Abhandlungen zur Musikgeschichte Band 24 In Verbindung mit Hans Joachim Marx, Martin Staehelin und Ulrich Konrad herausgegeben von Jürgen Heidrich Berenike Schröder Monumentale Erinnerung – ästhetische Erneuerung Beethovenrezeption und die Ästhetik der Intermedialität in den Schriften der Neudeutschen Schule V&R unipress Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-89971-889-8 ISBN 978-3-86234-889-3 (E-Book) Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung sowie der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. Ó 2012, V&R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Ó bpk, Franz Liszt am Flügel phantasierend / Liszt am Flügel, Josef Danhauser, 1840. Berlin, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nationalgalerie, F.V. 42, Zugang: Dauerleihgabe, 1967. Druck und Bindung: CPI Buch Bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Meinen Eltern »Jeder Tonkünstler ist Dichter, nur ein höherer.« (Robert Schumann) Inhalt Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Fragestellung, Gegenstand, Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 15 22 2. Beethovenschriften und Beethovenrezeption der Neudeutschen Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Erste Konstruktion des Beethovenmythos und Wandel der Musikbeschreibung. E.T.A. Hoffmanns Beethovenrezensionen . . 2.1.1 Einleitung: E.T.A. Hoffmann als Musikkritiker . . . . . . . . 2.1.2 Hoffmanns Kritiken zu Beethovens Musik . . . . . . . . . . 2.1.2.1 Der analytische Stil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.2 Der Bezug auf den Zuhörer und Wirkung bei Hoffmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.3 Die bildliche Ebene – Der Gebrauch von Metaphern und Bildern in Hoffmanns Musikbeschreibung . . . . 2.1.2.4 Musikästhetik in Hoffmanns Beethovenschriften und die ›Neucodierung‹ von Beethovens Musik . . . . . . 2.2 Erinnerungskultur und Geniezirkel: Robert Schumanns Schriften über Beethoven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Schumann als Musikkritiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Schumanns »Fastnachtsrede von Florestan« . . . . . . . . . 2.2.2.1 Literarische Merkmale der »Fastnachtsrede«: Gattung, Perspektivität und Metapherngebrauch . . . 2.2.2.2 Schumanns Beethovendarstellung und das romantische Beethovenbild . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.3 Die Beschreibung von Beethovens sinfonischer Musik in der »Fastnachtsrede« . . . . . . . . . . . . . 33 33 33 37 37 40 41 44 49 49 52 57 61 62 10 Inhalt 2.2.2.4 Die verschiedenen Facetten der Beethovenrezeption: Nationalismus und das Erhabene . . . . . . . . . . . 2.2.2.5 Polemik und Didaktik des Musikkritikers Schumann. 2.2.2.6 Elitismus: Kompetentes Publikum und die Masse . . 2.2.3 »Monument für Beethoven« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Beethoven als zentrale Figur einer Musikästhetik des Umbruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Schumanns Schriften zu Beethovens Musik: Beispiele stilistischer Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Beethovendarstellung als Selbstlegitimation. Richard Wagner : Beethovennovellen und Schriften über Beethoven . . . . . . . . . 2.3.1 Die Darstellung von Beethovens 7. Sinfonie in Wagners Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.1 Beethovens 7. Sinfonie in Wagners »Ein glücklicher Abend« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.2 Beethovens 7. Sinfonie in Wagners Prosaschriften . . 2.3.2 Die Sinfonie Eroica in Wagners Schriften . . . . . . . . . . . 2.3.2.1 Die Sinfonie Eroica in »Ein glücklicher Abend« . . . 2.3.2.2 Die Sinfonie Eroica in Wagners »Beethovens ›heroische Symphonie‹« . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Beethovens 9. Sinfonie in Wagners Schriften . . . . . . . . . 2.3.3.1 Die 9. Sinfonie in »Eine Pilgerfahrt zu Beethoven« . . 2.3.3.2 Beethovens 9. Sinfonie in Wagners ästhetischer Schrift »Das Kunstwerk der Zukunft« . . . . . . . . . 2.4 ›Vorkämpfer‹ für eine neue Musik: Franz Liszts Schriften über Beethoven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 »PoÚte musicien«. Hector Berlioz: Schriften über Beethoven . . . 2.5.1 Die Êtude critique des Symphonies de Beethoven . . . . . . . 2.5.2 Berlioz: Beethovens Nachfolger und ›deutscher Komponist‹? Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ästhetik der Intermedialität: Neudeutsche Musik in den neudeutschen Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Beethovens Nachfolger : Selbstinszenierung der Neudeutschen 3.2 Musikästhetische Entwürfe einer intermedialen Musik im Musikschrifttum der Neudeutschen . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Schumann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Liszt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Wagner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Berlioz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 67 70 72 88 93 104 105 105 111 114 114 116 121 121 127 139 145 147 165 173 . . . . 179 179 . . . . . 191 192 195 198 202 . . . . . 11 Inhalt 3.3 Versprachlichung und publizistische Verbreitung von neudeutschen Kompositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Liszts Schriften über Wagners Werke . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Schumanns Schriften über neudeutsche Kompositionen . . 3.3.3 Hans von Bülows Schriften über Wagners Kompositionen . 3.3.4 Wagners Schrift »Über Franz Liszts Symphonische Dichtungen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Berlioz’ Text »Concerts de Richard Wagner« . . . . . . . . . . . . 204 209 226 236 . . 240 247 4. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 5. Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Primärquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Sekundärquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 263 264 Danksagung Die vorliegende Studie ist im Rahmen meiner Tätigkeit als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) entstanden. Im Dezember 2010 wurde sie vom Fachbereich 05 (Sprache, Literatur, Kultur) der Justus-Liebig-Universität Gießen als Dissertation angenommen. Ohne vielfache Unterstützung hätte meine Arbeit nicht entstehen können: Hierfür möchte ich mich an dieser Stelle bedanken. Zuerst gehört mein herzlichster Dank meiner Doktormutter Frau Professorin Dr. Annette Simonis. Sie hat die Entstehung meiner Arbeit mit konstruktiver Kritik und wegweisenden Anregungen maßgeblich begleitet. Als meine akademische Lehrerin war und ist sie mit ermutigender Hilfestellung stets präsent; ihre Art der Betreuung hat die sachbezogene und freie Arbeit an meinem Gegenstand erst möglich gemacht. Ebenso danke ich Professor Dr. Günter Schnitzler für sein verlässliches Engagement als Zweitgutachter, das er auch über die Entfernung zwischen Gießen und Freiburg hinweg aufrechterhalten hat. Herzlich danken möchte ich ebenfalls Professor Dr. Christopher Reynolds (University of California, Davis), der mich zu meinem Aufenthalt an der University of California (Berkeley) ermuntert und meine Promotion mit konstanter Anteilnahme und Unterstützung begleitet hat. Anregende Hinweise habe ich von Professor Dr. Anthony Newcomb (University of California, Berkeley) erhalten. Professor Dr. Joachim Jacob (Gießen) hat mich als durchweg engagierter Leiter des GCSC-Kolloquiums in der letzten Phase meiner Dissertation mit wertvollen Hinweisen unterstützt. Einen aufrichtigen Dank an das gesamte Team des GCSC für die angenehme, kollegiale Arbeitsatmosphäre und die Forschung ermöglichenden Strukturen. Einen herzlichen Dank ebenso den Herausgebern der »Abhandlungen zur Musikgeschichte« für ihr Interesse an meiner Dissertation. Insbesondere danke ich Professor Dr. Martin Staehelin für Zuspruch und Unterstützung während meiner Promotionszeit. Zu Dank verpflichtet bin ich der Landesgraduiertenförderung des Landes Baden-Württemberg, die meine Arbeit in ihrer Anfangsphase gefördert hat, 14 Danksagung ebenso dem Education Abroad Program (Büro Göttingen), als dessen Stipendiatin mein Aufenthalt als Doktorandin an der University of California, Berkeley, möglich wurde. Ausdrücklich bedanken möchte ich mich bei der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung (Hamburg) sowie bei der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften (Ingelheim am Rhein) für die großzügige finanzielle Unterstützung bei der Drucklegung dieser Dissertation. Meine Familie und Freunde haben mir die Zeit des Promovierens leichter gemacht und mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden: Besonders bedanken möchte ich mich bei Dr. habil. Andrea Albrecht (Freiburg i.Br.) und Jan-Hendryk de Boer, M.A., (Göttingen) für hilfreiche, konstruktive Kritik und viele ertragreiche Gespräche. Dank ebenfalls an Beate Schröder, Maria Rottler, M.A., (Regensburg) und Stephanie Lange, M.A., (Gießen) für sorgfältige letzte Korrekturen am Manuskript. Schließlich gilt mein tief empfundener Dank meinen Eltern Beate Schröder und Dr. Christian Schröder für ihre umfassende und selbstlose Unterstützung meines Studiums und meiner Promotion. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. 1. Einleitung 1.1 Fragestellung, Gegenstand, Konzepte Die vorliegende Arbeit versteht sich zunächst als ein Beitrag zur Forschung zur Neudeutschen Schule, und damit zur Musikgeschichte und Musikästhetik des 19. Jahrhunderts. Sie wendet sich aufgrund ihrer Beschäftigung mit den Texten der Neudeutschen einerseits an GermanistInnen, die sich in ihrer Forschung mit den intermedialen Beziehungen zwischen Musik und Sprache befassen, andererseits an MusikwissenschaftlerInnen. Die Bezeichnung ›Neudeutsche Schule‹ ist 1859 von dem Musikhistoriker und Musikpublizisten Franz Brendel eingeführt worden. Brendel fasst unter diese Gruppenbezeichnung die romantischen Komponisten Hector Berlioz, Franz Liszt und Richard Wagner. Zum weiteren Kreis der Neudeutschen zählt Brendel m. E. auch Robert Schumann. Der Begriff der Neudeutschen Schule sollte das Schlagwort der »Zukunftsmusik« ersetzen, das im Streit zwischen den ästhetisch fortschrittlich orientierten Neudeutschen und den konservativen Gegnern bisher eine große Rolle gespielt hatte. Die Kategorisierung dieses Zirkels als Neudeutsche Schule ist bis heute umstritten. Eine Reihe von Aspekten – die zum Teil großen musikästhetischen Differenzen zwischen den einzelnen Mitgliedern, das Fehlen einer in sich konsistenten Schülerschaft, die französische bzw. ungarische Nationalität Berlioz‹ und Liszts usw. – werden hierbei angeführt. Alternativ sind die Neudeutschen in der Musikwissenschaft und Musikgeschichte auch häufig als ›Neuromantiker‹ bezeichnet worden.1 In meiner Arbeit bemühe ich mich, im Anschluss an bereits existierende Arbeiten zur Beethovenrezeption der Neudeutschen folgendes zu zeigen: Das verbindende Element zwischen Wagner, Liszt, Berlioz und Schumann ist ihre Musikästhetik des Ausdrucks im Anschluss an ihr Verständnis von Beethovens Musik. Die Entwicklung der Musikkritik und 1 Vgl. Detlef Altenburg: Artikel »Neudeutsche Schule«. In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume. Zweite, neubearbeitete Ausgabe. Kassel, Basel u. a.. Sachteil Bd. 7. 1997. Sp. 66 – 75. 16 Einleitung des Musikschrifttums nach 1800 spielt hierbei eine große Rolle. Meine Untersuchung stellt sich die Frage, wie sich die Rezeption von Beethovens Musik durch Komponisten, die der Neudeutschen Schule angehören oder ihr zumindest sehr nahe stehen (Berlioz, Liszt, Wagner, Schumann, von Bülow), in deren musikalischem Schrifttum und damit in ihrer Musikästhetik darstellt. Das Forschungsinteresse gilt hier zunächst den (rhetorischen und literarischen) Strategien der Übersetzung von Musik in Text. Die bevorzugten Modi in den untersuchten Beispielen sind die Visualisierung von Musik in Metaphern und Bildern sowie ihre Übertragung in Strukturen des Narrativen. Neudeutsche Komponisten transferieren Beethovens Musik in Sprache und stellen hierbei Musik als Narration und Bilder(-reihung) dar. Dies impliziert, dass die Neudeutschen in ihrer textgebundenen Beethovenrezeption für dessen Musik einen semantischen Gehalt annehmen, bzw. Beethovens Werken diesen zuschreiben. Für Musik des 19. Jahrhunderts, die sich in der Spannbreite zwischen Programmusik und durch weniger festgelegte und festlegende Anregungen von außen inspirierte Musik bewegt, möchte ich in dieser Arbeit den