutlicht die ganze Bandbreite an Emotionen des
zeitgenössischen Griechen und jener Bereiche seines Lebens, die in diesem Stück thematisiert
werden. Die Musik verlieh dem Stück von Kambanellis sehr intensive Stimmungen, die
wesentlich dazu beitrugen, daß die Schauspieler sich in lebhafter Vielfalt ausdrücken konnten.
Als Beispiel seien neben dem sich selbst auf die Schippe nehmenden Lehrer Figuren genannt
wie die Arme Mutter mit ihren erotischen Wünschen, und der demokratische Prinz.
Indem die Figuren dem griechischen Publikum sehr nah und alltäglich vorkamen, erreichte
das Stück ein ihm wesentliches Ziel: "Der Tonfall ihrer Stimmen, ihr Ausdruck, jede Geste
erinnerten uns an Personen, die wir schon vor langer Zeit kennengelernt hatten, die wir aber
bisher nie im Theater gesehen hatten. Wie konnten sie sich auf einmal alle gemeinsam hier
wiederfinden? Ihr Sprechen war klar und flüssig, es wurde von spontanen Gesten begleitet."598
596
597
598
Diamantopoulos, Vasilis, wie FN 580, hier S. 191.
Pappas, Lakis (Παππάς Λάκης) im Programmheft zur Aufführung des Stückes "Das Märchen ohne Namen",
1995 im Nationaltheater, S. 53 - 54, hier S. 53.
Stavrou, Gerasimos, wie FN 547.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 187
Die außerordentlich eindrucksvollen individuellen Interpretationen wurden von jenen Szenen
flankiert, in denen die Menge auftrat; diese verliehen sowohl dem Stück als auch der Inszenierung Gewicht. Wie eine Maske waren die Gesichter der Menschen in der Menge bemalt; in
ihren gemeinsamen Handlungen wurde die Verzweiflung, der Willen und die Entschlußkraft
zu dem eigentlich Agierenden.
Die Inszenierung schwankt zwischen Groteske und Realismus. Manche Figuren, wie die des
Königs und der Königin, werden sehr übertrieben dargestellt, andere, wie die Arme Mutter
und der Lehrer, werden realistischer interpretiert und schaffen Nähe zum Publikum. Ein
Zuschauer jener Inszenierung erkannte folgende Achsen in dieser Inszenierung von 1959:
1. Die optimistische Botschaft, daß das Volk zusammen mit fähigen Herrschern durchaus die
Kraft finden kann, sich wieder aufzurichten.
2. Die Entthronung des Prinzips der Monarchie.
3. Die Verurteilung des unterwürfigen Verhaltens gegenüber fremden Mächten, was in jener
Zeit aus gegebenem Anlaß ein besonders aktuelles Thema war.
4. Das Volk als Hauptperson des Stückes, das im Stande ist, Wunder zu bewirken, wenn es
aus seinem Schlaf erwacht."599
Bei dem Publikum war diese Aufführung anfangs ein enormer Erfolg, so daß sie in der ersten
Woche ständig ausverkauft war. Beim Beifall gab es regelmäßig stehende Ovationen. In der
zweiten Woche dagegen wirkte sich aus, daß die meisten Kritiken das Stück vernichtend
beurteilten. Nun gingen die Besucherzahlen so drastisch zurück, daß das Stück vorzeitig
abgesetzt werden mußte. Die Menschen waren befremdet von einer so harten Satire, in der
Tatsachen wie eine Komödie betrachtet wurden. Nicht zu unterschätzen ist ihre Angst vor der
Polizei, die zu jener Zeit sehr mächtig war und willkürlich auftrat. Doch auch die schlechten
Kritiken trugen sicher mit dazu bei, das, das Schicksal der Aufführungen zu besiegeln, so daß
das Stück schließlich abgesetzt wurde. Die Zuschauer, die weiterhin die Aufführung sahen,
reagierten mit der gleichen Begeisterung wie am Anfang. Studenten buchten ganze Aufführungen für ihre Kommilitonen, um die Aufführung zu stützen; nach den Vorstellungen für
Studenten gab es immer noch eine Diskussion mit den Darstellern.600
Die weitere Rezeption des Stückes wurde massiv durch diese Aufführung geprägt. Sie war
zwar finanziell ein Verlustgeschäft, doch der Eindruck wichtiger Schauspieler in den wichtigsten Individualrollen wie die Arme Mutter, der Lehrer, der König und die Königin hielt auch
in den nächsten Jahren noch an. Die Darsteller genossen enthusiastisch, dermaßen neuartige
Rollen spielen zu können. Genauso wurde davon Notiz genommen, daß das Stück vorzeitig
abgesetzt wurde, was nur an der Verkettung von ungünstigen Umständen liegen konnte.
4.5.9.2 Theater "Nea Poria", Athen 1973
Wieder war es ein neu gegründetes Ensemble, das dieses Stück von Kambanellis als eines der
ersten wählte, mit dem es sich den Publikum vorstellte.601 Sie waren der Ansicht, daß der
Hauptdarsteller im Theater überbewertet sei, und da das Theater selbst sich in den Händen
599
600
601
Stathopoulos, Michalis (Σταθόπουλος, Μιχάλης): Weiterbildung der Studenten durch das Märchen
(Φοιτητική ανάπτυξη από το παραµύθι), in: Gemeinde Zografou, Geistiges Zentrum (∆ήµος Ζωγράφου,
Πνευµατικό κέντρο): Festschrift zu Ehren von Iakobos Kambanellis, Juni 1994, S. 79 - 84.
Gespräch der Autorin mit der Schauspielerin Maria Alkaiou (Μαρία Αλκαίου) am 20.02.2001.
Dies ist die zweite Aufführung dieses Ensembles.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 188
von "skrupellosen Händlern" befinde, "entblößt und leblos"602. Sie wollten das Theater von
der reinen Unterhaltung wieder zurückbringen zu seiner Aufgabe als Mittel zur Bildung. "Das
Theater ist nicht nur Unterhaltung, es ist eine Schule. Seit Jahren beschäftigt sich das bürgerliche Theater nun mit den Problemchen und Taten einer kleinen Gruppe von Menschen, denn es
wandte sich auch nur an sie."603
Da "Nea Poria" gegen jede Art von Avantgarde war, nannten die Schauspieler ihre Bewegung
anti-avantgardistisch. Wichtigster Punkt war ihnen die gemeinsame Arbeit, der Dialog zwischen den Mitgliedern des Ensembles. Jeder sollte sich selbst einbringen, wodurch die Arbeit
immer in Bewegung bliebe und die gesellschaftliche Mission erfüllt würde, gleichzeitig soll
jegliche Trägheit im Keim erstickt werden. Es war kein Zufall, daß "Das Märchen ohne
Namen" ausgesucht wurde. Es war immerhin die Zeit der Militärdiktatur in Griechenland, und
so bekam die Aufführung dieses ohnehin politisch motivierten Stückes noch eine zusätzliche
Bedeutung.
