Musikfabrik zum 25. Marcus Schmickler Ensemble Musikfabrik Freitag 16. September 2016 20:00 Bitte beachten Sie: Ihr Husten stört Besucher und Künstler. Wir halten daher für Sie an den Garderoben Ricola-Kräuterbonbons bereit und händigen Ihnen Stofftaschentücher des Hauses Franz Sauer aus. Sollten Sie elektronische Geräte, insbesondere Mobiltelefone, bei sich haben: Bitte schalten Sie diese unbedingt zur Vermeidung akustischer Störungen aus. Wir bitten um Ihr Verständnis, dass Bild- und Tonaufnahmen aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet sind. Wenn Sie einmal zu spät zum Konzert kommen sollten, bitten wir Sie um Verständnis, dass wir Sie nicht sofort einlassen können. Wir bemühen uns, Ihnen so schnell wie möglich Zugang zum Konzertsaal zu gewähren. Ihre Plätze können Sie spätestens in der Pause einnehmen. Bitte warten Sie den Schlussapplaus ab, bevor Sie den Konzertsaal verlassen. Es ist eine schöne und respektvolle Geste gegenüber den Künstlern und den anderen Gästen. Mit dem Kauf der Eintrittskarte erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihr Bild möglicherweise im Fernsehen oder in anderen Medien ausgestrahlt oder veröffentlicht wird. Musikfabrik zum 25. Marcus Schmickler Live-Elektronik Ensemble Musikfabrik Freitag 16. September 2016 20:00 Pause gegen 20:50 Ende gegen 21:50 Gefördert durch das Kuratorium KölnMusik e. V. PROGRAMM Morton Feldman 1926 – 1987 De Kooning (1963) für Horn, Violine, Violoncello, Klavier und Schlagzeug. Musik zum Film »Willem de Kooning« von Hans Namuth und Paul Falkenberg Morton Feldman Jackson Pollock (1951) für zwei Violoncelli. Musik zu einem Film von Hans Namuth und Paul Falkenberg Fassung für Violoncello und Kontrabass I.Signature II. Pollock paints II.(shadow) IV. Detail of painting V. Painting on glass (1st sequence) VI.Painting on glass (2nd sequence) Steve Reich *1936 Radio Rewrite (2012) für Flöte, Klarinette, zwei Vibraphone, zwei Klaviere, Streichquartett und E-Bass I.Fast II.Slow III.Fast IV.Slow V.Fast Pause Marcus Schmickler *1968 RICHTERS PATTERNS (2016) Musikalische Installation für 18 Musiker und Elektronik und gleichnamiger Film von Corinna Belz nach einer Idee von Gerhard Richter, Montage von Rudi Heinen Kompositionsauftrag der KölnMusik Uraufführung 2 ZU DEN WERKEN Dass Komponisten für ihre Werke Anregungen aus der Bildenden Kunst, vornehmlich aus der Malerei beziehen, ist nicht selten. Der Komponist Wolfgang Rihm meint sogar einmal: »Jede Kunst ist Bildende Kunst. Im Augenblick der Rezeption sogar im Wortsinn.« Von jeher sind den Künsten die Produktion von Artefakten und das Schaffen begrifflicher wie vor allem begriffsloser Erkenntnis gemeinsam, allerdings greifen sie nicht in eins. Ihre jeweiligen Materialien, zwischen Konkretion und Abstraktion unterschiedlich angesiedelt, sowie die verschieden angesprochenen Wahrnehmungsinstanzen lassen sich von der einen Kunst auf die andere nicht übertragen und schon gar nicht eins zu eins. Allenfalls, zugleich aber auch bestenfalls äußert sich die künstlerische Reflexion auf die andere Kunstsparte als Echo, als Resonanz mit dem ganz anders gearteten Material, das auch in der Vermittlung durch das Genre des Künstler-Films – oder wie im heutigen Programm mit dem Ensemble Musikfabrik bei dem Stück Radio Rewrite von Steve Reich durch entfernt scheinende Musik – kompositorische Impulse freisetzt. Der amerikanische Komponist Morton Feldman, der intensive Kontakte zu den Malern des sogenannten, Ende der 1940er Jahre in New York entstandenen Abstract Expressionism pflegte, schrieb in einem Essay, den er Autobiographie nannte: »Selten sprachen wir mit John [Cage] über Musik. Die Dinge bewegten sich zu schnell, als dass man darüber hätte sprechen können. Aber wir unterhielten uns ausnahmslos über Malerei. […] Die Gespräche fanden mit fabelhaften bildenden Künstlern statt: [Willem] de Kooning, [Jackson] Pollock, [Franz] Kline, [Philip] Guston und vielen, vielen anderen. Die neue Malerei ließ mich nach einer Klangwelt verlangen, die uns unmittelbarer, spontaner, natürlicher war als irgendetwas anderes, das es je zuvor gegeben hatte.