Begriff der semantisierten Musik benutzen. (Ein ähnlicher Begriff ist bereits von Stephan Sperl in seiner Dissertation Die Semantisierung der Musik im filmischen Werk Stanley Kubricks (2006) gebraucht worden.) Diese Musik ist durch einen Gehalt an Bedeutung in den verschiedensten Formen gekennzeichnet. Die Begrifflichkeit der semantisierten Musik führt, auch in der Perspektive der Musikgeschichte, Musikwissenschaft und Literatur- / Kulturgeschichte, zum etablierten Begriff der ›absoluten Musik‹. In der Forschung ist für einige Zeit die ›absolute Musik‹ mit der Musikästhetik der Romantik quasi gleichgesetzt worden. Anhand der hierfür zentralen Schriften von v. a. W.H. Wackenroder und E.T.A. Hoffmann ist ein ›unsagbarer‹, durch Sprache nicht auszudrückender Kern der Musik zum Wesentlichen des Mediums erklärt worden. Diese Position hat vor allem Carl Dahlhaus mit verschiedenen Schriften, darunter die Monographie Die Idee der absoluten Musik (1978) in der Musikwissenschaft der letzten Jahrzehnte dominant vertreten. Relativiert worden ist die Radikalität dieser These beispielsweise durch den Einspruch von Ulrich Tadday (Das schöne Unendliche. Ästhetik, Kritik, Geschichte der romantischen Musikanschauung. (1999)), der feststellt: »Die Musikanschauung der ›Romantik‹ war im wesentlichen gerade keine, von Texten, Programmen und Funktionen ›losgelöste‹ Ästhetik der ›reinen, absoluten‹ Instrumentalmusik wie sie seit Hanslick immer wieder propagiert worden ist.«2 2 Ulrich Tadday : Das schöne Unendliche. Ästhetik, Kritik, Geschichte der romantischen Musikanschauung. Stuttgart, Weimar 1999, S. 40. Fragestellung, Gegenstand, Konzepte 17 Dementsprechend hat sich das Verständnis romantischer Musikästhetik in der Musikwissenschaft differenziert und schließt auch eine sinn-hafte, Semantik transportierende Musik als romantische Musik ein. Die intensive Semantisierung seiner Musik, die in den neudeutschen Interpretationen stattfindet, ist durch Beethovens kompositorisches Vorgehen, durch die Strukturen seiner Musik, nur teilweise gerechtfertigt. Ein weiterer Aspekt der Beethoveninterpretationen neudeutscher Komponisten ist die Frage nach dem Wirkungspotential, das in ihnen bewusst angelegt ist. Durch ihre Publikationsorte, die meistens im Bereich großer musikalischer Zeitschriften liegen, und durch den Gebrauch wirkungsvoller, teils polemischer literarischer wie rhetorischer Mittel zielen die Texte darauf, Beethovens Musik bekannt zu machen und gegen ihre Kritiker zu verteidigen. Folglich stellt sich in der vorliegenden Arbeit die Frage, welche Funktion die untersuchten Schriften im Rahmen der musikästhetischen Debatten des 19. Jahrhunderts einnehmen. Den Neudeutschen dienen sie unter anderem zur internen Verständigung über ihre eigene Position. Beethoven wird in ihren Texten zum Gründungsvater der romantischen Schule stilisiert und vereinnahmt. Ein wesentliches Merkmal der neudeutschen Musikästhetik ist, trotz maßgeblicher ästhetischer Differenzen zwischen den einzelnen Vertretern dieser Gruppe, die Ästhetik einer semantisierten Musik. Diese Ästhetik wird in Beethovens Musik vorgefunden bzw. ihr zugeschrieben. Im zweiten Teil dieser Arbeit wird anschließend aufbauend auf der Beethovenrezeption der Neudeutschen untersucht, inwiefern die Strategien der semantisierenden Versprachlichung von Musik auch in ihren Schriften über die eigene, neudeutsche Musik zu finden sind. In den wechselseitigen Besprechungen, die Wagner, Liszt, Berlioz, Schumann und von Bülow verfassen, werden ebenfalls die Modi der Übertragung von Musik in Sprache benutzt, die bereits in den Beethovenschriften aufgetreten sind. Diese Musikversprachlichung zeigt sich nun äquivalent zu der semantisierten Musik, die die Neudeutschen als Komponisten in verschiedenen Formen vorlegen. Die intermediale Qualität ihrer Musik, ihr enger Zusammenhang mit Literatur, Sprache und Bedeutung, wird in den Rezensionen der Neudeutschen über Neudeutsche herausgestellt und quasi gespiegelt: Ihr musikalisches Schrifttum ist – im Sinne des Zusammenwirkens und der gleichzeitigen Präsenz zweier Medien – ebenso intermedial angelegt wie ihre Musik. Zurückgeführt wird dies auf die identitätsstiftende, als so ›revolutionär‹ wie elitär begriffene Figur Beethovens als (angeblichen) Pionier einer Musik des »bestimmten Ausdrucks« (Franz Brendel). Ähnlich wie die Beethovenschriften zielen auch die wechselseitigen Besprechungen neudeutscher Werke auf die Verteidigung progressiver Positionen gegen Mitglieder des gegnerischen, konservativen ästhetischen Lagers und auf die Verbreitung neudeutscher Kompositionen. Dieser Aspekt ist wesentlich, wenn es darum geht, den Medienwechsel romantischer Komponisten zu erklären. In der Forschung gilt es häufig als paradox, dass be- 18 Einleitung sonders die Musikästhetik der Romantik, die die Sprache gegenüber der Musik endgültig für niederrangig erklärt, in zahlreichen Schriften ihren Ausdruck findet. Es handelt sich jedoch nicht um ein Paradox, wenn man bedenkt, dass die Sprache als massenwirksames Mittel auf komplexe und wirkungsvolle Weise gebraucht wird. Dies geschieht, obwohl auch die Neudeutschen dem romantischen Dogma der Überlegenheit der Musik über alle anderen Künste anhängen. Das musikalische Schrifttum der Neudeutschen, das musikalische Werke analysiert, darstellt und thematisiert, wird in meiner Arbeit mit Werner Wolfs Begriff der »covert intermediality«3, der »verdeckten Intermedialität« gefasst. Er ist dadurch charakterisiert, dass in der Kombination zweier Medien eines das andere lediglich referiert. Das referierte Medium befindet sich folglich in der ›schwächeren Position‹. »Verdeckte Intermedialität« liegt in der Gattung der Musikkritik bzw. Musikrezension vor. Im Musikschrifttum ist der für das romantische ästhetische Verständnis eigentlich unzulässige Fall gegeben, dass Musik das schwächere, referierte Medium darstellt. Folglich sind die musikalischen Schriften der Neudeutschen ›Mittel zum Zweck‹. Das musikgeschichtliche Weltbild der progressiven Romantiker hat eschatologische Züge: Mit Hilfe der als vorbildhaft wahrgenommenen Komponisten der Vergangenheit – neben Beethoven, der einen prominenten Status