Nicht wenige der Schauspieler aus dieser Truppe waren der Meinung, daß diese Auswahl vielleicht nicht die ganz richtige war, da sich im Zentrum des Stückes ein Prinz befand, und das
zu einer Zeit, wo die Institution der Monarchie untrennbar mit den militärischen Machthabern
der Junta verbunden war. Schließlich setzte sich die Ansicht durch, daß das nicht so wichtig
sei. Da das Stück sich in einer Märchenwelt abspiele und die Rolle des Prinzen vorwiegend
allegorisch zu sehen sei, stünde dieser für nichts anderes als für die Tatsache, daß ein
erleuchteter Anführer alle anderen Parteien zusammenschweißen könnte.604
Diesmal wurde "Das Märchen ohne Namen" besonders dafür geschätzt, daß es sich gut dafür
eignete, das Niveau sowohl der Schauspieler als auch des Publikums anzuheben. Man wollte
das Stück so inszenieren, daß sich eine möglichst breite Vielfalt an Zuschauern dadurch angesprochen fühlen konnte. Das Bühnenbild und die darstellerische Interpretation waren ganz auf
dieses Ziel ausgerichtet: "Da wir glauben, daß eine Aufführung so gestaltet werden kann, daß
alle davon etwas haben, der Intellektuelle und der Hirte, der Bürger und der Arbeiter, müssen
die Mittel zur Umsetzung also massiv, ursprünglich, ehrlich und leidenschaftlich sein."605 So
wurde das Stück als Mittel zur nationalen Selbsterkenntnis interpretiert. Auf jeden Fall sollte
das Gleichgewicht gehalten werden zwischen der Magie des Märchens und der Wahrheit des
Realismus. Die politische Aussage des Stückes sollte ebenfalls deutlich bleiben, so weit dies
unter den Bedingungen der Militärdiktatur möglich war. (Nur unter Vorbehalt hatte die Zensur
die Erlaubnis zur Aufführung gegeben.)
Die Vorstellung hatte anfangs epische Elemente und entwickelte sich im Laufe der Handlung
zu einem wahren Jahrmarkt. Es war wie eine große naive Wandmalerei, in der jede Szene
ihren individuellen Charakter hatte. Die Helden traten als unverkennbare Griechen auf, sie
spielten extrovertiert, direkt zum Publikum hin gerichtet. Das Publikum sollte nicht nur auf
jeden Fall die Botschaften verstehen, sondern auch veranlaßt werden, selbst Stellung zu
beziehen. Dazu dienten auch groteske Elemente, so etwa heroische Zweikämpfe im
pseudohistorischen Stil mit primitiven Schilden. Alltägliche Gebrauchsgegenstände wie
Kochtöpfe und Waschbretter wurden in den Händen der Menge zu Waffen, als diese sich
entschloß, zu kämpfen. Mit viel Leidenschaft wurde auch der Pyrrichios getanzt, ein antiker
602
603
604
605
Theatro Nea Poria (Θέατρο Νέα Πορεία): Nein zum Fehler der Trägheit. Gespräch mit Mitgliedern des
Ensembles Nea Poria Όχι στο λάθος της αδράνειας. Συνοµιλία µε µέλη του θεάτρου Νέα Πορεία), Zeitschrift
"Theatrika" (Θεατρικά), Heft 4, Oktober 1972, S. 6 - 9, hier S. 6.
Theatro Nea Poria, wie FN 602, hier S. 9.
Gespräch der Autorin mit dem Regisseur der Aufführung des Stückes "Das Märchen ohne Namen", Georgos
Charalampidis (Γιώργος Χαραλαµπίδης) am 15.08.1999.
Theatro Nea Poria, wie FN 602, hier S. 9.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 189
Kriegstanz für Männer. Das alles sollte verdeutlichen, wie das Volk sich verhalten könnte,
wenn es sein Schicksal ändern wollte.606
Die Musik von Manos Chatzidakis wurde von dem Komponist Vasilis Tenidis ganz neu
orchestriert. Um die neuen Anforderungen dieser Inszenierung zu erfüllen, wurde auf Klänge
aus der traditionellen griechischen Volksmusik zurückgegriffen, so daß nun neben dem
Cymbalum noch Metallophon, Schlagzeug, Querflöte, Klarinette, Oboe und Kontrabaß
erklangen.607
Die wichtigsten Punkte, welche die Inszenierung aufzeigen wollte, waren:
" - Am Anfang der Morast,
- dann wie eine klingende Ohrfeige die Scham,
- dann das Aufwachen, schwierig und schmerzhaft in Kampf und Zerstörung.
- Dann der Sieg,
- am Ende Nachdenklichkeit."608
Dies alles in einem Volksfest, eingebettet in die Farce und das Spiel einer Aufführung, die
durch ihren Mut mitreißt und nicht nur alle Gefühle, sondern auch den Geist des Zuschauers
mobilisiert."609
Bei dieser Aufführung wurden automatisch Assoziationen angesprochen. Hinter dem Satz
"Die Marine meutert" erkannte das Publikum sofort die "Bewegung der Marine"610; die Hilfe
des Onkels und fremden Königs, der im Gegenzug die totale Kapitulation verlangte, setzte es
gleich mit der aktiven Rolle, die die Amerikaner spielten, indem sie die Militärdiktatur in
Griechenland einsetzten und am Leben erhielten. Die Aufführung wurde von dem Publikum
begeistert aufgenommen. Sie wurde in der nächsten Saison fortgesetzt, doch von September
bis Dezember 1973 von der Junta verboten. Danach spielte sie nochmals für einen Monat.
Die Schauspieltruppe "Nea Poria" führte das Stück 1988 ein zweites Mal auf. Die Darsteller
waren größtenteils nicht mehr die selben, doch der Regisseur Charalampidis war geblieben.
So wiederholten sie ein Stück, das untrennbar mit der Geschichte der Theatertruppe
verbunden war. Diese neue Aufführung sollte auf der Essenz der Aufführung von 1972
aufbauen, ohne sie zu kopieren. Man strebte einen extremen Realismus an, das Theater sollte
sich möglichst wenig von der Wirklichkeit draußen unterscheiden. Die Jahrmarktstimmung
606
607
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610
Gespräch der Autorin mit dem Regisseur der Aufführung "Das Märchen ohne Namen", Georgos
Charalampidis (Γιώργος Χαραλαµπίδης) am 15.08.1999.
Interview mit Vasilis Tenidis (Βασίλης Τενίδης) in der Zeitung "Eleftherotypia" (Ελευθεροτυπία) am
27.06.1988.
Charalambidis, Georgos, wie FN 606.
Theatro Nea Poria (Θέατρο Νέα Πορεία): Notiz der Schauspieltruppe im Programmheft zur Aufführung des
Stückes "Das Märchen ohne Namen" 1973.
Die (Widerstands-)Bewegung in der Marine (gr.: Κίνηµα του Ναυτικού): Eine Bewegung innerhalb der
Kriegsmarine, welche sich im Frühjahr 1973 der diktatorischen Führung des Landes widersetzte. Am 23. Mai
jenen Jahres schritt die Diktatur gegen die Bewegung ein und verhaftete viele höhere und untere Offiziere.
