Was sitzt, das sitzt - der Koerper und sein

Werbung
Dienstag, 01. Januar 2013
2013 (11:05
(11:05:05-12:00 Uhr), KW 1
Deutschlandfunk (Abt. Musik und Information)
FREISTIL
„Was sitzt das sitzt. Der Körper und sein Gedächtnis.“
Von Ulrike Burgwinkel und Simonetta Dibbern
Produktion DLF 2010
Redaktion: Klaus Pilger
Pilger
Manuskript
Urheberrechtlicher Hinweis
Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden.
Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a
Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang
hinausgeht, ist unzulässig.
©
- ggf. unkorrigiertes Exemplar -
MUSIK: rhythmische Streicher
O-Ton Jelena Fahrstunde
Und ne wichtige Erfahrung: wenn der Wagen ausgeht, hat man die Kupplung nicht getreten. Wieder anmachen, genau, ersten Gang, genau.
O-Ton Assmann
Der Körper kennt kein „es war einmal“, das Bewusstsein kann das abspeichern, kann
sagen: das ist nicht mehr heute, aber beim Trauma ist das anders.
O-Ton Roller
Die Dinge die ich schon gespielt hab in meinem Leben, die ich quasi programmiert hab
und nicht mehr üben muss, da denk ich überhaupt nicht über Bewegung nach, die ruf
ich einfach ab.
O-Ton Puttke
Ein Beispiel: Wenn Sie vom 10-Meterturm springen, kann der Springer ja nicht, während er springt und sagen wir eine doppelte Drehung um die Achse macht und dabei
sich noch hintenrüber überschlägt. Ich kenn die Fachbegriffe nicht…Das ist ja ein Unding. Bei dem läuft nur ab, was in den Details perfekt abgespeichert ist und übrigens
nicht nur als reiner Sachverhalt, also als reine Bewegung, sondern auch in einem bestimmten Tempo.
O-Ton Jelena
Ich bin die Marionette. Ich muss alles das machen, was er sagt, in den ersten Fahrstunden. Find ich aber auch gut, damit man nicht gleich so selber denken muss. Das
ist schon ziemlich viel....
O-Ton Teilnehmerin
Also, wenn ich nen Schritt sehe, dann gucke ich mir den erstmal an und dann speicher
ich mir den sozusagen im Kopf und dann versuche ich den halt nachzumachen.
2
O-Ton Schack
Wenn ich jetzt nen Brief schreibe, denke ich in keiner Weise mehr darüber nach, wie ich
die Bewegung ausführe, ich hab den Kopf also jetzt frei, für das Nachdenken, über das,
was ich schreiben will, wem ich schreiben will, warum ich dem schreibe. Und dann ist
die Bewegung eingebaut.
O-Ton Altenmüller
... dann passiert eben etwas, was ich manchmal heraushöre, dass die finger den selbst
finden, obwohl man eigentlich nicht mehr weiß wies stück geht. Man weiß gar nicht
genau, wie hört sichs gleich an, man setzt sich an sein instrument und die Finger laufen und man ist ganz erstaunt: hach ich kann das ja noch. Das sitzt dann wirklich.
Sprecher:
Was sitzt das sitzt. Der Körper und sein Gedächtnis. Von Ulrike Burgwinkel und Simonetta Dibbern.
Sprecher:
Mein Körper ist ein schutzlos Ding
Ein Glück, dass er mich hat.
Ich hülle ihn in Tuch und Garn
Und mach ihn täglich satt.
(Gedicht: Robert Gernhardt: Siebenmal mein Körper)
Musik aus dem Stück und „encore“-Klatschen ( Zugabe)
O-Ton Dunoyer
First of all I wanted to do a project with many dancers ....
Sprecher:
Vincent Dunoyer, Tänzer und Choreograph über sein Stück „Encore“.
3
O-Ton Dunoyer
That was to gather them around the notion of „repertoire“, like the repertory, I think,
which is normally linked to a choreographer….......
Sprecher OV:
Ich möchte die Stücke, die ich selbst getanzt habe, an meine viel jüngeren Tänzer weitergeben. Ich habe für viele verschiedene Compagnien und Leute getanzt, und das bildet für mich so etwas wie ein ganz persönliches Repertoire. Ich choreographiere meinen Körper sozusagen neu, im Körper der jungen Leute, überprüfe meine Vergangenheit als Tänzer. Um dieses Umschalten geht es mir.
O-Ton Dunoyer
I don’t have this need in me to create my own movements…/the relation you have with
the material you are given and that is what I am interested in.”
Sprecher OV:
Ich muss nicht unbedingt etwas Neues kreieren, wichtig ist, dass ich den Leuten genau
das vermittele, was in meinem Körper drin ist, was ich ihnen vermittle ist wirklich „incorporated“, es erzählt vielleicht viel über mich und meine Körpererfahrung. Es geht
darum, wie ein Tänzer sich ausdrückt, was er ist oder sein will; das muss überhaupt
nicht seine eigene Persönlichkeit sein, sein Ego. Ich glaube, wenn er mit Bewegungen
zu tun hat, die ein anderer sich ausgedacht hat, muss er dessen Intention auf die Bühne bringen. Diese Beziehung zwischen vorgegebenem Material und Tänzer interessiert
mich.
Musik: Encore und Klatschen
O-Ton Puttke
Im Ballett ist es üblich, dass der Pädagoge, der Ballettmeister, der Choreograph, wenn
er eine Bewegung lehrt oder korrigiert, den Bewegungsvorgang beschreibt. Er beschreibt: zieh dich hoch, dreh das Bein nach außen, spann den Muskel an, spann den
Muskel locker. Das ist die gängige Praxis weltweit.
Musik 3 Satie Gymnopedie
4
Sprecher:
Professor Martin Puttke. Ehemaliger Tänzer und Ballettdirektor, Tanzpädagoge in Berlin und Sankt Petersburg.
O-Ton Puttke
Erstens sind die Tänzer geschult, eine bestimmte Technik des Merkens sich anzueignen, d.h., dass man Bewegungsabläufe sich nicht als die Summe einzelner Bewegungen merkt, was ein Riesenproblem wäre – die Zahlenkünstler machen das übrigens
auch nicht, sondern sie merken sich sogenannte Cluster, also Anhäufungen, denen sie
sogar ein Bild beiordnen. Mathematische Genies arbeiten mit dieser Technik und im
Tanz ist es ähnlich: wir merken uns Bewegungssequenzen, die wiederum an örtliche
oder auditive, also musikalische, Grundlagen gebunden sind. Der Bewegungsablauf erscheint als Gestalt und das haftet im Kopf und das bleibt hängen und das wiederholen
wir. Es würde ein Riesenproblem darstellen, wenn sie sich die einzelnen minimalen Sequenzen, Bewegungen des gesamten Bewegungsablaufes merken, das kann sich kein
Mensch merken – das ist wie ein Computer, dessen Speicher dann übervoll ist, und er
viel zu langsam repetiert, was beim Tanzen in der Geschwindigkeit gar nicht erfolgen
könnte.