« Jedem der vier erwähnten Maler und auch John Cage widmete Feldman irgendwann eine Komposition, indem er entweder bloß den (Nach-)Namen des betreffenden Künstlers zum Titel des Stücks machte oder diesem noch die Widmung anzeigende Präposition »für« bzw. »for« voranstellte. 3 Morton Feldman: De Kooning (1963) Der 1915 in Essen geborene Filmemacher und Fotograf Hans Namuth – er starb 1990 –, der 1933 vor den Nazis zunächst nach Paris, 1941 schließlich in die USA emigriert war, drehte 1962/63 einen Film über den Maler Willem de Kooning (1904 – 1997), bei dem Namuth wie schon zuvor bei anderen Künstler-Filmen mit dem ebenfalls in die Vereinigten Staaten emigrierten Berliner Cutter Paul Falkenberg (1903 – 1986) zusammenarbeitete. Namuth, der etliche Filme über die Maler des Amerikanischen Expressionismus der New York School realisiert hat, bat Morton Feldman um eine Begleitmusik dazu. Und der mit de Kooning befreundete Feldman nahm den Auftrag gerne an und schrieb ein Stück für Horn, Schlagzeug, Klavier/Celesta, Geige und Violoncello, das am 4. September 1963 öffentlich uraufgeführt wurde. Feldman betrachtete seine Musik, die er De Kooning nannte – der Film heißt Willem de Kooning –, auch ohne die Bewegtbilder als tragfähig. »Jedes Instrument«, so notiert Feldman in der Partitur, solle dann einsetzen, »wenn der vorhergehende Klang zu verlöschen beginnt«. Die Zeit möge so im Klang aufgehoben werden. Und tatsächlich entsteht beim Hören ein Gefühl, dass trotz aller Bewegung, die das Musikstück zweifellos hat und auch haben muss, die Zeit als linearer Prozess stillzustehen scheint, indem »einzelne Instrumente immer wieder die gleichen Töne bzw. Akkorde wiederholen und hierdurch der Eindruck eines einzigen Zusammenklangs, der in der Zeit artikuliert wird, entsteht« (Sebastian Claren). Feldman, der unmittelbar nach De Kooning die fünfteilige Kompositionsserie Vertical Thoughts beginnt, vertieft darin Aspekte seiner Begleitmusik, übernimmt teils gar Partien daraus. Die Folge der Klänge in der Zeit wird in diesen Werken zunehmend freier gehandhabt. »Es gibt«, wie Feldman selbst sagt, »immer noch Bewegung – aber sie ist nichts anderes mehr als der Atem des Klanges selbst.« 4 Morton Feldman: Jackson Pollock (1951) 1950 realisierte Hans Namuth zusammen mit Paul Falkenberg einen zehnminütigen Dokumentarfilm über den New Yorker Maler Jackson Pollock (1912 – 1956), der zwischen 1947 und 1950 zahllose »Drip Paintings« anfertigte, indem er mittels aktionsreicher Körperbewegungen Farben auf große, auf dem Boden liegende Leinwände vom Pinsel tropfen ließ. Namuth, der diese betont gestische Kunstproduktion auch filmisch originell dokumentieren wollte, ließ den Action Painter Pollock eigens dafür auf einer hochgelegten Glasplatte arbeiten und filmte den Prozess der Bildentstehung von unten. Als der Film fertig geschnitten und montiert war, entschied sich Cutter Paul Falkenberg, die Bilder-Folge mit indonesischer Gamelan-Musik zu »untermalen«. Doch die exotischen Sounds gefielen Pollock nicht: »Ich bin ein amerikanischer Maler.