Mit ihnen wurden auch viele Zivilisten festgenommen, sie alle wurden auf abscheuliche Weise gefoltert und
gedemütigt. Dramatisches Ende und Höhepunkt dieser Bewegung war, als der Zweite Offizier eines Schiffes,
Nikos Pappas, seine Teilnahme an einer Nato-Übung im Mittelmeer eigenmächtig verließ und sein Schiff
nach Italien lenkte, wo er mit dem Ersten Offizier um politisches Asyl bat. Es wurde davon ausgegangen, daß
der im Exil lebende König Griechenlands, Konstantin, diese Widerstandsbewegung angezettelt hatte. Als
Reaktion darauf unterbrachen die Obristen jegliche weiteren Kontakte Griechenlands mit dem Königshaus.
Wenige Tage später verkündete der Diktator Georgos Papadopoulos persönlich, daß die griechische
Monarchie abgeschafft sei und abgelöst durch eine Präsidialdemokratie, deren erster Führer der Diktator
persönlich sei.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 190
sollte noch weiter verstärkt werden, um, wie der Regisseur es ausdrückte, "das große Epos der
nationalen Katastrophen und des Volkserwachens" zu beleuchten611.
Der Komponist Manos Chatzidakis weigerte sich dieses Mal, die Musik aufführen zu lassen,
die er für die Aufführung 1959 komponiert hatte. Tenidis, der 1972 die Musik orchestriert
hatte, komponierte nun eine ganz neue Musik, welche auch zum Angelpunkt der neuen
Aufführung wurde: "Ich sah die Charaktere als Repräsentanten eines Lumpenproletariats aus
der Zeit zu Beginn unseres Jahrhunderts. Die Arme Mutter, der Eisenschmied, der Wirt - was
sind sie denn? Marginalisierte Typen. Wie hätten sie sich geäußert? Durch die alte
Volksmusik, die auch Ausgangspunkt der Rembetiko-Musik war. Diese Volksmusik hat den
Kontakt zu ihren alten Traditionen nicht verloren, war aber auch nicht zu dem volkstümlichen
Ausdruck der Schlager gekommen. Dieses alte Volkslied war vor allem reiner Ausdruck."612
4.5.9.3 "Kratiko Theatro Voriou Ellados", Thessaloniki 1978
Diesmal wurde "Das Märchen ohne Namen" von einem staatlichen Theater aufgeführt. Der
Regisseur Kostas Bakas wollte damit ein Stück aufführen, welches das Problembewußtsein
schärfen sollte. "Es ist notwendig, Theater zur Schärfung des Problembewußtseins zu machen.
Theater, das es wagt, zu fragen: 'Was geschieht um uns herum? Warum treten diese und nicht
jene Ereignisse ein? Welche sind die tieferen Gründe dafür?' "613
Der Regisseur entschied sich für dieses Stück, weil ihm das darin enthaltene revolutionäre
Element gefiel, das mit einem frischen, leichten Humor einherging. Auch faszinierte ihn die
Mischung aus Brecht'scher Epik mit der antiken Tragödie, und besonders Aristophanes. Er sah
in dem Stück eine tragische Farce, die auf der Bühne Griechenland abbildete - jenes Griechenland, in dem das Leben selbst oft genug auch nichts anderes ist als eine tragische Farce, ein
Land, das leider oft mit tragischen Umständen leben muß, das aber auch die Kraft hat, aus
Unglück wieder Glück zu machen. Und hierin liegt wiederum ein starkes revolutionäres
Potential.
Für diese Aufführung wurde erneut eine andere Musik geschrieben, die den starken lyrischen
Tonfall der legendären Melodien von Chatzidakis vermeiden wollte, sie sollte nun deutlicher
den revolutionären Ansatz betonen, auf den diese Inszenierung besonders verwies.
Das Bühnenbild kam mit Andeutungen aus. Eine schiefe Ebene befand sich in der Mitte der
Bühne, im Hintergrund erkannte man Schilfrohr, was den Fluß andeutete. Ein Boot auf
Rädern kam vor, der Thron des Königs bestand aus zwei, drei bescheidenen Brettern
übereinander. Alles dies bedeutete etwas, ohne es wirklich zu beschreiben oder die
Atmosphäre direkt wiederzugeben. Auch die Beleuchtung war hierauf ausgerichtet. Der
revolutionäre Unterton war nicht kühl dargestellt, sondern in Verbindung mit einer lyrischen
Grundstimmung.
Der Regisseur erinnerte sich später: "Es gibt eine Szene, da sind alle Schauspieler auf der
Bühne. Gemeinsam verabschieden sie mit einem Lied diejenigen, die unter Einsatz ihres
Lebens mit dem Boot davonfahren werden, um Lebensmittel zu besorgen. Auf der schrägen
Ebene verteilen sich gut dreißig Personen, Männer, Frauen, Popen, Polizisten, sie füllen die
ganze Schräge aus, und hinten legt das Boot ab mit dem Admiral. Die dreißig Leute ziehen
weiße Taschentücher hervor und verabschieden sie, hinterher ziehen sie das Boot auf den
611
612
613
Georgos Charalampidis (Γιώργος Χαραλαµπίδης): Notiz im Programmheft zur Aufführung des Stückes "Das
Märchen ohne Namen" am Theatro Nea Poria 1988.
Interview mit Tenidis, Vasilis, wie FN 607.
Liani, G. (Λιάνη, Γ.): Interview mit dem Regisseur Kostas Bakas (Κώστας Μπάκας) in der Zeitung
"Eleftherotypia" (Ελευθεροτυπία) am 19.03.1979.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 191
zentralen Dorfplatz, drehen sich um und winken grüßend in die Richtung des Publikums."614
Hier wurde also das "Volk" als Akteur gezeigt, und indem es sich auch direkt an das
Publikum wandte, wurde dieses, wie bei Brecht gefordert, in die Handlung mit einbezogen.
4.5.9.4 “Theatrikos Organismos Kyprou”, Nikosia 1974
Die Aufführung615 fand auf Zypern in dem Amphitheater "Makarios III." statt, welches zu
einer Blindenschule in Nikosia gehörte. Der Regisseur Vladimiros Kafkaridis sah in dem
Stück besonders den jähzornigen Charakter des Griechen herausgestellt, seine Neigung zur
Satire und zum Necken, zur Allegorie. Weitere wichtige Elemente in dem Stück waren für ihn
der Schmerz, die Verzweiflung, die Belehrung des Publikums. Er fand es reizvoll, dies alles
vor einem freundlichen Hintergrund vereint zu sehen, der an naive Bauernmalerei erinnerte.616
Der Regisseur wollte dieses Stück ein weiteres Mal als Volkstheater zu inszenieren, mit dem
einfachen Menschen im Blickpunkt und in der ausgelassenen Form eines Jahrmarktes.
Das Bühnenbild war stark vereinfacht, kombiniert mit expressionistischen Elementen, hatte
also ebenfalls deutliche Anklänge an Brecht. Der Halbkreis der Bühne wurde durch eine
ungefähr zwei Meter breite Rampe begrenzt, auf der sich ein Teil der Handlung abspielte. In
ihrer Mitte führte eine Treppe nach unten, so daß auch die tiefere Ebene in der Mitte der
Bühne mit genutzt werden konnte. In diesem zusammenhängenden Raum befanden sich
einige Requisiten, welche die verschiedenen Orte der Szenen andeuteten. Man sah den Thron
des Königs, ein paar kleine Schemel mit einem Tisch, Baracken und ein paar Gewehre. Sie
verwiesen jeweils auf den Palast, die Taverne und das Militärgelände. Die Bewohner des
Palastes wurden mit einer kräftigen Prise Groteske bedacht, während die einfachen Menschen
aus dem Volk realistischer dargestellt wurden. Im Laufe der Handlung kristallisierte sich aus
ihrer anfänglichen Gedankenlosigkeit und dann ihrem Streben nach einem besseren Leben ihr
Mut zum Widerstand und schließlich zur Revolution heraus.