Musik Satie Gymnopedie
O-Ton Tanzlehrer
Die Sachen kommen dann meist automatisch, wenn man die schon so oft trainiert hat
/../ und so wird man dann kreativer und hat mehr Zeit, sich mehr Sachen zu überlegen,
zu üben, zu verbessern.
O-Ton Teilnehmerin HipHopkurs
Das merkt man sich ( lacht), man wiederholt das, und man lernt das, übt das, ja.
O-Ton Puttke
5
Ich will das mal ganz einfach demonstrieren: dass Sie sozusagen nur noch mit Reflexen
später arbeiten. Also bei einem bestimmten Input, das kann ein BewegungsKommando sein, das kann eine musikalische Sequenz sein, das kann aber auch eine
Idee sein, eine bestimmte Bewegung auszuführen, die es Ihnen ermöglicht, quasi reflexartig diese Bewegung abzurufen, weil sie entsprechend gespeichert sind. Was ganz
wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass es eine besondere Art des Zusammenwirkens zwischen geistiger und körperlicher Tätigkeit ist.
O-Ton Tänzerin House Tanzkurs
Ich guck mir das erst ganz genau an und versuche das im Kopf zu speichern und das
dann so gut wie möglich nachzumachen und ganz wichtig ist auf jeden Fall, täglich das
im Kopf durchgehen oder wiederholen. Also, Nachdenken ist eigentlich nicht so gut
(lacht), weil man sich dann meistens nicht mehr auf das konzentrieren kann, was man
gerade macht.
Musik House-Musik
O-Ton Tanzlehrer
Ich bin OG, ich bin House-Tänzer, ich unterrichte House und möchte erstmal die Teilnehmer beibringen, die basics zu lernen/.../wenn man die drauf hat: viel Wiederholung
ist gefragt und die Interesse ist sehr wichtig, wenn Interesse da ist, dann tut man sich
nicht so schwer, die Dinge zu lernen, zu üben, im Spiegel, immer wieder wiederholen
und immer die Sachen im Kopf behalten und das wär der einfachte Weg, die Sachen so
schnell wie möglich zu lernen.
Musik s.o.
O-Ton Tanzlehrer
Das ist diese Schwierigkeit bei der Sache, weil das Ganze ist ja zum größten Teil freestyle und wenn man dann zuviel überlegt, das fällt dann schnell auf und dann wird man
nervös und dann sieht das ganze ganz wacklig aus. Deswegen ist es am besten, einfach
einen freien Kopf zu halten, nicht soviel überlegen und die Sachen so machen, wie man
6
es gelernt hat. Deswegen übt man das ja auch so intensiv, /…/ dass es einfach so von
alleine kommt, ja, genau.
O-Ton Jelena Fahrstunde
Sehr gut. Klappt doch gut für die 2. Fahrstunde, oder nicht? Okay, du bist ne Marionette, aber das ist ja egal. Klarkommen tust du. Oder ist irgendwas unklar?!
– (Jelena:) Nein…
O-Ton Schack
Bei Anfängern gibt es unwahrscheinlich viele unterschiedliche Gedächtnisstrukturen,
wie ne Pyramide kann man sagen.
Sprecher:
Professor Thomas Schack, Kognitions- und Bewegungsforscher, Universität Bielefeld.
O-Ton Schack
Die ist zunächst sehr breit, also bei den Anfängern gibt es verschiedenartige Strukturen, auch eigentlich keine tiefen Strukturen. Es ist einfach, man kann so’n bisschen im
Gedächtnis erkennen, aber es ist keine eindeutige Struktur. Und zum Experten geht es
immer mehr hin zu ner Spitze von ner Pyramide.
O-Ton Roller
Das hängt vom Schwierigkeitsgrad ab, einen Dreiklang (spielt) spiel ich ohne nachzudenken. Für einen Anfänger ist das schwer.
Sprecher:
Claudius Roller, Pianist und Klavierpädagoge.
O-Ton Roller (gekürzt)
Ein Anfänger muß z.b. koordinieren, dass die 3 Töne gleichzeitig angeschlagen werden,
bei 3 verschiedenen Fingern, das können die meistens nicht am Anfang. (spielt geklapperten Dreiklang). (…) Aber für mich ist das ganz selbstverständlich.
7
O-Ton Altenmüller
Also das Musizieren ist ja ein sehr starker Wachstumsreiz für das Nervensystem und
da passiert ne ganze Menge.
Sprecher:
Eckart Altenmüller. Flötist und Neurologe.
O-Ton Altenmüller
Erstens mal ist das gesamte Gehirn eigentlich dabei aktiv. Zunächstmal schon nach
wenigen Minuten des Übens nach der ersten Klavierstunde finden wir ne Verbindung
zwischen den Zentren, die hören und den Zentren, die bewegen. Und zwar sind das
vermutlich wohl erstmal flüchtige synaptische Verschaltungen, d.h. also Nervenzellautobahnen, die angelegt werden zwischen den Zentren im Gehirn, die eben damit zusammenhängen, dass in dem Fall Hören und Bewegen zusammen verschmolzen werden müssen. Und diese Netzwerke sind dann etwa nach 3 Wochen des Klavierübens
oder auch das anderes Instrumentalübens sind die stabil.
Musik: Geige solo
O-Ton Altenmüller
Wenn ich dann eine zeitlang intensiv übe, einige Jahre, dann gibt’s auch richtige Veränderungen der Grobstruktur des Gehirns, und dann können Sie am Röntgenbild oder
am Kernspintomogramm feststellen, ob jemand ein Geiger ist oder ein Pianist, weil
nämlich beim Geiger die Region für die linke Hand, die im rechten Zentralgyrus sich
befindet, vergrößert ist – während im Gegensatz dazu, beispielsweis eben einem Pianisten die Region, die für die rechte Hand zuständig ist, und die im linken Präzentralgyrus ist, vergrößert ist. Weil beim Geiger eben die linke Hand feinmotorisch sehr geschickt sein muss, und beim Pianisten muß eben die rechte Hand feinmotorisch etwas
geschickter sein meistens wie die linke Hand, die linke hand muß auch geschickt sein,
aber hier kann man schon sehen: es gibt ne Art Spezialisierung der Spezialisten.
8
Musik weiter
O-Ton Schack
Man kann auf alle Fälle Gedächtnisstrukturen sichtbar machen, dh wir haben Methoden entwickelt, um Langzeitgedächtnisstrukturen sichtbar zu machen, Kurzzeitstrukturen, aber auch Elemente von Bewegungsvorstellungen, die sind sehr gut sichtbar zu
machen. Es gibt dabei natürlich auch Bezüge zu aktivierten Hirnstrukturen, also wir
haben hier auch ein EEG- Labor aufgebaut, um uns stärker mit diesem Thema zu beschäftigen.