hat, spielen auch Mozart, Haydn, Bach und Gluck eine Rolle – soll die seichte und kommerzialisierte Musikszene der Gegenwart bekämpft und schließlich ›überwunden‹ werden. Die breite Durchsetzung einer als ideal begriffenen Musik in der Zukunft ist das Ziel. Die Frage nach dem Paradox der großen musikkritischen Produktion der Neudeutschen ist nur zu erklären, wenn man berücksichtigt, dass Musikkritik und musikalisches Schrifttum in ihren Augen nur ein vorübergehendes Phänomen mit temporärer Berechtigung ist, das dazu dient, musikästhetische Überzeugungen wirksam zu verbreiten. Gegenstand meiner Untersuchung sind Texte, die im weiteren Sinne der Musikkritik und dem musikalischen Schrifttum des 19. Jahrhunderts zugehören. Zentral sind als Autoren zunächst die Komponisten, die zur lockeren Gruppierung der sogenannten ›Neudeutschen‹ gehören: Richard Wagner, Franz Liszt und Hector Berlioz. In der Forschung zur Neudeutschen Schule wird Schumann als am Rande zugehöriger Komponist ausgewiesen, da seine intermediale Musikästhetik einerseits und seine umfangreiche Aktivität im Bereich der Musikkritik andererseits ebenso wie seine Korrespondenz auf persönlich-biographischer Ebene ihn in die Nähe der Neudeutschen rückt. Einige Schriften Hans von Bülows werden in die Reihe der bearbeiteten Texte integriert, da auch er zu den prominenten Figuren in der Musikkritik des 19. Jahrhunderts zählt und den Neudeutschen als Schüler 3 Werner Wolf: The Musicalization of Fiction. A Study in the Theory and History of Intermediality. Amsterdam, Atlanta 1999. (= Internationale Forschungen zur allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft. Bd. 35). Hier S. 41. Fragestellung, Gegenstand, Konzepte 19 Liszts und Musikpublizist für die Sache der Neudeutschen eng verbunden ist. Die Auseinandersetzung mit den Rezensionen E.T.A. Hoffmanns, der als Komponist und Musiker in keiner Weise den Neudeutschen zuzurechnen ist, steht am Beginn meiner Arbeit. Hoffmann hat mit seiner Besprechung von Beethovens 5. Sinfonie die Gattung Musikkritik einerseits, den Diskurs über Beethoven andererseits und das Schreiben über Musik auf einer allgemeineren Ebene revolutioniert. Seine Schriften ebnen also den Weg für den Umbruch des Musikschrifttums nach 1800 und haben maßgeblichen Einfluss insbesondere auf Schumann und Wagner. Im ersten Teil dieser Arbeit, der sich mit der Rezeption Beethovens durch die Neudeutschen befasst, werden ausgewählte Schriften bearbeitet, die sich mit Beethovens Musik und zum Teil auch mit seiner Person und dessen Wirkung beschäftigen. Hier, wie auch in den Texten im zweiten Teil der Arbeit, handelt es sich um Schriften verschiedener Gattungen. Nach 1800 entwickelt sich, vor allem mit Schumann und unter dem Einfluss des romantischen Kritik-Verständnisses, die Musikkritik zu freieren Formen hin. Dementsprechend weisen auch die Schriften, die noch recht eindeutig durch ihren Erscheinungsort und andere Merkmale der Musikrezension zuzuordnen sind, verschiedene und zum Teil hybride Formen auf. Gleichermaßen gehören aber auch Schriften, die sich der Gattung der Musikernovelle oder der (theoretischen) Abhandlung nähern, zu den behandelten Texten. Wesentlich ist für die Auswahl meiner Texte, dass sie ein konkret zu benennendes musikalisches Werk Beethovens bzw. eines neudeutschen Komponisten rezensieren, darstellen oder thematisieren. Nach der Untersuchung der Beethovenschriften stehen im zweiten Teil Schriften im Vordergrund, die die neudeutschen Komponisten wechselseitig über neudeutsche Werke verfassen. Auch hier liegt eine Pluralität der Formen und Gattungen vor. Die Texte, die dieser Arbeit zugrunde liegen, umfassen deutsche und französische Schriften. Dies ergibt sich naturgemäß aus der Tatsache, dass zwei von drei zentralen Mitgliedern der Neudeutschen Schule nicht-deutsch sind und auf französisch schreiben.4 Mein Gegenstand – das deutsch-französische musikalische Schrifttum eines progressiven Komponistenzirkels im 19. Jahrhundert – erfordert eine ausdrücklich interdisziplinäre Herangehensweise. Das Analyseinstrumentarium der Literaturwissenschaft ist notwendig für die Bestimmung von Textgattungen und rhetorisch-sprachlichen Strategien. Eine wesentliche Rolle spielt hier die Metapherntheorie, die zur Untersuchung des häufigen Bildgebrauchs im Musikschrifttum dient. Aus der Disziplin der historischen Musikwissenschaft stammen die Hintergrundinformationen, die notwendig sind, um Aspekte der Musikästhetik und auch Musikrezeption zu beleuchten, die in den Schriften zum Ausdruck 4 Dieses ›Paradox‹, und welche Strategien die Neudeutschen entwickeln, um im öffentlichen Diskurs mit ihm umzugehen, thematisiere ich im Kapitel »Beethovens Nachfolger : Selbstinszenierung der Neudeutschen«. 20 Einleitung kommen. Das breite Feld der Intermedialitätstheorie wird herangezogen, wenn es um die Mittel des Transfers von Musik in Sprache und um das Verhältnis der beiden Medien im Text zueinander geht. Da meine Arbeit einen deutlichen Akzent auf die Frage nach dem Wirkungspotential und der publizistischen Funktion der behandelten Texte legt, sind auch kulturtheoretische Herangehensweisen sinnvoll. Die Musikkritik der Neudeutschen Schule zielt wesentlich auch darauf ab, progressive musikästhetische Diskurse in ihrer Gegenwart zu etablieren und zu verteidigen. Die Ausgriffe von Musikern in das Medium Sprache – ihr Medienwechsel – intendieren nicht selten, die Stellung eines Komponisten im zeitgenössischen musikalischen Feld zu verändern und dessen ›symbolisches Kapital‹ zu vermehren oder zu vermindern. Die eigene Position des Zirkels soll gefestigt und gegen konservative Gegner durchgesetzt werden. Hier erscheinen Ansätze Bourdieus und seiner Theorie des literarisch-künstlerischen Feldes, die in Les rÀgles de l’art (Die Regeln der Kunst) dargelegt werden, hilfreich. In einer Arbeit, die die Erinnerung an Beethoven und ihre Wirkung auf die Erneuerung der musikalischen Ästhetik im 19. Jahrhundert zum Gegenstand hat, sind Ansätze der Erinnerungsforschung obligat. Relevant ist hier vor allem Aleida Assmanns Konzept der Erinnerung als Monument, die eine Teilform der kulturellen Erinnerung darstellt. Ebenso wie die monumentale Erinnerung bzw. das »monumentale Gedächtnis« (Assmann) ist die eschatologische Erinnerung für die neudeutsche Auffassung von Musikgeschichte von Belang. Bei Assmanns Konzept der eschatologischen Erinnerung sowie der monumentalen Erinnerung sind offenbar auch Nietzsches Vorstellungen einer Historie, die als monumentalische das Streben einer Generation nach Ruhm fördert, sowie die antiquarische, auf die Tradition blickende Historie, die durch die Erinnerung Stabilität und Halt gibt, präsent.5 In ihrem Aufsatz »Zur Metaphorik der Erinnerung«6 führt Aleida Assmann aus, wie Erinnerung die Intention, eine glorreiche Vergangenheit in der Zukunft wiederzubeleben, enthalten kann. Bei der monumentalen Erinnerung oder dem monumentalen Gedächtnis einer Kultur handelt es sich, so Assmann, »um Gedächtnisbildung im Sinne der Kanonisierung einer Auswahl, um Stabilisierung werthafter Fixpunkte und Erzeugung von Verbindlichkeit«7. Die Gebäude-Metapher, die dieser Form der Erinnerung zugeordnet ist, ist diejenige des Ruhmestempels. »Der Ruhmestempel selegiert, kanonisiert und monumentalisiert Personen und Werke nach Art eines Pantheon als Summe verbindlicher, zeitenthobener Werte.«8 Die Erinnerung der Neu5 Vgl. Ottmann, Henning (Hrsg.): Nietzsche-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart, Weimar 2000, S. 255. 6 In: Aleida Assmann / Dietrich Harth (Hgg.): Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung. Frankfurt am Main 1991, S. 13¢36. 7 Ebd., S. 30. 8 Ebd., S. 18. Fragestellung, Gegenstand, Konzepte 21 deutschen an Werk und Person Beethovens erfüllt genau die dargelegten Kriterien der Memoria als Monument. Die eschatologische Erinnerung verknüpft sich mit der Vorstellung des ›Erwachens‹ – ein Motiv, das häufig auch in die politische Rhetorik gehört. Sie will den chronologischen Verlauf der Zeit umkehren und in der Zukunft zurückholen, was verlorenging.9 In diesem Sinne stehen die unbefriedigenden Zustände der Gegenwart unter dem Verdikt der Vorläufigkeit und sollen aktiv verändert werden. Dies ist der Fall für das neudeutsche musikalische und publizistische Schaffen, das die vermeintlich seichte und kommerzialisierte kulturelle Gegenwart in der Erinnerung an Beethoven überwinden will. Eng verbunden mit dem Konzept der kulturellen Erinnerung ist das Konzept der kulturellen Identität.10 Die Neudeutsche Schule entwirft ihre kulturell-ästhetische Identität als progressiver Komponistenzirkel im Kampf für eine ›ideale‹ Musik der Zukunft auf der Basis der Erinnerung an Beethoven. Dementsprechend musste für die vorliegenden Texte auch untersucht werden, wie gerade im Medium der Sprache Erinnerung und Identität konstruiert bzw. verhandelt werden. Wesentlich für kulturelle Identitäten im 19. Jahrhundert sind nationale Zuschreibungen und Diskurse. Die neudeutschen Komponisten bestätigen einerseits Diskurse eines aggressiven kulturellen Nationalismus (und hierbei eines deutschen Kulturchauvinismus) in ihren Schriften. Andererseits suchen sie nach Strategien, um französische / nicht-deutsche Komponisten wie Berlioz und Liszt in die Neudeutsche ›Schule‹ zu integrieren. Die Forschung zum Nationalismus, und besonders zur deutsch-französischen nationalen Rivalität im 19. Jahrhundert (Michael Jeismann und andere), wird hier kontextualisierend in Betracht gezogen. Das Phänomen und Konzept eines kulturellen Nationalismus ist für eine Studie zur neudeutschen Schule besonders ertragreich. Nur ein solcher Nationalismus erlaubt es den Neudeutschen, französische Komponisten in einen ›deutschen‹ Komponistenzirkel zu integrieren – ihre Herkunft stellt für die deutschen Mitglieder kein Problem dar, sofern sie von einer als ›französisch‹ verstandenen Musik und Kompositionsweise Abstand nehmen. 9 Ebd., S. 22 f. 10 Vgl. z. B. Astrid Erll / Marion Gymnich / Ansgar Nünning (Hgg.): Literatur – Erinnerung – Identität. Theoriekonzepte und Fallstudien. Trier 2003. (= Ansgar und Vera Nünning (Hgg.): ELCH Studies in English Literacy and Cultural History. ELK Studien zur Englischen Literatur- und Kulturwissenschaft. Bd. 11). 22 1.2 Einleitung Stand der Forschung Im Zentrum meiner Arbeit stehen die Schriften der Neudeutschen Schule und die Frage nach ihrer Musikästhetik und -versprachlichung auf der Basis ihrer Beethovenrezeption. Im Gegensatz zu Studien über die einzelnen Mitglieder der Schule ist die Forschung zur Neudeutschen Schule als solcher in ihrem Umfang begrenzt. Einige grundlegende, zentrale und wegweisende Arbeiten sind jedoch in jüngerer Zeit erschienen. Hierzu zählt die Monographie Begriff und Ästhetik der »Neudeutschen Schule«: ein Beitrag zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts von Robert Determann (1989). Determann arbeitet zunächst die Begriffsgeschichte des Terminus‹ »neudeutsch« vom 17. bis zum 19. Jahrhundert auf. Im zweiten Teil seiner Arbeit widmet er sich explizit der Ästhetik der Neudeutschen Schule als Ästhetik des Fortschritts und ihrer starken Interdependenz mit Hegels (Geschichts-)Philosophie. Die Erforschung der Briefe und Schriften Franz Liszts sowie der musikkritischen Schriften der Neudeutschen Schule ist in den letzten Jahren mit zentralen Forschungsbeiträgen von vor allem Detlef Altenburg, Serge Gut, Rainer Kleinertz, Gerhard J. Winkler und James Deaville vorangetrieben worden. Sie beschäftigen sich mit der neudeutschen Beethovenrezeption auf der musikästhetischen Ebene und mit der herausragenden Bedeutung der Musikkritik der Neudeutschen und betonen hierbei auch die zentrale Rolle Franz Brendels als Publizist für die ›neudeutsche Sache‹. Wesentliche Aufsätze wie z. B. Altenburgs »Die Neudeutsche Schule – eine Fiktion der Musikgeschichtsschreibung?«, der – wie auch Rainer Kleinertz im selben Band – die Problematik des Begriffs der Neudeutschen detailliert aufgreift und zugleich Thesen und Desiderate für die weitere Forschung benennt, Gerhard J. Winklers Beitrag zur neudeutschen Musikästhetik des »bestimmten Ausdrucks«, oder die nähere Betrachtung von Schumanns Verflechtung mit den Neudeutschen sind im von Detlef Altenburg herausgegebenen Band Liszt und die Neudeutsche Schule (2006) enthalten. Die Sammlung Liszt und Europa (2008), hrsg. von ebenfalls Detlef Altenburg und Harriet Oelers, gliedert sich in die Themenabschnitte »Liszt und die Neudeutschen im europäischen Kontext« und »Liszt- und Wagner-Rezeption in Europa und der Neuen Welt«. Der Aufsatz von Wolfgang Dömling, »Zum Beispiel Neudeutsch – wieso eigentlich Schule?