Als das Stück auf Zypern einstudiert wurde, herrschte in Griechenland die Militärdiktatur, und
unter den Mitgliedern des Ensembles waren einige, die mit der Junta sympathisierten. Sie
wollten die Inszenierung zuerst verhindern, was ihnen aber nicht gelang. Drei Tage nach der
Premiere geschah allerdings die überraschende Invasion der Türkei auf Zypern, mit heimlicher
Rückendeckung von der griechischen Militärjunta. Sozusagen im Handstreich verloren die
Griechisch-Zyprioten mehr als die Hälfte der Insel an die Türkei.
Die Vorstellungen wurden danach erst einmal abgesetzt; das Ensemble ging auf Tournee nach
Griechenland, um mit seiner Arbeit die zypriotischen Flüchtlinge zu unterstützen. Als die
Schauspieler nach drei Monaten in ihr Amphitheater zurückkehrten, fanden sie das
Bühnenbild noch immer aufgebaut und unberührt. Die Realität hatte die Fiktion eingeholt.
Das Bühnenbild von "Das Märchen ohne Namen" war zur Szenerie eines echten Krieges
geworden. Als die so plötzlich abgebrochene Aufführung wieder aufgenommen wurde, wurde
sie Unterhaltung und sozialer Treffpunkt für Flüchtlinge, die in der Nähe in improvisierten
Baracken hausten.
614
615
616
Gespräch der Autorin mit dem Regisseur, Kostas Bakas, siehe FN 464 am 26.08.1996.
Dieses theater ist eine andere Standplatz des Theaters “Theatrikos Organismos Kyprou” "Θεατρικός
Οργανισµός Κύπρου".
Kafkaridis, Vladimiros (Καυκαρίδης, Βλαδίµηρος): Notiz im Programmheft zur Aufführung des Stückes "Das
Märchen ohne Namen" am Theatrikos Organismos Kyprou, 1974.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 192
4.59.5 Nationaltheater, Athen 1995
Eine lange Zeit nach den früheren Aufführungen wurde "Das Märchen ohne Namen" wieder
interessant. Die politischen Umstände, die einst Kambanellis zum Verfassen dieses Stückes
inspiriert hatten, waren inzwischen völlig verändert. Was den Regisseur Thanassis Papageorgiou nun interessierte, war nicht mehr die frühere Aktualität, sondern tatsächlich die märchenhafte Seite des Stückes. Er wollte den Reiz des eigentlichen Märchens herausstellen. Das
Thema der Herrschaft interpretierte er so, daß ein eigentlich unfähiger Mensch zufällig in die
Rolle des Regenten gerät und den Prozeß der Reform anfangs behindert, sich später aber
überzeugen läßt und sie mitträgt, so daß der Herrscher am Ende des Stückes mit seinem Volk
ausgesöhnt ist.617
Um die Magie des Märchens heraufzubeschwören, wurde diesmal ein Bühnenbild von
immenser Größe aufgebaut. Der Palast und gleichzeitig der Eindruck der Katastrophe wurden
verdeutlicht, indem die Bühne eine Fabrikhalle der frühen deutschen Schwerindustrie zeigte,
wie etwa von Krupp. Die Bewohner, selbst der König, erschienen wie verlorene kleine
Männlein vor diesen hohen Mauern, unfähig, die Ernsthaftigkeit der Lage, in der sie sich
befanden, auch nur zu ermessen. Für die Szenen, die nicht im Palast spielten, wurden andere
Raumelemente auf Rollen hereingefahren: Für das Gericht einen Richtersitz und Tisch, etc.
Die Beleuchtung wechselte zwischen verschiedenen Farben und warmem oder kaltem
Grundton, um jeweils die aktuelle Stimmung zu verstärken. Die Kostüme waren sehr bunt,
aufwendig gemacht und aus verschiedenen Materialien zusammengesetzt, doch zeigten sie
alle auch beschädigte oder verschlissene Stellen. Die Musik war ebenfalls aufwendig besetzt,
um den Eindruck des Märchenhaften zu unterstreichen. Ein Quintett, bestehend aus
Kontrabaß, Querflöte, Gitarre, Trompete, saß rechts unter der Bühne und spielte wieder die
Melodien, die Chatzidakis für die erste Aufführung des Stückes geschrieben hatte.
Das Stück wurde als Theaterballade betrachtet. Es nahm einen sehr gleichmäßigen Verlauf,
ohne Höhepunkte, Akzente, ideologische Unterstreichungen oder scholastische
Nadelstiche.618 Der Regisseur hatte sich nicht zum Ziel gesetzt, die ideologischen Botschaften
von Kambanellis zu verbreiten, er wollte nur dessen Märchen erzählen. Für die Umsetzung
verließ er sich auch sehr auf den Instinkt seiner Schauspieler, was diese zu wirklich
außerordentlichen darstellerischen Leistungen veranlaßte.
Rigopoulos, der den verantwortungslosen und unbedarften König gab, hielt stets die Balance
und vermied es haarscharf, ins Lächerliche abzugleiten. Er hatte die Vorlage sehr genau
beachtet und mit viel Liebe zum Detail umgesetzt, wodurch er tatsächlich eine Figur gab, die
nur aus der Welt der Märchen stammen konnte. Der Lehrer war ein Sarkast durch und durch,
der auch sich selbst nicht ernst nahm. Mit einer natürlichen Autorität, frischer Rhetorik und
Offenheit machte er den anderen Mut, den Weg der Liebe und des Friedens zu gehen. Die
Arme Mutter war in ihrer Bitterkeit eine Personifizierung des Schicksals Griechenlands, die
trotz aller Widrigkeiten die Lust am Leben nicht verlor. Die Gestalt der Königin war eine
rundum sehr sorgfältig gearbeitete Karikatur.
Die Aufführung nahm zwischen den verrauchten Fabrikmauern ihren Lauf, war aber dennoch
durchdrungen von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Der satirische Geist war gut ausbalanciert mit der Darstellung der Plagen, die das Land heimsuchten. Deutlich waren die
Momente herausgearbeitet, an denen die Demütigung sich in Selbsterkenntnis wandelte,
worauf später der Wiederaufbau des Selbstbewußtseins folgen konnte.
617
618
Informationen, die sowohl in der Pressekonferenz des Regisseurs Thanasis Papageorgiou (Θανάσης
Παπαγεωργίου) angesprochen wurden (siehe Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα), 01.12.1995), wie auch in dem
Gespräch, das die Autorin mit ihm am 10.03.1998 führte.
Georgousopoulos, Kostas, wie FN 574.
