Multiple Sklerose

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Multiple Sklerose
- Eine Erkrankung im Wandel
der Zeit
Priv.-Doz. Dr. René Gobbelé
Oberarzt der Klinik f. Neurologie
Universitätsklinik Aachen
Häufigste entzündliche Erkrankung des zentralen
Nervensystems (ZNS)
Zahl der MS-Patienten in Deutschland: ca. 120.000
Neuerkrankungen pro Jahr: ca. 3.000 - 4.000
Keine Hinweise auf Multiple Sklerose in antiken Quellen
„A disease does not exist until it has a name“
Charles Rosenberg
Multiple Sklerose – Geschichte
Die „selige Lydwina von Schiedam“ (1380-1433)
Niederländ. Schutzpatronin
der Schlittschuhläufer
16. Lj.: Koordinationsstörung
Gesichtsschmerz
19. Lj.: passagere Paraparese
Sehstörungen
Gesichtlähmung
Im Verlauf schubfömige
Verschlechterungen +
Verbesserung des Zustands
Multiple Sklerose – Geschichte
Die „selige Lydwina von Schiedam“ (1380-1433)
1407: Schluckstörung
Paraplegie mit
Druckgeschwüren
Im Verlauf
Erblindung
„Ekstasen, Visionen“
„7 Jahre nicht getrunken“
Gotfried de la Haye: „Believe me, there is no cure for her illness, it comes
directly from God“
Mischung aus Religiosität, Mystizismus, histrionischem Verhalten, Selbstverstümmelung und ….
Multipler Sklerose?
Medaer R 1979 Act Neurol Scand
Multiple Sklerose – Geschichte
Sir Augustus d'Esté (1794-1848)
erste persönliche Aufzeichnung der Krankheit im Tagebuch
26 Jahre Krankheitsdauer
1822
1848
The case of Augustus d'Esté, D. Firth, 1948, Cambridge
Multiple Sklerose – Geschichte
Sir Augustus d'Esté (1794-1848)
1822 Sehstörung auf einem Auge
Bad Driburg: Heisse Bäder, Schwefelwasser ins Auge
1827 ff Doppelbilder, Taubheit in Beinen, Gangstörung
Dr. Kent: „eat beaf steak twice a day, drink London porter
Sherry“
Zweimal täglich Beine und Rücken abrubbeln
Tinktur aus Opium, Alkohol und Ölen
1840 Paraplegie
Hydrotherapie, Galvanische Bäder, Quecksilberdiät,
Morphium
The case of Augustus d'Esté, D. Firth, 1948, Cambridge
Multiple Sklerose – Geschichte
Robert Carswell (1793-1857)
In Obduktionbefund „sonderbare“ Schädigungen
im Rückenmark.
Atlas of Pathology im Jahr 1838
"einen merkwürdig krankhaften Zustand des Strangs
und der Pons Varolii (Brücke), begleitet von Rückbildung
der verfärbten Abschnitte".
Multiple Sklerose – Geschichte
Jean Cruveilhier (1791-1874)
1838:
"ohne Grund sechs Jahre lang krank war...
sie bemerkte, dass ihr linkes Bein nicht mehr ihrem Willen gehorchte,
so dass sie sogar auf der Straße hinfiel."
Über einige Jahre hinweg:
Schwäche in beiden Beinen und Armen,
Krämpfe,
Schluckschwierigkeiten,
Sehstörungen
Multiple Sklerose – Geschichte
Friedrich von Frerichs (1819-1885) )
1842:
vorübergehende Besserungsphasen als charakteristisch
Nystagmus
kognitive und andere höhere Funktionen des Gehirns beeinflusst
Multiple Sklerose – Geschichte
Freiherr Karl von Rokitansky (1804-1878)
1857
„fette Körperchen“ in den MS-Läsionen
„die Wrackteile und Trümmer, die von der Auflösung der
Nervenkanäle stammen“
- Demyelinisierung
Eduard Rindfleisch (1836-1908)
1863
„elementarer Entzündungzustand“ für die
Demyelinisierung (Abbau der Myelinschicht)
verantwortlich
Multiple Sklerose – Geschichte
Jean-Martin Charcot (1825-1893)
'sclérose en plaques'
Charcot´sche Trias:
Diplopie
Ataxie
Dysarthrie
erster vollständigen histologischer Bericht
Abbau von Myelin
Multiple Sklerose – Geschichte
Jean-Martin Charcot (1825-1893)
Therapie?
