94/20 © 2004 Schattauer GmbH Gerinnungsfaktoren VII, VIII, IX und X Ausgewählte Aspekte zur Molekulargenetik und Gendiagnostik F. H. Herrmann, K. Wulff Schlüsselwörter Keywords Faktor-VII-Gen, Faktor-VIII-Gen, Faktor-IX-Gen, Faktor-X-Gen, Mutationsanalyse, genetische Beratung Factor VII, factor VIII, factor IX, factor X, mutation analysis, genetic counselling Zusammenfassung Summary In einer Übersicht werden einige molekulargenetische Aspekte der Gerinnungsfaktoren VII, VIII, IX und X dargestellt. Das Spektrum der Mutationen wird charakterisiert, das zu den genetisch bedingten Defekten Hämophilie A und B, Faktor-VII- und -X-Mangel führt. Für die Hämophilien A und B wird der genetische Beratung auf der Grundlage des X-chromosomalen Erbganges und der indirekten und direkten genomischen Analyse an ausgewählten Beispielen vorgestellt. Die Gene der Vitamin-K-abhängigen Serinproteasen Faktor VII und Faktor X sind auf dem Chromosom 13 lokalisiert. Mutationen führen zu autosomal-rezessiv vererbtem Faktor-VII- oder Faktor-X-Mangel. Das Mutationspektrum, die Rolle von Polymorphismen der Gene und das Spektrum der spontanen Blutungen dieser seltenen Blutungsleiden werden charakterisiert und GenotypPhänotyp-Korrelationen aufgezeigt. Molecular genetic aspects of the inherited bleeding disorders haemophilia A and B, deficiencies of factor VII and X are described. The spectrum of the mutations is characterized. For genetic counselling the X-chromosomal inheritance of haemophilia and the principles of the indirect and direct genomic diagnosis are explained. Clinics and genetics of the rare inherited bleeding disorders known as factor VII and factor X deficiency are summarized. The mutations spectrum, the role of polymorphisms, the bleeding pattern and genotypephenotype relations are described. Factors VII, VIII, IX, and X: molecular genetics and gene diagnosis Hämostaseologie 2004; 24: 94–107 B ei der Vielzahl der genetisch determinierten Faktoren im System der Gerinnung und der Gerinnungsregulation können im Rahmen dieses Beitrages nicht alle Faktoren vorgestellt werden. Exemplarisch präsentiert werden ausgewählte Aspekte der Molekularbiologie der Gerinnungsfaktoren VII, VIII, IX und X, die in die zentralen Gerinnungskomplexe der Gerinnungskaskade eingebunden sind (11, 13, 20, 25): ● Tissue factor/FVII-Komplex, ● Tenase-Komplex, ● Prothrombinase-Komplex. Der Schwerpunkt liegt in der Charakterisierung der Genveränderungen bei den entsprechenden Gerinnungsdefekten und der genomischen Diagnostik für die genetische Beratung. Hämostaseologie 2/2004 Hämophilie A (FVIII) und B (FIX) Die Hämophilie A ist eine der am längsten bekannten Erbkrankheiten (Häufigkeit bei Männern: 1 : 7000 bis 1 : 10 000). Ursache dieser Krankheit ist mangelnde FVIIIAktivität. Die Hämophilie B (Häufigkeit bei Männern: 1 : 25 000) ist seltener. Sie beruht auf zu geringer FIX-Aktivität. X-chromosomal rezessiver Erbgang Da die Erbanlage beider Defekte auf dem X-Chromosom lokalisiert ist, resultiert ein X-chromosomaler Erbgang. Die Hämophilie wird rezessiv vererbt (Abb. 1): ● In der Regel erkranken Knaben und Männer, deren X-Chromosom die mutierte Erbanlage trägt. ● ● ● Mädchen und Frauen mit der defekten Erbanlage auf einem ihrer X-Chromosomen erkranken in der Regel nicht an Hämophilie. Sie sind Anlageträgerinnen (Konduktorinnen, Überträgerinnen, Carrier) und können die defekte Erbanlage an ihre Kinder weitergeben. Alle Söhne von Hämophilen sind gesund.Alle ihre Töchter sind Trägerinnen der Erbanlage für Hämophilie (Konduktorinnen). Für den Sohn einer Konduktorin beträgt das Risiko 1 : 1, dass er ein Hämophiler ist; für ihre Tochter 1 : 1, dass sie wiederum Konduktorin ist. Die Aufgabe der humangenetischen Diagnostik besteht darin, mit Hilfe geeigneter Tests und Untersuchungsmethoden Konduktorinnen sicher zu bestimmen und von Nicht-Konduktorinnen zu unterscheiden (12). Die Untersuchung der entsprechenden Gene (genomische Diagnostik) erhöhen die Sicherheit der Aussage in der humangenetischen Beratung entscheidend. Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten der genomischen Diagnostik auf der DNAEbene: ● direkte genomische Analyse: Identifizierung der Mutationen im betroffenen Gen (Abb. 2), ● indirekte genomische Analyse: Charakterisierung von Markern (z. B. RFLP, Short tandem repeats, VNTRs), die eng mit der im Gen lokalisierten Mutation gekoppelt sind (Abb. 7 und 8). Beiden Methoden, die auf der Basis der molekularen Genanalyse vorgestellt werden, dienen der Analyse von Weitergabe, Segregation der Mutation oder der Marker in einer Hämophiliefamilie und werden zur Konduktorinnen- oder Pränataldiagnostik genutzt. Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 95/21 FVII, FVIII, FIX, FX Genanalyse des FVIII-Gens und Mutationsspektrum (Hämophilie A) Abb. 1 X-chromosomal rezessiver Erbgang bei Hämophilie (*Erbanlage für Hämophilie) a) Nachkommenschaft von Hämophilen: Alle Töchter sind Konduktorinnen, alle Söhne sind gesund. b) Nachkommenschaft von Konduktorinnen: 50% der Töchter sind Konduktorinnen, 50% der Söhne Hämophile. Das humane FVIII-Gen besteht aus 26 Exons, ist 186 Kilobasenpaare (kb) groß und auf dem langen Arm des X-Chromosoms in der Region Xq28 lokalisiert (1). Von den 25 Introns sind sechs länger als 14 kb. Das Intron 22 (IVS22) ist 32 kb lang und enthält die intronlosen Gene F8A und F8B. F8B wird in der gleichen Richtung wie das FVIII-Gen transkribiert (upstreams), das F8A jedoch entgegengesetzt (downstreams). 400 kb in telomerischer Richtung vom FVIII-Gen entfernt, liegen noch zwei Kopien des F8A-Gens, die in der gleichen Transkriptionsrichtung wie das FVIII Gen abgelesen werden (Abb. 3). Seit Isolierung und Charakterisierung des FVIII-Gens wurden die Molekulardefekte bei mehr als 3000 Hämophilie-APatienten untersucht (Datenbank: HAMSTeRS; http://europium.csc.mrc.ac.uk) –––––– untersuchtes Gen auf dem X-Chromosom –– –– Gen mit charakterisierter Mutation –– Abb. 2 Direkte genomische Diagnostik bei Hämophilie Vorgehen: 1. Charakterisierung des Gendefekts (Mutation) auf DNA-Ebene, 2. direkter Nachweis der Weitergabe (Vererbung) dieser Mutation in der Familie, 3. Bestimmung der spezifischen Mutation in der Patienten-DNA und bei Familienmitgliedern, um ihre Weitergabe direkt zu verfolgen. Bei der Mutter des Patienten (I,2) wird das mutierte und das normale Gen nachgewiesen, sie ist Überträgerin (Konduktorin). Bei einer Schwester (II,2) ergibt die genomische Diagnostik das gleiche Ergebnis (Konduktorin). Bei der anderen Schwester (II,1) kann die beim Patienten identifizierte Mutation nicht nachgewiesen werden. Diese Schwester (II,1) ist eindeutig keine Konduktorin. Auf der Grundlage der DNA-Diagnostik kann durch pränatale Diagnostik bei einem männlichen Fetus (II,4) eindeutig nachgewiesen werden, ob er das mutierte Gen trägt. (16). Die folgenden Mutationstypen wurden bestimmt: ● große Deletionen (im kb-Bereich), ● Rearrangements, ● kleine Deletionen bzw. Insertionen (<100 bp) und ● Punktmutationen. Große Gendeletionen wurden bei ca. 5% der Hämophilie-A-Patienten nachgewiesen, in der Regel sind sie mit schwerer Hämophilie verbunden. Unter den Rearrangements spielt die Intron-22-Inversion, der häufigste Molekulardefekt bei schwerer Hämophilie, eine besondere Rolle (Abb. 3) (17). Die Inversion geht auf eine Paarung zwischen dem im Intron 22 liegenden F8A-Gen und einem der extragenen Kopien dieses Gens zurück. Crossing-overEreignisse zwischen der distalen extragenen Kopie und dem Intron-22-F8A-Gen führen zur Typ-I-Inversion. Die Typ-2-Inversion geht auf ein Crossing-over-Ereignis zwischen der proximalen extragenen Kopie und dem intragenen F8A-Gen zurück. Neben Typ-I- und Typ-II-Inversionen wurden die Typen 3A und 3B beschrieben, die auf das Vorhandensein von drei extragenen F8A-Kopien hinweisen. Durch die Inversion wird die FVIIIGenstruktur zerstört (schwere Hämophilie A). Bagnall et al (4) beschrieben kürzlich eine Intron-1-Inversion, die ursächlich zur schweren Hämophilie führt, da durch homologe Rekombination zwischen der 1041 bp umfassenden Region im Inton (int 1 h-1) und der extragenen Kopie (int 1 h-2) das FVIII-Gen auseinander gerissen wird. Bei 40-50% der Patienten mit schwerer Hämophilie lassen sich mittels SouthernBlotting Intron-22-Inversionen nachweisen. Bei den übrigen Hämophilie-A-Patienten liegen Punktmutationen, und kleine (<100 bp) Deletionen und Insertionen vor. In Tabelle 1 sind die Ergebnisse des nationalen Hämophilie-A-Mutationsregisters zusammengestellt. Die Liste der bis 2002 analysierten Punktmutationen wurde kürzlich publiziert (21-23). Mit der Charakterisierung der Molekulardefekte bei Hämophilie-A-Patienten ist die direkte genomische Diagnostik möglich. Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Hämostaseologie 2/2004 96/22 Herrmann, Wulff a) b) Abb. 3 Faktor-VIII-Gen Entstehung der Intron-1- (a) und Intron-22-Inversion (b) (33) Hämostaseologie 2/2004 Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 97/23 FVII, FVIII, FIX, FX Tab. 1 Spektrum der kausalen Mutationstypen bei 1338 Hämophilie A Patienten aus 898 Hämophilie-Familien (23) Tab. 2 Spektrum der kausalen Mutationstypen bei 289 Hämophilie-B-Patienten nach der Greifswalder Studie zur Hämophilie B (31) Abb. 4 Faktor-IX-Gen mit Darstellung den in der Greifswalder Studie zur Hämophilie B analysierten großen Deletionen (31) Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Hämostaseologie 2/2004 98/24 Herrmann, Wulff Genanalyse des FIX-Gens und Mutationsspektrum (Hämophilie B) Das humane FIX-Gen besteht aus 8 Exons, ist 33 kb lang und auf dem langen Arm des X-Chromosoms in Region Xq27.1 lokalisiert. Jedes Exon kodiert eine entsprechende Domäne: ● Exon 1 das Signalpeptid, ● Exon 2 das Propeptid und die GiaDomäne, ● Exon 3 eine kurze hydrophobe Sequenz, ● Exon 4 und 5 die Domänen EGF1 und EGF2, ● Exon 6 die Aktivierungsdomäne, ● Exon 7 und 8 die katalytische Domäne und den nicht translatierten Bereich am 3´-Ende (Abb 4). Seit Isolierung des FIX-Gens wird der Molekulardefekt bei Hämophilie-B-Patienten untersucht. Wie bei Hämophilie A wurden folgende Mutationstypen bestimmt: große Deletionen (im kb-Bereich), Rearrangements, kleine Deletionen bzw. Insertionen (bis 30 bp) und Punktmutationen (9). Als Beispiel für die Vielfalt der Mutationen werden die Ergebnisse der Greifswalder Studie zur Faktor-IX-Defizienz vorgestellt (Tab. 2) (27, 31, 32) Große Deletionen (>30 bp) des FIXGens wurden bei 14 nicht verwandten Hämophilie-B-Patienten nachgewiesen: 4 komplette und 8 partielle Deletionen (Abb. 4). Acht dieser Hämophilie-B-Patienten entwickelten FIX-Antikörper (Inhibitor-Patienten) nach Substitutionstherapie. Eine große Insertion wurde in Exon e bestimmt (Addition eines Alu-Repeats) (28). Kleine Deletionen von 1, 2, 3 oder 6 Basenpaaren wurden bei 17 Patienten analysiert. Eine aktuelle Liste der charakterisierten Punktmutationen wurde kürzlich publiziert (31). In Abbildung 5 wurde die Lokalisation der Missense- und NonsenseMutationen im FIX-Präproprotein zusammengestellt. Genomische Diagnostik bei Hämophilie Direkte und indirekte Diagnostik Die Charakterisierung der Molekulardefekte bei Hämophilen ermöglichte die Abb. 5 Sequenz des FIX-Präproproteins Durch Mutation (Missense, Nonsense) veränderte Aminosäurereste, die in der Greifswalder Hämophilie-B-Studie nachgewiesen wurden (21), sind hervorgehoben. Hämostaseologie 2/2004 Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 99/25 FVII, FVIII, FIX, FX a) Abb. 7 Der di-allele Bcl-I-Polymorphismus (RFLP) im Faktor-VIII-Gen b) c) direkte genomische Diagnostik (12). In Abbildung 6 wird ein Beispiel dafür bei Hämophilie B vorgestellt. Die indirekte genomische Diagnostik wird am Beispiel von Hämophilie A vorgestellt. Über Markierungen (so genannte Marker) wird versucht, die Weitergabe des mutierten Gens zu verfolgen (vgl. Sternchen in Abb. 1). Als Marker auf der DNA dient z. B. der RestriktionsfragmentlängenPolymorphismus (RFLP). Diese Technik nutzt die Tatsache, dass auf der DNA in Genen oder in ihrer Nachbarschaft Bereiche liegen, die durch spezifische Restriktionsenzyme gespalten werden können. Solche Spaltstellen sind auf der ganzen DNA verteilt, besitzen also (in der Regel) keinen Krankheitswert. Abbildung 7 stellt einen di-allelen Polymorphismus für das Restriktionsenzym Bcl-I im Intron 18 des FVIII-Gens schematisch dar. Bezüglich der BcI-I-Spaltorte lässt sich bei ca. 29% der FVIII-Gene ein d) e) Abb. 6 Direkte genomische Diagnostik bei Hämophilie B basierend auf Mutationsanalysen a) Erbgang bei einer Hämophilie-B-Familie; b-e) Sequenz eines 14 Nukleotide langen FIX-Genabschnitts b) gesunder Vater (I,1): CGA kodiert für den Aminosäurerest