Lobbying auf EU-Ebene ist Champions League

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Public Affairs
„Lobbying auf EU-Ebene
ist Champions League“
Interessenvertretung in Brüssel hat ihre eigenen Regeln und
verlangt besondere Strategien. p&k sprach mit dem Doyen der
EU-Lobbyforschung, RINUS VAN SCHENDELEN.
p&k: In Deutschland hat man von der
EU eher das Bild eines riesigen Molochs. Sie beschreiben in ihrem Buch
„Die Kunst des EU-Lobbyings“ die europäische Lobbyarbeit als weitaus
transparenter und konstruktiver als
in den Nationalstaaten. Wie kommen
Sie darauf?
Van Schendelen: Das Image „Moloch“,
kommt ja durch die wachsende Dominanz der EU auf die Politik der Nationalstaaten. Dabei ist die EU eigentlich ein
Liliputaner. Die Kommission hat weniger
als 25.000 Beamte, also ungefähr der Apparat einer deutschen Landesregierung.
Die Aufgaben sind aber immens, weshalb die EU das Expertenwissen der Interessengruppen besonders braucht. Deren
zahlreiches Auftreten in Brüssel bedeutet
ein hohes Maß an sozialer Kontrolle.
Der Hauptgrund, warum das EU-Lobbying viel transparenter ist als das der
Nationalstaaten. Die Lobbygruppen beobachten sich sehr genau untereinander
und bringen Mauscheleien anderer ans
Tageslicht. Das multipolare Gefüge der
Interessensvertretung in Brüssel sorgt
hier für ein Gleichgewicht.
Zudem gilt in der EU das Prinzip Open
Access für praktische alle Gebiete, allerdings nicht für die Handlungen der Staaten. Das führt paradoxerweise dazu, dass
der „Staatslobbyismus“ in Brüssel weitaus
weniger transparent ist als der oft verteufelte Wirtschaftslobbyismus. Wie Staaten und deren Ministerien versuchen, in
Brüssel Einfluss zu gewinnen, ist kaum
durchschaubar. Deren Lobbyismus zeichnet sich durch „Korridordenken“ aus, das
heißt, immer dieselbe Strategie zu verfolgen. Dort verlässt man sich immer noch
alleine auf die strukturelle Bevorzugung,
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die staatliche Einheiten in der politischen
Arena nun mal genießen.
Ein Lobbyregister spielt für Sie keine
Rolle?
Ein Lobbyregister, wie es auf EU-Ebene ja
bereits existiert, ist sicher ein konstruktiver Effekt. Das Entscheidende ist aber
eine funktionierende soziale Kontrolle,
im Sinne eines jeder schaut jedem auf die
Finger. In der EU gibt es dadurch weit weniger schmutziges Lobbying, wie Bestechung, als in den EU-Mitgliedsländern.
Wie unterscheidet sich das Lobbying
in Brüssel von jenem der Nationalstaaten?
Lobbying auf EU-Ebene ist Champions
League, Public-Affairs-Arbeit in den Nationalstaaten dagegen Amateurliga. Die
Konkurrenzdichte in Brüssel ist weitaus höher als in den Hauptstädten der
EU-Staaten. Natürlich gibt es auch auf
EU-Ebene amateurhaftes Lobbying, aber
überwiegend agieren hier absolute TopPlayer, die in der Lage sind, komplexeste
Interessenlagen zu managen. Aus dem
alten Lobbying haben sie das gemacht,
was man Public-Affairs-Management
nennt.
Was ist der Unterschied zwischen
Lobbying und Public-Affairs-Management?
Public-Affairs-Management ist methodischer als Lobbying. Man schafft sich damit
eine Vielzahl an Methoden zur Analyse.
Während der Lobbyist sich immer nur in
der Lobby, auf einem Korridor au�ält, hat
der Public-Affairs-Könner das Netz aller
Korridore, kann die Türen öffnen und für
sich den optimalen Weg zum Ziel finden.
Im Idealfall kommt man so mit „null Lobbying“ zu seinem Ziel, lässt die Anderen
für sich arbeiten. Und der Andere denkt:
„Das ist ja bestens, das läuft ja alles nach
meinem Plan.“ Wenn man das schafft, ist
das Lobbying eine wahre Kunst.
Welche Rolle spielen nationalstaatliche Prägungen beim EU-Lobbying?
Der Kulturreichtum Europas spiegelt sich
auch bei der Lobbyarbeit in Brüssel; das
gilt es zu berücksichtigen. Dass gewisse
Nationen ein besonders gutes Händchen für das EU-Lobbying haben, kann
man empirisch aber nicht belegen. Man
kann eher feststellen, dass es die multinationalen Organisationen und Unternehmen sind, die als erste moderne Lobbyarbeit angewandt haben und hier Vorreiter sind. Sie profitieren hier natürlich von
ihrem internationalen Bezugsrahmen.
