Die Konzertgitarre Entwicklung und Klang W. Karthäuser Halle, den 1.6.1970 Ich begrüße Sie recht herzlich zu unserem Schallplattenvortrag mit dem Thema: „Die Konzertgitarre, Entwicklung und Klang“. Die Gitarre erfreut sich gegenwärtig großer Beliebtheit, nicht nur in der modernen Tanzmusik, vor allem der Beat-Musik, sondern auch in der modernen Jugendmusik, repräsentiert z.B. durch Singgruppen, Country-klubs und Volksmusik. Dort tritt sie vorwiegend als Begleitinstrument in Erscheinung. Dieses ausgesprochen jugendlich erscheinende Instrument ist in Wirklichkeit so alt, dass seine Ahnengalerie nicht einmal vollständig bekannt ist. Die Gitarre ist darüber hinaus aber auch eines der intimsten und in ihrer Art vollkommendsten Instrumente guter Haus= und Konzertmusik. Sie verlangt eine gute Technik und gediegene musikalische Kenntnisse und tritt im Studium an Fleiß, Zeit und Ausdauer hinter keinem anderen Instrument zurück. Ihre Eignung zur Wiedergabe aller Stilarten ist erstaunlich. Sätze alter Lautenmeister klingen genau so gut wie Stücke zeitgenössischer Komponisten. Johann Sebastian Bach, einer unserer größten Komponisten, hat eine ganze Anzahl von Kompositionen für das Schwesterinstrument der Gitarre, die Laute, geschrieben, die auf der Gitarre mit geringfügigen Änderungen genau so ausführbar sind. Hören wir nun als erstes Beispiel das Präludium Nr. 1 in C-Dur aus dem „Wohltemperierten Klavier“ von J. S. Bach, für Gitarre bearbeitet von Walter Götze, einem bekannten Gitarristen des 20. Jahrhunderts. Ich möchte auf den Cembalo-ähnlichen Klang hinweisen, der durch die Akkordbrechungen entsteht. Es spielt der ungarische Virtuose Laszlo Szendrey-Carper. 1. Präludium C-Dur von J.S. Bach (1685-1750) (1,50 Min) Der Ursprung der Gitarre ist wahrscheinlich im vorderasiatischen Raum zu suchen. Von der griechischen Kithara, auf die ihr Name zurück zu führen ist, stammt sie allerdings nicht ab. Im 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung brachten die Araber den Vorläufer unserer heutigen Gitarre, „Rebece“ genannt, mit nach Spanien. Eines dieser Instrumente wurde bei Ausgrabungen im spanischen Kloster St. Jereminas entdeckt. Aus dem 13. Jahrhundert stammen die ersten Abbildungen der in Spanien weiter entwickelten 2 Formen: Der „guitarra morisca“ und der „gitarra latina“. Diese Instrumente wurden von dem spanischen Dichter Juan Ruiz mit gellenden Tönen und wilden Noten in Verbindung gebracht. Unsere heutige Gitarre hat sich aber im Wesentlichen aus der gitarra latina entwickelt. Die Gitarre verbreitete sich im 13. Jahrhundert allmählich in Europa unter verschiedenen Namen, z.B. in Spanien als „Viuhela“ und in Italien als „Viola“. Vervollkommnungen der Streichinstrumente wurden übernommen: platter Boden, eingezogene Corpusmitte, Schalloch, 4-5 Saiten. Die Spielart wurde der Laute angepasst. Seit ca. 1550 ist sie in ganz Süd= und Westeuropa unter den Namen „guitarra latine“, „guitarra penola“, „quintara“, „espagnola“ bekannt. Die Stimmung wurde ebenfalls der Laute angepasst (A d g e) und war doppelchörig (Saiten doppelt). Unsere heutige Stimmung (E A d g h e) hat sich im 18. Jahrhundert endgültig durchgesetzt. In Spanien wurde die Gitarre im 16. Jahrhundert zum Nationalinstrument, das die Laute völlig verdrängte. Da die Gitarre hier in dieser Zeit nur schlicht homophon zur akkordischen Liedbegleitung und zu kleinen Tänzen gebraucht 2 wurde, entwickelte sie sich bald zu