Kambanellis - Trilogie des Krieges, Stück "Das Märchen ohne Namen"
S. 193
Die Politiker waren als Puppen oder Clowns ohne eigenen Charakter und Willen dargestellt,
doch auch das Volk war sichtlich nicht ganz unschuldig an der Misere, es hatte sich zu sehr
der Faulheit, der Gleichgültigkeit und der Entfremdung hingegeben. Auch war es deutlich, daß
das Volk selbst diese willenlosen Gestalten als seine Leiter berufen hatte.619
Was allerdings der Intention von Kambanellis' Stück etwas widersprach, war das heroische
Finale der Aufführung. Der König - und vor allem der Prinz - hatten bei ihm nur die Funktion
eines Katalysators, der den zündenden Funken entfachen sollte. In dieser neuen Interpretation
schien der Regisseur Papageorgiou dagegen wieder mehr zu der Tendenz der Geschichte von
Penelope Delta zurückzukehren, wo der Herrscher oder sonstige Anführer die zentrale Rolle
der Lichtgestalt spielte.620
619
620
Diese Informationen entstammen den damaligen Kritiken in der Presse. Die wichtigsten Kritiken waren von:
Kritikos, Thodoros (Κρητικός, Θόδωρος): Kritik der Aufführung des Stückes "Das Märchen ohne Namen"
am Nationaltheater, in der Zeitung "Eleftherotypia" (Ελευθεροτυπία) am 13.01.1996,
Matsas, N. (Μάτσας, Ν.): Kritik der Aufführung des Stückes "Das Märchen ohne Namen" am
Nationaltheater, in der Zeitung "Estia" (Εστία) am 16.01.1996,
Kaltaki, Matina (Καλτάκη, Ματίνα): Kritik der Aufführung des Stückes "Das Märchen ohne Namen" am
Nationaltheater, in der Zeitung "Ependytis" (Επενδυτής) vom 31.01.1996.
Pagourelis, Vaios (Παγκουρέλης, Βάιος): Kritik der Aufführung des Stückes "Das Märchen ohne Namen" am
Nationaltheater, in der Zeitung "Eleftheros Typos" (Ελεύθερος Τύπος) vom 11.12.1995.
Kambanellis - Epilog zur Trilogie des Krieges
S. 194
4.6 Epilog zur Trilogie des Krieges
Die früheren Stücke dieser Trilogie ("Odysseus, geh heim" und "Papa der Krieg") wurden in
ihrer ersten Fassung schon 1952 geschrieben, erfuhren aber noch lange Weiterbearbeitungen
und Veränderungen, bevor sie auf einer Bühne uraufgeführt wurden ("Odysseus, geh heim"
(1966) und "Papa der Krieg" (1980)). Das lag daran, daß die Stücke anfangs von den Theatern
abgelehnt wurden. Gleichzeitig ist ein Reifungsprozeß bei Kambanellis selbst festzustellen,
der sich in seinen frühen Jahren sehr von dem neuen europäischen Repertoire beeinflussen
ließ wie auch davon, wie Stücke des amerikanischen Realismus (von Tennessee Williams,
Arthur Miller und anderen) in Griechenland szenisch realisiert wurden. Sie veranlaßten ihn oft
zu weiteren Änderungen an seinen eigenen Stücken. Das zuletzt geschriebene Stück dieser
Trilogie wurde so gleichzeitig das erste, das tatsächlich aufgeführt wurde, da es auf Bestellung
einer Schauspieltruppe entstand (1959).
Mit diesen Stücken reiht sich Kambanellis in die Gemeinschaft jener Dramatiker ein, welche
den Weg der Satire nehmen. Er setzt die epische Technik ein, arbeitet mit mythischen oder
historischen Motiven, auch in Anlehnung an schon existierende literarische Werke, die aber
neu gebrochen werden, um zur Satire zu werden.
Die folgenden drei Bemerkungen lassen sich zu dieser Trilogie machen:
1. Die "Trilogie des Hofes" hatte im Zentrum ihres Interesses das Milieu, das kollektive
Bewußtsein der Menschen, die in der architektonischen und sozialen Einheit des Hofes
zusammenwohnten, sowie das Schicksal der Außenseiter. In der "Trilogie des Krieges" treten
die Entscheidungsträger in den Mittelpunkt. Sie kommen als mythologische oder historische
Personen daher, und die Satire erfordert es, ihre Merkmale aufzublähen, damit ihre Ideologie
und ihr Handeln möglichst deutlich ausgeleuchtet werden. Thema wie auch Ort der Handlung
bleiben öffentlich, doch die Stoßrichtung geht nun zu einem politischen Theater, in dem sich
die Aufmerksamkeit auf jene richtet, die für wichtige Entscheidungen verantwortlich
zeichnen.
2. Gnadenlos werden auch die schlechten Seiten der Charaktere ausgeleuchtet, die das Griechenland in der Nachkriegszeit beherrschten. Selbstherrlich sind sie und stets auf der Suche
nach Möglichkeiten, sich darzustellen. Gleichzeitig beuten sie ihr Heimatland rücksichtslos
aus, sind kriegslüstern und zeigen keinerlei Interesse am eigentlichen Wohlergehen des
Volkes. Sie fallen durch das Fehlen jeglicher Werte auf. Im Stück über Odysseus ist die
Hautperson in ihrem eigenen Mythos wie im Exil gefangen, er gerät in Konflikt mit jenen, die
diesen Mythos geschaffen haben. In "Papa, der Krieg" steht der Krieg dem Handel erst
feindlich gegenüber, zum Ende des Schlusses aber umarmen sich die beiden Prinzipien, da
ihnen die vielen gemeinsamen Berührungspunkte deutlich werden, die sie vereinen. In "Das
Märchen ohne Namen" schließlich ist das Volk ein Spiegelbild der jämmerlichen Clique, die
es beherrscht. Erst als 'neues Blut' an die Macht kommt, wird es differenzieren und den
Wunsch kennenlernen, die Korruption der vorigen Generation abzulösen.
3. Die Karikaturen der politischen Führer, die sich in den Stücken dieser Trilogie zeigen, sind
ein satirisches Mittel, um auch die andere Seite der Medaille zu zeigen, denn Griechenland
machte in den 50er Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts eine wirklich schlimme Zeit durch,
und gewiß gibt es auch dafür einige Verantwortliche.
Kambanellis - Resumée
S. 195
5 Resumée
In der vorliegenden Arbeit wurden die Stücke aus der "Trilogie des Hofes" und der "Trilogie
der Satire" von Iakobos Kambanellis hinsichtlich ihrer Dramaturgie und ihrer Aufführungsgeschichte untersucht und analysiert. Die insgesamt sechs Stücke wurden alle in der Zeit von
1952 bis 1959 geschrieben. Thematisch und stilistisch hat jede Trilogie ihre eigenen Achsen.
Dennoch macht die Tatsache, daß die "Trilogie des Hofes" sich in einem klar umrissenen,
realistischen Aktionsfeld abspielt, während die "Trilogie der Satire" mit ihrer mythologischhistorisch geprägten Thematik nicht so leicht einem begrenzten realen Raum zuzuordnen ist,
gar keinen so großen Gegensatz. In abstrahierter Form behandeln alle Stücke das
Griechenland jener Zeit, als vier Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und der deutschen
Besatzungszeit auch der Bürgerkrieg zu Ende gegangen war. Damals stand das Land vor
immensen sozialen und politischen Problemen, da Verhaltensformen wie etwa die
Anwesenheit 'fremder' Mächte, die Gewinnsucht, die Ausbeutung des Schwachen, Korruption,
Zügellosigkeit und politische Willkür an der Tagesordnung waren. Iakobos Kambanellis ist
ein sozialkritischer Autor, weswegen er diese gesamte Problematik in sein Werk einbaut.
