Nachtphilosophie Zusammenfassung

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Die Philosophie der Nacht Mag. Manfred Rühl www.wegbegleiter.at Eins! O Mensch! Gib acht! Zwei! Was spricht die tiefe Mitternacht? Drei! »Ich schlief, ich schlief –, Vier! Aus tiefem Traum bin ich erwacht: – Fünf! Die Welt ist tief, Sechs! Und tiefer als der Tag gedacht. Sieben! Tief ist ihr Weh –, Acht! Lust – tiefer noch als Herzeleid: Neun! Weh spricht: Vergeh! Zehn! Doch alle Lust will Ewigkeit –, Elf! – will tiefe, tiefe Ewigkeit!« Zwölf! Friedrich Nietzsche Also sprach Zarathustra. Teil 3. 1884 Das Andere Tanzlied. Wenn es um die Nacht als philosophische Thema geht, also darum welche Rolle die Dunkelheit im Leben spielt und spielen soll, dann könnte Friedrich Nietzsche der erste Philosoph der Nacht sein und seine dunkle Philosophie der Prüfstein für alles Fragen, das sich als Aufklärung versteht. Im voran gestellten „Anderen Tanzlied“ lässt Nietzsche die Mitternacht selbst sprechen und die Selbst-­‐Verständlichkeit des Tages in Frage stellen. Was hat sie uns zu sagen? Oh Mensch! Gib Acht! Die Nacht wendet sich an den Menschen als Menschen. Der Mensch ist das einzige Wesen, das den Sinn der „Umnachtung“ verstehen kann, in der Verdopplung von Erfahrung und Reflexion. Hier deutet sich bereits die konkret-­‐begriffliche Umdeutung der metaphorischen Nacht an: für den Menschen bedeutet die Nacht als Erfahrung das Unbekannte im Bekannten, das Unheimliche im Heimlichen, das Draußen im Drinnen, das Nicht-­‐Sein im Sein. Nur der Mensch erfährt diesen Sinn der Finsternis. „Gib Acht!“ ist der Ruf der Nacht, und der Philosoph der Nacht sollte diesen Anruf vernehmen: hören was die Nacht sagen will, denn sehen werden wir es nicht. Ich schlief, ich schlief; aus tiefem Traum bin ich erwacht. Nietzsche, der Philosoph der Nacht, selbst ein Schlafloser, wendet sich hier an die „Nacht-­‐Erwachten“. Die Erfahrung der Nacht, wenn Sie denn tatsächlich passiert, offenbart zunächst den Schlafcharakter des bisherigen unbewussten Lebens und teilt das Leben in ein Leben davor, im Zustand eines unreflektierten Dämmerns und Träumens und ein Leben danach, im Bewusstsein des Unheimlichen. Vorher ist -­‐ ganz im Sinne einer existentiellen Interpretation des Freud’schen Diktums -­‐ der „Traum der Hüter des Schlafes“. Nachher ist der Erwachte selbst der Hüter seines Traumes. Die Welt ist tief, und tiefer als der Tag gedacht. Nietzsches Botschaft an die Erwachten ist eindeutig und destabilisierend: wer als Philosoph in die Tiefe will, muss ins Dunkle. Das Unergründliche, das Dunkle, die Nacht ist das Erste und das Umfassende. Im kosmologischen wie im psychologischen Sinn liegen unsere Ursprünge im Dunkeln. Wir werden diese Nacht nie zum Tag machen können. Kurzer Exkurs: die „Lichtverschmutzung“ dieser Tage kann im tatsächlichen, wie im bildlichen Sinn hier zusätzlich Verwirrung stiften. Wir leben in einer Zeit, die alles ans Licht bringen will, die nichts dabei findet, Menschen in Containern zu halten und jede noch so kleine Gefühlsregung ins Schlaglicht der Öffentlichkeit zu zerren. Eine fatale Entwicklung: zum einen gehen die zarten, flüchtigen und liebevollen Momente verloren, die sich nie im harten Scheinwerferlicht zeigen werden, zum anderen verlieren wir den Sinn für den Wert der Grauschattierungen (ist es Zufall, dass gerade jetzt die „Shades of Grey“ großes Verlangen auslösen?); ohne Grautöne wird die Welt zusehends reduziert auf Schwarz oder Weiß, was sich an der Zunahme des Fundamentalismus deutlich zeigen lässt. Die Aufgabe einer Philosophie der Nacht liegt also einerseits in der Wiedergewinnung eines Verständnisses für die Graubereiche des Lebens, für die „Dämmerung“ – seit jeher daher die Eule das Symbol dieser Philosophie, die sich bei Einbruch der Dunkelheit erhebt und auch bei Nacht gut sieht. Diese Philosophie wird auch Wege finden müssen wie damit umzugehen ist, dass die ewige Nacht sowohl „draußen“ die helle Welt umfängt, als auch „drinnen“ das schwarze Loch des „Woher“ und „Wohin“ im Zentrum der menschlichen Existenz bildet . Fest steht: die Finsternis ist qualitativ unfassbar und quantitativ unbestimmbar; es ist nicht restlos „aufzuhellen“ wie weit sie das Tagesgeschehen bestimmt. Wir loten die Nacht niemals aus. Wo „Es“ ist, wird niemals völlig „Ich“ sein. Weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit. Den Schluss seines Liedes widmet Nietzsche den Nachtmeerfahrern aller Zeiten; all jenen Menschen, die sich als psychonautische Forscher ins Dunkel der eigenen Existenz wagen. Nietzsche war zweifellos einer von Ihnen und vielleicht war er auch das erste Opfer dieses Willens zur Nacht. Das Böse und das radikal Irrationale sind die Mächte der Nacht und somit die wahren Prüfsteine jeder Philosophie des Tages, die das Licht der Rationalität gerne als letzte Instanz inaugurieren will. Der Philosoph der Nacht wird sich daher wohl zunächst dem eigenen Schatten widmen müssen, die „Erleuchtung“ wird Folge einer „Umnachtung“ sein müssen, wenn die Nacht das Erste, der Tag das Abgeleitete ist. Hier lohnt es sich die anfängliche Warnung zu wiederholen: Gib Acht! Nietzsche hat sich (entgegen Dantes Rat!) ohne Begleiter in die eigene Hölle gewagt und alleine den Weg in den Himmel nicht mehr gefunden. Zuvor hat er aber noch in Worte gefasst, was er am dunklen Grund gefunden hat: das Leid und die Lust. Freud wird später sagen: Thanatos und Eros. Nietzsches Weg durch die Dunkelheit bringt ihn in Kontakt mit den todbringenden und den lebensbejahenden Kräften. Beide kann er nicht ganz „ans Licht“ bringen. Wenn dieses Projekt prinzipiell zum Scheitern verurteilt ist, wie lautet dann die Aufgabe für den Menschen und vor allem für den Philosophen? Sollen wir zur Nachtmeerfahrt raten? Sollen wir den Schein dem Sein vorziehen? Wenn wir Nietzsche bis hierher folgen, aber besser als er zu tanzen verstehen, dann ist mutig, wer sich der Nacht stellt, vernünftig, wer sich ihr nicht alleine stellt und weise, wer ihren Ruf hört ohne ihr zu verfallen. © Mag. Manfred Rühl 2014. 
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