Orakelausstellung

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Orakel - Der Blick in die Zukunft
Hans-Jörg Müller
So lautet der Titel dieser anläßlich der Jahrtausendwende konzipierten Ausstellung, die wie viele
andere - z.B. "Die Geburt der Zeit" (Stattliches Museum Kassel) - in diesem Jahr
Grundlagenthemen der Geomantie streiften. Einmalig in der Vielheit der dargestellten Objekte,
setzt die Ausstellung von allem auf die Ästhetik, die Sprache der Objekte selbst, versucht sich
aber auch in einzelnen Deutungen.
Gegliedert sind Ausstellung und Katalog in sechs Teile: Orakel aus Urzeiten, Leberschau - aus
Eingeweiden die Zukunft deuten, Prophezeiungen aus Übersinnlicher Eingebung, Astrologie - der
Einfluss von Planeten und Sternen, Vielfalt der Orakel und - herausgegriffen - die berühmten
Orakelsysteme Yijing, Ifa und Tarot.
Einzigartige Exponate
Gezeigt wurden nur selten zu erlebende Exponate wie u.a. chinesische Orakelknochen, die
Venustafel des Ammisaduga, der Wahrsageapparat aus Pergamon, Leberschauobjekte von
Mesopotamien bis Etrurien (die berühmte Leber von Piacensa), das Geburtstuch des IskandarSultan, das falname (islamisches Omenbuch) und historische Versionen des Tarot. Aus dem
unendlich scheinenden Kanon der divinatorischen Möglichkeiten wurden herausgegriffen die
Divinationstechniken Indonesiens, das tibetische Staatsorakel mit erstmalig gestatteter
Fotoreportage, das tibetische Nechung-Staatsorakel (welches regelmäßig für den Dalai Lama
weissagt), die Danki - die chinesischen "Schamanen". Als Besonderheiten der Astrologie wurden
z.B. die noch heute praktizierende Sterndeuter in Kerala (Südindien) präsentiert. Christian Rätsch
(wer sonst?) Über Orakelpflanzen durfte auch nicht fehlen. Weitere Themen waren die
Weissagung und Traumdeutung im islamischen Raum und die umfangreiche Präsentation der
Weissagungstechniken Afrikas: Tier-, Wurf-, Reibe- und Schnurorakel wie Orakel-Fetische;
letztere sicherlich als etwas Überrepräsentierter Schwerpunkt.
Ein eigenes Thema in diesem Kontext sind die Orte des Orakels, denen auch immer eine
geomantische Relevanz zugrunde liegt. Interessanterweise leitet sich das Wort Orakel von
oraculum ab, der "Sprechstätte", dem Heiligtum, in welchem die Gottheit sich äußert. Hier werden
hervorgehoben: Dodona mit der heiligen Zeus-Eiche, Delphi - die antike Orakelstätte des Apollon
und der indische Parashar Rishi Tempel.
Das Orakel als Zeichen des Göttlichen
Das Orakel hat seine eigene Aufgabe: dem Göttlichen mußte ein Feld der Einflußnahme
geschaffen werden, im Zu-Fall, im Werfen des Orakelgegenstandes. Das noch Schwache, Neue,
Keimende, mußte - sakraltechnisch - verstärkt werden. Die Zeichen mußten erst verstanden,
gedeutet werden müssen. Dazu bediente man sich meist eines spezialisierten Berufstandes und
einer unermesslich vielseitigen Zahl von Techniken, Formeln und Apparaten. Der göttliche Wille
zur Deutung des Schicksals mußte in den göttlichen Sphären, dem Himmel, den Blitzen, den
Sternen ja erst ablesbar gemacht werden.
Diese Strategien der Erfassung des Unfaßbaren reichten vom Rauschen der Eichenblätter in
Dodona, dem Vogelflug, dem Werfen von Würfeln, Legen von Karten bis zu kompliziertesten
Apparaten, welche wir nun als isolierte und vom geistigen Zusammenhang lösgelöste Objekte
präsentiert bekommen.
Wesentlich erweist sich für die Frage nach der Zukunft auch immer das Zeitverständnis einer
Kultur: ist Zeit linear, läuft sie auf einen Endpunkt zu ? So kann die Zukunft in dem "Keimenden",
in den göttlichen Sphären "vorab" gelesen werden, bis sie sich materiell verfestigt. Ist sie zyklisch,
dann kann sie in ihren wiederkehrenden Qualitäten gedeutet werden. Aus diesen - und weiteren Ansätzen haben sich die unterschiedlichsten Systeme entwickelt, die - für sich betrachtet - nichts
an Aktualität verloren haben.
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Was hat das Orakel mit Geomantie zu tun ?