einem regelrechten Volksinstrument. In Italien aber entstand bereits im 16. Jahrhundert eine anspruchsvolle Musik für dieses Instrument. Das stellte natürlich an die Spieltechnik weit höhere Anforderungen, so dass die Gitarre hier nicht zum ausgesprochenen Volksinstrument werden konnte. Ein Beispiel ist die Pasacaglia aus der Suite G-moll von Lodovico Roncalli, die wir uns jetzt anhören wollen. Die Kompositionen, denen diese Pasacaglia entnommen ist, wurden 1692 in Bergamo herausgegeben. Die darin vorkommenden Triller werden durch Aufschlagen und Abziehen der Finger der linken Hand erzeugt (Aufschlags= und Abzugsbindung). Es spielt die österreichische Virtuosin Luise Walter. 2. Pasacaglia aus der Suite g-moll Jhdt) (5 Min.) von L. Roncalli (17. Zur Aufzeichnung der Instrumentalmusik verwendete man vom 14. bis zum 18. Jahrhundert Tabulaturen. Tabulaturen sind Griffschriften. Die Systeme waren in den einzelnen Ländern unterschiedlich; es wurden Ziffern, Buchstaben, Noten oder Kombinationen aus diesen verwendet. Die Tabulaturen gehen in der Regel vom Bau und der Spieltechnik des Instrumentes aus und geben praktische Anweisungen zur Ausführung der Stücke. Solche Tabulaturen gab es für die verschiedensten Instrumente: die Orgel, das Cembalo, die Laute, die Gitarre und viele andere. In der italienischen Tabulatur z. B. entsprechen die 6 Linien den 6 Saiten der Gitarre, auf die in Ziffern die Fingerfolge eingezeichnet wurde. Darüber standen die Notenwerte verzeichnet. Heute sind nur wenige, spezialisierte Fachleute in der Lage, die alten Tabulaturen auf unser heutiges 3 Notensystem, das immerhin schon seit 300 Jahren aus entwickelt ist, zu übertragen. Das Gitarrespiel erlebte in Frankreich nach der Bürgerlichen Revolution eine neue Blüte. Sie entstand aus der Mode, die Antike nachzuahmen. In Deutschland wurde die Gitarre seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert ebenfalls Modeinstrument, und war sowohl in breiten Kreisen der Bevölkerung als auch bei vornehmen Liebhabern geschätzt. Es gab sogar reisende Virtuosen. Das Niveau der Gitarreliteratur verflachte in dieser Zeit der Klassik und Romantik allerdings sehr und kann, mit wenigen Ausnahmen, im Vergleich zur Renaissance= und Barockmusik als schwach bezeichnet werden. Eine Ausnahme bildet Spanien, wo auch in dieser Zeit wertvolle Gitarreliteratur entstand. Die Mozart-Variationen, auf ein Thema aus der Zauberflöte, von Fernando Sor, einem spanischen Komponisten und Virtuosen dieser Zeit, sollen als nächstes Klangbeispiel folgen. Es sind 7 Variationen, von der die fünfte von der Interpretin, Luise Walker, geschrieben wurde. Diese Variation wird im Flageolett gespielt. Flageoletts sind die hohen, gläsern klingenden Töne, die durch Teilschwingungen einer Saite entstehen. Die Saite wird dabei mit der Fingerkuppe an den Stellen berührt, wo sich die Schwingungsknoten der Obertöne befinden. Beim Anschlag gerät die Saite in gleichmäßige Teilschwingungen, wobei jedes Teilstück den gleichen Oberton erklingen lässt (Mitte, Drittel, Viertel u.s.w.). Außer dem natürlichen Flageolett auf leeren Saiten kann auch ein künstliches Flageolett, auf gegriffenen Saiten, hervorgebracht werden. Dabei muss mit größter Präzision gegriffen werden, weil die Flageolettöne sonst nicht ansprechen. 