« Pollocks Frau, die Malerin Lee Krasner, ergriff daraufhin die Initiative und rief John Cage an, ob er nicht ein passendes Stück für den Film schreiben könnte. Aber Cage lehnte ab, er mochte Pollocks Kunst nicht, machte indes den Vorschlag, man möge Morton Feldman fragen. Und Feldman, der anders als Cage Pollocks Arbeit schätzte, sagte zu und hatte die Idee, ein Stück für Solocello zu schreiben. Er kam aber schließlich der Bitte Falkenbergs nach und komponierte ein Werk für zwei Celli, das im Mai 1951 von Feldmans Highschool-Freund Daniel Stern im Mehrspurverfahren eingespielt wurde. Am 14. Juni 1951 hatte der Film samt Musik im New Yorker Museum of Modern Art seine Premiere. Diese Arbeit – ein grafisch in Kästchen mit Zahlen notiertes Stück »unaufgeregter« Klänge – und die dadurch entstandene, lebenslange Freundschaft mit Pollock, der die Komposition mit einer Tuschezeichnung honorierte, hat Feldman später »Beginn meines Lebens« genannt. 5 Steve Reich: Radio Rewrite (2012) 1987 komponierte Steve Reich das E-Gitarrensolo Electric ­Counterpoint, das am 5. November desselben Jahres in New York durch Pat Metheny uraufgeführt wurde. Wie bei vielen Werken Reichs hat der Solist die Möglichkeit, die ergänzenden Stimmen – auch hier ist das Stück ein komplex-komplizierter, phasenverschobener »Kanon« – von einem bereits produzierten Tonband ab- und dazuspielen zu lassen oder es aber in seiner ihm eigenen Spielweise vorab selbst einzuspielen. Für Letzteres entschied sich der Gitarrist Jonny Greenwood, als er u. a. im September 2010 in Krakow den »Elektrischen Kontrapunkt« aufführte – in Anwesenheit des Komponisten. Und Steve Reich war sehr beeindruckt von der Aufführung, auch weil der 1971 in Oxford geborene Greenwood die zehn zusätzlich benötigen Gitarrenstimmen, die aus Lautsprechern erklingen, selbst eingespielt hatte. Nach dem Konzert kamen die beiden Künstler ins Gespräch und Steve Reich, der schon mal Songs von Radiohead gehört hatte, lernte nun nicht nur den Gitarristen Jonny Greenwood persönlich kennen, sondern zugleich einen der maßgeblichen Köpfe der britischen Band, der damit auch komponiert. Daraufhin hörte er nun intensiver die Musik der 1985 in Oxford zunächst unter dem Namen »On a Friday« gegründeten, ein paar Jahre später dann Radiohead heißenden Band, die bis heute über 30 Millionen Platten verkauft hat. Aus Reichs Radiohead-Beschäftigung resultierte im August 2012 das gut 18-minütige Ensemblestück Radio Rewrite, das aus fünf Teilen besteht. Von denen sind der erste, der dritte und der fünfte schnell und sie basieren auf melodischem Material aus dem Radiohead-Song Jigsaw Falling into Place (von dem Album In Rainbows, 2007). Für die beiden langsamen Teile 2 und 4 bildet der harmonische Gestus des Songs Everything in Its Right Place (von der Schallplatte KID A, 2000) die Orientierungsquelle. Denn für Reich, der sich mit Radio Rewrite in eine lange musikgeschichtliche Tradition der kreativen Bearbeitung stellt, war klar, dass er nicht einfach einen Variationensatz über die beiden Songs schreiben wollte, sondern etwas eigenes. So hört man in Radio Rewrite auch weniger Radiohead als eben Steve Reich, der von ihm als besonders innovativ beurteilten Gruppe dennoch mit jedem seiner Töne eine Reverenz erweist. 6 Marcus Schmickler: RICHTERS PATTERNS (2016) 2011 erschien im Kölner Verlag der Buchhandlung Walther König das Künstlerbuch Patterns: Divided, Mirrored, Repeated von Gerhard Richter. Hierin zergliedert der 1932 in Dresden geborene Künstler, der seit 1983 in Köln lebt und dessen Werke im Kunstmarkt zu den begehrtesten und teuersten gehören, sein 1990 mit Öl gemaltes Abstraktes Bild (in der Größe von 92 mal 126 Zentimeter und mit der Werkverzeichnisnummer 724 – 4 versehen) zunächst in zwei Teile, gefolgt von immer kleiner werdenden vertikal geschnittenen Segmenten und Sektionen. Mit zunehmender Teilung entstehen immer kleinere Ausschnittdetails, die ornamentale Sequenzen bis hin zu