Daher lassen sich die beiden Trilogien auch als zwei Seiten der gleichen Münze verstehen.
Auch wenn sie sich stilistisch auf verschiedenen Ebenen bewegen und eine Vielzahl an
Facetten aufweisen, so fokussieren sie doch als gemeinsamen Brennpunkt die griechische
Gesellschaft jener Zeit, deren Probleme vielschichtig und mehrdimensional behandelt wurden.
In der "Trilogie des Hofes" wählt Kambanellis die Form des "Neorealismus", der sich aus dem
italienischen Neorealismo entwickelt hat, um die Schicksale von Menschen aus den einfachen
Gesellschaftsklassen zu illustrieren. In dieser Trilogie lassen sich unschwer Elemente
persönlichen Erlebens von Iakobos Kambanellis finden. Er sieht die Dinge aus der Sicht der
Bescheidenen und Verachteten. Er möchte nicht nur beschreiben, wie die Dinge sind, sondern
auch, warum sie so sind, wie sie sind, er sucht nach dem Sinn des Lebens in jenem ersten
Jahrzehnt nach dem Krieg in Griechenland. Sowohl in dem Stück "Der siebte Tag der
Schöpfung" wie auch in "Das Alter der Nacht" ist die zentrale Person ein junger Mann. In
"Der siebte Tag der Schöpfung" ist er Proletarier, welcher durch den Traum nach sozialem
Aufstieg und persönlichem Ausweg sucht. Dieser Traum, daß die Gesellschaftsordnung zu
ändern sein könnte, hat freilich mit der Wirklichkeit nicht das Geringste zu tun, weswegen er
auch zwischen den Mühlsteinen des Fortschritts zerrieben wird, welcher die sozial Schwachen
nicht beachtet.
In "Das Alter der Nacht" entsteht durch die besonderen Mietvorschriften in einer Krisenzeit
eine ungewöhnliche Hausgemeinschaft. So kommt es, daß die zentrale Person, der Sproß einer
großbürgerlichen Familie, auf einmal direkt und drastisch vor Augen geführt bekommt, wie
anders das Wertesystem seines Vaters von dem dieser Proletarier entfernt liegt, welche nun
mit ins Haus gezogen sind. Er wird sich bewußt, daß er seit seiner Geburt in einer Welt lebt,
in der nur der Warenwert und die Ausbeutung der Schwachen zählt. Im Gegensatz dazu kann
er miterleben, wie die Proletarier ihre Leidenschaften ausleben: Solidarität, Freundschaft und
Liebe. Als Reaktion auf diese Diskrepanz wählt er den Freitod.
In "Der Hof der Wunder" wird die zentrale Person ebenfalls sterben - falls man hier überhaupt
von einer zentralen Person sprechen kann, denn in diesem multifokalen Stück kommt eine
große Anzahl Menschen vor, die sich gegenseitig so ergänzen, daß sie das kollektive Bewußtsein der griechischen Gesellschaft in jener Zeit widerspiegeln. Sie alle streben nach einer
Lösung, um ihr Leben zu ändern, sei es, sich in einen Traum zu flüchten, oder ein
bescheidenes, aber passables Auskommen zu finden, oder gar durch Auswanderung den
'american dream' zu verwirklichen. Sie alle scheitern jedoch, was sie in einen symbolischen
Kambanellis - Resumée
S. 196
Tod treibt. Eine zentrale Person muß sich gewissermaßen opfern und sterben, um die tiefe
Enttäuschung aller miteinander auszudrücken.
In der "Trilogie des Hofes" wird die traditionelle soziale Einheit des Hofes zum Raum, in dem
sich das kollektive Bewußtsein materialisiert. In allen drei Stücken funktioniert er als zentraler
Bezugspunkt und reflektiert das gemeinsame Leben einer Gruppe an Menschen, die auch ein
gemeinsames Schicksal zu tragen haben. Nach den Grundgedanken des 'traditionellen' Naturalismus kann niemand seinem eigenen 'Milieu' entkommen. Dieses Milieu ist gewissermaßen
der 'Held' des Stückes. Die Beschreibung, wie diese Hofgemeinschaft zerstört wird, ist
gleichzeitig auch der Schwanengesang auf eine architektonische Form, ja, eine ganze
Lebensweise, die bedingt wurde durch ein ständiges Miteinandersein, eine gemeinsame
Weiterentwicklung und das gemeinsame Herangehen an die Widrigkeiten des Lebens.
Neben diesem Hauptgedanken finden sich in den drei Stücken, die diese Trilogie bilden, noch
einige sekundäre Motive, so die Zukunft der Heranwachsenden, eine moderne Dimension des
Tragischen, und das Bild der Menschen im inneren Exil.
In der "Trilogie des Krieges" wird die Aktualität der griechischen Gesellschaft der 50er Jahre
unter dem Gewand einer fernen Sage verborgen. Diese satirische Form erlaubt es, reinstes
politisches Theater zu machen. Vorbild und Techniken hierzu findet Iakobos Kambanellis
besonders bei dem Theater von Brecht und dem Theater von Dürrenmatt, doch gestaltet er sie
derart weiter, daß die Stücke gleichzeitig eine eindeutig "heimatliche", also griechische Atmosphäre bekommen. Im Stück "Odysseus, geh heim" karikiert die Satire den Antihelden, die
Idiotie des Kalten Krieges und die Mechanismen der Heldenverehrung. Damit wird enthüllt,
auf wen sich das System stützt und zu wessen Gunsten es funktioniert. Unter Verwendung
von Techniken des epischen Theaters und überraschenden Bildern bearbeitet Kambanellis das
Material des Odysseus-Mythos, um die Maschinerie der Macht und ihre Helfershelfer offensichtlich zu machen. Dieses beliebte Motiv des Odysseus wird er später noch einmal
verwerten, in seinem Stück "Letzter Akt".
Während in "Odysseus, geh heim" die griechische Mythologie parodiert wird, wird sich die
Parodie in "Papa, der Krieg" mit einem Stück Zeitgeschichte der hellenistischen Jahre
beschäftigen. Das Erleben der gespaltenen Gesellschaft und des Kalten Krieges bieten den
Hintergrund für dieses Stück. Sie führen zu den Verhaltensweisen wie Machtgier, Kriegslüsternheit, Verrat persönlicher Ideale, sozialem und ökonomischem Zynismus, politische
Unehrlichkeit, unechte Träume und Ausverkauf aller Werte.
Für den Stoff des Stückes "Das Märchen ohne Namen" greift Iakobos Kambanellis auf einen
bekannten neugriechischen Roman zurück, von dem er den Plot und einige Hauptpersonen
beibehält. Ursprünglich spielt er allerdings gegen Ende des 19. Jahrhunderts, Kambanellis dagegen versetzt ihn in das Griechenland nach Ende des Bürgerkriegs, eine Zeit, da die griechische Bevölkerung noch deutlich wußte, was ein Krieg ist, und entsprechend panisch auf die
Spannungen des 'Ost-West-Konflikts' reagiert.