3. Mozart-Variationen von F. Sor (1778-1839) (7,10 Min.) 4 Weitere großartige Virtuosen und Komponisten dieser Epoche waren: die Italiener Mauro Giuliani (1781-1829) und Fernando Carulli (1770- 1841). Sie schufen vor allem werbeständige Unterrichtsliteratur. Das einzigartigste und charakteristischste Erzeugnis der spanischen Musik ist die Gitarremusik. Am bekanntesten sind dabei die beiden Formen: spanische Tänze und spanischen Konzertmusik. Spanische Tanztypen sind: die älteren Folia und Sarabande, die neueren Fandango und Bolero so wie die nach Landschaften oder Städten benannten Granadinas (Granada), Malaguenas (Malaga), Sevillanas (Sevilla). Weiterhin Polos, Zampadeados, und Flamencos. Die Komponisten dieser Volksmusik sind fast ausnahmslos gute Spieler, aber nur selten schulgerechte Musiker. Die Tänze zeichnen sich durch scharf betonten, dabei leichten und federnden Rhythmus aus, der noch durch Händeklatschen, Fingerknipsen und das Geklapper der Kastagnetten unterstrichen wird. Einfache Griffverschiebungen schaffen ungewöhnliche Harmonien. Durch Aufschlagen der Seitenkante des Daumens auf die Saiten oder die Decke des Instruments (Golpe-Schlag) werden charakteristische Effekte hervorgerufen. Eine bevorzugte Spielart ist das Rasgueado, bei dem die Finger der rechten Hand aus der inneren Handfläche in schneller Folge nach außen geschlagen werden, so dass die Außenseite des Fingernagels die Saite zuerst berührt. Dadurch entsteht ein typisches, scharf rhythmisches, rasselndes Akkordspiel. Als Kontrast dazu erklingen groß angelegte, gesangliche Melodien. Diese Spielarten sind in Spanien schon lange beliebt und werden von Generation zu Generation mündlich weiter überliefert. Als Beispiel hierfür hören wir uns jetzt einen Amor 5 Flamenco des Brasilianers Laurindo Ameida an, der von Werner Pauli, einem deutschen Gitarrevirtuosen, gespielt wird. 4. Amor Flamenco von L. Almeida (geb. 1917) 2,20 Min.) Obwohl auch in früheren Zeiten schon anspruchsvolle Gitarreliteratur entstand, begann die Entwicklung der ausgesprochenen Virtuosenmusik erst im 19. Jahrhundert. Es ist verständlich, dass in Gegenden, in denen das volkstümliche Gitarrespiel noch heute auf einer bewundernswerten Höhe steht, auch das virtuose Gitarrespiel eine fruchtbare Grundlage hat, wie auf der Pyrenäenhalbinsel. Mit dem nächsten Beispiel möchte ich Sie mit einer weiteren, schwierigen Technik des Gitarrespiels bekannt machen, dem Tremolo, das im vorigen Stück bereits vorkam. Durch schnelles Wiederholen ein und des- selben Tones mittels Wechselschlag mit 2 oder 3 Fingern entsteht ein flatternder, flimmernder Ton, der an das Mandolinenspiel erinnert. Die Begleitung der so gespielten Melodie wird mit dem Daumen ausgeführt. Solche Stücke können nur von erstklassigen Gitarristen sauber gespielt werden. Von Francisco Tarrega, einem Spanier, erklingt jetzt die Estudio de Tremolo, Alhambra. Die Alhambra ist eine maurische Schloß-anlage aus dem 14. Jahrhundert bei Granada. Es spielt Laszlo Szendrey-Karper, ein ungarischer Virtuose. 5. Alhambra, Estudio de Tremolo 1909) (3,15 Min.) von F. Tarrega (1854- Im Verlauf des 19. Jahrhunderts nahm das Interesse für das Gitarrespiel ab und steigerte sich erst wieder im 20. Jahrhundert. Als Volksinstrument erlebte die Gitarre in Deutschland durch die Wandervogelbewegung, die das Volkslied wieder belebte, einen neuen Aufschwung und wurde 6 durch ihre Verwendung im Zupforchester und zur Liedbegleitung zu einem der meist gespielten Instrumente. Als Beispiel einer virtuosen, dem Inhalt des Liedes entsprechenden Begleitung, hören wir nun das deutsche Volkslied „Der Herr von Falkenstein“. Die besondere Eignung der Gitarre als Begleit-instrument kommt hier sehr gut zum Ausdruck. Es singt Gisela Pohl, sie wird begleitet von Werner Pauli. 