P O L I T I K MEDIZINREPORT Herz und Psyche Ein verkannter prognostischer Marker Biologische Interaktionen zwischen zentralem Nervensystem und Herz-Kreislauf-System erklären epidemiologische und klinische Phänomene. V on Kardiologen, die sich auf aktuellsten Untersuchung zu dieser Marker für das Vorliegen eines Blutdas reibungslose Funktionie- Fragestellung hatte man auch 1 551 hochdrucks gelten kann. ren des „Antriebsmotors“ Depressionskranke – bei StudieneinNach einem akuten MyokardinHerz konzentrieren, wird die Bedeu- schluss ohne kardiovaskuläre Dia- farkt leiden viele Patienten an detung psychischer Störungen häufig gnose – prospektiv über 13 Jahre pressiven Verstimmungszuständen. unterschätzt. Das hängt möglicher- nachverfolgt. Einen anderen Ansatz In verschiedenen großen Untersuweise damit zusammen, dass zum ei- auf der Suche nach Zusammenhän- chungen wurden Inzidenzen bis zu nen – besonders nach einem akuten gen von Depression und kardiovas- 65 Prozent dokumentiert. In der Ereignis – Stimmungsschwankungen kulären Komplikationen hat man am Mehrzahl der Fälle handelte es sich für eine normale und vorübergehen- Albert Einstein College of Medicine um eine vorübergehende Episode de Reaktion gehalten werden und in New York verfolgt. mit milder Symptomatik als Reaktidass zum anderen sich on auf das lebensbedrodie Symptome von psyhende Ereignis, in jedoch chischer und organi16 bis 22 Prozent um eine scher Störung wie ErMajor Depression. schöpfung, Müdigkeit, Koinzidenzen wurLeistungsschwäche oder den nicht nur nach MyoInsomnie häufig überkardinfarkt oder anderen lappen. Umgekehrt verakuten kardiovaskulären mutet auch ein PsychEreignissen dokumentiert, iater bei einem Desondern bei Patienten mit pressionskranken nicht koronarer Herzkrankheit primär ein kardiovasgenerell. Auf der Basis kuläres Risiko. Doch der gegenwärtig zur Verdie Wechselbeziehunfügung stehenden Daten gen der beiden auf den müsse man davon ausgeersten Blick nicht mithen, dass bei angiograeinander verbundenen phisch gesicherter DiaFunktionssysteme sind gnose etwa ein Fünftel enger als bislang im kli- Ralf Brunner (DÄ) hat das Gemälde „Melancholie“ (1891) von Edvard Munch im Sinne der Koronarkranken benischen Alltag berück- dieses Artikels modifiziert. Das Original befindet sich im „Munchmuseet“ in Oslo. troffen ist, umriss Prof. sichtigt. Liselotte Goedel-Meinen Epidemiologische LangzeiterBasis waren die Daten einer (München) beim 38. Bayerischen Inhebungen an großen Bevölkerungs- Krankenversicherung. Als Indiz für ternisten-Kongress die Größenordkollektiven lassen erkennen, dass das Vorliegen einer Depression wur- nung des Problems. Patienten mit einer Depression ein de die Verordnung eines AntidepresDass eine solche Koexistenz von etwa doppelt so hohes Risiko für ei- sivums gewertet. Das war im Zeit- erheblicher prognostischer Bedeune ischämische Herzerkrankung ha- raum zwischen 1991 und 1992 bei tung ist, wird unter anderem durch ben wie psychisch gesunde Men- 2 505 von insgesamt 59 269 Patienten zwei kanadische Studien belegt. Etschen. Vermutungen, dass dies mit der Fall. In den darauf folgenden wa ein Drittel der Postinfarkt-Patider höheren Prävalenz von Rau- dreieinhalb Jahren traten in dieser enten litt an einer Depression (Score chern unter den Depressiven zusam- Gruppe 2,7-mal häufiger tödliche des Beck Depression Inventory menhinge, wurden inzwischen wi- und nicht tödliche Myokardinfarkte > 10). Innerhalb des ersten Jahres derlegt. als im übrigen Kollektiv auf. Nach nach dem Ereignis war in dieser GrupEine viereinhalbfach erhöhte Ausschluss anderer Einflussfaktoren pe die kardiovaskulär bedingte LetaMyokardinfarkt-Inzidenz wurde im war die antidepressive Medikation lität etwa dreimal höher als bei den Rahmen der „Baltimore Epidemiol- ebenso prädiktiv für das Auftreten psychisch Gesunden (Tabelle). ogic Catchment Area Study“ doku- eines Myokardinfarkts wie die EinDie Erforschung der pathophymentiert. In dieser wahrscheinlich nahme von Antihypertensiva, die als siologischen Zusammenhänge von A-680 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 11, 17. März 2000 P O L I T I K MEDIZINREPORT Depression und kardiovaskulären Erkrankungen sowie ihrer Komplikationen steht erst am Anfang. Als gesichert gilt heute, dass die Depression mit einer Überaktivität des Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Systems assoziiert ist. Charakteristisches und messbares Kennzeichen ist die Kortisol- und ACTH-Hypersekretion. Aus dem therapeutischen Einsatz von Kortison ist bekannt, dass die hoch dosierte und langfristige Einnahme zu Hypercholesterinämie und Hypertonie führt und die Wundheilung stört. Diese Faktoren begünstigen die Entstehung und Vulnerabilität atherosklerotischer Läsionen. Eine Folge der neuroendokrinen Störungen ist eine Imbalance der autonomen