Arginin (Arg). c) hämophiler Sohn (II,1): CGA mutierte zu CAA, statt Arginin wird Glutamin (Gln) eingebaut. Der defekte Faktor IX verursacht die Hämophilie. d) ) Mutter (I,2) und e) Schwester (II,2) weisen an der betreffenden DNA-Sequenz sowohl ein G als auch ein A auf. Beide sind heterozygote Genträgerinnen (Konduktorinnen). langes (1,2 kb) Fragment nachweisen (Allel I, Polymorphismus I), das auf Spaltung in den beiden B-Spaltorten zurückzuführen ist. Bei den anderen FVIII-Genen liegt eine weitere Spaltstelle (B’) vor, die zu einem kürzeren Fragment (0,9 kb) führt (Allel 2, Polymorphismus 2). In Abbildung 8 wird das Prinzip der indirekten genomischen Diagnostik auf der Basis eines di-allelen RFLP dargestellt. Sicherheit der Aussage Im humangenetischen Gutachten basierend auf genomischer Diagnostik wird angegeben werden, mit welcher Sicherheit die Aussage gilt. Bei der direkten genomischen Diagnostik liegt die Sicherheit der Aussage bei 100%, da die kausale Mutation direkt bestimmt wird. Bei der indirekten genomischen Diagnostik hängt die Sicherheit der Aussage von der Lage der Marker ab: Liegt der Marker innerhalb des Gens (intragener Polymorphismus), ist z. B. bei Hämophilie B (mit dem relativ kleinen FIX-Gen) mit einer Aussagesicherheit von 99% zu rechnen. Liegt der Marker außerhalb des Gens (intergene Polymorphismen), dann bleibt ein Restrisiko in der Aussagesicherheit. Dieses Restrisiko ist um so größer, je weiter der Marker vom Gen entfernt ist. Dies ist der Fall, weil Crossing-over-Ereignisse zwischen Marker und Mutationsort stattfinden können, die nicht ohne Weiteres erkannt werden. Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Hämostaseologie 2/2004 100/26 Herrmann, Wulff Werden intergene Polymorphismen zur genomischen Diagnostik (z. B. beim FIXGen) genutzt, verbleibt ein Restrisiko von ca. 3%. Anders ausgedrückt: Wenn als informativer Marker nur ein außerhalb des FIX-Gens liegender RFLP zur genomischen Diagnostik zur Verfügung steht, dann gilt die Aussage zum Konduktorinnenstatus mit einer Sicherheit von 97% (Restrisiko 3%), d. h. statistisch ist eine von 33 Diagnosen falsch. Humangenetische Beratung Mit dem Einsatz der genomischen Diagnostik in der humangenetischen Beratung kann die Vererbung von Hämophilie A und B innerhalb der Familie präzise verfolgt werden. Welche Familienmitglieder in die Untersuchungen für die genetische Familienberatung einbezogen werden, ist von der jeweiligen Beratungssituation abhängig und sollte vorher mit der beratenden Stelle abgeklärt werden. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle kann eindeutig die Frage nach dem Überträgerinnenstatus beantwortet werden bzw. ein Ausschluss als Konduktorin für Hämophilie gesichert werden. Eine pränatale Diagnostik ist ab der 10. Schwangerschaftswoche möglich. Das Beratungsgespräch wird Fragen zur Behandlung und Betreuung von Hämophilen sowie die spezifische Situation der Familie einschließen (12). Die persönlichen Konsequenzen aus den Ergebnissen der humangenetischen Diagnostik und Beratung werden immer die Familie, der oder die Ratsuchende(n) zu treffen haben. Abb. 8 Indirekte genomische Diagnostik Prinzip: Analyse von Markern in Nachbarschaft des Mutationsortes (intra- und intergen), Nachweis der Weitergabe dieser Marker in der Familie und indirekter Nachweis der Weitergabe der kausalen (aber nicht analysierten) Genmutation über die eng gekoppelten Marker Voraussetzungen: 1. Informativität der Marker zur Unterscheidung der verschiedenen X-Chromosomen (Chromosomenbereiche, Gene); 2. Familienuntersuchung zur Zuordnung der sich unterscheidenden Marker Humangenetischer Befund: Die Patienten (I,1 und II,3) tragen das X-Chromosom mit der Hämophilie-Erbanlage (*). Ihr X-Chromosom ist durch das lange Fragment identifiziert, das somit das defekte Gen markiert. Die beiden X-Chromosomen der Tochter II,1 sind durch die kurzen Fragmente charakterisiert (eins vom gesunden Vater, das andere von der Mutter I,2) und nicht mit der Hämophilie gekoppelt. Die Tochter II,1 ist keine Konduktorin. Die Mutter (I,2) ist eine genetisch sichere Konduktorin, da sie einen erkrankten Bruder und einen erkrankten Sohn hat. Ihre beiden X-Chromosomen unterscheiden sich hinsichtlich der Marker: Sie haben ein langes und ein kurzes Fragment (RFLP). Die Mutter ist also informativ. Die Untersuchung der Patienten ergibt, dass das lange Fragment beim X-Chromosom mit der Hämophilie-Erbanlage auftritt. Mit dieser Zuordnung kann die Vererbung der Hämophilie in der Familie verfolgt werden. Die Tochter I,2 ist informativ. Die beiden X-Chromosomen sind unterscheidbar durch ein langes und ein kurzes (vom Vater) Fragment. Von der Mutter muss sie das X- Chromosom mit dem langen Fragment (markiert das X-Chromosom mit der Hämophilie-Erbanlage) geerbt haben, Tochter II,2 ist Konduktorin. Da die Mutter I,2 eine informative Konduktorin ist, ist eine vorgeburtliche Diagnostik möglich. Bei einem männlichen Feten stammt das Y-Chromosom vom Vater. Von der Mutter erbt er ein X-Chromosom. Hat er das X-Chromosom mit dem langen Fragment bekommen, so hat er die Hämophilie-Erbanlage geerbt. Hat er das X mit dem kurzen Fragment geerbt, wird er gesund sein. Auf der gleichen Grundlage ist eine vorgeburtliche Diagnostik bei der Tochter II,2 möglich. Molekulargenetik des FVII-Gens FVII-Gen Die hämostaseologische Verbindung von FVII und FIX in der Gerinnungskaskade liegt im Tenase-Komplex. Durch Bindung von FVII und Gewebethromboplastin (Tissue factor, TF) wird FVII zu Faktor VIIa (FVIIa) aktiviert. FVIIa aktiviert FIX und FX. Die Exon/Intron-Organisation des FVIIGens ist identisch mit der des FIX-Gens. Auf Proteinebene zeigen die Aminosäuresequenzen hohe Homologien (6, 13, 25). FVII wird primär mit einem Präpro-Leader bestehend aus 18 Aminosäuren biosynthetisiert. Beim reifen FVII-Protein ist diese abgespalten. An die Präprosequenz schließen sich die Gla-Domäne, zwei Hämostaseologie 2/2004 EGF(epidermal growth factor)-Domänen, eine Aktivierungsregion mit dem Spaltort für FXa (Arg 152-Ile 153) und die katalytische Domäne an. Das humane FVII-Gen bestehend aus 8 Exons ist 12 kb groß und im Chromosom 13q34 lokalisiert (Abb. 9). Für das FVIIGen sind verschiedene Polymorphismen bekannt, drei davon beeinflussen die FVIIAktivität (Tab. 3) (14, 18). Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 101/27 FVII, FVIII, FIX, FX Abb. 9 FVII-Gen mit Zuordnung kausaler Mutationen bei FVII-Mangelpatienten (29) *: neue Mutation Hereditärer FVII-Mangel Erblicher FVII-Mangel ist ein seltener Hämostasedefekt, der autosomal rezessiv an die Nachkommen weitergegeben wird. Die hämorrhagische Prädisposition der Betroffenen ist hoch variabel. Die Korrelation zwischen FVII-Aktivität und Blutungsneigung ist eher schlecht. Patienten mit einer FVII-Aktivität unter 1% können jedoch unter schweren Blutungen leiden (6, 14, 29). Bei einigen wenigen Patienten mit FVII-Mangel wurden Thrombosen be- schrieben. In jüngsten Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass bei FVII-Mangel-Patienten mit Thrombosen kein Zusamnmenhang mit dem spezifischen FVIIGenotyp besteht. Mutationsspektrum Im Rahmen der Greifswalder Studie (Greifswald study congenital factor VII deficiency) wurden mehr als 300 in- und ausländische Patienten mit FVII-Mangel in Kooperation mit mehr als 70 klinischen Tab. 3 Polymorphismen im FVII-Gen mit Einfluss auf die FVII-Aktivität Partnern untersucht. Die Ergebnisse der molekulargenetische Analysen von 154 nicht verwandten Patienten aus Deutschland wurden kürzlich zusammengestellt (29, 30). 62 verschiedene Mutationen in der Promotoregion und in den kodierenden und Splicing-Regionen wurden analysiert (Tab. 4), 31 Mutationen stellen so genannte neue Mutationen (novel mutations) dar, die noch nicht veröffentlicht bzw. in der Database FVII-Mutation (http://europium.csc.mrc.ac.uk) (8) erfasst worden sind. Tab. 4 Spektrum der kausalen Mutationstypen bei 154 Patienten mit FVII-Mangel aus Deutschland laut Greifswalder Register zum kongenitalen FVII-Mangel (29) Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Hämostaseologie 2/2004 102/28 Herrmann, Wulff Abb. 10 Sequenz des Faktor-VII-Präproproteins Durch Mutation (Missense, Nonsense) veränderte Aminosäurereste, die in der Greifswalder Studie zum Faktor-VII-Mangel nachgewiesen wurden (21), sind hervorgehoben. In Abbildung 9 ist die Zuordnung der verschiedene Mutationen zum Promotor und den Exons und Introns schematisch dargestellt. In Abbildung 