LITERATUR MAX FRISCH Multimediale Erinnerungen an einen schwierigen Schweizer Wie liest sich Max Frisch heute? Und wer setzt sich mit ihm auf welche Weise auseinander? Diesen Fragen geht das Museum Strauhof in einer Ausstellung zum 100. Geburtstag des Zürcher Autors nach. Frisch anzusehen BARNABAS BOSSHART/FOTOSTIFTUNG SCHWEIZ Max Frisch in Zürich: Im neuen Lochergut, 1967 6 ROSEMARIE PRIMAULT/MAX FRISCH-ARCHIV, ZÜRICH derung verstanden, einen anderen Zugang zu Frisch zu suchen. «Ausstellungen sind etwas anderes als Bücher. Man kann nicht einfach Texte an die Wand hängen. Bei Literatur-Ausstellungen, die von Büchern handeln, muss man sich eine Form ausdenken, die dem Medium Ausstellung gerecht wird», sagt die studierte Kunst- und Literaturhistorikerin. Ihr Team von der «Praxis für Ausstellungen und eorie» in Berlin hat sich mit interdisziplinären Schauen international einen Namen gemacht. Einmal mehr wird einer, der zu Lebzeiten fast genauso intensiv bekämpft wie verehrt wurde, posthum zelebriert wie ein Nationalheiliger. Über Jahre hinweg fichiert, wird Max Frisch von demselben Staat nun mit Sondermarke und -münze gewürdigt. Dem toten Jubilar – Frisch wäre am 15. Mai 100 Jahre alt geworden, ist aber am 4. April vor 20 Jahren gestorben – hätte dieser Widerspruch wohl gefallen und Stoff geliefert. Max Frisch wird in den kommenden Wochen auf zahlreichen Bühnen und Kanälen zu sehen und zu erleben sein (siehe Kasten rechts). «Eine gewaltige Präsenz», findet auch Annemarie Hürlimann, die eine Frisch-Ausstellung im Zürcher Museum Strauhof kuratiert. Diesen abschätzbaren Hype habe sie als Herausfor- Den Erwartungen der Zürcher Auftraggeber begegnete Hürlimann mit einem speziellen Konzept: «Wir gehen von den Rezipienten aus, also von Lesenden, eaterbesuchern, Kinogängerinnen. Und fragen: Wie viel Frisch steckt in der Gegenwart und in jedem von uns?» Leben und Werk von Max Frisch werden in einer aufwendigen medialen Schau aufgearbeitet, die das optische Erleben mittels Film, Video und Animation ins Zentrum stellt. Im Museum finden sich 17 emeninseln zu Bereichen wie eater, Schweiz, Fragen, Reisen oder Altern/Sterben. Jede Insel umfasst mehrere Stationen, an denen Unterthemen auf Monito- Max Frisch in New York: Am West Broadway, 1983 ren dargestellt werden. Was sich kompliziert anhört, funktioniert höchst besucherfreundlich. Zum Unterthema «Spielen» etwa erläutert ein eaterregisseur seinen Umgang mit Frisch. Es gibt einen Brief von Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld an Frisch zu lesen sowie einen Tagebucheintrag, in dem sich Frisch an seinen ersten eaterbesuch erinnert. Zum ema «Fragen» hat Hürlimanns Team Passanten im Zürcher Niederdorf mit Frischs berühmten Fragebögen konfrontiert. Ergänzend gibt es eine Passage aus einer Rede an den Solothurner Literaturtagen zu hören, in der Frisch darlegt, was für ihn Fragen bedeuten. An der «Zürich»-Station flimmert ein Ausschnitt aus Matthias von Gun- kulturtipp 6 l 11 LITERATUR Max Frisch allenthalben Neue Bücher Beatrice von Matt: Mein Name ist Frisch (Nagel & Kimche 2011). Julian Schütt: Max Frisch Biografie eines Aufstiegs (Suhrkamp März 2011). tens Dokfilm «Max Frisch. Citoyen», in dem Peter Bichsel über Frischs Verhältnis zum «Züriblau» referiert. Ein Stadtplan zeigt Frischs zahlreiche Zürich-Adressen, die durch eine Textpassage aus «Stiller» untermalt werden. «Stiller» übrigens, «Homo faber», «Andorra» und weitere Werke werden entlang einer «Werkspur» quer durch die Ausstellung von Experten und Normallesern vorgestellt. «Unerhörtes» Die thematische Gliederung ermöglicht den Besuchenden, sich ihren persönlichen Max Frisch abzuholen. Annemarie Hürlimann: «Wir haben bewusst Bekanntes neben Unbekanntes gestellt, zeigen vertraute Fotos oder Filmausschnitte, aber eben auch Unerhörtes.» Max Frisch gelte heute als Klassiker, betont sie, was aber nicht bedeute, dass er nicht mehr polarisiere. Wie unterschiedlich er wahrgenommen wird, illustriert die Kuratorin mit zwei Erlebnissen: «Bei unseren Interviews sind wir auf eine junge Studentin gestossen, für die Frisch Lebenshilfe war. Ein junger deutscher Erzieher dagegen sagte: ‹Max Frisch? Sagt mir jetzt eigentlich gar nix – aber geiler Name!