Musik: Elektronisch
O-Ton Schack
Die Gedächtnisstrukturen tragen offensichtlich die Bewegungsstrukturen. (...) Um es
mal ganz locker zu sagen: das Gedächtnis ist eben doch dafür da, die Dinge zu speichern, die ich ausführe oder die ich sehe und zu jedem Zeitpunkt, wenn ich mit irgendwas anfange, dann speichert das Gedächtnis systematisch diese Strukturen. Also,
wenn wir trainiert haben, wenn wir schlafen, dann fangen wir normalerweise beim
nächsten mal wieder ungefähr da an, wo wir aufgehört haben, müssen also nicht jedes
mal wieder neu lernen. Und das ist eben einfach eine Leistung des Gedächtnisses.
O-Ton Schack
Es geht um ne Architektur von Bewegung, das ist in etwa so, wie wenn ich sage; die
Bewegung ist wie beispielsweise ein Fahrzeug. Ein Fahrzeug hat ein Fahrwerk, hat aber
auch nen Motor, hat Benzinzufuhr und wir haben also die Vorstellung, dass es da ne
gewisse Struktur gibt.
O-Ton Jelena Fahrstunde. Fahrlerer erklärt parken/ anhalten (gekürzt)
[….] ….. Sehr schön....(Auto hält)
9
Tanzmusik/ Stepptanz
O-Ton Tänzerin
Wenn der Körper und der Rhythmus zu ner Einheit werden, wenn man den Kopf ausschalten kann, dann ist es das eigentlich auch, weil die Regel gibt’s ja nicht.
O-Ton Roller
Bei bewusst denken wir immer an Denken und an Kopf. Aber der Kopf hat viele Formen
des Bewusstseins. Ich würde sagen, mein Bewegungsbewusstsein, mein Körperbewußtsein hat sich erheblich vertieft und verfeinert. Und diese Art Bewusstheit, die über
das Denken läuft, über das intellektuelle oder über die Augen auch, die versuchen, was
zu kontrollieren, ist auf jeden Fall hinderlich für motorische Freiheit. Das funktioniert
überhaupt nicht. Genausowenig wie es funktionieren würde, auf die Füße zu kucken,
wenn ich gehe. Und es würde auch nicht funktionieren, wenn zu sagen: gehen ist, ich
muß immer 70 cm einen Fuß vor den anderen setzen.
O-Ton Puttke
Wenn ich jetzt hier vor Ihnen sitze und aufstehe, sag ich ja nicht: um aufzustehen
muss ich das Zentrum des Schwergewichts des Körpers vom Stuhl auf die Beine bringen. Ich muss meinen Körper also nicht bewusst steuern, sondern der Körper macht
automatisch einen Bewegungsvorgang.
O-Ton Puttke
Das sind Bewegungen die Sie immer benutzen: wenn Sie aufstehen, wenn Sie gehen,
wenn Sie ein Tasse nehmen und anheben im Arm usw. und diese 7 Kernbewegungen
sind auch die absolute Grundlage für jede tänzerische Bewegung, selbst für den noch
so komplizierten tänzerischen Bewegungsvorgang. (…)Was machen wir manchmal
beim Tanz: wir springen hoch, drehen uns um die Achse, landen auf einem Bein, öffnen das andere, in eine Arabeske. Das sind ja so komplexe Bewegungsvorgänge, wo
man manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr erkennt.
10
O-Ton Roller
Ich denk, da setzt auch genau der Begriff der Begabung an, wieviel man sich merken
kann, nicht nur der musiklische Speicher, sondern auch der motorische.
(Manuskript gekürzt, Passage fehlt)
Balletmusik Romeo und Julia
O-Ton Pahl
Ich träume, dass ich tanze, ich hab ja schon vor 24 Jahren aufgehört zu tanzen, selbst,
auf der Bühne.
Sprecher:
Sighilt Pahl, früher Tänzerin an der Komischen Oper, Berlin und im Cullberg Balletten,
Stockholm. Heute Ballettmeisterin.
O-Ton Pahl
Aber ich kann träumen und fühle alle Schritte ganz ganz perfekt. Ich kann springen, also diese typischen Sprünge, wo man weiss, ach, so geht das: das Bein vorne hoch, und
man setzt ab und ist in der Luft oder Pirouetten. Man macht die Pirouette und nur der
Kopf, Kopf Kopf und man dreht 8,9,10 Pirouettes und weiß gar nicht genau, wie’s geht.
Und dann am nächsten Tag, wenn man aufwacht (lacht), und sich vielleicht erinnert,
sagt man: aha, wird doch wieder nicht klappen, aber im Traum: ja.
O-Ton Pahl
Das ist IM Körper, der Körper weiss es einfach und ich kann das heute noch denken.
Ich höre Musik, ja „Romeo und Julia“ und ich weiß genau: das, das und das hast du da
getanzt drauf.
O-Ton Altenmüller
11
Der eine Punkt ist das motorische Gedächtnis, dh sie studieren das Stück mit den Fingern ein, das motorische Gedächtnis, so dass es mehr oder weniger automatisch läuft.
Musik: Körpersounds (Puls, Herzschlag o.ä.)
O-Ton Altenmüller
Das zweite , was bei unseren Studierenden sehr gut ausgeprägt ist, ist das auditive Gedächtnis, dh sie hören genau die innere Melodie und können das auch antizipieren,
voraushören.
Musik: Körpersound (s.o.)
O-Ton Altenmüller
Das dritte Punkt ist das visuelle Gedächtnis, ähnlich wie Tänzer ein Gedächtnis für
Choreographie, für Dreidimensionalität haben, haben Musiker ein Gedächtnis für die
Art und Weise, wie sie ihr Instrument spielen, wie sie sich selber am Instrument sehen
oder auch auf ne ganz andere Weise: Gedächtnis für das Notenbild, also sie können
Notenbilder fotographisch einspeichern. Nicht alle, aber manche können das, die haben ein fotographisches Gedächtnis.
Musik: Körpersound (s.o.)
O-Ton Altenmüller
Die 4. Stütze ist, wenn man so möchte, das Gedächtnis des Fühlens, der Sensorik.
Dass ich spüre, wie sich etwas anfühlt, also nicht nur die blinde Motorik, sondern auch
die Sensorik, ich fühle etwas zum Beispiel bei mir, ich bin ja ausgebildet als Flötist, ich
habe ein Gespür, wie ein bestimmtes Pianointervall, ein Tonsprung in die hohe Lage
bei der Querflöte, das ist schwierig zu machen, wie der sich in der Lippe, in der Atmung, in der Mundhöhle anfühlt.