« ist zwar ein Beitrag zur Diskussion der Schulen-Problematik für den Fall der Neudeutschen. Allerdings diskutiert Dömling ausführlich den Begriff der Schule, und bezieht sich vielfach auf die Wiener und die Mannheimer Schule, so dass für eine eingehende Untersuchung der Neudeutschen kaum Raum verbleibt. Wolfram Steinbeck geht in seinem Beitrag »Die Neudeutschen, Franz Brendel und die nationale Idee eines vereinten Europa« auf die ästhetische Definierung der Neudeutschen durch Franz Brendel ein. Er betont hierbei Brendels Absicht zur Erneuerung der Musikästhetik hin zu Stand der Forschung 23 einem Realismus in der Musik, der im Sinne der »Bestimmtheit des Ausdrucks« (Brendel) mit semantisierter Musik gleichgesetzt werden kann. Steinbeck stellt weiterhin die These auf, dass die progressive Ästhetik des Zirkels um Liszt, Wagner und Berlioz eine mit der europäischen musikalischen Romantik kompatible Ästhetik und kein deutscher, chauvinistisch geprägter Sonderweg gewesen sei. »Die Neudeutschen sind – bei aller nationalen Gesinnung und Zielsetzung und auch bei aller bewußten Polemik […] – die ersten Europäer, und das nicht nur, weil ein Franzose, ein Ungar und ein Deutscher die Kerntruppe bilden, sondern vor allem auch, weil mit ihrer Musik und ihrer vereinsmäßigen Förderung im Zentrum Weimar der Grundstein einer europäischen Kompositionsgeschichte gelegt wurde, der Grundstein für die zweite Stufe der Emanzipation der Instrumentalmusik, deren Reinheitsgebot im nationalen Sendungsbewußtsein unterging.«11 Dem ist zuzustimmen, dennoch möchte ich in meiner Arbeit einschränkend erläutern, dass im Sinne eines deutschen kulturellen Nationalismus und im Rückgriff auf Beethoven den nicht-deutschen Mitgliedern ein Ablegen ihrer kulturellen Identität suggeriert wird. Intermedialität: Musik und Sprache Im Zentrum meiner Arbeit steht die Frage nach der Versprachlichung von Musik, also nach der Vereinigung oder auch Hybridisierung zweier Medien bzw. nach dem Ersetzen des einen Mediums durch ein anderes. Deshalb ist die breite Forschungsdebatte, die sich vor allem in den letzten Jahrzehnten mit neuer Energie um das Thema der Intermedialität dreht, für meine Arbeit grundlegend. Zunächst muss die Frage nach der Wechselwirkung mehrerer Medien miteinander auf einer allgemeineren Ebene bearbeitet werden. Für die Debatte zur Intermedialität, die sich nicht nur spezifisch auf die Medien Sprache und Musik bezieht, ist die von Jörg Helbig herausgegebene Monographie Intermedialität: Theorie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebiets (Berlin 1998) nur ein Beispiel. Innerhalb des Forschungsfelds der Intermedialität ist die Debatte um das intermediale Verhältnis von Musik und Sprache für meine Arbeit zentral. Zu den wichtigsten Wissenschaftlern auf dem Gebiet zählt Calvin S. Brown, der bereits 1948 als eine der ersten umfassenden Monographien zum Thema sein Buch 11 Wolfram Steinbeck: »Die Neudeutschen, Franz Brendel und die nationale Idee.« In: Detlef Altenburg / Harriet Oelers (Hgg.): Liszt und Europa. Laaber 2008. (= Weimarer Liszt-Studien. Im Auftrag der Deutschen Liszt-Gesellschaft hrsg. von Detlef Altenburg. Band 5). S. 51 – 62, hier S. 59. 24 Einleitung Music and Literature. A Comparison of the Arts vorgelegt hat. Ähnliches gilt für Steven Paul Scher, der mehrere Veröffentlichungen herausgegeben und verfasst hat.12 Von ihm übernehme ich bei der Analyse der neudeutschen Musikbeschreibung den Begriff der »verbal music«, den Scher wie folgt definiert: »Consequently, by verbal music I mean any literary presentation (whether in poetry or prose) of existing or fictitious musical compositions: any poetic texture which has a piece of music as its ›theme‹. In addition to approximating in words an actual or fictitious score, such poems or passages often suggest characterization of a musical performance or of subjective response to the music.«13 Diese Definition ist zwar sehr weit gefasst, ist jedoch als erste Annäherung an Musikbeschreibung im Medium Text gut geeignet. Gleichzeitig erwähnt sie die beiden zentralen Aspekte der konkreten Aufführungssituation, die in der Musikversprachlichung bei z. B. Wagner oder Schumann eine Rolle spielen sowie denjenigen Versprachlichungsmodus, der Musik durch die beschriebenen Reaktionen des Hörers darstellt. Unter anderen hat sich Thomas Grey zum Problem des Narrativen und Metaphorischen in der Musik geäußert. (Thomas Grey : »Metaphorical modes in nineteenth-century music criticism: image, narrative, and idea.« In: Steven P. Scher (Hrsg.): Music and text: critical inquiries.(1992. S. 93 – 118)). Greys Klassifizierung der metaphorischen Musikbeschreibung des 19. Jahrhunderts als entweder visuell oder narrativ greife ich als wichtiges Analyseinstrumentarium auf: »Broadly speaking, one can identify two predominant metaphorical modes in musical criticism since the late eighteenth century : a visual mode and a verbal, or more specifically, narrative mode.«14 Zu den wichtigsten jüngeren Veröffentlichungen gehören die Arbeiten von Barbara Naumann, Carl Dahlhaus, Michael Walter, Angelika Corbineau-Hoffmann, Gerold W. Gruber, Albert Gier, Christine Lubkoll und Nicola Gess. Neben den intermedial ausgerichteten Forschungen spielt der Bereich der Musiksemantik bzw. -semiotik für meine geplante Untersuchung ebenfalls eine wichtige Rolle. Thorsten Valk zeichnet in seiner Monographie Literarische Musikästhetik. Eine Diskursgeschichte von 1800 bis 1950 (2008) die Umwälzung der Musikästhetik ab 1800 sowie die Rolle der Literatur in diesem Prozess nach und geht auf »Strategien des Medientransfers« (Valk) in der Romantik ein. Nach diesem einführenden Kapitel, in 12 Unter diesen sind beispielsweise die Monographien: Literatur und Musik. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis eines komparatistischen Grenzgebietes (1984), Essays on literature and music (1967 – 2004), Verbal music in German literature (1968), Music and text: critical inquiries (1992), und gemeinsam mit Walter Bernhart: Word and Music Studies (1999) von besonderer Bedeutung. 