Bettruhe
Goldchlorid
Zinksulfat
Strichnin
Elektrische Stimulation
Belladonna
Mutterkornalkaloide
Hydrotherapie
„ohne jeden Erfolg“
Multiple Sklerose – Geschichte
Jean-Martin Charcot (1825-1893)
„Soll ich Sie nach dem Gesagten noch lange mit der Therapie quälen?
Die Zeit ist noch nicht gekommen, wo diese allen Ernstes in Angriff genommen
werden kann“
J. M. Charcot 1874 am Ende einer Vorlesung über Multiple Sklerose
Multiple Sklerose – Geschichte
Joseph Babinski (1857-1932)
Charakteristika der Gewebsveränderungen:
Auflösung der Myelinhüllen,
Entzündungszeichen in der Umgebung der Gefässe
mit Ansammlung grosser Fresszellen,
teilweiser Verlust der Axone
-> Autoimmunreaktion
Multiple Sklerose – Geschichte
Pierre Marie (1853–1940)
1884 :
„ein infektiöser Erreger“ Ursache der Krankheit ?
Multiple Sklerose – Geschichte
Heinrich Heine (1797-1856)
1832: transiente Lähmung der linken Hand
1834: passagere Erblindung
1837: Lähmung linker Arm
Doppelbilder, passagere Erblindung rechtes Auge
1841: Gesichtslähmung recht, Doppelbilder,
Taubheit untere Körperhälfte, Impotenz
1844: hängendes Augenlid link, Gesichtslähmung links
1845: undeutliche Sprache, Inkontinenz
seit 1848 hospitalisiert
Behandlung mit Bädern, Diäten, Abführmitteln, Aderlässen, Morphinen (Gedicht „Morphin“)
Differentialdiagnosen: Neurolues, ALS, Porphyrie, Tuberkulose oder…
Multiple Sklerose?
Murray J 2001, Int J MS Care
Multiple Sklerose – Geschichte
„Spekulative“ Therapieformen
vermutete Ursache
Behandlung
Um 1900:
Gift, metabolische Ursache
Abführmittel
Schleimlöser
Stimulantien
Tonsillektomie
Um 1920:
Infektiöses Agens
Antisyphilitische Therapie
Fieber-Therapie
später: Antibiotika
Bluttransfusionen
Um 1930:
Durchblutungsstörung
Antikoagulantien
1950-1970:
„Neuroallergie“
Antihistaminika
Vitamine
Steroide
Rolak LA, Marshfield MS Center, Wisconsin
NMSS Research Highlights, Spec. Issue 2002
Multiple Sklerose – Geschichte/Diagnostik
Elvin A. Kabat (1914-2000)
1943: Gammaglobuline in Liquor
Immunologische Aktivität
führt zu Demyelinisierung
Liquordiagnostik als diagnostisches
Instrument
Multiple Sklerose – Geschichte/Diagnostik
Derek Denny-Brown (1901–1981)
Demyelinisierung führt zu Leitungsblockaden – neurologische Symptome
• Kranker Nerv
Myelin
intakt
schnelle
Übertragung
Myelin Äußere Isolierschicht
langsame
Übertragung
beschädigt (Myelinscheide)
Multiple Sklerose – Geschichte/Diagnostik
G.D. Dawson
Evozierte Potentiale
als diagnostisches
Instrument
Neminski 1913 - 1. SEP
SEP
Dawson 1954 - 1. gemitteltes SEP
Multiple Sklerose – Geschichte/Therapie
1969: Therapie des Schubs mit ACTH
Erste Pubmed-Veröffentlichung zu Steroidtherapie Baumann J 1965 Acta Neurol Scand
• Therapie des Schubs / Verschlechterung bei chronisch progredientem Verlauf
– Kortison
Multiple Sklerose – Geschichte/Diagnostik
Ian R. Young
1981:
Computertomographie
vs.
