Kees Mercks - Comenius Museum

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Drs. Kees Mercks
Assistenzprofessor (im Ruhestand) für die Tschechische Literatur, Universität von
Amsterdam, Niederlande - Postanschrift: Van der Palmkade 117, 1051 RH
Amsterdam, e-mail: [email protected]
Ambivalenz und Ambiguität im “Labyrinth” des J. A. Comenius
Comenius veröffentlichte “Das Labyrinth der Welt und das Paradies des Herzens”
erstmals im Jahre 1627. Es kann als Exemplar der literarischen Gattung Utopie
betrachtet und bewertet werden. Die Erstellung von Utopien begann in gewisser
Weise mit Platons “Der Staat” und entwickelte sich im 16. und 17. Jahrhundert zu
einem wichtigen literarischen und philosophischen Genre (Erasmus, Thomas Morus,
Johann Valentin Andreae, Campanella und andere). Mein Vortrag konzentriert sich
auf die Interpretation des “Labyrinth” als eines literarischen Werkes.
Eine Utopie konstruiert eine ideale Welt, eine bessere Welt als die, in der wir
tatsächlich leben. Das “Labyrinth” des Comenius ist eine solche Utopie, obwohl der
erste Teil des Buches eine Kritik der ganzen Welt darstellt. Um den Leser zu
überzeugen, arbeitet Comenius mit einer dialogischen Struktur, was für Utopien
typisch ist. Im ersten Teil des Buches läuft die meiste Kommunikation zwischen
Pilgrim, dem Haupterzähler, und zwei Begleitfiguren ab, die allegorisch als
Alleswisser und Blender bezeichnet werden. Die beiden versuchen beständig, Pilgrim
durch ihre Gespräche über „ja“ oder „nein“ (wahr oder falsch, gut oder böse, schön
oder hässlich usw.) in die Irre zu führen. In der Regel konstruieren Utopien eine
symmetrische und zentralistische Organisation der Gesellschaft. Im „Labyrinth“
geleiten die beiden Führer Pilgrim durch den Stadtstaat, um ihm dessen Organisation
zu zeigen. Die Führung beginnt mit einem Blick von der Spitze eines Turmes und
leitet Pilgrim dann durch Straßen voller Menschen zum Palast der Weisheit im
Zentrum der Stadt. Pilgrim hat die Fähigkeit, die Welt unter ihren beiden
axiologischen Aspekten zu sehen. Er erhält von seinen Führern eine Brille, die das
Hässliche ins Schöne, das Kleine ins Große, das Schwarze ins Weiße etc.
verwandelt. Aber Pilgrim ist klug genug, die präsentierte Sicht der Welt zu umgehen.
Die Spitze der gesellschaftlichen Hierarchie wird von Königin Weisheit dargestellt, die
sich in (weibliche) Einbildung und Eitelkeit verwandelt. Zugleich erscheint Salomo als
ihr männliches Gegenstück; er verspricht Reichtum und Glück. Zwischen den beiden
kommt es zu einem Machtkampf, den Salomo zu gewinnen scheint, aber er wird von
der Königin seiner Gesichtsmaske beraubt, gefoltert und hingerichtet. Das vorläufig
höchste Gut (der höchste Wert Utopias) wird so vernichtet.
Pilgrim kommt ans Ende seiner Erkundungen; er befindet sich nun in einem
Zustand vollständiger Desillusionierung. Er ist bereit für einen Mega-Wechsel von der
negativen labyrinthmäßigen Welt in die positive geistige Welt, die seinen Handlungen
eine religiösen Sinn gibt. Der Dialog mit seinen Führern und mit Königin Weisheit
wird in einen inneren Dialog mit Jesus Christus verwandelt, dem Symbol geistigen
Glücks. Pilgrim wird jetzt im Haus Gottes aufgenommen und dies erhält den Status
der Utopie.
Ambivalenz und Ambiguität finden sich in der Semantik und Stilistik des ersten
Teils des Buches (Kritik, Anti-Utopie) und im zweiten Teil (dem inneren Dialog, der
zum utopischen Gegenstück führt). Ungewissheit und Uneindeutigkeit erscheinen
sogar als Mittel der Komposition mit Bezug auf den ersten (negativen) und den
zweiten (positiven) Teil des Buches. Deshalb befindet sich sogar das Genre Utopie
auf der Kippe zwischen Utopie und Anti-Utopie (Dystopie), was ganz eigentümlich
und ungewöhnlich für das Genre in der damaligen Zeit ist. Normalerweise ist die
Utopie ‚unidirektional’ orientiert, wie bei den erwähnten Vorläufer Comenius.
Diese konsequent durchgeführte Ambivalenz und Ambiguität erheben
Comenius’ „Labyrint“ über das Niveau der religiösen Moralität und verleihen dem
Werk richtig literarisch-künstlerischen Wert.
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