13 Steven Paul Scher : Verbal Music in German Literature. New Haven, London 1968, S. 8. 14 Thomas Grey : «Metaphorical modes in nineteenth-century music criticism: image, narrative, and idea.« In: Steven Paul Scher (Hrsg.): Music and text: critical inquiries. Cambridge u. a. 1992, S. 93 – 117, hier S. 94. Stand der Forschung 25 dem Valk die entsprechenden Forschungsbeiträge von Dahlhaus und anderen präzise zusammenfasst, kommt er zu den Fallstudien. Sie umfassen Tiecks und Wackenroders Berglinger-Texte, Hoffmanns »Ritter Gluck«, Mörikes Mozart auf der Reise nach Prag, Werfels Verdi-Roman und Manns Doktor Faustus, also ausschließlich (kanonische), rein literarische Texte. Valks These zu Beginn seiner Arbeit ist, Musikästhetik sei um 1800 ein literarisches Phänomen und diene der literarischen Romantik als poetologisches Reflexionsmedium. Dies ist hilfreich, wenn es, wie in den in dieser Dissertation vorliegenden Texten, um die Gleichzeitigkeit von literarischen Gestaltungsprinzipien und musikästhetischer Positionierung geht. Darüber hinaus ist Valks Monographie für die Leitfragen und den Gegenstand meiner Dissertation jedoch nicht relevant. Diskutiert werden in diesen Debatten die zentralen Fragen nach der Kompatibilität von Sprache und Musik, dem semantischen Gehalt von Musik und die verschiedenen Möglichkeiten ihres ›Übersetztwerdens‹ in die Sprache. Am Beispiel von konkreten Kunstwerken geht es auch immer wieder um die Interaktion der beiden Medien miteinander und eventuelle Dominanz- und Kombinationsverhältnisse. In diesen Bereich der Wechselwirkung der Medien Sprache und Musik gehört der Terminus der »covert intermediality«, der »verdeckten Intermedialität« (Werner Wolf). Er ist für meine Arbeit ein wesentlicher Begriff, um die Form der Intermedialität in den bearbeiteten Texten zu bestimmen. Historische Musikästhetik und Musikkritik Zentral für die Geschichte der Musikästhetik sind noch immer die Forschungsbeiträge von Carl Dahlhaus, darunter die Monographien Die Idee der absoluten Musik (1978) und Klassische und romantische Musikästhetik (1988). Dahlhaus‹ Hinweis, dass die musikästhetische Debatte nicht unbedingt um die Pole ›absolute Musik‹ und ›Programmusik‹ geordnet sei, sondern bestrebt sei, ›poetische‹ und ›prosaische‹ Musik wertend zu unterscheiden, ist für die Interpretation der neudeutschen Ästhetik einer (anspruchsvollen) semantisierten Musik mit »bestimmtem Ausdruck« von größter Relevanz.15 Ebenso äußert sich Dahlhaus an einigen Stellen über Musikkritik im 19. Jahrhundert und betont, dass Musikkritiker häufig nicht selbst professionelle Musiker waren. Umso be15 Dahlhaus formuliert wie folgt: »Nicht der Streit um absolute und Programmusik, sondern der Versuch, ›Poetisches‹ von ›Mechanischem‹, ›Prosaischem‹ und ›Historischem‹ zu unterscheiden, bestimmte oder färbte die musikästhetische Terminologie der Zeit um 1800.« Carl Dahlhaus: Allgemeine Theorie der Musik I. Historik – Grundlagen der Musik-Ästhetik. Hrsg. von Hermann Danuser in Verbindung mit Hans-Joachim Hinrichsen und Tobias Plebuch. Laaber 2000. (= Carl Dahlhaus: Gesammelte Schriften in 10 Bänden. Hrsg. von Hermann Danuser). Bd. 1, S. 545. 26 Einleitung merkenswerter ist also das Phänomen, das Gegenstand meiner Arbeit ist: der Medienwechsel neuromantischer Komponisten von der Musik zur Sprache. Eine Geschichte der romantischen Musikästhetik, die Dahlhaus‹ These der ›absoluten Musik‹ relativieren will, hat Ulrich Tadday 1999 mit Das schöne Unendliche. Ästhetik, Kritik, Geschichte der romantischen Musikanschauung vorgelegt. Wenn auch bereits Dahlhaus wie zitiert darauf hingewiesen hat, dass sich die romantische Musikästhetik durchaus nicht immer gegen eine semantisierte Musik wende, so konturiert Tadday diesen Gedanken noch deutlicher : »Die Musikanschauung der ›Romantik‹ war im wesentlichen gerade keine, von Texten, Programmen und Funktionen ›losgelöste‹ Ästhetik der ›reinen, absoluten‹ Instrumentalmusik wie sie seit Hanslick immer wieder propagiert worden ist. Sie war auch keine ›verrottete Gefühlsästhetik‹ [Hanslick, ›Vom Musikalisch-Schönen‹], und sie war schon gar nicht trivial. Die ›romantische‹ Musikanschaung des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts wurzelt in der Gefühlsästhetik im Sinne des populären ›Romantik‹-Begriffs und sie wächst zugleich darüber hinaus.«16 Diese These findet ihre Bestätigung in den Analysen von sowohl Hoffmanns Musikkritik als auch der neudeutschen Texte. Die Musikauffassung der Romantiker bzw. sogenannten ›Neuromantiker‹ nimmt durchweg eine mit Texten, Programmen, Bildern, Ideen usw. eng verbundene Musik an. Von herausragender Bedeutung, da die historischen Aspekte der Musikanschauung mit einem hohen Maß an theoretischer, zur aktuellen, intermedialen Theoriedebatte führender Herangehensweise behandelt werden, ist neben den Schriften von Carl Dahlhaus für meine Arbeit das 1996 von Ian Bent herausgegebene Music theory in the Age of Romanticism und die Bände Music Analysis in the Nineteenth Century (1994). Auch die Forschung zur Rezeptionsästhetik des 19. Jahrhunderts ist für meine Analyse der Musikversprachlichung von Bedeutung, und wird z. B. durch den von Hermann Danuser und Friedhelm Krummacher herausgegebenen Band Rezeptionsästhetik und Rezeptionsgeschichte in der Musikwissenschaft (1991) vertreten. Ein weiterer Bereich, der unzweifelhaft zu den beiden oben umrissenen Forschungsfeldern gehört, ist die Geschichte und Theorie der Musikkritik sowohl für Deutschland als auch für Frankreich. Eine umfassende historische Darstellung zur Entwicklung der deutschen Musikkritik ist noch immer ein Forschungsdesiderat. Einzelne Studien nehmen eingegrenzte Zeiträume und bestimmte Korpora des musikkritischen Schrifttums in den Blick.17 Den franzö16 Ulrich Tadday : Das schöne Unendliche. Ästhetik, Kritik, Geschichte der romantischen Musikanschauung. Stuttgart, Weimar 1999, S. 40. 17 So beispielsweise Heike Stumpfs »…wollet mir jetzt durch die phantastisch verschlungenen Kreuzgänge folgen!