Innervierung mit sympathoadrenerger Überaktivität und erhöhter Katecholamin-Freisetzung – MechaTabelle Depression bei Postinfarkt-Patienten Major Depression Männer kardiovaskulär bedingte Todesfälle n = 157 Frauen kardiovaskulär bedingte Todesfälle n = 133 7,0 % 8,3 % nismen, deren Bedeutung für zahlreiche Störungen der kardialen und vaskulären Funktionen belegt ist. Einer der biologischen Marker, die sich als Beleg für diese Hypothesen heranziehen lassen, ist die verminderte Herzfrequenz-Variabilität als anerkannter prädiktiver Faktor für eine elektrische Instabilität des Myokards und ein erhöhtes Risiko für den plötzlichen Herztod. Man konnte verschiedentlich nachweisen, dass bei koronarkranken Patienten mit Depression häufiger die Herzfrequenz-Variabilität vermindert und die Herzfrequenz erhöht ist als bei Herzkranken ohne Depression. Es gibt auch Hinweise, dass sich Thrombozyten-Funktion in Abhängigkeit von verschiedenen Stimmungszuständen verändert. Man hat in experimentellen Untersuchungen herausgefunden, dass die Plättchenaktivität bei depressiven Patienten höher ist als bei psychisch gesunden Probanden – unabhängig, ob bei den Vergleichskollektiven eine koronare Herzkrankheit vorlag oder nicht. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lasse sich nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich bei den beobachteten Zusammenhängen zwischen Herz und Psyche um Korrelationen oder Kausalitäten handle, erklärte Goedel-Meinen. Es fehlten bisher auch Daten dazu, ob sich durch die Behandlung einer Major Depression auch die kardiovaskuläre Prognose verbessern lässt. Erste Ergebnisse von Untersuchungen einer Arbeitsgruppe am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim ergaben eine Normalisierung der erhöhten Plättchenaktivität unter der Behandlung mit einem selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Möglicherweise gibt es auch keine kardioprotektive SubDepression stanzen mit antidepressiver Zusatzwirkung. Vom theoretin = 456 schen Ansatz sind N-3Fettsäuren vielver2,4 % sprechende Kandidaten. Erste Studien bei n = 150 Depression sind angelaufen, und vorläufige 2,7 % Daten weisen auf einen positiven Effekt hin. Ob nach Myokardinfarkt eine routinemäßige – und gewissermaßen präventive – intensive psychosoziale und verhaltenstherapeutische Betreuung die Prognose verbessert, lässt sich ebenfalls noch nicht abschließend beurteilen. Ergebnisse von Studien, in denen gezielt entsprechende Maßnahmen randomisiert eingesetzt wurden, sind nicht einheitlich. In einigen Untersuchungen wurden ein im Vergleich zur Kontrollgruppe insgesamt verbesserter gesundheitlicher Status, eine verminderte Rate kardiovaskulärer Ereignisse und eine geringere Sterblichkeit dokumentiert, in anderen ergab sich kein Nutzen oder – wie bei den weiblichen Teilnehmern der kanadischen M-HARTStudie (Montreal Heart Attack Readjustment Trial) – ein gegenteiliger Effekt. Gabriele Blaeser-Kiel Neue Broschüre zur Krebsprävention durch Ernährung Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen geben überzeugende Hinweise, dass die Ernährung einen wesentlichen Einfluss auf das Krebsrisiko nimmt und damit Chancen für die Prävention eröffnet. Das Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) hat deshalb gemeinsam mit dem World Cancer Research Fund (WCRF) die Broschüre „Krebsprävention durch Ernährung – Forschung, Daten, Begründungen, Empfehlungen“ herausgegeben, die den Forschungsstand in kompakter Form darstellt. Sie basiert auf dem Report „Food, Nutrition and the Prevention of Cancer: a global perspective“, den der WCRF gemeinsam mit dem American Institute for Cancer Research 1997 veröffentlicht hat. Ein Gremium international renommierter Wissenschaftler aus acht Ländern hat hierin eine vergleichende Einschätzung unterschiedlicher Befunderhebungen und Beweisführungen unternommen. Auf der Basis von aktuellen Daten zur Häufigkeit von Krebserkrankungen in Deutschland kann davon ausgegangen werden, dass zwischen 30 und 40 Prozent der Krebsfälle – das betrifft etwa 98 000 bis 133 000 Betroffene pro Jahr – durch Ernährung, Sport und Gewichtskontrolle vermieden werden könnten. Am Beispiel von Darm-, Magen- und Brustkrebs werden in der Broschüre mögliche Wirkmechanismen von Ernährungsfaktoren auf die Krebsentstehung beschrieben. Der Report unterscheidet zwischen klar überzeugenden, wahrscheinlichen und möglichen Zusammenhängen zwischen Krebsrisiko und Ernährung. Die Broschüre kann kostenlos angefordert werden beim: Deutschen Institut für Ernährungsforschung, Stichwort „Krebsbroschüre“, ArthurScheunert-Allee 114–116, 14588 Bergholz-Rehbrücke, Fax 03 32 00/8 84 44, E-Mail: [email protected]. Ein vorbereitetes Anforderungsformular finden Sie im Internet unter www. dife.de EB Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 11, 17. März 2000 A-681