Musik: Körpersound
O-Ton Altenmüller
12
Und dann das 5. und das ist ein sehr wichtiger Punkt vor allem in der reproduktiven
Musik: ist natürlich das strukturelle Gedächtnis. Das heißt, ich weiß zum Beispiel an
welcher Stelle welche Akkordfolge kommt, ich weiß an welcher Stelle sich bestimmte
Stellen wiederholen oder eben auch nicht genau wiederholen.
Musik
O-Ton Altenmüller
Also ich sag immer meinen Studenten, das Instrument kann man nicht durch Reden
erlernen. Ein schönes Beispiel ist: schicken Sie ne Gebrauchsanweisung auf den Mars,
stellen Sie sich vor auf dem Mars ist ein Steinway-Flügel gelandet, jetzt soll einer der
Marsmenschen anfangen, Klavier zu lernen. Das könnten Sie nach einem Buch nie und
nimmer machen. Also es ist ne Handlungsfertigkeit, die durch Tun erworben wird. Und
jetzt ist ganz wichtig, dass es am Anfang eben so, wie auch das Schreiben und so, wie
auch das Schwimmen und so, wie auch das Fahrradfahren: richtig gelernt wird. Und
deswegen sage ich immer: die Kleinsten brauchen die besten Lehrer. Denn was sich
einmal ungünstig in dieses Handlungsgedächtnis, prozedurale Gedächtnis, abgelagert
hat, bleibt leider ziemlich stabil.
O-Ton Puttke
Das heißt, wenn ich eine Bewegung korrigieren muss, muss ich eigentlich versuchen,
diesen selbststeuernden Vorgang zu lenken oder auszuschalten, weil ich sonst an die
Veränderung der Bewegung ja nicht herankomme. Denn ein Bestandteil der Ausübung
der Bewegung ist immer ein Mitwirken dieses motorisch-kybernetischen Systems. Wie
mittelalterlich arbeiten wir aber im Ballettsaal, indem ich immer auf der Gefühlsebene
nur arbeite und lasse immerzu wiederholen. Einfach, indem ich sage: nein, die Bewegung war noch nicht richtig. Ich mach sie Dir nochmal vor. Er macht nochmal nach.
Und wieder wird nur über das Gefühl die Bewegung repetiert, aber d.h., dass in dem
Unterbewusstsein dieses vorhandene Bewegungsvokabular, das abgespeicherte, nie
geblockt wird.
Atmo Ballettsaal
13
O-Ton Puttke
Bei mir haben die Tänzer, bevor sie sich bewegt haben, haben sie erstmal im Ruhezustand das Ganze im Kopf gesäubert und als sie dann die Bewegung gemacht haben,
war ich soweit, wofür andere Monate brauchten: es ist völlig logisch. Das Ressourcenmanagement spielt ja eine ganz enorme Rolle. Es ist etwas, was den Körper nicht ausbeutet, und was nicht erzeugt wird durch nochmal nochmal. Also diese extensive Ausbeuten des Körpers fällt völlig flach und es hat eine enorme Bedeutung für Tänzer, die
in der Rekonvaleszenzphase sind und sich langsam wieder einarbeiten müssen. Die
sich hervorragend darauf vorbereiten können.
Ballettszene/ Musik stop!
O-Ton Altenmüller
Falsche Bewegungsangewohnheiten zu löschen, brauchen 10mal, 20mal mehr Zeit als
ne neue richtig anzulegen.
O-Ton Altenmüller
Da kämpfen wir genau mit dem: was sitzt das sitzt, da kämpfen wir mit dem, wie
schwierig das ist. Es bewährt sich, neue Bewegungen aufzubauen, dass sie möglichst
entfernt sind von der alten Bewegung.
Z.B.: statt mit runden Fingern Klavierzuspielen mit geraden Fingern, das ist ein Extrembeispiel. Oder statt am Hornmundstück zu spielen, versuchen die Posaunenmundstücke zu nehmen. Also ein anderes Bewegungsmuster, der zwar verwandt, aber
doch weit entfernt ist. Das ist nicht realistisch, Sie können nie jedes Klavierstück mit
geraden Fingern spielen.
Sprecher:
Mein Körper hat es gut bei mir
Ich geb ihm Brot und Wein,
er kriegt von beidem nie genug
14
und nachher muß er spein.
Mein Körper hält sich nicht an mich
Er tut, was ich nicht darf.
Ich wärme mich an Bild, Wort, Klang,
ihn machen Körper scharf.
(Gedicht: Robert Gernhardt: Siebenmal mein Körper)
Klang/Musik
Sprecher:
Meine Hand, sie scheint ihr eigenes Gedächtnis zu haben und es will mir vorkommen
als sei dieses Gedächtnis vertrauenswürdiger als jede andere Quelle der Selbsterforschung. Und dieses Gedächtnis der Hand, die Mendes die Nadel ins Herz stach, es
sagt: Es war die Hand eines Tyrannenmörders, die den bereits toten Tyrannen in einem
paradoxen Akt ins Leben holte.
Auch hier bestätigt sich, was mich die Erfahrung stets von Neuem gelehrt hat, ganz
gegen das ursprüngliche Temperament meines Denkens: dass der Körper weniger bestechlich ist als der Geist.“
(Aus: Pascal Mercier „Nachtzug nach Lissabon“ S. 227)
Musik
O-Ton Altenmüller
Die Hand ist DAS Werkzeug des Geistes. Es ist im Grunde genommen der Ausdruck
der Emotion. Schauen Sie sich mal die Handbewegungen an, ich hab tausende von
Handfilmen. Und wenn Sie die an den Instrumenten sehen, Sie können den Charakter
des Menschen sehen, Sie können seine Planungsfähigkeit sehen, Sie können seinen
Humor sehen, seine Leichtigkeit sehen, seine Anpassungsfähigkeit sehen, Sie können
sehen, wie schnell er mit seinem Gegenüber in Kontakt tritt und das ist ja auch ein
Punkt übrigens auch von der Anthropologie, von der Menschheitskunde her, das Gestikulieren mit der Hand ist sicher das Ältere, das kam vor der Sprache, aber wenn wir
15
sprechen, dann gestikulieren wir alle und das zeigt noch diese uralte und ganz direke
Verbindung zur Sprache.
Musik: afrikanisch
O-Ton Assmann
Hier können wir an die griechische Kultur anschließen.
Sprecher:
Aleida Assmann. Kulturwissenschaftlerin und Gedächtnisforscherin, Universität Konstanz.
O-Ton Assmannn
Die neun Musen sind der Inbegriff einer Gedächtniskultur, sind die Kinder der Mnemosyne, das ist die Göttin der Erinnerung und sie alle wirken zusammen, damit ohne
Archive, ohne Schrift, ohne externe Speicher Überlieferung weitergegeben werden kann.