Die heutige Geomantie entspringt historisch den antiken Divinationsmethoden. Noch heute wird
sie in Universallexika als "Erdorakel" geführt. Die Divination des Ortes geschah immer mittels
Tierdivination, Pflanzenschau, Zeichen-Deutung und Formeninterpretation, wie sie uns noch heute
durch Vitruv Überliefert sind. Den hier dargestellten Lituus kann man beispielsweise - wie seinen
historischen Nachfolger, die Cambutta - durchaus aus Vorgänger der heutigen Wünschelrute
verstehen. Und noch heute ist die Standortastrologie ein Relikt einer spezifisch ortsgebundenen
Astrologie. Hinzukommen die bei Architektur und Stadtplanung verwendeten Analogiesysteme wie
Richtungsschemen und Elementeschemen, so auch das inzwischen populäre chinesische
"Bagua". Gerade hier gibt die Ausstellung einen breiten Eindruck davon, dass heutige "Orakel" wie
Astrologie, Tarot, Feng-Shui durchaus auch andere Versionen zulassen können. Formen und
Strategien der "Kontaktaufnahme" mit dem Geistigen, die beispielsweise im Menschen oder in der
Natur begründet sind.
Schon Cicero unterscheidet in seinem Grundlagenwerk "de divinatione" zwischen "natürlichen"
Techniken wie Übersinnliche Eingebung und "künstlichen" Techniken wie Wahrsageapparate.
Man kann diese - mit fortschreitender Kultur einsetzende - "Technisierung" verstehen als ein
Versuch, die nachlassende natürliche Eingebungskraft und Verbundenheit des Menschen mit dem
Göttlichen auszugleichen. Die Gefahr des Orakel ist damit auch, die "natur- oder gottgegebene"
Verbindung des Menschen zum Göttlichen auf einen technischen Vorgang, auf berufsmässige
Ingenieure des Kontaktes zu projezieren. Diese Thematik ist uns ja bekannt aus der
Kirchengeschichte, wo dem europäischen Menschen bisweilen die Kompetenz abgesprochen
wurde, direkt mit Gott - ohne Vermittlung der Kirche - in Verbindung stehen zu können.
Und es werden die Fragen nach den Hintergründen, den immanenten Weltbildern laut, die wir
stellen müssen, um auch sinnvolle Formen auf dem Hintergrund der heutigen Weltbilder, der
veränderten Seelenlandschaft, neu zu begründen. Und nicht unreflektiert Systeme, die sicherlich
"funktionieren", aber nicht mehr zeitgemässe Antworten geben, Übernehmen oder sie mit einem
falschen Verständnis zu verwenden.
Sinn des Orakelwesens in der modernen Zeit
Gerade in Geomantie und Feng-Shui wird heute wieder viel - durch das Haus als Abbild des
Bewohners - "orakelt". Zulässigerweise wird das Gesetz der sich gegenseitig abbildenden Ebenen
(Mikrokosmos-Makrokosmos) als Projektionsfläche genutzt, was es individuell gestattet,
persönliche Themen abstrakt zu erkennen und eben auch auf der Projektionsfläche
(Ausgleichsmaßnahmen im Haus) zu bearbeiten.
Aber: Oft werden diese Instrumente gehandhabt wie ein magisches Instrument und führen nahe
an den Bereich der Suggestion. Früher war das Arbeiten im magischen Kontext vertretbar - im
Sinne des Verbundenseins mit anderen Ebenen. Der historische Magier nun verbindet sich und
greift ein, das Orakel wird zum Handlungsinstrument. Hier meine ich, sollte heute deutlich ein
Einschnitt geschehen: es an der Zeit, das Orakel selbst grundsätzlich neu zu deuten; die
zeitgemässe Tendenz muß sein, das Analogiesystem mehr als Erkenntnisinstrument verwenden,
so dass eine Orientierungshilfe entstehen kann dadurch, dass andere, "Übergeordnete" oder
projektive Ebenen als Betrachtungs- und Erkenntnisbereich angeboten werden. Und: Ratschläge
zu einer Lebensraumoptimierung sollten immer auch einen Hinweis auf Veränderungen in
Erscheinungsbild, persönlicher oder unternehmerischer Struktur implizieren. Es ist gerade der
Hinweis auf die soziale Lebensoptimierung, die oft fehlt. Die Intention seriösen Arbeitens in
diesem Bereich ist damit eher eine "tiefenpsychologische", eine "Psychogramme", oder
"Struktugramme" erarbeitende Leistung, als der Versuch, tatsächlich der Zeit vorauszueilen oder
Korrekturen alleine auf der Ebene dieser Projektionsfläche zu unternehmen. Der heutige Berater
muß Therapeut sein im ursprünglichen Sinne: Deuter und Begleiter.
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Und: Problematiken sollten möglichst auf der Ebene behandelt werden, wo sie als ursächlich
empfunden werden. Sonst gerät das "Orakelwesen" unserer Zeit in einen Kontext, der es
richtigerweise in die Bereiche von Anwendungsmagie und Trivialesoterik stellt. Diese Gefahren
können nur entstehen durch Missverständnisse Über die Wirkungsweisen und damit die Grenzen
von Analogiesystemen (so hat die Astrologie ja jahrelang versucht, ihre Bedeutung
wissenschaftlich - Über Gestirnstrahlungen - zu untermauern, was natürlich absurd ist).
Bewertung
Die Ausstellung hat nicht berücksichtigt, dass das Orakel in Esoterik, alternativen Heilweisen wie
Geomantie heute ein ernstzunehmendes Phänomen ist, welches unter ganz anderen
Fragestellungen wie einer historischen Zurschaustellung reflektiert werden müßte. Wie es sich für
eine eher im völkerkundlichen Stil ausgerichtete Ausstellung gehört, fand sich hier eine
Zusammenstellung höchst bemerkenswerter Unikate - wie das weltweit schönste Horoskop des
persischen Prinzen Iskandar - aber in der thematischen Aufarbeitung bleibt sie schwach. Man hat
sich zu sehr an der Fülle des bestehenden Materials und am aktuellen Interesse orientiert; es
fehlte das grundlegende Erläutern der vorauszusetzenden Wirkungsweisen und ihre Reflektion
(Synchronizität, Entsprechungslehre, die Idee von Mikrokosmos - Makrokosmos, etc.). So blieb
doch der Eindruck einer äußeren Sicht auf im Einzelnen befremdliche historischer
Vorgehensweisen, die nur für den Vorgebildeten von ausserordentlichem Interesse war. Auch die
europäischen Traditionen wurden eindeutig zu kurz behandelt, wo gerade hier doch ein echtes
fachliches Bedürfnis besteht.
Ebenso fehlte ein spielerische Element, besonders für Kinder z.B. - in harmloser Form - als
Würfelspiel denkbar. Einzige Ausnahme: man ließ von drei "Spezialisten" - Astrologin, IfaWahrsager und chinesischen Staborakel-Spezialist eine Aussage Über den Erfolg der Ausstellung
machen, die erwartungsgemäß etwas beliebig interpretiert, und natürlich grundlegend positiv
ausfielen.
Eine bedenkenswerte Beobachtung wurde von mehreren mir bekannten Besuchern gemacht:
Gerade einige der afrikanischen Idole wurde als bedrohliche Instrumente wahrgenommen, da sie
von ihrer Wirkung nichts verloren hatten. Dies ist ein nicht gering zu schätzender Aspekt für
heutige Ausstellungsmacher: Die Präsentation von "Zaubergerät" muß implizieren, dass es heute
noch wirksam ist. Ähnlich Thematik finden wir jüngst bei der Qumram-Austellung, wo aufgrund des
Protestes aus jüdischen Kreisen (nach traditioneller Auffassung kommt der Verstorbene nicht in
den Himmel, wenn seine Gebeine nicht die letzte Ruhe finden) die ausgegrabenen Skelette selbst
nicht dargestellt wurden, sondern - in buchstäblich letzter Minute - hervorragende Photos an ihrer
Stelle statt die Ausstellung schmücken.
Die Ausstellung im Züricher Museum Rietberg fand statt bis zum 20. Februar. Empfehlenswert für
alle Geomanten ist der umfangreiche, aber nicht preisgünstige gleichnamige Ausstellungskatalog.
Hans-Jörg Müller
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Bildvorschläge
1. Seite 15. Wahrsager inmitten eines Steinkreises, Nord-Kamerun. "Eins mit der Natur,
harmonisch eingebettet in die Welt, die er sich selbst abgesteckt hat, ist er mit den
Jenseitsmächten in Verbindung getreten, um die Zukunft zu erfragen".
2. Seite 73 / Bild 37. Lituus, Kammergrab in Caere. Instrument der römischen Auguren, mit dem
sie Umfang und Unterteilung des templum, des für das Orakel abgegrenzten Raumes,
bestimmten.
3.Seite 75, Bild 40. Die berühmte Bronceleber von Piacenza. Die der Sonne zugedachte Seite ist
in ein Hexagramm unterteilt; die dem Mond zugedachte Seite beinhaltet - anatomisch abstrahiert Galle, "Finger" und den prozessus papillaris sowie Felder, die in 3er, 4er und 7er Kombinationen
auftreten. Die am Rand verlaufenden Sedimente entsprechen der sechzehnteiligen
Himmelsaufteilung der etruskischen Götterwelt.
4. Seite 99, Abb. 1. Attische Trinkschale, welche die Befragung der Themis, der Göttin des Rechts
darstellt. Der Tempel ist bezeichnenderweise zur Säule, der axis mundi, und dem Himmelgewölbe
reduziert.
5. Seite 254, Abb.1. Spinnenorakel. über dem Bau der Vogelspinne, die als Kontakt-Tier zur Erde
gilt, werden mit Symbolen versehene Rindenplättchen aufgestellt und nach dem Hervorkommen
der Spinne am nächsten Morgen durch den örtlichen Wahrsager interpretiert.
6. Seite 332. Schildkröte mit den acht Trigrammen des "Früheren Himmels", die das I-Ging
aufgreift. Sie wird dem mythischen Kulturbringer Fuxi zugeschrieben.
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