283 HIV & Herz Wenn HIV das Herz „erobert“ Dank erweiterter Behandlungsoptionen – wie der hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART) – hat ein großer Teil der HIV-Infizierten aus Industrieländern inzwischen ein „vorgerücktes“ Alter erreicht. So sind Patienten im Alter von 50 bis 70 Jahren in HIV-Schwerpunktpraxen und Kliniken heute keine Seltenheit mehr. Für die Behandler bedeutet das veränderte Gesicht der Infektionskrankheit, dass sie neben dem virologischen Geschehen (wie die Kontrolle der Viruslast und der CD4-Zellen) auch die Diagnostik und Therapie von „Alterserkrankungen“ und Arzneimittelnebenwirkungen im Blick haben müssen. M it steigendem Alter der infizierten Patienten gewinnen kardiovaskuläre Erkrankungen und Arzneimittelnebenwirkungen an Bedeutung. So hat die D:A:D-Studie (Data Collection on Adverse Events of Anti-HIVDrugs) gezeigt, dass Patienten, die langfristig antiretroviral behandelt werden, mit einer erhöhten Herzinfarktrate zu rechnen haben. Die bisher umfassendste prospektive Erhebung an 23 000 HIV-Patienten ergab, dass das Herzinfarktrisiko unter antiretroviraler Therapie um jährlich 26% steigt. Die absolute Zahl an Myokardinfarkten ist im Mittel mit 3,5 pro 1000 Patientenjahre jedoch gering. Unabhängige Risikofaktoren neben der hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART) waren Alter, männliches Geschlecht, eine KHK-Vorgeschichte und insbesondere das Rauchen. Kardiale Erkrankungen bei HIVinfizierten Patienten Perikardiale Erkrankungen ● ● ● Myokardiale Erkrankungen ● ● ● ● ● HIV rückt auch für Kardiologen zunehmend in den Behandlungsfokus Perikarderguss/Perikardtamponade Perikarditis (viral, bakteriell, mykotisch) Neoplasien (Kaposi-Sarkome, Lymphome) HIV-assoziierte dilatative Kardiomyopathie Myokarditis (akut oder chronisch) nicht entzündliche myokardiale Nekrose Neoplasien (Kaposi-Sarkome, Lymphome) Medikamentennebenwirkungen (insbesondere NRTIs) Endokardiale Erkrankungen ● „HIV-Infektionen werden zunehmend zur Herausforderung auch für Kardiologen“, prognostizierte Priv.-Doz. Till Neumann vom Westdeutschen Herzzentrum in Essen und belegte seine Aussagen anlässlich des Internistenkongresses in Wiesbaden mit den ersten Ergebnissen der HIV-HEART-Studie – eine prospektive Multicenterstudie in Deutschland, die gemeinsam vom Kompetenznetz Herzinsuffizienz und dem Kompetenznetz HIV/Aids durchgeführt wird. ● Infektiöse Endokarditis (bakteriell, mykotisch) Nichtbakterielle thrombotische Endokarditis Vaskuläre Erkrankungen ● ● ● Arteriosklerose Vaskulitis, Perivaskulitis Pulmonale Hypertension (Cor pulmonale) Diese breit angelegte Studie zur Erfassung kardialer Dysfunktionen und Herzinsuffizienz bei HIV-Infizierten umfasst 352 Patienten, davon sind 85,5% männlichen und 14,4% weiblichen Geschlechts. Die erstaunlichen Ergebnisse: ● 50% der HIV-infizierten Patienten haben eine messbare systolische oder diastolische Dysfunktion – ohne klinische Symptome. ● Jeder fünfte HIV-Patient weist bereits klinische Zeichen der Herzinsuffizienz auf (meist NYHA II-III). ● Hinzu kommt, dass kardiovaskuläre Risikofaktoren bei diesen Patienten weit verbreitet sind. So haben nach Neumanns Angaben 61% der Patienten eine Hyperlipidämie, fast jeder vierte einen arteriellen Bluthochdruck, sieben Prozent Diabetes mellitus und drei von vier Patienten sind Raucher. „Im Gegensatz zu Studien vor Einführung der hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART) konnten in HIV-HEART keine Korrelationen zwischen dem Stadium der HIV-Infektion und dem Auftreten myokardialer Schädigungen festgestellt werden“, sagte Neumann in Wiesbaden. Nach der Einführung von HAART (1996), deren wesentlicher Stützpfeiler die Protease-Inhibitoren sind, kam es bald zu Berichten von HIV-Patienten, die in ungewöhnlich jungem Alter an einem Herzinfarkt starben. Da die Protease-Inhibitoren zu einer Fettstoffwechselstörung führen, oft begleitet durch eine äußerlich unübersehbare Lipodystrophie, wurde schnell ein Zusammenhang mit der damals neuen Wirkstoffgruppe gezogen. Diese Hypothese hat sich zwar bestätigt, ihr Ausmaß jedoch relativiert, zumal die Ausprägung zwischen den einzelnen Substanzen differiert. Als Ursachen der vermehrten myokardialen Dysfunktionen unter HAART nannte der Essener Kardiologe die verlängerte Exposition des HI-Virus am Myokard, Autoimmuneffekte, unerwünschte Wirkungen antiretroviraler Medikamente sowie die „klassischen“ Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen (Alter, Rauchen, Dylipoproteinämie, Alkoholkonsum). Neumann empfahl eine regelmäßige nicht-invasive Abklärung der kardialen Situation bei HIVMed Welt 6/2007 Downloaded from www.die-medizinische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Außer Verantwortung der Schriftleitung Erste Ergebnisse der HIV-HEART-Studie 284 HIV & Herz vollständiger Nikotinverzicht Einstellung der Lipidwerte LDL-Cholesterin niedriges Risiko (0-1 Risikofaktoren) <160 mg/dl mittleres Risiko (2 oder mehr Risikofaktoren) <130 mg/dl Tab. 1 Die Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen orientiert sich an den Empfehlungen für nicht HIVinfizierte Patienten (www.dgk.org/leitlinien). hohes Risiko (u. a. KHK oder Diabetes mellitus) <100 mg/dl HDL-Cholesterin >35 mg/dl bei erhöhtem Risiko >40 mg/dl) Triglyceride <200 mg/dl Außer Verantwortung der Schriftleitung bei erhöhtem Risiko <150 mg/dl Optimierung des Blutzuckers HbA1c <6,5% mäßige Alkoholaufnahme ca. 15 g/d regelmäßige körperliche Betätigung 1-2 h pro Woche Gewichtsreduktion Ziel-BMI: 21-25 kg/m² Blutdruckoptimierung systolisch: <130 mm Hg diastolisch <85 mm Hg) infizierten Personen: Bei Patienten mit ungünstigem Risikoprofil sollte mindestens einmal pro Jahr ein Ruhe-EKG gemacht werden. Bei ausgeprägtem Risikoprofil, seien die Untersuchungsintervalle kürzer zu terminieren. Eine ausführliche kardiologische Abklärung inklusive Belastungs-EKG, Stress-Echokardiografie, Belastungs-Myokardszintigrafie und/oder Koronarangiografie sind bei klinisch symptomatischen Patienten indiziert. „Die HIV-Infektion stellt weder eine Kontraindikation für invasive kardiologische noch für kardiochirurgische Maßnahmen dar“, so Neumann. Die Sorge vor kardiovaskulären Komplikationen dürfe jedoch nicht dazu führen, den Beginn einer antiviralen Therapie zu verzögern. „Denn auch ohne Medikamentennebenwirkungen haben HIV-Patienten ein ungünstiges kardiovaskuläres Risikoprofil“, sagte Neumann. „Vor allem der Anteil der Raucher ist gegenüber der Normalbevölkerung doppelt bis annähernd dreifach erhöht.