Deswegen hat gerade die Musik und das Metrum, der Rhythmus, der Tanz eine ganz
ganz wichtige Aufgabe für das körperliche Memorieren und Aufführen.
Musik: afrikanisch
O-Ton Assmann
Man könnte auf der einen Seite anfangen mit dem Kulturellen Gedächtnis, da geht es
um die Frage, welchen Anteil hat der Körper für diese Übertragungsund Weitergabeprozesse des kulturellen Gedächtnisses, wie kommt es an die weiteren,
die nachfolgenden Generationen, wenn man eben nicht auf Schrift zurückgreift? Und
da ist es der Körper, der der Träger und das Zentrum der Mitteilung wird, des Memorierens.
Musik: afrikanisch (s.o.)
O-Ton Assmann
16
Da ist der Körper insofern besonders wichtig, weil er ein multifunktionales Medium des
Erinnerns ist und die Überlieferung ist auch darauf eingestellt, dh man überliefert nicht
nur auf einem Kanal, sondern auf mehreren. Die Musik kommt dazu, der Rhythmus,
der Tanz. Das sind alles Gedächtnisformen, die dem Körper dabei helfen, das, was er
erinnern muss, zu bewahren.
Musik: afrikanisch (s.o.)
O-Ton Assmann
Also wenn wir anfangen mit dem Körper als Sitz des Lernens, das sind die Fähigkeiten,
die wir durch wiederholte Praxis uns wirklich einverleiben und auch habitualisieren. Wir
automatisieren, wir müssen nicht mehr das Bewusstsein anstellen, um nachzuvollziehen, was wir da tun, wenn wir aufs Fahrrad steigen oder wenn wir Geschirr spülen und
essen. Das sind ja alles Vorgänge, die haben wir mal gelernt, der Körper kennt sie im
Schlaf ohne Bewußtsein und wenn wir anfangen würden, darüber nachzudenken, würde das auch nicht mehr so gut funktionieren.
Das gilt auch auch für Klavierspielen, d.h. nicht, dass man das Bewusstsein ausschaltet, aber da gibt eine ganz große Infrastruktur desen, was automatisch mit anspringt
und das Bewusstsein kann sich auf die komplexen Besonderheiten konzentrieren.
Musik: Klavier Roller
O-Ton Roller
Wenn ich sehr schnelle Passagen spiele, kann ich selbstverständlich nicht alle Töne sehen und das ist auch gar nicht notwendig. Ich hab da keine Prozentzahl, aber ich vermute mal, dass der allergrößte überwältigend größte Teil Propriozeption, also Körperwahrnehmung ist, die das organisiert.
Ich denk keinesfalls an Tonnamen oder so, Abstraktionen. Sondern denk an einen melodischen Verlauf und ich hab sicherlich auchn Tastenbild mit im Kopf, das ist glaub
ich direkt verschaltet, da spielen die assoziativen Bahnen bestimmt ne Rolle und dass
ichs spielen kann, sind dann die Bereiche, wo automatisierte Motorik ne Rolle spielt, so
wie Fahrradfahren, da denk ich ja nicht mehr an das Treten der Pedale, sondern ich
17
denk ans Ziel. So ist es hier auch: ich denk an das melodische, musikalische Ziel, will
heißen, die Töne, die ich schon im Kopf abgespeichert hab.
Musik: As time goes by (Intro drunterlegen)
darüber
O-Ton Altenmüller
Ein weiterer Punkt, der für die Musik von großer Bedeutung ist, ist die Verbindung zwischen dem ersten Musikhören und der Emotionen.
Musik: As time goes by (hoch)
O-Ton Altenmüller (gekürzt)
Diese Melodie ist ja ein Symbol für eine vergangene Liebesaffäre vor Jahren, Jahrzehnten vielleicht sogar, und die wird dann plötzlich wieder herausgeholt und dadurch entsteht, entfaltet sich ne ganze Lebensperiode, ein ganzes Lebensgefühl, in dieser Szenerie, vor den Leuten, die da eben mit dabei waren. Und das ist etwas, was Musik auch
sehr gut kann, es kann uns an bedeutende Lebensmomente erinnern.
(…)Das ist literarisch schon unglaublich gut beschrieben worden von dem Dichter
Marcel Proust in „Die Suche nach der Verlorenen Zeit“. Da gibt es am Anfang diese
Liebesgeschichte zwischen dem etwas wenn man so möchte ausgebrannten vermögenden Swann und einer jungen Frau, die sich kennenlernen bei einem bestimmten
Violinstück. (…)Und plötzlich hört er diese Melodie wieder. Und dann schreibt er: es
war, wie wenn (...) sich ein Dolch in sein Herz bohren würde, als er die Melodie hört
und (...) die Narbe ist neu aufgerissen. (…) Genau, das ist die akustische Madeleine.
Sprecher Zitat:
Bevor noch Swann Zeit hatte zu begreifen und sich sagen konnte: es ist das kleine
Thema von Vinteuil, ich darf nicht hinhören!, waren alle seine Erinnerungen aus der
Zeit, da Odette in ihn verliebt war, getäuscht durch diesen flüchtigen Sonnenstrahl aus
der für sie zurückgekehrten Zeit der Liebe aufgewacht und hatten sich pfeilschnell er-
18
hoben, um ihm mit Macht, ohne Mitleid für seine jetzige Unseligkeit, die vergessenen
Strophen des Glücks zu singen.
(Aus: Marcel Proust: Auf der Suche nach der Verlorenen Zeit)
O-Ton Assmann
Die nächste Form ist die des sinnlichen Gedächtnisses. Es ist ja so, dass wir sehr viel
mehr aufnehmen, als wir uns das bewusst machen. Also, das, was wir bewusst abrufen
können, das sind Dinge, die wir uns in eine Form gebracht haben, die wir uns mal erzählt haben, die haben oft eine sprachliche, anekdotische Form gefunden, aber sehr
viel Atmosphärisches ist in uns hinein geströmt und sitzt in uns fest, ohne dass wir das
wissen.
Musik
O-Ton Assmann (gekürzt)
Es kommt dann der Moment, wo wir das wissen und das ist, wenn der Sinnenreiz auftritt von außen wie ein Auslöser, wie ein Trigger diese Erinnerung wieder hochholt (…)
und wir eigentlich mitten in diesem Moment wieder drin sind, es noch einmal erleben
wie in einem zweiten Präsens.Das ist ein sehr spannendes Phänomen, um das sich
Proust besonders gekümmert hat. Er spricht dann von der unwillkürlichen Erinnerung,
das ist die, die wir nicht steuern können. Die können wir nicht willentlich kontrollieren,
denn das ist etwas, das uns aufsucht und heimsucht: plötzlich springt es uns an.
Musik-Akzent..... Ende
O-Ton Keim
Die Gehirnforschung ist soweit zu sagen, dass es sogenannte Areale im Hirn gibt, die
eben die Emotionen speichern über so genannte Neuronen.
Sprecher:
Rebekka Keim, Psychologin und Aquatherapeutin.
19
O-Ton Keim
Ich hab die Erfahrung, dass alte Traumata sich tief abgespeichern, also quasi in verschiedenen Schichten kann man sich das vorstellen, wie so ne Zwiebel, die verschiedene Schichten hat und je älter, desto tiefer sitzt es, wenn es nicht bearbeitet worden ist.
Ängste, Schmerzen, verlieren wir ja nicht, das alles wird wirklich abgespeichert, als Information im Körper, wie in nem Computer. Und nur, wenn es nicht bearbeitet wird,
also im Unterbewußtsein quasi vor sich hinbrodelt, dann wird es zur Störung.
O-Ton Assmann
Die einzige Möglichkeit des Vergessens besteht eigentlich im Erinnern selber, so paradox das klingt. Das Erinnern heißt in dem Falle, das Bewusstsein zuzuschalten, das
Bewusstsein so zu aktivieren, dass es sich mit diesen tiefersitzenden traumatischen Erfahrungen verknüpft und damit einbettet in einen Zusammenhang, der dem Bewusstsein zugänglich ist in eine Geschichte, in eine Erfahrungsverarbeitung, die dann eben
bedeutet: das war einmal, das ist nicht mehr.
Sprecher
Glück ist etwas Plötzliches. Ich kenne das Mundglück und das Kopfglück. Das Mundglück kommt beim Essen und ist kürzer als der Mund, sogar als das Wort „Mund“.
Wenn man es ausspricht, hat es keine Zeit, in den Kopf zu steigen. Das Mundglück will
gar nicht, dass man darüber spricht. Das pure Kopfglück gab es nie, weil in aller Munde der Hunger war.
(Herta Müller: Atemschaukel, S. 245)
O-Ton Assmann (gekürzt)
Herta Müller beschreibt sehr anschaulich aus der Beoabchtung, was passiert, wenn ein
Traumatisierter an den Ort zurückkehrt (…) wie der Körper physisch darauf reagiert. Sie
beschreibt, dass er plötzlich völlig manisches Essverhalten gezeigt hat. Er, der damals
permanent unter Hunger gelitten hat, daran hat sich der Körper am Ort erinnert und
hat in dieser Weise nach so vielen Jahren diese Symptome noch einmal wieder gezeigt.
Der Körper kennt kein „es war einmal“ (…)
20
Sprecher:
Für mich ist das Essen auch 60 Jahre nach dem Lager eine große Erregung. Ich esse
mit allen Poren. Wenn ich mit anderen Personen esse, werde ich unangenehm. Ich esse rechthaberisch. Die anderen kennen das Mundglück nicht, sie essen gesellig und
höflich. Mir aber geht gerade beim essen das Einmalzuvielglück durch den Kopf, dass
man im Kopf das Nest, im Atem die Schaukel, in der Brust die Pumpe, im Bauch den
Wartesaal hergeben muss. Ich esse so gerne, dass ich nicht sterben will, weil ich dann
nicht mehr essen kann. Ich weiß seit 60 Jahren, dass meine Heimkehr das Lagerglück
nicht bändigen konnte. Es beißt mit seinem Hunger heute noch von jedem anderen
Gefühl die Mitte ab. Mittendrin ist bei mir leer.
(Herta Müller: Atemschaukel, s.o.)
O-Ton Puttke
Der Körper hat ja eine Erfahrung – und wenn ich z.b. mit geschlossenen Augen stehe
und die Augen zumache, ist das genau der Moment, wo ich anfange darüber nachzudenken: wie stelle ich die Balance her und (…) im Tanz gibt es ein sehr schönes Wort,
das heißt „Aplomb“. Aplomb heißt Standfestigkeit und das Schöne an diesem französischen Wort ist, dass es eine doppelte Bedeutung hat, sowohl eine moralische als
auch eine physische. Ein besseres Wort für Tänzer als dieses kann es gar nicht geben.
O-Ton Altenmüller
Man nimmt an, dass diese hochautomatisierten Bewegungen, die man dann braucht
beim Klavierspiel, beim Geigenspiel, beim Flötenspiel, beim Schlagzeugspiel, dass die
in anderen Gehirnzentren abgelagert sind als während sie erworben werden, nämlich
nicht in der Großhirnrinde, wo gewissermaßen bewusst die Programmierung erstellt
wird, sondern dann im Bereich der Basalganglienschleife, das sind Zentren im Inneren
des Gehirns, bei denen, wenn man so möchte, Routinen abgerufen sind und Routinen
abgelegt sind. Unter Routinen versteht man komplexe Steuerprogramme, zum Beispiel
das Tonleiterspiel am Klavier.
Musik Klavier kurz Tonleiter
21
O-Ton Altenmüller weiter
Eins zwei drei, eins zwei drei vier... so ist der Fingersatz. Und darüber denkt natürlich
kein Pianist mehr nach, das kann der sich gar nicht leisten, sondern das ist in Netzwerken im Basalganglienbereich abgelegt. Und die steuern dann die Muskeln gewissermaßen unbewußt mehr oder weniger präzise an. Und weil diese Tätigkeiten sehr lange gelernt werden, sehr lange verfeinert werden, und weil die Basalganglien ein, wenn man
so möchte, konservatives Hirnteil sind, die möchten gerne bewahren, was sie besitzen, weil sie das eben schon mal mit viel Aufwand mal früher gelernt haben, im Grunde genommen ist es ein Teil des Gehirns, der aus ner ganz anderen archaischen Episode, als wir noch Reptilien waren, Frösche waren, stammt, weil die Basalganglien
eben konservativ sind, bleibt das eben ganz, ganz fest und dick drin.
Musik: Didgeridoo
O-Ton Assmann
Der Mensch ist ja auch ein Tier im Sinne von Animal, ein Lebewesen und teilt sehr viele Eigenschaften und Grundlagen mit seiner Tierwelt, die ihn umgibt und diese Frage
der Rudimente, das ist ja auch ein Darwinsches Konzept, dass wir in uns auch noch
vieles, der Körper speichert ja noch Urgeschichte und Epochen, die Jahrtausende, viele
Jahrmillionen zurückliegen.
Musik: Didgeridoo
O-Ton Assmann
Das ist das, was im sogenannten Limbischen System gespeichert ist. Das ist wiederum
etwas, was wir durch die Evolution in uns haben, das liegt sehr tief im Gehirn und ist
sehr weit entfernt von dem frontalen Kortex, d.h. der Hirnregion, die sehr stark Bewusstsein, Sprache und Reflexion verarbeitet.
Musik: Didgeridoo
O-Ton Assmann
22
Und dieses limbische System hält 3 Überlebensprogramme, die in der Evolution ausgebildet worden sind. Wenn wir diese 3 Programme nicht hätten, hätte die Art gar nicht
überleben können. Die haben wir immer noch und die kommen heraus, wenn alle Stricke reißen, wenn wir gar nicht weiter wissen, wenn unser Gehirn nicht mehr weiter
weiß, dann kommen diese Urprogramme raus und diese 3 Programm sind entweder
Aggression, wir gehen wild, aggressiv auf etwas zu oder wir ergreifen die Flucht, wir
ziehen uns panisch zurück und die 3. Möglichkeit ist die Erstarrung, wir können gar
nicht mehr weiter. Diese 3 Grundprogramme sind auch im Körper gespeichert. Das ist
eben auch wieder Beweis dafür, dass die Menschen in einem Spannungsverhältnis leben, und nicht nur von ihrem bewussten Gehirn gesteuert werden, sondern auch von
tieferliegenden Hirnregionen, an die sie normalerweise, wenn Sie bewusst leben, gar
nicht dran kommen.
O-Ton Adams
Bei Gefahrensituationen ist es bei mir bislang immer so, dass der Kopf sehr stark mitgespielt hat, um die Situation immer sehr analytisch im Griff zu behalten. Es war eher
so Richtung Erschöpfungserscheinungen, wo ich gemerkt habe, der Körper übernimmt
bestimmte Funktionen.
Sprecher:
Philip Adams, Kletterer und Extrem-Bergsteiger.
O-Ton Adams
Da waren wir auch Bergsteigen, waren 17 Stunden unterwegs gewesen und sehr erschöpft, wir mußten uns beeilen, weil wir die Gondel noch bekommen mussten, wir
mussten noch einen letzten Aufschwung hoch zur Gondelstation und das waren dann
doch noch so 100, 200 Höhenmeter, die man überwinden musste. Und ich war am Ende, ich konnte gar nicht mehr. Und ich hab mich hingesetzt und dem Bergführer gesagt, so, für mich reicht es jetzt, ich würde gerne hierbleiben und ne Schneehöhle graben und dann kommt ihr mich morgen einfach mal holen. Und der meinte so, ein Minütchen in die Landschaft gekuckt und hat dann gesagt: Du, weisst du was, steh einfach auf und lauf. Du wirst schon merken, du kannst jetzt gehen.
23
(…) Und dann hab ich das auch gemacht. Und dann ging das. Und da war ich echt total
erstaunt, weil ich gedacht hab, ich hab nix an Energie mehr in meinem Körper. Und
dann geht dann doch noch immer was. Das ist dann doch so, dass der Körper tatsächlich sehr gut Sachen herholt, die Erinnerungen herholt, andere Sachen vielleicht abschaltet, damit man doch noch weitergehen kann.
Sprecher:
Mein Körper macht nur, was er will,
macht Schmutz, Schweiß, Haar und Horn.
Ich wasche und beschneide ihn,
von hinten und von vorn.
Mein Körper ist voll Unvernunft,
ist gierig, faul und geil.
Tagtäglich geht er mehr kaputt,
ich mach ihn wieder heil.
(Gedicht: Robert Gernhardt: Siebenmal mein Körper)
Musik
O-Ton Benecke
Hallo ich bin Mark Benecke, ich bin Kriminalbiologe, das heißt, ich untersuche biologische Spuren, oft an Tatorten. Oft aber auch lange nachdem die Taten passiert sind. Im
Zusammenhang mit kriminalistischen Fragestellungen. Und die biologischen Spuren,
das sind Blut, Sperma, Haare, Speichel, Kot, Urin und Insekten. (…) Ich untersuche
zum Beispiel Blutspuren auf genetische Fingerabdrücke, die kann man untersuchen für
Vaterschaftstestfragestellungen, man kann es aber auch benutzen um zu fragen, wer
hat irgendwo geraucht, wo ne Tat begangen ist und hat ne Zigarettenkippe dahingeschmissen und wer hat wo sein Haar gelassen, an ner Stelle, wo ein Schuss abgegeben
wurde und wo jemand sein Leben gelassen hat.
Musik
24
Sprecher:
Unmittelbar nachdem Beethoven am Abend des 26. März 1827 gestorben war, schnitt
seine Schwägerin, damaligen Gepflogenheiten entsprechend, eine Haarlocke vom
Haupte des Dahingeschiedenen ab und übergab sie dem Grazer Komponisten Anselm
Hüttenbrenner.
Ca. 180 Jahre später ergaben Untersuchungen an eben diesen Haaren unter dem Elektronenbeschleuniger, mittels Energiedispersionssprektrometrie in einem Rasterelektronenmikroskop folgende Ergebnisse:
Keine Opiate nachweisbar. Mittlere Bleikonzentration über 40mal höher als normal.
Bislang war angenommen worden, Beethoven sei an der Geschlechtskrankheit Lues
oder an seinem übermäßigen Alkoholgenuss gestorben. Die kritische Auswertung der
umfangreichen Korrespondenz und der überlieferten Konversationshefte, insbesondere
der Autographen, ergab in Verbindung mit dem Obduktionsbefund und einer chemischen Haaranalyse, dass der Komponist an einer chronischen Bleivergiftung litt. Diese
führte schließlich zur tödlichen Leberzyrrhose mit einer Encephalopathia hepatica. Als
Ursache hierfür ist zu belegen, dass die von Beethoven über Jahrzehnte bevorzugten
billigen und süßen Weine seinerzeit mit Bleiverbindungen künstlich gesüßt und geschönt wurden.
(Sächsisches Ärzteblatt vom 2. Quartal 1998.)
Musik
Sprecher:
Vor ein paar Jahren hatte sie Probleme mit den Fußgelenken gehabt. Besonders nach
längeren Strecken blieb ein unheilverkündender Schmerz, ein Reiben, das sich fast wie
Rheuma anfühlte. Sie kaufte sich andere Schuhe und versuchte, die Füße in einem anderen Winkel anzusetzen, doch es nützte nichts. Schließlich, aus reiner Verzweiflung
machte sie es genau umgekehrt. Sie hörte auf, an die Füße zu denken. Ließ den Beinen
einfach freies Spiel, durch das Knie hinunter bis zum Knöchel. Kein Gedanke mehr an
Winkel und den richtigen Fußansatz. Einfach gehen lassen, in gewisser Weise in sich
hineinlauschen. Was wollt ihr, Füße? Wie wollen wir das hier machen? Voller Erwartung
25
spürte sie, wie das Gleichgewicht wiederkam. Die Fußgelenke stellten sich ganz automatisch ein und gleichzeitig ließ der Schmerz nach. Man sollte aufhören zu denken.
Loslassen. Der Körper wusste selbst wie er laufen sollte.
(Aus: Mikael Niemi: Der Mann, der starb wie ein Lachs. S. 200ff.)