„Nehmt Brüssel als eure
neue Hauptstadt.“
Bedeutet die Finanz- und Wirtschaftskrise für den Lobbyismus in Brüssel
Goldene Zeiten, da die Politik abgelenkt ist?
Die Spitzenpolitiker Europas ringen gerade darum, das politische Grundgerüst der EU weiterzuentwickeln, um die
Union wieder handlungsfähig zu machen. Dies verlangt ihr volles Engagement. Spezifische Politikfelder wie etwa
der Agrarbereich oder die Fischereipolitik finden zurzeit weniger Beachtung.
Das heißt, sie überlassen der Kommission
und den zahlreichen Interessengruppen
das Feld. Dieser Effekt wird noch durch
die Medien verstärkt, die ihre Berichterstattung auf die sogenannten „High Politics“ fokussieren und die „Low Politics“
außer Acht lassen.
Sie treten dafür ein, dass Parteien und
die nationalen Parlamente Public Affairs intensiver für sich nutzen sollten, ansonsten drohe ihr politischer
Einfluss in Zukunft zu schwinden.
Wie meinen Sie das?
pol it ik & kommunikation | September 2012
Foto: www.baumannstephan.com
VON FELIX FIS C H A L E C K
UND BJÖRN M Ü L L E R
In ihrem Buch taucht immer wieder
der Name des knallharten Machttheoretikers Niccolò Machiavelli als Vorbild in Sachen Public Affairs auf. Ist
das kein Widerspruch?
Nein, und zwar aus drei Gründen. Machiavelli haftet oft noch das Bild des teuflischen Machtpolitikers an, aber der Italiener war einer der ersten Empiriker,
der „avant la lettre“ versuchte, zu Erkenntnissen zu kommen. Zudem wollte
er über Faktensammeln das Wesen des
Menschen verstehen. Dabei predigte er
immer große Umsicht und Vorsicht. Und
Drittens ist der ambitionierte Florentiner
die Blaupause eines guten Lobbyisten –
analytisch und in der Themenfokussierung stark, ein Target- und Agendasetter
würde man heute sagen. Neben der Fähigkeit große Datenmengen zu sammeln,
hatte er auch ein Händchen für deren effiziente Analyse, diese Kombination ist
die erste Lobbyistentugend überhaupt.
Es scheint sich abzuzeichnen, dass
die EU durch die Eurokrise bald noch
mehr Macht von den Nationalstaaten erhält. Ist jetzt ein günstiger Zeitpunkt, um in Brüssel eine Interessenvertretung zu eröffnen?
Mein Slogan für alle Interessenvertreter in Europa ist: „Nehmt Brüssel als eure
neue Hauptstadt.“ Die meisten Politikfelder sind schon europäisiert. Gerade
werden auch die Kernfelder Budgethoheit, Steuern und Finanzen entnationalisiert. Brüssel gehört die Zukunft.
Rinus van Schendelen
Kein EU-Skeptiker: Rinus van Schendelen während des Gesprächs in der holländischen Botschaft
Auch in Deutschland ist die Diskussion
um den Bedeutungsverlust des Bundestags ja eine Dauerdebatte. Und die Parteien sind immer noch darauf konditioniert, ihre Interessen auf die eigene
Regierung zu fokussieren, sei es Unterstützung oder Kritik. Mit eigenen Verpol it ik & kommunikation | September 2012
tretungen und Netzwerken in Brüssel zu
agieren, würde den Nationalparlamenten
und Parteien mehr politisches Gewicht
verschaffen. Sie sollten lernen, dass in
Europa Einfluss wichtiger ist als institutionalisierte, formale Macht und dessen
Organisation somit entscheidend ist.
Der Niederländer erforscht seit Jahrzehnten
den Lobbyismus in Europa; sein spezielles
Interesse gilt dabei den Interessengruppen
auf EU-Ebene. Der 67-jährige Professor der
Politikwissenschaften gilt als der Experte
auf diesem Gebiet. Mehr als 30 seiner Bücher
widmen sich dem Thema, darunter Standardwerke wie „Machiavelli in Brussels - the
Art of Lobbying the EU“, dessen deutsche
Ausgabe dieser Tage in einer überarbeiteten
Fassung erschien. Van Schendelen lehrt und
forscht seit 1980 an der Erasmus-Universität
in Rotterdam, unterhält aber auch ein Büro
in der „EU-Hauptstadt“ Brüssel. Dort ist er
Mitglied und Mitbegründer zahlreicher Interessenszirkel und berät Unternehmen wie 3M,
Shell oder Siemens sowie Staaten wie China,
Finnland und den Oman.
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