Streifen ergeben. Detailaufnahmen zeigt das Buch zudem in gespiegelter, so dann in vertikaler Aneinanderreihung von Detailausschnitten. So entsteht ein Kaleidoskop von ungeahnten Formen und Mustern, die in der Abfolge der kleinen und noch kleineren Sichtfokussierungen – bis hin zur einzelnen Linie – Gesetzmäßigkeiten erkennen lassen, die die Perspektive auf das Tafelbild als Ganzes nicht freigibt, zumal das Abstrakte Bild einst durch den gestischen Malakt eher durch einen quasi gesteuerten Zufall entstand. Im selben Jahr, als Gerhard Richters Kunstbuch erschien, dem per se filmisches Potential innezuwohnen scheint – die Assoziation an ein Daumen-Kino ist durchaus gegeben (auch wenn man Riesenfinger zum raschen Durchblättern benötigen würde) –, kam auch der aufwändige, aus drei Jahren Materialbeschaffung bestehende Kunstfilm Gerhard Richter Painting der Regisseurin Corinna Belz in die Kinos, der sehr gute Einblicke in die denkerische und handwerkliche Werkstatt des Künstlers liefert. Corinna Belz, die noch weitere Richter-Dokumentationen gedreht hat, entwickelte im Auftrag der KölnMusik einen 33-minütigen Film aus Detailaufnahmen eines neuen abstrakten Gemäldes von Gerhard Richter. Ebenfalls im Auftrag der KölnMusik komponierte dann der Kölner Komponist Marcus Schmickler zu diesem Film eine »musikalische Installation für 18 Musiker und Elektronik und Film«. Die Idee dazu lieferten die in Richters »Pattern«Buch demonstrierte mathematische Methode: Teilen, Spiegeln, 7 Wiederholen. Seine Komposition, so sagt der 1968 geborene, in Köln lebende Schmickler, verlängere Richters Experiment: »Diese ›Verlängerung‹ findet einerseits auf der Ebene des Materials und der musikalischen Syntax statt. Formteile werden in unterschiedlichen Skalierungen wiederholt und gespiegelt. Massige Akkorde werden auf vertikaler Ebene immer weiter ineinander geschoben, bis sie mikrotonale Linien ergeben. Diese wiederholen sich und spalten sich erneut ins Motivische auf, um letztlich als Spektrum in der Welt der Obertöne augmentiert hörbar zu werden. RICHTERS PATTERNS ist desweitern eine doppelte ›Verlängerung‹ der Konzeption Richters: Auch auf der Ebene des Kulturellen reflektiert die Komposition den Prozess, dem der berühmte Maler sein Material unterwirft. Das Verhältnis der Malerei wie auch der Musik zum Pattern, Muster, Ornament und damit auch zum Dekor ist in der Theorie der Kunst des 20. Jahrhunderts wiederholt problematisiert und entproblematisiert worden. Es wird zu einem Sprungbrett, einem Trampolin für RICHTERS PATTERNS, unterschiedliche Epochen der Musik und der Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spiegeln sich in der Komposition scheinbar wider. Letztlich ist RICHTERS PATTERNS auch eine Gratulation an das Ensemble Musikfabrik, dessen Mitglieder mittels individueller Probenarbeit ihre jeweils eigenen Klänge und Ideen zum Stück beigesteuert haben. « Stefan Fricke 8 MUSIKFABRIK Zum 25. Gerade erst angekommen: Dem Ensemble Musikfabrik zum 25. Geburtstag Fünfundzwanzig Jahre, was ist das schon? Die meisten großen Orchester sind hundert oder hundertfünfzig Jahre alt, einige stammen aus dem 18. Jahrhundert. Und selbst die jüngeren, wie die Orchester der Rundfunkanstalten, haben schon sechzig, siebzig Jahre auf dem Buckel und wirken nicht alt. So wird auch der fünfundzwanzigste Geburtstag in den Annalen des Ensemble Musikfabrik langsam nach hinten rutschen, bis irgendwann in ferner Zukunft Chronisten das Jubiläum einordnen in der Rubrik »Die Anfänge«. Tatsächlich hat man ja den Eindruck: das Ensemble ist erst jetzt da, wo es sein soll. Weil es erst in den letzten Jahren wirklich selbstverständlich geworden ist. Weil endlich auch international jeder weiß, wer es