“ Die Prävention der KHK orientiere sich an den allgemein gültigen Empfehlungen (Diät, Statine, Fibrate, Tab. 1). Es sollte allerdings berücksichtigt werden, dass bei den Statinen Interaktionen mit antiretroviralen Medikamenten zu beachten seien. Durch den gemeinsamen Abbauweg am Iso- enzym 3A4, einer Untereinheit des Cytochrom-P450-Systems, bzw. durch eine direkte Hemmung des Isoenzyms (z. B. unter Ritonavir), können die Plasmaspiegel der Statine erhöht sein. Wegen des alternativen Abbauweges sollten Pravastatin und Fluvastatin gegenüber Atorvastatin und Simvastatin bevorzugt werden. Kardiale Erkrankungen HIVInfizierter Die chronische Herzinsuffizienz umfasst eine Reihe von Funktionsstörungen des Herzens, die zu einer verminderten körperlichen Belastbarkeit führen. Bei HIV-Patienten ist insbesondere dilatative Kardiomyopathie von Interesse, ihre Häufigkeit liegt bei ein bis fünf Prozent. „Trotz klinischer Zeichen wird die dilatative Kardiomyopathie bei HIV-Infizierten erst spät erkannt, dabei kann die frühe Therapie der Herzinsuffizienz ein Fortschreiten verhindern“, erklärte Neumann. Als Ursache der Kardiomyopathie wird unter anderem eine chronische Myokarditis diskutiert. Viele opportunistische und nicht-opportunistische Erreger wurden bisher im Myokardgewebe als Auslöser nachgewiesen – auch das HI-Virus. Darüber hinaus wurde bei HIV-infizierten Patienten die Ausbildung einer dilatativen Kardiomyopathie im Zusammenhang mit Autoimmunreaktionen (α-MyosinAntikörper) und nach Einnahme kardiotoxischer Substanzen (Pentamidin, Interleukin-2, Doxorubicin) beschrieben. Es wird jedoch auch ein Zusammenhang zwischen NRTIs und kardialer Dysfunktion durch mitochondriale Toxizität diskutiert. Vor Einführung der HAART zählte der Perikarderguss zu den häufigsten kardialen Manifestationen der HIV-Infektion. In klinischen Studien wurde eine Inzidenz von bis zu 11% pro Jahr beschrieben. Als Ursache kommen HIV selbst, opportunistische Erreger, Tuberkulose (cave: bei HIV-Patienten ist die Sensitivität des histopathologischen Nachweises insbesondere von Mycobakterium Tuberculosis reduziert) sowie HIV-assoziierte Neoplasien in Betracht. Herzrhythmusstörungen bei HIV-Infizierten sind häufig medikamentös bedingt. Einige HIV-Medikamente (z. B. Efavirenz) oder PIs (u. a. Lopinavir, Nelfinavir, Ritonavir, Atazanavir und Saquinavir), sowie Kombinationstherapien mit Methadon stehen im Verdacht, eine signifikante Verlängerung der QT-Zeit mit dem Auftreten von „Torsade de pointes“-Tachykardien zu bewirken. Bei der Begleittherapie ist ferner auf Makrolide und Chinolone zu achten, die ebenfalls eine Verlängerung des QT-Intervalls hervorrufen können. Dies gilt auch für die Hypokaliämie unter intravenösem Pentamidin. Infektiöse Herzklappenerkrankungen bei HIV-infizierten Patienten treten meist in Form bakterieller oder mykotischer Endokarditiden auf. Neoplasien des Herzens sind selten und treten vorwiegend in fortgeschrittenen Krankheitsstadien auf. Im Rahmen pathologischer Untersuchungen wurden kardial lokalisierte Kaposi-Sarkome unabhängig vom Erkrankungsstadium mit einer Häufigkeit von unter einem Prozent nachgewiesen. Neben neoplastischen Veränderungen sind Vaskulitiden und Perivaskulitiden bei HIV-infizierten Patienten beschrieben worden. Dr. Vera Zylka-Menhorn, Köln Vortrag von Priv.-Doz. Till Neumann „Kardiovaskuläres Risiko und HIV“ beim Symposium „HIV-Infektionen“ am 16. April anlässlich des 113. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin in Wiesbaden. Med Welt 6/2007 Downloaded from www.die-medizinische-welt.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved.