LITERATUR LITERATURFANS BEI FACEBOOK Nietzsche schlägt Schiller Wer glaubt, die Menschen läsen nicht, sollte zu Facebook gehen. Dort hoch im Kurs: Existenzialismus, Bullerbü und Hermann Hesse. Eine Glosse von David Hugendick VON David Hugendick | 01. April 2010 - 12:30 Uhr © Hulton Archive/Getty Images Wer hat die meisten Facebook-Fans? Friedrich Nietzsche hat knapp 150.000 Die schlimme Nachricht ist: Buchhändler sind ratlos. Sie legen Vampir-Romane in die Auslagen und das neue Buch von Tommy Jaud, freche Frauenprosa stapelt sich an der Kasse, daneben der neue Mittermeier. Woher sollen sie auch wissen, was der Mensch denkt, fühlt und, ja, was er lesen will? Die Welt wird sekündlich komplexer und niemand hilft. Peter Sloterdijk ruft nicht zurück, Johannes B. Kerner steht für Anfragen nicht zur Verfügung. Wenn Philosophie, Phunk und Phernsehen keine Antwort haben, helfen nur nackte Zahlen. Aus dem Internet, von Facebook. Dort redet die Jugend miteinander, dort sucht man Freunde, dort wird man ein Fan von allem Möglichen. Zum Beispiel von Goethe. Der hätte das Soziale Netzwerk vermutlich gerne gemocht. Da hätte er mit Schiller fetzige Xenien auf Pinnwände gedichtet. 23.070 Nutzer sind auf Facebook Anhänger des Geheimrats. Schiller hingegen kommt auf nur 1368. Ach, du lieber Himmel! Hölderlin 1472, Kleist 951, Herder 46, Wieland: gar keine! Hat die Weimarer Klassik das Internet verpasst? Wie steht’s um Thomas Mann? Solide 10.502, immerhin. Hermann Hesse ist besser: 38.203. Bayern München hat weit weniger. Und da wir schon vergleichen: Nietzsche (148.681) liegt vor Cioran (5425), Sartre (57.033) vor Camus (37.227), Astrid Lindgren (77.291) vor Joanne K. Rowling (30.374), Grass (1848) vor Böll (714), Böll aber vor Handke (324), Enzensberger (251) und Walser, den die Suchmaschine gar nicht findet. Ebenfalls weit abgeschlagen stahlgewittert Ernst Jünger vor 1 LITERATUR 109 Fans. Der Facebook-Nutzer steht also Bullerbü näher als Stalingrad, und das ist – nicht nur für Buchhändler – eine gute Nachricht. Was fängt man noch mit den Zahlen an? Vielleicht kommt jetzt die mathematische Literaturwissenschaft! Camus weniger Mann macht einen Dante Alighieri. Philip Roth plus Frank Schätzing ergibt einen Schopenhauer. Drei Salinger sind ein Kafka. Und wie viel ist Nietzsche geteilt durch Schiller? Richtig: Deutschlands wirklich beliebtester Schriftsteller, der nicht Hesse, nicht Kleist, weder Schlegel noch Hegel heißt, sondern Heinz Günther Konsalik. In dessen Büchern liegen die Mädchen der Taiga im Tanga herum, während Männer die deutsche Sau rauslassen. Davon schrieb er 160 Romane lang, die man für schmales Geld an Drogeriekassen erstehen kann. 80 Millionen Mal ist das schon geschehen. Es gibt Dinge, die lassen sich auch mit Zahlen nicht erklären. COPYRIGHT: ZEIT ONLINE ADRESSE: http://www.zeit.de/kultur/literatur/2010-03/facebook-schriftsteller 2