Klassik und Moderne als Kontrapunkt K U L T U R

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KULTUR
B ü n d n e r Ta g b l a tt
D o n n e r s t a g , 2 9. O k to b e r 2 0 1 5
Profis, Promis und
Politiker wollen
nach Stockholm
Die Frist für den Upload potenzieller «Eurovision
Song Contest»-Darbietungen ist abgelaufen. 176
Interpreten aus dem In- und Ausland hoffen nun
darauf, die Schweiz in Stockholm vertreten zu
dürfen – darunter ein paar bekannte Gesichter.
BERN Hinter dem «Spassprojekt» Platzhirsch beispielsweise verbergen sich unter anderen der Bündner Rapper Gimma und sein Musikerkollege Stephan «Stämpf» Schmid. Sie treten mit dem Song
«Holz vor der Hütta» an. Ebenfalls kein Unbekannter ist der Belper Sänger Markus Müller («Dear to
Dream»). Ihn und seine Stimme kennt man aus der
SRF-Casting-Sendung «Die Grössten Schweizer Talente». Ebenfalls im Rennen ist die Berner Formation Fraktionszwang (mit dem Song «Diversity»),
die sich aus zehn musizierenden Politikerinnen
und Politikern zusammensetzt. Einigen dürften
vielleicht auch der Ostschweizer «Dä Brüeder vom
Heinz» («Fitti Manne») oder der Baarer Elvis-Imitator Tommy King («Daddy’s Sugar Girl») ein Begriff
sein.
Unter den restlichen Einsendern tummelt sich
alles, vom ernst zu nehmenden Musikprojekt bis
hin zum chancenlosen Möchtegern-Gesang. Wer zu
den Finalisten gehören soll, können die User ab
dem 2. November via Online-Voting mitentscheiden. Wie auf «srf.ch» nachzulesen ist, gibt parallel
Christoph-Mathias Mueller dirigierte am Dienstagabend die Kammerphilharmonie Graubünden im Theater Chur. (FOTO CLAUDIO GODENZI)
Klassik und Moderne als Kontrapunkt
Die Kammerphilharmonie Graubünden ermöglicht drei Bewerbern für den Posten des Chefdirigenten je
ein Extrakonzert. Am Dienstagabend startete das Projekt mit Christoph-Mathias Mueller.
I
▸ CHRISTIAN ALBRECHT
Tritt mit dem «Spassprojekt» Platzhirsch an: der
Bündner Rapper Gimma. (FOTO YANIK BÜRKLI)
dazu auch eine Fachjury ihr Urteil darüber ab, welche zehn Acts von SRF (Schweizer Radio und Fernsehen) und RTR (Radiotelevisiun Svizra Rumantscha) sich mit den sechs Kandidaten von RTS (Radio Télévision Suisse) sowie den drei Kandidaten
von RSI (Radiotelevisione svizzera) dem Expertencheck stellen können.
Sechs bis zuletzt durchgewinkte Interpreten
kämpfen am 13. Februar 2016 in der nationalen
Liveshow um den definitiven Einzug in den ESCZirkus. (SDA)
K U LT U R NO T I Z E N
In der Presse wurde es mehrfach
kommuniziert: Die Kammerphilharmonie Graubünden sucht nach
dem Wegzug von Sebastian Tewinkel einen neuen Chefdirigenten. Dabei, so die offizielle Verlautbarung
der
Orchesterverantwortlichen,
will das Orchester seine «Entscheidung für das Publikum transparent
gestalten», wie es im Generalprogramm dieser Saison heisst. Am
Dienstagabend nun stellte sich der
erste der drei Bewerber für diesen
Posten vor eher gelichteten Reihen
im Theater Chur dem Publikum vor.
Verschiedene
Orchestermusiker
liessen es sich nicht nehmen, den
«Kandidaten» am Dirigentenpult
auch aus dem Blickwinkel des Zuschauerraums unter die Lupe zu
nehmen. Christoph-Mathias Mueller, der 48-jährige, in Peru geborene
Schweizer Dirigent liess sich dadurch jedoch nicht irritieren und
führte durch einen Konzertabend
mit mancherlei Hörpunkten der
ganz besonderen Art.