10 wurde die Lokalisation der Missense- und NonsenseMutationen im FVII-Präproprotein zusammengestellt, die bei Patienten aus Deutschland nachgewiesen wurden. Die häufigste Mutation stellt die Missense-Mutation Ala294Val dar. Sie wurde in 78 FVII-Allelen nicht verwandter Patienten nachgewiesen: In 57 FVII-Allelen als Ala294Val-Mutation, in 20 Allelen kombiniert mit der Deletion 404delC als Hämostaseologie 2/2004 Doppelmutation Ala294Val;404delC sowie in einem Allel als Doppelmutation Ala294Val;Leu13Gln. Die Doppelmutationen (d. h. zwei Mutationen im gleichen FVII-Allel) wurde durch Familienuntersuchungen gesichert. Die Mutation Ala294Val ist offensichtlich die häufigste Mutation in Deutschland. In der Slowakei (5, 26) und Polen (2) ist jedoch die Doppelmutation Ala294Val;404delC die häufigste Mutation bei Patienten mit FVII-Mangel. Einfluss von Polymorphismen und FVII-Mutationen auf die FVII-Aktivität Die Bedeutung von Polymorphismen und Mutationen im FVII-Gen wird deutlich, wenn beide miteinander kombiniert vorliegen. Die Rolle von Mutationen und Polymorphismen des FVII-Gens für den Grad des hereditären FVII-Mangels lassen Familienstudien erkennen (Beispiele in Abb. 11). Generell gilt, dass Homozygote oder Compound-Heterozygote für FVII-Mutationen schwerer betroffen sind als Heterozygote (meist asymptomatisch). Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 103/29 FVII, FVIII, FIX, FX Haplotypanalyse Auf der Basis molekulargenetischer Familienuntersuchungen bei FVII-Mangel war es möglich, den Haplotyp der Polymorphismen spezifischer Mutationen zuzuordnen. Die FVII-Genanalyse der Familie Hi-FVII 3/36 (Abb. 11b) ergibt, dass die FVII-Genmutation ● Arg152stop mit dem Haplotyp A1, P1, G1, H1, b, M1, ● die Ala294Val,404delC-Substitution mit dem Haplotyp A1, P1, G1, H2, a, M2 gekoppelt ist. Der letztere Haplotyp wurde auch bei allen anderen mutanten Allelen der Ala294Val,404del-C-Substitution bestimmt. Dieser Befund weist auf einen gemeinsamen Ursprung dieser häufigen Mutation in unserer Population hin (FounderEffekt). Identische Haplotypen wurden auch für weitere Aminosäuresubstitutionen nachgewiesen, die mehrfach bei nicht verwandten Patienten auftraten (Tab. 5). Die Haplotypanalyse von Patienten aus dem Libanon und ihren Familien ergab, dass der Haplotyp für die Ala244Val-Mutation identisch ist mit dem von jüdischen Patienten aus Marokko, Iran, Irak und Buchara (24).Tamary et al. (24) diskutieren einen Founder Effekt für diese Mutation in Marokko und Iran. Da sich diese jüdischen Populationen vor 2000 bis 2500 Jahren trennten, lässt das Vorkommen dieser Mutation in beiden Populationen darauf schließen, dass sie vor der Trennung (d. h. mindestens vor 2000 Jahren) entstanden sein muss. Für zwei Ala206Thr-Substitutionen wurden unterschiedliche Haplotypen bestimmt; diese Mutation hat offensichtlich keinen gemeinsamen Ursprung in den verschiedenen Familien. Genotyp und klinischer Phänotyp Die klinische Symptomatik bei hereditärem FVII-Mangel ist sehr variabel. Da- b) a) Abb. 11 Einfluss von Polymorphismen und Mutationen im FVII-Gen auf die FVII-Aktivität a) Stammbaum der Familie Bau-VII-/1-96T: Verminderte FVII-Aktivität (75% des Vaters I/1), die durch Heterozygotie des Insertions- (A1/A2) und des Repeat-Polymorphismus von Intron 7 (ab) sowie des Arg353Gln-Polymorphismus (M1/M2) bedingt ist. Durch Sequenzierung wurden keine Mutationen im FVII-Gen nachgewiesen. Die stark reduzierte FVII-Aktivität der Mutter (I,2, FVII:C56%) erklärt sich durch die Heterozygotie einer FVII-Mutation (Ala294Val), die mit den heterozygoten Genotyp des Repeat-Polymorphismus (ab) und des Arg353Gln-Polymorphismus (M1/M2) kombiniert vorliegt. Beide Kinder (II,1 und II, 2) haben die FVII-Mutation von der Mutter geerbt. Bezüglich der Polymorphismen zeigt der Genotyp Homozygotie für die seltenen Allele des Repeat-Polymorphismus (aa) und des Arg353Gln-Polymorphismus (M2/M2) sowie Heterozygotie für den Insertions-Polymorphismus (A1/A2). Durch diese genetische Konstellation erklärt sich die stark verminderte FVIIAktivität (ca. 30%). b) FVII-Mangel bei Familie Hi-FVII 3/96: Beide Eltern haben verschiedene Mutationen im FVII-Gen (Mut1: Arg152stop, Mut 2: Ala294Val;404delC), die in Kombination mit heterozygoten Polymorphismen die erniedrigte FVII-Aktivität bedingen. Beim Patienten II,2 (FVIIAktivität 1,3%, Antigenwerte <1%) liegen beide FVII-Mutationen (doppelte Heterozygotie, compound Heterozygotie) in Kombination mit heterozygoten Polymorphismen (ab, M1M2) vor. Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Hämostaseologie 2/2004 104/30 Herrmann, Wulff bei ist die Korrelation zwischen erniedrigter FVII-Aktivität und Blutungsneigung eher schlecht. Ganz offenbar sind jedoch Patienten, die homozygot oder doppelt heterozygot die FVII-Mutationen tragen, schwerer betroffen. Heterozygote sind in der Regel asymptomatisch (14). Bemerkenswert ist die variable klinische Ausprägung bei Patienten mit sehr niedriger FVII-Aktivität bei Homozygotie verschiedener Mutationen. In Tabelle 6 ist die klinische Symptomatik von einigen homozygoten Patienten zusammengestellt. Extrem schwere klinische Symptomatik wurde für homozygote Patienten der Cys135Arg Substitution (FVII-Aktivität 1-4%) beschrieben. Die Behandlung erforderte prophylaktische FVII Substitutionen. Bei den doppelt Heterozygoten für verschiedene Mutationen ergibt sich ein differenziertes Bild (Tab. 7). Doppelt Heterozygote für die Mutationen Ala294Val und Val 281Phe weisen in allen Fällen eine schwere Symptomatik auf. Die FVII-Aktivität bei diesen Patienten (FVII : C < 1-5%) ist stark reduziert. Ein ähnlich ausgeprägter FVII-Mangel und schwere Symptomatik findet sich bei doppelter Heterozygotie von Ala294Val;404delC/Arg152stop und Asp242His/Thr359Met. Bei doppelt heterozygoten Patienten mit weniger stark erniedrigter FVII-Aktivität (FVII : C ≈ 10-15%) ist der klinische Phänotyp sehr variabel (von schweren klinische Symptomen bis asymptomatisch). Der doppelt heterozygote Patient Gly156Asp/Ala294Val mit FVII-Aktivitäten von 15% hatte häufig Epistaxis und Zahnfleischblutungen, die Transfusionen erforderten. Auf den anderen Seite sind die Patienten mit FVII-Aktivitäten von 15 und 11% asymptomatisch. Beide Patienten sind jedoch doppelt heterozygot für andere Mutationen (Ala206Thr/Pro303Arg und Leu(-20)Pro/Val 152Met) (14). Bezüglich des klinischen Phänotypes scheint eine Korrelation zwischen spezifischen Mutationen und der klinischen Symptomatik zu bestehen. Weitere Studien zur Abklärung dieser Beobachtung und zur Aufklärung der Mechanismen sind erforderlich. Hämostaseologie 2/2004 Tab. 5 FVII-Mutationen und deren Haplotypen bei FVIIMangel Tab. 8 Mutationen in FX-Gen von 102 Personen mit reduzierter FX-Aktivität (Greifswalder Studie zum kongenitalen FX-Mangel) (11) Tab. 6 Klinische Symptomatik von Patienten mit FVII-Mangel bei Homozygotie infolge verschiedener Mutationen Tab. 7 Klinische Symptomatik bei doppelt heterozygoten Patienten (Compound Heterozygotie) mit FVII-Mangel Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 105/31 FVII, FVIII, FIX, FX und die pränatale Diagnostik durchgeführt. Genanalyse bei FX-Mangel FX-Gen Das FX-Gen (Länge: >27 kb) ist in Chromosom 13q34 stromabwärts (2,8 kb) vom FVII-Gen lokalisiert. Die Exon/IntronOrganisation ist identisch mit FVII- und FIX-Gen. Alle drei Gene gehören der gleichen Genfamilie an (7, 19). ● Exon 1 kodiert das Signalpeptid, ● Exon 2 das Propeptid und die GlaDomaine, ● Exon 3 die aromatische Aminosäuredomaine, ● Exon 4 und 5 die EGF-Regionen, ● Exon 6 die Aktivierungsdomaine und ● Exon 7 und 8 die katalytische Domaine. Mutationsspektrum bei hereditärem FX-Mangel Abb. 12 Manifestation der spontanen Blutungen (Bl.) bei Patienten der Greifswalder Studien zum a) FVII-Mangel (164 Patienten) b) FX-Mangel (42 Patienten) Genomische Diagnostik und humangenetische Beratung bei FVII-Mangel Durch die molekulargenetische Analyse des FVII-Gens bei FVII-Mangel lässt sich der molekulare Defekt (Mutationen, Polymorphismen), der die erniedrigte FVII-Aktivität bedingt, aufklären. Auf der Basis der molekulargenetischen Analysen (direkte genomische Diagnostik) werden bei klinisch schweren Fällen von FVIIMangel eine genetische Familienberatung Tab. 9 FX-Mangel beim Patienten M.B. und den heterozygoten Eltern Im Rahmen der Greifswalder Faktor-XStudie (Greifswald registry congenital FX deficiency) wurden 102 Personen mit erniedrigter FX-Aktivtität aus 34 Zentren verschiedener Länder (Deutschland, Slovakai, Costa Rica, Venezuela, Polen und Schweden) untersucht. 