ist, was es tut, wie es funktioniert, was es will. Weil es, pardon: das muss gesagt werden, in Köln seine einzig vernünftige Heimat gefunden hat und von hier nicht mehr wegzudenken ist. Weil es sich so gut behauptet hat im harten und immer härter werdenden Konkurrenzkampf, dass niemand fürchten muss, es könnte jemals in die zweite Reihe rücken. Weil seine Mitglieder bewiesen haben, dass sie als Verein dieses Unternehmen eigenständig stemmen können, ja, dass nur die Selbstverwaltung Produktivität und Qualität auf Dauer sichert. Und weil die vielen Freunde und Unterstützer, die es hat und auch braucht, treu zum Ensemble stehen. Und hoffentlich weiter stehen werden. Natürlich kann sich alles ändern. Vor einigen Jahren erst hat in den Niederlanden eine politische Kehrtwende eine gewachsene Kulturlandschaft flächendeckend kahlgeschlagen. Doch die Politik war bisher kein Feind der Musikfabrik, ganz im Gegenteil. Das Ensemble verdankt seine Gründung anno 1991 überhaupt erst politischem Kalkül. Nach der Wiedervereinigung läuteten in Nordrhein-West­ falen die Alarmglocken. Maler, Galeristen, Autoren, Regisseure, 9 Schauspieler, Komponisten und Musiker zogen nach Berlin, und es war klar: Fördergelder des Bundes, die bisher von Bonn aus oft in der Region hängen blieben, würden und wurden dann ja auch in erheblichem Maße in die neue Hauptstadt umgeleitet. Die Regierung in Düsseldorf erfand in der Not das Ensemble Musikfabrik als eine von zahlreichen Gegenmaßnahmen. Die kühne Tat allerdings hatte einen Haken – die Vorstellung nämlich, das Ensemble wie ein Orchester im Kleinen zu organisieren, hierarchisch und weisungsgebunden. Der Zauber des Anfangs war denn auch schnell verflogen, Unmut machte sich breit und der Unwille, zu arbeiten unter diesen Konditionen: einerseits halb so viel verdienen wie ein Orchestermusiker, andererseits genauso wenig mitsprechen dürfen. Der Krach war vorprogrammiert. Am Ende hatte Düsseldorf ein Einsehen. 1997 nahmen die Musiker ihre Geschicke selbst in die Hand. Erst seitdem geriet die Musikfabrik richtig unter Dampf. Der karge Terminkalender begann sich zu füllen, der Aktionsradius wurde immer größer. Statt zwei, drei Duzend Konzerte stehen heute achtzig, manchmal hundert Auftritte pro Jahr im Kalender, und die führen auch nicht mehr allein entlang Rhein und Ruhr, sondern durch ganz Europa und manches Mal sogar darüber hinaus. Das regionale Miniorchester von einst ist heute als Ensemble ein Global Player. Im Magazin The New Yorker bejubelte Star-Kritiker Alex Ross das »perhaps most inventive ensemble on the modern scene«, während die New York Times vergangenes Jahr das Gastspiel im Lincoln Center mit Musik von Harry Partch ankündigte mit den Worten »A Dream, Carried out by Ensemble Musikfabrik«. Tatsächlich war die Produktion von Harry Partchs Delusion of the Fury (neben Stockhausens Sonntag) die wohl spektakulärste der ersten fünfundzwanzig Jahre. Ihr voraus ging der komplette Nachbau der von Partch selbstentworfenen Instrumente, die langwierige Einstudierung ihrer Spieltechnik und des kniffligen dreiundvierzigtönigen Stimmungssystems. Die Premiere zur Eröffnung der Ruhrtriennale 2013 war ein wunderbares Spektakel, das sich weltweit herumsprach. Herumgesprochen hat sich auch, dass in der Musikfabrik selbst dann gearbeitet wird, wenn alle Mann zuhause bleiben. 