Erfrischende Art und Weise
Komponisten, sondern insbesondere auch solche in die zeitgenössische Musik. Liest man die künstlerische Vita Muellers, ist Letzteres
nicht einfach ein billiges Zugeständnis an die Neue Musik und daran, dass es auch noch «solche» Musik gibt, sondern ein bewusst eingeplantes Kontinuum. Konkret: Die
Kammerphilharmonie Graubünden und ihr Publikum würden, hiesse der neue Chefdirigent ChristophMathias Mueller, sich wohl in aller
Regelmässigkeit mit Neuer Musik
auseinandersetzen müssen. Das
wäre, zumindest in dieser vorauszuahnenden Stringenz, ein echtes
Novum.
Eine Einführung als Novum
Wie sich dies im klingenden Resultat anhört, zeigte Gérard Zinsstag’s
im Jahr 1990 entstandene Fantasie
«Espressivo» für Cymbalum solo,
Bläser, Streicher, Harfe und Synthesizer. Da sassen denn nicht nur der
exzellent aufspielende Solist Mathias Würsch auf der vordersten Stuhlkante, sondern auch die Stimmführerinnen und Stimmführer der
Kammerphilharmonie, von denen
nicht nur moderne Instrumentaltechniken verlangt wurden, sondern die auch Kompetenz im rhythmischen Bereich beweisen mussten. Bevor das zusammenhängend
einsätzige, dennoch aber in fünf Teile sich auffächernde Opus als Ganzes musiziert wurde, erläuterte der
künstlerische Leiter mittels Wort
und Klangbeispielen die Besonderheiten der Komposition. Das ist Musikvermittlung pur. Auch wenn sich
diese vorbereitete Einführung hart
an der Grenze zwischen dem Verständnishorizont eines mehr oder
weniger unbedarften Musikfans
und einer regelmässigen und daher
gebildeten Konzertgängerin bewegte: Christoph-Mathias Mueller manifestierte damit sein offensichtliches Anliegen, die – hier freilich gemässigte – Musiksprache der Moderne einer breiten Zuhörerschicht
zugänglich zu machen. Auch das ein
Novum. Schön, dass es sich der
Schöpfer dieses Werkes, der renommierte Schweizer Komponist Gérard Zinsstag (*1941), nicht nehmen
liess, dieser Wiederaufführung persönlich beizuwohnen. Sein Auftragswerk für das Ensemble Inter
Contemporain wurde 1991 in Paris
unter der Leitung von Péter Eötvös
uraufgeführt.
Hoher Detailreichtum
Eingerahmt wurde dieser Titel von
Stücken aus der Feder von Carl Philipp Emanuel Bach, Joseph Haydn
und Sigismund von Neukomm. Dabei exponiert das Konzert für Violoncello und Streicher in a-Moll des
Bach-Sohnes selbst dort, wo es sich
barocker Gestik bedient, eine zu seiner Zeit neue Art von leichtgewichtiger, mit Sensitivität verknüpfter
Virtuosität. Dass diese besondere
Stilistik für heutige Zuhörer und
Ausführende mehr ist als bloss das
Phänomen des Übergangs zur Klassik, verdanken wir unter anderem
den Möglichkeiten, welche die historisierende Spiel- und Aufführungspraxis während den letzten
Jahrzehnten mit einem erstaunlich
hohen Detailreichtum freilegte. Dazu gehören neben manch Anderem
eine knackig-frische Artikulation,
vergleichsweise rasche Tempi, rhetorische Kontraste sowie scharf
konturierte (Klang-)Farben. Was
hierin die Solistin Tanja Tezlaff aus
ihrem Violoncello hervorzauberte,
war staunenswert, ihre Zugabe gar
ergreifend und faszinierend zugleich. Ihre an dieser Epoche orientierte Inspiration aber vermochte
nur teilweise auf die Interpretationsansätze des Dirigenten abzufärben. Zwar lief da alles unfallfrei
und weitgehend voraussehbar ab,
doch zu vieles blieb scheinbar unreflektiert. Und dies nicht nur bei
Bach, sondern beinahe im gleichen
Mass bei Haydn und Neukomm.
Wer den Weg zurück ins 18. Jahrhundert über den Neoklassizismus
oder gar das 19. Jahrhundert geht,
wird niemals die Originalität, die
Anmut, das transparente Klangbild
mit seinen Instrumentalfarben und
vielsagenden Nebenstimmen und
den Spielwitz dieser Epoche kennenlernen.
Christoph-Mathias
Mueller
punktete in seinem «Bewerbungskonzert» mit einem Programmkonzept, das erfreulich frischen Wind in
erstarrte Formeln bringt und möglicherweise gerade damit neue Zuhörerschichten zu erreichen vermag.