Kernspintomographie
in der bildgebenden
Diagnostik der MS
CCT
MRT
Lancet 1981 8255:1063-6
Multiple Sklerose – Geschichte/Diagnostik
Robert I Grossman
1986
Gadolinium-verstärkte
MRT
Radiology 1986 161:721-5
Schub
schubförmiger Verlauf
mit/ohne Rückbildung
Schub
Multiple Sklerose – Verlauf
sekundär progredienter
Verlauf
Schub
Schub
e
hüb
c
S
e
ohn
primär progredienter
Verlauf
gutartiger
Verlauf
Zeit
Multiple Sklerose – Pathophysiologie
Multiple Sklerose – Symptome
Sehnerv
• Sehstörung
Hirnstamm
• Sprechstörung
• Schluckbeschwerden
·
·
·
·
··
·
Großhirn
• Lähmungen
• Gefühlsstörungen
Kleinhirn
• Sprechstörung
• Koordinationsstörung
• Zittern, Schwindel
Rückenmark
• Sensibilitätsstörung
• Lähmungen
• Blasen-/ Darmstörung
• sexuelle Störung
Multiple Sklerose – aktuelle Therapie
1989: Azathioprin / Imurek®
• Keine sicheren Studien - aber zugelassen!
Neurology1989 39: 1018-1026
Lancet 1988 23: 179-83
• Reduktion der Schübe um ~ 30 %
Multiple Sklerose – aktuelle Therapie
1993: Beta-Interferon 1 b (Betaferon®, s.c.) für schubförmige
(RR) MS von FDA zugelassen
MS erstmalig evidenzbasiert behandelbar!
Neurology 1993 43: 655-661
Multiple Sklerose – aktuelle Therapie
Multiple Sklerose – aktuelle Therapie
Multiple Sklerose – aktuelle Therapie
1993: Beta-Interferon 1 b (Betaferon®) von FDA zugelassen
1996: Beta-Interferon 1 a (Avonex®, i.m.) und Glatirameracetat
(Copaxone®, s.c., Neurology 1995 45: 1268-1276) für RR-MS
von FDA zugelassen
2002: Beta-Interferon 1 a (Rebif®, s.c.) für RR-MS von FDA zugelassen
Multiple Sklerose – aktuelle Therapie
Multiple Sklerose – aktuelle Therapie
• Basistherapie durch Immunmodulation
− Interferon beta bzw. Glatirameracetat
Aggressive
Immunzellen/
Botenstoffe
nehmen ab
Schützende
Immunzellen/
Botenstoffe
nehmen zu
¾ Normalisierung des kranken Immunsystems
¾ Myelinzerstörung wird gehemmt
Multiple Sklerose – aktuelle Therapie
1993: Beta-Interferon 1 b (Betaferon®) von FDA zugelassen
1996: Beta-Interferon 1 a (Avonex®, i.m.) und Glatirameracetat
(Copaxone®, s.c.) von FDA zugelassen
2002: Beta-Interferon 1 a (Rebif®, s.c.) von FDA zugelassen
2000: Mitoxantron für RR- und SP-MS von FDA zugelassen
Lancet 2002 360: 2018-2025
Multiple Sklerose – aktuelle Therapie
Mitoxantron
Etabliert als Zytostatikum in der Behandlung von
Krebserkrankungen
–Effekte:
–Signifikanter Effekt auf Schubrate, Progression und MRIAktivität auf schubförmige und progrediente Verlaufsformen
Nebenwirkungen:
Sekundäre Amenorrhoe (passager), Übelkeit, Erbrechen (antiemetisch gut
behandelbar), Alopezie (selten und gering ausgeprägt)
Kardiomyopathie ab Ereichen einer Kumulativdosis von ca. 140 mg/qm
KO = Ausschluss von Herzerkrankung des Patienten!
Teratogenität, Infertilität
Multiple Sklerose – aktuelle Therapie
In letzter Dekade mehr Medikamente zur Behandlung der MS zugelassen
als in den vorherigen 130 Jahren seit Charcot!
Derzeit ständig ca. 150 Präparate in klinischen und vorklinischen Testungen!
Beispiel Natalizumab
FDA (Schnell-) Zulassung 11/2004 – Schubratenreduktion um ca. 50%
Rückruf 28.2.2005 –
2 Fälle von Progressiver Multifokaler Leukencephalopathie (PML)
nach > 2 Jahren Behandlungsdauer
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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