10 Die Proben sind nur das eine. Das andere ist ein in den letzten Jahren weit verzweigtes Angebot, teilzuhaben an der Expertise der Musiker – sei es als Komponist, als Instrumentalist oder auch als Laie oder Schüler. Studenten können ihre Arbeiten vom Ensemble durchspielen und kritisch bewerten lassen (das heißt dann »Composer Collider«), Erwachsene können in der »spielBar« ohne Notenkenntnisse Werke der Neuen Musik erlernen, für begabte Teenager gibt es mit dem »Studio Musikfabrik« ein Jugendensemble, und der im letzten Jahr neu eingerichtete Campus hat sich bereits bewährt als Labor, in dem Kreative aus allen Sparten Projekte ohne Vorgaben gemeinsam entwickeln: Instrumentalisten, Komponisten, bildende Künstler, Choreogra­ phen, Filmemacher, Instrumentenbauer, Techniker. Doch besser geht natürlich immer. Die institutionelle Förderung vom Land, die Projektförderung der Kunststiftung NRW und die Unterstützung der Sparkasse KölnBonn schaffen für das Ensemble eine gute Basis, es kann planen und auch aufwändige Projekte realisieren. Aber dennoch, es muss gerechnet werden, das kontinuierlich steigende Publikumsinteresse der vergangenen Jahre kommt da gerade recht und so kann sich das Ensemble Musikfabrik glücklich schätzen, durch die selbsterzielten Einnahmen sich eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit zu schaffen. Das ist sehr erfreulich und beachtlich zugleich. Zum Geburtstag kann man der Musikfabrik wünschen, dass es nicht nur so erfolgreich weitergeht wie bisher, sondern, dass das Ensemble auch weiterhin so einprägsame künstlerische Akzente setzt wie in der Vergangenheit. Und damit seine Experimentierfreude behält und die Strahlkraft ihrer Interpretationen auch zukünftig über das Land hinaus sicht- und fühlbar ist. Raoul Mörchen 11 BiograPhien Marcus Schmickler Marcus Schmickler, Jahrgang 1968, studierte Komposition bei Johannes Fritsch und Elektronische Musik bei Hans-Ulrich Humpert an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln sowie Musikwissenschaft an der Universität Köln. In seinen Arbeiten erforscht Schmickler erweiterte Methoden zur Komposition von wahrnehmungsspezifischen Eigenheiten im Klang und deren Spatialisierung. Seit 1990 entstanden zahlreiche Kompositionen elektronischer Musik, teilweise mit Chor, Kammerensemble und Orchester. 1995 war Schmickler Mitinitiator des Labels und Schallplatten­ladens a-Musik sowie des DJ-Kollektivs Brüsseler Platz-10a-­ Musik. 1996 veröffentlichte er unter dem Alias Pluramon eines der ersten vollständig digital produzierten Postrock-Alben bei dem Frankfurter Label Mille Plateaux. 1998 wurde er Mitglied des 12-köpfigen Elektroakustik-Ensembles MIMEO. Im September 2001 nahm er mit der US-amerikanischen Sängerin Julee Cruise das Pluramon-Album Dreams Top Rock auf und ging damit 2003 u. a. auf Südamerika-Tournee. Zwischen 2004 und 2009 arbeitete Schmickler an Theaterinszenierungen, vor allem am Nationaltheater Weimar. 2009 komponierte er im Auftrag des Internationalen Jahres der Astronomie Bonner Durchmusterung auf der Basis astronomischer Daten und Modelle. 2010 entstand als Gemeinschaftsarbeit mit dem Kollektiv Interpallazzo die LichtKlanginstallation Revolving Realities. 2013 brachte das Ensemble Musikfabrik unter Leitung von Enno Poppe Schmicklers Komposition Kemp Echoes in der Kölner Philharmonie zur Uraufführung. Marcus Schmickler erhielt Preise, Auszeichnungen und Stipendien, z. B. von Ars Electronica und dem Land Nordrhein-Westfalen. Er kuratierte Festival-Programme z. B. in der Akademie der Künste Berlin und dem ZKM Karlsruhe und war langjähriges Jurymitglied des Deutschen Musikrates und des Bundesfachausschusses Neuer Musik. Als Autor schrieb er Artikel zu Sonifikation 12 und Musikästhetik. Er betreibt das Piethopraxis Tonstudio in Köln, wo die meisten seiner Arbeiten entstehen sowie Kompositionen für zum Teil preisgekrönte Filme, Hörspiel und andere außermusikalische Kontexte mit Bewegbild und Licht. Seit 2010 lehrt Marcus Schmickler im MFA-Studiengang music/ sound am Bard College in Annandale-on-Hudson, NY, USA und er war 2014 