Mit Elementen der Brecht'schen Erzählung und der epischen Groteske wird der Stoff des
Märchens so zerlegt, daß die politischen und sozialen Verhaltensweisen unpersönlich werden.
Die allzu kriegsfreudigen Sitten werden durch die Dynamik der Massen ausgehöhlt, welche
sich als positiv erweist, sobald sie von einem Anführer in die richtige Richtung dirigiert wird
und wirklich an Visionen glaubt.
Wenn die "Trilogie des Hofes" aufgeführt wird, gibt sie die gesellschaftlichen Gegebenheiten
so realistisch wider, daß sie schon fast naturalistisch wird, wie eine dokumentierende Fotografie. Dagegen erlaubt die "Trilogie des Krieges" schon von ihrer Anlage her den Regisseuren
bei der Umsetzung viel größere Freiheiten. Obwohl der größte Teil der "Trilogie des Hofes"
Kambanellis - Resumée
S. 197
sehr zügig geschrieben wurde, wurden diese Stücke in Griechenland doch erst aufgeführt,
nachdem das Publikum dort mit vergleichbaren Stücken aus Westeuropa, etwa von Brecht und
Dürrenmatt, bekannt worden war.
Vergleicht man die Aufführungsgeschichte der Stücke, welche diese beiden Trilogien bilden,
so sieht man, auf welche unterschiedlichen Weisen die jeweiligen Ensembles versuchten,
mittels der Stücke von Iakobos Kambanellis eine griechische Theaterliteratur zu formulieren.
Der Einfluß des amerikanischen Realismus auf diese Inszenierungen läßt sich nicht
wegdenken, schließlich hatte das "Theatro Technis" unmittelbar vorher dessen Stücke
aufgeführt und auch Kambanellis erst einmal in diesem Stil begriffen. Die besondere Leistung
Kambanellis' und dieser Theater besteht darin, daß es ihnen erstmals gelang, innerhalb
amerikanischer und mitteleuropäischer zeitgenössischer Strukturen wirklich griechische
Rollen und Charaktere zu entwickeln. Erstmals wurde im griechischen Theater die aktuelle
griechische Realität und das soziale Leben des eigenen Landes thematisiert.
Daneben gab es aber auch ganz andere, unterschiedliche Gruppen, die immer wieder Stücke
von Kambanellis aufführten. Die Bandbreite reicht vom Nationaltheater bis hin zu privaten,
freien und experimentellen Ensembles, von denen jedes den Ehrgeiz hatte, den Stücken von
Kambanellis eine eigene Farbe zu geben, entsprechend ihrer eigenen sozialen und ästhetischen
Linie.
Kambanellis - Literaturverzeichnis
S. 198
6 Literaturverzeichnis
Theaterstücke und andere Primärliteratur
Brecht, Bertolt: Die Stücke von Bertolt Brecht in einem Band. Frankfurt am Main, 1978.
Carotenuto, Aldo: Eros e Pathos. Margini dell'amore e della soferanza. Übersetzung ins
Griechische von Koula Kafetzi (Κούλα Καφέτζη), Athen 1995.
Chatzakis, Michalis (Χατζάκης, Μιχάλης): Karagiozis-Stück "Ein Grieche ohne Schuhe"
(Ένας Έλληνας χωρίς παπούτσια), Zeitschrift "Ekkyklima" (Εκκύκληµα), Heft 7, April/Juni
1985, S. 23 - 27.
Delta, Penelope (∆έλτα, Πηνελόπη): Das Märchen ohne Namen (Παραµύθι χωρίς όνοµα).
Athen 1985 (Neuauflage).
Dürrenmatt, Friedrich: Romulus der Große. In (ders.): Gesammelte Werke, Band I, Stücke,
Zürich 1991. S. 245 - 345.
Gatsos, Nikos (Γκάτσος, Νίκος): Persephones Traum (Το όνειρο της Περσεφόνης), in (ders.):
Nikos Gatsos. Alle Lieder (Νίκος Γκάτσος. Όλα τα τραγούδια) Athen 2000, S. 293.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Brief an Orestes (Γράµµα στον Ορέστη),
Einakter. In (ders.): Theater, Bd. 6, Athen 1994, S. 23 - 36.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Das Abendmahl (Ο δείπνος), Einakter. In
(ders.): Theater, Bd. 6, Athen 1994, S. 37 - 68).
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Das Alter der Nacht (Η ηλικία της νύχτας),
in (ders.): Theater, Bd. 1, Athen 1978, S. 189 - 276.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Das Märchen ohne Namen (Παραµύθι χωρίς
όνοµα), in (ders.): Theater, Bd. 2, Athen 1979, S. 17 - 124.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Das unsichtbare Ensemble (Ο αόρατος
θίασος), In (ders.): Theater, Bd. 4, Athen 1989, S. 61 - 158.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Der Dialog (Ο διάλογος), Einakter. In (ders.):
Theater, Bd. 6, Athen 1994, S. 141 - 156.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Der Hof der Wunder (Η αυλή των
θαυµάτων), in (ders.): Theater, Bd. 1, Athen 1978, S. 89 - 188.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Der Mensch und das Bild (Ο άνθρωπος και
το κάδρο), Einakter. In (ders.): Theater (Θέατρο), Bd. 3, Athen 1981, S. 79 - 102.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Der siebte Tag der Schöpfung (Η έβδοµη
µέρα της δηµιουργίας). In (ders.): Theater, Bd. 1, Athen 1978, S. 29 - 87.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Der treue Mensch (Ο πιστός άνθρωπος),
Einakter. In (ders.): Theater, Bd. 3, Athen 1981, S. 15 - 38.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Der Weg geht mitten hindurch (Ο δρόµος
περνά από µέσα). In (ders.): Theater, Bd. 5, Athen 1991, S. 100 - 171.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Die Bohne und die Kichererbse (Το κουκί
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Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Die Frau und der Fehler (Η γυναίκα και ο
Λάθος), Einakter. In (ders.): Theater, Bd. 3, Athen 1981, S. 39 - 64.
Kambanellis - Literaturverzeichnis
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Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Die Strafkolonie (Η αποικία των
τιµωρηµένων), Athen 1970.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Die vier Beine des Tisches (Τα τέσσερα
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Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Festtagsrede (Ο Πανηγυρικός), Einakter. In
(ders.): Theater, Bd. 3, Athen 1981, S. 65 - 78.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Heimliches Leben (Κρυφή ζωή)
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Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Im Lande Ibsen (Στη χώρα Ίψεν), Einakter,
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Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος ): Odysseus, geh heim (Οδυσσέα, γύρνα σπίτι)
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Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Papa, der Krieg (Ο µπαµπάς ο πόλεµος), in
(ders.): Theater, Bd. 3, Athen 1981, S. 183 - 265.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Parodos von Theben (Πάροδος Θηβών),
Einakter. In (ders.): Theater, Bd. 6, Athen 1994, S. 69 - 90.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Studien und Versuche (Σπουδές και
απόπειρες). In (ders.): Theater, Bd. 6, Athen 1994, S. 25 - 202.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Tanz auf dem Getreidefeld (Χoρός πάνω στα
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Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Unser großer Zirkus (Το µεγάλο µας τσίρκο),
Athen 1973. Unveröffentlichtes Manuskript, Theatriki Vivliothiki, Athen.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Unsere Liebe Frau der Dollars (Η Παναγία
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Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Verborgene Sonne (Κρυφός ήλιος), 1952.