«. Metaphorisches Sprechen in der Musikkritik der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Frankfurt am Main, Berlin, Bern u. a. 1996. (= Bonner Schriften zur Musikwissenschaft. Bd. 2). Stumpf wirft einleitend die übergreifenden Fragen nach »dem Zu- Stand der Forschung 27 sischen Raum, und besonders das musikkritische Wirken von Berlioz‹ bearbeitet Katharine Ellis (Katharine Ellis: Music criticism in nineteenth-century France. La Revue et Gazette musicale de Paris, 1834 – 80. Cambridge 1995.) mit der Studie zur einflussreichen Revue et Gazette musicale. Die Revue et Gazette musicale, so arbeitet Ellis heraus, stellt sich die Aufgabe, Beethovens Musik gegen ihre Kritiker durchzusetzen und trägt so zum Entwurf des romantischen Beethovenbilds bei. Ihre Beethovenkritik bedient sich hierbei, so Ellis, einer großen Bandbreite an Textformen, darunter literarischer Porträts, deskriptiver Analysen und romantischer ›Konversionsberichte‹ von Skeptikern, die sich zu Beethoven ›bekehrten.‹ In diesem Kontext ist auch der Beethovenkritiker Berlioz zu sehen, der für die Revue et Gazette musicale lange Zeit wirkte. In den Bereich der (internationalen) Beethovenrezeption des 19. Jahrhunderts und der deutschen / französischen Musikkritik gehört die Monographie Beethoven’s Critics. Aesthetic dilemmas and resolutions during the composer’s lifetime von Robin Wallace (1986). Wallace widmet sich der deutsch-französischen Beethovenkritik in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Er fokussiert seine Studien hierbei auf die Allgemeine Musikalische Zeitung, die Kritik von A.B. Marx und, die französische Beethovenkritik von z. B. F¦tis und Berlioz sowie Berlioz und E.T.A. Hoffmann vergleichend, auf die Kritik über Beethovens 5. Sinfonie. Wallace stellt die These auf, dass sowohl in der Ablehnung als auch in der Zustimmung gegenüber Beethovens Musik die französische und deutsche Musikrezension wesentliche Gemeinsamkeiten aufweisen. Progressive und Konservative folgten, so Wallace, in beiden Ländern außerdem weitgehend ähnlichen Prinzipien in Bezug auf die Rezeption von Beethovens Werk. Romantisches Denken über Musik, sei es französisch oder deutsch, folge dem Wunsch, strenge Analyse mit außermusikalischer Reflexion zu verbinden. sammenhang von musikalischen Phänomenen, Beschreibungssprache, Musikästhetik und musikalischer Programmatik« (S. 17) auf. Sie referiert die Problematik der Wirkung der neuen romantischen Musikästhetik um 1800 auf die Art und Weise der Verbalisierung von Musik. Ebenso stellt sie fest, dass die Ausbildung einer metaphorisch geprägten Sprache in der Musikkritik ab 1800 mit der Wirkung von Beethovens Werk zusammenhinge. Die Arbeit konzentriert sich jedoch in ihrem Verlauf auf die Textanalyse und die Untersuchung von Metaphern bzw. Metaphernfeldern und bildspendenden Bereichen. Auch im Schlussteil wird nicht versucht, Aussagen auf einer stärker theoretischen Ebene zu machen und allgemeingültigere Schlüsse zu ziehen, die zu der allgemeineren Debatte um das intermediale Verhältnis von Musik und Sprache bzw. um den Zusammenhang von Musikästhetik und Musikversprachlichung beitragen könnten. 28 Einleitung Beethovenrezeption Die vorliegende Arbeit versteht sich auch als ein Beitrag zur Rezeption Beethovens im 19. Jahrhundert. Dies fokussiert sich hier auf den Bereich des musikalischen Schrifttums und der musikalischen Ästhetik der (spät-)romantischen Generation. Zur Rezeption von Beethoven in musikalischen Werken der folgenden Generationen von Komponisten und auch zur Reaktion des Publikums sind bereits verschiedene Monographien veröffentlicht worden.18 Mit der Nachwirkung von Beethovens Werk und Person in zeitgenössischen Texten, einigen Rezensionen und der Literatur befasst sich Angelika Corbineau-Hoffmann: Testament und Totenmaske. Der literarische Mythos des Ludwig van Beethoven (2000). Corbineau-Hoffmann geht im Kapitel »In Sprache komponiert: Poetische Beschreibungen Beethovenscher Musik« auf die Problematik der Beschreibung von Musik und hiermit auch auf den Terminus der »verbal music« nach Scher ein. Hoffmann habe mit seiner Rezension der 5. Sinfonie eine Tradition ›poetischer‹ Beschreibungen von Beethovens Musik begründet. Hoffmann versuche nicht, die Musik im Medium der Sprache zu repräsentieren, sondern erschaffe eine »gemeinsame[] Sprache der Kunst« (S. 253). Anschließend analysiert die Autorin neben Wagners Novelle Eine Pilgerfahrt zu Beethoven auch beethovenbezogene Texte aus Berlioz‹ õ travers chants. Sie kommt hierbei zu dem Schluss, sowohl Beethoven als auch sein Interpret Berlioz seien als »poÀte musicien« [sic] zu begreifen und resümiert: »Beethoven bildet dafür ein Beispiel, indem er als ›poÀte musicien‹ die Poesie des Wortes und somit das Beginnen des anderen ›poÀte musicien‹, Berlioz‹ selbst, legitimiert. Mehr noch: Die Poesie der Musik fordert die Poesie der Sprache als ihr Analogon, gleichsam als ihre Geistes- und Seelenverwandte, heraus.« (S. 256) Es ist hier allerdings die Frage, ob die »Poesie« – wobei nicht klar wird, was hiermit exakt gemeint ist – der Musik Beethovens wirklich in allen Fällen inhärent ist, oder ob diese erst durch die Musikbeschreibung in die Komposition projiziert wird. Einige Studien beschäftigen sich auch mit der Beethovenrezeption einzelner Neudeutscher, wie zum Beispiel Bodo Bischoffs Monument für Beethoven. Die 18 Zentral hier ist der Beitrag von Hans - Heinrich Eggebrecht: »Zur Geschichte der BeethovenRezeption. Beethoven 1970.« In: Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse. Jahrgang 1972, Nr. 3. Mainz 1972. S. 53 – 138. Andere Beispiele für neuere Arbeiten zur Beethovenrezeption sind: Ulrich Schmitt: Revolution im Konzertsaal. Zur Geschichte der politischen Beethoven-Deutung. Mainz 1990 sowie Andreas Eichhorn: Beethovens Neunte Symphonie. Die Geschichte ihrer Aufführung und Rezeption. Kassel, Basel u. a. 1993. (= Kasseler Schriften zur Musik. Hrsg. von Klaus Kropfinger, Adolf Nowak und Helmut Rösing. Bd. 3), ebenso Elisabeth Eleonore Bauer : Wie Beethoven auf den Sockel kam. Die Entstehung eines musikalischen Mythos. Stuttgart, Weimar 1992 und Arnold Schmitz: Das romantische Beethovenbild: Darstellung und Kritik. Berlin, Bonn 1927.