Vertretungsprofessor für Composition und Experimental Sound Practices (ESP) am CalArts in Valencia, CA, USA. Seit 2015 lehrt er Hybrid Sound Composition im Studienschwerpunkt Musikinformatik und ab 2016 Komposition im Studienschwerpunkt Visual Music am Institut für Musik und Medien der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf. In der Kölner Philharmonie war Marcus Schmickler zuletzt im Mai 2013 zu Gast. 13 Corinna Belz Corinna Belz lebt seit 1986 als freie Filme­ macherin in Köln. Sie studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Germanistik und Kunstgeschichte in Köln, Berlin und Zürich. Nach zahlreichen Dokumentationen verantwortete sie Buch und Regie bei dem Kino­dokumentarfilm Gerhard Richter Painting. Der Film lief über zehn Monate lang in deutschen Kinos, erreichte 100.000 Zuschauer und wurde 2012 mit dem Deutschen Filmpreis in Gold ausgezeichnet. In den USA wurde er neun Wochen in New York und landesweit in 68 amerikanischen Städten gezeigt. 2016 lief ihr Film 4xPARIS – Paula Modersohn Becker begleitend zur großen Retrospektive der Künstlerin fünf Monate im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris. Beim Filmfestival von Locarno hatte ihr Film Peter Handke. Kann sein, daß ich mich verspäte Premiere. 2015/2016 entstand in Zusammenarbeit mit dem Editor Rudi Heinen der abstrakte Film RICHTERS PATTERNS nach einer Idee von Gerhard Richter. Corinna Belz ist heute zum ersten Mal mit einem ihrer Filme in der Kölner Philharmonie vertreten. Rudi Heinen Rudi Heinen absolvierte ein Filmstudium in Dortmund, zunächst Kamera, dann Schnitt. Er ist Editor bei zahlreichen Spiel- und Dokumentarfilmen sowie Installationen. Er wirkte an den Produktionen der Spiel- und Dokumentarfilme Junges Licht, Contergan sowie Deine Arbeit, Dein Leben mit sowie an Installationen im Deutschen Pavillon bei der Expo 2000 und im Dortmunder U. Mit dem Film RICHTERS PATTERNS ist eine Arbeit von ihm erstmals in der Kölner Philharmonie zu erleben. 14 Ensemble Musikfabrik Seit seiner Gründung 1990 zählt das Ensemble Musikfabrik zu den führenden Klangkörpern der zeitgenössischen Musik. Dem Anspruch des eigenen Namens folgend, ist das Ensemble Musikfabrik in besonderem Maße der künstlerischen Innovation verpflichtet. Neue, unbekannte, in ihrer medialen Form ungewöhnliche und oft erst eigens in Auftrag gegebene Werke sind sein eigentliches Produktionsfeld. Die Ergebnisse dieser häufig in enger Kooperation mit den Komponisten geleisteten Arbeit präsentiert das in Köln beheimatete internationale Solistenensemble in jährlich etwa 80 Konzerten im In- und Ausland, auf Festivals, in der eigenen Abonnementreihe »Musikfabrik im WDR« und in regelmäßigen Audioproduktionen für den Rundfunk und den CD-Markt. Die erste CD der eigenen CD-Reihe Edition Musikfabrik, die CD Sprechgesänge, wurde 2011 mit dem ECHO Klassik ausgezeichnet. Alle wesentlichen Entscheidungen werden von den Musikern in Eigenverantwortung selbst getroffen. Die Auseinandersetzung mit modernen Kommunikationsformen und experimentellen Ausdrucksmöglichkeiten im Musik- und Performance-Bereich ist ihnen ein zentrales Anliegen. Interdisziplinäre Projekte unter 15 Einbeziehung von Live-Elektronik, Tanz, Theater, Film, Literatur und bildender Kunst erweitern die herkömmliche Form des dirigierten Ensemblekonzerts ebenso wie Kammermusik und die immer wieder gesuchte Konfrontation mit formal offenen Werken und Improvisationen. Dazu gehören auch Gesprächskonzerte und das Experimentieren mit Konzertformaten, die das Publikum stärker integrieren. Dank seines außergewöhnlichen inhaltlichen Profils und seiner überragenden künstlerischen Qualität ist das Ensemble Musikfabrik ein weltweit gefragter und verlässlicher