29 verschiedene Mutationen wurden bestimmt, die Zuordnung zu den einzelnen Mutationstypen fasst Tabelle 8 zusammen. 17 Mutationen sind bisher noch nicht veröffentlicht bzw. in der Database FXMutation (10) erfasst worden. In Abbildung 13 wurde im FX-Präproprotein die durch Missense- und Nonsense-Mutationen betroffenen Aminosäurereste gekennzeichnet. In der Greifswalder Studie zum FaktorX-Mangel wurden 28 homozygote und 7 compound-heterozygote Patienten mit FX-Mangel sowie 67 heterozygote Personen analysiert. Das Profil der spontanen Blutungen bei FX-Mangel ist in Abb. 12 der Symptomatik bei FVII-Mangel gegenüber gestellt. Schwere Blutungssymptome, z. B. Hirnblutungen (21% der Patienten), gastro- Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Hämostaseologie 2/2004 106/32 Herrmann, Wulff Abb. 13 Sequenz des FX-Präproproteins. Durch Mutation veränderte Aminosäurereste, die in der Greifswalder Studie zum FX-Mangel nachgewiesen wurden (21), sind hervorgehoben. intestinale Blutungen (12%) und Hämarthorsis (33%), traten bei FX-Aktivitäten <1% auf. Beim Vergleich der klinischen Manifestation spontaner Blutungen bei FX-Mangel mit der bei FVII-Mangel (Abb. 12) fällt auf, dass Hirnblutungen (2%) und Hämarthrosis (13%) seltener vorkommen. Am Beispiel der Familie des Patienten MB soll die schwere klinische Symptomatik bei FX-Mangel erklärt werden (Tab. 9) (11, 15). Der polnische Patient MB zeigt einen schweren klinischen Phänotyp, der mit der Hämophilie vergleichbar ist. Der FX-Mangel ist bedingt durch die neue Mutation Ser379Lys und die Mutation Glu14Gly. Bei dieser Compound-HeteroHämostaseologie 2/2004 zygotie liegt die FX-Aktivität unter 2%, der FX-Antigenwert aber bei 57%. Die Eltern sind heterozygot für die verschiedenen Mutationen und asymptomatisch. Die FXAktivität und die Antigenkonzentration von ca. 50% bei der heterozygoten Mutter weisen darauf hin, dass die Glu14Gly-Mutation offensichtlich ein CRM– (Cross Reacting Material) bedingt. Demgegenüber zeigt der heterozygote Vater für die Mutation Ser379Lys einen normalen Antigenwert bei einer auf die Hälfte reduziertem FX-Aktivität. Die Ser379Lys-Substitution schein ein CRM+ (dysfunktionale FXProteinvariante) zu bedingen. Der Aminosäurerest Ser379 der Serinprotease FX gehört zur katalytischen Triade (His236, Asp282 und Ser379). Die beschriebene neue Mutation Ser379Lys bedingt einen schweren FX-Mangel. Die äquivalenten Mutationen Ser365Gly, Ser365Asn, Ser365Ile, Ser365Arg des FIX Gens, das zur gleichen Genfamilie gehört, verursacht bei allen Patienten eine schwere Hämophilie B trotz normaler FIX-Antigenkonzentration. Aus dem Vergeich innerhalb der Genfamilie der Serinproteasen FVII, FIX und FX lassen sich für homologe Mutationen Schlussfolgerungen zur Genotyp/Phenotyp-Korrelation ziehen. Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 107/33 FVII, FVIII, FIX, FX Bedeutung der molekulargenetischen Diagnostik für Klinik und genetische Beratung Die Aufklärung der mutativen Veränderung im Gen der Gerinnungsfaktoren bildet die Grundlage für Korrelation spezifischer Mutationen mit Schweregrad (Genotyp/Phänotyp-Korrelation). Die Genanalyse stellt die Basis für genomische Diagnostik und genetische Beratung dar. Die Charakterisierung der Molekularpathologie durch Mutationsanalyse, Expressionsstudien und Protein-Modelling ermöglicht Aussagen zur klinischen Manifestation, und kann Voraussetzung für innovative therapeutische Ansätze sein. Literatur 1. Antonarakis SE. Molecular genetics of coagulation factor VIII gene and hemophilia A. Thromb Haemost 1995; 74: 322-8. 2. Arbini AA, Bodkin D, Lopaciuk S et al. Molecular analysis of Polish patients with factor VII deficiency. Blood 1994; 84: 2214-20. 3. Astermark J, Wulff K, Tengborn L et al. The Malmö registry of factor FVII-deficiency. In: Herrmann FH (Hrsg). Lengerich: Pabst Science 2002; 169-81. 4. Bagnall RD, Waseem N, Green PM et al. Recurrent inversion breaking intron 1 of the factor VIII gene is a frequent cause of severe hemophilia A. Blood 2002; 99: 168-74. 5. Batorova A, Jankovicova D, Lazur J et al. 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