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Kambanellis - Literaturverzeichnis
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Kambanellis - Literaturverzeichnis
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Absätzen (Εισαγωγικά και παρενθέσεις σε δέκα παραγράφους), in der Zeitschrift "Diavazo"
(∆ιαβάζω); Themenschwerpunkt ist das neugriechische Theater, Bd. 89, 07.03.1984, S. 12 15.
Georgousopoulos, Kostas (Γεωργουσόπουλος, Κώστας): Kette und Schuß im Werk von
Iakobos Kambanellis (Το στηµόνι και το υφάδι στο έργο του Ιάκωβου Καµπανέλλη), in:
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Georgousopoulos, Kostas (Γεωργουσόπουλος, Κώστας): Koun, Karolos (Κουν, Κάρολος).
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als ideologische Verwebungen im zeitgenössischen griechischen Theater (Ο µικροαστισµός
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aus seinem Buch: Neugriechisches Theater. Geschichte und Dramaturgie (Νεοελληνικό
θέατρο. Ιστορία - ∆ραµατουργία), Athen 1987, S. 156 - 181.
Grammatas, Thodoros (Γραµµατάς, Θόδωρος): Das marxistische Schreiben im griechischen
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Grammatas, Thodoros (Γραµµατάς, Θόδωρος): Neugriechisches Theater und Gesellschaft.
Die Kollision der neuen Generation mit dem System des Theaters im 20. Jahrhundert
(Νεοελληνικό θέατρο και κοινωνία. Η σύγκρουση των νέων µε το σύστηµα στο θέατρο του
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Grammatas, Thodoros (Γραµµατάς, Θόδωρος): Probleme der Periodisierung des
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(Προβλήµατα περιοδολόγησης στο σύγχρονο ελληνικό θέατρο. Η φάση του συνδρόµου της
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Ionesco, Eugène: Ionesco spricht über Koun (Ο Ιονέσκο µιλάει για τον Κουν), in dem
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Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Eine Schule von Dramatikern (Μια σχολή
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Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): In zweiter Person (Σε δεύτερο πρόσωπο).
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Νιάρχος), Zeitschrift "I Lexi" (Η Λέξη), Heft 34, Mai 1984, S. 369 - 375.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Interview in der Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα),
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Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Interview in der Zeitung "Ta Nea" (Τα Νέα),
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Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Meine geistige Herkunft ist das Lager (Η
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Kambanellis - Literaturverzeichnis
S. 204
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Schließlich war ich gezwungen zu schreiben
(Τελικά αναγκάστηκα να γράψω). In ders: Von der Bühne und vom Parkett aus (Από σκηνής
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Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Vorwort zum Stück "Die Straße" (Η Οδός).
In (ders.): Theater, Bd. 4, Athen 1989, S. 21 - 22.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Vorwort zum Stück "Letzter Akt" (Τελευταία
πράξη). In (ders.): Theater, Band 7, Athen 1998, S. 165 - 169.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Weil ich will, nicht weil ich kann (Επειδή
θέλω, όχι επειδή µπορώ), In (ders.): Von der Bühne und vom Parkett aus (Από σκηνής κι από
πλατείας), Athen 1990, S. 55 - 60.
Kambanellis, Iakobos (Καµπανέλλης, Ιάκωβος): Wie ich "Das Märchen ohne Namen" schrieb
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Kokkori, Patrizia (Κοκκόρη, Πατρίτσια): Die Rolle von Karolos Koun bei der Herausbildung
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Koujoumtzis, Mimis (Κουγιουµτζής, Μίµης): Artikel in der Zeitschrift "Theatro ke Horos"
(Θέατρο και χώρος), Sonderband für Karolos Koun, Hg.: Verband der Architekten (Σύλλογος
Αρχιτεκτόνων), Athen 1987.
Koujoumtzis, Mimis (Κουγιουµτζής, Μίµης): Interview in der Zeitung "To Vima" (Το Βήµα)
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Koun, Karolos (Κουν, Κάρολος): Artikel zur Uraufführung des Stückes "Odysseus, geh heim"
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Koun, Karolos (Κουν, Κάρολος): Der gesellschaftliche Standpunkt und die ästhetische Linie
des "Theatro Technis" (Η κοινωνική θέση και η αισθητική γραµµή του Θεάτρου Τέχνης).
Rede von Karolos Koun am 17.08.1943 vor dem Verein der Freunde des "Theatro Technis".
In (ders.): Wir machen Theater für unsere Seele (Κάνουµε θέατρο για την ψυχή µας), Athen
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Koun, Karolos (Κουν, Κάρολος): Die Tragödie erfordert Streben und eine besondere
Ausbildung (Η τραγωδία απαιτεί αναζήτηση και ειδική εκπαίδευση), In (ders.): Wir machen
Theater für unsere Seele (Κάνουµε θέατρο για την ψυχή µας), Athen 1987, S. 103 - 110.
Koun, Karolos (Κουν, Κάρολος): Interview in der Zeitschrift "Pantheon" (Πάνθεον), Februar
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Kyriakidis, Jiannis (Κυριακίδης, Γιάννης): Eine Unterhaltung mit Jiannis Kyriakidis
(Interview) (Μια συζήτηση µε τον Γιάννη Κυριακίδη). Zeitschrift "Theatrika" (Θεατρικά),
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Kritikos, Thodoros (Κρητικός, Θόδωρος): Kritik der Uraufführung des Stückes "Papa, der
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Ausschnitt wurde der Autorin von dem Regisseur Georgos Remundos persönlich übergeben,
der genaue Name der Zeitung ist daher leider nicht mehr rekonstruierbar).
Lignadis, Tasos (Λιγνάδης, Τάσος): Kritik der Uraufführung des Stückes "Papa, der Krieg"
am "Theatro Technis" 1980 in der Zeitung Mesimvrini (Μεσηµβρινή), Juli 1980. In:
Kambanellis, Iakobos: Theater, Bd. 3, Athen 1981, S. 315 - 316.
Matsas, N. (Μάτσας, Ν.): Kritik der Aufführung des Stückes "Das Märchen ohne Namen" am
Nationaltheater, in der Zeitung "Estia" (Εστία) am 16.01.1996.
Nitsos, Kostas (Νίτσος, Κώστας), Kritik der Aufführung des Stückes "Der Hof der Wunder"
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Ouranis, Kostas (Ουράνης, Κώστας): Kritik der Aufführung des Stückes "Das Alter der
Nacht" am "Theatro Technis", Zeitung "Ethnos" (Έθνος), Februar 1959, in: Kambanellis,
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Ouranis, Kostas (Ουράνης, Κώστας): Kritik der Uraufführung des Stückes "Der Hof der
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Ouranis, Kostas (Ουράνης, Κώστας): Kritik der Uraufführung des Stückes "Das Märchen
ohne Namen" am "Neo Theatro" (Νέο Θέατρο) 1959, in der Zeitung "Ethnos" (Έθνος),
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