Durch die Fantasie von Gérard Zinsstag führte er überzeugend, während er die Möglichkeiten der historisch informierten Spielpraxis bloss
ansatzweise
ausschöpfte.
Das
Churer Publikum spendete ihm
einen freundlichen und langen Applaus.
Bilder von Théodore Strawinsky Unter dem Titel
«Lied der Stille» zeigt das Kunstmuseum
Appenzell ab dem 6. November Werke von
Théodore Strawinsky (1907–1989), dem ältesten
Sohn des Komponisten Igor Strawinsky. Zu sehen
sind Stillleben, Porträts, Landschaften, Zeichnungen und Bühnenentwürfe. Die Ausstellung, die
bis zum 27. März 2016 dauert, ist die erste des
Westschweizer Künstlers in der Deutschschweiz,
wie das Kunstmuseum Appenzell mitteilte.
Dass «Neugier einer meiner wichtigsten Antriebe» ist, wie sich Mueller selbst charakterisiert, zeigte er
mit
seiner
Programmierung
demonstrativ. Diese hebt sich in erfreulicher und erfrischender Art
und Weise vom gängigen Mainstream ab: Da öffnen sich Wege
nicht nur zu weniger bekannten
Karel Gott im Spital Der tschechische Schlagersänger Karel Gott ist am Dienstag überraschend
in ein Prager Spital eingeliefert worden. Der
76-Jährige müsse alle Konzerte in der nächsten Zeit
absagen, teilte seine Sprecherin mit.
Die Glocke als Musikinstrument und
Massenkommunikationsmittel
Italien ruft Unternehmen zur
«Adoption» eines Museums auf
AARAU Das Forum Schlossplatz
widmet einem der ältesten Musikinstrumente und einem der ersten
Massenkommunikationsmittel
eine Ausstellung – der Glocke. Aufgezeigt wird, wie der Glockenklang
im Verlaufe der Jahrhunderte polarisierte und faszinierte. Glocken seien ein Massenkommunikationsmittel gewesen, lange bevor es den
Buchdruck und das Internet gab,
heisst es in einem Text zur Ausstel-
ROM Die italienische Regierung hat
Unternehmen aufgerufen, eines der
20 Museen zu «adoptieren», die seit
diesem Jahr eine Sonderautonomie
geniessen. «20 italienische Grossunternehmen sollen jeweils eines
der 20 autonomen Museen adoptieren», so Italiens Kulturminister Dario Franceschini gestern bei einer
Pressekonferenz in Rom. Die Unternehmen sollten zu Partnern der Museen und in deren Verwaltung ein-
Lego-Sammelstelle für Ai Weiwei Der Berliner
Martin-Gropius-Bau sammelt Legosteine für den
chinesischen Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei. Auf dem Hof des Museums steht seit gestern
ein Auto mit leicht geöffnetem Verdeck, durch das
Lego-Fans ihre «Spenden» einwerfen können. Der
57-Jährige braucht die Steine für eine Ausstellung
in Australien, nachdem ihm der Lego-Konzern eine
Grosslieferung mit Hinweis auf den politischen
Charakter des Projekts verweigert hatte.
lung. Und sie gehörten zu den ersten
gestimmten Musikinstrumenten
überhaupt. Die Austellung «Bim
bam wumm – Glockengeschichte(n)» präsentiert eine Auslegeordnung zum Thema Glocken. Sie vermittelt technisches Wissen und lüftet Geheimnisse zum Klangaufbau
und zum Klangspektrum. Sie reflektiert zudem politische Aspekte und
fragt nach der Bedeutung von Glocken in Alltag und Kunst. (SDA)
Die Suche der Kammerphilharmonie
Graubünden nach einem neuen
Chefdirigenten geht im Theater Chur
weiter mit Philippe Bach am Sonntag, 29. November, um 17 Uhr, sowie
mit Philipp von Steinaecker am
Montag, 7. Dezember, um 20 Uhr.
gebunden werden. Zu den 20 autonomen Museen zählen auch der Palazzo Ducale in der lombardischen
Stadt Mantua, der seit Kurzem von
Peter Assmann geführt wird, sowie
die Galleria Nazionale delle Marche
in der Stadt Urbino, zu deren Direktor Peter Aufreiter ernannt wurde.
Die Direktoren der autonomen Museen waren nach einer internationalen Ausschreibung im August ernannt worden. (SDA)
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