O-Ton Roller
Ich hatte immer in der rechten Hand ein Schnelligkeitsproblem, vor allem zwischen
Zeige- und Mittelfinger, (…) wahnsinniges Hindernis am Klavier, weil ein Finger immer im Weg hängt..
O-Ton Roller
Ich hab bestimmte Dinge kompensiert auf ne ungünstige Art und diese Kompensationsbewegungen mußte ich mir abgewöhnen wieder. Und ich musste viele Schritte zurückgehen und erstmal ganz einfache Grundaktionen wieder lernen, wie ich zb ne ganz
feine Bewegung machen kann mit wenig Spannung und wenig motorischer Arbeit, wenig Grobmotorik, ums mal genauer zu sagen. Sondern wirklich auf der feinmotorischen
Ebene.
O-Ton Roller
Ich hab ganz ganz einfache Dinge getan, nur solche Dinge gespielt (spielt)
O-Ton Puttke
Das Umlernen ist insofern schwieriger, weil jeder Mensch hat in seinem Bewegungsgedächtnis natürlich Bewegungen abgespeichert, die er übrigens durch Aneignung erworben hat, auch genetisch, unser Bewegungsablauf ist in gewisser Weise genetisch
bereits vorprogrammiert oder durch Sehen viuell, durch die Wirkung der Spiegelneuronen. Das ist ja eine ganz wichtige Entdeckung für den Tanz. Das heißt, dass, wenn Sie
nur zuschauen, entsprechende Areale im Gehirn aktiviert werden und bereits Bewegungsabläufe speichern, ohne dass Sie es überhaupt wissen.
Atmo Balletsaal Klavierspiel
26
O-Ton Puttke
Es ist völlig klar, dass für den Tanz, wo wir von einem Bein aufs andere springen, von 2
Beinen auf 2 Beine, von 2 Beinen auf eins, von einem aufs gleiche, das Management,
also der Transport des Zentrums des Schwergewichts des Körpers das A und O ist.
Wenn Sie das nicht beherrschen, brauchen Sie über Stilistik, über Schönheit gar nicht
zu diskutieren. Und daran ist an diesem Beispiel bereits zu erkennen, wie sehr wir beim
Tanz, bei den Korrekturen an der Oberfläche bleiben, weil wir in der Regel fast nur Stilistik korrigieren, anstatt auf das Wesentliche erstmal zu sprechen zu kommen, wenn
jemand nicht landen kann, dann brauch ich ihn nicht abspringen zu lassen.
O-Ton Altenmüller
Zum Beispiel jemand der Skisprung macht, der kann einfach nicht langsam die Schanze runterfahren, das geht nicht (…) das erfordert Imaginationstraining.
Für den Musikunterricht gilt: Fingerbewegungen kann man langsam machen, aber
wenns darum geht bei Streichern ein Lagenwechsel oder bei Bläsern z.B. ein Register
zu überblasen, das muss schnell gehen, das muss mit Schmackes ablaufen. Langsame
und schnelle Bewegungen sind unterschiedlich verschaltet....
O-Ton Altenmüller
Das langsame Bewegen ist kontrolliert, geführt, wo meine Großhirnrinde realtiv genau
Bescheidsagen kann: jetzt gehst Du dahin mit dem Finger, jetzt spürst du dahin, das
kann die Großhirnrinde schön sagen. Nur wenns dann ins Schnelle übergeht: dann
brauchts einen anderen Modus. Und dieser Modus ist eben der Basalganglienmodus.
Und deswegen kann man eben nicht alles, was man langsam kann so problemlos übertragen auf das Schnelle, leider nicht...
O-Ton Altenmüller
Ich sage immer: die Kunst zu üben ist festzustellen, in welchem Moment ich aufhören
muß.
Sprecher:
27
Sowie: Eckart Altenmüller. Flötist und Neurologe an der Musikhochschule Hannover,
Leiter des Instituts für Musikerphysiologie.
O-Ton Assmann
Die Ausschaltung des Körpers geschieht im Fall der Schrift und das sind die Speichertechniken, die wir in den Archiven führen, die lassen den Körper hinter sich. Ich hab
das mal „Exkarnation“ genannt, die Auskörperung.
Sprecher:
Aleida Assmann. Kulturwissenschaftlerin und Gedächtnisforscherin, Universität Konstanz.
O-Ton Puttke
Dieses völlig neue Lehrverfahren nennt sich DANAMOS, Dance Native Motion System,
ein natürliches Bewegungssystem für den Tanz.
Sprecher:
Martin Puttke. Ehemaliger Tänzer und Ballettdirektor, Tanzpädagoge in Berlin und
Sankt Petersburg.
O-Ton Claudius Roller
Üben heißt: kommt von dem althochdeutschen Wort „ob der acker“. D.h. Feld beackern und in Schuss halten. Das heißt nicht neu lernen, sondern das heißt eigentlich
pflegen und beackern. Das ist die motorische Fähigkeit, ne.
Sprecher:
Claudius Roller. Pianist und Klavierpädagoge, Köln.
O-Ton Schack
28
So ist es im Leben oft, in unserem täglichen Leben, dass wir auf Bewegungen zurückgreifen, ohne uns darüber klar zu werden, wie wir eine Tür öffnen, wie wir ein Glas greifen, wie wir trinken.
Sprecher:
Thomas Schack. Kognitions- und Bewegungsforscher, Universität Bielefeld.
Und: Jelena Thiel, 17 Jahre alt, nach der 2. Fahrstunde:
O-Ton Jelena Fahrstunde
Vor allem Bremsen ist ein bisschen komisch. (...) Weil, mit einem Fuß bremsen, mit
dem andern auch Gas. Hm. Und gleichzeitig auch noch die Kupplung treten. Issen büschen viel.
Sprecher:
Mein Körper kennt nicht Maß noch Dank,
er tut mir manchmal weh.
Ich bring ihn trotzdem übern Berg
Und fahr ihn an die See.
(Gedicht: Robert Gernhardt: Siebenmal mein Körper)
Sprecher:
Was sitzt das sitzt. Der Körper und sein Gedächtnis. Von Ulrike Burgwinkel und Simonetta Dibbern. Mit Texten von Pascal Mercier, Herta Müller, Mikael Niemi, Marcel
Proust. Und Robert Gernhardts Gedicht: Siebenmal mein Körper.
Sprecher
Mein Körper ist so unsozial.
Ich rede, er bleibt stumm.
Ich leb ein Leben lang für ihn.
Er bringt mich langsam um.
(Gedicht: Robert Gernhardt: Siebenmal mein Körper)
29
Es sprachen: Jan Kämmerer und Walter Gontemann, Volker Banik
Ton und Technik: Christoph Reiseberg und Beate Braun
Regie: Uta Reitz.
Redaktion: Klaus Pilger.
Eine Produktion des Deutschlandfunks 2010.
ENDE
30
Herunterladen