›» Frank von Niederhäusern Ausstellung Max Frisch zum 100. Geburtstag Mi, 16.3.–So, 4.9. Museum Strauhof Zürich kulturtipp 6 l 11 Max Frisch: Notizbuch Der berühmte Fragebogen von Max Frisch zu Freundschaft, Heimat, Tod, Humor, Frauen und Geld – mit genügend Raum für Ihre Antworten (Suhrkamp März 2011). Volker Hage (Hrsg): Max Frisch Sein Leben in Bildern und Texten (Suhrkamp März 2011). Max Frisch: Amerika! Hrsg. von Volker Hage (Suhrkamp März 2011). Andreas Kilcher: Max Frisch Leben Werk Wirkung (Suhrkamp Juni 2011). Neuausgaben unter: www.suhrkamp.de/max_frischjubilaeum_568.html Neue Audiobooks Max Frisch: Der Graf von Öderland Gelesen von Felix von Manteuffel 1 CD, 67 Minuten (Christoph Merian Verlag 2011). Max Frisch spricht Reden und ein Gespräch mit Hans-Ulrich Probst 1 CD, 76 Minuten (Christoph Merian Verlag 2011). Nicht weise werden, zornig bleiben Ein Porträt in Originalaufnahmen 2 CDs, 151 Minuten (Der Hörverlag 2011). Lesungen Beatrice von Matt liest aus «Mein Name ist Frisch» Di, 15.3., 20.00 Buchhandlung Schreiber Olten Mo, 21.3., 19.30 Schauspielhaus Zürich Do, 24.3., 19.30 Stadtbibliothek Baden AG Lesung unbekannter Frisch-Texte Sa, 14.5. Schauspielhaus Zürich Max-Frisch-Preis an Barbara Honigmann So, 15.5., Matinée Schauspielhaus Zürich Ausstellungen Max Frisch zum 100. Geburtstag Mi, 16.3.–So, 4.9. Museum Strauhof Zürich Siehe Artikel links Max Frisch in Berzona So, 17.4.–So, 30.10. Museo Onsernonese Loco TI Theateraufführungen Play Gantenbein Interaktiver Theaterspaziergang (siehe kulturtipp Nr. 4) Fr, 11.3.–Do, 21.4. Theater Schaffhausen Mo, 16.5.–Do, 23.6. Theater Winterthur www.hoerstoff.ch Graf Öderland Sa, 2.4./Mi, 20.4., jew. 20.00 Stadttheater Basel Frisch & Früh Uraufführung Ab Mo, 4.4. Sogar Theater Zürich www.sogar.ch Frisch! – Eine Improvisation Premiere: Mi, 11.5., 20.15 Tuchlaube Aarau Anschliessend auf Tournee bis Mi, 1.6. www.mikroskoptheater.ch Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie Premiere: Sa, 14.5., 20.30 Freibad Letzigraben Zürich Anschliessend im Theater Kanton Zürich www.theaterkantonzuerich.ch Zeitschrift Alles Frisch. SchwerpunktThema der aktuellen «Litera turen»- Ausgabe. Erhältlich in Buchhand lungen oder unter www.literaturen.de Diskussion Max Frisch. Sein Werk, seine Biografie Peter von Matt, Julian Schütt, Andreas Isenschmid Sa, 12.3., 20.00 Theater Neumarkt Zürich Radio + TV Max Frisch und seine Enkel «Literaturclub» mit Gast Beatrice von Matt Di, 5.4., 22.20 SF 1 Radio DRS und SF planen verschiedene Sendungen und Beiträge zu Max Frisch. Diese werden rund um desssen 100. Geburtstag am So, 15.5., ausgestrahlt. Informationen finden sich dann auf www.drs.ch und www.sf.tv Kino Max Frisch. Citoyen von Matthias von Gunten Mi, 16.3., 19.00 Stattkino Luzern DVD Max Frisch zum 100. Geburtstag – DVD-Box mit: «Max Frisch. Citoyen» von Matthias von Gunten/«Holozän» von Heinz Bütler, Manfred Eicher/«Journal I–III» von Richard Dindo/«Gespräche im Alter» von Philippe Pilliod/«Homo faber» von Volker Schlöndorff. 5 DVDs, ca. 564 Minuten (Filmedition Suhrkamp 2011). Weitere Hinweise zu Jubiläumsaktivitäten: Max Frisch Archiv der ETH Zürich www.mfa.ethz.ch/de/ ueber-uns/jubilaeum.html Suhrkamp Verlag www.suhrkamp.de/max_frischjubilaeum_568.html 7