Grundlagen der Medizinischen Mikrobiologie - Erreger-Wirt-Beziehung Nur ein kleiner Teil aller in der Natur vorkommenden Mikroorganismen kann Krankheiten beim Menschen verursachen pathogene Mikroorganismen; der Mensch muss prinzipiell empfänglich sein, zusätzlich muss individueller Stamm virulent und individueller Mensch anfällig sein Infektion/Infektionskrankheit. Bakterielle Erreger können oft – aber nicht immer – kultiviert werden. Erreger oder Besiedler Der Mensch besitzt mehr Bakterien als Körperzellen. Eine entscheidende Frage ist deshalb, ob ein isoliertes Bakterium tatsächlich den Erreger darstellt. Hauptaufgabe der Medizinischen Mikrobiologie Die Hauptaufgabe der medizinischen Mikrobiologie ist die Verarbeitung von Patientenmaterial zum Erregernachweis entsprechend den klinischen Angaben. Prinzipiell unterscheidet man zwei Arten von Untersuchungsproben: Normalerweise sterile Materialien wie Blutkulturen, Liquor und Punktate. Materialien, die normalerweise schon Bakterien enthalten. Die isolierten Bakterien werden identifiziert, so weit es sich um potentielle Erreger handelt. Wenn nötig, wird die Resistenzprüfung durchgeführt. Der Arzt erhält einen Bericht mit speziellen Hinweisen. Bei Materialien, die Normalflora enthalten, müssen pathogene Keime selektiv gesucht und kultiviert werden können. Klassisches Beispiel: Mycobacterium tuberculosis aus dem Sputum. Neue gentechnologische Methoden wie die Hybridisierung und die Polymerase Chain Reaction (PCR) haben die gezielte Suche nach Erregern aus solchen Materialen entscheidend erleichtert, beispielsweise in respiratorischen Materialien die Suche nach Mycoplasma pneumoniae, Chlamydia pneumoniae und Bordetella pertussis. Präanalytik Entscheidend für eine gute Mikrobiologie ist die richtige Entnahme und der richtige Transport (siehe Auftragsformular IMM). Materialien mit Normalflora Die folgende Zusammenstellung zeigt die Untersuchungen von Materialien mit Normalflora. sinnvollen Bereich Sinnvolle Untersuchungen Unnötige Untersuchungen Nebenhöhlen Rachenabstrich Sputum Sinuspunktat Streptokokken Gruppe A M. tuberculosis Nasenabstriche allgemeine Bakteriologie allgemeine Bakteriologie und unnötigen Rachenabstriche sind sinnvoll für die gezielte Suche nach Streptokokken der Gruppe A. Die Kultur dauert 24-48 Stunden. Allerdings stehen heute dafür einfache Schnellteste zur Verfügung, die in der Praxis durchgeführt werden können. Rachenabstriche können auch direkt mikroskopisch auf Plaut-VincentFlora untersucht werden. In Spezialfällen dient die Kultur der Rachenabstriche dazu, Träger von Meningokokken, Diphtheriebakterien und - bei Immunsuppression- von Enterobakteriaceen zu finden. Die Entnahme von Nasenabstrichen dient der Suche von Trägern von Staphyolococcus aureus. Hingegen sind Nasenabstriche ungenügend für die Diagnose einer Sinusitis. Für die Erregerdiagnose einer Sinusitis ist leider ein Sinuspunktat erforderlich, welches in einem anaeroben Transportmedium versandt werden muss. Bei einer Bronchitis erfolgt in der Regel keine spezifische Diagnostik. Viel wichtiger ist die Kenntnis der Epidemiologie, wozu das Bulletin des BAG hilfreich ist. Der Erregernachweis bei einer Pneumonie wird leider zu oft aus dem Sputum versucht. Der Versand von Sputen (TBC ausgenommen) für die Erregersuche ist nicht hilfreich, da entweder der Erreger auf dem Transport abstirbt (Pneumokokken) oder durch die Normalflora überwuchert wird; auf jeden Fall ist o ein schneller Transport wichtig, allenfalls bis dahin Lagerung bei 4 C. Im Labor wird das Sputum und Trachealsekret auf Epithelzellen untersucht, um die Kontamination mit Mundflora zu beurteilen. Das Vorliegen von Leukozyten spricht eher für eine Infektion als für eine Kolonisation. Die Untersuchung der respiratorischen Materialien muss semiquantitativ oder sogar (bronchoalveoläre Lavagen) quantitativ erfolgen. Bei einer Pneumonie findet man 105 -106 Bakterien pro ml Sekret; je nach Entnahmeart muss die Vorverdünnung berücksichtigt werden. Potentielle Erreger können auch nur Besiedler sein. Bereich Haut Wunden Stuhl Harnwegsinfekt Genital Sinnvolle Untersuchungen Pilze tief (inclusive Anaerobier) gezielt Pyelonephritis Cervikalabstrich Unnötige Untersuchungen allgemeine Bakteriologie oberflächlich ungezielt erstmalige Cystitis bei Frau Vaginalabstrich Normalerweise sterile Proben Bei normalerweise sterilen Materialien muss das Labor die optimalen Kulturbedingungen anwenden, um auch unerwartete Erreger zu finden, beispielsweise schwer züchtbare Bakterien aus der Blutkultur. Hautkeime, die aus normalerweise sterilen Materialien isoliert werden, dürfen nicht immer ohne weiteres als Kontaminanten unterdrückt werden (Koagulasenegative Staphylokokken, Propionibacterium acnes). Eine gute Kommunikation zwischen Klinik und Labor erleichtert oft die Beurteilung, ob ein isoliertes Bakterium ein Erreger oder ein Besiedler ist. Aufgabe des Arztes Die Indikation einer bakteriologischen Untersuchung und die Entnahme des Materials sind entscheidend für eine korrekte mikrobiologische Untersuchung. Im optimalen Fall sollte dem Kliniker die Sensitivität und die Spezifität einer Untersuchung bekannt sein, damit das mikrobiologische Resultat Therapierelevant interpretiert werden kann. Normalflora (nur wichtigste Nennungen) Haut: Koag.-neg. Staphylokokken, Corynebakterien, Pilze Mundhöhle: vergrünende Streptokokken, apathogene Neisserien, Anaerobier Oberer Respirationstrakt: ähnlich zu Mundhöhle Urethralflora: Corynebakterien, Koag.-neg. Staphylokokken, vergrünende Streptokokken Genitalflora bei der Frau: Lactobazillen Darm: Anaerobier, Enterokokken, Enterobakteriaceen R. Zbinden, Prof Dr. med. et lic. phil. II, Institut für Med. Mikrobiologie, Uni Zürich. Juli 2015