6. Der Herr von Falkenstein (2 Min.) Die Beziehungen zum Solospiel begannen sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder zu beleben und zu entwickeln. Die spanischen Solisten brachten wertvolle Anregungen und die spanische Spielmethode, die auf der Lehre Tarregas fußt (angelegter Anschlag, dadurch intensivere Tonbildung), setzte sich durch. Ernsthafte Komponisten wie die Spanier Manuel de Falle (1876-1946), Joaquin Turina (1882-1949), der Brasilianer Heitor Villa-Lobos (1890-1959) und der Mexikaner Manuel Maria Ponce (1886-1948) schufen eine ausdrucksstarke, interessante und wertvolle Gitarremusik, die den Kompositionen für andere Instrumente keineswegs nachsteht und als eine echte Bereicherung der Gegenwartsliteratur anzusehen ist. Auch die Komponisten unserer Republik tragen viel zur Schaffung einer modernen Literatur für die Gitarre bei. Zu nennen sind hier: Werner Hübschmann, Rudolf WagnerRegeny, Siegfried Müller, Bruno Henze, Franz Just und andere. Leider aber existieren noch keine Schallplattenaufnahmen mit Kompositionen dieser Autoren, so dass ich Ihnen hierfür kein Beispiel bringen kann. Von dem großen brasilianischen Tondichter Heitor Villa-Lobos hören wir nun das reizvolle Präludium Nr.1 in e-moll, gespielt von Luise Walker. 7 7. Präludium Nr.1 von H. Villa-Lobos (1887-1959) Min.) (4,25 Ich bin nun am Ende meines Vortrages angelangt und hoffe, dass ich Ihnen einen kleinen Einblick in die Entwicklung und die klanglichen Möglichkeiten der Konzertgitarre geben konnte. An den vorgespielten Beispielen konnten Sie sicherlich ersehen, dass die Gitarre nicht nur ein wohklingendes und vollwertiges, sonder auch ein sehr schwer zu spielendes Instrument ist, das in der Intensität des Studiums keinem anderen Instrument nachsteht. Auch hier ist vor den Erfolg der Fleiß gesetzt, und nur wenige Musikern gelingt es, bis in die Höhen der Virtuosität vorzudringen. Zum Abschluss erklingt noch das Präludium Nr. 1von Guido Santorsola aus der „Suite a la antigua“.Santorsola ist italienischer Herkunft und zog schon als Kind mit seinen Eltern nach Brasilien. Jetzt ist er uruguayischer Staatsbürger. Er studierte Musik in Sao Paolo, Neapel und London. Im Präludium knüpft er bewusst an die bachsche Tradition an, ohne auf die eigentümlichen Klangreize seiner südamerikanischen Heimat zu verzichten. 8. Präludium Nr. 1 von G. Santorsola (5 Min.) Literatur: H. Sommer: Laute und Gitarre MGG H. Seeger: Musiklexikon Vorworte aus Gitarrenoten von Henze, Peter, Schwarz-Reifling, Stingl. Schallplatten: Supraphon 10437, Qualiton LPX 1161, 8 Amiga 850136. Andere Klangbeispiele: 1. J. S. Bach: Präludium d-moll (Bream) 2. Narvaez: Differenzia (Rost) 3. Sor: Mozart-Variationen (Mikulka) 4. Ameida: Amor Flamenco (Pauli) 5.Tzarrega:Alhambra(Szendrey-Karper) 6. Schneider: Anendlied (Keller/Pauali) 7. Villa-Lobos: Präludium e-moll (Walker) 8. Santorsola: Präludium Nr.1 (Walker) Weitere Beispiele: 1. Milan: Fantasia (Behrend) 2. Dowland: Galliarde (Behrend) 3. Roncalli: Passacaglia (Walker) 4. J. S. Bach: Präludium e-moll (Mikulka) 5. Sor: Grand solo D (Mikulka) 6. Albeniz: Asturias aus: Suite espagnol (Ragossnig) 7. Medec : Rosenlied (Pauli) 8. Brower: 4 Stücke für 2 Gitarren (Rost) 9