Partner bedeutender Dirigenten und Komponisten. Die Gästeliste des Ensembles ist so lang wie prominent besetzt: Sie reicht von Mark Andre, Louis Andriessen und Stefan Asbury über Sir Harrison Birtwistle, Unsuk Chin, Péter Eötvös, Brian Ferneyhough, Heiner Goebbels, Toshio Hosokawa, Michael Jarrell, Mauricio Kagel, Helmut Lachenmann, David Lang, Liza Lim und Benedict Mason, bis zu Mouse on Mars, Carlus Padrissa (La Fura dels Baus), Emilio Pomàrico, Enno Poppe, Wolfgang Rihm, Peter Rundel, Rebecca Saunders, Karlheinz Stockhausen, Ilan Volkov und Sasha Waltz. Das Ensemble Musikfabrik wird vom Land Nordrhein-Westfalen unterstützt. Die Reihe »Musikfabrik im WDR« wird von der Kunststiftung NRW gefördert. In der Kölner Philharmonie war das Ensemble Musikfabrik zuletzt im Mai 2014 zu hören und wird erneut am 14. Oktober bei uns zu Gast sein. 16 Die Besetzung des Ensemble Musikfabrik Helen Bledsoe Flöte Peter Veale Oboe Carl Rosman Klarinette Alban Wesly Fagott Christine Chapman Horn Marco Blaauw Trompete Kevin Austin Posaune Melvyn Poore Tuba Christopher Brandt E-Bass Marieke Schoenmakers Harfe Ulrich Löffler Klavier Benjamin Kobler Klavier Dirk Rothbrust Schlagzeug Johannes Fischer Schlagzeug Boris Müller Schlagzeug Hannah Weirich Violine Susanne Zapf Violine Axel Porath Viola Dirk Wietheger Violoncello Florentin Ginot Kontrabass Paul Jeukendrup Klangregie 17 KölnMusik-Vorschau September Oktober SO FR 14 18 20:00 18:00 Anna Pehrsson Tanz Dani Brown Tanz Ioanna Paraskevopoulou Tanz Harry Koushos Tanz Pekka Kuusisto Violine Junge Deutsche Philharmonie Jonathan Nott Dirigent Joseph Haydn Sinfonie e-Moll Hob. I:44 »Trauersinfonie« Ensemble Musikfabrik Ilan Volkov Dirigent Alexandra Waierstall Choreographie György Ligeti Konzert für Violine und Orchester Toshio Hosokawa Slow Dance Ludwig van Beethoven Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 »Eroica« Hanspeter Kyburz Danse aveugle John Cage Sixteen Dances for Soloist and Company of 3 Kölner Sonntagskonzerte 1 19:00 Einführung in das Konzert durch Stefan Fricke DI 20 Gefördert durch das Kuratorium KölnMusik e. V. 20:00 Georg Nigl Bariton Alexander Melnikov Klavier Lieder von Franz Schubert und Alban Berg sowie Wolfgang Rihm Dort wie hier – Zyklus aus einem HeineGedicht für Bariton und Klavier Uraufführung Johannes Brahms Vier ernste Gesänge op. 121 für Bass und Klavier Liederabende 1 18 Foto: Silvano Ballone Claude Vivier Enlightened Child Ein Tanztheater von Natalia Horecna Gefördert durch Bundesjugendballett Jenny Daviet Sopran Franziska Gottwald Mezzosopran Rie Watanabe Percussion Ensemble Resonanz Jean-Michaël Lavoie Dirigent koelner-philharmonie.de 0221 280 280 Dienstag 04.10.2016 20:00 Philharmonie-Hotline 0221 280 280 ­koelner-­philharmonie.de Informationen & Tickets zu allen Konzerten in der Kölner ­Philharmonie! Kulturpartner der Kölner Philharmonie Herausgeber: KölnMusik GmbH Louwrens Langevoort Intendant der Kölner Philharmonie und Geschäftsführer der KölnMusik GmbH Postfach 102163, 50461 Köln ­koelner-­philharmonie.de Redaktion: Sebastian Loelgen Corporate Design: hauser lacour kommunikationsgestaltung GmbH Textnachweis: Die Texte von Stefan Fricke und Raoul Mörchen sind Originalbeiträge für dieses Heft. Fotonachweise: Marcus Schmickler © Ilya Barhatov; Ensemble Musikfabrik © Jonas Werner-Hohensee Gesamtherstellung: adHOC ­Printproduktion GmbH Foto: picutre alliance / Rainer Skulpturenklang Werke inspiriert von der Fontaine Stravinsky, Paris der Skulptur Hommage à Mozart, Salzburg dem Relief Große Huldigung an das technische Zeitalter, Köln u.a. Ensemble intercontemporain Gregor Mayrhofer Dirigent u. a. Gefördert durch koelner-philharmonie.de 0221 280 280 Dienstag 10.01.2017 20:00